Skip to main content

Full text of "Sitzungsberichte - Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Abteilung"

See other formats


i  ^Y-Ji^y')^y- 


Aro^u^ZA..^:tMjl 


'r:c*;^.€A..u<3 


Sitzungsberichte 

der 

philosophisch- philologischen  und 
historischen  Classe 

der 

k.  b.  Akademie  der  Wissenschaften 

zu  ]\d[üncheii. 
Jahrgang   1878. 


JEh*8ter  Band.       ^ f^' 


München. 

Akademische  Buchdiuckerei  von  F.  Straub. 

1878. 

In  Coniinissioii  bei  G.  Franz. 


As 
12.2. 


Uebersicht  des  Inhalts. 


Die  mit  *  bezeichneten  Vorträge  sind  ohne  Auszug. 

Oeff entliche  Sitzung  zur  Feier  des   119.  Stiftungstages  der 
Akademie  am  28.  März  1878. 

Seite 

V.  Döllinger:  Gedächtnissrede  auf  Alexandre  Herculano  de  Car- 

valho 158 

V.  Prantl:   Nekrologe 18G 

V.  Giesebrecht:   Nekrologe 194 


Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  vom  5.  Januar. 

Laubmann:   Mittheilungen  aus  Würzburger  Handschriften     .     .  1 

*Lauth:  üeber  Busiris  und  Osyraandyas 20 

Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Rechte      .     .  21 

Sitzung  vom  9.  Februar. 
ünger:  Zum  Kalender  des  Thukydides 89 

Sitzung  vom  2.  März. 
Thomas:    Bericht  über   die  ältesten  Besitzungen   der  Venezianer 

auf  Cypern 143 

Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal 197 

Sitzung  vom  4.  Mai. 

Unger:  Diodor's  Quellen  in  der  Diadochengeschichte      ....     368 
Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.     Zweite  Reihe      ....     442 


IV 

Historische   Classe. 
Sitzung  vom  5.  Januar. 

Seite 

*v.   Döllinger:     Ueber    die    Gefangennehmung    und    den   Tod 

Bonifacius'  VIII 101 

Sitzung  vom  9.  Februar. 

*v.  Löher:  Ueber  die  Kämpfe  Kaiser  Friedrich  II.  auf  Cjpern  .     101 
Würdinger:  Ueber  die Töpfer'schen  Materialien  für  die  bayerische 

Kriegsgeschichte  des  18.  Jahrhunderts 107 

Sitzung  vom  2.  März. 

V.  Hefner-Alteneck:    Ueber    den    Maler,    Kupferstecher    und 

Formschneider  Jost  Amman 133 

*v.  D  ruf  fei:  Herzog  Herkules  von  Ferrara  und  s^ine  Beziehungen 

zu  dem  Kurfürsten  Moriz   v.  Sachsen   und   zu   den  Jesuiten     317 

Sitzung  vom  4.  Mai. 
*Heigel:  Die  Handhabung  der  Büchercensur  in  Oberbayern    .     .    471 


Einsendungen  von  Druckschriften 102,  472 


Sitzungsberichte 

der 

königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  vom  5.  Januar  1878. 


Herr  Bursian  legte  vor: 

„Mittheilungen     aus     Würzburger    Hand- 
schriften" von  Herrn  Laubmann. 

I. 

Ein     acrostichisches     Gedicht     von     Winfried- 
Bon  ifatius. 

Dass  Winfried-Bonifatius  neben  seiner  bischöflichen  und 
apostolischen  Wirksamkeit  auch  für  die  literarische  Cultur 
Deutschlands  ungemein  thätig  war,  bezeugt  uns  der  Inhalt 
zahlreicher  Briefe  von  ihm  und  an  ihn,^)  in  denen  uns  sein 
lebendiges  Interesse  für  Poesie  und  Metrik  entgegen  tritt, 
bezeugen  auch  die  noch  erhaltenen  grammatischen  und  me- 
trischen Compendien,  über  welche  C.  Bursian,  Sitzungsber. 
1873,  457—460  gehandelt  hat. 

A.  Ebert  hat  in  seiner  Gesch.  d.  Lit.  des  MA.  I,  611 
bis   616    in   zusammenfassender  Kürze    die   Verdienste    des 


1)  Die  neueste  und  beste  Ausgabe  des  gesammten  Briefwechsels  gab 
Jaffe  in  seinen  Monumenta  Moguntina  (Bibliotheca  rer.  germ.  Tom.  III), 
Berol.  1866. 

[1878  I.  Philos.-philol.  Gl.  1.]  1 


2  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Januar  1878. 

Bonifatius  um  die  weltliche  Wissenschaft  erörtert,  während 
C.  Will,  Regesten  zur  Gesch.  der  Mainzer  Erzbischöfe  I, 
(1877)  Einl.  pag.  II— XIII,  die  Literatur  über  Leben  und 
Schriften  des  Apostels  der  Deutschen  sorgfältig  zusammen- 
gestellt hat. 

Die  meisten  dieser  Schriften  sind  erst  seit  wenigen 
Jahrzehnten  bekannt  geworden.  Das  Compendium  der 
Grammatik  hatAng.  Mai(Class.  auct.  Tom.  VII,  475  —  548) 
im  Jahr  1835  aus  einem  codex  Vaticanus  (Palat.  n.  1746), 
früher  dem  Kloster  Lorsch  gehörig ,  herausgegeben ;  den 
Abriss  der  Metrik  (ohne  den  Namen  des  Verfassers 
schon  früher  publicirt  und  bei  Gaisford,  Scriptores  latini  rei 
metricae,  p.  577  sqq.  wiederholt)  Aug.  Wilmanns  aus  einer 
gleichfalls  Lorscher  Handschrift  (cod.  Palatinus  n.  1753)  im 
Rhein.  Museum  N.  F.  XXIII  (1868),  403  sq.  mitgetheilt. 

Die  Aenigmata,  über  die  Th.  Wright  1842  Nach- 
richt gab,  wurden  von  Giles  zuerst  unvollständig  1844  in: 
Bonifacii  opera  II,  p.  109 — 115,  darnach  vollständig,  aber 
ohne  alles  Verständniss,  in  den  Anecdota  Bedae,  Lanfranci  et 
aliorum,  London  1851,  p.  18 — 24,  38  —  45,  später  aber, 
unabhängig  davon  als  ,,grösstentheils  unedirtes  Gedicht  des 
hl.  Bonifacius"  von  C.  P.  Bock  im  Freiburger  Diöcesan-Archiv 
III  (1868),  221 — 272,  mit  Erläuterungen  herausgegeben. 

Wir  dürfen  uns  darum  nicht  wundern,  im  Folgenden 
ein  neues  Gedicht  des  Bonifatius  zu  erhalten  aus  einer  Per- 
gamenthand Schrift  der  Würzburger  Universitätsbibliothek,^) 
s^c.  X,  signirt  Mpth.  f.  29. 

Ich  gebe  zuerst  (S.  4)  die  Handschrift  so  wieder,  dass  die 
ganze    Künstlichkeit    der    mühevollen    Arbeit    des    Bonifaz 


2)  J.  A.  Oegg,  Korographie  von  Würzburg  I  (1808),  pag.  551,  hatte  das 
Gedicht  nicht  übersehen,  es  aber,  den  Namen  Vynfr et h  nicht  erkennend, 
als  wahrscheinlich  von  Lupus,  einem  Schüler  des  Rabanus  Maurus,  her- 
rührend bezeichnet.     Ich  gebe  kurz  den  übrigen  Inhalt  der  Handschrift  an. 

Dieselbe  besteht  aus  2  verschiedenen  Werken  des  Cassiodor  und  enthält : 


Lauhmann:  Mittheilungen  aus  Würzhurger  Handschriften.       3 

deutlich  sichtbar  wird,  deren  38  Verse  in  distichischer  resp. 
hexametrischer  Form  am  Schluss  (S.  18  und  19)  wiederholt 
werden,  und  lasse  Seite  6  die  in  der  Handschrift  auf  der 
Rückseite  befindliche  metrische  Exposition  sogleich  in  über- 
sichtlicher Form  und  mit  Ergänzung  einer  Lücke  folgen. 


I.  ssec.  X  fol.  2 — 37^.    Cassiodori  Senatoris  Institutionum  diuinarum  lec- 
^  tionum   liber  primus.     In   der  subscriptio  heisst  es:    Cas- 

siodorii  Senatoris  Institucionum  diuinarum  litterarum  ex- 
plicit  liber  primus.     deo  gracias.    amen. 

f.  S?**— 39*.    Incipit  eiusdem  liber  secundus.    deo  gracias. 

I.  De  gramatica. 
Grammatica  a  litteris  nomen  accepit  bis  zum  Schlüsse 
des  Capitels  tractata  dilatatur,  und  zwar,  abgesehen  von 
einigen  Schreibfehlern,  ganz  in  der  Redaction  des  codex 
Bambergensis,  von  der  die  Mittheilung  N.  II  im  nächsten 
Heft  handeln  wird;  nur  fehlt  im  cod.  Wirceb.  29  die 
Praefatio  und  hört  das  zweite  Buch  überhaupt  mit  dem 
Capitel  de  grammatica  auf. 

f.  39.  Incipit  de  arhore  in  paradiso  posita.  In  ueteri  testamento 
id  est  genesis  legimus  dominum  dixisse  ad  adam  ex  omni 

ligno  quod  est  in  medio  paradiso  editis Multa  super- 

sunt  de  istis  qusB  dicendi  sunt.  Sed  hora  praeterit  singula 
dicere.  Ne  longitudo  sermonis  fastidium  faciat  auditoribus, 
debitorem  medico,  dilacionem  peto,  sed  uereor  ne  debitor 
occurrat  et  auditor  absenciam  procuret. 

f.  41.    De  quo  supra.    Incipit  unde  supra; 

Deuitum  (d.  i.  Debitum)  curro  soluere  sermone.    Sed   pri- 

stinos  meos  non  inuenio  creditores sie  nee  quod 

adam  peccauit  deo  inputamus. 

f.  44.  „Uersibus  en  iuuenis"  etc.,  also  das  Gedicht,  über  das  diese 
Abhandlung  geht. 

f.  44*'.    Metrische  Erläuterung  dazu. 
II.  f.  1.  74  (Vorsetzblätter  s.  X).    Differentiarum   ysodori  iunioris  spa- 
nensis  episcopi;   Inhaltsangabe    des   2.  Buches,  Text  von 
cap.  XXXII-XXXVI  (Migne  LXXXIII,  90-93  =  cap.  34-38), 
nebst  einer  Notiz  über  die  Chiffern  im  Commentar. 

f.  2—73  ssec.  XII:  Magni  aurelii  cassiodori  senatoris  iam  domino 
praestante  conuersi  expositio  centum  quinquaginta  psal- 
morum:  bricht  f.  73  mit  Psalm  XXIII,  8  ab. 

1* 


Sitzung  der  philos.-philol.  Clasße  vom  5.  Januar  1878, 


üersibus  en  iuuenis  dTxrant  et  carmina  cantu 
Ymnos  namque  del  ymnica  dicta  uiri 
Nisibus  eximiis  r  e  ixouantis  carmina  lector 
Flumina  namque  p  1  u  s  jTrangere        iudicii 

Remina  temporitous  t  o  rquebit  torribus  &  sub    5 

Excelsi  f  a  1 11     omnia     saocla  diu 

Tuta  tenent  iuste  pariter  tum  tania  scanctis 
Hie    dabitur    reg±  a  u  r  e  a  Ix  a  c  q  u  e      p  i  i 

Per  c  a  e  1  i  campos  st  ipabunt  ;^ace    tribunal 

Regnantes  laudant  limpida  regna      simul  10 

Impia  perpetuae  ut  damnentur  gaud±a  uitae 
Sordida  ±n  terris  spernere  gesta  uiri 
Cautü  est  "U.t  numquam  defleat  supplicia  o  a  s  s  u 
Omnes 


entiles 
Regmlna  ut  perdant  parit 
Unus        nemp  e        den 
M    ±rifico    absoluens 
Bildes       in       arte 
XJictor 


mpia  orig o  magog 

r    sub    tartara  t  a^  u  s  i  15 
saecula    cuncta     siJLi  S 
itiraa      tradidit     axixni 
ua     omnia     saneta    graca.u 


nam 
Da,psilis  in  pastis  be 
DeuLotis  concede  tib 
0  m  n  ±potens  genitor  fac  no 
C  a  s  "fc  a  suum  resonans  rec 
0   deus    1  n    s  0  1  i  o  i 

N  u  m  i  xxa  nainque  tuum  mon 
Gentib ;  in  ua,stis 
Edite  in   terris 


Jesus    XcristuS     slcque  ordinatacfu. 

r    nistua   fata   dicanc3La  20 
cum      laudibus      ic3L  tu 


S   tro      in      pectore     p  O  n  i 
t   orem     ut     lingua    oantet 
u  dex     regnator    olimpi 
S    tränt  per  saecula  n.  o  m  e  n  25 
caelebrant  et  g;audia  mira 

saluasti  secla  rodemptor 
Spiritus  aethralem  tibi  laudem  splendidus  aptet 
Subiciens  hominom  et  perlustrans  lumina  terrae 
Egregium  regexxx  gnatum  praoconia  faustum  30 
Ruricolae  iugiter  dic^tnt  cum  carmine  clara 
Almoque     feruens      g^remio  signaba,t  a  b  i  s  a  g 

Totum  quadrad±ens  constjat  sapientia  iusti 
Architenens  altor  qui  side  r  Ck,  clara  gubernaS 
Rurigenae  praesta  ul;  certus  solamina  possit  35 
Tradere  per  sacras  scripliuras  grammate  doctor 
Excerptus  prisco  piJLOrorum  indaginis  usu 
Magna     patri     et     proli    cujacL      flamine      gratia     dicam 


Laubmann:  Mittheilungen  aus  Würzburger  Handschriften.       5 

Notizen  über  meine  Transscription  der  Handschrift. 
Die  Abkürzungen  habe  ich  hier  und  auf  der  folgenden  Seite  sämmt- 
lich  aufgelöst;  es  sind  die  gewöhnlichen,  z.  B. 

&  V.  1,  5,  26,  29,  38  —  namq;  v.  2,  25  —  näq;  v.  4  --  nä  v.  19  — 
cäpos  V.  9  —  nepe  v.  16  —  cautE  e  v.  13  und  dergleichen  mehr  — 
oma  V.  6  —  oma  scä  v.  18  —  sicq;  v.  19  —  p  v.  36  —  pdant  v.  15 
und  dergl.  öfter  —  parit  v.  7  —  iugit  v.  31  —  stipabt  v.  9  —  dabit' 
V.  8  —  damnent'  v.  11  —  ssecla  v.  6,  s^cula  v.  16,  sgc-/a  v.  25,  secia 
V.  27,  »"qd,  duplad:  =  sequa  diuisio,  dupla  diuisio  u.  s.  w. 

Zu  den  einzelnen  Versen  ist  zu  bemerken: 
V.  15.  Regmina  "*  pdant]  ut  von  1.  Hand  über  der  Linie. 
V.  17.  uitima]  a  ist  unsicher:  mehr  darüber  unten. 

Zwischen  v.  19  u  20  steht  am  Rand  von  der  Hand  des  Schreibers: 

est,  das  sich  entweder  auf  v.  19 beziehen  soll:  namuictor  Jesus 

Xristus  est  oder  auf  v.  20,  so  dass  es  zu  dapsilis  in  pastis 

gehörte. 
V.  20:  hier  hören  die  Distichen  auf. 
V.  26  hat  die  Hdschr.  Tentib;  aber  das  Acrostichon  zeigt,  dass  es  Gen- 

tibus  heissen  muss. 

cselebrant]  des  Metrums  wegen  ist  celebrant  zu  lesen. 
V.  27.  Die  Hdschr.  hat  sec-/a;  da  aber  secula  nicht  in  das  Metrum  passt, 

ist  ssecla  zu  schreiben. 
V.  30  hatte  der  Schreiber  zuerst  pr^  geschrieben,  dann  aber,  als  er  sah, 

dass  er  e  für  das  Mesostichon  brauche,  prae  daraus  corrigirt. 
V.  32.  Alraoq;  habe  ich  wohl  richtig  in  Almoque  aufgelöst. 

V.  37  hat  die  Handschrift  prisco]  o  und  i  von  1.  Hand. 


Sitzung  der  philos.-phüöl.  Classe  vom  5.  Januar  1878. 


Fol.  44^ 

Nam  prior  pars  circuii  huius  usque   ad   medium  crucis 
quibusdam  pentametris   intersertis  decurrens  pinguitur  uer- . 
sibus   qui  licet   pedestri  remigio  tranent  non  tarnen  heroici 
nee  omnino  perfecti  decursa  esse  noscuntur;  praeter  crucem  5 
autem  supradictam  in  circulo  heroici  uersus  et  perfecti  decursant. 

De  syllabis. 
Disyllabi. 
pyrricbius    fuga      ex  yj  ^       seqna  diuisio 

spondeus      jestas    ex sequa  diuisio  lO 

iambus         parens  ex  u  _      dupla  diuisio 

trocheus      meta      ex  —  ^       dupla  diuisio 
Trisillabi. 
macula      ex  ^  ^  ^  dupla  diuisio 
ex 


seneas        ex dupla  diuisio 

erato         ex  ^  ^  —  sequa  diuisio 


tribrachus 

molosus 

anapestus 

dactilus  menalus     ex  —  ^  «>^  sequa  diuisio 

ampbibrachus      carina       ex  '^  —  "^  tripla  diuisio 
ampbimachrus     insolse 
bachius  acbates 


ex  —  u  —  sescupla  diuisio 
ex  yj sescupla  diuisio 


antibacbius 


/\ 


natura      ex 

Tetrasyllabi. 
proceleumaticus  auicula 
dispondeus   oratores 
diiambus    propinquitas 
ditrocbeus  cantilena 
antispastus   solonius 
coriambus  armipotens 
ionicus  minor  diomedes 
ionicus  maior  iunonius 
peon  primus  legitimus 
peon  secundus  colonia 
peon  tertius  menedemus 
peon  quartus  celeritas 
epitritus  primus  sacerdotes 
epitritus  secundus  conditores     ex 
epitritus  tertius  demostenes      ex 


sescupla  diuisio 


ex  ^  ^  ^  ^  sequa  diuisio 

ex sequa  diuisio 

ex  v^  —  u  —  sequa  diuisio 

ex  --  ^  —  «^  sequa  diuisio 

ex  V Kj  sequa  diuisio 

ex  —  ^  <j  —  sequa  diuisio 

ex[  ^  ^ dupla  diuisio 

ex w  yj  dupla  diuisio 

ex]  _  u  u  w  sexcupla  diuisio 

ex  yj  —  ^  ^  sexcupla  diuisio 

ex  yj  yj  —  yj  sexcupla  diuisio 

ex  yj  yj  y^  —  sexcupla  diuisio 

ex  v^ epitrita  diuisio 

u  , epitrita  diuisio 

yj  —  epitrita  diuisio 


15 


20 


25 


30 


35 


epitritus  quartus  fescenninus  ex w    epitrita    diuisio 


Laubmann:  Mittheilungen  aus  Würzhurger  Handschriften.        7 

Varianten    der   Handschrift,    Bemerkungen    zu    einzelnen 
Stellen  sowie  über  den  Ursprung  dieser  Eintheilung  der 

Metra. 
11  parens  ex   ^   '-'  —  codex. 
17  dactib;  codex. 
19  amphimachrus]  mach  in  ras.  1.  man. 

sescupla  aus  sesclupa  corrig.  von  1.  Hand,  ähnlich  in  v.  20. 
diuisio]  dium  die  Hdschr.,    aus  Missverständniss  der  Abkürzung  diu. 
23  procleumaticus  codex. 

27  antispatus  codex. 

solonius]   aus   metrischen  Gründen  nach  Donat  und  Isidor  in  Salo- 
ninus  zu  emendiren. 

28  coriambus]  o  in  Rasur  von  b  oder  h. 

29 — 31  die  zwischen  [    ]  stehenden  Worte  fehlen  in  der  Handschrift. 
33  mennederaus    37  demonstenes    38  fiscennius  codex. 


2  pinguitur]  ob  diese  Form  für  pingitur  wohl  möglich  ist? 

3  tranent]    dies   Wort  kommt  bei  Bonifaz   auch   sonst   vor:    Aenigm. 

V.  165,  298,  325. 

3  sq.  qui  licet  pedestri  —  noscuntur]  hier  verstehe  ich  wohl  den  Sinn, 

aber  die  Worte  können  kaum  richtig  sein,  und  doch  scheint 
auch  mit  Einsetzung  von  non  oder  minime,  also:  qui  licet 
non  pedestri  remigio  tranent,  wenig  geholfen. 

4  decursa  esse]   kaum  richtig:    wiewohl  ich   nicht   an  der  Passivform 

Anstoss   nehme;    denn  auch  Aldhelmus  Aenigm.   lib.   prolog. 

V.  27  sagt: 

»nigmata  ritu 
dactylico  recte  decursa: 

also  ist  hier  wohl  decursi  esse  zu  schreiben. 
7  sqq.  Der  Abschnitt  De  syllabis  bis  Schluss  ist  gebildet  nach 
Donatus  =  H.  Keil,  Grammatici  latini  IV  369,  20  —  370,  26  (cf. 
p.  425)  und  Isidor,  Etymol.  I  17,  23—27.  Dorther  wurden  auch  die 
Beispiele  für  die  Lücke  zwischen  ionicus  minor  und  peon  primus  ergänzt; 
die  übrige  Ausfüllung  der  sofort  erkannten  Lücke  ergab  sich  beim 
ersten  Lesen  von  selbst.  Die  Frage,  ob  Bonifaz  aus  Donat  oder  Isidor 
geschöpft  hat,  ist  gleichgültig;  Isidor  selbst  hat  jedenfalls,  wie  die  ganz 
gleichlautenden  Beispiele  zeigen,  Alles  aus  Donat  genommen.  Die  Reihen- 
folge der  Versfüsse  bei  Gaisford,  Scriptt.  lat.  rei  metr.,  pg.  578 — 579 
(=  Rhein.  Museum  XXIII,  403 — 404)  stimmt  mit  Isidor,  unsere  Auf- 
zählung aber  mit  Donat  überein.     Vgl.  Rabanus  =:  Migne  CXI,  675. 

Dass  auch  diese  metrische  Exposition  zu  dem  Gedicht  von  Bonifatius 
herrührt,  also  die  ganze  Seite,  scheint  nicht  zweifelhaft,  wenn  man  den 
Vorgang  des  Aldhelmus  beachtet,  der  als  Einleitung  und  Nachschrift  zu 
seinem  Aenigraatum  liber  in  Form  einer  Epistola  ad  regem  Acircium 
eine  vollständige  Darstellung  der  lateinischen  Metrik  gibt.  Warum 
sollte  Bonifatius  nicht  etwas  Aehnliches  gethan  haben? 


8  Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  5.  Januar  1878. 

Acrostichon  und  Telestichon  unseres  Gedichtes  bilden 
zwei  Hexameter: 

üynfreth  priscorum  Duddo  congesserat  artem, 
üiribus  ille  iugis  iuuauit  in  arte  magistrum 
und  diese  nämliclien  beiden  Verse  ergeben  sich  nochmals 
aus  der  rechten  und  linken  Seite  des  rhombusrA^förmigen 
Mesostichons ,  während  die  Mitte  des  ganzen  Gedichtes  ein 
Kreuz  darstellt  mit  der  Inschrift:  Jesus  Xristus;  so  zwei- 
mal: von  oben  nach  unten  und  Ton  links  nach  rechts  — 
zum  Theil  also  die  nämliche  Form,  die  sich  bei  H.  Hagen, 
Carmina  medii  sevi  inedita,  Bern  1877,  pg.  215  und  221, 
findet.  *)  Mit  dem  Kreuz  aber  hängt  etwas  Anderes  zu- 
sammen: Der  Mittelpunkt  des  Ganzen  ist  Jesus  Christus; 
über  dem  waagrechten  Kreuzbalken  sind  Distichen,  unter 
demselben  lauter  Hexameter. 

Ob  sonst  noch  in  einem  Gedicht  Hexameter  und  Di- 
stichen in  solcher  Verbindung  vorkommen,  weiss  ich  nicht; 
doch  macht  mich  E.  Dümmler,  der  die  Güte  hatte  den  ersten 
Entwurf  dieser  Abhandlung  durchzulesen  und  eine  Anzahl 
trefflicher  Bemerkungen  beisteuerte,  auf  Alcuin's  vita  s.  Wil- 
librordi  (Jaffe,  Biblioth.  VI,  39 — 79)  aufmerksam,  deren 
erstes  Buch  in  Prosa  abgefasst  ist,   während  das  zweite  aus 


3)  Von  Vorgängern  des  Bonifatius  in  der  Verfertigung  acro-,  meso- 
und  telestichischer  Dichtungen  sind  hauptsächlich  zu  nennen  Puhlilius 
Optatianus  Porfyrius  und  Venantius  Fortunatus;  kurz  nach  Bonifatius  war 
in  ähnlicher  Weise  Eabanus  Mauruy  auf  diesem  Felde  thätig. 

Lucian  Müller  hat  jüngst  (Leipzig,  beiTeubner,  1877)  den  Porfyrius 
in  trefflicher  Bearbeitung  neu  herausgegeben,  und  während  diese  Blätter 
in  die  Druckerei  gehen,  kommt  mir  ein  ausgezeichneter  Aufsatz  des 
nämlichen  Gelehrten  zu  Gesicht,  der  in  „Nord  und  Süd.  Eine  deutsche 
Monatsschrift."  IV.  Band,  Januar  1878,  10.  Heft,  Seite  84—99,  unter 
dem  Titel  „Ein  römischer  Dichter  aus  der  Zeit  des  Kaisers  Constantin* 
eine  genaue,  erschöpfende  und  sehr  interessante  Schilderung  aller  Vers- 
Icünsteleien  seines  darob  aus  der  Verbannung  zurückgerufenen  Poeten  gibt« 


Laubmann:  Mittheilungen  aus  Würzburger  Handschriften.  9 

12  Distichen  (als  Einleitung),  etlichen  hundert  Hexametern 
und  51  Distichen  (als  Schluss)  besteht. 

Die  in  den  zwei  acrostichischen  Hexametern  genannten 
Personen  Vynfreth  und  Duddus  sind  jedenfalls  der  Absender 
und  der  Adressat  des  Gedichtes. 

Ausdrücklich  als  Lehrer  der  Dichtkunst  wird 
Bonifatius  gerühmt  Ep.  95:  *)  Hanc  itaque  nuper  metricse 
artis  peritiam  domini  nostri  Bonifacii  sub  magisterio  didi- 
ceram;  von  seiner  Beschäftigung  mit  Grammatik  und  Metrik 
noch  im  Kloster  Nhutscelle  zeugt  Willibald,  vita  s.  Bonifacii, 
cap.  H:*)  ita  ut  maxima  demum  scripturarum  eruditione  — 
tam  grammaticae  artis  eloquentia  et  metrorum  medullata  fa- 
cundise  modulatione,  quam  etiam  historiae  simplici  expositione 
et  spiritalis  tripertita  intellegentiae  interpretatione  inbutus 
—  dictandique  peritia  laudabiliter  fulsit. 

Epist.  23®)  sendet  Lioba  am  Schluss  ihres  Briefes  vier 
Hexameter  eigener  Dichtung  an  Bonifatius  „tuo  auxilio 
indigens",  wie  sie  schreibt;  und  ep.  99  ^)  schickt  ein  Un- 
genannter, Schüler  des  Bonifaz,  seinem  Lehrer  20  Verse 
und  zwar  „correctionis  causa''. 

Verse  von  Bonifatius  selbst  finden  sich: 

Epist.  9^)  am  Schlüsse  des  Briefes  an  Nithard,  gereimte 
jambische  Hemistichien,  deren  neun  den  Namen  des  Adres- 
saten als  Acrostichon  enthalten;  ep.  10  am  Ende,  worüber 
nichts  weiter  zu  bemerken ,  und  ep.  42  ')  am  Schlüsse  des 
Schreibens  von  Bonifaz  an  Papst  Zacharias  wegen  des  Bis- 
thums  Wirzburg  (6  Hexameter).     Dazu  kommen   dann   die 


4)  Jaffe,  p.  243  unten. 

5)  Jaffe,  p.  435  med. 

6)  Jaffe,  p.  84. 

7)  Jaffe,  p.  247—249. 

8)  Jaffe,  p.  52  sq. 

9)  Jaffe,  p.  116. 


10         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Januar  1878. 

oben  schon  angeführten  Aenigmata  und  als  neuestes  unser 
Fund. 

Soviel  über  Winfried  als  Lehrer  wie  als  Dichter;  wir 
kommen  jetzt  zu  dem  Schüler,  an  den  die  neuentdeckten 
Verse  gerichtet  sind. 

Nun  ist  uns  durch  ein  günstiges  Geschick  in  dem  Brief- 
wechsel des  Bonifaz  ein  Brief  desselben  an  diesen  Schüler 
Dudd  ^^)  erhalten,  dessen  Inhalt  sich  mit  dem  unserer  zwei 
acro-,  resp.  telestichischen  Hexameter  nahezu  deckt.  *  *) 

Günstig  trifft  es  sich  auch,  dass  „Dud  abbas"  in  einer  Ur- 
kunde vom  Jahre  744  vorkommt  (nach  Jaffe,  p.  97  not.  1, 
bei  Kemble,  Cod.  dipl.  aevi  Saxonici  I,  111);  in  diese  Zeit, 
ob  etwas  früher  oder  später  lässt  sich  kaum  sicher  bestim- 


10)  Wenn  es  in  dem  sogleich  folgenden  Brief  in  der  Anrede  heisst: 
„Dilecto  filio  Duddo  abbati",  so  ist  Duddo  Dativ  zu  dem  Nominativ 
Dudd  oder  Duddus;  es  ist  also  in  der  Ueberschrift  statt  Duddonem  ab- 
batem  zu  schreiben:  Duddum  abbatem.  Auch  im  Index  bei  Jaffe  steht 
aus  Versehen:  Duddo  abbas. 

11)  ep.  31  (Jaffe,  p.  97  sq.):  Dilecto  filio  Duddo  abbati  Bonifacius 
qui  et  Wynfrethus  seruus  seruorum  Dei  optabilem  in  Christo  caritatis 
salutem. 

Memorem  te  esse,  fili  carissime,  desidero  sapientis  cuiusdam  sen- 
tentiae,  qui  dixit:  Serva  antiquum  amicum;  ut  antiquse  amicitiae,  quam 
in  pueritia  iam  olim  coepimus  et  seruauimus,  in  senectute  non  obliuiscaris ; 
sed  recorderis  patris  tui,  iam  nunc  decrepiti  et  membris  omnibus  ad 
viam  uniuersse  terrae  uergentibus.  Et  licet  parum  doctus  praeceptor 
fuissem,  tarnen  tibi  omnium  deuotissimus,  ut  ipse  testis  es,  esse  studiui. 
lUius  ^euotionis  memor,  miserere  iam  senis  Germanici  maris  tempesta- 
tibus  undique  quassantibus  fatigati;  hoc  est,  ut  orationibus  ad  Deum 
fusis  me  sublevare  studeas  et  in  sanctis  scripturis  adiuuare;  maxime  in 

sanctorum  patrum  spiritalibus  tractatibus Rogo,  ut 

mihi  in  adiutorium  diuinae  scientiae  partem  tractatus  super  apostolum 
Paulum,  quae  mihi  deest,  mittere  digneris.  Habeo  enim  super  duas  epistolas 
tractatus,  id  est  ad  Romanos  et  ad  Corintheos  primara.  Similiter  ut 
quicquid  in  sacro  scrinio  inueneris  et  mihi  utile  esse  arbitreris  et  me 
latere  uel  scriptum  non  habere  aestimes,  insinuare,  sicut  fidelis  filius 
licet  rustico  patri,  et  rescripta  beatitudinis  tuae  dirigere  dignare.. 


Laubmann:  Mittheüungen  aus  Würshurger  Handschriften,     11 

men,  mag  auch  der  Brief  und  unser  Gedicht  zu  setzen  sein. 
Unter  einer  Synode  von  716  (Haddan  &  Stubbs,  Councils 
III,  301)  findet  sich  Signum  manus  Duddan  praepositi;  doch 
ist  das  für  den  unsrigen  vielleicht  etwas  zu  früh. 

Nach  Ebert,  1.  1.  p.  582,  bezeichnet  sich  Columban  in 
einem  Acrostichon  an  Hunald  in  den  Anfangsbuchstaben 
selbst  als  den  Schreiber;  und  im  Prolog  zu  seinem  Aenig- 
matum  liber  nennt  sich  Aldhelmus  sowohl  mit  Acro-  als 
auch  mit  dem  gleichlautenden  Telestichon  als  den  Verfasser 
des  Ganzen: 

Aldhelmus  cecinit  millenis  uersibus  odas. 
Ein  Zweifel  also ,  dass  unser  Gedicht  in  Wirklichkeit 
von  Vjnfreth  ist,  ist  kaum  möglich ;  doch  will  ich  für  alle 
Fälle  zu  einzelnen  unserer  38  Verse  mehr  oder  weniger 
ähnliche  oder  gleichlautende  Stellen  aus  den  Aenigmata 
(Zählung  nach  Bock)  geben. 

Zu  V.  1.  Versibus  en  iuuenis  durant  et  carmina  cantu  vergl. 
man  den  Anfang  des  Räthsels  Misericordia,  v.  83: 
Moribus  en  gemine  uariis  et  iure  sorores. 
3.  Nisibus  eximiis         =  Aenigm.  v.  104,   cf.  v.  125. 
5.  torribus  —  Aen.  v.   106.  287. 

9.  tribunal  =   Aen.  v.  162. 

^'        ,     ,         1      .      r=  Aen.  v.  358 :    Limpida  quo- 
29.  perlustrans  lumma  J 

que  modo  perlustret  lumina  Titan  (die  Ein- 
siedler Hdschr.  hat  perlustrant  lumina  [i.  e. 
sol  et  luna]   terras). 

11.  perpetuse  uitse         =:  Aen.  v.  155. 

15.  sub  Tartara  trusi  —  Aen.  v.  243;  ähnlich  v.  252, 
297,  301  u.  ö. 

15.  Regmina  =  Aen.  v.  60,  87,  119,  266. 

24.  Olimpi  =  Aen.  v.  93. 

27.  saluasti  ssecla  redemptor  cf.  Aen.  v.  34:  restaurat 
secla  redemptor. 


12         Sitzung  der  philos,-philol.  Classe  vom  5.  Januar  1878. 

31.  ruricolee  =  Aenigm.  v.   142,  296. 

iügiter  =  Aen.  v.  58,    71,     98,    108, 

118,   148,  286,  279,  337,  370  u.  ö. 

34.  architenens  —  Aen.  v,  33. 

35.  rarigense  =  Aen.  v.  338,    cf.    epist.    31, 

oben  S.   10,  not.  rustico. 
solamina  —  Aen.  v.  342. 

Es  erübrigt  mir  noch ,  das  Gedicht  in  Kürze  kritisch 
und  exegetisch  zu  behandeln,  wobei  freilich  des  Dunkeln, 
Ungewissen  und  Unverständlichen  genug  bleiben  wird.  *^) 
Denn  wenn  Bock  (1.  1.  p.  252)  schon  bei  den  einfachen 
Acrostichen  der  Aenigmata  über  den  oft  wenig  entsprechenden 
Inhalt,  über  die  Schwerfälligkeit  der  Worte  und  Gedanken 
klagt,  was  dürfen  wir  erst  hier  erwarten,  wo  der  Dichter 
durch  Acro-,  Tele-  und  doppeltes  Mesostichon  in  jedem 
Vers  viermal  in  der  Entwicklung  seiner  Gedanken  gehindert 
und    durch   schwere   Fesseln    zur    Undeutlichkeit   und    Ge- 


12)  Sagt  doch  selbst  Lucian  Müller,  a.  a.  0.  S.  97,  von  einem  so 
gewandten  Dichter  nnd  so  gewiegten  Verskünstler,  wie  Porfyrius  war, 
Folgendes:  „Fragt  man  nach  dem  ästhetischen  Werth  des  Inhalts,  so 
begreift  sich,  dass  von  einem  hohen  Aufschwung  derPhantasie 
des  Dichters,  auch  wenn  er  damit  noch  so  reich  begabt  gewesen 
wäre,  keine  Rede  sein  konnte.  Die  unzähligen  Vers-,  Wort-  und 
Buchstabenkünsteleien  mussten  in  dieser  Beziehung  wie  enge  Schnür- 
stiefeln wirken.  Desto  mehr  ist  es  anzuerkennen,  dass  trotzdem  mehrere 
Stellen  ganz  gelungen  sind,  und  das  Ganze,  mit  nicht  zu  vielen  Aus- 
nahmen, nicht  zurückbleibt  hinter  der  gleichmässigen  Mittelmässigkeit, 
die  in  der  römischen  Poesie  so  zahlreich  vertreten  ist . , .  Die  Sprache . . 
leidet  natürlich  nicht  selten  an  Geschraubtheit,  Dunkelheit  sowie  Wie- 
derholungen von  Wörtern  und  Gedanken,  Alles  Folge  der  technischen 
Schwierigkeiten.  Es  sind  deshalb  auch  in  der  neuesten  Ausgabe 
eine  Anzahl  unverständlicher  Stellen  stehen  geblieben,  und 
ich  habe  einigen  Grund  zu  glauben,  dass  die  meisten  derselben  nie  auf's 
Reine  gebracht  werden  dürften".  Kann  es  eine  bessere  Rechtfertigung 
des  an  Gewandtheit  mit  Porfyrius  nicht  entfernt  zu  vergleichenden 
Bonifatius  geben? 


Laubmann:  Mittheilungen  aus  Würzhurger  Handschriften,     13 

schraiibtheit  verurtheilt  war.  Zwei  seiner  Verse  müssen  mit 
g  enden:  lateinische  Wörter  fand  er  dafür  nicht;  also  wurden 
aus  der  Bibel  Magog  und  Abisag  genommen,  und  es  ist 
kein  Wunder,  dass  gerade  diese  Verse  nicht  an  allzu- 
grosser  Klarheit  leiden. 

V.  1  —  3  wird  man  construiren  müssen:  En  iuuenis  (als  Vo- 
cativ,  Anrede  an  Dudd)  uersibus  et  cantu  durant  car- 
mina;  namque  lector  (nämlich,  lieber  Leser)  carmina 
eins  qui  nisibus  eximiis  ymnos  dei  et  ymnica  dicta  uiri 
renouat. 

Ob  namque  so  richtig  aufgefasst  ist?  ob  uiri,  das 
man  gerne  dem  ymnos  dei  entsprechend  mit  ymnica 
dicta  verbindet,  nicht  doch  vielleicht  zu  renouantis  zu 
construiren  ist?  Wäre  iuuenis  (v.  1)  Genetiv,  zu  car- 
mina gehörig,  so  wäre  damit  auch  die  Verbindung 
ymnos  dei,  ymnica  dicta  uiri  sichergestellt. 
V.  4—7.  Dass  statt  des  überlieferten  remina  vielmehr  reg- 
mina  zu  schreiben  ist,  scheint  sicher;  iuste,  v.  7,  ist 
wohl  in  iusti  zu  verbessern.  Aber  was  sollen  nun  die 
Worte  flumina  iudicii  bedeuten?  E.  Dümmler  hat  an 
Fulmina  gedacht,  und  es  Hesse  sich  nun  so  construiren: 
namque  (nur  anknüpfend)  pius  (=  deus)  torquebit 
(wird  schleudern)  fulmina  temporibus  iudicii  (zur  Zeit 
des  jüngsten  Gerichts)  frangere  (umzubrechen??)  reg- 
mina  (die  irdischen  Reiche)  torribus  (durch  Feuerbrände). 
V.  7 — 10.  Mit  pariter  beginnt  der  nächste  Satz;  für  tania 
ist  taenia  zu  schreiben,  für  regi,  wie  Dümmler  vorschlägt, 
regni.  „In  gleicher  Weise  wird  dann  die  goldene  Binde 
(d.  h.  der  Schmuck)  des  Reiches,  der  Herrschaft,  den 
Heiligen  hier  schon  verliehen  werden:  und  in  dieser 
(mit  dieser  angethan)  werden  die  Frommen  in  den  Ge- 
filden des  Himmels  in  Frieden  den  Richterstuhl  um- 
drängen, und  sie  loben  zugleich  die  Herrschenden  und 
die  lichten  Himmelsreiche' ^ 


14        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Januar  1878. 

Jedenfalls  ist  pii  noch  Subject  zu  laudant,  regnantes 
aber  Object  dazu,  ebenso  wie  limpida  regna. 

V.  11,  12  geben  grossen  Anstand.  Die  Freuden  des  ewigen 
Lebens  können  nicht  impia  heissen  und  es  ist  noth- 
wendig,  einen  Fehler  anzunehmen.  Perpetuo  zu  schreiben 
und  vita  auf  das  irdische  Leben  und  seine  Freuden  zu 
beziehen  wird  deshalb  nicht  angehen,  weil  der  Penta- 
meter mit  den  Worten  in  terris  offenbar  einen  Gegen- 
satz bilden  soll;  also  muss  per petuse  bleiben.  Nur  um 
die  beiden  Verse  nicht  ganz  unverständlich  zu  lassen, 
schlägt  Dümmler  In  pia  und  dominentur  vor,  „damit  sie 
gebieten  über  die  frommen  Freuden  des  ewigen  Lebens" 
(d.  h.  damit  ihnen  dies  zu  Theil  wird),  „sollen  sie  die 
schmutzigen  Werke  auf  Erden  verachten",  uiri  wäre 
als  Subject  zu  nehmen ,  also  ,,die  Menschen".  Aber 
was  soll  der  Infinitiv  spernere?  Uebrigens  sehen  die 
Worte  Impia  und  damnentur  viel  zu  acht  aus,  und  es 
muss  Anderen  überlassen  bleiben,  einen  befriedigenden 
Heilungs versuch  zu  finden,  der  sich  mit  dem  Metrum 
verträgt.  Ut  damnentur  könnte  auch  von  dem  folgenden 
cautum  est  abhängen,  wenn  nur  die  nächsten  Verse 
nicht  wieder  unklar  wären. 

v.*13 — 15.  impia  origo  Magog  werden  die  Heiden  genannt 
als  Nachkommen  Magog's,  des  zweiten  Sohnes  Japhet's 
(cf.  Ezech.  XXXIX,  6:  et  immittam  ignem  in  Magog 
et  in  bis  qui  habitant  in  insulis  confidenter  et  scient, 
quia  ego  Dominus).  Weiter :  Kann  cassu  vergeblich, 
umsonst  oder  sonst  etwas  heissen?  Kaum;  ich  gebe 
aber  das  Wort  nur  ungerne  auf,  um  mich  Dümmler's 
Vorschlag:  casu  anzuschliessen.     Subject   zu  defleat  ^') 


13)  lieber  diese  Synicese,  sowie  über  lingüa,  v.  23-,  lassen  sich  die 
Beispiele  erst  sammeln,  wenn  die  Aenigmata  des  Bonifatius  in  dem  ge- 
reinigten Text,  den  Dümmler  für  die  Monumenta  Germaniae  vorbereitet, 
einmal  vorliegen  werden. 


Laubmann'.  Mittheilungen  aus  Würzburger  Handschriften,     15 

kann  jedenfalls  nur  impia  origo  Magog  sein,  wiewohl 
dann  omnes  gentiles,  das  Subject  zu  perdant,  sehr 
sonderbar  eingeschoben  ist.  Wer  will,  kann  auch 
defleant  schreiben:  imp.  origo  M.  würde  dann  Appo- 
sition zu  omnes  gentiles. 

„Dass  das  ruchlose  Geschlecht  des  Magog  niemals 
seine  Strafen  (d.  h.  seine  Vergebungen)  beweint  (be- 
reut), ist  durch  seinen  Fall  vorgesehen,  so  dass  alle 
Heiden  die  Herrschaft  verlieren  und  gleichmässig  in 
die  Hölle  hinabgestossen  werden".  Wer  weiss  etwas 
Besseres  ? 

V.  16,  17.  Diese  zwei  Verse  sind  wenigstens  zu  verstehen, 
uitima,  wie  die  Hdschr.  hat,  muss  gebessert  werden; 
das  zunächst  liegende  uictima  geht,  abgesehen  von  an- 
deren Gründen,  schon  des  Metrums  wegen  nicht;  man 
könnte  an  uentura  (uetura)  denken;  näher  liegt  wohl 
uitricia  (oder  vielmehr  uictricia)  oder  uitalia  ^*)  zu 
emendiren,  bei  denen  die  Anzahl  der  Striche  immer  die 
gleiche  ist  wie  bei  der  handschriftlichen  Ueberlieferung. 
mirifico  amni  absoluens  bezeichnet  die  Taufe  als  Vor- 
bedingung zum  Eintritt  in  das  Reich  Gottes. 

„Denn  der  einige  Gott  hat  alle  Welten  (alle  künftigen 
oder  alle  erlebbaren  Jahrhunderte)  den  Seinigen  durch 
die  Taufe  übergeben":  dem  Christenthum  gehört  die 
Zukunft  der  Welt. 

V.  18,  19  sind  wieder  schwieriger.  Gehören  die  Worte 
diues  in  arte  sua  noch  zu  dem  Vorausgehenden?  Was 
heisst  omnia  sancta  gradu?  Wohl  kaum  „reich  in  seiner 
Kunst  macht  er  Alles  heilig  durch  seinen  Schritt". 
Aber  auch  mit  der  Vermuthung  „in  arce  sua,  in  seiner 
himmlischen  Burg"  kommt  man  nicht  weiter;    und  es 

14)  Vielleicht  dass  der  "Vers  Lucret.   I,   202: 

multaque  uiuendo  uitalia  uincere  saecla 
dem  Bonifaz  aus  einem  metrischen  Compendium  bekannt  war. 


16         Sitzung  der  philos-philoL  Classe  vom  5.  Januar  1878. 

ist  gewiss  ebensowenig  zusammen  zu  construiren:  Nam 
Jesus  Christus  uictor  (est)  sicque  ordinat  omnia  sancta 
gradu,  „und  so  ordnet  (regiert)  er  alles  Heilige  nach 
seinem  Range".  Vielleicht  liegt  die  Hülfe  in  der  Aender- 
ung  eines  einzigen  Buchstaben. 

V.  20,  21.  Die  Worte  dapsilis  in  pastis  könnte  man  noch 
zum  Vorausgehenden  ziehen  „freigebig  in  seinen  Spenden". 
Doch  halte  ich  es  für  wahrscheinlicher,  dass  dapsilis 
Vocativ  ist,  der  sich  in  den  folgenden  Versen  fortsetzt : 
22.  Omnipotens  genitor,  24.  0  deus,  27.  Edite  in  ter- 
ris,  34.  Architenens  altor;  also:  concedebemis  (ob  Neben- 
form zu  uernis,  von  uerna  oder  b  und  v  einfiach  ver- 
wechselt?) tibi  deuotis  tua  fata  cum  laudibus  dicanda. 
„Reichlicher  Spender,  gewähre  den  Dir  ergebenen 
Dienern,  dass  sie  mit  Lobrühmen  Deine  fata  (kaum  in 
facta  zu  corrigiren)  verkünden". 

Bis  hieher  waren  die  Verse  allerdings,  wie  es  in  der 
metrischen  Erläuterung,  f.  44''  (oben  S.  6)  heisst, 
non  omnino  perfecti ;  von  jetzt  ab  geht  es  etwas  besser. 

V.  22 — 31.  Omnipotens  genitor,  fac  tu,  id  in  pectore  nostro 
poni,  ut  casta  lingua  rectorem  suum  resonans  cantet. 
0  deus,  in  solio  iudex,  regnator  Olimpi:  namque  nu- 
mina  tuum  nomen  per  saecula  monstrant  et  in  gentibus 
vastis  mira  gaudia  celebrant.  Edite  in  terris  (Erd- 
geborener, du  hast  die  Welt  erlöst),  saluasti  saecla  re- 
demptor :  tibi  Spiritus  splendidus  laudem  aethralem  aptet, 
hominem  subiciens  et  lumina  (ob  limina?)  terrae  per- 
lustrans.  Jugiter  clara  prseconia  ruricolse  (wohl  = 
Bonifatii)  egregium  regem,  gnatum  faustum  cum  carmine 
dicant.     Die  nächsten  zwei  Verse  sind  wieder  unklar. 

V.  32,  33.     Abisag  ist  die  aus  III.  Regg.   cap.   1  u.  2  be- 

*  kannte  sunamitische  Dirne,  welche  den  alternden  und 
frierenden  König  David  erwärmen  und  ihm  dienen  soll. 
Von  Dümmler  darauf  aufmerksam  gemacht,   dass  nach 


Laubmann:  Mittheilungen  aus  Würzhurger  Sandschriften»     17 

Rabanus  Maurus'  Commentar  zu  den  Büchern  der  Könige 
( Migne  Patr.  CIX,  123  —  125)  Abisag  nach  allegorischer 
Auslegung  die  himmlische  Weisheit  bedeuten  soll :  ,,ut 
significet  calere  sapieutiam  et  diuina  lectione  fernere", 
was  Raban  aus  einem  jedenfalls  auch  dem  Bonifaz  be- 
kannten älteren  Kirchenvater  habe,  fand  ich  bald,  dass 
Rabanus  nur  den  52.  Brief  des  Hieronymus  (ad  Nepo- 
tianum  =  Migne,  Patr.  XXII,  527 — 530)  ausgeschrieben, 
der  gewiss  auch  dem  belesenen  (cf.  oben  S.  10,  not.  11) 
Bonifaz  nicht  unbekannt  war.  —  quadradiens  ändert 
Dümmler  in  ,,quod  radians" ;  vielleicht  kommen  wir 
durch  quo  radians  dem  Richtigen  noch  näher.  Bonifaz 
hatte  V.  31  von  Vater  und  Sohn  gesprochen:  Abisag 
bezieht  sich  wohl  auf  den  Geist.  ,,Et  Abisag  alrao 
gremio  feruens  signabat  totum,  quo  constat  radians 
sapientia  iusti"  =  Und  die  almo  gremio  feruens  Abisag 
bezeichnete  das  Ganze  ,, woraus  die  strahlende  Weisheit 
des  Gerechten  besteht"  (oder  quod  constat:  ,,was  die 
strahlende  Weisheit  des  Gerechten  ausmacht"). 

V.  34 — 36.  Architenens  altor,  qui  sidera  clara  gubernas, 
praesta  rurigense  (i.  e.  mihi  Bonifatio) ,  ut  certus  per 
scripturas  sacras  solamina  possit  tradere. 

V.  36.  Grammate"  Jdoctor  excerptus  prisco  usu  indaginis 
puerorum  kann  wohl  nur  heissen:  „meinem  Beruf, 
meiner  Thätigkeit  als  Lehrer  der  Grammatik,  gramraa, 
und  damit  dem  langgewohnten  Umgang  mit  der  Jugend 
entnommen  (man  fühlt  wohl  aus  den  lateinischen  Worten 
etwas  Wehmüthiges  heraus)  will  ich  grossen  Dank 
sagen  dem  Vater  und  dem  Sohn  sammt  dem  heiligen 
Geist".     Magna  gratia  ist  nom.  sing. 

Zum  Schlüsse  will  ich  das  ganze  Gedicht  hersetzen,  wie 
ich  es  zu  restituiren  versuchte ;  möge  es  recht  bald  von  all' 
seinen  Flecken  und  Mängeln  gereinigt  werden. 
[1878.  1.  Philos -philol.  Ol.  1.]  2 


18        Sitzung  der  philos.'philöl.  Classe  vom  5.  Januar  1878. 

Wenn  es  nicht  von  Wynfreth  herrührte,  würde  man 
freilich  kaum  so  viel  Mühe  daran  wenden  mögen :  aber  er 
verdient  es  und  zumal  von  Wirzburg,  das  er  dem  Papste 
zur  Gründung  eines  Bisthumssitzes  vorschlug. 

Uersibus  en  iuuenis  durant  et  carmina  cantu, 
Ymnos  namque  dei,  ymnica  dicta  uiri 

Nisibus  eximiis  renouantis  carmina,  lector. 
Fulmina  namque  pius  frangere  iudicii 

5     Regmina  temporibus  torquebit  torribus  et  sub 

Excelsi  fatu  omnia  saecla  diu 
Tuta  tenent  iusti.     Pariter  tum  taenia  sanetis 

Hie  dabitur  regni  aurea  hacque  pii 
Per  cseli  campos  stipabunt  pace  tribunal, 

10  Regnantes  laudant  limpida  regna  simul. 

In  pia  perpetuae  ut  dominentur  gaudia  uitse, 

Sordida  in  terris  spernere  gesta  uiri. 
Cautum  est  ut  numquam  defleant  supplicia   casu 
Omnes  gentiles,  impia  origo  Magog, 

15     Regmina  ut  perdant  pariter  sub  Tartara  trusi. 

Unus  nempe  deus  saecula  cuncta  suis 
Mirifico  absoluens  uitalia  (uictricia?)   tradidit   amni: 

Diues  in  arte  sua  omnia  sancta  gradu 
Victor  nam  Jesus  Christus  sicque  ordinat  actu. 

20     Dapsilis  in  pastis,  uernis  tua  fata  dicanda 
Deuotis  concede  tibi  cum  laudibus.     Id  tu 
Omnipotens  genitor  fac  nostro  in  pectore  poni, 
Casta  suum  resonans  rectorem  ut  lingua  cantet. 
0  deus  in  solio  iudex  regnator  Olimpi: 

25     Numina  namque  tuum  monstrant  per  saecula  nomen, 
Gentibus  in  uastis  celebrant  et  gaudia  mira. 
Edite  in  terris :  saluasti  saecla  redemptor ; 
Spiritus  aethralem  tibi  laudem  splendidus  aptet, 
Subiciens  hominem  et  perlustrans  lumina  terrae. 


Laubmann:  Mittheilungen  aus  Würzhur ger  Handschriften.     19 

30     Egregium  regem,  gnatum  prasconia  faustum 
Ruricolaß  iugiter  dicaut  cum  carmine  clara: 
Almoque  feruens  gremio  signabat  Abisag 
Totum,  quod  (quo?)  radians  constat    sapientia    insti. 
Architenens  altor,  qui  sidera  clara  gubernas, 

35     Rurigen 3e  prsesta,  ut  certus  solamina  possit 

Tradere  per  sacras  scripturas.     Grammate  doctor 
Excerptus  prisco  puerorum  indaginis  usu 
„Magna  patri  et  proli  cum  flamine  gratia"  dicam. 


Die  oben  Seite  8  med.  angeführten  Gedichte  in.  Hagen's 
Sammlung ,  sowie  viele  der  poetischen  Erzeugnisse  des 
Optatianus  Porfyrius,  des  Venantius  Fortunatus  (Mise.  Hb.  II, 
4,  5.  V,  7),  des  Magnentius  Rabanus  Maurus  (de  laudibus 
sanctae  crucis)  unterscheiden  sich  formell  darin  von  dem 
oben  gedruckten  Gedicht  des  Bonifatius,  dass  sie  die  Form 
eines  Quadrates  bilden  d.  h.  jede  Zeile  ebensoviel  Buch- 
staben hat  als  das  ganze  Gedicht  Zeilen,  was  die  typo- 
graphische Reproduction  derselben  sehr  leicht  macht;  bei 
Bonifaz  hat  die  eine  Zeile  mehr,  die  andere  weniger  Buch- 
staben. 

Im  16.  Jahrhundert  hat  Lambertus  Rustenius, 
Artium  et  Philosophiae  Magister,  2  künstliche  Gedichte 
gefertigt ,  deren  erstes  Ära  Crucis  betitelt  ist  und  aus 
16  Distichen  besteht,  welche  Golgatha  mit  3  Kreuzen  dar- 
stellen, deren  Inschriften  voll  von  Künsteleien  sind. 

Das  andere  Gedicht  ist  ein  Rosarium;  der  in  grösseren 
und  kleineren  Perlen  dargestellte  Rosenkranz  sammt  Kreuz 

2* 


20         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Januar  1878. 

enthält   die  Worte   Jesus    Christus    und    den   vollständigen 
englischen  Gruss. 

Ich  kenne  von  diesen  Spielereien  2  Ausgaben :  die  eine, 
colorirt,  ex  officina  Aegidii  Diest,  Antverpiae.  1564;  die 
andere,  im  erläuternden  Text  ausführlicher,  trägt  die  Be- 
zeichnung: Parisiis,  apud  Annetum  Briere. 


Herr  Lauth  hielt  einen  Vortrag: 

„Ueber  Busiris  und  Osyraandyas''. 

Derselbe   wird    in    den    „Abhandlungen"    veröffentlicht 
werden. 


Sitzung  vom  9.  Februar  1878, 


Herr  Maurer  trug  vor: 

„Die  Freigelassenen  nach  altnor  wegischem 
Rechte/' 

Zu  den  schwierigsten  Abschnitten  der  altnorwegischen 
Rechtsgeschichte  gehört  die  Lehre  von  der  Freilassung 
und  den  Freigelassenen.  Sehr  eigen thümlich  gestaltet 
und  ungewöhnlich  reich  gegliedert,  hat  der  Stand  der  Frei- 
gelassenen in  der  älteren  Zeit  augenscheinlich  eine  bedeut- 
same Rolle  gespielt;  in  die  verschiedensten  Rechtsgebiete 
greift  die  Besonderheit  seiner  Stellung  hinüber,  und  mit  den 
verschiedenartigsten  Rechtssätzen  und  Rechtsinstituten  kommt 
darum  in  Berührung,  wer  die  Rechtsverhältnisse  dieses  Stan- 
des festzustellen  unternimmt.  Dazu  kommt,  dass  die  Un- 
freiheit, und  damit  auch  die  Freilassung  in  Norwegen  schon 
frühzeitig  ausser  Gebrauch  kam,  und  dass  demzufolge  unsere 
Quellen  uns  von  der  Gestaltung  des  Freigelassenenstandes 
kein  lebensfrisches  Bild  mehr  geben.  Der  letzte  Unfreie, 
den  uns  die  Geschichtsqnellen  nennen,  ist  BärSr  skjöldr,  wel- 
cher im  Jahre  1181  an  der  Seite  K.  Magnus  Erlingsson's, 
seines  Herrn,  erschlagen  wurde  ^),  und  die  Abschaffung  der 
auf  öffentliche  Kosten  alljährlich  vorzunehmenden  Frei- 
lassungen,  welche  der  heil.  Olaf  eingeführt  hatte,  durch  eben 
jenen  K.  Magnus  bestätigt  gleichfalls,  dass  am  Schlüsse  des 
12.  Jahrhunderts  die  Zahl  der  Unfreien  im  Lande  nur  noch 


1)  Sverris  s.,  cap.  64,  S.  166. 


22        Sitzung  der  philos.-phüol.  Glasse  vom  9.  Februar  1878. 

eine  geringe  gewesen  sein  kann^).  Unsere  Rechtsbücher 
aber,  soweit  sie  überhaupt  in  ihren  das  weltliche  Recht  be- 
handelnden Theilen  erhalten  sind,  liegen  uns  nur  in  Bear- 
beitungen aus  dem  13.  Jahrhundert  vor,  und  es  begreift  sich 
somit,  dass  gelegentlich  der  vielfachen  Umgestaltungen, 
welche  sie  durchzumachen  hatten,  bis  sie  zu  ihrem  der- 
zeitigen Aussehen  gelangten,  gerade  die  auf  die  Freigelasse- 
nen bezüglichen  Bestimmungen  gar  vielfach  in  Zerrüttung 
gerathen  sein  mögen.  Endlich  hat  sich  auch  die  Literatur 
bisher  nur  wenig  mit  dem  Stande  der  Freigelassenen  befasst, 
indem  sie  denselben  immer  nur  gelegentlich  der  Besprechung 
der  Unfreien  nebenbei  mit  in  Betracht  zog,  und  überdiess, 
freilich  mit  einzelnen  bemerkenswerthen  Ausnamen,  mehr 
dessenjsociale  Stellung  als  dessen  Behandlung  im  Recht  in's 
Auge  fasste.  Sehe  ich  ab  von  ein  paar  älteren,  mir  nicht 
zugänglichen  Abhandlungen  J.  Hertzholm's^)  und  Fr.  Th. 
Hurtigkarl's^),  dann  von  des  schwedisch-finnischen  Juristen 
Matth.  Calonius  schätzbarer  Schrift :  De  prisco  in  patria 
servorum  jure,  welche  zuerst  in  Gestalt  von  fünf  Disserta- 
tionen erschien  (Abo,  1780,  84,  88,  91  und  93),  dann  von 
Schildener  nochmals  herausgegeben  wurde  (Stralsund  1819), 
endlich  in  des  Verfassers  Opera  omnia,  Bd.  I,  S.  129 — 344, 
ebenfalls  enthalten  ist  (Stockholm,  1829),  welche  aber  ge- 
rade da  abbricht,  wo  der  Verfasser  im  Begri fi^e  war  zu  d'en 
Freigelassenen  überzugehen,  so  kommt  H.  F.  J.  Estrup, 
Om  Trseldom  i  Norden  (Soröe  1823)  noch  als  eine  den 
ganzen  Norden  umfassende  Schrift  in  Betracht,  von  welcher 
S.  106  —  25  hiehergehört;  speciell  für  Norwegen  aber  sind  zu 


1)  vgl.  Gj  es  sing,  in  den  Annaler,  1862,  S  197—203,  und  308, 
dann  meine  Abhandlang  über  die  Entstehung  der  älteren  GulaMngslög", 
S.  148—49. 

2)  Parerga  de  Servitute  personali  et  reali;  Hafnise,  1673. 

3)  De  servitutis,  quse  inter  majores  nostros  invaluit,  indole;  Hafnise, 
1791, 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Rechte.       23 

erwähnen:  A.  E.  Eriksen,  Om  Trsoldom  hos  Skandinav- 
erne,^)  A.  Gjessing,  Tr^ldom  i  Norge,^)  und  Fr.  Brandt, 
Traellenes  Retsstilling  efter  Norges  ganile  Love,^j  welchen 
Monograpbieen  sich  etwa  noch  R.  Keyser,  Norges  Stats- 
og  Retsforfatning  i  Middelalderen,  S.  289  —  95/)  anreihen 
lässt.  Juristen  sind  von  allen  diesen  Verfassern,  wenn  ich 
widerum  von  Hertzholm  und  Hurtigkarl  absehe,  nur  M. 
Calonius  und  Fr.  Brandt,  und  so  will  ich  denn,  zunächst 
ihren  Fussstapfen  folgend,  versuchen,  wieweit  es  mir  ge- 
lingen möge,  noch  etwas  mehr  Klarheit  in  die  juristische 
Construction  des  altnorwegischen  Freigelassenenrechtes  zu 
bringen. 

Die  Unfreiheit  war  nach  norwegischem  Recht  ebenso 
wie  nach  dem  Rechte  so  vieler  anderer  Völker  wesentlich 
ein  vererbliches  Verhältniss ,  und  konnte  somit  nur  durch 
einen  förmlichen  Freilassungsact  beseitigt  werden. 
Das  norwegische  Recht  kennt  insbesondere  keine  zeitliche 
Begrenzung  der  Sklaverei,  wie  solche  das  gotländische  Recht 
in  dem  Satze  enthält,  dass  die  Freilassung  eintreten  müsse, 
sowie  die  Unfreiheit  eine  ^bestimmte  Reihe  von  Jahren  ge- 
dauert hat;  ^)  aber  freilich  möchte  man  vermuthen,  dass 
auch  dem  gotländischen  Rechte  diese  ganz  abnorme  Bestim- 
mung nur  aus  dem  mosaischen  Sabbathjahre  und  Jubeljahre 
zugeflossen  sein  möge,^)  wie  ja  auch  in  das  angelsächsische 


1)  In  der  Nordisk  Universitets-Tidsskrift,   Jahrgang  VIII,  Heft  3, 
S.  1—61  (Christiania,  1861),  und  Heft  4,  S.  83-110  (Upsala,  1862). 

2)  In  den  Annaler  for  nordisk  Oldkjndighed    og  Historie,    1862, 
S.  28-322. 

3)  In  der  Historisk  Tidsskrift ,  I,  S.  196—207;   Christiania  1871. 

4)  Nach  des  Verfassers  Tod  erschienen  in  dessen :  Efterladte  Skrifter, 
Bd.  I,  Ahth.  I;  Christiania,  1867. 

5)  vgl.  Schlyter,  Bd.  XIII,  s.  v.  mäli;  Eriksen,  S.  109— 10. 

6)  IL  Mos.,  21,  2—11;    III.  Mos.,   25,  39  —  55;  V.  Mos.,   15, 
12-18. 


24        Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

Recht  dieses  Sabbatjahr  durch  K.  ^Elfred  hereingebracht 
wurde.  ^)  Der  Kegel  nach  war  es  überhaupt  ganz  in  den 
freien  Willen  des  Herrn  gestellt,  ob  und  wann  er  seinen 
Sklaven  freilassen  wollte,  und  die  verschiedensten  Motive 
und  Bedingungen  der  Freilassung  konnten  sich  dabei  er- 
geben ;  insbesondere  erfolgte  diese  bald  unentgeldlich,  indem 
der  Herr  längeren  treuen  Dienst,  oder  auch  eine  einzelne  hervor- 
ragende Leistung  seines  Unfreien  belohnen,  oder  durch  ein  sol- 
ches Werk  der  Barmherzigkeit  für  sein  eigenes  Seelenheil  sor- 
gen wollte,  bald  gegen  Entgeld,  indem  man  den  Verwandten 
und  Freunden  des  Sklaven,  mildthätigen  Wohlthätern,  oder 
auch  ihm  selber  sich  loszukaufen  erlaubte.  In  den  Ge- 
schichfcsquellen  werden,  mehr  freilich  für  Island  als  für 
Norwegen,  zahlreiche  Beispiele  derartiger  Vorkommnisse  er- 
wähnt; aber  auch  die  Rechtsquellen  wissen  ebensogut  von 
einer  unentgeldlichen  Freilassung,^)  als  vom  Kaufen  eines 
Sklaven  zum  Zwecke  seiner  Freilassung  ^)  oder  von  einem 
Loskaufe  eines  Sklaven  durch  sich  selbst*)  zu  berichten. 
Unter  den  Gesichtspunkt  eines  Freikaufs  fallen  übrigens 
auch  die  Freilassungen ,  welche  von  Staatswegeu  erfolgen. 
Wenn  der  Heerpfeil  Freie  und  Unfreie  zur  Vertheidigung 
des  eigenen  Landes  unter  die  Waffen  ruft,  erlangt  jeder 
Unfreie  seine  Freiheit,  welcher  im  Kampfe  einen  Feind  er- 
legt, •^)  ganz  wie  diess  nach  altdänischem  Recht  der  Fall 
gewesen  sein  soU;^)  ausserdem  galt  aber  auch  die,  angeblich 
vom  heiligen  Olaf  eingeführte,  Vorschrift,  dass  alljährlich 
zu  bestimmter  Zeit  vom  Dingverbande,  und  dann  wider  von 


1)  ^Ifredes  dömas,  Einleitung,  §.  11. 

2)  Gl)L.,  §.  61. 

3)  FrJ)L.,  IX,  §.  13. 

4)  GJL.,  §.  61;  FrJL,  IV,  §.  55. 

5)  G1)L.,  §.  312. 

6)  Saxo  Graramaticus,  V,  S.  228— 29;  vgl.  auch  noch  Jydske 
Lov,  III,  2. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Rechte.      25 

jedem  einzelnen  Volklande  ein  Unfreier  auf  gemeinsame 
Kosten  freigelassen  werden  sollte,  eine  Vorschrift,  welche, 
wie  bereits  bemerkt,  erst  durch  K.  Magnus  Erlingsson  ab- 
geschafft wurde.  ^)  Dass  zum  Behufe  dieser  letzteren  Frei- 
lassungen, welche  augenscheinlich  an  die  Stelle  früherer 
Menschenopfer  getreten  waren,  Sklaven  aus  gemeinsamen 
Mitteln  gekauft  wurden,  wird  uns  ausdrücklich  gesagt;  aber 
auch  in  dem  erstgenannten  Falle  muss  wohl  ebenso  ver- 
fahren worden  sein,  da  man  doch  dem  Herrn  des  mit  der 
Freiheit  zu  belohnenden  Unfreien  nicht  zumuthen  konnte, 
dass  er  allein  das  für  seine  Belohnung  erforderliche  Opfer 
bringe:  für  diesen  Fall  musste  aber  überdiess,  da  es  sich 
um  die  Freilassung  eines  individuell  bestimmten  Sklaven 
handelte,  dem  Staate  ein  Expropriationsrecht  gegenüber 
dem  Herrn  dieses  letzteren  zugestanden  werden,  so  dass 
also  in  diesem  Falle  die  Regel  eine  Ausname  erlitt,  vermöge 
deren  es  im  freien  Belieben  des  Herrn  stand,  ob  er  seinen 
Sklaven  freilassen  wollte  ader  nicht  Noch  in  einem  zweiten 
Falle  wird  ein  solches  Expropriationsrecht  gewährt,  und 
zwar  in  diesem  einem  Privaten,  nicht  dem  Staate.  Hat 
nämlich  ein  freier  Mann  mit  einer  fremden  Sklavinn  ein 
Kind  erzeugt,  und  will  dieses  als  das  seinige  anerkennen, 
so  soll  er  berechtigt  sein,  es  um  den  Werth  auszulösen, 
welcher  durch  die  Schätzung  unpartheiischer  Männer  fest- 
gestellt wird;^)  diess  eine  Bestimmung,  welche  im  schwe- 
dischen^) und  dänischen*)  Rechte  eine  sogar  noch  weiter 
reichende  Parallele  findet,  soferne  nach  diesen  das  gleiche 
Expropriationsrecht  jedem  Verwandten  des  Unfreien  zu- 
stand, welcher  diesem  die  Freiheit  zu  verschaffen  wünschte. 


1)  GJ)L,  §.  4-5;  FrJL.,  III,  §    19. 

2)  Gl)L.,  §.  57. 

3)  WGL.  I,  Arft-serb.,  22,  und  II,  31;  ÖGL.,  ^rfl^ab,  17.i 

4)  SkäneL.,  127;  Andreas  Sunonis,  77. 


26         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

Zu  bemerken  ist  endlich  noch,  dass  die  G^L.  auch  eine 
Ersitzung  der  Freiheit  kennen ,  indem  sie  bestimmen  ,  dass 
der  Unfreie,  welcher  volle  20  Jahre  lang  in  Bezug  auf  die 
Wahl  seines  Aufenthaltes ,  seine  Verehelichung  und  seine 
vermögensrechtlichen  Verfügungen  unbehelligt  geblieben  ist, 
für  frei  gelten  soll ,  wenn  er  sich  anders  für  frei  ausgeben 
will.^)  Diese  Bestimmung  erklärt  sich  aus  der  durchgreifen- 
den Regel  dieses  Rechtsbuches,  dass  kein  gezogenes  Zeug- 
niss  über  20  Jahre  hinaus  vorhält,^)  welcher  in  unserem 
Falle  die  Folge  gegeben  wurde,  dass  nach  Ablauf  dieser 
Frist  von  dem  Freigelassenen  kein  Beweis  seiner  Freilassung 
mehr  verlangt  werden  konnte ,  vielmehr  seiner  durch  den 
langjährigen  Besitzstand  unterstützten  Behauptung  ohne 
Weiters  geglaubt  werden  musste.  Die  an  sich  nur  eine 
Beweisprsesumption  bezweckende  Regel  hat  also  hier  wie  in 
so  manchen  anderen  Fällen  zugleich  materielle  Wirkung  er- 
laugt, indem  sie  als  Surrogat  der  Freilassung  eine  Ersitz- 
ung der  Freiheit  entstehen  Hess;  vollends  klar  wird  dieser 
Sachverhalt,  wenn  man  beachtet,  dass  die  Fr{>L.  umgekehrt 
für  eine  Sicherstellung  des  Zeugenbeweises  sorgen ,  indem 
sie  eine  von  10  zu  10  Jahren  zu  widerholende  Bekannt- 
machung am  Ding  fordern,^)  dafür  aber  auch  von  keiner 
Ersitzung  der  Freiheit  wissen. 

Bezüglich  der  Form  der  Freilassung  unterscheiden 
die  Gf>L.  sowohl  als  die  Fr{)L.  zwei  gesonderte  Acte,  deren 
ersterer  als  das  Geben  der  Freiheit  (gefa  frelsi)  und  deren 
zweiter  als  das  Halten  des  Freilassungsbieres  (gera  frelsisöl 


1)  G5L.,  §.  61  und  66. 

2)  vgl.  meine  Bemerkungen  in  der  Kritischen  Viertel  Jahresschrift 
für  Gesetzgebung  und  Rechtswissenschaft,  X,  S.  398—400  (1868),  und 
E.  Hertzberg,  Grundtraekkene  i  den  seldste  norske  Proces,  S.  11  bis 
12,  (1874). 

3)  FrfL.,  IX,  §.  12. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnonvegischem  Rechte.     27 

sitt)  bezeichnet  wird ;  die  beiden  anderen  Rechtsbücher,  die 
B{>L.  also  und  die  E{>L.,  enthalten  keine  einschlägigen  Be- 
stimmungen, da  von  ihnen  nur  die  das  Christenrecht  be- 
treffenden Abschnitte  erhalten  sind  über  die  eigentliche 
Freilassung  sprechen  sich  die  FrI>L.  nicht  aus,  ausser 
etwa  insoferne,  als  sie  gelegentlich  von  einer  Beweisführung 
durch  Zeugen  in  Bezug  auf  dieselbe  wissen,^)  und  damit  zu 
erkennen  geben,  dass  die  Zuziehung  von  Zeugen  bei  dem 
Acte  üblich  war ;  die  Gl>L.  dagegen  kenneu  eine  doppelte 
Form  desselben,^)  indem  sie  den  Unfreien  entweder  in  die 
Kirche  führen,  ihm  hier  ein  Evangelienbuch  auf  das  Haupt 
legen ,  und  dabei  das  befreiende  Wort  aussprechen ,  oder 
aber  ihn  auf  die  ,, Kiste"  setzen  lassen,  unter  welcher  letz- 
teren man  theils  einen  Reliquienschrein,  ^)  theils  aber  den 
Kasten  verstehen  will,  welcher  hin  und  wider  unter  dem 
Hochsitze  (als  hässetiskista)  angebracht  war.*)  Für  die  er- 
stere  Auslegung  würde  der  Ausdruck  ,,kista"  sprechen,  da 
„cista"  im  mittelalterlichen  Latein  wirklich  den  Reliquien- 
kasten bezeichnet;  indessen  ist  doch  kaum  anzunemen,  dass 
neben  dem  ,,leiÖa  i  kirkju"  das  ,,setja  i  kistu"  als  eine 
zweite  kirchliche  Form  der  Freilassung  bestanden  haben 
sollte,  und  ist  somit  eher  zu  vermuthen,  dass  der  letztere 
Ausdruck  auf  eine  nationale  Form  des  Actes  zu  beziehen 
sei,  als  welche  das  Setzen  auf  den  Hochsitz  allerdings  gelten 
könnte.  Die  Haltung  des  Freilassungsbieres  aber 
regeln  beide  Rechtsbücher  ziemlich  übereinstimmend.^)  Der 
Freigelassene,  welcher  diesen  zweiten  Act  vorgenommen 
wissen  will,  hat  zunächst  eine  gesetzlich  bestimmte  Quan- 
titaet    von   Bier    zu  bereiten ,    nämlich    mindestens  „I>riggja 


1)  FriL,  IV,  §.56. 

2)  GJ)L,  §.  61. 

3)  Estrup,  S.  112,  Anm.  2. 

4)  Gjessing,  S.  263. 

5)  G]^L.,  §.  62;  Frl)L.,  IX,  §.  12;  BjarkR,  III,  §.  166. 


28        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

sälda  öl"  nacli  den  G{>L.,  aber  „niu  msela  öl"  nach  den 
Fr{)L. ;  ^)  da  6  mselir  auf  das  säld  giengen ,  ^)  betrug  somit 
das  Quantum  nach  dem  letzteren  Rechtsbuehe  nur  halbsoviel 
als  nach  dem  ersteren.  Da  ein  ,,{)riggja  sälda  öl"  nach 
beiden  Rechtsbüchern  bei  der  settleiSing  üblich  war,^)  ein 
ebensolches  Mass  Meths  nach  der  älteren  Edda  beim  Braut- 
mahle vorkam ,  *)  und  nach  dem  Zeugnisse  geschichtlicher 
Quellen  derselbe  Betrag  an  Bier  auch  wohl  den  Göttern 
gelobt  wurde,-'')  möchte  man  allenfalls  vermuthen,  dass  das 
grössere  Quantum  das  ursprünglichere  sein  möge ;  indessen 
kommt  doch  anderwärts  auch  ein  ,,ma3lis  öl"  ^)  und  ein 
„tveggja  msela  öl"  vor,  ^)  so  dass  die  Möglichkeit  nicht 
ausgeschlossen  ist,  dass  die  verschiedenen  Rechte  in  diesem 
Punkte  von  Anfang  an  auseinandergegangen  sein  könnten. 
Zu  diesem  Biere  hat  der  Freigelassene  sodann  unter  Zu- 
ziehung von  Zeugen  den  Freilasser  einzuladen,  und  ihm  bei 
dem  Gelage  den  Ehrenplatz  einzuräumen;  ausser  ihm  ist 
noch  eine  bestimmte  Zahl  weiterer  Gäste  einzuladen,  darunter 
des  Freilassers  eigene  Frau,  und  dürfen  keine  mit  ihm  ver- 
feindete Personen  geladen  werden.  Am  ersten  Abende  des 
Gelages  hat  sodann  der  Freigelassene  seinem  Freilasser  den 
Betrag  von  6  Unzen  als  „leysingsaurar"  anzubieten ,  und 
dabei  gleich  die  Wage  bereit  zu  halten,  um  sie  ihm  zuzu- 
wägen;  ich  wenigstens  möchte  unter  den  ,,skälir",  in  welche 


l)  Das  Stadt' echt  bietet  die  Variante  „nüi  nsetta  (d.  h.  nätta)  öl" 
nach  welcher  Bier  fiir  eine  9tägige  Gasten-i  gefordeit  wür  e. 

2)Landslög,Kaupab.    §.29;  nicht  3  mselir,  wie  Gjessing, 
S.  266  annimmt. 

3)  GJ)L.,  §.  58;  FrjL.,  IX,  §.   1. 

4)  I»ryinskviÖ"a,  24, 

5)  FMS,  II,  cap.   154,  S.  16;  Flbk,  I,  §.  307. 

6)  GI.L.,  §.  6. 

7)  FrI)L.,  II,  §.  21. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Rechte.      29 

die  Zahlung  zu  legen  war,  lieber  Wagschalen  verstehen/) 
als  Becken,  in  welche  das  Geld  geworfen  worden  wäre,  um 
dessen  Güte  am  Klange  zu  prüfen.^)  Nimmt  nun  der  Herr 
die  angebotene  Zahlung  an,  oder  erlässt  er  sie  dem  Frei- 
gelassenen, so  ist  damit  die  Sache  abgemacht,  und  können 
die  einmal  erlassenen  nicht  mehr  nachgefordert  werden ;  ^) 
erscheint  er  dagegen  nicht  beim  Gelage,  so  hat  der  Frei- 
gelassene den  Ehrensitz  für  ihn  frei  zu  halten,  die  gehörig 
erfolgte  Einladung  desselben  durch  die  beigezogenen  Zeugen 
zu  constatiren,  und  nicht  nur  am  ersten  Abende  vor  jenem 
Sitze  seine  Zahlung  ganz  ebenso  anzubieten,  wie  wenn  der 
Herr  anwesend  wäre,  sondern  auch  dieses  Anerbieten  am 
folgenden  Tage  beim  Mittagsmahle  zu  erneuern.  Meldet 
sich  weder  das  erste  noch  das  zweite  Mal  ein  Bevollmäch- 
tigter des  Herrn  zum  Empfange  des  Geldes,  so  hat  der 
Freigelassene  dieses  so  lauge  aufzubewahren,  bis  der  Herr 
es  ihm  selber  abfordert ;  das  Freilassungsbier  aber  gilt  auch 
solchenfalls  als  vollkommen  richtig  gehalten.  Die  Fr{>L. 
lassen  überdiess  bei  dem  Feste  einen  Widder  schlachten, 
dessen  Kopf  abschneiden,  und  sodann  den  Herrn  von  dessen 
Hals  die  ,,hälslausn",  d.  h.  Halslösuug  nemen,  unter  welcher 
doch  wohl  nur  eben  jene  Zahlung  verstanden  werden  kann ; 
beim  Ausbleiben  des  Herrn  fordern  sie  ferner,  wie  oben  schon 
bemerkt,  eine  von  10  zu  10  Jahren  sich  widerholende 
{)ingljsing  bezüglich  der  gehö'rigen  Abhaltung  des  Bieres, 
wogegen  die  G{>L.  vermöge  der  ihnen  bekannten  Ersitzung 
der  Freiheit  dieses  Auskunftsmittels  nicht  bedürfen.  Eine 
Bekanntmachung  der   erfolgten    Haltung   des   Freilassungs- 


1)  So  auch  Guä'brandr  Vigfusson,  h.  v. 

2)  Letzterer  Ansicht  ist  Gjessing,  S.  267. 

3)  So  scheint  es  nämlich  verstanden  werden  zu  müssen ,  wenn  in 
G5L.,  §.  1'29  die  leysingsaurar  zu  den  Vergabungen  gerechnet  werden, 
die  unwiderruflich  sind. 


30        Sitzung  der  phüos-phüol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

bieres  am  möt,  von  welcher  das  Stadtrecht  spricht,  ^)  hat 
dagegen  keine  selbstständige  Bedeutung,  bietet  vielmehr  nur 
den  Vortheil,  dass  sie  der  Nothwendigkeit  überhebt,  von 
Fall  zu  Fall  diese  beweisen  zu  müssen.  Ich  glaube  hierauf 
ausdrücklich  aufmerksam  machen  zu  sollen,  weil  nicht  nur 
die  schwedischen  und  dänischen  Rechte  die  volle  Wirkung 
der  Freilassung  von  der  Vorname  eines  Actes,  oder  doch 
einer  Bekanntmachung  am  Ding  abhängig  machen ,  ^)  son- 
dern auch  das  isländische  Recht  ein  ausdrückliches  ,,leiSa  i 
log"  des  Freigelassenen  fordert,  welches  durch  den  Goden, 
bei  welchem  dieser  im  Dinge  war,  in  der  Dingversammlung 
vorzunemen  war.') 

Die  Umständlichkeit,  mit  welcher  die  genannten  beiden 
Rechtsbücher  die  Haltung  des  Freilassungsbieres  besprechen, 
zeigt,  dass  sich  an  diesen  zweiten  Act  ganz  ebensogut  wie 
an  den  ersten  bedeutsame  rechtliche  Wirkungen  geknüpft 
haben  müssen,  und  dass  somit  diejenigen  Leute,  welchen  zwar 
die  Freiheit  gegeben  worden  war,  welche  aber  ihr  Frei- 
lassungsbier noch  nicht  gehalten  hatten,  eines  geringeren 
Masses  von  Rechten  genossen  haben  müssen  als  diejenigen, 
welche  auch  diesen  zweiten  Act  hinter  sich  gebracht  hatten. 
In  der  That  bezeichnen  zwar  die  Gl>L.  sowohl  als  die  Fr{)L. 
und  das  ältere  Stadtrecht  den  Angehörigen  beider  Classen 
ganz  gleichmässig  mit  dem  Ausdrucke  leysingr  oder 
leysingi,  fem.  lejsingja,  welcher,  von  dem  Zeitworte 
leysa,  d.  h.  lösen  abgeleitet  in  der  That  für  beide  ganz  wohl 
passt ;  aber  sie  unterschieden  doch  oft  genug  zwischen  dem 
leysingi  ,,sä  er  gjört  hefir  frelsisöl  sitt",  und  „sä  er  eigi  hefir 


1)  BjarkR.,  II,  §.  47. 

2)  vgl.  Gjessing,  S.  267-69,  dann  Nordström,  Bidrag -tili 
den  svenska  Samhälls-Författniagens  Historia,  I,  S.  100,  Anm.,  und 
Stemann,  den  danske  Retshistorie,  S.  287 — 88. 

3)  Kgsbk.,  §.  112,  S.   192;  Festal).,  cap.  43,  S.  357-58. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Hechte.       31 

gjört  frelsisöl  sitt",  und  bemessen  den  Umfang  der  Rechte 
ganz  verschieden,  welcher  diesem  und  jenem  eingeräumt 
werden  will.  Wenn  wir  nun  dem  gegenüber  in  den  B{)L. 
sowohl  als  in  den  E{>L.  von  dem  leysmgr  oder  leysingi  als 
einem  Freigelassenen  höherer  Ordnung  einen  frjälsgjafi, 
fem.  f  r  j  ä  l  s  g  j  a  f  a ,  als  einen  Freigelassenen  geringeren 
Grades  unterschieden  sehen,  und  wenn  wir  überdiess  auch  im 
älteren  Stadtrechte  einmal  die  frjälsgefa  der  leysingja  an 
die  Seite  gestellt,^)  und  in  den  Fr{>L.  wenigstens  noch  ein- 
mal in  einer  Capitelüberschrift  den  frjälsgjafi  erwähnt  finden,^) 
so  werden  wir  wohl  berechtigt  sein  anzunemen ,  dass  diese 
Terminologie  mit  jener  Scheidung  eines  zweifachen  Frei- 
lassungsactes  zusammenhängen ,  und  dass  somit  unter  dem 
frjälsgjafi  der  Freigelassene,  der  sein  Freilassungsbier  noch 
nicht  gehalten  hat ,  unter  dem  leysingi  aber  der  Frei- 
gelassene, der  solches  gehalten  hat,  zu  verstehen  sein  werde, 
wogegen  der  regelmässige  Sprachgebrauch  der  Gl>L.  und 
Fr{)L.,  vermöge  dessen  die  Bezeichnung  leysingi  für  beide 
Classen  gemeinsam  verwendet  wird,  als  ein  erst  später  auf- 
gekommener wird  bezeichnet  werden  dürfen.  In  der  That 
erinnern  die  leysingsaurar  und  die  hälslausn ,  welche  ge- 
legentlich des  Freilassuno sbieres  entrichtet  wurden,  an  die 
Bezeichnung  leysingi,  wogegen  die  sehr  alterthümlich 
gefasste  Regel:  „frjäls  er  hverr  er  frelsi  er  gefit,  ef  sä 
gefr,  er  gefa  ä,"^)  oder:  ,,{)ess  skal  hverr  vera  leysingi, 
er  frelsi  gaf,  ef  sä  gaf,  er  gefa  ätti  ,'* '^)  ebenso  bestimmt 
an  den  Ausdruck  frjälsgjafi  anklingt.  Jedenfalls  liegt 
kein    Grund    vor,     mit    Bischof   Hannes    Finnsson  ^)    und 


1)  BjarkR.,  III,  §.  127. 

2)  FrJ.L,  IX,  §.  13. 

3)  Gl)L.,  §.  61. 

4)  FrJ)L.,  IX,  §.  10. 

5)  Tentamen  historico-philologicum  circa  Norwegise  jus  ecclesiasti- 


32        Sitzung  der  philos-philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

Estrup  ^)  Hüter  dem  frjalsgjafi  einen  „libertus  manumissus 
e  mera  domini  übertäte  (lies  liberalitate)/*  und  unter  dem 
leysingi  einen  „libertus  qui  se  ipse  pecunia  e  Servitute  re- 
dimit,"  zu  verstehen,  und  ebenso  liegt  der  Sprachgebrauch 
des  isländischen  Rechtes  völlig  ab,  welches  als  frjalsgjafi  nie 
den  Freigelassenen,  sondern  immer  nur  den  Freilasser  be- 
zeichnet. Die  norwegischen  Rechtsbücher  bezeichnen  diesen 
letzteren  ihrerseits  immer  nur  als  d  r  6 1 1  i  n  n ,  d.  h.  Herr, 
oder  noch  häufiger  als  skapdr öttinn,  d.  h.  rechtmässiger 
Herr,  wobei  das  Wort  skap  in  den  Zusammensetzungen 
skaparfi  oder  skaperfingi,  skapboetandi  und  skap{>iggjandi, 
skapl>ing,  oder  auch  skapdauSi,  skaplag,  lediglich  das  Ord- 
nungsgemässe und  Gesetzliche  des  Verhältnisses  hervorhebt ; 
es  ist  völlig  unbegründet,  wenn  Gjessing  unter  dem  dröttinn 
immer  nur  den  Herrn  eines  Unfreien,  unter  dem  skapdröttinn 
dagegen  den  Patron  eines  Freigelassenen  verstehen  will ,  ^) 
vielmehr  wird  der  letztere  abwechselnd  mit  beiden  Aus- 
drücken bezeichnet.^)  In  den  dänischen  und  schwedischen 
Rechtsbüchern  dagegen  tritt  der  Ausdruck  frselsgivi,  fraels- 
giva  wider  lediglich  als  Bezeichnung  der  Freigelassenen  auf, 
und  zwar  ohne  Unterscheidung  der  beiden  Classen  von 
solchen,  welche  auch  diese  beiden  Rechte  sonst  auseinander- 
zuhalten wissen.*) 

Das  richtige  Verständniss ,  und  mehr  noch  die  über- 
sichtliche Darstellung  der  auf  die  Freigelassenen  bezüglichen 
Rechtsregeln  wird  schon  dadurch  sehr  erschwert,  dass  nach 
dem  soeben  Bemerkten  zwei  verschiedene  Classen  von  solchen 
ganz   getrennt   zu   halten    sind,    während  doch  gerade  die- 

cum,  quod  Vicensium  sive  priscura  vulgo  vocant,  S.  36  und  37,  Anm. 
68  und  69. 

1)  Estrup,  S.  117. 

2)  Gjessing,  S.  322. 

3)  z.B.  GJ)L.,  §.  67. 

4)  siehe  Schlyter,  h.  v. 


Maurer'.  l)ie  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Rechte.      33 

jenigen  beiden  Rechtsbücher ,  welche  uns  allein  einiger- 
raassen  vollständig  erhalten  sind,  für  beide  eine  und  dieselbe 
Bezeichnung  brauchen,  und  nicht  immer  durch  weitere  Bei- 
sätze zu  erkennen  geben,  welche  von  beiden  Classen  sie  an 
jeder  einzelnen  Stelle  im  Auge  haben.  Eine  weitere 
Schwierigkeit  liegt  aber  darinn,  dass  unter  gewissen  Vor- 
aussetzungen die  Wirkungen,  welche  sich  sonst  nur  an  die 
Haltung  des  P'reilassungsbieres  knüpfen ,  ganz  oder  theil- 
weise  auch  eintreten  können,  ohne  dass  dieses  gehalten 
wurde,  und  dass  insbesondere  auch  andere  Rechtsacte  als 
ganz  oder  theil weise  wirksame  Surrogate  für  das  Freilas- 
sungsbier gelten;  dass  ferner  an  der  eigen thümlichen  Be- 
handlung der  Freigelassenen  in  gewissem  Umfange  auch 
deren  Nachkommenschaft  Antheil  nimmt,  wobei  gleichfalls 
wider  die  Scheidung  der  Freigelassenen  höherer  und  niederer 
Ordnung  scharf  im  Auge  zu  behalten  ist ;  dass  endlich  neben 
der  bisher  besprochenen  Terminologie  anch  noch  andere 
Standesbezeichnnngen  vorkommen,  bezüglich  deren  erst  fest- 
gestellt werden  muss,  welches  ihre  Geltung  sei,  und  wie- 
ferne sie  sich  mit  den  beiden  Classen  der  Freigelassenen 
irgendwie  berühren.  Es  ist  unter  solchen  Umständen 
schlechterdings  unmöglich,  einen  streng  systematischen  Gang 
der  Darstellung  einzuhalten,  und  wird  vielmehr  nöthig,  die 
Erörterung  der  einzelnen  massgebenden  Stellen  lediglich  in 
der  Reihenfolge  vorzunemen,  vermöge  welcher  es  am  Sicher- 
sten gelingen  zu  wollen  scheint,  in  die  vielfach  verworrene 
Materie  Klarheit  zu  bringen.  Am  Schlüsse  der  Untersuch- 
nng  wird  es  sodann  erst  möglich  werden,  durch  geordnetes 
Zusammenfassen  der  gewonnenen  Ergebnisse  ebenmässige 
Anschaulichkeit  bezüglich  der  ganzen  Lehre  zu  erzielen. 

Was  zunächst  d  i  e  Wi  r  k  u  n  g  e  n  der  Freilassung  betrifft, 

so  unterscheiden  die  B[>L.  und  E{>L.  die  beiden  Classen  der 

Freigelassenen  sehr  deutlich  als  verschiedene  Stände.    Beide 

Rechtsbücher    weisen    zunächst   den    verschiedenen    Ständen 

[1878  I.  Philos.-philol.  bist.  Cl.  1.]  3 


34        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

ihre  verschiedenen  Begräbnissplätze  auf  dem  Kirchhofe  an, 
und  zwar  in  ziemlich  gleichförmiger  Weise  Nach  den  B{>L.^) 
soll  der  Kirchhof  in  4  Abtheiluugen  (fjörSungar)  zerfallen, 
und  sollen  die  Landherren  ,,im  Osten  der  Kirche,  und  süd- 
lich im  Lande,  unter  der  Dachtraufe,"  begraben  werden, 
dann  die  höldar,  unter  welchen  hier  nur  die  freigeborenen 
Bauern  verstanden  werden  können,  mit  ihren  Kindern,  jedoch 
so,  dass  auch  die  Landherrn  „i  böndalegu"  zu  begraben 
sind,  wenn  sie  am  Kirchhofe  keinen  Antheil  haben ;  dann 
folgen  die  leysingjar  und  ihre  Kinder,  und  hierauf  die 
frjälsgjafir  mit  den  ihrigen,  wogegen  die  Unfreien  zunächst 
an  der  Kirchhofmauer  zu  liegen  kommen.  Begräbt  man 
nun  einen  Unfreien  „i  frjälsgjafa  legu'*,  so  hat  man  6  aurar 
Busse  zu  geben;  begräbt  man  einen  frjälsgjafi  ,,i  leysmgja 
legu'\  so  büsst  man  12  Unzen;  begräbt  man  einen  leysingi 
„i  hauldslegu",  so  büsst  man  3  Mark.  Auffällig  ist  dabei 
freilich,  dass  der  Abtheilungen  nur  4  sein  sollen,  während 
doch  5  Classen  von  Leuten  in  denselben  untergebracht 
werden  sollen.  Man  wird  kaum ,  mit  Estrup ,  annemen 
dürfen,  dass  die  Unfreien  an  der  äusseren  Seite  der  Kirch- 
hofmauer, also  ausserhalb  des  Kirchhofes,  bestattet  warden ;  '^) 
ich  möchte  vielmehr  eher  dafür  halten,  dass  den  Landherrn, 
welche  doch  wohl  nur  ausnamsweise  auf  den  gemeinen 
Kirchhof   zu    liegen    kamen,    da    sie    gewiss    mehrentheils 


1)  B])L.  L  §.  9;  II,  §.  18;  III,  §.  13.  Die  Texte  II  und  III  ge- 
denken allerdings  der  frjälsgjafir  und  ihres  Begräbnissplatzes  zunächst 
nicht;  da  aber  auch  sie  hinterher  dem  Bussen  androhen,  der  einen  Un- 
freien in  der  Abtheilung  des  frjälsgjafir,  oder  einen  frjälsgjafi  in  der 
Abtheilung  der  leysingjar  bestattet,  ist  klar,  dass  insoweit  nur  ein 
Schreib  Verstoss  vorliegt. 

2)  Estrup,  S.  51.  Gjessing,  S.  290,  Anm.,  bezeichnet  diese 
Deutung  als  eine  irrige,  lässt  aber  ungesagt,  wie  er  sich  helfen  will, 
da  auch  er  die  4  Abtheilungen  auf  die  lendirmenn,  höldar,  leysingjar 
und  frjälsgjafir  bezieht. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Rechte.       35 

Patronatskirchen  mit  eigenen  Familienbegräbnissen  besassen, 
und  überdiess,  wenn  sie  zur  Zeit  ihres  Todes  noch  im 
activen  Dienste  standen ,  ihr  Grab  in  der  Domkirche  ihres 
Bezirkes  zu  beanspruchen  hatten,  ^)  nur  ein  bevorzugter 
Platz  innerhalb  der  böndalega,  nicht  eine  eigene  Abtheilung 
eingeräumt  war,  und  dürfte  hiefür  zumal  auch  der  Umstand 
sprechen,  dass  demjenigen  keine  besondere  Busse  angedroht 
wird,  der  einen  hold  an  dem  den  lendirmenn  gehörigen 
Platze  begräbt.  Eine  ganz  analoge  Bestimmung  über  die 
Vertheilung  der  Begräbnissstätten  enthalten  ferner  die  E{>L., 
nur  dass  in  derselben  von  keiner  für  die  Verletzung  der 
Vorschriften  zu  entrichtenden  Busse  gesprochen  wird ;  ^)  dass 
der  zweite  und  jüngere  Text  dieses  Rechtsbuches  dabei  die 
frjälsgjafir  und  ihre  Kinder  auslässt,  mag  ausdrücklich  be- 
merkt werden.  Weiterhin  stufen  die  B|>L.  auch  das  leg- 
kaup,  d.  h.  die  für  die  Grabstätte  zu  entrichtende  Gebühr, 
in  der  Art  ab,^j  dass  für  die  Leiche  eines  Landherrn,  seiner 
Frau  und  seiner  Söhne,  soweit  sie  noch  Standesgenossen 
ihres  Vaters  sind,  12  Ellen,  für  die  Leiche  eines  höldborinn 
ma6r  6  Ellen,  für  die  des  leysingjasons  4  Ellen,  für  die  des 
frjälsgjafi  aber  1^2  Ellen  zu  entrichten  sind,  wogegen  für 
die  Leiche  eines  Unfreien  nur  ein  gewogener  Pfenning  ent- 
richtet wird.  Auch  in  dieser  Richtung  kennen  die  E|>L.  wider 
eine  entsprechende  Vorschrift,  *)  deren  Text  zwar  einiger- 
massen  corrupt  ist,  aber  doch  die  massgebenden  Sätze  noch 
deutlich   erkennen   lässt;    der   Ansatz   für   den   höldr    muss 


1)  Hird'skrä,  §.  21.  Vgl.  das  unächte  Privileg  K  Magnus  Erl- 
ingsson's,  im  Diplom.  Island.,  I,  nr.  39.  S.  229,  welches  als  Inter- 
pretation sbehelf  immerhin  gebraucht  werden  darf, 

2)  EfL.,  I,  §.  50;  II,  §.  39. 

3)  BtL.,  I,  §.  12;  II,  §.  20. 

4)  EJ)L.,  I,  §.  48;  II,  §.  37.  Der  von  Gjessing,  S.  291,  ver- 
suchten Deutung :  üfrjäls  =r  frjälsgjafi ,  vermag  ich  mich  nicht  anzu- 
schliessen. 

3* 


36         Sitzung  der  philos.-philot.  Classe  vom  9.  Fehruar  ISTS. 

durcli  Correctur  auf  6  Ellen  gebracht  werden,  während  er 
in  Text  I.  deren  12,  und  in  Text  II.  deren  7  beträgt,  ^) 
und  für:  „üfrjälsan  psening  vegen.  firi  anauÖgan.  annan"  in 
Text  I.  ist  zu  lesen  :  „hälfa  aSra  aliii  fyrir  frjalsgjafa,  paening 
vegin  fyrir  änauSgan  mann'',  während  in  Text  II.  einfach 
steht:  „paening  vegen  firi  anauSgan  man",  also  der  frjäls- 
gjafi  völlig  ausgefallen  ist,  und  ist  wohl  ,,iifrjälsan"  nur  als 
Glossem  zu  ,,änau8gan  mann"  zu  fassen,  wogegen  die  vor- 
ausgehenden Worte  ausgefallen  zu  sein  scheinen.  Weiter- 
hin setzen  die  Bf>L.  die  Busse  wegen  geschlechtlicher  Kränk- 
ung der  Frau  des  höldr ,  der  Tochter  des  leysingi ,  der 
leysingja  und  der  frjalsgjafa  auf  6,  4,  8  und  1^/2  Mark 
fest,^)  während  sie  beide  Classen  von  Freigelassenen  in  Be- 
zug auf  den  Umfang,  in  welchem  die  blutige  Rache  wegen 
des  mit  einer  Angehörigen  begangenen  Unzuchtsvergehens 
gestattet  ist,  einander  gleich  stellen,  und  nur  von  den  Un- 
freien einerseits  und  den  Freigeborenen  andererseits  unter- 
scheiden ;  ^)  die  EJjL.  dagegen  enthalten  keine  einschlägige 
Bestimmung.  Beachtenswerth  ist,  dass  sowohl  bei  der  Un- 
zuchtsbusse als  beim  Grabkaufe  und  bei  der  Busse  wegen 
widerrechtlicher  Bestattung  das  Verhältniss  des  frjälsgjafi 
zum  leysingi  und  zum  höldr  ganz  gleichraässig  das  von 
1:2:4  ist,  und  beachtenswerth  auch,  dass  die  Kinder  des 
leysingi  in  Bezug  auf  das  Begräbniss  diesem  selbst  gleich- 
gestellt, dagegen  in  Bezug  auf  den  Grabkauf  und  die  Un- 
zuchtsbusse mit  einem  eigenen  Ansätze  zwischen  ihn  und 
den  Freigeborenen  hineingeschoben  sind. 

In  den  G|>L.  und  FrI>L.  dagegen  wird  hinsichtlich  des 
Begräbnisses  auf  den  Unterschied  der  Stände  überhaupt 
keine  Rücksicht  genommen,    und  auch  bezüglich   des  Grab- 


1)  Aus  VI.  wurde  also  dort  XII,  hier  VIT. 

2)  BPL..  II,  §.  14. 

3)  ebenda,  §.  15. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Hechte.     37 

kaufes  legen  ihm  die  G{>L.,  deren  ältere  Redaction  diese 
Gebühr  noch  kennt,  ^)  während  sie  aus  den  Fr{>L.  völlig  ver- 
schwunden ist,  keine  Bedeutung  bei,  ganz  wie  das  isländische 
Recht  die  Regel  aufstellt :  „leg  skulu  öU  vera  jafndyr,  hvort 
sem  eru  nserr  kirkju  eSa  firr  i  kirkjugarSi" ;  *)  in  anderen 
Richtungen  dagegen  betonen  auch  jene  beiden  Rechtsbücher 
die  Verschiedenheit  jener  beiden  Classen  von  Freigelassenen 
sehr  entschieden.  Die  G{>L.  zunächst  gewähren  dem  Frei- 
gelassenen geringerer  Ordnung  noch  kein  freies  Verfügungs- 
recht über  sein  Vermögen,  lassen  ihn  vielmehr  nur  bis  zum 
Betrage  eines  örtugr  disponiren ;  ^)  sie  gestatten  ihm  ferner 
auch  nicht  das  Recht  der  freien  Verehelich ung,  lassen  viel- 
mehr nur  die  mit  Zustimmung  seines  Freilassers  von  ihm 
eingegangene  Ehe  diesem  letzteren  gegenüber  ihre  volle  Wir- 
kung äussern,  *)  so  dass  der  Freigelassene  sein  Freilassungs- 
bier halten  muss,  wenn  er  „räSa  kaupum  sinum  ok  kvän- 
fÖngum''  will ;  ^)  endlich  steht  ihm  auch  nur  innerhalb  des 
Volklaudes,  welchem  er  angehört,  die  freie  Wahl  seines 
Aufenthaltes  zu,  und  kann  ihn  der  Freilasser  heimfordern, 
wenn  er  dessen  Grenze  ohne  seine  Erlaubniss  überschreitet,  ^) 
sodass  der  Ausdruck  ,,skira  far  sitt",  sich  die  Fahrt  klären, 
geradezu  für  die  Haltung  des  Freilassungsbieres  gebraucht 
werden   kann.  ^)     Ueberdies    fehlt  den  Kindern  der    Freige- 


1)  G5L.,  §.  23. 

2)  Kgsbk.  §.  2,  S.  9;  älterer  KrR,  cap.  5,  S.  28. 

3)  G5L.,  §.  56. 

4)  ebenda,  §.  63. 

5)  ebenda,  §.  61  und  62. 

6)  ebenda,  §.  61  und  67. 

7)  ebenda,  §.  66.  Gj  es  sing  hat  bereits,  S.  269,  den  Aus- 
druck richtig  in  obiger  Weise  erklärt;  nur  hätte  er  sich  dabei  nicht 
auf  die  Worte:  ,ef  bann  fser  sik  eigi  skirt",  in  den  Fr  iL.,  IX,  §.  10 
berufen  sollen.  Diese  beziehen  sich  vielmehr  auf  das  erfolgreiche  Be- 
stehen der  ski'rsla,  d.  h.  des  Gottesurtheiles, 


38         Sitzung  der  philos.'philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

lassenen  geringerer  Ordnung  das  Erbrecht,  ^)  und  dass  sie 
selbst  noch  zum  Hause  ihres  Freilassers  gezählt  werden, 
ergiebt  sich  daraus,  dass  dieser  sie  bei  der  Mannzahl  anzu- 
sagen, und  für  sie  in  zweiter  Linie  einzustehen  hat,  wenn  auch 
der  Mann  zunächst  aus  eigenen  Mitteln  die  Heerlast  be- 
streiten soll.  ^)  Ausserdem  wird  bei  Besprechung  der  Werth- 
grenzen,  welche  den  Verfügungen  der  Weiber  aus  den  ver- 
schiedenen Volksclassen  gezogen  sind,  nur  der  Frau  des 
Freigelassenen  gedacht,  welcher  sein  Freilassungsbier  ge- 
halten hat,^)  was  sich  doch  wohl  daraus  erklärt,  dass  die 
Frau  des  Freigelassenen  geringerer  Ordnung,  dessen  eigene 
Disposition sbefugniss  schon  so  sehr  beschränkt  war,  über- 
haupt keine  solche  besass.  Auffällig  ist  aber,  dass  bei  der 
Abstufung  der  zu  beziehenden  oder  zu  entrichtenden  Bussen 
zwischen  den  beiden  Classen  der  Freigelassenen  nicht  unter- 
schieden wird,  so  scharf  sich  sonst  gerade  in  diesem  Punkte 
die  Verschiedenheit  der  Stände  auszuprägen  pflegt.  Da  in 
Fällen  einer  zu  empfangenden  Busse  der  leysingi  stets  halb 
so  hoch  als  der  vollfreie  Mann  angesetzt  wird,  während  der 
leysingjasonr  mit  einer  unorganischen  Ziffer  zwischen  beide 
eingeschoben  erscheint,*)  zeigt  die  Vergleichung  der  B|)L. 
und  E{)L.,  dass  der  Bussbetrag  der  höheren,  und  nicht  der 
der  geringeren  Freigelassenenclasse  dabei  massgebend  ge- 
worden ist;  bei  zu  zahlenden  Bussen  freilich  war  das  Ver- 
hältniss  das  von  1:2:3,^)  indem  das  Bestreben,  die  baugar 
zu  runden,  den  Sieg  davongetragen  zu  haben  scheint,  und 
bei  den   Werthgrenzen   für   die   Dispositionsbefugnisse    der 


1)  G5L.,  §.  65;  vgl.  §.  25,  63  und  106.  Die  litla  erf*  des  §.  65 
und  114  gehört  nicht  hieher,  da  sie  auf  Miteigenthum  zu  gesaramter 
Hand  leruht. 

2)  ebenda,  §.  296. 

3)  ebenda,  §.  56. 

4)  ebenda,  §.  91,  198  und  200. 
5:  ebenda,  §  185, 


Maurer:   Die  Freigelassenen  nach  altnorwegüchem  Rechte.      39 

Weiber  galt  das  Verhältniss  von  2:3:6,*)  wobei  auch 
wider  die  Abrundung  der  Werthgrenzen  massgebend  gewor- 
den sein  dürfte.  Wenn  aber  bei  der  Bestimmung  der  Werth- 
grenzen, innerhalb  deren  uneheliche  Kinder  mit  Vergabungen 
bedacht  werden  durften,  unter  dem  lendrmaSr,  hauld- 
nia^r  und  böndi  nur  noch  der  leysingssunr ,  nicht  aber 
der  leysingi  selbst  erwähnt  wird,^)  so  muss  dabei  eine  Coruptel 
im  Texte  vorliegen ;  die  augegebenen  Beträge  von  6  Mark, 
3  Mark,  12  Unzen  und  6  Unzen  zeigen  die  normale  Ab- 
stufung von  1:2:4:8,  und  muss  somit  bei  dem  leysing- 
jasunr  die  (unorganische)  Ziffer,  und  vor  „6  aura"  der  leys- 
ingi selbst  ausgefalleu  sein.  —  Minder  deutlich  und  z.  Th. 
sogar  entschieden  abweichend  sprechen  sich  die  Fr{)L.  aus. 
Während  sie  an  einer  einzelnen  Stelle  nur  das  für  die  Ab- 
stufung der  Busssätze  der  vervschiedenen  Stände  geltende 
Zahlenverhältniss  (2:3)  angeben,  ohne  dabei  die  für  die  ein- 
zelnen Stände  sich  berechnenden  Ansätze  speciell  zn  nennen,^) 
sehen  sie  an  einer  längeren  Reihe  von  Stellen  bei  der  Be- 
stimmung der  Bussen  von  jeder  Scheidung  zweier  Classen 
von  Freigelassenen  ganz  ab;*)  an  einer,  von  den  Verbal- 
injurien handelnden  Stelle  aber,  welche  auch  in  das  Stadt- 
recht übergegangen  ist,  unterscheiden  sie  zwischen  beiden 
Classen,^)  und  wenn  wider  eine  andere  Stelle  des  Stadtrechtes 
zwar  bezüglich  der  ünzuchtsbussen  nur  einen  einfachen 
Bussbetrag  angiebt,®)  so  deutet  doch  der  Umstand,  dass  da- 
bei die  frjälsgefa  neben  der  leysingja  genannt  wird,  darauf 
hin,  dass  in  älteren  Texten  für  beide  verschiedene  Bussen 
eingesetzt    gewesen   sein    dürften.      Eine    letzte    Stelle   des 


1)  ebenda,  §.  56. 

2)  ebenda,  §.  129. 

3)  FrjL.,  X,  §.  34;  BjarkR.,  III,  §.  161. 

4)  Fr])L.,  IV,  §.  49  und  53;  X,  §.  41  und  46;  XIII,  §.  15. 

5)  Fr5L.,  X,  §.  35;  BjarkR.,  III,  §.  162. 

6)  BjarkR.,  III,  §.  127. 


40         Sitzung  der  philo.s  -pJiilol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

Stadtrechtes  endlich  erkennt  allen  Leuten  in  der  Stadt  vom 
Landherrn  herab  bis  zu  dem  Freigelassenen,  der  sein  Frei- 
lassungsbier gehalten  hat,  ganz  gleichmässig  eine  Busse  von 
3  Mark  zu,  dagegen  dem  Freigelassenen,  welcher  dieses  Bier 
noch  nicht  gehalten  hat,  nur  eine  Busse  von  6  Unzen,  *)  und 
sie  tritt  damit  allerdings  mit  mehrfachen  anderen  Stellen 
in  bestimmten  Widerspruch ;  an  der  entschiedenen  Sonderung 
der  beiden  Classen  von  Freigelassenen  aber  hält  auch  sie 
immerhin  fest.  Aus  der  Höhe  der  Busssätze  lässt  sich  für 
dieses  Rechtsbuch  kein  gesicherter  Schluss  ziehen,  da  das 
Verhältniss  von  2:3,  v^elches  widerholt  als  massgebend  für 
deren  Abstufung  bezeichnet  wird,^)  sich  thatsächlich  nicht 
consequent  eingehalten  zeigt,  wahrscheinlich  weil  die  Ein- 
schiebuug  mehrfacher  Zwischenstufen  in  die  ältere  Reihe 
der  Stände  (reksl)egn  und  leysingjasonr)  dasselbe  undurchführ- 
bar gemacht  hatte,  falls  man  nicht  auf  absolut  unpraktische 
Bruch theile  kommen  wollte.  Weiterhin  wird  uns  aber  aus- 
drücklich gesagt,^)  dass  der  Sohn,  welchen  ein  Freigelassener 
mit  einem  freigeborenen  Weibe,  welches  er  nach  erfolgter 
Freilassung  geheirathet  hatte,  noch  vor  der  Abhaltung  seines 
Freilassungsbieres  gewinnt,  Niemandes  Erbe  zu  nemen  be- 
rechtigt sei,  und  nur  dieselbe  Busse  beziehe  wie  sein  Vater, 
während  sonst  die  Söhne  von  Freigelassenen  (höherer  Ord- 
nung) eine  höhere  Busse  erhalten;  wenn  aber  ein  solcher 
Mann  als  „borinn  skauta  ä  meÖal"  bezeichnet  wird,  so  wollen 
damit  doch  wohl  die  beiden  für  die  Freilassung  in  Betracht 
kommenden  Acte  als  die  beiden  Zipfel  des  ganzen  Vorganges 
betrachtet  werden,  zwischen  denen  das  Kind  zur  Welt  ge- 
kommen ist.  Mit  diesem  Ausspruche  stimmt  aber  überein, 
wenn   anderwärts  gesagt  wird,    dass   nur   der  Freigelassene 


1)  ebenda,  II,  §.  47;  III,  §.  97. 

2)  FrI.L,  IV,  §.  49;  X,  §.  34. 

3)  ebenda,  IX.  §.  15. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Rechte.       41 

seine  Kinder  beerbe,  welcher  sein  Freilassungsbier  gehalten 
habe,*)  oder  dass  derjenige  von  seinem  Freilasser  beerbt 
werde,  welcher  dasselbe  noch  nicht  gehalten  habe.  ^)  Auch 
in  Bezug  auf  seine  Freizügigkeit  scheint  der  Freigelassene 
beschränkt  gewesen  zu  sein,  solange  er  sein  Freilassungsbier 
noch  nicht  gehalten  hatte,  ^)  und  nicht  minder  in  Bezug  auf 
seine  vermögensrechtlichen  Verfügungen,  obwohl  allerdings 
die  einzige  Stelle,  welche  sich  hierüber  ausspricht,*)  nicht 
deutlich  zu  erkennen  giebt,  auf  welche  Classe  von  Freige- 
lassenen sie  bezogen  werden  wolle.  Er  unterliegt  endlich 
auch  einem  S  chutzrcchte  seines  Freilassers ,  welches  als 
„vorn**,  d.  h.  Vertheidigung  bezeichnet  wird,^)  dessen  Aus- 
dehnung jedoch  nicht  klar  ist. 

Als  eine  weitere  Art  von  Verpflichtungen,  welche  dem 
Freigelassenen  obliegen ,  siad  aber  auch  die  ^jpfjrmslir''''  zu 
bezeichnen,  bezüglich  deren  freilich  erst  noch  zu  untersuchen 
ist,  ob  sie  beiden  Classen  vou  Freigelassenen  oder  nur  der 
einen  von  ihnen  obliegen.  Das  Zeitwort  tyrnia,  von  wel- 
chem sich  das  Hauptwort  {)yrmsl,^)  welches  übrigens  fast 
nur  in  der  Pluralform  ^yrmslir  ,  fjyrmslur  vorkommt ,  ab- 
leitet, bedeutet  schonen,  schonend  und  achtungsvoll  behandeln, 
und  bezeichnet  somit  das  Hauptwort  ein  Verhältniss,  welches, 
gleichviel  aus  welchen  Gründen ,  eine  gewisse  Rücksicht- 
name oder  Enthaltsamkeit  fordert.  In  rein  körperlichem 
Sinne  spricht  z.  B.  der  Königs  spiegel  von  einem  „vera 
1  |jyrmslum  eptir  bloÖlat"^)  als  von  dem  Zustande  der  Scho- 
nungsbedürftigkeit, in  welchem  man  sich  nach  einem  Ader- 


1)  ebenda,  §.  11. 

2)  ebenda,  §.  13. 

3)  ebenda,  §.  10. 

4)  e  b  e  n  d  a  ,  XI,  §.  23. 

5)  ebenda,  IX,  §.  10. 

6)  Die  Singularform  steht  in  der  Ueberschrift  des  §.  11,  ebenda. 

7)  Konüngssk.;  §.  57,  S.  140. 


42        Sitzung  der  pkilos.-philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

lasse  ?;u  befinden  pflegt ;  in  figürlichem  Sinne  dagegen  ge- 
braucht dieselbe  Quelle  den  Ausdruck  „{»yrnia  lögum",  *)  die 
ältere  Edda  ,,l>3U'ma  eiÖiim",^)  und  ein  isländisches  Rechtsbuch 
„{)yrma  griSum^'^)  für  die  ehrfurchtsvolle  Beobachtung  des 
Gesetzes,  Eides,  Friedensgelöbnisses.  Schon  in  einem  der 
heidnischen  Zeit  angehörigen  Liede  wird  der  Ausdruck 
„{)yrma  veum'*,  die  Heiligthümer  achten,  gebraucht;*)  die 
jüngeren  Christenrechte  aber  brauchen  den  Ausdruck  ,,l)yrma 
kirkjum  ok  kirkjugörSum"  für  die  Achtung  des  kirchlichen 
Asylrechtes,  ^;  den  Ausdruck  ,,{)yrma  retti  heilagrar  kirkju  ok 
IserÖra  manna"  in  Bezug  auf  die  der  Kirche  und  ihren 
Dienern  geschuldete  Ehrfurcht®),  und  den  Ausdruck  „mis{)yrma 
klerk  eÖa  klaustrmanni",  ,,mis{)yrma  kirkjunnar  goSs"  für  die 
Mishandlung  geistlicher  Personen  und  widerrechtliche  Ein- 
griffe in  das  Kirchengut,  wie  denn  auch  der  Begriff  des  sacri- 
legium  durch  „mis{>ynnsl  vigSs  lutar"  widergegeben  wird.'^) 
In  dem  Erlasse  über  die  Bannfälle,  welcher  au  der  Spitze 
des  sog.  Christenrechtes  K.  Sverrir's  steht,  spricht  dieser 
König  sammt  seinem  Episkopate  von  „[)yrnislir  pißr  er  menn 
eiga  gu6i  at  veita  ok  oss",*)  und  versteht  darunter  die  Gott 
und  dem  König  geschuldete  Ehrfurcht;  die  älteren  Christen- 
rechte aber  gebrauchen  bereits  Ausdrücke  wie  ,,I)yrma  dögum", 
„{»yrmajölahelgi",  ,,{)yrma  frjädögum  ok  kristnum  dorai  värom'' 
von  der  kirchlich  gebotenen  Beobachtung  der  Feste  und 
Fasten,^)  und     andererseits     wider  Ausdrücke    wie   ,,vera  i 


1)  ebenda,  §.  36,  S.  78. 

2)  Gripisspä,  47;  Sigurd'arkv.  III,  28. 

3)  Kgsbk.,  §.  114,  S.  205;  Vigslö^i,  cap.  112,  S.  166. 

4)  Häkonar  ni  äl,  18. 

5)  neuerer  BjKrR.,  §.  7;  neuerer  GfKrR..  §.  15;  Jons    Krß., 

§.  12;  Arna  bps  KrR,  §.  6  und  8. 

6)  Arna  bps  KvR.,  §.  7. 

7)  ebenda;  Jons  KrR.,  §.  54. 

8)  Sverris  KrR.,  §.  1. 

9)  GtL.,  §.  17  und  20;  FrJL,  II,  §    34. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Rechte.      43 

l>yrmsliim  viS  konu",')  „l>yrmast  vi6  guSsifjar*'  ,,{>yrma  vi6 
konu**2)  von  der  Achtung  der  kirchlichen  Verbote  bezüg- 
lich des  Umganges  mit  Weibern  innerhalb  gewisser  Grade 
der  Verwandtschaft,  Schwägerschaft  und  Gevatterschaft,  wie 
denn  auch  der  Köuigsspiegel  in  diesem  Sinne  sagt:  ,,tynir 
hverr  fraendsemi  viÖ  annau ,  ok  gjörisk  sifjaspell,  ok  J)yrma 
menn  engum  leytum'',')  wogegen  „f)yrma  sifjum"  in  der 
älteren  Edda  in  etwas  anderer  Bedeutung,  nämlich  für  die 
Bewahrung  der  schwägerlichen  Treue  gebraucht  steht.*)  lu 
änlicheni  Sinne  braucht  ferner  ein  älteres  Christenrecht  den 
Ausdruck:  ,,[>yrmaz  vid  hjunskap"  für  die  Enthaltung  vom 
ehelichen  Zusammenleben,'^)  und  sagt  ein  altes  Homilienbuch 
von  denen,  die  sich  unnatürlicher  Sünden  schuldig  machen: 
„l>eir  es  eige  {)yrma  körlom  heldr  en  konom  et>a  mis{>yrma  kyc- 
qvendom  ferfeöttom'^^)  Insbesondere  wird  der  Ausdruck  auch 
für  die  Verpflichtungen  gebraucht,  welche  ein  Verhältniss 
der  Abhängigkeit  und  Dienstbarkeit  einem  Untergebenen 
seinem  Herrn  sowohl  als  seinen  Genossen  gegenüber  aufer- 
legt. In  diesem  Sinne  sagt  z.  B.  das  Dienstmannenrecht,^) 
dass  die  gestir  innerhalb  ihres  Verbandes  alle  diejenigen 
,,l>yrmslur"  zu  beobachten  haben,  welche  den  hirSmenn  inner- 
halb des  ihrigen  obliegen,  wobei  es  die  Verpflichtung,  sich 
bei  der  gestastefna  einzufinden,  bei  Tisch  die  gehörige  Zucht 
zu  beobachten,  und  die  Leiche  verstorbener  Genossen  zu 
Grabe  zu  geleiten,  als  dahin  gehörig  bezeichnet;  in  diesem 
Sinne  wird  der  Ausdruck  aber  auch  auf  die  Verpflichtungen 
angewandt,    welche    dem   Freigelassenen   gegenüber    seinem 


1)  GtL.,  §.  24. 

2)  ebenda,  §.  26. 

3)  Konüngssk.,  §.  36,  S.  76. 

4)  Sigurd-arkv.  III,  28. 

5)  El)L.,  I,  §  4. 

6)  Homiliubok,  S.  137  (ed.  Wisen). 

7)  Hir^-skrä,  §.  45. 


44         Sitzung  der  pliilos.-philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

Freilasser  obliegen.  Es  äussern  sich  aber  die  Gl>L.  an  einer 
für  die  {)yrmslir  in  diesem  Sinne  classischen  Stelle  folgender- 
massen:  *)  „Der  Freigelassene  soll  {)yrmslir  beobachten  gegen 
seinen  Herrn.  Er  soll  sich  nicht  betheiligen  an  Anschlägen 
gegen  dessen  Vermögen  noch  gegen  dessen  Leben;  auch 
nicht  im  Gerichte  ihm  entgegentreten,  er  habe  denn  eine 
eigene  Rechtssache  zn  vertheidigen ,  die  soll  er  ebensogut 
gegen  ihn  vertheidigen  wie  gegen  andere  Leute ;  auch  nicht 
in  Worten  sich  mit  ihm  messen,  und  nicht  Schwerdt  noch 
Speer  gegen  ihn  zücken,  und  nicht  in  seiner  Feinde  Schaar 
stehen,  und  nicht  Zeugniss  wider  ihn  geben,  und  nicht  in 
den  Dienst  übermächtiger  Männer  treten,  er  habe  denn  seine 
Erlaubniss  dazu,  noch  auch  ein  fremdes  Gericht  ihm  gegen- 
über besetzen.  Thut  er  eines  dieser  Dinge,  so  soll  er  auf 
den  alten  Sitz  zurückkehren,  auf  welchem  er  früher  gesessen 
war,  und  mit  Geldeswerth  sich  von  demselben  lösen;  auch 
hat  er  sein  Vermögen  verwirkt.  Zwei  sollen  diese  Oblie- 
genheiten erfüllen,  Vater  und  Sohn,  gegen  Zwei  auf  der 
anderen  Seite ;  lässt  sich  aber  der  Sohn  eines  Freigelassenen 
einen  solchen  Verstoss  zu  Schulden  kommen,  so  verwirkt 
er  dadurch  seinem  Herrn  gegenüber  ebensoviel  Geldwerth, 
als  sein  Vater  bezahlt  hat."  Es  sind  also  wirklich  wesent- 
lich Verpflichtungen  der  Treue  und  der  Ehrerbietung,  welche 
unter  den  {)yrmslir  verstanden  werden,  und  wir  haben  keinen 
Grund,  dem  Worte  in  den  Frl>L.  eine  andere  Bedeutung 
beizulegen ,  obwohl  diese  keine  entsprechende  Erklärung 
über  dessen  Sinn  enthalten;  fraglich  erscheint  dagegen,  auf 
welche  Classe  von  Freigelassenen  die  {)yrmslir  zu  beziehen 
sind,  ob  auf  diejenigen,  welche  ihr  Preilassungsbier  noch 
nicht  gehalten  haben,  wie  diess Gjessing  annimmt,^)  oder  auch 
auf   diejenigen,    welche    dasselbe  gehalten  haben,  wie  diess 


1)  GJ)L,  %.  QQ. 

2)  Gjessing,  S.  278. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Rechte.       45 

Eriksen  und  Fr.  Brandt,  R.  Keyser  und  P.  A.  Munch  be- 
haupten.^) Die  Frage  ist  um  so  wichtiger,  als  von  deren 
Beantwortung,  direct  oder  indirect,  sowohl  unsere  Auffass- 
ung des  zwischen  beiden  Classen  von  Freigelassenen  bestehen- 
den Unterschiedes,  als  auch  unser  Verständniss  einer  Reihe 
einzelner  Quellenstellen  sehr  wesentlich  bedingt  wird.  Die 
Beschaffenheit  der  Quellen  uöthigt  mich  aber,  ehe  ich  zu 
ihrer  Erledigung  übergehe,  erst  noch  ein  paar  andere,  auf 
den  Uebertritt  aus  der  nideren  Classe  in  die  höhere  bezüg- 
liche Punkte  klarzustellen,  da  ausserdem  eine  Beweisführung 
in  der  ersteren  Richtung  kaum  verständlich  zu  machen  wäre. 
Die  G^L  stellen  es  der  Regel  nach  ganz  dem  Gutdünken 
des  Freigelassenen  selbst  anheim,  ob  und  wann  er  sein 
Freilassungsbier  halten  wolle; ^)  nur  bezüglich  des 
Sklaven,  der  sich  selbst  freikauft,  schreiben  sie  vor,  dass  er 
noch  ein  volles  Jahr  für  seinen  Freilasser  arbeiten  müsse, ^) 
und  wird  diesem  somit  doch  w^ohl  auch  die  Haltung  des 
Freilassungsbieres  insolange  versagt  gewesen  sein.  Solange 
noch  mindestens  die  Hälfte  seines  Werthes  unbezahlt  war, 
durfte  der  Herr  sogar  trotz  der  erfolgten  Freilassung  deu 
Rest  mit  Schlägen  eintreiben ,  ohne  dadurch  ein  Ge wette 
an  den  König  zu  verwirken,  was  wir  doch  wohl  dahin  zu 
verstehen  haben,  dass  der  Freigelassene  solchenfalls  von  Rechts- 
wegen als  für  den  ausständigen  Theil  seiner  Loskaufssumme  in 
Schuld haft  genommen  galt,  während  es  bei  einem  geringeren 
Betrage  des  Rückstandes  eines  besonderen  Vorbehaltes  des 
Freilassers  bedurfte,  um  ihn  der  Schuldhaft  für  denselben 
zu    unterwerfen.^)    Auch  die  Fr[>L.  kennen  äuliche  Bestim- 


1)  Eriksen,   S.   56;    Fr.  Brandt,   S.   204—5;   R.  Keyser,  S. 
293;  Munch,  II,  S.  964—65. 

2)  G])L.,  §.  62. 

3)  ebenda.  §.  61. 

4)  vgl   meine  Abhandlung :  Die  Schuld knechtschaft  nach  altnordi- 
schem Rechte,  S.  7—8. 


46        Sitzung  der  phüos.-philoL  Classe  vom  9.  Februar  1S78. 

mungen.  Darauf  ist  zunächst  kein  Wertb  zu  legen,  dass 
sie  den  Freigelassenen,  der  sein  Freilassungsbier  halten 
will,  anweisen,  sich  die  Erlaubniss  dazu  von  seinem  Frei- 
lasser zu  erbitten ;  ^)  der  Verlauf  der  Stelle  zeigt  nämlich, 
dass  der  Act  auch  in  dem  Falle  rechtsgültig  vor  sich  gehen 
konnte,  da  der  Herr  die  erbetene  Erlaubniss  versagte,  und 
die  Bitte  war  somit  nur  eine  zu  Ehren  des  Herrn  ange- 
ordnete Förmlichkeit  ohne  ernstliche  Bedeutung.  Dagegen 
ist  zu  beachten ,  dass  dem  Freigelassenen ,  welcher  sich  als 
selbstständiger  Landwirth  setzen  will ,  die  Haltung  seines 
Bieres  schlechthin  geboten  werden  zu  wollen  scheint,^)  was 
sich  auch  recht  wohl  erklärt,  da  die  selbstständige  Bewirth- 
schaftung  eines  Hofes  kaum  mit  den  Beschränkungen  ver- 
einbar war,  denen  der  Freigelassene  geringerer  Ordnung 
in  Bezug  auf  seine  Freizügigkeit,  seine  vermögensrechtlichen 
Verfügungen,  u,  dgl.  unterlag;  wenn  dem  gegenüber  eine 
andere  Stelle  die  Landleihe  in  beschränkterem  Umfange 
auch  diesem  letzteren  zugänglich  sein  lässt,^)  ist  dabei  doch 
wohl  nur  an  ganz  kleine  Gutsparcellen  zu  denken.  Nicht 
zu  übersehen  ist  ferner,  dass  dem  Unfreien,  der  sich  selber 
loskauft,  nicht  einmal  die  Freiheit  gegeben  werden  soll,  ehe 
er  wenigstens  seinen  halben  Preis  erlegt  hat,  und  dass  im 
Falle  der  Verletzung  dieser  Vorschrift  der  Freigelassene 
zwar  seinem  Freilasser,  aber  nicht  Andern  gegenüber 
bussberechtigt  ist.  *)  Insoweit  sind  also  die  Fr{)L.  noch 
strenger  als  die  G{>L. 

So  gross  übrigens  der  Abstand  zwischen  beiden  Classen 
von  Freigelassenen  ist,  so  gilt  doch  die  Haltung  des  Frei- 
lassungsbieres    nicht   unter    allen    Umständen    als 


1)  FrUj  ,  IX,  §.  12.     In  dem  Satze:  „nü  vill  skapdrottinn  hans 
leyfa  honoin"  ist  augenscheinlich  das  „eigi"  ausgefallen. 

2)  ebenda;  auch  BjaikR.,  HI,  §.  166. 

3)  PrJ.L.,  XI,  §.  2  J. 

4)  Ebenda,  IV,  §.  55. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnonvegisehem  Rechte.       47 

erforderlich,  um  den  Einzelnen  aus  der  geringeren  Classe 
in  die  höhere  aufsteigen  zu  lassen,  und  die  in  den  Rechts- 
büchern vorgesehenen  Ausnahmsfälle  sind  für  das  Verständ- 
niss  der  ganzen  Lehre  nicht  ohne  Bedeutung.  Als  un  not  big 
bezeichnen  aber  zunächst  die  G[>L  das  Freilassungsbier  in 
dem  Falle,  da  Jemand  „fellr  frjäls  ä  jörS".^)  Es  kann  dar- 
unter, zumal  wenn  man  die  änliche  Ausdriicksweise  eines 
isländischen  Rechtsbuches  vergleicht,^)  nur  der  Fall  verstan- 
den werden,  da  die  betreffende  Person  zwar  mit  einer  un- 
freien Mutter  erzeugt,  aber  vermöge  einer  inzwischen  er- 
folgten Freilassung  dieser  letzteren  doch  immerhin  frei  ge- 
boren wurde,  denn  an  den  Sohn  eines  Freigelasseneu,  auf 
welchen  der  Ausdruck  auch  passen  würde,  darf  nach  dem 
Zusammenhange  der  Stelle  doch  wohl  kaum  gedacht  werden, 
sofern  diese  im  Uebrigen  nur  vom  Freigelassenen  selbst 
spricht.  An  diesen  Fall  reiht  sich  sodann  der  andere  an, 
da  ein  unfrei  Geborener  freigelassen  wurde,  ehe  er  noch 
3  Jahre  alt  war,  und  sofort  als  frei  auferzogen  wurde,  ohne 
dass  eine  Schuld  auf  ihn  gelegt  worden  wäre.^)  Die  Ver- 
gleichung  zweier  anderer  Stellen  des  Rechtsbuches  zeigt,**) 
dass  dabei  an  den  {»yborinn  sonr  zu  denken  ist,  d.  h.  an 
den  Sohn ,  welchen  ein  freier  Mann  mit  einem  unfreien 
Weibe  gewinnt,  und  welcher  sodann  schon  in  frühester  Ju- 
gend von  seinem  Vater  oder  den  Verwandten  seines  Vaters 
als  solcher  anerkannt  und  freigelassen  wurde.  Die  beiden 
bisher  besprochenen  Fälle  haben  Das  unter  sich  gemein, 
dass  bei  ihnen  die  Beziehungen  des  unfrei  Erzeugten  zu 
einer  freien  Verwandtschaft,  und  dessen  liberale  Erziehung 
von  seiner  frühesten  Jugend  auf  in  Anschlag  gebracht  wer- 
den ;  dagegen  muss  von  einem  ganz  anderen  Gesichtspankte 

1)  G1>L.,  §.  61. 

2)  Kgsbk,  §.  229,  S.  165:  ok  felli  haiin  änau^-igr  ä  jörd*. 

3)  Gt-L.,  §    6!. 

4)  ebenda,  §.  57,  S.  31  und  §.  104. 


48        Sitzmi'j  der  pliilob.-philoL  Chisse  vom  9.  Februar  187  S. 

aus  die  weitere  Vorsclirift  erklärt  werden,  dass  auch  der- 
jenige Mann  kein  Freilasssungsbier  zu  halten  braucht,  welchem 
der  König  die  Freiheit  schenkt.*)  Mag  sein,  dass  die  Art. 
wie  der  Freilasser  bei  dem  Freilassungsbiere  mitzuwirken 
hat,  für  den  König  nicht  recht  passend  erschien ;  zumal  aber 
mochte  der  Gedanke  massgebend  geworden  sein,  dass  die  vom 
König  geschenkte  Freiheit  gleich  von  Anfang  an  als  voll 
und  allseitig  wirksam  betrachtet  werden  müsse,  und  stellt 
sich  diese  Vorschrift  insoweit  der  andern  an  die  Seite,  das« 
alle  vom  König  gegebenen  Gaben  unanfechtbar  sein  sollen,'^) 
und  dass  vom  König  als  „heiÖfe*'  oder  ,,drekkulaun''  ge- 
gebenes Land  die  Stammgutseigenschaft  an  sich  tragen  soll.^) 
Wir  werden  übrigens  wohl  annemen  dürfen  ,  obwohl  diess 
nirgends  ausdrücklich  gesagt  wird,  dass  die  gleiche  Bestim- 
mung auch  auf  die  vom  Dingverbande  oder  von  den  ein- 
zelnen Volkslanden  Freigelassenen  Anwendung  gefunden 
haben  werde,  denn  einerseits  wäre  kaum  abgesehen,  wer 
ihnen  gegenüber  die  Rolle  des  Freilassers  hätte  übernemen 
sollen,  andererseits  wird  uns  ausdrücklich  gesagt,  dass  für 
sie  keine  Heerlast  zu  tragen  sei,*)  was  doch  wohl  auch  das 
Nichtvorhandensein  eines  Freilassen^  voraussetzt ;  die  6  aurar^ 
welche  die  Dinggemeinde  zum  Behufe  der  Freilassung  beizu- 
steuern hat ,  während  im  üebrigen  die  Beschaffung  des 
Freizulassenden  der  Reihe  nach  den  einzelnen  Volkslanden 
obliegt,  dürfen  demnach  nicht,  wie  Gjessing  will,'^j  als  leys- 
ingsaurar  aufgefasst  werden,  sondern  lediglich  als  ein  Bei- 
trag zum  Ankauf-tpreise  des  Sklaven,  wobei  auf  die  Bestim- 
mung seiner  Höhe  allenfalls  der  Umstand  eingewirkt  haben 
mochte,    dass  12  aurar   in   der   altern  Zeit  als  der  Durch- 


1)  GJ)L.,  §.  61. 

2)  ebenda,  §.  129. 

3)  ebenda,  §.  270. 

4)  ebenda,  §.  298. 

5)  Gjessing,  S.  198  und  267, 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Hechte.      49 

scliuittspreis  eines  Sklaven  (f)rselsgjöld)  galten.^)  Endlich,  soll 
aber  auch  der  Freigelassene  sein  Bier  zu  halten  nicht  nöthig 
haben,  welchem  sein  Herr  die  Freiheit  ,,skattalaust  ok  skulda'' 
gegeben  hat ;  ^)  dabei  wird  man  aber  nicht  nothwendig,  wie 
wohl  geschehen  ist,^)  an  eine  unentgeldliche  Freilassung  zu 
denken  haben ,  sondern  an  jede  Freilassung  denken  dürfen, 
bei  welcher  der  Freilasser ,  möge  sie  nun  gegen  Entgeld 
oder  unentgeltlich  erfolgt  sein ,  für  die  Zukunft  auf  jede 
Abgabe  und  Dienstpflicht  verzichtet  hat,  so  dass  also  auch 
der  Loskauf  eines  Sklaven  um  seinen  vollen  Werth  unter 
den  Begriff  fällt,  soferne  nur  Zug  um  Zug  mit  der  Frei- 
lassung der  gesammte  Preis  baar  bezahlt  wurde  Entscheidend 
für  diese  Auslegung  scheint  mir,  neben  einer  gleich  nachher 
zu  besprechenden  analogen  Satzung  der  Fr{>L.,  dass  der  Ver- 
zicht auf  jede  künftige  Leistung  insbesondere  auch  einen, 
unwiderruflichen/)  Verzicht  auf  die  leysingsaurar  enthält, 
dessen  Ablegung  die  Haltung  des  Freilassungsbieres  denn 
doch  gegenstandslos  machen  musste.  üebrigens  wird  von 
demjenigen ,  welchem  die  Freiheit  ohne  Vorbehalt  irgend- 
welcher Leistung  gegeben  wurde,  gesagt,  dass  er  zwar  seine 
volle  Freiheit  in  Bezug  auf  Verehelichung  und  Vermögens- 
dispositionen erlange,  aber  doch  den  {)yrmslir  seinem  Frei- 
lasser gegenüber  unterworfen  bleibe;  da  erst  hinterher  von 
dem  Freigelassenen  des  Königs  und  von  dem  in  frühester 
Jugend  freigelassenen  J>/borinn  sonr  gesprochen  wird,  und 
zwar  ohne  solchen  Beisatz,  wird  man  anzunemen  haben,  dass 
bei  diesen  beiden  Kategorien  von  Leuten  auch  die  {)yrmslir 
wegfielen.  Wirklich  sagen  von  dem  I>yborinn  sonr  die  Frl)L. 
ausdrücklich:^)   „hann   skal   vi8  engan  mann  t)yrmaz'^,  und 


1)  vgl.  Gj  es  sing,  S.  123—25. 

2)  G5L.,  §.  61. 

3)  vgl.  Gjessing,  S.  263. 

4)  Gt.L.,  §.  129. 

5)  FrjL.,  X,  §.  47. 

[1878  I.  Philos.-philol.  bist.  Cl.  1.] 


50         Sitzung  der  phüos.-pMloL  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

überdiess  würde,  da  sich  bei  ihm  die  Freilassung  ohne  Vor- 
behalt irgendwelcher  Dienste  und  Abgaben  von  selbst  ver- 
stand, sein  Fall  an  unserer  Stelle  unmöglich  neben  dem  des 
„skattalaust  ok  skulda''  Freigelassenen  gesondert  aufgeführt 
sein  können ,  wenn  nicht  seinen  eigenthümlichen  Voraus- 
setzungen auch  eigenthümliche  Wirkungen  entsprochen  hätten; 
endlich  erklärt  sich  auch  vollkommen  befriedigend ,  dass 
beim  Freigelassenen  des  Königs  die  allgemeine  Unterthanen- 
pflicht,  und  beim  t)yborinn  sour  die  Ver wandten pflicht  kräftig 
genug  war,  um  jeden  Gedanken  an  die  {)yrmslir  zurückzu- 
drängen. Auffällig  ist  dagegen,  dass  der,  ,,er  frjäls  fellr  ä  jörÖ", 
mit  dem  ohne  Vorbehalt  Freigelassenen,  und  nicht  mit  dem 
l)yborinn  sonr  zusammengestellt  wird ;  indessen  ist  doch  aus 
dem  Zusammenhange  der  Stelle  ersichtlich,  dass  die  auf  ihn 
bezüglichen  Worte  ein  späteres  Einschiebsel  sind,  sodass  die 
doppelte  Möglichkeit  besteht,  dass  dieselben  an  den  unrechten 
Ort  zu  stehen  gekommen  wären,  oder  dass  wenigstens  bei 
ihrer  Einschiebung  nur  an  die  Worte:  „{)ä  {)arf  sä  eigi  at 
gera  frelsisöl  sitt",  welchen  sie  zunächst  folgen,  aber  nicht 
an  die  weiter  abstehenden  Worte:  ^6  skal  bann  vera  i 
I>yrmslum  viS  skapdrottin  sinn"  gedacht  worden  sei,  und  im 
einen  wie  im  anderen  Falle  würde  sich  annemen  lassen,  dass 
auch  dieser  Kategorie  von  Leuten  die  Befreiung  von  den 
f)yrmslir  zu  Theil  wurde.  Wenn  aber  nach  dem  eben  Be- 
merkten in  den  Fällen,  in  welchen  der  Eintritt  eines  Frei- 
gelassenen in  die  höhere  Classe  von  Rechtswegen  und  ohne 
Haltung  seines  Freilassungsbieres  sich  vollzieht,  das  Mass 
der  Wirkungen  dieses  Eintrittes  ein-  verschiedenes  ist,  so 
kann  überdiess  auch  in  jenen  anderen  Fällen,  in  welchen 
der  Uebertritt  aus  der  niederen  in  die  höhere  Classe  durch 
einen  Privatact  vermittelt  wird,  eine  änliche  Verschiedenheit 
in  Bezug  auf  die  dem  Freigelassenen  erwachsenden  Rechte 
vorkommen.  Die  Gl)L.  sprechen  nämlich  den  Satz  aus : 
„kaupa  mä  leysingi  arf  börnum  sinum,  ef  I>eir  ver5a  sättir  ä, 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Rechte.       51 

{>ä  er  {)at  jamnfullt,  sem  bann  hafSi  skirt  far  sitt",  *)  und 
da  der  letztere  Ausdruck,  wie  oben  schon  bemerkt  wurde,  ^) 
doch  nur  auf  die  Haltung  des  Freilassungsbieres  bezogen 
werden  kann ,  gestatten  sie  damit ,  dass  durch  besonderen 
Vertrag  der  Eintritt  einer  einzelnen  unter  den  mehrfachen 
Wirkungen  ausbedungen  werden  möge,  welche  sich  sonst  an 
die  Vorname  jenes  Actes  zu  knüpfen  pflegen,  während  dessen 
übrige  Wirkungen  von  dem  Vertrage  unberührt  bleiben.  — 
Weniger  klar  sprechen  sich  die  Fr{)L.  über  die  Ausnams- 
fälle  aus,  in  welchen  die  Haltung  des  Freilassungsbieres 
überflüssig  erscheint ;  doch  kennen  auch  sie  immerhin  einige 
solche.  Einmal  nämlich  sagen  sie,  wie  oben  schon  bemerkt, 
von  dem  {)^borinn  sonr,  der  in  frühester  Jugend  freigelassen 
wurde,  dass  er  Niemanden  gegenüber  den  {)yrmslir  unter- 
liegen solle;  ^)  wenn  dabei  dieser  Satz  in  verschiedener  Wort- 
fassung  zweimal  hinter  einander  widerholt  wird,  erklärt 
sich  diess  doch  wohl  aus  einer  gleichzeitigen  Benützung 
zweier  verschiedener  Bearbeitungen  des  Rechtsbuches ,  wie 
ähnliches  öfter  vorkommt.  Weiterhin  wird  aber  von  dem 
Manne,  der  eigens  zum  Zwecke  seiner  Freilassung  gekauft 
wurde,  ebenfalls  wider  gesagt :  ,,skal  sä  maSr  vi6  engan  mann 
{»yrrnaz";"^)  in  diesem  letzteren  Falle  wird  ausdrücklich  bei- 
gefügt, dass  das  Erbrecht  und  die  Alimentationspflicht  des 
Freilassers  dem  Freigelassenen  gegenüber  bestehen  bleibe, 
solange  dieser  sein  Freilassungsbier  nicht  gehalten  habe, 
wogegen  für  den  ersteren  Fall  die  Analogie  der  Gl>L.  wahr- 
scheinlich macht,  dass  mit  den  {)yrmslir  auch  alle  anderen 
Zurücksetzungen  weggefallen  sein  werden,  deren  Beseitigung 
sich  sonst  an  die  Haltung  des  Freilassungsbieres  knüpfte. 
Vom  Freigelassenen  des  Königs  und  von  dem,  der  frei  ge- 

1)  GJ)L.,  §.  66. 

2)  siehe  oben  S.  37. 

3)  Fr5L.,  X,  §.  47. 

4)  ebenda,  IX,  §.  13. 


52         Sitzung  der  phüos.'philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

boren,  aber  unfrei  erzeugt  ist,  endlich  von  dem  ohne  Vor- 
behalt von  Diensten  und  Abgaben  Freigelassenen  sprechen 
die  Fr{>L.  nicht;  doch  wird  man  aus  diesem  ihrem  Schweigen 
kaum  Schlüsse  ziehen  dürfen,  da  ja  eine  änliche  Behandlung 
dieser  Leute  wie  die  in  den  G{)L.  vorgesehene  recht  wohl 
stillschweigend  vorausgesetzt  werden  mochte.  Um  so  häu- 
figer erwähnt  dagegen  dieses  Rechtsbuch  des  Abkaufens  der 
Folgen,  welche  sich  an  die  unvollständige  Freilassung  knüpfen, 
und  des  besonderen  Vertrages,  welcher  solchenfalls  als  Sur- 
rogat für  die  Haltung  des  Freilassungsbieres  eintritt,  und 
gerade  seine  dessfallsigen  Angaben  haben  für  uns  erhebliche 
Bedeutung.  Für  den  Abschluss  dieses  Vertrages  brauchen 
die  Fr{»L.  den  Ausdruck  :  ,,kaupa  {>ymrslur  af  ser  ok  van8er5", 
oder  vom  Standpunkte  des  Freilassers  aus  gesprochen: 
„selja  t)yrmslur  maS  tryggSum" ;  ^)  sie  besprechen  den  Fall : 
„at  frelsisöl  hans  var  gjört  eSa  mältryggt",  und  den  Frei- 
gelassenen: „er  frelsisöl  sitt  hefir  gjört  eSa  keypt  meS 
tryggSum",  ^)  oder  umgekehrt  die  anderen  Freigelassenen: 
„er  eigi  hafa  keypt  {>yrmslur  af  ser",^)  und  sie  zeigen  da- 
mit recht  deutlich,  dass  das  Abkaufen  der  {)yrmslir  in  der 
Regel  als  Ersatz  für  die  Haltung  des  Freilassungsbieres 
bezüglich  aller  ihrer  Wirkungen  galt,  womit  natürlich  nicht 
ausgeschlossen  war,  dass  in  einzelnen  Fällen  zwischen  den 
verschiedenen  Wirkungen,  welche  diese  zu  äussern  pflegte, 
unterschieden,  und  nur  ein  Theil  derselben  vertragsweise 
verwirklicht  werden  mochte.  Zu  demselben  Ergebnisse 
führen  aber  auch  die  Angaben  über  das  Verfahren,  welches 
bei  einem  Streite  über  das  Patronatsverhältniss  einzuhalten 
war.  *)  Behauptet  der  Kläger  die  „vorn",  d.  h.  das  Schutz- 
recht  über  den  Beklagten   zu  haben,   während   dieser   ihm 


1)  Frl)L.,  IX,  §.  14. 

2)  ebenda,  §.  10  und  11. 

3)  ebenda,  XI,  §.  23. 

4)  ebenda,  IX,  §.  10. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Rechte.     53 

dieses  Recht  bestreitet,  so  hat  Jener  zunächst  den  ersten 
Act  der  Freilassung  zu  erweisen,  wogegen  dieser  sich  dann 
nur  noch  durch  den  Beweis  der  Haltung  seines  Freilassungs- 
bieres, oder  des  Abschlusses  eines  diese  ersetzenden  Ver- 
trages vertheidigen  kann;  gelingt  aber  dem  Beklagten  ein 
solcher  Gegenbeweis,  so  soll  er  auch  sofort  „ör  {)yrmslum 
vi6  {)ann  mann"  sein.  Der  Kläger  also  hat  die  Entstehung 
des  Patronatsverhältnisses  durch  die  Freilassung,  der  Be- 
klagte aber,  falls  diese  Beweisführung  gelungen  ist,  dessen 
Beendigung  durch  das  Freilassungsbier  oder  einen  entspre- 
chenden Vertrag  zu  erweisen,  und  das  Gelingen  dieses  letz- 
teren Beweises  hat  zur  Folge,  dass  auch  die  ^yrmslir  als 
erloschen  gelten.  Auch  hier  also  wird  ein  anderweitiger 
Vertrag  als  vollgültiges  Surrogat  für  die  Haltung  des  Frei- 
lasvsungsbieres  betrachtet.  Es  kann  übrigens  kaum  einem 
Zweifel  unterliegen,  dass  in  dieser  Zulassung  eines  ander- 
weitigen Vertrages  anstatt  dieses  letzteren  Formalactes  eine 
spätere  Neuerung  zu  erkennen  sei,  welche,  indem  sie  die 
verschiedenen  an  diesen  letzteren  sich  knüpfenden  Wirkun- 
gen von  einander  zu  trennen  ermöglichte,  nicht  wenig  zur 
Zerrüttung  des  älteren  Systems  der  ,,leysingslög''  beitrug. 
Kehren  wir  nun  nach  dieser  Abschweifung  zu  der  oben 
aufgeworfenen,  aber  nicht  beantworteten  Frage  zurück, 
welcher  Classe  der  Freigelassenen  die  I>yrmslir  oblagen,  so 
lässt  sich  sofort  für  die  Frl>L.  mit  aller  Bestimmtheit  fest- 
stellen, dass  es  lediglich  die  Freigelassenen  geringerer  Ord- 
nung waren,  welche  von  denselben  betroffen  wurden.  Nur 
unter  dieser  Voraussetzung  erklärt  sich  nämlich,  dass  dieses 
Rechtsbuch  das  Abkaufen  der  {)yrmslir  als  ein  Surrogat  für 
die  Haltung  des  Freilassungsbieres  bezeichnen ,  oder  von 
dem ,  der  den  Bewei?  der  Haltung  dieses  letzteren  geführt 
hat,  sagen  kann,  dass  er  „ör  ^yrmslum"  gegenüber  seinem 
Freilasser  sei;  nur  unter  dieser  Voraussetzung  auch,  dass 
unter  Umständen  sogar    von  einem  Manne,    der  sein  Frei- 


54        Sitzung  der  phUos.-phüol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

lassungsbier  uoch  nicht  gehalten  hat,  gesagt  werden  kann, 
dass  er  „vi8  engan  mann  J)yrmaz''  soll.  Aber  auch  für  die 
Gl>L.  scheint  die  Sache  nicht  anders  zu  stehen.  Nur  so 
begreift  sich  nämlich ,  dass  von  dem  in  seiner  frühesten 
Jugend  freigelassenen  Sklavinnensohne  die  G{)L.  sagen  können, 
er  brauche  kein  Freilassungsbier  zu  halten ,  während  die 
Fr|)L.  erklären,  dass  er  ,,vi8  engan  mann  Pyrmaz"  solle,  oder 
dass  es  von  dem  ,,skattalaust  ok  skulda'*  Freigelassenen 
heisst,  er  brauche  zwar  kein  Freilassungsbier  zu  halten,  um 
in  Bezug  auf  Verehelichungsrecht  und  Vermögensdisposi- 
tionen völlig  frei  zu  werden,  solle  aber  dennoch  (po)  den 
I>yrm.slir  unterworfen  bleiben. 

Sofort  erhebt  sich  aber  eine  zweite  Schwierigkeit.  Eben 
jene  von  den  I>yrmslir  handelnde  Stelle  der  G[)L.,  welche 
oben  übersetzt  wurde,*)  legt  solche  nur  dem  Freigelassenen 
selbst  und  seinem  Sohne  auf;  andererseits  aber  spricht  eine 
weitere  Stelle  desselben  Rechtsbuches  dem  Freilasser  und 
seiner  Nachkommenschaft  an  dem  Nachlasse  des  Freigelas- 
senen und  seiner  Nachkommen  ein  Erbrecht  zu ,  welches 
beiderseits  bis  zum  neunten  Grade  reicht,^)  und  auch 
die  Frl^L.  sprechen  von  einem  bis  zum  neunten  Grade  sich 
erstreckenden  Erbrechte ,  während  sie  zugleich  die  I>yrmslir 
bis  zum  vierten  Grade  reichen  lassen.^)  Nach  beiden 
Rechtsbüchern  konnten  also  die  {>yrraslir,  wenigstens  unter 
gewissen  Voraussetzungen  und  innerhalb  gewisser  Grenzen, 
über  die  Person  des  Freigelassenen  hinaus  auf  seine  Nach- 
kommen sich  vererben ,  während  die  ihnen  gegenüber- 
stehenden Rechte  des  Freilassers  in  derselben  Weise  auf 
dessen  Nachkommen  übergiengen;  nach  beiden  Rechtsbücheru 
blieben  aber  auch  nach  Beseitigung  der  |)yrmslir  noch 
immer  gewisse  weitere  Rechtsfolgen  der  Freilassung   übrig, 


1)  G5L.,  §.  66;  s.  oben  S.  44. 

2)  ebenda,  §.  106. 

3)  Frl)L,  IX,  §.  11. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Eechte.     55 

welche  sich  im  Hause  des  Freilassers  sowohl  als  des  Frei- 
gelassenen noch  auf  eine  weitere  Reihe  von  Generationen 
vererbten.  Nach  beiden  Seiten  hin  sind  die  einschlägigen 
Quellenstellen  so  wichtig,  und  zugleich  so  schwer  zu  ver- 
stehen, dass  sie  einer  genaueren  Betrachtung  schlechterdings 
bedürfen.  Es  wird  aber  zunächst  in  den  GfL.,  nachdem 
das  verwandtschaftliche  Erbrecht  bis  zu  den  Nachgeschwister- 
kindern, herab  unter  13  fortlaufenden  Nummern  besprochen 
worden  war,  mit  den  Worten  fortgefahren  ^) :  „Her  skyrir 
um  leysings  erfS.  Nu  er  hin  fjügrtända  leysings  erfS.  hana 
skal  taka  til  niunda  knes.  fyrr  en  undir  konong  gange. 
]3egar  leysings  sun  tekr  efter  faSur  sinn,  fä  take  hverr 
efter  annan.  Nu  verSr  {»ar  aldauSa  arfr  i  leysings  kyni.  ok 
er  engi  sä  maör  er  {>ar  er  i  erfSa  tale  vi8  hann.  er  andaSr 
er  ör  leysings  kyninu.  ^a  skal  hinn  er  ör  skapdröttens 
kvisl  er.  taka  til  niunda  knes  fyrr  en  undir  konong  gange. 
p6  at  sä  se  hinn  ätte  er  andaÖr  er  frä  leysingjanom.*'  Die  Stelle 
unterscheidet  zunächst  das  Erbrecht  auf  Grund  der  Ver- 
wandtschaft von  dem  auf  Grund  der  Freilassung,  und  setzt 
beiden  wider  den  Anspruch  des  Königs  auf  die  herrenlose 
Erbschaft  entgegen;  sie  bestimmt  ferner,  dass  dieser  An- 
spruch des  Königs  erst  dann  zum  Zuoje  kommen  solle, 
wf»nn  im  gegebenpii  Falle  keines  jener  beid<^n  Erbrechte  be- 
gründet sei.  In  gleicher  Weise  lä«!st  die  Stelle  das  ver- 
wandtschaftliche Erbrecht  dem  auf  die  Freilassuntr  bpyriin- 
deten  vorgehen,  und  somit  dieses  letztere  erst  dann  Platz 
greifen,  wenn  die  ganze  Nachkominen«;chaft  des  Freigelas- 
senen ausgestorben  ist;  sie  setzt  aber  für  das  Erbrecht 
dieser  letzteren  voraus,  dass  des  Freigelassenen  Sohn  seines 
Vaters  Erbe  neme ,  d.  h  dass  der  Freigelassene  selbst 
sein  Freilassungsbiei-  gehalten,  oder  doch  durch  anderweitigen 
Vertrag  seinen  Kindern  das  Erbrecht  verschafft  habe,    und 


1)  G5L.,  §    106. 


56         Sitzung  der  phüos.'philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

sie  lässt  somit  den  anderen  Fall  unbesprochen ,  da  diess 
nicht  geschehen  war.  Ist  nun  aber  die  ganze  Nachkommen- 
schaft des  Freigelassenen  ausgestorben,  so  soll  das  Erbrecht 
auf  Grund  der  Freilassung  bis  zum  9.  Grade  reichen,  und 
zwar  beiderseits,  so  dass  also  die  Nachkommenschaft  des 
Freilassers  bis  zum  9.  Grade  die  Nachkommenschaft  des 
Freigelassenen  bis  zu  demselben  Grade  beerbt,  und  zwar 
wird  dabei ,  wie  die  letzten  Worte  der  Stelle  zeigen ,  der 
Freigelassene  selbst,  und  somit  natürlich  auch  der  Freilasser 
selbst  mitgezählt,  so  dass  beiderseits  der  8.  Nachkomme  in 
gerade  absteigender  Linie  der  letzte  Erbende,  beziehungs- 
weise Beerbte  ist.  iEnlich ,  aber  in  mancher  Beziehuug 
noch  deutlicher,  sprechen  sich  die  Fr{>L  aus ,  ^)  und  lauten 
deren  Worte  folgendermassen :  „Um  {jyrmsl  ok  erfSir  leys- 
ingja.  Leysingja  sett  ero  4.  menn  i  pyrmslnm.  en  hinn 
5.  er  ör  l)öat  eigi  se  keyptr.  En  leysingi  sä  er  frelsisöl 
sitt  hefir  gjört  eSa  keypt  me5  tryggSum.  sä  skal  taka  arf 
sunar  sins  ok  döttor  ok  leysingja  sins  hins  friSja.  En 
synir  leysingja  skulo  taka  6.  manna  arf.  föSor  ok  möÄor 
ok  sunar  ok  döttor  ok  bröSor  ok  systor  ok  leysingja  sius 
hins  7.  Svä  skal  sunr  leysingja  taka  ok  sunarsunr  ok  I)ess 
sunr  I>eir  er  svä  taka  ok  svä  döttir  ok  systir  sem  sunr  ok 
bröSir  ef  ^eir  ero  eigi  til.  ok  svä  skal  hvärt  l>eirra  hyggja 
fyrir  öSru.  En  I)egar  {>ä  6.  menn  liÖr,  I>a  hverFr  aftr  undir 
skapdröttinn  arf v an  öll  til  niunda  knes  ok  svä  fyrir  hyggja 
ef  I)ess  I>arf."  Es  sollen  also  nach  dieser  Stelle  die  l)yrmslir, 
solange  sie  nicht  abgekauft  oder  durch  die  Haltung  des 
Freilassungsbieres  beseitigt  sind,  neben  dem  Freigelassenen 
selbst  auch  noch  3  Graden  seiner  Descendenz  obliegen,  näm- 
lich wie  im  Folgenden  gesagt  wird ,  dessen  Sohn ,  Enkel 
und  Urenkel,  wogegen  der  Sohn  dieses  letzteren  von  den- 
selben von  Rechtswegen  frei  wird,  auch  wenn  eine  vertrags- 


1)  Fr])L.,  IX,  §.  U. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  "Rechte.       57 

weise  Beseitigung  solcher  Abhängigkeit  nicht  stattgefunden 
hat ;  wenn  demnach  gesagt  wird ,  dass  4  Personen  den 
t)yrmslir  unterliegen,  und  erst  die  5te  von  ihnen  frei  werde, 
so  ist  dabei,  wie  iu  der  obigen  Stelle  der  G{)L.,  der  Frei- 
gelassene selbst  mitgezählt.  Weiterhin  bespricht  aber  die 
Stelle  auch  noch  den  anderen  Fall,  da  der  Freigelassene 
sein  Freilassnngsbier  gehalten,  oder  sich  von  dessen  Haltung 
freigekauft  hat,  und  sie  gesteht  für  diesen  Fall  dem  Frei- 
gelassenen selbst  seinen  Kindern  gegenüber  ein  Erbrecht 
zu,  welches  ihm  oflPenbar  in  jenem  anderen,  zuvor  be- 
sprochenea  Falle  nicht  zukommen  sollte,  wie  diess  in  der 
That  nach  den  obigen  Auseinandersetzungen  sich  von  selbst 
versteht;  sie  räumt  ferner  den  Kindern  des  Freigelassenen 
nicht  nur  ihren  eigenen  Kindern ,  sondern  auch  ihren 
^Eltern  und  Geschwistern  gegenüber  ein  Erbrecht  ein,  und 
verfährt  ebenso  bezüglich  der  Enkel  und  Urenkel  des  Frei- 
gelassenen, während  sie  zugleich  dem  Freilasser  und  seiner 
Nachkommenschaft  ein  eventuelles  Erbrecht  gegenüber  dem 
Freigelassenen  und  seinen  Nachkommen  für  den  Fall  ge- 
währt, dass  erbberechtigte  Personen  innerhalb  des  Ge- 
schlechtes dieses  letzteren  nicht  vorhanden  sein  sollten.  Die 
Sache  stand  demnach  so,  dass  die  Zurücksetzungen,  denen 
sich  der  Freigelassene  geringerer  Ordnung  ausgesetzt  sah, 
und  zu  denen  ausser  den  l)yrmslir  auch  die  Entziehung  des 
Erbrechts  u.  dgl.  gehörte ,  sich  von  Rechtswegen  nach  den 
G{)L.  noch  auf  den  ersten,  nach  den  Fr{>L.  aber  noch  auf 
die  3  ersten  Grade  seiner  Descendenz  erstreckten,  wogegen 
nach  den  G{>L.  dessen  Enkel,  nach  den  Fr|>L.  aber  der  Sohn 
seines  Urenkels  von  denselben  ohne  Weiters  frei  wurde, 
und  eben  damit  sofort  in  den  Kreis  der  freien  Geschlechter 
einrückte.  Aber  dieselbe  Wirkung  konnte  bereits  vor  dem 
Ablaufe  der  betreffenden  Anzahl  von  Generationen  dadurch 
erzielt  werden,  dass  von  dem  Freigelassenen  sein  Freilas- 
sungsbier  gehalten,    oder  ein  dasselbe   ersetzender  Vertrag 


58         Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

mit  dem  Freilasser  geschlossen  wird ;  docli  bleibt,  gleichviel 
ob  das  Freilassangsbier  gehalten  oder  nicht  gehalten  wird, 
ein  subsidiäres  Erbrecht  des  Freilassers  und  seiner  Nach- 
kommenschaft für  den  Fall  bestehen,  dass  im  Geschlechte 
des  Freigelassenen  selbst  erbberechtigte  Personen  nicht  vor- 
handen sein  sollten ,  und  dieses  subsidiäre  Erbrecht  reicht 
nach  beiden  Rechtsbüchern  ganz  gleichmässig  bis  zum  9. 
Grade.  Auf  das  Erbrecht  beschränkt  sich  übrigens  die  fort- 
dauernde Beziehung  zwischen  beiden  Häusern  nicht;  viel- 
mehr ist  auch  von  einer  ,,fjrirhyggja''  die  Rede,  unter 
welcher  wir,  nach  der  Überschrift  einer  anderen  Stelle  zu 
schliessen,  ^)  zunächst  die  Verpflichtung  zur  Versorgung 
dürftiger  Angehöriger,  vielleicht  aber  überdiess  auch  noch 
die  Berufung  zur  Vormundschaft  über  minderjährige  zu 
verstehen  haben.  Auch  die  G{>L.  wissen  von  einer  gegen- 
seitigen Alimentationspflicht,  welche  zwischen  den  Häusern 
des  Freilassers  und  des  Freigelassenen  besteht;  ich  will  in- 
dessen ihre  Erörterung  sowohl  als  die  einiger  erbrechtlicher 
Fragen  mir  auf  später  versparen,  da  sie  ihre  besonderen, 
für's  Erste  noch^  nicht  wohl  zu  bewältigenden  Schwierig- 
keiten bietet.  Vorerst  möchte  ich  vielmehr  noch  einige 
die  Nachkommenschaft  der  Freigelassenen  betreffende  Fragen 
erledicjen ,  um  hiedurch  di*^  Prüfung  jener  schwierigeren 
Zweifelspnnkte   vorzubereiten. 

Widerholt  wird  von  einem  Vorzuge  gesprochen,  welcher 
dem  Sohne  des  Freigelassenen  seinem  Vater  gegenüber  zu- 
komme, und  als  leysingja«;onr  wird  derselbe  dabei  be- 
zeichnet, ohne  dass  dabei  zumei-^t  angedeutet  würde,  welche 
Classe  von  Freigelassenen  damit  in  Bezug  genommen  wer- 
den wolle.  Die  Bj>L.  lassen  zwar,  wie  oben  schon  bemerkt 
wurde,  die  leysingia  börn  auf  dem  Begräbuissplatze  der  levs- 
ingjar,  und  die  frjälsgjafa  börn  auf  dem  der  frjälsgjafar  be- 


1)  Frl-L,  IX,  §.  25;  vgl.  auch  §.  13,  ebenda. 


Maurer '.  Die  Freigelassenen  nach  altnorivegiscliem  Hechte.      59 

erdigen,  *)  und  stellen  auch  hinsichtlich  der  blutigen  Rache, 
welche  wegen  der  Kränkung  von  Weibern  genommen  wer- 
den darf,  die  frjälsgjafar,  leysingjar  und  leysingjasynir  unter 
sich  ganz  gleich  ;*)  aber  in  Bezug  auf  den  Betrag  des  Grab- 
kaufes,^)  dann  in  Bezug  auf  die  Höhe  der  ünzuchtsbusse  *) 
stufen  sie  alle  drei  Classen  unter  sich  ab ,  w^obei  nicht  un- 
bemerkt zu  lassen  ist,  dass  der  frjälsgjafi,  leysingi  und  höldr 
unter  einander  in  dem  normalen  Verhältnisse  von  1:2:4 
stehen,  wogegen  sich  der  leysmgjasonr  mit  einem  abnormen 
Ansätze  in  die  Bussskala  zwischen  die  beiden  letzteren  hinein- 
schiebt. Ganz  ebenso  steht  die  Sache  auch  nach  den  E{)L., 
■•ndera  auch  diese  zwar  auf  dem  Kirchhofe  die  leysingjar  mit 
ihren  Kindern  und  die  frjälsgjafar  mit  den  ihrigen  je  in 
einer  gemeinsamen  Abtheilung  beerdigen  lassen,  ^)  aber  in 
Bezug  auf  den  Betrag  des  legkaup  den  leysingjason  vom 
leysingi  unterscheiden,  und  dem  ersteren  einen  unorganischen 
Ansatz  zwischen  dem  letzteren  und  dem  höldr  anweisen.^) 
In  diesen  beiden  Rechtsbüchern  kann  natürlich  unter  dem 
besonders  aufgeführten  leysingjason  nur  der  Sohn  eines 
Freigelassenen  höherer  Ordnung  verstanden  werden,  da  sie 
ja  die  Bezeichnung  leysingi  auf  diesen  beschränken ;  minder 
sicher  ist  dagegen  die  Auslegung  bei  den  Gt>L.,  welche  an 
einer  Reihe  von  Stellen  dem  leysingjason  gleichfalls  einen 
eigenen  Busssatz  zwischen  dem  leysingi  und  d^m  böndi  ein- 
räumen, ^)  ohne  sich  in  dieser  Beziehung  auszusprechen. 
Man  wird  indessen  darauf  Werth  legen  dürfen ,  dass  eine 
andere  Stelle  desselben  Rechtsbuchs,  welche  die  Werthgrenze 


1)  BDL.,  I,  §.  9;  II,  §.  18;  III,  §.  13. 

2)  ebenda,  II,  §.   15. 

3)  ebenda,  I.  §    12;  II,  §.  20. 

4)  ebenda,  II,  §.  14. 

5)  E))L.,  I,  §.  50;  II    §.  39. 

6)  ebenda,  I,  §.  48;  II.  §.  37. 

7)  Gl)L.,  §.  91,  185,  198,  200. 


60        Sitzung  der  philos.-philol.  Ölasse  vom  9.  Februar  1878, 

bespricht,  bis  zu  welcher  die  Weiber  der  verschiedenen  Volks- 
classen  über  Vermögenstheile  verfügen  dürfen,  ausdrücklich 
das  Weib  des  Freigelassenen,  welcher  sein  Freilassungsbier 
gehalten  hat,  dem  Weibe  seines  Sohnes  gegenüberstellt,^) 
und  man  wird  überdiess  auch  hieher  ziehen  dürfen,  dass  die 
Kinder  zweier  Freigelassenen,  welche  beide  ihr  Freilassungs- 
bier noch  nicht  gehalten  haben ,  nach  wider  einer  andern 
Stelle  als  ,.jafnrettismenn  viS  föSur  sinn"  bezeichnet  werden,^} 
also  keine  höhere  Busse  beziehen  sollen  als  die  ihres  Vaters; 
dass  auch  nach  diesem  Rechtsbuche  nur  dem  Sohn  des  Frei- 
gelassenen höherer  Ordnung  ein  grösserer  Bussbezug  als 
der  seines  Vaters  zugestanden  sein  konnte,  dürfte  sich  aus 
beiden  Angaben  immerhin  folgern  lassen.  In  den  Fr{)L. 
endlich  wird  gleichfalls  nicht  selten  dem  leysingjason  eine 
höhere  Busse  zugewiesen  als  dem  leysiiigi  selbst ,  ^)  und 
wenn  das  Gleiche  an  einigen  anderen  Stellen  dieses  Rechts- 
buches nicht  der  Fall  ist,*)  so  mag  sich  diess  auf  eine  Un- 
vollständigkeit,  oder  selbst  auf  eine  blose  Verderbniss  des 
Textes  gründen.  ^)  Wer  dabei  unter  dem  leysingjasonr  zu 
verstehen  sei,  wird  uns  freilich  auch  wider  nicht  gesagt; 
indessen  scheint  die  Vergleichung  zweier  Stellen  des  älteren 
Stadtrechtes  in  dieser  Beziehung  zur  wünschenswerthen  Auf- 
klärung zu  verhelfen,  während  sie  zugleich  auch  noch  in  an- 
derer Richtung  sehr  willkommene  Aufschlüsse  bietet.  Die  eine 
von  diesen,  welche  in  den  FrI>L  keine  vollständige  Parallele 
findet,  bestimmt:^)  ,,ef  leysingja  manns  fyrirliggr  ser  eSa 
frjälsgefa,  {)ä  er  hon  sek  viS    skapdröttinn  sinn  3  mörkom. 


1)  ebenda,  §.  56. 

2)  ebenda,  §.  63. 

3)  Frl)L.,  X,  §.  35  und  46;  XIII,  §    15. 

4)  ebenda,  IV,  §.  49  und  53;  X,  §.  41. 

5)  Letzteres   gilt   z.  B.  von  X,  §.  41,   wie   die  Vergleichung  von 
§.  46  ebenda  zeigt. 

6)  BjarkR.,  III,  §.  127;  vgl.  etwa  Prl)L,  IX,  §.  16. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Rechte.      61 

jafnt  hinn  fjorSa  sem  hinn  fyrsta*' ;  die  zweite  aber,  welcher 
eine  bereits  angeführte  Stelle  der  Fr{>L. ,  welche  nur  einer 
geringen  Emendation  bedarf,  vollstäudig  parallel  geht,  *) 
gewährt  zunächst  ,,leysingja  syni  mörk'\  mit  dem  Beifügen : 
,,ok  svä  hinn  {)ri5i  taki  mörk'*,  während  sie  erst  hinterher 
auf  den  Freigelassenen  selbst  eingeht,  und  diesem  6  oder 
nur  4  aurar  zuweist,  je  nachdem  er  sein  Freilassungsbier 
gehalten  hat  oder  nicht.  Die  letztere  Stelle  kann  nun 
sicherlich  nur  auf  den  Sohn  eines  Freigelassenen  höherer 
Ordnung  bezogen  werden,  da  ja  eine  Bevorzugung  des 
Sohnes  eines  Freigelas;;>enen  niederer  Ordnung  vor  dem  Frei- 
gelassenen höherer  Ordnung  unmöglich  angenommen  wer- 
den kann;  zugleich  aber  lässt  eben  diese  Stelle  deutlich  er- 
kennen ,  dass  die  Bezeichnung  ,,leysingjasonr"  auf  3  ver- 
schiedene Grade  bezogen  wurde ,  welche  im  Bussbezuge 
einander  gleich,  und  alle  drei  höher  als  der  leysingi  selbst 
angesetzt  waren.  Die  erstere  Stelle  dagegen  ist  minder 
sicher  zu  deuten.  Klar  ist  zwar,  dass  auch  sie  4  Grade 
unter  einer  Bezeichnung  zusammenfasst,  und  in  Bezug  auf 
die  zu  entrichtende  Basse  einander  gleichsetzt ;  nicht  minder 
klar  ist  ferner,  dass  sie  den  Freigelassenen  selbst  in  diese  4 
Grade  miteinrechnet,  und  gerade  von  ihm  deren  gemeinsame 
Bezeichnung  hernimmt,  während  jene  vorher  besprochene  Stelle 
den  leysingi  in  ihre  3  Grade  nicht  miteinbezieht,  und  auch 
nicht  von  ihm,  sondern  von  seinem  Sohne  deren  gemein- 
same Benennung  entlehnt.  Schwierigkeiten  macht  nur,  dass 
die  Stelle  die  Freigelassene,  von  welcher  sie  bei  ihrer  Zähl- 
ung ausgeht,  zugleich  als  leysiugja  und  als  frjälsgefa  be- 
zeichnet, und  dass  sie  auch  sonst  nicht  erkennen  lässt,  ob 
sie  von  einer  Freigelasseneu  geringerer  oder  höherer  Ord- 
nung oder  von  beiden  zugleich  sprechen  will ;  indessen  ist 
doch  zu  bedenken,  dass  im  drönter  Recht  der  leysingjasonr 


1)  BjarkR,  III,  §.  162j  PrJ)L.,  X,  §.  35. 


62         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  9.  Februar  1Q7S. 

in  der  Busse  hölier  angesetzt  zu  werden  pflegt  als  sein  Vater, 
und  dass  somit  die  Gleiehstelluug  von  4  Graden  auf  den 
leysmgi  und  seine  Nachkommeu  nicht  passt,  wie  denn  auch 
die  zweite  Stelle  deren  nur  3  zählt,  und  den  leysingi  selbst 
auslässt,  wogegen  von  den  Kindern  des  Freigelassenen  ge- 
ringerer Ordnung  in  den  G{>L.  ausdrücklich  gesagt  wird, 
dass  sie  „jafnrettismenn  vi5  fö6ur  sinn"  seien.  So  dürfte  die 
Stelle  sich  immerhin  nur  auf  die  frjälsgefa  beziehen,  und 
mag  ja  sein,  dass  die  Erwähnung  der  leysingja  erst  in  die- 
selbe hineinkam,  als  jene  erstere  Bezeichnung  ungewöhnlich 
geworden  war  ;  unter  dieser  Voraussetzuug  ergiebt  sich  aber 
folgender  Schluss.  Einerseits  werden  der  Sohn,  Enkel  und 
Urenkel  des  Freigelassenen  geringerer  Ordnung  mit  diesem 
selbst  in  der  Busse  gleichgestellt,  und  darum  auch  mit  dem 
ihm  gebührenden  Namen  ,,frjalsgjafi''  bezeichnet,  und  ledig- 
lich als  der  erste  bis  vierte  Mann  unterschieden,  wogegen 
des  Urenkels  Sohn,  weil  ,,ör  {)jrmslum",  nicht  mehr  der 
gleichen  Behandlung  und  Bezeichnung  unterliegt;  anderer- 
seits zählt  man  vom  Freigelassenen  höherer  Ordnung  ab 
ebenfalls  noch  3  Generationen  welter,  jedoch  ohne  den 
Stammvater  selbst  mit  einzurechnen,  und  man  wendet  auf 
diese  3  Generationen  ebenfalls  wider  eine  einheitliche  Be- 
zeichnung mit  bioser  Numerirung  der  einzelnen  Grade,  und 
einheitlicher  Behandlung  in  Bezug  auf  den  Busssatz  an,  nur 
dass  diese  Bezeichnung,  eben  weil  der  Freigelassene  selbst 
nicht  mit  eingerechnet  wurde,  nicht  ,, leysingi",  sondern 
,,leysingjasonr"  lautete.  Die  ersten  4  Generationen  von 
der  Freilassung  ab ,  den  Freigelassenen  selbst  mit  einge- 
rechnet, bildeten  also,  die  Nichthaltung  des  Freilassungs- 
bieres und  den  Nichtabschluss  eines  diese  vertretenden 
Vertrages  vorausgesetzt,  die  den  {>yrmslir  und  so  manchen 
anderen  Beschränkungen  unterworfene,  und  zugleich  in  der 
Busse  erheblich  geringer  angesetzte  Classe  der  frjälsgjafar, 
innerhalb   deren   keine  weitere  Abstufung  galt,  sodass  also 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Bechte.     63 

der  vierte  Mann  ebenso  behandelt  wurde  wie  der  erste;  da- 
gegen trat  der  fünfte  Mann  von  Rechtswegen  als  leysingi 
in  die  höhere  Ordnung  über,  und  unterliegt  samrat  seinem 
Sohne,  Enkel  und  Urenkel  nur  noch  einerii  subsidiären  Erb- 
rechte des  Freilassers  und  seiner  Nachkommenschatt ,  wo- 
gegen sich  innerhalb  dieser  Gruppe  bereits  ein  beschränktes 
Erbrecht  auf  Grund  der  Verwandtschaft  einfindet,  und  zu- 
gleich der  Bussansatz  sich  steigert.  Aber  wenn  hiernach  die 
5te  bis  8te  Generation  von  der  Freilassung  abgerechnet  zwar 
auch  noch  in  gewisser  Beziehung  als  eine  einheitliche  Gruppe 
zusammengefasst  und  den  vollfreien  Leuten  entgegengesetzt 
werden  kann,  so  herrscht  in  ihr  doch  nicht  derselbe  Grad 
von  Einheitlichkeit  wie  in  jener  ersteren.  Einerseits  näm- 
lich steht  dem  Sohne  des  leysingi  ein  erweitertes  Erbrecht 
zu  im  Vergleiche  mit  dem  des  leysingi  selbst,  während  das 
des  Enkels  und  Urenkels  dem  des  Sohnes  gleich  ist;  an- 
dererseits ist  der  Sohn  auch  in  der  Busse  hoher  angesetzt 
als  sein  Vater,  während  der  Enkel  und  Urenkel  auch  in 
dieser  Beziehung  dem  Sohne  gleichsteht,  und  so  erklärt  sich, 
dass  die  6te  bis  8te  Generation  unter  dem  gemeinsamen 
Namen  der  leysingjasynir  dem  leysingi  selbst  gegenüberge- 
stellt werden  konnte.  —  Noch  über  den  gewöhnlichen  leys- 
iiigjason  hinaus  erscheint,  beiläufig  bemerkt,  der  l^yborinn 
sonr  begünstigt.  Die  Fr[)L.  sprechen  ihn  von  den  {>yrmslir 
frei,  und  gewähren  ihm  den  Anspruch  auf  eine  Busse,  welche 
nur  um  ein  Drittel  geringer  ist  als  die  seines  freigeboreneu 
Vaters,  während  die  von  ihm  mit  einer  freigeborenen  Mutter 
erzeugten  Kinder  sogar  gleiches  Recht  mit  ihrem  Gross- 
vater haben ,  also  als  freigeboren  gelten  sollen ;  ^)  nach  den 
G{)L.  aber  ist  der  {)yborinn  sonr  vollends  „jafnrettismaSr 
viÖ  föSur  sinn",  und  kommt  „til  alls  rettar'',^)  d.  h.  er  wird 


1)  FrJL.,  X,  §.  47. 

2)  GJ)L,  §.  57  und  104. 


64        Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878: 

selbst  bereits  dem  Preigeborenen  in  Bezug  auf  seine  Busse 
gleichgestellt.  Dieses  Vorkoramniss  steht  indessen  zu  iso- 
lirt,  und  ist  zu  eigenthümlich  geartet,  als  dass  es  für  die 
Construction  des  Freigelassenenrechtes  im  Ganzen  verwerthet 
werden  könnte  ;  um  so  bedeutsamer  ist  dagegen  eine  andere 
Reihe  von  Thatsachen,  welche  in  sehr  auffälliger  Weise 
unser  Thema  beleuchtet.  Die  Fr{)L.  lassen  einerseits  das 
bauggildi  und  andererseits  das  nefgildi  bis  zum  3.  gleichen 
Grade  der  Seitenlinie  reichen,  ^)  also  genau  soweit,  als  die 
aus  3  Graden  der  Descendenz  erwachsende  Verwandtschaft 
reichen  kann,  und  wenn  zwar  die  Gt>L.  die  baugar  nur  bis 
zum  2.  gleichen  Grade  geben  und  nemen  lassen,  so  fehlt 
es  doch  nicht  an  Anhaltspunkten,  welche  auch  für  sie  eine 
ursprüngliche  Erstreckung  beider  Verwandtschaftskreise  bis 
zu  jener  weiteren  Grenze  wahrscheinlich  erscheinen  lassen. 
Dieselben  Frl»L.  bezeichnen  ferner  den  Freigelassenen  ge- 
ringerer Ordnung  mit  seinem  Sohne,  Enkel  und  Urenkel 
als  ,,leysiugs  sett",  d.  h.  die  Verwandtschaft  eines  leysingi,  ^) 
woraus  sich,  wenn  wir  diesen  letzteren  Ausdruck  in  seinem 
engeren  und  ursprünglicheren  Sinne  nennen  dürfen,  ergeben 
müsste,  dass  der  leysingi  selbst  mit  seinem  Sohne,  Enkel 
und  Urenkel  als  Verwandtschaft  eines  Vollfreien  zu  bezeichnen 
wäre.  Die  G[>L.  sodann  gebrauchen  für  die  vollfreien  Leute, 
wo  immer  es  gilt,  sie  den  Freigelassenen  gegenüber  nach- 
drücklich als  solche  zu  bezeichnen,  den  Ausdruck  „astt- 
borinn^',  d.  h.  zu  einem  Geschlechte  geboren,')  und  die  Fr{>L. 
legen  dem  Manne,  der  vollfrei  (ärborinn)  zu  sein  behauptet, 
während  ein  Anderer  ihn  als  seinen  Freigelassenen  in  An- 
spruch nimmt ,  den  Beweis  auf,  dass  bereits  4  seiner  Vor- 
fahren  in  gerade    aufsteigender   Linie  frei  gewesen   seien.*) 


1)  Fr])L.,  VI,  §.  2  und  4,  und  7—8. 

2)  ebenda,  IX,  §.  11;  siehe  oben  S.  56. 

3)  G5L.,  §.  63,  71  u.  198;  aber  auch  FrjL.,  IX,  §.  16  u.  öfter. 

4)  Frl)L.,  IX,  §.  10. 


Maurer:  l)ie  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Rechte.      65 

Man  wird  nun  aus  diesen  verschiedenen  Aussprüchen  den 
Schiuss  ziehen  dürfen,  dass  eine  ,,aett"  erst  dann  angenom- 
men wurde,  weun  ein  volles  banggildi  und  nefgildi  vorhan- 
den war  oder  doch  vorhanden  sein  konnte,  und  dass  erst 
dann ,  wenn  aus  der  Descendenz  eines  frjälsgjafi  eine  leys- 
ings  aett  erwachsen  war,  seine  ferneren  Nachkommen  zu 
leysingjar,  und  erst  dann,  wenn  aus  der  Descendenz  eines 
leysmgi  eine  arborins  aett  erwachsen  war,  dessen  fernere 
Nachkommen  zu  arbornir  menn  oder  a^ttbornir  menn  im 
strengsten  Sinne  des  Wortes  werden  konnten.  Man  wird 
zur  Verstärkung  dieses  Schlusses  auch  noch  die  Parallele 
des  Stammgüterrechtes  heranziehen,  und  geltend  machen 
dürfen,  dass  nach  einer  Bestimmung  der  G|)L.  das  Land 
als  ,,ö8ar^  galt,  welches  der  Grossvater  dem  Grossvater  hin- 
terlassen hatte,  *)  was  freilich  an  einer  anderen  Stelle  des- 
selben Rechtsbuches  dahin  ausgelegt  wird,  als  ob  damit  der 
Nachweis  von  5 ,  nicht  4  Ahnen  gefordert  würde,  welche 
nach  einander  und  vor  dem  jetzigen  Inhaber  das  fragliche 
Gut  besessen  hatten ,  ^)  während  die  Fr[)L.  umgekehrt  nur 
den  Nachweis  von  3  im  Besitze  gewesenen  Ascendenten 
fordern,  sodass  der  derzeitige  Besitzer  der  vierte  ist.^)  Wie 
hier  Land  dadurch  zum  Stammgute  wird,  dass  es  lange 
genug  vom  Vater  auf  den  Sohn  vererbt,  um  in  der  Nach- 
kommenschaft des  ersten  Erwerbers  ein  volles  Geschlecht, 
d.  i.  3  Grade  in  absteigender  Linie  von  jenem  abwärts, 
oder  3  Grade  in  der  Seitenlinie  vom  letzten  Besitzer  weg- 
gezählt entstehen  zu  lassen,  so  wird  dort  aus  dem  frjälsgjafi 
durch  das  Erwachsen  einer  gleichen  Zahl  von  Graden  ein 
leysingi ,  und  aus  dem  leysmgi  wider  ein  vollfreier  Mann. 
Aus  dieser  tieferen  Begründung  des  üeberganges  vom  frjäls- 


1)  GI.L.,  §.  270. 

2)  ebenda,  §.  266. 

3)  Fr>L.,  XII,  §.  4. 

[1878  I.  Philos.-philol.  bist.  Cl.  1.] 


66        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  9,  Februar  1878. 

gjafi  zum  lejsingi,  und  von  diesem  zum  Vollfreien  ergiebt 
sicli  aber  auch,  dass  die  Beschränkung  der  {)yrmslir  auf 
Vater  und  Sohn,  wie  sie  in  den  G{>L.  auftritt,  kaum  alten 
Rechtens  sein  kann,  wie  denn  auch  nach  diesem  Rechtsbuche 
ebensogut  wie  nach  den  Fr{>L.  die  leysings  erfS  bis  zum 
9.  Knie  reicht;  ursprünglich  wird  vielmehr  wohl  auch  im 
Bezirke  des  Gulal>inges  die  Unterwerfung  unter  die  I)yrmslir 
bis  zum  Urenkel  des  Freigelassenen  geringerer  Ordnung  ge- 
reicht haben,  und  in  jener  Beschränkung  derselben  auf  dessen 
Sohn  eine  spätere  Milderung  des  Rechts  zu  erkennen  sein. 
Dass  aber  das  Verschwinden  der  Folgen  des  Freigelassenen- 
standes mit  dem  Ablaufe  einer  bestimmten  Anzahl  von 
Generationen  recht  wohl  neben  der  oben  aus  den  G{)L.  nach- 
gewiesenen Ersitzung  der  Freiheit  seine  Stelle  finden  konnte,*) 
erklärt  sich  ganz  befriedigend  aus  der  Verschiedenheit  der 
Voraussetzungen,  an  welche  hier  und  dort  die  bezeichneten 
Rechtsfolgen  geknüpft  sind.  Die  Ersitzung  der  Freiheit, 
wenn  man  sie  überhaupt  so  nennen  will,  setzt  nicht  nur 
die  ausdrückliche  Behauptung  des  angeblichen  Freigelassenen 
voraus,  dass  er  sein  Freilassungsbier  vor  mindestens  20 
Jahren  gehalten  habe,  sondern  auch  den  Beweis,  dass  er  wäh- 
rend dieser  ganzen  Zeit  in  Bezug  auf  Freizügigkeit,  Ver- 
ehelichung und  Verfugung  über  sein  Vermögen  der  vollsten 
Freiheit  sich  erfreut  habe;  dagegen  vertrug  sich  das  Er- 
löschen der  Zurücksetzungen,  welchen  der  frjälsgjafi  unter- 
lag, durch  den  Ablauf  der  3.  Generation  seiner  Descendenz 
vollkommen  wohl  mit  dem  Zugeständnisse,  dass  die  4  Ahnen 
des  ,, fünften  Mannes"  eben  diesen  Zurücksetzungen  noch 
unterlagen. 

Durch  das  Bisherige  dürfte  nun  die  Erörterung  der- 
jenigen Fragen  ermöglicht  sein,  deren  Besprechung  oben 
noch  vorbehalten    bleiben  musste;  es  handelt  sich  aber  da- 


1)  vgl.  oben  S.  26. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  aUnorwegischem  Rechte.       67 

bei  zunäcbst  um  das  Versfcäiidniss  einer  Reibe  von  Stellen, 
welche  von  der  rechtlichen  Behandlung  der  Freigelassenen 
reden,  ohne  dabei  anzugeben,  welche  Classe  von  solchen  sie 
im  Auge  haben.  So  wird  z.  B.  gesagt,*)  dass  die  Anname 
eines  Schuldknechtes  regelmässig  am  Ding  zu  erfolgen 
habe ,  jedoch  dann  auch  in  jeder  beliebigen  anderen  Ver- 
sammlung erfolgen  könne,  wenn  es  sich  nur  um  „leysings 
börn"  handle.  Weniger  Umstände  sollen  also  mit  den  Kin- 
dern von  Fr(?igelassenen  gemacht  werden,  als  mit  den  Kin- 
dern besser  gestellter  Leute  ;  das  kann  aber  auf  beide  Classen 
von  Freigelassenen  ganz  gleichmässig  bezogen  werden,  da 
auch  deren  höhere  Classe  hinsichtlich  der  allgemeinen  Stan- 
desrechte den  Freigeborenen  nachstand,  und  da  gerade  die 
G{>L.,  denen  jene  Vorschrift  entlehnt  ist,  bezüglich  der  Buss- 
sätze u.  dgl.  zwischen  beiden  Classen  nicht  unterscheiden, 
wird  doch  wohl  auch  unser  Satz  auf  sie  beide  zugleich  be- 
rechnet sein.  —  Nach  den  Gf)L.  soll  ferner  für  die  mit 
einer  Freigelassenen  begangene  Unzucht  deren  Herr  eine 
Busse  von  6  Unzen  erhalten ,  und  wenn  sich  eine  Freige- 
lassene mit  einem  Unfreien  vergeht,  soll  sie  in  die  Schuld- 
knechtschaft ihres  Herrn  verfallen  wie  die  Freigeborene, 
und  zwar  diese  um  den  Betrag  von  3  Mark ,  in  die  des 
Königs ;  ^)  nach  den  FrI>L.  aber  und  dem  Stadtrechte  ist 
die  Sache  ebenso  geordnet,  nur  dass  hier  noch  ausdrücklich 
bemerkt  wird ,  dass  die  von  der  Freigelassenen  verwirkte 
Busse,  für  welche  sie  in  Schuldhaft  gehen  soll,  ebenfalls 
3  Mark  beträgt,  wogegen  jene  Busse  von  6  Unzen  von 
ihrem  Concumbenten  zu  erlegen  ist.^)  Nun  ist  oben  be- 
reits dargethan  worden,  dass  die  einschlägige  Stelle  des 
Stadtrechts  sich  nur  auf  die  Freigelassene  niederer  Ordnung 


1)  GDL.,  §.  71. 

2)  ebenda,  §.  198. 

3)  PriL.,  IX,  §.  16;  BjarkR.,  III,  §.  127. 

5* 


68        Sitzung  der  pMlos.-philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

beziehen  kann,  obwohl  ,,leysmgja  eSa  frjälsgefa''  in  ihr 
neben  einander  genannt  werden ;  da  ferner  in  der  Stelle 
der  FrI)L.  sofort  die  Worte  folgen :  ,,en  ef  settborinn  maSr 
tekr  leysmgja  manns,  ^ä  er  hon  sek  viS  skapdrottin  sinn 
3  merkr,  en  börn  {>eirra  ör  {>yrmslum",  so  muss  auch  an 
ihr  eine  Freigelassene  vorausgesetzt  werden,  die  noch  i  Jjyrms- 
lum ,  also  geringerer  Ordnung  ist ,  und  in  der  That  weist 
auch  der  Zusammenhang  ebendahin,  in  welchem  der  Bezug 
der  Unzuchtsbusse  mit  dem  Verehelichungsrecht  steht.  — 
Nach  den  Gf>L.  soll  ferner  die  Freigelassene  gleich  einer  in- 
ländischen Sklavinn  für  einen  von  ihr  begangenen  Dieb- 
stal im  ersten  Falle  ein  Ohr,  im  zweiten  Falle  das  zweite 
Ohr,  und  im  dritten  Falle  die  Nase  verlieren,  dann  aber 
als  „stüfa  ok  nüfa"  ruhig  weiter  stelen  dürfen.  ^)  Auch  in 
diesem  Falle  wird  man  wohl  nur  an  Freigelassene  niederer 
Ordnung  denken  dürfen,  da  für  deren  höhere  Classe  die  an- 
gedrohte Behandlung  doch  wohl  zu  hart  wäre.  —  Weiter- 
hin kommt  aber  auch  noch  eine  Reihe  von  Stellen  in  Be- 
tracht, welche  die  Alimentationspflicht  betreffen, 
und  sie  zumal  sind  es,  welche  ernsthafte  Schwierigkeiten 
bereiten.  Es  besprechen  aber  die  G{)L.  zunächst  die  Ver- 
pflichtung des  Freigelassenen,  seinen  Patron  zu  alimentiren, 
wenn  auch  in  eigenthümlichem  Zusammenhange.  Sie  nennen 
nämlich  unter  den  Vergabungen,  welche  unter  allen  Um- 
ständen aufrecht  gehalten  werden  sollen,  zwei  mit  der  Frei- 
lassung zusammenhängende,  indem  sie  zunächst  sagen: 
„mannfrselsi  skal  hallda,  nema  peim  liggi  vi8  hei  eSa  hüs- 
gängr;  {)ä  skal  hann  taka  fostrlaun  af  hanom,  ef  hann 
galt  eigi  verS  sitt",  und  hinterher  noch  die  ,,leysingsaurar, 
6  aurar"  beifügen.*)  Die  Stelle  unterscheidet  damit  ganz 
richtig  zwischen  den  beiden  für  die  Freilassung  in  Betracht 


1)  G])L.,  §.  259. 

2)  ebenda,  §.  129. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Eechte.       69 

kommenden  Acten,  und  bringt  beide  unter  den  Gesicbts- 
punkt  einer  Vergabung,  was  natürlich  voraussetzt,  dass  der 
erste  Act  unentgeldlich  vollzogen,  und  dass  beim  zweiten 
auf  den  Bezug  der  leysingsaurar  Verzicht  geleistet  worden 
war.  Im  ersten  Theile  der  Stelle,  der  hier  alHnn  in  Be- 
tracht kommt,  handelt  es  sich  also  um  einen  Sklaven,  der 
„skattalaust  ok  skulda"  freigelassen  war,  und  somit  seine 
Verehelichungs-  und  Vermögensdispositionsbefugniss  erlangte, 
ohne  eines  Preilassungsbieres  zu  bedürfen ,  übrigens  aber 
den  [jjrmslir  unterworfen  blieb,  und  von  ihm  wird  gesagt, 
dass  seine  Freilassung  nicht  angefochten  werden  dürfe,  son- 
dern dass  der  Freilasser  nur,  wenn  er  in  die  äusserste  Noth 
gerathe,  von  ihm  ,,föstrlaun"  beanspruchen  dürfe,  d.  h.  eine 
Vergeltung  für  die  ihm  gewährte  Verpflegung.  Unter  dem 
letzteren  Ausdruck,  welcher  noch  an  einer  zweiten,  gleich 
zu  besprechenden  Stelle  desselben  Rechtsbuches  ^)  und  über- 
diess  auch  im  isländischen  Rechte  vorkommt,^)  wird  ledig- 
lich eine  Gegenleistung  verstanden  werden  dürfen ,  welche 
der  Freigelassene  zur  Vergeltung  des  Unterhaltes  zu  machen 
hat,  den  ihm  der  Freilasser  vordem  gereicht  hatte,  ganz 
wie  unter  den  barnföstrlaun,  welche  unser  Rechtsbuch  gleich- 
falls zu  den  unanfechtbaren  Vergabungen  rechnet,^)  der  für 
die  Erziehung  eines  Kindes  gegebene  Lohn  zu  verstehen  ist; 
ob  der  Betrag  dieser  Vergeltung  dabei  ein  für  allemal  be- 
stimmt, oder  erst  je  nach  den  Umständen  von  Fall  zu  Fall 
zu  bestimmen  war ,  mag  dahingestellt  bleiben ,  immerhin 
aber  ergiebt  sich  soviel,  dass  dem  Freigelassenen  eine  sub- 
sidiäre Alimentationspflicht  seinem  Freilasser  gegenüber  oblag, 
und  macht  nur  der  Umstand  Schwierigkeiten,  dass  es  sich 
im   gegebenen  Falle   um    einen    Freigelassenen    handelt,  der 


1)  ebenda,  §.  66. 

2)  Ömagab.,  cap.  24—25,  S.  279—82. 

3)  GI>L.,  §.  129  und  270. 


70        Sitzung  der  philos.-philoh  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

noch  1  {»yrmslum ,  aber  doch  im  üebrigen  gehalten  ist  wie 
wenn  er  sein  Freilassungsbier  bereits  hinter  sich  hätte. 
Man  wird  indessen  kaum  fehl  gehen,  wenn  man  annimmt, 
dass  die  Verpflichtung  beide  Classen  von  Freigelassenen  ganz 
gleichmässig  traff,  da  ja  die  Ff)L.  umgekehrt  auch  noch  eine 
subsidiäre  Alimentationspflicht  des  Freilassers  der  höheren 
Classe  derselben  gegenüber  kennen ;  ')  dass  aber  die  Alimen- 
tationspflicht einen  Sklaven  nicht  trifft,  welcher  sich  selber  frei- 
gekauft hat,  ist  sehr  natürlich,  da  ein  solcher  in  seiner  Loskaufs- 
summe bereits  das  Gegengeld  für  Alles  bezahlt  hat ,  was 
der  Herr  an  ihm  gethan  hatte.  Um  so  schwieriger  ist  aber 
die  Auslegung  einer  auderen  Stelle,  welche  zwar  zunächst 
die  Yerehelichung  der  verschiedenen  Arten  von  Freigelassenen, 
und  die  rechtliche  Stellung  der  Kinder,  welche  aus  ihren 
Ehen  hervorgehen,  in  sehr  casuistischer  Weise  bespricht, 
dabei  aber  auch  auf  die  Alimentationspflicht  zu  sprechen 
kommt,  welche  umgekehrt  dem  Freilasser  seinem  Freige- 
lassenen und  dessen  Kindern  gegenüber  obliegt. '^J  Die  Stelle 
behandelt  zuerst  den  Fall,  da  ein  Freigelassener  ein  Weib 
vollfreien  Standes  heirathet,  und  unterscheidet  dabei,  je 
nachdem  derselbe  sein  Freilassungsbier  bereits  gehalten  hat 
oder  nicht.  Hat  er  es  gehalten,  and  wird  die  Ehe  bei  Leb- 
zeiten beider  Gatten  getrennt,  so  sollen  die  Kinder  zunächst 
alle  der  Mutter  folgen ;  stirbt  diese  sodann  vor  dem  Yater, 
so  sollen  dieselben  zu  diesem  zurückkehren,  und  von  ihm 
alimentirt  werden,  bis  sein  gesammtes  Vermögen  aufgezehrt 
ist;  ist  es  endlich  soweit  gekommen,  so  sollen  die  Kinder 
wider  an  das  „bessere  Geschlecht"  zurückfallen,  d.  h.  von 
den  Verwandten  der  Matter  alimentirt  werden,  wogegen  der 
Vater  seinem  Freilasser  anheimfällt.  Wenn  dagegen  der 
Freigelassene  sein  Freilassungsbier  nicht  gehalten  hat,  fallen 


1)  FrJ)L.,  IX,  §.  11  und  13. 

2)  G1)L.,  §.  63. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegi6chem  Eechte.      71 

die  Kinder  unter  allen  Umständen  der  Mutter  und  ihrer 
Verwandtschaft  anheim,  wie  auch  die  Ehe  getrennt  werde. 
Insoweit  sind  die  massgebenden  Gesichtspunkte  ziemlich 
klar.  Hat  der  Freigelassene  sein  Bier  nicht  gehalten,  so 
erscheint  seine  Ehe  als  eine  widerrechtlich  eingegangene, 
und  können  aus  ihr  ebendarum  keine  rechtlichen  Verpflicht- 
ungen für  den  Freilasser  erwachsen ;  in  diesem  Falle  müssen 
also  die  iu  der  Ehe  geborenen  Kinder  schlechthin  ihrer 
Mutter  und  deren  Angehörigen  zur  Last  fallen,  da  der 
Patron  ihnen  gegenüber  keine  Verpflichtungen  hat,  und  auch 
nicht  zu  dulden  braucht,  dass  zu  ihren  Gunsten  das  Ver- 
mögen seines  Freigelassenen  angegrifi*en  werde.  Hat  da- 
gegen der  Freigelassene  sein  Bier  gehalten ,  und  ist  somit 
seine  Ehe  rechtsgültig  eingegangen,  so  hat  zwar  die  inten- 
sivere Stärke  des  verwandtschaftlichen  Bandes  gegenüber 
dem  Patronate,  und  die  grössere  Leistungsfähigkeit  der  voll- 
freien Verwandtschaft  ein  stärkeres  Heranziehen  der  Mutter 
und  ihres  Hauses  zur  Alimentationspflicht  zur  Folge,  aber 
doch  nur  so,  dass  auch  der  Vater  und  dessen  Patron  daneben 
nicht  ganz  frei  ausgehen.  Auffällig  ist  freilich,  dass  die 
Casuistik  unserer  Stelle  in  ihrer  ersten  Hälfte  nicht  er- 
schöpfend ist;  indessen  genügen  doch  die  in  ihr  und  ander- 
wärts aufgestellten  Regeln  vollkommen,  um  auch  die  nicht 
ausdrücklich  vorgesehenen  Fälle  mit  Sicherheit  erledigen  zu 
lassen.  Stirbt  nämlich  bei  einer  unter  Lebenden  getrennten 
Ehe  der  Freigelassene  höherer  Ordnung  zuerst,  so  fallen  die 
Kinder  selbstverständlich  der  Mutter  zur  Last,  sovreit  nicht 
der  ihnen  anfallende  Nachlass  des  Vaters  zu  ihrem  Unter- 
halte hinreicht;  wird  die  Ehe  dagegen  durch  den  Tod  ge- 
trennt, so  wird  doch  wohl  nach  Analogie  einer  unten  noch 
zu  besprechenden  Stelle  der  Frf)L.  *)  die  Regel  zum  Zuge 
kommen,    dass  die  Kinder    mit  ^/3  dem  Vater   und  mit   Vs 


\)  FrI.L.,  IX,  §.  11. 


72         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

der  Mutter  zur  Last  fallen,  nur  dass  diese  Kegel  selbstver- 
ständlich dahin  wird  ergänzt  werden  müssen,  dass  die  Kin- 
der auch  in  diesem  Falle  von  dem  Momente  an  völlig  der  Mutter 
anheimfallen,  da  das  väterliche  Vermögen  vollständig  auf- 
gezehrt ist.  Da  nämlich  die  Gj>L.  bei  der  Ausscheidung 
der  Antheile  beider  Ehegatten  am  gemeinsamen  Vermögen 
jenen  Massstab  ebensogut  festhalten  wie  die  Fr{>L./)  lässt 
sich  doch  wohl  annemen,  dass  sie  denselben  auch  wie  diese 
bei  der  Vertheilung  der  Kinder  für  den  Fall  der  Trennung 
der  Ehe  durch  den  Tod  zur  Anwendung  bringen  wollten, 
welcher  Fall  ja  ausdrücklich  als  nicht  unter  die  Regel  ihres 
§.  63  fallend  bezeichnet  wird,  und  mochte  dieses  Falles 
an  unserer  Stelle  nur  darum  nicht  ausdrücklich  gedacht 
worden  sein ,  weil  sich  seine  Entscheidung  ohnehin  aus  an- 
derweitig genugsam  bekannten  Rechtsgrundsätzen  zu  ergeben 
schien.  Einer  Erklärung  dürfte  endlich  auch  noch  bedürfen, 
dass  der  umgekehrte  Fall  an  unserer  Stelle  unerwähnt  bleibt, 
da  ein  vollfreier  Mann  eine  Freigelassene  heirathet;  auch  in 
dieser  Richtung  dürfte  indessen  die  Vergleichung  der  Frl>L. 
Aufklärung  schaffen.  Diese  lassen  nämlich  solchenfalls  das 
Weib  dem  Patrone  3  Mark  entrichten,  also  die  gewöhnliche 
Unzuchtsbusse,  wie  sie  ihr  für  den  Fall  ihrer  Mitschuld  ob- 
lag; *)  aber  sie  fügen  sofort  bei,  dass  die  Kinder  „ör  t)jrmslum" 
sein  sollen ,  was  doch  wohl  heisseu  will,  dass  die  Ehe  als 
gültig  anerkannt  bleibt,  sodass  also  ein  Freigeborener  gegen 
Erläge  von  3  Mark  an  ihren  Patron  in  Norwegen  ohne 
Weiters  jede  fremde  Freigelassene  heirathen  konnte,  ganz 
wie  er  auf  Island  jede  fremde  Sklavinn  um  den  Betrag  von 
12  Unzen  sich  kaufen  konnte,  um  sie  als  seine  Concubine, 
oder  nach  späterem  Recht  als  seine  Frau  zu  haben.  ^)  Ver- 
wickelter werden  nun  aber  die  Bestimmungen  unserer  Haupt- 


1)  G5L.,  §.  53  und  64. 

2)  FilL.,  IX,  §.  16. 

3)  Kgsbk.,  §.  112,  S.  192;  Festa{>.,  cap.  4^,  S.  358. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Fechte.      73 

stelle,  sowie  dieselbe  zu  dem  anderen  Hauptfalle  übergeht, 
da  ein  Freigelassener  eine  Freigelassene  heirathet,  und  zwar 
nicht  nur  darum ,  weil  sich  solchenfalls  die  Standesverhält- 
nisse sehr  verschieden  gestalten  können,  jenachdem  der  Manu 
der  höheren  oder  der  geringeren  Classe  von  Freigelassenen 
angehört,  und  die  Frau  mit  ihm  gleichen  oder  ungleichen 
Standes  ist,  sondern  auch  darum,  weil  je  nach  Umständen 
auch  noch  ein  positives  Eingreifen  des  einen  oder  anderen 
Patrones  in  die  Gestaltung  der  Verhältnisse  denkbar  ist. 
Am  Einfachsten  steht  die  Sache  noch,  wenn  beide  Ehegatten 
völlig  gleichen  Standes  sind,  und  für  diesen  Fall  schreibt 
unsere  Stelle  zunächst  vor,^)  dass,  wenn  beide  Eheleute  ihr 
Freilassungsbier  gehalten  haben,  auch  ihre  Kinder  sie  beide 
beerben,  „aber  wenn  sie  verarmen,  so  sind  sie  Grabgangs- 
leute; man  soll  auf  dem  Kirchhofe  ein  Grab  graben,  und 
sie  da  hineinsetzen ,  und  da  sterben  lassen ;  der  Herr  aber 
soll  das  herausnemen,  welches  am  Längsten  lebt,  und  das 
nachher  ernähren''.  Noch  ein  zweites  Mal  geschieht  in  dem 
Rechtsbuche  der  grafgängsmenn  Erwähnung ,  nämlich  ge- 
legentlich der  Vertheilung  der  Heerlast ,  ^)  und  galt  die 
Regel,  dass  sie  bei  dieser  nicht  mitein  zurechnen  seien,  falls 
nicht  etwa  der  Patron  die  auf  sie  verwendeten  Verpflegungs- 
kosten als  Schuld  auf  sie  legte,  und  damit  also  deren  seiner- 
zeitigen Ersatz  ins  Auge  fasste.  Die  Worte  unserer  Haupt- 
stelle lassen  allerdings  zweifelhaft,  ob  unter  den  Grabgangs- 
leuten nur  die  Kinder  der  Freigelassenen,  oder  zugleich  auch 
diese  selbst  zu  verstehen  seien;  indessen  möchte  ich,  der 
gewöhnlichen  Meinung  folgend,^)  mich  für  die  erstere  Deu- 
tung entscheiden,  da  ja  die  Stelle  ausserdem  nicht  von  einem 
einzigen  Patrone  sprechen  könnte,  vielmehr  die  beiden  Patrone 


1)  GI)L.,  §.  63. 

2)  Gl)L.,  §.  298. 

8)  vgl   Estrup,  S.  119;  Gjessing,  S.  279j  Eriksen,   S.  57; 
Fr.  Brandt,  S.  171, 


74         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

der  beiden  iElteru  zur  Tragung  der  Alimentationspfliclit 
heranzuziehen  wären.  Dagegen  möchte  ich  unter  den  ,,börn'' 
der  Freigelassenen  nicht  blos  deren  Kinder  im  engeren 
Sinne,  sondern  deren  sämmtliche  Nachkommen  bis  zum 
8ten  Grade  einschliesslich  verstehen ,  da  die  Alimentations- 
pflicht des  Patrones  doch  wohl  ebensoweit  reichte  als  dessen 
Erbrecht,  und  wird  man  andererseits  das  harte  Recht,  wel- 
chem der  Ausdruck  grafgäugsmenn  seine  Entstehung  ver- 
dankt, nicht  als  ein  im  13.  Jahrhundert  noch  in  Übung 
stehendes ,  sondern  nur  als  eine  aus  grauer  Vorzeit  über- 
lieferte Antiquitset,^)  wenn  nicht  gar  blos  als  einen  drasti- 
schen Ausdruck  des  Satzes  betrachten  dürfen,  dass  die  dem 
Patrone  obliegende  Alimentationslast  keine  rechtlich  schlecht- 
hin unbegrenzte  sein  solle.  Übrigens  lässt  noch  eine  weitere 
Stelle  der  Gl>L. ,  mit  dem  Obigen  völlig  übereinstimmend, 
recht  klar  erkennen ,  dass  die  Alimentationspflicht  des  Pa- 
trones auch  dem  Freigelassenen  höherer  Ordnung  selbst 
gegenüber  jedenfalls  nur  eine  sehr  eventuelle  war.  .Sie  sagt 
nämlich, '^J  dass  die  Kinder  eines  Freigelassenen,  welcher  sein 
Freilassungsbier  gehalten,  oder  vertragsweise  aus  dem  stren- 
geren Abhängigkeitsverbande  sich  losgekauft  hat,  für  ihre 
verarmten  j$]ltern  zn  arbeiten  haben,  so  lange  diese  letzteren 
leben,  ohne  doch  auch  noch  auf  später  hinaus  in  Schuld 
genommen,  oder  für  den  Ersatz  weiterer  Verpflegungskosten 
haftbar  gemacht  werden  zu  können ;  dass  sie  aber ,  wenn 
sie  nicbt  für  ihre  ^Eltern  arbeiten  wollen,  auch  ,,föstrlaun" 
zahlen  und  davongehen  mögen.  Unter  diesen  fostrlaun  werden 
hier  doch  wohl  die  Kosten  des  Unterhaltes  der  ^Eltern  zu  ver- 
stehen sein,  und  geht  demnach  die  Bestimmung  dahin,  dass  die 
Alimentationspflicht  in  erster  Linie  auf  den  Kindern  ruhen 


1)  vgl.  Osenbrüggen's  Ausführung  über  „das  jus  primse  noctis", 
in  seinen  Deutschen  Rechtsalterthümern  aus  der  Schweiz,  S.  86 — 96. 

2)  G5L.,  §.  66. 


Mauren  Die  Freigelassenen  nach  altnonvegischem  "Rechte.     75 

soll,  was  aucli  ganz  billig  ist,  da  diese  unter  den  gegebenen 
Voraussetzungen  aucb  ihre  iEltern  zu  beerben  berechtigt 
sind ;  nur  soll  den  Kindern  nicht  mehr  zugemuthet  werden, 
als  was  sie  durch  den  Ertrag  ihrer  Arbeit  bei  Lebzeiten 
der  Altern  erschwingen  können,  während  ihnen  andererseits 
verstattet  wird,  gegen  volle  Deckung  der  gesammten  Alimen- 
tationskosten  sich  von  der  Verpflichtung,  (im  Hause  des 
Patrons?  oder  der  Altern?)  zu  arbeiten,  loszukaufen.  Erst 
wenn  die  Kinder  die  volle  Alimentation  ihrer  Altern  nicht 
zu  bestreiten  vermögen,  oder  wenn  solche  etwa  nicht  vor- 
handen sind,  kann  somit  auf  die  Verpflichtung  des  Patrones 
zurückgegriff'en  werden.  Unsere  Hauptstelle  *)  behandelt 
aber  auch  den  umorekehrten  Fall,  da  zwei  Freigelassene 
einander  heirathen,  welche  beide  ihr  Freilassungsbier  noch 
nicht  gehalten  haben.  In  diesem  Falle  sollen  die  aus  der 
Ehe  erwachsenden  Kinder  Standesgenossen  ihres  Vaters 
sein,  also  wie  dieser  zu  den  Freigelassenen  geringerer  Ord- 
nung gehören,  und  wird  von  ihnen  überdiess  gesagt:  ,,da 
sollen  sie  arbeiten  für  den  Alten  und  die  Alte,  und  wenn 
eines  von  ihnen  davon  ziehen  will,  soll  es  an  seiner  Statt 
3  Mark  erlegen'*.  Dass  solche  Kinder  ihre  Altern  nicht 
beerben ,  wird  hier  zwar  nicht  ausgesprochen,  ist  aber  aus 
anderen  Stellen  bekannt,  ünerörtert  bleibt  auch  die  andere 
Frage,  wieweit  solche  Kinder  dem  Patrone  gegenüber  alimen- 
tationsberechtigt und  alimentationspflichtig  waren,  und  lässt 
sich  in  dieser  Beziehung  höchstens  die  Vermuthung  aus- 
sprechen, dass  ihre  Lage  diessfalls  dieselbe  gewesen  sein  möge 
wie  die  ihrer  ^Eltern,  deren  Standesgenossen  sie  ja  waren. 
Ausgesprochen  wird  dagegen,  dass  solche  Kinder  ihren 
eigenen  iEltern  gegenüber,  denn  nur  diese  können  unter 
„karl  ok  kerling''  an  unserer  Stelle  verstanden  werden, 
alimentationspflichtig  sein  sollen,  obwohl  sie  dieselben  nicht 


1)  ebenda,  §.  63. 


76         Sitzung  der  pküoa.-phüöl.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

beerben,  jedoch  allerdings  mit  der  Beschränkung,  dass  sie 
sich  von  dieser  Verpflichtung  jederzeit  durch  Erläge  von 
3  Mark  frei  machen  können.  Man  darf  diese  Zahlung  nicht 
mit  den  fostrlaun  der  vorhin  besprochenen  Stelle  in  Ver- 
bindung bringen.  Allerdings  wird  einmal  demjenigen,  wel- 
cher einen  ihm  vertragsweise  übergebenen  Pflegling  ohne 
die  ihm  gebührende  Verpflegung  lässt,  eine  Zahlung  von 
3  Mark  auferlegt,  und  dabei  beigefügt,  dass  das  Gleiche 
von  Jedem  gelte,  der  einen  von  ihm  zu  Versorgenden  un- 
verpflegt  lasse ;  ^)  aber  diese  Zahlung  von  3  Mark  enthebt 
den  Pflichtigen  nicht  seiner  Verpflichtung,  und  ist  somit 
nicht  als  ein  ^Equivalent  der  Verpflegung,  sondern  als  eine 
zu  dieser  hinzukommende  Busse  aufzufassen.  Überdiess  wird 
anderwärts  das  für  die  dauernde  Ernährung  eines  ,,6magi" 
eben  noch  zureichende  Capital  auf  4  Mark  berechnet ,  *) 
sodass  also  die  fostrlaun,  wenn  sie  überhaupt  auf  einen  ein 
für  allemal  bestimmten  Betrag  angesetzt  werden  wollten, 
jedenfalls  auf  mehr  als  3  Mark  veranschlagt  werden  mussten. 
Dagegen  wird  man  sich  daran  erinnern  dürfen,  dass  unser 
Rechtsbuch  den  Altern  verstattet,  ihre  Kinder  bis  zum  Be- 
trage von  3  Mark  in  Schuld  zu  geben,  d.  h.  bis  zum  Durch- 
schnittswerthe  eines  gewöhnlichen  Sklaven,')  und  zugleich 
zu  berücksichtigen  haben,  dass  der  Patron  sogar  den  graf- 
gängsmenn  gegenüber  berechtigt  war,  den  Betrag  seiner 
Alimentationskosten  als  Schuld  auf  sie  zu  legen ;  *)  von 
diesem  Gesichtspunkte  aus  betrachtet  enthält  aber  unsere 
Bestimmung  lediglich  den  Satz,  dass  die  Kinder  der  Frei- 
gelassenen niederer  Ordnung  bis  zu  jenem  Betrage  ihren 
JEltern,    und    weiterhin    dem    Patrone,   welcher    diese    ihre 


1)  G]>L,  §.  70. 

2)  ebenda,  §.  115. 

3)  ebenda,  §.  71;   vgl.  meine   Abhandlung  über:    Die  Schuld- 
knechtschaft  nach  altnordischem  Rechte,  S.  4. 

4)  G5L.,  §.  298. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Bechte.        77 

iEltern  eventuell  zu  alimentiren  hatte,  schon  von  Rechts- 
wegen verhaftet  waren,  ebendarum  aber  auch  durch  Erläge 
dieses  Betrages  sich  von  ihrer  Haftung  loskaufen  konnten. 
Endlich  zieht  aber  unsere  Hauptstelle  auch  noch  die  Fälle 
in  Betracht ,  in  welchen  die  Eheleute  zwar  beide  Freige- 
lassene sind ,  aber  in  Bezug  auf  ihr  Freilassungsbier  sich 
ungleich  verhalten ;  *)  gerade  diese  Fälle  sind  aber  für  die 
Auslegung  die  schwierigsten.  Hat  zwar  die  Frau  ihr  Bier 
gehalten,  aber  der  Manu  nicht,  so  sollen  die  Kinder  beiden 
Altern  gegenüber  gleichmässig  des  Erbrechtes  entbehren. 
Hat  dagegen  der  Mann  sein  Bier  gehalten,  aber  die  Frau 
nicht,  so  sollen  die  Kinder  dennoch  Beiden  gegenüber  erbbe- 
rechtigt sein,  wenn  der  Patron  der  Frau  auf  seine  Anwart- 
schaft auf  die  Erbschaft  (von)  verzichtet.  Hat  endlich  der 
Herr  des  einen  Theils  in  die  Ehe  gewilligt ,  der  Herr  des 
anderen  Theiles  aber  nicht,  so  hat  der  nicht  consentirende 
Patron  die  Wahl,  wie  er  sich  zu  der  Sache  stellen  will, 
und  er  kann  demnach,  wenn  es  sich  um  eine  fette  Erbschaft 
handelt,  dieselbe  für  sich  beanspruchen,  dagegen  im  Verar- 
mungsfalle sich  die  Alimentationspflicht  vom  Leibe  halten. 
Es  leiden  diese  Bestimmungen,  wie  man  sieht,  an  grosser 
UnVollständigkeit,  indem  die  Haltung  oder  Nichthaltung 
des  Freilassungsbieres,  die  Ertheilang  oder  Nichtertheilung 
des  Heirathsconsenses  Seitens  des  Patrons  bei  nicht  ge- 
haltenem Biere,  endlich  dessen  Verzicht  oder  Nichtverzicht 
auf  seine  Erbansprüche  neben  einander  in  Betracht  gezogen, 
aber  keineswegs  alle  aus  der  Combination  dieser  verschiedenen 
Factoren  sich  ergebenden  Möglichkeiten  auch  wirklich  be- 
sprochen werden.  Der  letzte  der  3  aufgestellten  Sätze 
spricht  aber  eine  sehr  klare,  und  auch  bezüglich  ihrer  Be- 
gründung sehr  verständliche  Regel  aus.  Er  setzt  natürlich 
den  Fall  voraus,    da   die  beiden  Eheleute  ihr  Freilassungs- 


1)  ebenda,  §.  63. 


78       Sitzung  der  'ph'äos.-ph'dol,  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

bier  nicht  gehalten  haben,  soferne  ja  nur  nnter  dieser  Vor- 
aussetzung auf  die  Ertheilung  des  Eheconsenses  Seitens  ihrer 
Patrone  etwas  ankommen  konnte,  und  er  will  solchenfalls 
dem  nicht  conseutirenden  Patrone  die  Wahl  lassen ,  ob  er 
die  Folgen  seiner  Cousensvervveigerung  ziehen  oder  nicht 
ziehen  wolle;  dieser  kann  somit,  da  die  Ehe  ohne  seinen 
Consens  eingegangen  ist,  den  aus  ihr  erwachsenen  Kindern 
ihr  Erbrecht  bestreiten  und  den  Nachlass  ihres  parens  für 
sich  selbst  in  Anspruch  nemen,  —  er  kann  aber  auch  die 
Eheleute  behandeln,  wie  wenn  er  seinen  Consens  zu  ihrer 
Ehe  ertheilt  hätte,  und  sich  somit  von  der  drückenderen 
Alimentationspflicht  frei  machen,  welche  ihn  Freigelassenen 
niederer  Ordnung  gegenüber  au  und  für  sich  träfe.  Damit  ist 
stillschweigend  aber  auch  gesagt,  dass  der  Patron,  welcher 
seinen  Eheconsens  ertheilt  hat,  den  aus  der  Ehe  erwachsenden 
Kindern  ihren  Anspruch  auf  den  Nachlass  des  betreffenden 
parens  nicht  bestreiten  darf,  und  dass  er  andererseits  im 
Verarmungsfalle  für  die  Verpflegung  sei  es  nun  der  Kinder 
oder  des  betreffenden  parens  aufkommen  muss ;  haben  dem- 
nach die  Patrone  beider  Altern  consentirt,  so  sind  die  Kin- 
der beiden  J^]ltern  gegenüber  erbberechtigt,  und  haben  beide 
Patrone  nicht  consentirt,  sind  die  Kinder  keinem  ihrer  Altern 
gegenüber  erbberechtigt.  Der  erste  der  drei  ausgesprochenen 
Sätze  dagegen  stellt  für  den  Fall ,  da  die  Ehefrau  ihr  Bier 
gehalten  hat,  der  Ehemann  aber  nicht,  die  Regel  auf,  dass 
die  Kinder  Beiden  gegenüber  nicht  erbfähig  sein  sollen,  wobei 
natürlich  stillschweigend  vorausgesetzt  wird,  dass  der  Patron 
des  letzteren  nicht  etwaseinen  Eheconsens  ertheilt  hat;  dem 
Vater  gegenüber  sich  von  selbst  verstehend ,  o  1er  doch 
höchstens  insoferne  auffällig,  als  hier  nicht  wie  in  dem 
soeben  besprochenen  Falle  der  Wahl  des  Patrons  anheim- 
gestellt wird,  ob  er  den  Kindern  ein  Erbrecht  zugestehen 
wolle  oder  nicht ,  erscheint  diese  Regel  der  Mutter  gegen- 
über allerdings  bedenklich,  und  sie  wird  dieses  noch  in  er- 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Rechte.      79 

höhtem  Masse  durch  den  sofort  folgenden  zweiten  Satz, 
welcher  stillschweigend  voraussetzt,  dass  auch  in  dem  um- 
gekehrten Falle,  da  der  Mann  sein  Bier  gehalten,  die  Frau 
dagegen  das  ihrige  nicht  gehalten  hat ,  die  Kinder  an  und 
für  sich  beiden  /Eltern  gegenüber  erbunfähig  sind ,  jedoch 
ausdrücklich  bemerkt,  dass  sie  beiden  gegenüber  erbfähig 
Averden  ,  wenn  der  Patron  der  Frau  auf  sein  Erbrecht  ver- 
zichtet. Es  scheint ,  dass  man  durch  diese  Unterscheidung 
der  hervorragenden  Stellung  des  Mannes  in  der  Ehe  llech- 
nung  tragen  wollte;  streng  construirbar  dürften  jedoch  die 
zu  solchem  Behufe  getroffenen  Bestimmungen  nicht  sein. 
—  Ungemein  schlicht  und  einfach  nemen  sich  dieser  ebenso 
spitzfindigen  als  verworrenen  Casuistik  der  G[>L.  gegenüber 
die  einschlägigen  Bestimmungen  der  Fr[jL.  aus;  sie  lauten  :  ^) 
,,en  ef  leysingi  tekr  konu,  hvärt  sem  hann  tekr  lejsingju 
eSa  ärborua,  ^ä  hverfa  2.  lutir  bseSi  gsezlu  ok  arfs  undir 
fö6ur  ok  undir  skapdröttinn  hans,  en  |jri6jüngr  undir  mö5ur, 
ok  {)au  ör  {)yrmslum,  er  til  mö5ur  hverfa,  ef  hon  er  är- 
borin".  Darnach  sollen  also,  wenn  ein  Freigelassener 
heirathet ,  dessen  Kinder  zu  '^/3  ihm  und  seinem  Patrone 
zufallen,  dagegen  zu  ^3  ^^'^  Mutter,  und  zwar  sowohl  was 
das  Erbrecht  als  was  die  Verpflegung  betrifft.  Diese  Regel 
wird  ganz  gleichmässig  zur  Anwendung  gebracht ,  möge 
nun  die  Mutter  gleichfalls  eine  Freigelassene,  oder  aber 
vollfreien  Standes  sein.  Die  Bemerkung  endlich,  dass  die 
der  Mutter  zufallenden  Kinder  von  den  l>y.rmslir  frei  werden 
sollen,  wenn  sie  selbst  vollfrei  ist,  zeigt  einmal,  dass  die 
Theilung  auf  die  Kinder  selbst  und  nicht  blos  auf  die  Kosten 
ihrer  Verpflegung  sich  beziehen  sollte,  und  lässt  weiterhin 
erkennen,  dass  die  ganze  Vorschrift  sich  zunächst  auf  Frei- 
gelassene niederer  Ordnung  bezog ,  womit  natürlich  nicht 
ausgeschlossen  ist ,    dass  sie  auch  auf  Freigelassene  höherer 


1)  FriL.,  IX.  §.  11. 


80        Sitzung  der  philos.'phüol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

Ordnung  analoge  Anwendung  finden  mochte.  Der  für  die 
Vertheilung  der  Kinder  aufgestellte  Massstab  war  aber  der- 
selbe, welcher  von  den  Frt)L  sowohl  als  von  den  G{>L.  für 
die  Betheiligung  der  Ehegatten  am  gemeinsamen  Vermögen 
festgehalten  wurde,  soweit  nicht  etwa  vertragsweise  ein  An- 
deres ausbedungen  war, ')  und  ist  demnach  die  Meinung  der 
Bestimmung  zweifellos  die,  dass  die  Kinder  als  Last  des 
Vermögens  nach  demselben  Massstabe  vertheilt  werden  sollten 
wie  das  Vermögen  selbst. 

Nachdem  nunmehr  die  Rechte  und  Pflichten  der  beiden 
Classen  von  Freigelassenen  besprochen  worden  sind,  kann 
sofort  an  die  Deutung  zweier  bisher  noch  unbesprochener 
Ausdrücke  herangetreten  werden,  welche  mit  der  Unterschei- 
dung dieser  beiden  Classen  zusammenzuhängen  scheinen,  und 
deren  richtige  Deutung  die  bisherigen  Angaben  über  diese 
einigermassen  zu  vervollständigen  verspricht,  der  x\usdrücke 
{»yrmslamenn  nnd  vänarmenn  nämlich,  welche  übrigens 
beide  ausschliesslich  den  FrJ)L.  und  dem  älteren  Stadtrechte 
angehören.  Unter  den  Pyrmslamenn  wird  man  schon  von 
Vornherein  geneigt  sein  diejenigen  Leute  zu  verstehen, 
welche  ,,i  l>yrmslum"  zu  einem  Herrn  stehen ,  und  die  ge- 
nannten Rechtsbücher  bestätigen  in  der  That  diese  Ver- 
muthung.  Wenn  nämlich  die  Fr^L.  unter  den  Leuten,  die 
nicht  über  einen  Mann  zu  Gericht  sitzen  dürfen,  dessen 
{)yrmslamenn  nennen,  ^)  so  wird  man  sich  daran  zu  er- 
innern haben,  dass  die  Gf)L.  zu  den  f)yrmslir,  welche  der 
Freigelassene  geringerer  Ordnung  seinem  Freilasser  gegen- 
über zu  beobachten  hat,  auch  die  Verpflichtung  zählt:  „at 
setja  eigi  dom  annarra  ä  moti  honum".  Wenn  ferner  die- 
selben Fr{>L.  den  König  anweisen,^)  wenn  er  gegen  Jemanden 


1)  ebenda,  XI,  §.  6  u.  8;  G))L.,  §.  53  u.  64. 

2)  Prl)L.,  X,  §.  14;  vgl.  GlL.,  §.  66. 

3)  Fr].L.,  IV,  §.  4;  XV,  §.  1. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nacli  altnonoegischem  Rechte.      81 

wegen  Landesverratlis  klagen  will,  mit  der  Klagestellung 
feinen  Standesgenossen  des  Angescliuldigten  zu  beauftragen, 
der  zur  hir6,  d.  h.  Dienstmannschaft  gehört,  jedoch  für  den 
Fall,  dass  die  Klage  gegen  leysingjar  oder  gegen  I>yrmslamenn 
geht,  ihn  ermächtigen,  die  Klageführung  einem  Bauernsohne 
zu  übertragen,  falls  ein  solcher  in  der  hir6  zu  finden  ist, 
so  werden  dabei  nicht  nur  die  leysingjar  und  die  f)yrmsla- 
menu  gemeinsam  als  Leute  geringeren  Standes  den  freige- 
boreneu  Bauern  gegenübergestellt,  sondern  sie  werden  auch 
unter  sich  unterschieden,  da  die  Zusammenstellung  beider 
Ausdrücke  doch  nicht  wohl  tautologisch  gemeint  sein  kann. 
Bei  Besprechung  der  Verbalinjurien  schiebt  ferner  dasselbe 
Rechtsbuch  die  mehrfach  besprochene  Regel,  dass  alle  Leute 
ihre  Busse  ,,silfrmetit"  erhalten  sollen,  mit  Ausname  der 
{)yrmslamenn,  ein,  nachdem  zuvor  die  Bussbeträge  des  höldr, 
ärborinn  maSr,  reks{>egn  und  leysmgjasonr  angegeben  wor- 
den waren,  aber  ehe  noch  die  Ansätze  für  die  Freigelassenen 
selbst  besprochen  sind ;  ^)  die  Vermuthung  liegt  nahe,  dass 
dieser  Ort  für  die  Einschiebung  darum  gewählt  wurde,  weil 
gerade  hier  die  Grenze  zwischen  den  {)yrmslamenn  und  den 
übrigen  Freien  lag,  und  dass  die  Besprechung  des  Freige- 
lassenen, der  sein  Freilassungsbier  gehalten  hat,  nur  darum 
hinter  statt  vor  das  Einschiebsel  zu  stehen  kam ,  weil  um 
der  Vereinfachung  des  Ausdruckes  willen  von  beiden  Classen 
der  Freigelassenen  in  einem  Satze  gehandelt  werden  wollte. 
Wenn  im  Stadtrechte  nach  Besprechung  der  verschiedenen 
Busssätze,  welche  beiden  Classen  von  Freigelassenen  zu- 
kommen, der  Satz  folgt :  ,,en  {>yrmslamenn  allir  skulu  {)yrmazt 
vi6  skapdröttinn  sinn  jafnt  i  kaupängi  sem  i  heraSi'V)  so 
kann  derselbe  doch  wohl  nur  auf  die  kurz  zuvor  bespro- 
chenen Freigelassenen  geringerer  Ordnung  bezogen  werden. 


1)  FrJL.,  X,  §.  35;  BjarkR.,  III,  §.  162. 

2)  BjarkR.,  II,  §.  47. 

[1878  I.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  1.] 


82         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

Endlich  die  Bestimmung,  dass  vagabundirende  Bettler,  welche 
keine  I>yrmslamenn  sind,  für  den  Fall,  dass  sie  arbeitsfähig 
und  somit  nicht  zum  Betteln  gezwungen  sind,  in  eine  Busse 
von  3  Mark  verfallen  und  für  diesen  Betrag  in  Schuldhaft 
genommen  werden  sollen,^)  findet  ihre  Erklärung  ebenfalls 
wider  ganz  naturgemäss  unter  der  Voraussetzung,  dass  der 
f)yrmslama8r  als  ein  Freigelassener  geringerer  Ordnung  auf- 
zufassen ist,  dessen  Versetzung  in  die  Schuldhaft  mit  den 
Rechten  unvereinbar  ist,  welche  dem  Patrone  ihm  gegen- 
über zustehen,  während  zugleich  die  Alimentationspflicht 
und  Schutzgewalt  eben  dieses  Patrons  die  eigene  Verschul- 
dung des  Mannes  im  gegebenen  Falle  ausscbliesst.  Man 
wird  gegen  diese  Schlussfolgerung  nicht  einwenden  dürfen, 
dass  an  ein  paar  weiteren  Stellen,  welche  einer  soeben  er- 
wähnten Angabe  sich  anschliessend  aussprechen:  ,,at  silfr- 
metinn  skal  arborins  manns  eyrir  allr  i  mannhelgi ,  nema 
{>yrmslamanna'',^)  ,,en  silfrmetit  er  ärborinna  fe,  en  sakgilt 
f)yrmslamanna  fe",^)  die  ärbornir  menn  den  I>yrmslamenn 
in  einer  Weise  gegenübergestellt  werden,  welche,  wenn  der 
Gegensatz  als  ein  erschöpfender  genommen  werden  will, 
auch  den  leysingi,  den  leysingjason,  und  sogar  den  reks^egn 
zu  diesen  letzteren  zu  zählen  nöthigen  würde;  es  scheint 
vielmehr  dabei  ein  ungenauer  Gebrauch  der  Bezeichnung 
ärborinn  maSr  vorzuliegen,  von  welchem  sich  auch  sonst 
Spuren  nachweisen  lassen.*)  Beachtenswerth  bleibt  aber  die 
in  Bezug  auf  die  Busszahlung  aufgestellte  Regel,  welche  da- 
durch nur  in  ein  helleres  Licht  gerückt  wird,  dass  bezüglich 
einzelner  Bussfälle  umgekehrt  gesagt  wird:  „en  {>at  skal 
Vera   allt    silfrmetit",  ^)  oder  auch :    „ok  sakgilt  allt ,  nema 


1)  Fr])L.,  X,  §.  39;  BjarkR.,  III,  §.  163. 

2)  Fr5L.,  IV,  §.  45. 

3)  ebenda,  X,  §.  46. 

4)  z.  B.  ebenda,  IX,  §.  10. 

5)  ebenda,  IV,  §.  49. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnonvegis ehern  Hechte.      83 

lögfest  se'V)  ^i«  ^gl-  ^^-  ^'^i^  wissen  nämlicli  aus  den  Ge- 
schichtsquellen, dass  bereits  zu  K.  Magnus  Erlingsson's  Zeit 
der  sakgildr  eyrir  nur  noch  halbsoviel  galt  als  der  silfr- 
metinn  eyrir;  ^)  die  Verschiedenheit  der  bei  beiden  Classen 
von  Freigelassenen  anzuwendenden  Berechnungsweise  hat 
somit  zur  Folge,  dass  die  Busse  des  Freigelassenen  geringerer 
Ordnung  bei  gleicher  Angabe  ihres  nominellen  Betrages 
effectiv  stets  nur  halb  so  hoch  sich  beläuft  als  die  Busse 
der  Freigelassenen  höherer  Ordnung.^)  Mag  sein,  dass  es 
damit  zusammenhängt,  wenn  bei  den  Bussangaben  der  Fr{)L. 
zumeist  die  beiden  Classen  der  Freigelassenen  nicht  mit 
gesonderten  Ansätzen  bedacht  werden ;  zu  der  mehrfach 
ausgesprochenen  Regel,  dass  die  Busssätze  der  verschiedenen 
Stände  im  Verhältnisse  von  2:3  ansteigen  sollen,^)  würde 
diese  Anname  freilich  wenig  passen.  —  Die  vdnartnenn  wer- 
den nur  an  zwei  Stellen  der  Fr{)L.  genannt.  Das  einemal 
wird  bei  Erörterung  der  Frage,  wie  der  Patron  sein  Recht 
gegenüber  dem  Freigelassenen  niederer  Ordnung  zu  verfolgen 
habe,  wenn  dieser  sich  seiner  ,,vörn"  zu  entziehen  sucht, 
und  zwar  unmittelbar  nachdem  ausgesprochen  worden  war, 
dass  der  sachfällige  Freigelassene  sein  ganzes  Vermögen 
und  eine  Busse  von  3  Mark  verwirkt  habe,  und  in  Schuld- 
haft zu  nemen  sei,  bis  er  die  letztere  abverdient  habe, 
sofort  beigefügt,  dass  es  ebenso  ,,um  vänarmenn"  zu  halten 
sei ;  ^)  die  zweite  Stelle  aber  bestimmt,  dass  der  Schiffsherr, 
welcher  ein  Weib  ausser  Lands  bringt ,  „er  vänarmaÖr 
manns  er,  eSa  leysingja  manns",  dafür  dem  Herrn  dieses 
Weibes    12  Unzen   büssen,   und    alles  Gut   ersetzen    müsse, 


1)  ebenda,  XIII,  §.  15. 

2)  Heiraskr.   Magnüss   s.  Erlingssonar,    cap.  16,   S.  792; 
Fagrsk.,  §.  26.8,  S.  179,  u.  dgl.  m. 

3)  vgl.  Gjessing,  S.  293. 

4)  siehe  oben,  S.  39—40. 

5)  FrjL.,  IX,  §.  10. 

6* 


84         Sitzung  der  philo s.'plülol.  Classe  vom  9.  Februar  187S. 

welches  die  Freigelassene  erweislichermassen  besessen  hatte.  ^) 
Hiernach  ist  klar,  dass  unter  den  vänarmenn  Leute  za  ver- 
stehen sein  müssen,  deren  Stellung  sich  mit  der  der  Frei- 
gelassenen einigermassen  berührt,  und  welche  zumal  wie 
diese  durch  die  Rechte  eines  Herrn  in  der  Freiheit  ihrer  Be- 
wegung einigermassen  beschränkt  sind,  während  sie  doch  an- 
dererseits Vermögen  besitzen  und  verwirken  mögen.  Ich  kann 
hiernach  nicht  mit  Joh.  Fritzner  und  GuSbrandr  Viorfüsson  an 
einen  Bettler,  Almosenempfänger  oder  zu  verpflegenden  Armen 
denken,  obwohl  Redensarten  wie  ,,ganga  ä  van",  „gänga  meS 
vänarvöl",  „bera  vänarvöl"  allerdings  eine  solche  Deutung 
nahe  legen;  ebensowenig  möchte  ich  aber  auch  mit  Gjessing, 
welcher  sich  am  Einlässlichsten  mit  dem  Ausdrucke  befasst 
hat,  ^)  diesen  auf  die  Schuldknechte  oder  auf  die  Austrägler 
beziehen ,  sondern ,  einer  anderen  von  dem  Letzteren  ge- 
wiesenen Spur  folgend,  glaube  ich  in  denselben  lediglich 
die  höhere  Classe  der  Freigelassenen  erkennen  zu  sollen. 
Im  isländischen  Rechte  wird  der  Ausdruck  arfvän,  was  auch 
seiner  Etymologie  völlig  entspricht,  schlechtweg  für  die 
Anwartschaft  auf  eine  Erbschaft  gebraucht ;  ^)  in  den  Frt)L. 
aber  steht  derselbe  einmal  speciell  für  das  eventuelle  Erb- 
recht, welches  dem  Freilasser  und  seiner  Nachkommenschaft 
gegenüber  dem  Freigelassenen  und  seiner  Descendenz  bis 
zum  8ten  Grade  einschliesslich  zusteht,*)  und  in  den  G{>L. 
wird  in  diesem  letzteren  Sinne  sogar  einmal  das  einfache 
,,von"  gebraucht.^)  Hiernach  mochten  als  vonarmenn  recht 
wohl  diejenigen  Freigelassenen  sammt  ihrer  Nachkommen- 
schaft bezeichnet  werden,  welche  ,,6r  f)yrmslum"  sind,  und 
somit   nur    eben    noch    einem    subsidiären    Erbrechte   ihres 


1)  ebenda,  §.  16. 

2)  Gj  es  sing,  S.  256—60. 

3)  z.  B.  Kgsbk.,  §.  123,  S.  236;  ArfaJ.,  cap.  10,  S.  200-201. 

4)  PrI.L.,  IX,  §.  11. 

5)  G5L.,  §.  63. 


Maurer:  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Beeilte.     85 

Freilassers  und  seiner  Descendenz  nuterliegen;  wird  doch 
auch  in  einem  schwedischen  Rechtsbuche  der  Ausdruck 
„BGgha  van  til  fostra"  für  das  Recht  eines  Herrn  an  seinem 
Unfreien  gebraucht ,  und  von  Schlyter  gerade  aus  des 
Ersteren  Anwartschaft  auf  dessen  Erbe  erklärt.^) 

Kurz  zusammengefasst  ist  das  Ergebniss  der  bisherigen 
Untersuchung  folgendes.  Die  sämmtlichen  norwegischen 
Provincialrechte  unterscheiden  zwei  Classen  von  Freige- 
lassenen. Der  geringeren  Classe  von  solchen  fehlt  die  volle 
Freizügigkeit ,  die  Verehelichuugsbefugniss ,  die  freie  Ver- 
fügung über  das  eigene  Vermögen ,  sowie  das  gegenseitige 
Erbrecht  unter  den  ^Eltern,  Kindern  und  Geschwistern;  sie 
unterliegt  ferner  den  als  |>yrmslir  bezeichneten  Verpflich- 
tungen gegenüber  dem  Freilasser  und  seiner  Nachkommen- 
schaft, sowie  einer  Schutzgewalt  desselben,  während  sie  zu- 
gleich in  Bezug  auf  Wergeid  und  Busse,  dann  in  einer 
Reihe  von  anderen  Beziehungen,  in  welchen  sich  die  Ab- 
stufung der  Stände  geltend  zu  machen  pflegt,  entschieden 
zurückgesetzt  erscheint.  Die  höhere  Classe  derselben  ist 
dagegen  von  den  {)yrmslir  sowohl  als  der  vorn  befreit,  ge- 
niesst  der  Freizügigkeit,  Verehelichuugsbefugniss  und  des 
freien  Verfüguugsrechtes  über  ihr  Vermögen,  sowie  eines 
Erbrechtes,  welches  allerdings  auf  den  ersten  Grad  der  Ver- 
wandtschaft beschränkt  ist;  sie  unterliegt  aber  noch  einem 
subsidiären  Erbrechte  des  Freilassers  und  seines  Hauses, 
welchem  hinwiderum  auch  eine  subsidiäre  Alimentationspflicht 
entspricht,  und  steht  in  Bezug  auf  die  Standesrechte  zwar 
auch  noch  den  vollfreien  Leuten  nach,  aber  doch  entschie- 
den über  die  niedere  Classe  der  Freigelassenen  emporgerückt. 
Die  BJjL.  und  E^L.  bezeichnen  dabei  die  Freigelassenen 
niederer  Ordnung  als  frjälsgjafar ,  und  die  Freigelassenen 
höherer  Ordnung  als  leysingjar,  während  die  G{)L.  und  Fr{)L., 


1)  vgl.  Schlyter',  s.  v.  van. 


86         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

sowie  das  Stadtreclit  die  letztere  Bezeiclmung  für  beide 
Classen  brauchen ;  doch  deuten  einzelne  Spuren  in  den  Fr{)L. 
und  im  BjarkR.  darauf  hin,  dass  jene  erstere  Terminologie 
früher  auch  im  Drontheimischen  üblich  gewesen  war,  und 
hier  kommt  überdiess  auch  wohl  die  Bezeichnung  {)yrmsla- 
menn  für  die  geringere,  und  die  Bezeichnung  vanarmenn 
für  die  höhere  Classe  der  Freigelassenen  vor.  Der  Unter- 
schied zwischen  beiden  Classen  beruht  dabei  nach  den  G{>L., 
FrJjL.  und  dem  BjarkR.  darauf,  dass  die  niedere  Classe  aus 
den  Freigelassenen  besteht,  welche  ihr  Freilassungsbier  noch 
nicht  gehalten  haben,  die  höhere  dagegen  aus  denen,  w^elche 
dasselbe  gehalten  haben;  jedoch  gehört  zu  der  ersteren 
Classe  auch  noch  der  Sohn,  oder  sogar  der  Sohn,  Enkel 
und  Urenkel  des  ursprünglich  Freigelassenen,  wogegen 
dessen  Enkel,  beziehungsweise  Urenkel  auch  ohne  Haitang 
eines  Freilassungsbieres  in  die  höhere  Classe  übertritt,  und 
zu  dieser  höheren  Classe  zählt  sodann  noch  die  weitere 
Descendenz  bis  zum  8ten  Grade  einschliesslich,  sodass  erst 
mit  dem  9ten  Grade  der  beiderseitigen  Nachkommenschaft 
die  Beziehungen  zwischen  dem  Hause  des  Freilassers  und 
dem  Hause  des  Freigelassenen  völlig  erlöschen.  Dem  gegen- 
über lassen  die  Bt)L.  und  El>L.  nicht  erkennen,  auf  welche 
Momente  sich  bei  ihnen  die  Scheidung  beider  Classen  stützte, 
wenn  sie  auch  andeuten,  dass  auch  bei  ihnen  die  Zugehörig- 
keit zu  denselben  in  gewissem  Umfange  auf  die  Nach- 
kommenschaft des  Freigelassenen  sich  erstreckte;  als  wahr- 
scheinlich wird  indessen  immerhin  bezeichnet  werden  dürfen, 
dass  auch  in  der  östlichen  Hälfte  des  Reichs  die  Verhältnisse 
beider  Classen  änlich  geordnet  gewesen  sein  werden  wie  in  der 
westlichen.  Nicht  verkennen  lässt  sich  übrigens,  dass  in  den 
Gl>L.  und  Fr{)L.  die  Scheidung  der  beiden  Classen  sich  nicht 
mehr  mit  derselben  Schärfe  ausgeprägt  zeigt,  wie  in  den 
B|>L.  und  Ef>L.,  soferne  die  niedere  Classe  dort  bereits  mehr- 
fach mit  der  höheren  verschmolzen  erscheint;  doch  scheint 


Maurer :  Die  Freigelassenen  nach  altnorwegischem  Rechte.      87 

sich  die  Gleichstellung  beider  zunächst  auf  die  Punkte  be- 
schränkt zu  haben,  welche  die  Standesrechte  als  solche  be- 
trafen, während  das  Verhältniss  des  Freigelassenen  zu  seinem 
Freilasser  von  ihr  noch  unberührt  blieb,  und  mag  gerade 
hiemit  das  Aufkommen  der  von  dieser  letzteren  Seite  her- 
genommenen Bezeichnungen  {>yrmslamenn  und  vänarmenn 
zusammenhängen.  Endlich  entwickelt  sich  aber  auch  noch 
innerhalb  der  höheren  Classe  eine  Bevorzugung  der  leys- 
mgjasjnir  vor  den  lejsingjar  selbst,  welche,  durch  die  un- 
organische Beschaffenheit  der  den  ersteren  zugestandenen 
Bassbeträge  als  Erzeugniss  einer  späteren  Zeit  gekennzeichnet, 
auch  ihrerseits  ein  Streben  nach  allmäliger  Annäherung  der 
Freigelassenen  an  die  Freigeborenen  erkennen  lässt. 


Sitzung  vom  9.  Februar  1878. 


Der  Classensekretär  legte  eine  Abhandlung  des  Herrn 
F.  G.  ünger  vor: 

„Zum  Kalender  des  Thukydides.'^ 

Zwei  in  den  Sitzungsberichten  für  1875  von  mir  ver- 
öffentlichte Abhandlungen;  Zur  Zeitrechnung  des  Thukydides 
(I,  28  ff.)  und  Der  attische  Kalender  während  des  pelopon- 
nesischen  Krieges  (II,  1  ff.) ,  sind  mittlerweile  in  Bursians 
Jahresbericht  über  die  Fortschritte  der  classischen  Alter- 
thumswissenschaft  von  Holm  (Jahresb.  über  Sicilien  1875. 
n,  88),  Alfr.  Schoene  (Jahresb.  über  Thukydides  1875.  I, 
855)  und  Volquardsen  (J.  üb.  griechische  Chronologie  1876. 
I,  412)  einer  Beurtheilung  unterzogen  worden ;  zugleich  hat 
U.  Köhler  in  seiner  trefflichen  Bearbeitung  der  attischen 
Inschriften  amtlichen  Charakters  aus  dem  IV. — I.  Jahrh. 
(Corp.  inscr.  att.  II,  1.  1877)  das  urkundliche  Material 
derart  verbessert  und  vermehrt,  dass  die  Chronologie  auch 
der  vorhergegangenen  Zeit  dadurch  erheblich  gefördert  wird. 
Ich  halte  es  für  nothwendig,  die  Ergebnisse  chronologischer 
Untersuchungen ,  sofern  dieselben  allgemeiner ,  principieller 
Natur  sind  und  von  ihrer  Annahme  oder  Verwerfung  die 
Behandlung  auch  anderer  als  der  zunächst  besprochenen 
Fragen  abhängt,  selbst  einer  endgiltigen  Entscheidung  mit- 
zuzuführen  und   sie    entweder    nach    bestem    Gewissen    zu 


Unger:   Zum  Kalender  des  Thukydides,  89 

stützen  und  aufrecht  zu  halten  oder  begangenen  Irrthum 
offen  einzugestehen,  und  erlaube  mir  daher  hier  vorzulegen, 
was  ich  in  beiden  Beziehungen  zu  sagen  habe. 

In  dem  ersten  der  beiden  Aufsätze  wird  die  Ansicht 
durchgeführt,  dass  Thukydides  den  Anfang  seiner  Kriegs- 
jahre und  Sommersemester  nicht,  wie  man  bisher  glaubte, 
an  die  Naturzeit  des  Ueberfalls  von  Plataia,  mit  welchem 
der  peloponnesische  Krieg  anhob,  und  an  den  Frühlings- 
eintritt (mit  welchem  jener  Ueberfall  gar  nicht  einmal  zu- 
sammentraf), sondern  an  das  Kalenderdatum  desselben,  Ende 
Anthesterion,  angeknüpft  hat.  Nach  moderner  Zeitrechnung 
würde  das  natürlich  keinen  Unterschied  ausmachen;  die 
griechischen  Monate  waren  aber,  wie  bekannt,  nach  dem 
Laufe  des  Mondes  gerichtet,  der  Neumond  sollte  auf  den 
ersten  Monatstag  treffen  und  da  das  gemeine  Mondjahr  354 
oder  355,  das  dreizehnmonatliche  oder  Schaltjahr  aber  384 
Tage  hielt,  so  mussten  die  Monatstage  in  jedem  Jahre  auf 
einen  andern  Zeitpunkt  des  Natur-  und  Sonnenjahres  fallen, 
der  viertletzte  oder  letzte  Anthesterion  also  sein  zeitliches 
Verhältniss  zum  Frühlingsanfang  mit  jedem  Jahre  wechseln. 
Dieser  Grundgedanke  des  ersten  Aufsatzes  hat,  wenn  wir 
die  Uebereinstimmuüg  der  drei  Berichterstatter  dahin  aus- 
legen dürfen,  allgemeine  Billigung  gefunden. 

Es  mag  befremden,  wenn  andrerseits  der  Anfang  des 
Wintersemesters  für  Thukydides  nicht  auch  auf  ein  kalen- 
darisches Datum,  sondern  auf  Naturzeit,  die  Herbstnacht- 
gleiche, gelegt  wird,  und  Volquardsen  hat  denn  auch  ernste 
Bedenken  gegen  solche  Inconsequenz  geäussert:  es  werde, 
glaubt  er,  auf  eine  nochmalige  genauere  Prüfung  ankommen, 
ob  nicht  die  Annahme  sich  rechtfertigen  lasse,  dass  der 
Geschichtschreiber  im  Gemeinjahr  6  und  im  Schaltjahr 
6V2  Monate  auf  jedes  Semester  gerichtet  habe.  Es  ist  nicht 
recht  deutlich,  ob  dieser  Annahme  die  verlangte  genauere 
Prüfung  vorausgegangen  ist  oder  ob  letztere  anzustellen  mir 


90        ISitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

zugemuthet  wird.  In  jenem  Falle  wäre  es  gut  gewesen  die. 
Elemente  der  Prüfung  gleich  mitzutheilen  ;  in  diesem  darf 
ich  erinnern,  dass  die  verlangte  Probe  schon  gemacht  und 
Zeitr.  d.  Thuk.  p.  69  vorgelegt  ist.  Im  zwölfmonatlichen 
Jahr  würde  das  Wintersemester  bei  kalendarischer  Epoche 
desselben  am  Ende  Metageitnion  begonnen  haben  ;  aber  so- 
wohl 418  als  413  v.  Chr.  begann  es  erst  in  der  Mitte  des 
nächstfolgenden  Monats  Boedromion ,  also  mindestens  6V2 
anstatt  6  Monate  nach  dem  Anfang  des  Sommersemesters 
und  Kriegsjahrs.  Wie  Thukydides  zu  jener  Inconsequenz 
gekommen  und  womit  sie  zu  entschuldigen  ist,  habe  ich 
a.  a.  0.  auseinandergesetzt;  die  Gleichheit  der  beiden  Se- 
mester im  Ungefähren  und  durchschnittlich  bleibt  gewahrt: 
denn  das  Sommersemester  beginnt  theils  mit  theils  kurz 
vor  theils  bald  nach  der  Nachtgleiche,  dem  Frühlingsanfang 
des  Thukydides,  im  Durchschnitt  also  um  dieselbe.  Der 
früheste  Jahres-  und  Sommersanfang  fällt  28  Tage  vor  der 
Gleiche  (414  v.  Chr.),  der  späteste  14  Tage  nach  ihr 
(im  J.  430). 

Den  bürgerlichen  Tag  beginnt  Thukydides,  wie  ich  an 
der  Geschichte  des  Untergangs  der  sicilischen  Expedition 
zu  zeigen  gesucht  habe,  mit  Sonnenuntergang ;  nach  Plinius 
und  Censorinus  war  das  allgemein  attische  Rechnung  und 
sie  entspricht,  wie  das  gleiche  Verfahren  der  Araber  und 
Hebräer,  dem  Umstände,  dass  die  ganze  Zeitrechnung  au 
den  Lauf  des  Mondes  geknüpft  war.  Holm  belehrt  mich, 
dass  im  Süden  die  Nacht  viel  schneller  auf  den  Sonnen- 
untergang folgt  als  in  meiner  Uebersetzung  von  f-iixQi  oipe 
Thuk.  7,  83  (Zeitr.  d.  Thuk.  p.  ^^:  bis  zum  Eintritt  der 
Nacht)  vorausgesetzt  wird  und  verwirft  darauf  hin  meine 
ganze  Tagrechnung.  Diese  steht  und  fällt  aber  nicht  mit 
meiner  irrigen  Auffassung  jener  Stelle  und  Volquardsen  hat 
treffend  bemerkt ,  dass  die  Uebersetzung :  „bis  tief  in  die 
Nacht"  ebenso  statthaft  ist. 


Unger:  Zum  Kalender  des  ThuJcydides.  91 

Dadurcli  dass  der  Gescbichtschreiber  das  Kriegsjahr 
und  Sommersemester  zu  Ende  des  Monats  Anthesterion  an- 
fangen, in  vielen  Fällen  aber  zugleich  erkennen  lässt,  ob 
dieses  Datum  dem  Frühlingsanfang  d.  i.  der  Nachtgleiche 
vorausgeht  oder  nachfolgt,  gewinnen  wir  neue  Aufschlüsse 
über  die  Naturzeit  und  Dauer  der  einzelnen  Kalenderjahre 
und  damit  ein  Correctiv  der  von  Redlich,  E.  Müller  und 
Boeckh  aufgestellten  Entwürfe  des  attischen  Kalenders  jener 
Zeit.  Dies  ist  die  Grundlage ,  auf  welcher  ich  in  dem 
andern  Aufsatze  diesen  Kalender  wiederherzustellen  suche, 
und  demselben  wird  der  Boden  entzogen ,  wenn  der  ent- 
schiedene Protest ,  welchen  Volquardsen  gegen  die  von  mir 
aus  den  Erwähnungen  des  Frühlings  oder  ihrem  Fehlen  bei 
Thukydides  gezogenen  Schlüsse  einlegt,  begründet  ist.  Bei 
näherem  Zusehen  findet  sich  jedoch,  dass  Volquardsen  meine 
Darlegungen  missverstanden  und  Ansichten  bekämpft  hat, 
welcbe  ich  gar  nicht  aufgestellt  habe,  nämlich  die,  dass 
Thukydides,  wo  er  am  Beginn  des  Jahres  den  Zusatz  «,w« 
t(7)  7]qi  oder  afta  to)  iqQt  aq%o^ieviü  mache,  den  Frühlings- 
eintritt früher  setze  als  den  Beginn  des  Kriegsjahres  und 
Sommersemesters  und,  wo  jener  Zusatz  fehle,  später. 

Die  erste  dieser  zwei  mir  zugeschriebenen  Behauptungen: 
der  Zusatz  von  ccfxa  %u)  v^ql  (aQxof.i6vcü)  beim  Jahresanfang 
des  Thukydides  deute  auf  Eintritt  des  Frühlings  vor  Anfang 
des  Kriegsjahres  hin,  involvirt  eine  Ungereimtheit  und  es 
wundert  mich,  dass  Volquardsen  nicht,  anstatt  durch  Bei- 
spiele diesen  meinen  angeblichen  Irrthum  zu  widerlegen, 
einfach  auf  die  Thatsache  hingewiesen  hat,  dass  die  Er- 
wähnung des  Frühlingsanfangs  in  solchen  Fällen  eben  beim 
Anfang  des  Kriegsjahrs  und  Sommersemesters  und  nicht 
vielmehr  im  Wintersemester  angebracht  ist.  Auf  p.  32  ff. 
meiner  Arbeit  über  die  Zeitrechnung  des  Thukydides,  wo 
diese  Behauptung  stehen  soll,  sage  ich  nichts  dergleichen; 
die  dahin  bezügliche  Stelle  lautet  p.  32:  „zou  e7ttyLyvo(.ievov 


92        Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

d-lqovg  bezeichnet  bloss :  im  Laufe  des  neuen  Jahres.  Hieraus 
folgt,  dass  der  eigentliche  Anfang  des  neuen  Soramers  und 
Jahres  in  diesen  Fällen"  —  nämlich  wo  CLf-ia.  2ro>  rjQi  («^/o^6Vw) 
hinzugefügt  ist  —  ,,der  Frühlingsnachtgleiche  (wenn  auch 
8,  61,  vgl.  p.  29,  nur  sehr  kurze  Zeit)  vorausgegangen  war.'* 
Da  Frühlings  Anfang,  wie  Volquardsen  mit  mir  annimmt, 
bei  Thukydides  mit  der  Nachtgleiche  zusammenfällt  und 
das  für  die  bezeichneten  Fälle  von  mir  wirklich  behauptete 
Vorausgehen  des  Jahresanfangs  vor  der  Frühlingsnachtgleiche 
gerade  das  Gegen th eil  von  dem  angeblich  von  mir  ausge- 
sagten früheren,  vor  Jahresanfang  erfolgten  Eintritt  des 
Frühjahrs  ist,  so  erhellt  mit  Evidenz,  dass  Volquardsen  meine 
Ansicht  in  ihr  gerades  Gegentheil  verkehrt  hat. 

Wie  dieses  Quidproquo  entstanden  ist,  erkennt  man 
aus  dem  Citat,  welches  gegen  mich  in's  Feld  geführt  wird: 
es  ist  gerade  das ,  welches  ich  selbst  an  der  so  eben  aus- 
geschriebenen Stelle  angeführt  habe.  Am  schlimmsten, 
sagt  V.,  stehe  meine  Sache  Thuk.  8,  61,  wo  ccf-ia  tw  tjql 
Evd^vg  aQyo(.dv(i)  am  Beginn  des  Kriegsjahres  beigefügt  sei, 
nach  meiner  Lehre  aber  der  Eintritt  des  Frühjahrs  diesem 
vorausgegangen  sein  niüsste.  Der  viertletzte  Anthesterion 
(mein  Datum  des  thukydideischen  Jahranfangs)  falle  bei  mir 
wie  bei  Boeckh  im  J.  412  auf  den  5.  oder  6.  März,  aber 
nach  der  richtigen,  von  mir  selbst  Zeitr.  p.  29  gegebenen 
Rechnung  seien  von  der  Wintersonnwende  bis  zu  diesem 
Jahranfang  mehr  als  90  Tage,  also  eine  weit  über  den 
6.  März  hinausführende  Zeit  vergangen ;  meine  Theorie  der 
thukydideischen  Jahresrechnung  sei  demnach  nicht  mit 
Boeckhs,  sondern  nur  mit  Redlichs  Fixirung  von  Ol.  91,4. 
413/2  und  92,  1.  412/1  vereinbar.  So  Volquardsen,  in  dessen 
Ausführung  alles  richtig  ist,  mit  Ausnahme  eines  einzigen 
aber  wesentlichen  Punktes:  Thukydides  spricht  8,  61  vom 
Frühlingsanfang  des  J.  411,  nicht  412,  und  vom  Ende  nicht 
des  neunzehnten  Kriegsjahres,   wie  V.  meint,   sondern  des 


ünger:  Zum  Kalender  des  Thukydides.  93 

zwanzigsten;  von  ersterem  war  Thuk.  8,  7  die  Rede.  Vol- 
qnardsen  hat  das  Ende  des  neunzehnten  Kriegsjahres,  welches 
auf  deu  5.  oder  6.  März  412  fällt  (Att.  Kai.  p.  50),  mit 
dem  des  zwanzigsten  verwechselt;  dieses  und  der  Anfang 
des  21.  Jahres  entfiel  (Att.  Kai.  p.  51)  auf  den  24.  März 
411,  der  Frühlingsanfang  aber  auf  den  26.  März  411,  also, 
wie  ich  erklärt  habe,  nur  wenige  Tage  später.  Mit  der 
falschen  Prämisse  fallen  natürlich  auch  die  Folgerungen, 
welche  daraus  auf  die  Fixirung  von  Ol.  91,  4  und  92,  1 
gezogen  werden  ^). 

Die  andere  mir  zugeschriebene  und  als  unrichtig  ange- 
fochtene Behauptung :  wo  die  Formel  af^ia  reo  ?  ql  (ccQxoixhcp) 
am  Anfang  des  Jahres  fehle,  sei  der  Beginn  des  Frühlings 
sicher  erst  nach  dem  des  Kriegsjahres  erfolgt,  stimmt  un- 
gefähr mit  Zeitr.  p.  35  a.  E.  überein,  wo  ich  (die  Stelle 
muss  ausgeschrieben  werden,  weil  es  sich  um  richtige  Auf- 
fassung der  Worte  handelt)  Folgendes  sage :  „Hat  in  diesen 
drei  Fällen  das  Fehlen  der  Formel  af,ia  fjQi  a()xof-ievip  bei 
Erwähnung  eines  am  Anfang  des  Kriegsjahres  stattgehabten 
Ereignisses  seinen  Grund  darin ,  dass  das  Jahr  schon  vor 
dem  Eintritt  des  Frühliugs  begonnen  hatte ,  so'*  u.  s.  w. 
Es  war  aber  erstens  zu  beachten,  dass  ich  diesen  Satz  auf 
gewisse  Fälle  eingeschränkt,  gleich  nachher  p.  36  andere 
aufgeführt  habe  in  welchen  Thukydides  den  Frühlingseintritt 
in  dem  vorhergehenden  Wintersemester  erwähnt,  und  dess- 
wegen  nicht  aus  dem  Fehlen  jener  Formel  beim  Sommers- 
und Jahresanfang  auf  einen  erst  nach  diesem  erfolgten  Ein- 
tritt des  Frühlings  geschlossen  werden  darf;  in  der  Allge- 
meinheit, welche  der  Satz  bei  V.  bekommen  hat,  habe  ich 
ihn  nicht  ausgesprochen.     Davon  abgesehen,    halte  ich  ihn 


1)  Vom  25.  Dezember  412  bis  zum  24.  März  411  sind  89  Tage  ;  dazu 
kommen  2  (oder  etwas  mehr)  Tage  bis  an  (oder  in)  den  Anfang  des 
Frühlings,  und  die  Unbestimmtheit  des  Ausdrucks:  um  die  Wintersonn- 
wende gestattet  am  Anfang  noch  mehrere  Tage  hinzuzufügen. 


94        Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

aufrecht  und  wenu  Volquardsen  ihn  bekämpft,  so  geschieht 
es  nur  dadurch ,  dass  er  an  die  Stelle  der  bestimmt  und 
unmissverständlich  ausgesprochenen  Worte:  „Bei  Erwähnung 
eines  am  Anfang  des  Kriegsjahres  stattgehabten  Ereignisses" 
den  Ausdruck:  ,,am  Anfang  des  Jahres"  setzt  und  diesen 
nun  wider  alles  Erwarten  so  behandelt,  als  sei  er  gleich- 
bedeutend mit  dem  Anfang  der  Jahrbeschreibung.  Ein  Er- 
eigniss  aus  dem  Anfang  des  Jahres  wird  immer  auch  am  An- 
fang der  Jahresgeschichte  stehen,  aber  nicht  umgekehrt  wird 
der  Anfang  einer  Jahrbeschreibung  auch  jederzeit  ein  solches 
Ereigniss  verzeichnen,  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  der 
Geschichtschreiber  oft  aus  den  ersten  Monaten  des  Kriegs- 
jahres nichts  Nennenswerthes  zu  melden  hatte.  Gerade  von 
dieser  Art  aber  sind  die  zwei  Beispiele,  mit  welchen  V. 
obigen  Satz  widerlegen  will.  Das  eine  ist  Thuk.  2,71  tov 
(5'  htiyiyvo^evov  d^eqovg  ol  [IsXoitovvrjOLOL  v.al  oi  ^vj.if.iaxoi 
lg  (Äev  Trjv  y^TTixi^v  ovy,  eoeßaXov,  loTQaxevoav  (5'  hcl  JlXa- 
raiav.  Das  erste  Ereigniss  dieses  Kriegsjahres,  der  Zug 
gegen  Plataia,  fiel,  wie  die  Erklärer  (vgl.  Classen  z.  d.  St.) 
bemerken,  in  den  Juni,  alöo  zwei  Monate  nach  dem  Anfang 
des  Jahres  und  einen  Monat  nach  Frühlings  Ende ;  der  viert- 
letzte Anthesterion  Ol.  87,  3  entspricht  dem  8.  April  429 
(nicht  dem  9.  April,  s.  Att.  Kai.  p.  11  Anm.  7)  und  die 
Grenze  zwischen  Frühling  und  Sommer  bildete  der  Früh- 
aufgang der  Pleiaden  vor  Mitte  Mai.  Zu  dem  andern  Bei- 
spiel :  3,  89  Tov  S'  sfciyiyvof^evov  d^iqovg  IleXoTtoivriOLOt  y,al 
01  ^v^(.La%OL  (A.e%()L  (.liv  rov  loi)(.iov  r^XO-ov  cog  ig  Tt]v  ^^ttiktjv 
ioßalovvTEg  habe  ich  Att.  Kai.  p.  19  ausdrücklich  bemerkt, 
dass  in  die  Nähe  dieser  Jahresepoche  (7.  April  426,  nicht 
wie  Volquardsen  mich  rechnen  lässt,  12.  April)  kein  nennens- 
werthes Ereigniss  fiel,  und  das  erste  nennenswerthe  d.  i.  vom 
Geschichtschreiber  einer  Nennung  gewürdigte ,  der  Zug  an 
den  Isthmos,  ist  von  mir  Att.  Kai.  p.  16  und  49  ungefähr 
in  den  Mai  gesetzt  worden :  da  hier  ebenso  wie  in  dem  erst- 


Unger:  Zum  Kalender  des  Thukydides,  95 

genannten  Beispiel  zu  tov  erciyiyvoixtvov  d^lqovQ  nicht  evd^vg 
gesetzt  ist,  so  habe  ich  dieses  Ereigniss  als  ein  nicht  am 
Anfang  des  Kriegsjahres  stattgefundenes  betrachtet.  Von 
meiner  Seite  war  also ,  wie  mir  scheint ,  genug  geschehen, 
um  Missverständniss  zu  verhüten. 

Auf  Grund  der  Schlüsse,  welche  die  Angaben  über  das 
Verhältniss  des  Frühlings  zu  dem  kalendarischen  Datum  des 
Ueberfalls  von  Plataia  und  der  Kriegsjahrepoche  an  die  Hand 
geben,  habe  ich  dieses  Att.  Kai.  p.  10  fg.  auf  den  viert- 
letzten Anthesterion  bestimmt,  mit  der  Bemerkung,  dass  es 
auch  der  drittletzte  gewesen  sein  könne.  Nachdem  der  gegen 
diese  Schlüsse  erhobene  Widerspruch  sich  als  unbegründet 
erwiesen  hat,  kann  auch  der  mit  diesem  zusammenhängende 
Vorschlag,  zu  Boeckhs  Datum  des  Ueberfalls,  dem  letzten 
Anthesterion  zurückzukehren,  nicht  angenommen  werden. 
Der  Einwand ,  dass  bei  meinem  Ansätze  Thukydides  seine 
Jahre  nach  einem  bestimmten  Monatsdatum  berechnet  und 
doch  dasselbe  nicht  genannt  haben  würde,  trifft  auch  den 
Ansatz  Boeckhs ,  bei  welchem  Volquardsen  das  Datum  in 
den  Worten  IIvd-oÖMQOv  ezi  reGoagag  f.i^vag  aqxovTog  ^d-7]- 
vaioig  Th.  2,2  vorzufinden  glaubt.  Dann  würden  wir  ja  den 
1.  Elaphebolion,  nicht  den  letzten  Anthesterion  als  das  Datum 
ansehen  müssen,  was  gegen  Th.  2,  4  relevrcovrog  tov  firjvog 
la  yiyv6(,isva  riv  streitet.  Letzterer  Ausdruck  lässt  von 
Hause  aus  die  Wahl  zwischen  mehreren  Tagen  (Att.  Kai. 
p.  10)  und  jener  an  sich  ganz  triftige  Einwand  Volquard- 
sens  trifft  zu,  welchen  Schlusstag  des  Anthesterion  mau  auch 
immer  aufstelle:  er  fällt  dem  Geschichtswerke  selbst  zur 
Last  und  es  ist  keine  andre  Erklärung  für  diese  Versäumniss 
aufzufinden  als  dieselbe,  welche  auf  den  auffallenden,  von 
Thuk.  5,  20  ff.  begangenen  Widerspruch  über  die  Zeit  seiner 
Jahrepoche  und  auf  so  viele  andere  Unebenheiten  anzuwenden 
ist:  seinem  Werke  fehlt  nicht  bloss  der  Schluss,  sondern 
die  letzte  Hand  überhaupt,  es  ist  nicht  einheitlich  redigirt. 


96        Sitzung  der  philos.-phüol.  Glasse  vom  9.  Februar  1878, 

Eine  andere  Frage  ist,  wie  man  sich  den  so  bestimmten 
Ausdruck  reooaQag  jurjvag  erklären  soll,  Angesichts  der  That- 
sache,  dass  in  Wirklichkeit  mindestens  ein  Tag  über  vier 
Monate  gewesen  ist.  Da  es  Thukydides  ein  Leichtes  ge- 
wesen wäre,  Gxeddv  oder  einen  ähnlichen  Ausdruck  hinzuzu- 
fügen, so  muss  man  hierin  wohl  eine  Eigenthümlichkeit 
seines  Sprachgebrauchs  erkennen.  Ebenso  scheinbar  bestimmt 
spricht  er  an  den  anderen  Stellen,  v/o  Monate  in  Cardinal- 
zahlen  angegeben  sind:  2,65  UeQiKlrjg  STreßlco  Svo  Iri]  %at 
fÄTJvag  t^;  5,25  s^l  e§  ttr^  Kai  furjvag  öeKa  ajttoyj^vto  ^.ir^ 
Inl  Trjv  exaze^cüv  yrjv  orgarevoaL ;  6,21  jurivcov  TeooaQcov  tcov 
X£if.iEQivwv  \  7,87  eSlöoGav  exaGToj  eicl  oxtw  (.ir^vag  kotvXtjv 
vöaTog  YML  ovo  xozvXag  oItov.  Niemand  wird  ernstlich  be- 
haupten, dass  die  hier  genannten  Monate  keinen  Tag  zu 
viel  oder  zu  wenig  gehabt  haben  und  von  den  vier  Winter- 
monaten ist  es  gewiss,  dass  genauer  4\'2  oder  3V2  zu  sagen 
gewesen  wäre  ^).  Wo  es  ihm  um  grössere  Bestimmtheit  des 
Ausdrucks  zu  thun  ist,  gibt  er  bloss  Tage  an,  beschränkt 
aber  diese  Zählungs weise  auf  die  Zehner :  2,57  rmlqag 
TEGGaQaxovra  jualiGTa  ev  t^  yfj  ttJ  läxTi'/.fj  eyevovTO ;  4,39 
XQOvog  6  GvfÄftag  syeveTO  eßdo^r^v-ovra  '^f.ieQat  xat  ovo ;  7,87 
TjfXEQag  Ißöo^r^yiovza  rivag  Sir^TriS^rjGav  ccS^qool;  8,44  iqGvxcc- 
^ov  rnxeqag  oydorjytovra ;  vgl.   1,60.  2,19. 

Ein  erquicklicheres  Thema  als  diese  nothgedrungene 
Auseinandersetzung  mit  den  an  sich  wohlgemeinten  Ein- 
wendungen eines  achtbaren  Gelehrten  ist  die  Betrachtung 
der  Ausbeute,  welche  der  neu  erschienene  Band  der  Inscrip- 
tiones  atticae  liefert.  Das  Hauptergebniss  bilden  neue  Auf- 
schlüsse über  die  Einrichtung  und  Einführungszeit  des  von 


2)  Vom  10.  November  (Frühuntergang  der  Pleiaden)  bis  zur  Friih- 
lingsnachtgleiche  am  26.  März;  rechnete  Thukydides  den  Vorfrühling 
{tiqos  £ocq)  als  besondere  Jahreszeit,  so  erstreckte  sich  ihm  der  eigent- 
liche Winter  bis  zum  23.  Februar  (Att.  Kai.  p.  41). 


Vnger'.  Zum  Kalender  des  Thukydides. 


97 


Meton  gescliafFenen  19  jährigen  Schal tcy kl us.  Ich  stelle  im 
Folgenden  sämmtliche  Archontenjahre  der  makedonischen 
Zeit  nach  olympischer  und  nach  moderner  Datirung  zu- 
sammen, deren  Eigenschaft  als  Geraein  jähr  von  12  oder  als 
Schaltjahr  von  13  Monaten  nunmehr  urkundlich  feststeht, 
und  vereinige  sie  in  zv^ei  metonische  Cyklen.  Da  der  erste 
metonische  Cyklus  Ol.  87,1.  432  v.  Ch.  begann  und  19  Jahre 
umfasste,  so  war  Ol.  110,4.  337/6  v.  Ch.  das  erste  Jahr  des 
sechsten  und  115,3.318/7  das  erste  des  siebenten  Cyklus. 


I 

110,4.337  Gemeinjahr 

115,3.318 

II 

111,1.336 

4.317 

III 

2.335 

116,1.316 

iV 

3.334 

2.315 

V 

4.333  Schaltjahr 

3.314  Schaltjahr 

VI 

112,1.332  Gemeinjahr 

4.313 

VII 

2.331   Gemeinjahr 

117,1.312 

VIII 

3.330   Schaltjahr 

2.311 

IX 

4.329  Gemeinjahr 

3.310  Gemeinjahr 

X 

113,1.328 

4.309 

XI 

2.327 

118,1.308 

XII 

3.326 

2.307 

XIII 

4.325  Gemeinjahr 

3.306  Gemeinjahr 

XIV 

114,1.324 

4.305 

XV 

2.323  Gemeinjahr 

119,1.304  Gemeinjahr 

XVI 

3.322  Schaltjahr 

2.303  Schaltjahr 

XVII 

4.321 

3.302  Gemeinjahr 

XVIII 

115,1.320  Schaltjahr 

4.301 

XIX 

2  319 

120,1.300 

Aus  der  Zeit  zwischen  403  und  337  v.  Chr.  sind  Ur- 
kunden mit  Kalenderdaten ,  welche  Aufschluss  über  den 
Charakter  einzelner  Jahre  geben,  nicht  vorhanden;  umge- 
kehrt gibt  es  zwar  solche  aus  der  Zeit  nach  300,  aber  das 
Jahresdatum  lässt  sich  wegen  Mangelhaftigkeit  oder  gänz- 
[1878.  I.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  1.]  7 


98        Sitzung  der  pMlos.-philol.  Classe  vom  9.  Februar  1878, 

liehen  Fehlens  des  nöthigen  Archontenverzeichnisses  nicht 
fest  bestimmen.  Die  obenstehender  Zusammenstellung  zu 
Grund  gelegten  Inschriften  waren  grossentheils  schon  früher 
bekannt  und  Boeckh  hatte  aus  ihnen  bereits  den  Schluss 
gezogen,  dass  Metons  Cyklus  im  Jahre  330  v.  Chr.  zur 
Einführung  gekommen  ist.  Vorsichtiger  wird  man  sich 
dahin  ausdrücken ,  dass  der  neunzehnjährige  Schaltkreis 
spätestens  325  v.  Ch.  an  die  Stelle  des  achtjährigen  getreten 
ist.  Da  111,4.333  dreizehn  Monate  hatte,  so  müsste  bei 
fortdauernder  Geltung  der  Oktaeteris  anch  113,4.325  ein 
Schaltjahr  gewesen  sein ;  es  war  aber  ein  Gemeinjahr.  Ein 
solches  ist  auch  118,3.306,  während  die  oktaeterisch  ent- 
sprechenden 114,3.322  und  112,3.330  den  Schaltmonat  ge- 
habt haben,  und  115,1.320  hatte  dreizehn,  aber  das  zweimal 
acht  Jahre  spätere  119,1.304  nur  zwölf  Monate.  Die  Okta- 
eteris hat  also  zu  dieser  Zeit  in  Athen  nicht  mehr  bestanden 
und  dass  die  neunzehnjährige  Schaltordnung  an  ihre  Stelle 
getreten  ist,  bestätigt  sich  an  der  Gleichartigkeit  sämmtlicher 
um  19  Stellen  auseinander  liegender  Jahre,  deren  Charakter 
festgestellt  ist:  wie  333/2  so  ist  314/3,  wie  322/1  so  303/2 
Schaltjahr ;  als  Gemeinjahre  stehen  einander  gegenüber  329/8 
und  310/9;  325/4  und  306/5;  endlich  323/2  und  304/3. 

Als  wesentlich  neues  Ergebniss  ist  zwar  nur  eines 
zu  verzeichnen,  es  darf  aber  als  höchst  wichtig  angesehen 
werden.  In  dem  von  Emil  Müller  aufgestellten  Entwurf  des 
metonischen  Cjklus,  welchen  ich  als  den  neuesten  und  besten 
der  vorhandenen  der  Vergleichung  mit  der  Oktaeteris  zu 
Grund  gelegt  habe  (Att.  Kai.  p.  5  ff.),  wird  Jahr  XIII  als 
Schaltjahr  und  XIV  als  Gemeinjahr  behandelt;  die  epigra- 
phischen Erhebungen  der  jüngsten  Zeit  lehren  aber^  dass 
das  umgekehrte  Verhältniss  stattgefunden  hat^):   Ol.   113,4 


3)  Auch  Aug.  Mommsens  Entwurf  und  der  von  Ideler  und  Boeckh 
angenommene  DodweH'sche  behandeln  Jahr  XIII  und  XIV  nicht  anders 


Unger:  Zum  Kalender  des  Thukydides.  99 

325/4  V.  Ch.  war  Gemeinjahr  (Inscr.  att.  II,  1.82  Nr.  179), 
ebenso  Ol.  118,3.  306/5  v.  Ch.  (Inscr.  att.  II,  1.  104  sq. 
Nr.  247  und  246).  Aus  diesem  überraschenden  Befund  ist 
eine  Reihe  von  Folgerungen  zu  ziehen. 

Zunächst  wird  der  Satz  hinfällig,  welchen  E.  Müller 
mit  aller  Energie  und  mit  Gründen  verfochten  hat ,  welche 
schlagender  Natur  zu  sein  schienen:  dass  Metons  attisches 
Jahr  nie  vor  der  Sonnwende  begonnen  habe.  Wenn,  wie 
angenommen  werden  muss,  Jahr  XIII  des  ersten  Cyklus  mit 
dem  4.  Juli  (oder  einem  der  zwei  umgebenden  Julitage) 
420  V.  Chr.  begonnen  hat,  so  entfällt,  da  ihm  nunmehr 
bloss  354,  nicht  384  Tage  zukommen,  der  Anfang  von  XIY 
auf  den  23.  Juni  (bei  Müller  auf  23.  Juli),  also  5  Tage 
vor  der  Sonnwende.  Wie  Müllers  Argumenten  zu  be- 
gegnen und  wie  der  ganze  Cyklus  zu  gestalten  ist,  kann 
hier  nicht  auseinandergesetzt  werden;  vorläufig  handelt  es 
sich  nur  um  die  Ergebnisse,  welche  mit  der  Frage  nach  dem 
Kalender  des  Thukydides  zusammenhängen. 

Boeckhs  Annahme,  dass  die  achtjährige  Schaltordnung 
mindestens  bis  zum  letzten  von  Thukydides  behandelten 
Jahre  92,2.411  in  Athen  bestanden  habe,  wurde  gegen  E. 
Müller,  nach  welchem  sie  kurz  vorher  ausser  Kraft  gesetzt 
worden  wäre,  im  Att.  Kai.  p.  30  ff.  bestätigt.  Jetzt  lässt 
sich  zeigen,  dass  die  Oktaeteris  noch  mindestens  dreissig 
Jahre  länger  gegolten  hat.  Die  meisten  Finsternissdata 
griechischer  Astronomen  im  Almagest  des  PtolemaioS"  sind 
auf  die  76jährige  Periode  des  Kallippos  gestellt,  welche 
aus  Metons  19  jährigem  Cyklus  hervorgegangen  war  und 
mit  Ol.  112,3.330  anfieng  ;  nur  die  drei  ältesten,  aus  Ol. 
99,2.383  und  99,3.382  genommenen  Data  werden,  was  ihr 


als  Scaliger-MüUer  und  wenn  der  von  Petau-Biot  aufgestellte  das  Rich- 
tige trifft,  so  ist  desswegen  kein  Gewicht  darauf  zu  legen,  weil  fast 
alle  andere  Schaltjahre  in  demselben  falsch  gestellt  sind. 

7* 


100     Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

Jahr  betrifft,  ia  anderer  Weise  bezeichnet  und  zwar  nicht, 
wie  man  nun  erwarten  sollte,  als  Jahr  XII  und  XIIT  des 
dritten,  Ol.  96,3.394  beginnenden  metonischen  Cyklus  son- 
dern nach  den  treffenden  attischen  Archonten.  Schon  dies 
konnte  auf  die  Yermuthung  führen,  dass  zur  Zeit  der  Beob- 
achtung der  neunzehnjährige  Schaltkreis  Metons  noch  nicht 
eingeführt  war.  Dies  wird  jetzt  dadurch  bestätigt ,  dass 
Ol.  99,3.382  bei  Meton  ein  Gemeinjahr  gewesen  ist,  während  in 
Wirklichkeit,  wie  aus  den  Daten  des  Almagest  bekannt  ist, 
dasselbe  vielmehr  zu  den  Schaltjahren  gehört  hat.  Die 
Oktaeteris  ist  demnach  zwischen  381  und  325  v.  Chr.  ab- 
geschafft worden. 

In  der  Zeit  des  archidamischen  Krieges  war  die  ein- 
malige Ausmerzung  eines  regelmässigen  Schaltmonats  im 
attischen  Kalenderwesen  ein  dringendes  Bedürfniss  geworden; 
während  Redlichs  Entwurf  der  Oktaeteris  darauf  keine  Rück- 
sicht nimmt,  hat  Boeckh  die  Vornahme  der  AusmerzuDg 
gegen  das  Ende  jenes  Krieges  wahrscheinlich  gemacht  und 
im  Att.  Kai.  p.  33  ff.  ist  sie  nachgewiesen  und  zugleich 
gezeigt  worden,  dass  die  Reihenfolge  der  Gemein-  und 
Schaltjahre,  welche  Boeckh  unverändert  beibehält,  jetzt  eine 
andere  geworden  ist,  als  sie  vor  der  Correction  gewesen 
war.  Dies  wird  nunmehr  durch  den  so  eben  nachgewiesenen 
Umstand,  dass  OL  99,2.383  Gemeinjahr  und  99,3.382  Schalt- 
jahr in  der  Oktaeteris  gewesen  sind,  in  willkommener  Weise 
bestätigt :  die  um  vier  Oktaeteriden  entfernten  Jahre  91,2.415 
und  91,3.414  haben  in  meinem  Entwurf  denselben  Charakter 
wie  jene,  während  bei  Boeckh  und  Redlich  keines  von  beiden 
dreizehn  Monate  hält. 

Noch  wichtiger  ist  die  besprochene  Berichtigung  des 
neunzehnjährigen  Schaltkreises  für  die  Zeiten,  in  welchen 
derselbe  amtliche  Geltung  gehabt  hat ;  sie  bietet  einen  sicheren 
Anhalt  zur  Jahrbestimmung  der  Archonten  aus  der  Zeit  von 
300  V.  Ch.  an,  für  welche  uns  kein  zusammenhängendes  Yer- 


ünger:  Zum  Kalender  des  Thukydides.  101 

zeichniss  derselben  mehr  zu  Gebot  steht,  und  es  Hesse  sich 
z.  B.  zeigen,  dass  für  293—284  v.  Ch.  fast  alle  Archonten 
anders  zu  stellen  sind  als  bisher  geschehen  ist.  Dies  nachzu- 
weisen  soll  bei  einer  anderen  Gelegenheit  versucht  werden. 


Historische  Classe. 


Sitzung  vom  5.  Januar  1878. 
Herr  v.  Döllinger  hielt  einen  Vortrag: 

„Ueber    die    Gefangennehmung    und    den 
Tod  Bonifacius'  YHI". 


Sitzung  vom  9.  Februar  1878. 

Herr  v.  Löher  hielt  einen  Vortrag: 

„lieber  die  Kämpfe  Kaiser  Friedrich's  II. 
auf  Cjpern". 

Derselbe  wird  in    den    „Abhandlungen"    veröffentlicht 
werden. 


102  Einsendungen  von  Druckschriften. 


Yerzeichiiiss  der  eingelaufenen  Büchergeselienke. 


Vom  Verein  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen  in  Prag : 

a)  Mittheilungen.     Jahrgang  XVI.  Nr.   1.   2.   1877.  8". 

b)  Der   Ackermann    aus    Böhmen.     Herausgegeben    von    Job. 
Kniescheck.      1877.  8^ 

Vom  historischen   Verein  von  Oherpfalz  in  Begensburg : 
Verhandlungen.     Bd.   32.     Stadtamhof  1877.    8®. 

Von  der  Gtesellschaft  für  Pommersche  Geschichte  in  Stettin: 
35.  Jahresbericht,  vorgetragen  am   13.  Mai   1868.      1869.  8^. 

Vom  7c.  statistisch-topographischen  Bureau  in  Stuttgart: 

a)  Württembergische   Jahrbücher    für    Statistik    und   Landes- 
kunde.    Jahrg.   1877.      1877.  8 '^ 

b)  Die  Alterthümer  in  Württemberg  von  E.V.  Paulus.   1877.  8'^ 

Von  der  archäologischen  Gesellschaft  in  MosJcau: 
Drewnosti  Trudy    (Archäolog.  Arbeiten)  Tom.     7.     1877.    4^. 

Von  der  B.  Äceademia  dei  Lincei  in  Born: 
Atti.    Anno  275.     1877  —  78.    Transunti   Vol.  II.     1878.    4^. 

Vom  Comite  Boyal  d'histoire  nationale  in  Turin: 

Historise  patrise  monumenta.     Tom.  XVII.    Codex  diplomaticus. 
Ecclesiensis,     Aug.  Taur.     1878.    Fol. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  103 

Von  der  südslavischen  Akademie  der    Wissenschaften  in  Agram: 

a)  Rad.  Knjiga  40.      1877.     8^ 

b)  Korijeni    s    rijecima    od     njih    postalijemu    hrvatskom    ili 
srpskom  jeziku  napisao  Gj.  Daniele'.      1877-     S'*. 

Von  der  scMesischen  Gesellschaft  für  vaterländische  Cultur 
in  Breslau: 

54.  Jahresbericht  f.  d.  J.   1876.      1877.    8^. 

Von  der  Je.  preuss.  Akademie  der  Wissenschaßen  in  Berlin: 

a)  Corpus   inscriptionum    grsecarum.     Vol.  IV.      1877.    Fol. 

b)  Abhandlungen  aus  dem  Jahre   1876.      1877.     4". 

c)  Corpus  inscriptionum  latinarum.  Vol.  V.  Pars.  2.  1877.  Fol. 

Von   dem  k.   h.  Hauptconservatorium   der  Armee  in  München: 

Katalog   über    die    im  k.  b.  Haupt  -  Conservatorium  der  Armee 
befindlichen  gedruckten  Werke.    4.  Supplement.   1877.    8^. 

Von  der  Gesellschaft  für  bildende  Kunst  und  vaterländische 
Alterthümer  in  Emden: 

a)  Verzeichniss    der  Gemälde    in    der  Sammlung    der    Gesell- 
schaft.    1877.     8^ 

b)  Verzeichniss    der  Alterthümer    in    der  Sammlung    der  Ge- 
sellschaft.     1877.     8^ 

c)  Katalog  der  Bibliothek  der  Gesellschaft.      1877.     8^ 

Vom  akademischen  Leseverein  in  Graz: 
10.  Jahresbericht  f.  d.  J.   1877.     1877.     8^ 

Von  der  Accademia  delle  Scienze  delVIstituto  di  Bologna: 
Rendiconto  delle  Sessioni.     Anno   1876  —  77.     1877.    8. 

Von  der  Universität  in  Upsala: 
üniversitets  Avsskrift.     1876.    8^. 


104  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  Boyal  Society  in  Edinburgh: 
Proceedings.     Session  1870  —  71.      1871.     8^ 

Von  der  Historical  Society  of  Pennsylvania  in  Philadelphia: 

The  Pensylvania  Magazine  of  History  and  Biography.     Vol.  I. 

1877.  8^ 

Von  der  Historisch  Genootschap  in  Utrecht: 

a)  Werken.     Nieuwe  Serie  Nr.  25.     1877.     8^ 

b)  Eegister  op  de  onderwerpen  behandeld  in  de  Chronijk,  Be- 
richten en  den  Codex  diplomaticus.     1877.     8^. 

Vom  Institut  national  in  Genf: 
Bulletin.     Tome  XXII.     1877.     8^ 

Von  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Kopenhagen: 

a)  Memoires.     Classe  des  Lettres.     Vol.  V.      1877.    4^. 

b)  Oversigt    over    det  Kgl.  Danske  Videnskabernes    Selskabs. 
Forhandlinger  1  aaret  1877.     1877.    S^. 

Von  der  North- China  Branch   of  the  Royal  Asiatic   Society  in 

Shanghai : 

Journal.     New  Series  Nr.  X  u.  XI.     1876—77.    8^ 

Vom  Institut  des  langues   orientales   du   Ministere  des   affaires 
etrangeres  in  St.  Petersburg: 

CoUections  scientifiques  I.  II.     1877.    8®. 

Von  der  American  philölogical  Association  in  Baltimore: 

Proceedings  of  the  9.  annual  Session,  held  in  Baltimore,  July 
1877.     Hartford  1877. 


Einsendungen  von  Drucl:schriften.  105 

Vom  Herrn  Friedrich  von  Brnrenlacli  in   Wien: 

a)  Herder  als  Vorgänger  Darwin's.     Berlin   1877.    8''. 

b)  Gedanken     über    die    Teleologie    in     der    Natur.      Berlin. 
1878.    8^ 

Vom  Herrn  C.  J.  ScMyter  in  Lund: 
Glossarium  ad  Corpus  juris  Sueo-Gotorum  antiqui.      1877-  4^. 

Vom  Herrn  Franz  Bücheier  in  Bonn: 

a)  Oskisclie  Bleitafel  hsg.  von  F.  Bücheler.     Frankfurt  a.  M. 

1877.  8^ 

b)  De  cippo  Abellano  qusestio  epistolica.      1877.     4^. 

Vom  Herrn  Jides  Oppert  in  Baris: 
La  Chronologie  de  la  genese.      1878.    S*^. 

Vom  Herrn  Giuseppe  de  Leva  in  Padua: 

a)  In  morte  di  Vittorio  Emanuele  II  primo  rö  d'Italia.  Venezia 

1878.  8^ 

b)  Del   movimento    intellettuale    d'Italia    ne'   primi  secoli  del 
medioevo.     Venezia   1877.     4^. 

Vom  Herrn  Franz  Hoffmann  in   Würzhtirg : 
Philosophische  Schriften.     Bd.   5.     Erlangen   1877.     8^ 

Vom  Herrn   Ch.  Schoehel  in  Paris: 
La  plus  ancienne  carte  generale  d'Amörique.      1877.     8^. 

Von  den  Herren  J.   Oppert  imd  J.  Menant  in  Baris: 
Documents  juridiques  de  l'Assyrie  et  de  la  Chald^e.      1877.     8®. 


Sitzungsberichte 


der 


königi.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom  9.  Februar  1878. 


Herr  Würdinger  macht  Mittheilungen : 

,, lieber  die  Topf er'schen  Materialien  für 
die  bayerische  Kriegsgeschichte  des 
18.  Jahrhunderts. 

Bei  dem  Versuche,  die  in  einer  den  Sammlungen  des 
historischen  Vereines  von  Oberbayern  angehörigen  Hand- 
schrift: „dem  Tagebuche  des  Freireiters  Franz  Cura/^ 
eines  Musterbildes  dieser  Gattung  Krieger,  in  welchen  allein 
noch  der  persönliche  Muth  des  deutschen  Landsknechtes 
mit  dem  Hange  nach  Abenteuern ,  in  diesem  Falle  auch 
mit  Begeisterung  für  das  Vaterland  und  den  Landesfürsten 
verbunden  war,  enthaltenen,  in  die  Jahre  1741  — 1745  fal- 
lenden Kriegsthaten,  in  den  Rahmen  der  allgemeinen  Kriegs- 
geschichte einzufügen,  traten  mir  in  Beziehung  auf  die 
Kriegsführung,  den  Zustand  der  Heere  und  die  politischen 
Verhältnisse  eine  Reihe  von  ungelösten  Fragen  entgegen, 
deren  theilweise  Beantwortung  ich  aul  Grund  von  gleich- 
zeitigen, noch  nicht  oder  nur  wenig  benützten  Quellen 
[1878.    I.  Philos.-philol.-hist.  Gl.  2.]  9 


108  Sitzung  der  hisior.  Classe  vom  9.  Februar  iSVB. 

versuchen  wollte.  Ich  benützte  zu  diesem  Zwecke  besonders 
das  im  Haupt-Couservatorium  der  bayer.  Armee  befindliche 
,, Journal  von  der  kaiserlichen  Campague  anno 
1744  vom  Monat  Mai  an'',  welches  das  Tagebuch  des 
kaiserlichen  Feldmarschalls  Seckendorf  enthält,  und 
unter  andern  interessanten  Detailnachrichten  auch  den  Nach- 
weis liefert,  dass  Kaiser  Carl  VIT.  in  Dachau  bei  seiner 
Rückkehr  nach  Bayern  das  Commando  der  im  Lande  stehen- 
den Franzosen,  Hessen,  Pfälzer  neben  dem  seiner  eigenen 
einheimischen  Truppen  am  21.  Oktober  übernahm  und  das- 
selbe bis  zum  20.  November  führte,  sowie  eine  im  Privat- 
besitze Sr.  Majestät  des  Königs  von  Bayern  sich  befindende 
Sammlung  von  Urkundenabschriften  und  Auszügen,  welche 
Schriftstücke  aus  den  Jahren  1700  —  1745  umfasst,  und  von 
einem  Herrn  Dr.  Friedrich  Töpfer  gefertigt  wurde.  In 
seiner  Eigenschaft  als  gräflich  törringischer  Beamter  erhielt 
Töpfer  von  seiner  Gutsherrschaft  den  Auftrag  mit  Hilfe 
des  reichen  Familienarchives  eine  Geschichte  der  Familie 
und  deren  Besitzungen,  besonders  aber  eine  Lebensbeschrei- 
bung des  bayer.  Ministers  und  Feldmarschalls  Graf  Ignaz 
V.  Törring  zu  fertigen.  Die  Resultate  seiner  Forschungen 
über  die  Besitzungen  veröffentlichte  Töpfer  in  der  Form  von 
Monographien  in  den  Bänden  8  und  9  des  oberbayerischen 
Archives  für  vaterländische  Geschichte,  während  die  weitere 
Aufgabe  die  Biographie  unvollendet  und  ungedruckt  blieb, 
und  nur  bei  Gelegenheit  einer  Preisbewerbung  bei  der  histori- 
schen Commission  der  Akademie  der  Wissenschaften  von  dem 
Verfasser  zur  Vorlage  gebracht  wurde.  Die  zur  Verfassung 
letzteren  Werkes  benützten  Urkunden,  die  grösstentheils  aus 
dem  törringischen,  theilweise  aus  dem  Staatsarchive  in  Paris 
zu  stammen  scheinen,  vereinte  Töpfer  theils  als  vollständige 
Abschriften,  theils  als  Auszüge  in  eilf  Bänden,  die  von 
S.  M.  dem  Könige  Maximilian  IL  erworben  wurden.  Er 
fertigte    aber  später    auch    noch    eine   zweite  Sammlung    in 


Würdinger :  Töpfer* sehe  Materialien  f.  d.  hayr.  Kriegsgeschichte  etc.  109 

13  Bänden,  welche  die  erste  vielfach  ergänzen,  so  enthält 
diese  im  Band  IV  die  Berichte  des  kaiserlichen  Gesandten 
Emanuel  v.  Törring  am  Berliner  Hofe  1741 ;  Band  VIII 
die  Correspondenz  des  Kaisers  mit  Seckendorf  1743;  IX 
des  Kaisers  mit  dem  Marschall  Noailles  1743  ;  X  des  Kaisers 
mit  Seckendorf,  Törriüg  1744;  XI  Briefe  über  die  Kriegs- 
ereignisse 1744  bis  zum  Füsseuer  Frieden;  XII  Memoire  des 
Marschall  Belle  Isle,  wie  auch  die  übrigen  Bände  mit 
weiteren  Schriftstücken  bereichert  sind. 

Die  Abschriften  der  Urkunden,  von  denen  ich  mehrere 
mit  bereits  durch  den  Druck  veröffentlichten  verglich,  sind 
correct,  und  nur  zu  bedauern,  dass  bei  keiner  derselben 
der  Aufbewahrungsort  des  Originals  angegeben  ist.  Das 
System,  nach  dem  Töpfer  die  Urkunden  ordnete,  nämlich 
nach  Persönlichkeiten,  nicht  nach  der  Zeitfolge,  und  auch 
hier  wieder  manches  einem  andern  Verfasser  angehörende 
Schriftstück  einfügend,  ist  für  den  Benutzer  der  Sammlung 
sehr  zeitraubend.  Ein  sehr  grosser  Theil  der  Urkunden 
war  bis  jetzt  unbekannt,  oder  doch  noch  nicht  veröflPentlicht, 
und  bietet  die  Sammlung  für  die  Staats-  und  Kriegs- 
geschichte Bayerns,  für  die  Regierungsperioden  der  Kurfürsten 
Max  Emanuel  und  Carl  Albrecht  reiche  Schätze  dar.  Aus 
verschiedenen  Andeutungen  des  Sammlers  lässt  sich  vermuthen, 
dass  die  wissenschaftliche  Durchforschung  des  bisher  dem 
Zutritte  noch  nicht  geöffneten  gräflich  törringischen  Archives 
eine  Masse  Material  zu  Tage  fördern  würde,  das  für  die 
Geschiebte  Bayerns,  auf  dessen  Geschicke  mehrere  Mitglieder 
des  Hauses  Törring  bedeutenden  Einfluss  übten,  von  hoher 
Bedeutung  wäre,  indem  in  ihm  nicht  nur  die  Familienpapiere, 
sondern  auch  ein  grosser  Theil  der  während  der  staats- 
männischen Thätigkeit  der  Betreffenden  erlaufenen  Staats- 
acten  hinterlegt  zu  sein  scheinen. 

Bei  einer  oberflächlichen  Durchsicht  der  Sammlung 
erscheinen    mir    als    für    die    Bearbeitung    der    bayrischen 

9* 


HO  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

Kriegsgescliicbte  im  18.  Jahrhundert  besonders  geeignet: 
im  1.  und  2.  Band  für  die  Zeit  bis  zur  Schlacht  von  Höch- 
städt  (12.  August  1704)  die  Correspondenzen  des  bayrischen 
Kurfürsten  Max  Emanuel  mit  den  Commandanten  der  fran- 
zösischen Hilfstruppen,  den  Marschällen  Bouffleur,  Catinat, 
Villars,  Tallard,  Marcin,  14  Briefe  des  Kurfürsten  über 
seinen  Zug  nach  Tirol  1703,  die  sämmtlichen  Dispositionen 
zur  üeberrumplung  von  Ulm.  Nicht  minder  ergiebig  ist 
für  die  Jahre  1705—1715,  den  Aufenthalt  in  den  Nieder- 
landen, der  Schriftenwechsel  des  aus  dem  Stammlande 
vertriebenen  Fürsten  mit  den  Marschällen  Bouffleur,  Vendome, 
Berwyk,  d'Uxelles,  der  ebenso  die  Ereignisse  in  der  Statt- 
halterschaft, als  am  Rheine,  wo  der  Kurfürst  1710  com- 
mandirte,  umfasst.  Ein  merkwürdiges  Schriftstück  ist  die 
Aufzeichnung  Max  Emauuels  über  eine  Unterredung,  die  er 
zu  Namur  am  23.  Mai  1712  mit  dem  von  Oesterreich  an 
ihn  abgeordneten  Grafen  Löwenstein  pflog.  —  Die  Bände 
3  11  enthalten  die  Regierungszeit  Carl  Alberts,  die  Vor- 
bereitungen zum  österreichischen  Erbfolgekrieg,  wie  zur 
Kaiserwahl,  die  Berichte  über  die  Stärke  der  kaiserlichen 
wie  der  französischen  Hilfstruppen,  dann  über  kriegerische 
Begebenheiten  in  Bayern  wie  in  Böhmen  besonders  für 
die  Jahre  1741  —  1743.  Von  hervorragendem  Interesse 
sind  die  Originalberichte  über  die  Eroberung  von  Prag  1741, 
die  Begebenheiten  an  der  Enns,  und  die  damit  zusammen- 
hängende Einnahme  von  Linz  1742,  die  Kriegsereignisse 
um  Schärding  und  Braunau,  die  Unternehmungen  des  kais. 
Feldmarschall  Seckendorfs  an  der  Isar  und  am  Inn  1743. 
—  Die  lediglich  nach  österreichischen  Quellen  gearbeitete 
Darstellung  dieses  Krieges  in  verschiedenen  Jahrgängen  der 
österreichischen  militärischen  Zeitschrift  und  Arneths:  Maria 
Theresias  erste  Regierungsjahre,  lassen  sich  durch  Benützung 
der  töpferischen  Sammlung  nach  vielen  Richtungen  hin 
ergänzen  und  aufklären.     Vom  Jahre   1744    an  sind  es  nur 


Würdinger :  Töpfer'sche  Materialien  f.  d.  bayr.  Kriegsgeschichte  etc.  111 

noch  einzelne  Berichte  des  kaiserlichen  Generalquartiermeisters 
Mouleon  und  die  Briefe  des  Königs  von  Preussen,  welche 
erhebliches  Neues  bringen.  Das  unerquickliche  Verhältniss, 
das  zwischen  dem  Reichsoberhaupte,  der  zugleich  General- 
lieutenant des  Königs  von  Frankreich  war,  und  als  solcher 
unbedingten  Gehorsam  verlangen  zu  können  glaubte,  und 
den  französischen  Marschällen,  deren  Widerwillen  gegen 
Unterordnung  und  Zusammenwirken  mit  den  kaiserlichen 
Truppen  durch  besondere  Instructionen  aus  Paris  gestärkt 
wurde,  und  die  mehrern  Theils  dem  Kriege  an  der  Donau 
abhold  waren,  findet  in  den  Correspondenzen  des  Kaisers 
mit  den  Marschällen  reiche  Illustration,  nicht  minder  ihre 
Wahrheitsliebe,  wenn  man  die  Berichte  des  Marschall  Maille  • 
bois  mit  denen  des  ihm  beigegebenen  kaiserlichen  General- 
adjutanten Seysel  d'Aix  vergleicht.  Das  Wenige  was  gut 
geplant  war,  ging  an  dieser  Uneinigkeit  zu  Grunde.  Zu 
diesen  Uebelständen  kam  noch  die  Beschaffenheit  des  kaiser- 
lichen Heeres,  die  wir  am  besten  aus  einem  Briefe  kennen 
lernen,  den  König  Friedrich  IL  von  Preussen  von  Anspach 
aus  am  17.  September  1743  an  den  Kaiser  richtete,  und 
in  dem  er  den  Eindruck  den  eine  von  ihm  abgehaltene 
Revue  auf  ihn  machte,  kund  giebt:  ,,Am  Sollstande  fehlen 
„bei  8000  Mann,  die  gemeinen  Soldaten  sind  gut  und  vom 
„besten  Willen  beseelt,  aber  bei  der  Mehrzahl  der  Offiziere 
,,sei  die  Erbärmlichkeit  gross,  und  es  ist  nothwendig,  dass  alle 
,, alten  und  unwissenden,  sowie  zum  Dienste  nicht  geeigneten 
,,aus  dem  Heere  entfernt  werden.  Man  müsse  dem  Marschall 
„Seckendorf  mehr  freie  Hand  lassen,  dass  er  statt  der  un- 
„tauglichen,  geeignete  Kräfte  bekäme,  denn  ohne  die  könne 
„er  mit  der  Armee  unmöglich  etwas  Tüchtiges  leisten." 
Was  der  grosse  Kriegsmeister  mit  kurzen  Worten  andeutet, 
finden  wir  in  den  Berichten  Seckendorfs  an  den  Kaiser 
von  dem  Augenblicke  au,  wo  er  von  dem  in  militärischen 
Dingen  völlig  unwissenden  Marschall  Törring  das  Commando 


112  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

übernimmt,  und  es  genügen  schon  einige  Stellen  aus  dessen 
Berichten  vom  28.  August  und  11.  September  1742,  um 
beurtheilen  zu  können,  wie  wenig  mit  einer  solchen  Armee 
zu  erreichen  war,  zugleich  aber  auch,  wie  es  ähnlich  auf 
Seite  der  Oesterreicher  ausgesehen  haben  muss,  die  es  nicht 
wagten  mit  entscheidenden  Schlägen  ein  solches  Heer  nieder- 
zuwerfen, das  schon  in  seiner  Zusammensetzung  den  Keim 
der  Unfähigkeit  in  sich  trug.  —  Die  sogenannte  reguläre 
Armee  bestand  aus  geworbenen  Söldnern,  die  entstandenen 
Lücken  wurden  durch  feindliche  Deserteure,  ja  selbst  durch 
zum  diesseitigen  Dienst  gezwungene  Gefangene,  nur  theilweise 
durch  einheimische,  den  wenig  geübten  Landfahnen  entnom- 
mene „Knechte^'  ausgefüllt.  Aus  einem  anderen  Theil  der 
Landfahnen,  einer  seit  dem  16.  Jahrhundert  bestehenden 
Einrichtung,  deren  Hauptleate  Beamte  waren,  die  nicht 
in  das  Feld  rückten ,  und  die  in  Ernstfällen  nur  von 
Laudlieutenants ,  früheren  Unteroffizieren ,  commandirt 
wurden,  bildete  man  Milizregimenter,  ein  dritter  endlich, 
und  dieser  ist  der  einzige,  welcher  sich  in  diesem  Kriege 
unter  selbst  gewählten  Führern  trefflich  bewährte,  und  im 
Partheigängerkriege  den  Feinden  grossen  Abbruch  that, 
wurde  zur  Vertheidigung  der  Pässe,  Furten,  sowie  zum 
Schutze  gegen  die  Marodeurs  verwendet  Während  die 
regulären  Söldner  sich  im  Kampfe  gegenseitig  möglichst 
glimpflich  behandelten,  war  der  Kampf  der  Landfahnen, 
denen  meist  die  räuberischen  Panduren  und  Kroaten  gegen- 
überstanden, ein  erbitterter,  auf  des  österreichischen  Heer- 
führers Bärenklau  Befehl,  wurden  sie  nicht  als  Soldaten 
angesehen,  erhielten  keinen  Pardon,  oder  wurden,  wenn 
sie  in  Gefangenschaft  fielen,  dem  Henker  mit  abgeschnittenen 
Ohren  und  Nasen  überliefert.  —  Die  Führer  dieser  Armee 
erwarben  ihre  Stellen  durch  Kauf  und  man  nahm  weder  auf 
Kenntnisse  und  Brauchbarkeit,  noch  auf  Nationalität  Rück- 
sicht.    Aus   Italien,   Frankreich,    Polen   scheint  den  Namen 


Würdinger :  Töpfer' scJie  Materialien  f.  d.  hayr.  Kriegsgeschichte  etc.  113 

nach  die  Mehrzahl  derselben  gekommen  zu  sein,  der  bayerische 
Adel  ist  nur  sehr  wenig  vertreten,  es  mag  aber  diess  weniger 
im  Mangel  an  patriotischem  Sinne,  als  in  dem  Umstände 
gelegen  sein,  dass  schon  unter  Max  Emanuel  die  höchsten 
Stellen  im  Heere  und  am  Hofe  an  Ausländer  verliehen 
wurden,  wie  denn  auch  unter  den  20  Regimentsinhabern  zur 
Zeit  Carl  Albrechts  vom  bayerischen  Adel  nur  die  Törring, 
Preysing  und  Holnstein,  dagegen  9  Ausländer  vertreten 
waren.  Ebenso  schädlich  wirkte  die  stete  Bevorzung, 
welche  unerfahrne  jange  Leute  aus  dem  höheren  Adel  vor 
braven  ausgedienten  Offizieren  genossen.  Über  dieses  Con- 
tingent  berichtet  nun  der  Feldmarschall:  In  seiner  Kriegs- 
kasse, in  die  monatlich  100,000  Gulden  fliessen  sollten,  seien 
dermalen  nur  2237,  den  Hessen  und  Pfälzern  allein  sei  er 
bereits  über  5000  Gulden  schuldig,  seine  Soldaten  hätten 
seit  einem  Monat,  die  Offiziere  seit  2  und  3  Monaten 
keinen  Sold  erhalten.  Die  Hälfte  des  Fussvolkes  sei  ohne 
Schuhe,  die  Reiter,  wenn  sie  wirklich  Pferde  besässen,  ent- 
behren der  Sättel  und  Montur,  oft  auch  der  Waffen;  von 
dem  P.,  dem  man  das  Geld  zum  Kaufe  von  Pistolen 
und  Carabinern  mitgegeben,  wisse  er  gar  nicht  wo  er  hin- 
gekommen ;  bei  dem  Proviantwesen  gehe  es  auch  nicht  ohne 
Unterschleife  ab,  man  möge  doch  endlich  den  von  ihm 
vorgeschlagenen  in  Leitung  des  Verpfiegswesens  wohl  er- 
fahrenen N.  anstelleo.  Krankheiten  und  Desertion,  die 
hauptsächlich  durch  den  Mangel  an  regelmässiger  Verpfleg- 
ung hervorgerufen  würden,  hätten  seine  Armee  so  herunter- 
gebracht, dass  er  kaum  die  nöthigen  Posten  besetzen  könne. 
Er  habe  jetzt  (September  1742),  nachdem  er  Straubing 
besetzt  und  gegen  Kelheim  rücken  wolle,  nur  1  Bataillon 
Infanterie  und  3  Grenadier-6ompagnien  bei  sich,  dagegen 
an  Generälen  den  Feldmarschall  -  Lieutenant  Schön,  die 
Generale  Minucci,  '  Gabriely,  Baron  Preysing,  Prinz  von 
Hildburghausen  und  Baron  Zievel,  den  General  Graf  Prey- 


114  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

sing  habe  er  in  die  Garnisonen  Donau  aufwärts  geschickt,  er 
bewähre  sich  dort  gut;  den  General  Morawitzky,  der  sich 
dem  Kaiser  zu  Füssen  werfen  wolle,  bitte  er  beurlauben  zu 
dürfen.  Er  brauche  einen  tüchtigen  Reiter führer,  deswegen 
habe  er  den  Saint  Germain,  den  man  überall  hin  verwenden 
könne  vorgeschlagen,  auch  den  Gschray  mit  seiner  Frei- 
compagnie  angenommen,  er  habe  ja  viele  Offiziere;  bei  der 
Cavallerie,  die  nie  in  dieser  Waffe  gedient  hatten,  und  kaum 
selbst  reiten  können,  die  Offiziersstellen  bei  Lechansky-  und 
Ferrari-Husaren  könne  man  gar  nicht  besetzen,  viele  Offi- 
ziere verstehen  gar  nicht  deutsch,  und  wenn  man  die  Soldaten 
darüber  beredet,  dass  sie  sich  nicht  gut  schlagen  oder  gar 
desertiren,  so  reden  sie  sich  damit  aus,  dass  sie  ihre  Offiziere 
gar  nicht  verstünden.  Man  möge  doch  den  Civilbeamten 
befehlen,  dass  sie  die  Aushebung  aus  den  Landfahnen  besser 
betreiben,  der  Baron  Löwenthal  in  Amberg  thue  gar  nichts, 
schicke  nicht  einmal  die  Pferde  für  die  Artillerie,  so  dass 
man  die  Geschütze  aus  Mangel  an  Bespannung  fast  stehen 
lassen  müsse.  Er  wolle  Sr.  Majestät  auch  nicht  verhehlen, 
dass  wegen  Allem  dem  die  Subordination  in  manchen  Regi- 
mentern schlecht  sei,  und  ganze  Haufen  des  Landvolkes, 
da  sie  weder  Geld  noch  Kost,  weder  Kleider  noch  Waffen 
hätten,  nach  Hause  liefen.  Ausserdem  entschuldigt  sich 
der  Feldmarschall  bei  Sr.  Majestät,  dass  er  diessmal  deutsch 
berichte,  er  habe  keinen  Secretär  bei  sich,  der  das  Schreiben 
in  das  Französische  übersetzen  könne,  und  für  seine  Person 
wichtigeres  zu  thun.  —  So  sah  es  im  Reichsheere  zu  der 
Zeit  aus,  in  der  der  jugendliche  König  von  Preussen  mit 
seinen  wohlgeordneten  Truppen  die  Siege  bei  Mollwitz  und 
Cotusitz  errang,  und  für  sich  Schlesien  gewann. 

Um  einen  Einblick  in  das  reiche  in  der  Topf er'schen 
Sammlung  gebotene  Material  zu  bieten,  erlaube  ich  mir 
den  Inhalt  der  Bände  nach  ihrer  Reihenfolge  mit  den  jetzi- 
gen Ueberschriften  folgen  zu  lassen. 


Würdinger :  Töpfer'sche  Materialien  f.  d.  hayr.  Kriegsgeschichte  etc.  115 

1.  und  2.  Band. 

Gorrespondenz  von  und  an  Kurfürst  Max  Emanuel 
1700-1714. 

Einem  Berichte  des  bayerischen  Gesandten  am  spanischen 
Hofe  d.  d.  Madrid  8.  Dezember  1700  folgen  pag.  7—25 
die  detaillirten  Instructionen  zur  Ueberrumplung  von  Ulm 
(9.  September  1702),  pag.  27 — 35  die  Correspondenzen  des 
Marschall  duc  de  Bouffleurs  mit  Kurfürst  Max  Emanuel 
vom  27.  Januar  1701  bis  29.  Mai  1702;  p.  37  —  48  Briefe 
des  Marquis  Puissegur  an  den  Kurfürsten  d.  d.  Brüssel 
17.  März  bis  13.  April  1702;  p.  49  —  54  Berichte  des 
Marschall  Catinat  an  den  Kurfürsten  Max  Emanuel  vom 
28.  August  bis  Oktober  1702,  sowie  die  darauf  erfolgenden 
Briefe  dieses  Kurfürsten  an  den  Marschall;  p.  54 — 59 
Correspondenz  zvrischen  dem  churfürstlich  geheimen  Secretär 
V.  Reichard  mit  dem  französischen  Gesandten  am  bayerischen 
Hofe  de  Ricous  im  September  1702  ;  Briefe  eines  Hrn.  v.  Puy- 
zieulx  an  den  Kfst.  September  und  Oktober  1702;  p.  60 — 67. 
General  Weiquel  (Vequel)  an  den  Kfst.  d.  d  Ulm,  Januar 
1703;  p.  67—79  Correspondenz  des  Marschall  Tallard  mit 
dem  Kfst.  M.  Em. ,  beginnend  im  Lager  zu  Sontheim 
7.  April  1703— Augsburg  24.  Juli  1704;  p.  81—93  Corresp. 
des  Marschall  Villars  mit  dem  Kfst.  M.  Em.  27.  Sept.  bis 
19.  Nov.  1702;  p.  93  —  135  die  Briefe  Max  Emanuels  au 
Villars  beginnend  mit  6.  Januar  1703.  Sie  behandeln  ein- 
gehend die  am  10.  Mai  vollzogene  Vereinigung  der  französi- 
schen und  bayrischen  Armee  bei  Riedlingen,  den  Krieg  in 
Tirol  (Juni  und  Juli),  den  Rückzug  der  Bayern  aus  diesem 
Lande,  den  Aufenthalt  des  Kfst.  M.  Em.  in  Mittenv^ald 
(13.  Juli— 21.  August),  dessen  Rückkehr  nach  München 
(29.  August);  p.  137.  Berichte  des  Commandanten  von  Ulm 
General  du  Bourg  30./31.  August  1703;  p.  139  Max  Ema- 
nuel an  Monasterol.     20.  Oktober  1703;   p.  143  Marschall 


116  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  9   Februar  1878. 

Bouffleur  an  den  König  von  Frankreich  d.  d.  du  Quesnoy 
11.  September  1709;  p.  147  —  271  Fortsetzung  der  Corre- 
spondenz  des  Marschall  Yillars  in  ununterbrochener  Reihe 
vom  28.  September  1702—19.  September  1703;  p.  273  bis 
305  Kfst.  Max  Emanuel  an  den  Marschall  Graf  Marcin 
19.  Dezember  1703  — 27.  April  1704;  p.  309-— 314  Berichte 
des  Genera] lientenant  Comte  de  Gace  vom  1.  September 
1702—22.  April  1705,  sowie  3  Schreiben  des  Kfst.  M.  Em. 
an  diesen  General;  p.  314—336.  Correspondenzen  des  Mar- 
schall Villeroy  mit  M.  Em.  12.  Mai  1705—6.  Juli  1706; 
p.  337  —  349  Correspondenz  des  Kurfürsten  mit  Marschall 
Vendome  vom  20.  April  1706  —  11.  Juli  1708,  an  sie  schliesst 
sich  ein  nicht  datirter  Brief  des  Königs  von  Frankreich  an, 
in  dem  sich  dieser  bei  Vendome  über  die  üebergriffe  des 
Kurfürsten  in  den  Niederlanden  beklagt,  worauf  ergänzende 
Briefe  Vendomes  für  1706—1708  folgen;  p.  349—371, 
eine  ununterbrochene  Reihe  von  Berichten  des  Marschalls 
Berwick  über  die  Kriegsbegebenheiten  in  den  Niederlaudeu 
vom  1.  Mai  1708— Juli  1712,  p.  371—385  Briefe  des  Kfst. 
M.  Em.  an  diesen  Marschall  (24.  Juli  — 1.  September  1708 
v^on  Langenkandel  aus  datirt)  bis  zum  10.  September  1710 
reichend;  p.  385-391  Berichte  des  Marschall  Duc  de  Har- 
court  vom  Juli  bis  13.  September  1711;  p.  391 — 395  Ant- 
worten des  Kurfürsten ;  p.  395 — 403  Correspondenz  des 
Marschall  d'Uxelles  vom  15.  März— 14.  Juni  1712;  403  bis 
418  Berichte  des  Glt.  comte  de  Bourg  d.  d.  Lauterburg 
5.-20.  Juli  1708,  d.  d.  Weissenburg  16.— 28.  September 
mit  Entgegnungen  des  Kfst.  M.  Em.;  p.  419—425  Auf- 
schreibungen des  Kfst.  M.  Emanuel  über  eine  Unterredung, 
die  er  mit  dem  Grafen  von  Löwenstein  am  23.  Mai  1712 
zu  Namur  hatte.  ^)  p.  425  zwei  Briefe  des  Königs  von 
Spanien   aus  dem  Jahre  1707;   p.  427—483    Schreiben  des 


1)  Anmkg.  1.     Im  Anhange  veröffentlicht. 


Würdinger :  Töpfer' sehe  Materialien  f.  d.  bayr.  Kriegsgeschichte  etc.  117 

Kurfürsten  an  den  König  von  Spanien  vom  8.  Januar  1707 
bis  27.  Oktober  1709;  p.  485 --496  Correspondenz  des  Kur- 
fürsten mit  dem  König  von  Spanien  vom  Januar  1710  bis 
25.  Januar  1714;  p.  497—503  enthalten  endlich  Schrift- 
stücke verschiedener  Verfasser  für  die  Jahre  1714  und  1715, 
besonders  Correspondenzen  des  General  du  Bonrg  mit  Mal- 
knecht, dem  bayr.  Marschall  Arco,  dem  Kanzler  Voisin; 
2  Briefe  des  Prinzen  Eugen ;  einen  des  Kaisers  an  den  Kur- 
fürsten von  der  Pfalz  vregen  verzögerter  Räumung  der 
Oberpfalz. 

3.  Band. 

Eigenhändige  Briefe  des  Kurfürsten  Carl  Albrecht  von 
Bayern  an  den  Grafen  Ignatz  von  Toerring  1737—1741. 

Sie  enthalten  in  143  Stücken  ausser  den  offiziellen 
Berichten  des  Grafen,  der  vom  Jahre  1737  —1739  bayerischer 
Gesandter  am  französischen  Hofe  war,  und  den  Antworten 
des  Kanzlers  ünertl,  die  Privatcorrespondenz  des  Kurfürsten 
mit  dem  Grafen,  in  der  ausser  den  wichtigsten  selbst  vor 
dem  Kanzler  geheim  gehaltenen  Unterhandlungen,  wie  denn 
aus  einem  Briefe  Carl  Albrechts  d.  d.  13.  Juli  1737  her- 
vorgeht, dass  ünertl  den  vollen  Umfang  der  mit  Frankreich 
geschlossenen  Verträge  von  1726  und  1733  nicht  kannte, 
auch  Ereignisse  aus  dem  Privatleben  des  Fürsten  behandelt 
sind.  Die  Briefe  Törrings  beginnen  Seite  99  mit  der 
ihm  beim  Abgange  nach  Paris  1737  ertheilten  geheimen 
Instruction,  die  im  Bande  TV  durch  zwei  an  den  Cardinal 
Fleury  gerichtete  Beglaubigungsschreiben  vom  22.  Mai  und 
8.  Juli  1737  ergänzt  wird.  Den  Schluss  des  Bandes  bildet 
ein  Schreiben  des  Kurfürsten  an  den  Grafen  Seinsheim 
d.  d.  München,   18.  Januar  1738. 


118  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  9.  Februar  187 8. 

4.  und  5.  Band. 

Gorrespondenz  des   Kurfürsten    Carl   Älhrecht  von   Bayern 

{Kaiser    Carl  VII.)   mit  1)    dem   König   Ludwig  XV.   von 

Frankreich,  2)  dem  Cardinal  Fleury  1726—  1742. 

Nach  fünf  conventionellen  Briefen  des  Königs  von 
Frankreich  1726  1729,  folgen  von  Seite  3  —  51  nach  Jahr- 
gängen geordnet,  mit  dem  17.  Jänner  1741  beginnend  theils 
in  voller  Abschrift,  theils  im  Auszuge  die  zwischen  Lud- 
wig XV.  und  Carl  Albrecht  gewechselten  Schriftstücke, 
denen  sich  nach  dem  Tode  des  Kaisers,  bis  zum  Frieden 
von  Füssen  auch  noch  einige  des  Kurfürsten  Max  III.  an- 
schliessen.  Auf  Seite  53  beginnt  der  umfangreiche  Schriften- 
wechsel zwischen  Carl  Albrecht  und  dem  Cardinal  Fleury  mit 
einem  Briefe  des  letzteren  d.  d.  Marly  17.  Jänner  1727,  und  endet 
p.  462  mit  einem  Briefe  des  Genannten  an  Kaiser  Carl  VII. 
d.  d.  Issy  25.  Dezember  1742,  also  kurz  vor  dem  Tode 
Fleurys.  Von  p.  35  —  77  Briefe  des  Cardinais  an  den  Kurf. 
von  Bayern  vom  17.  Jänner  1727—10.  Jänner  1740;  p.  77 
bis  105  die  des  Kurfürsten  an  den  Cardinal  vom  2.  Sep- 
tember 1726—8.  Juli  1737,  welche  sich  dann  von  p.  105 
bis  279  vom  29.  Oktober  1740—16.  Dezember  1742  fort- 
setzen. P.  283 — 303  die  Vorschläge  Fleurys  an  den  Kur- 
fürsten d.  d.  Versailles  9.  Juni  1737.  Von  p.  337—463 
die  Correspondenz  Fleurys  vom  17.  Dezember  1740  —  25.  De- 
zember 1742.  Den  Schluss  des  Bandes  bilden  3  Briefe 
des  bayrischen  Gesandten  in  Paris  Baron  Spon  aus  dem 
Jahre  1742,  1743  an  den  Grafen  Törring  (Siehe  Band  XI). 
Die  geheimen  diplomatischen  Verhandlungen  und  Verträge 
zwischen  Frankreich  und  Bayern  werden  durch  diese  Akten- 
stücke vielfach  bereichert. 


Würdinger :  Töpfer' sehe  Materialien  f.  d.  haijr.  Kriegsgeschichte  etc.  119 

5a.  Band. 
Briefe  des  Marschall  Belleisle  an  den  Kurfürsten  Carl 
Albrecht  von  Bayern  und  den  Marschall  Graf  Ignaz  von 
Törring  vom  Jahre  1741. 
Er  enthält  auf  126  Seiten  die  vom  Marschall  Belleisle, 
der  die  doppelte  Eigenschaft  eines  französischen  Gesandten 
zur  Kaiser  wähl  mit  der  eines  designirten  Commandanten 
der  französischen  Hilfstruppen  in  Bayern  zu  verfolgen  hatte, 
von  Prankfurt  aus  in  dem  Zeiträume  vom  1.  August  bis 
18.  November  1741  an  den  Kurfürsten  von  Bayern  und 
dessen  Marschall  Törring  gerichteten  Briefe,  Berichte  über 
die  Unterhandlungen  v^egen  der  Kaiserwahl,  die  Allianzen 
mit  Preussen,  Sachsen  und  Pfalz,  über  die  beabsichtigte 
Vertheilung  der  österreichischen  Erblande,  wie  nicht  minder 
den  Feldzugsplan,  der  nach  einem  Schreiben  vom  1.  August 
bereits  in  Nymphenburg  festgesetzt  worden  war,  im  Allge- 
meinen, sowie  nach  Beginn  des  Krieges  über  die  Details 
desselben,  und  verschiedene  Rathschläge  über  die  Kriegs- 
operationen in  Oberösterreich  und  Böhmen.  Mit  Seite  127 
beginnen  die  Schreiben  des  Kurfürsten  Carl  Albrecht,  und 
des  Grafen  Törring  an  Marschall  Belleisle,  die  den  Zeitraum 
vom  2.  April — 17.  November  1741  umfassen.  Für  die  Ge- 
schichte des  Feldzuges  bieten  viel  Material  die  Schreiben 
des  Kurfürsten  vom  10.  September  an,  wo  derselbe  bereits 
das  Obercommando  in  Schärding  übernommen  hat,  bis  zu 
dem  im  Lager  bei  Müncheck  am  17.  November  abgesendeten. 
Ihnen  folgen  von  Seite  201 — 211  die  CojTespondenzen  Tör- 
rings,  sowie  drei  Briefe  des  Kaisers  an  den  an  der  Donau 
im  Jahre  1742  commandirenden  Herzog  von  Harcourt,  und 
zum  Schlüsse  ein  Schreiben  des  Grafen  von  Sachsen  an 
Törring  d.  d.  Nieder- Altaich  18.  August  1742  mit  einem 
Vorschlag  für  die  Dislocation  der  kaiserlichen  Truppen, 
und  die  Art,  wie  man  sich  der  Stadt  München  und  der 
Positionen  an  der  Isar  wieder  bemächtigen  könne. 


120  Sitzung  der  histor,  Ctasse  vom  9,  Februar  187 S. 

6.  Band. 
Correspondenz  des  Marschall  Duc  de  Broglie,  Armeebefehls- 
haber der  französischen  Hilfsarmee  mit  dem  Kaiser  Carl  VII. 
und  den  kaiserlichen  Feldmarschällen  Törriny  und  Sechendorf 

1742-1743, 
Die  Berichte  Broglies  siud  vom  7.  Januar  15.  Oktober 
1742  aus  Böhmen,  vom  17  November  an,  zu  welcher  Zeit 
der  Marschall  in  eine  Stellung  an  der  Isar  vorrückte,  aus 
Bayern  datirt,  und  enden  mit  dem  Schreiben  d.  d.  Donau- 
wörth 24.  Juni  1743,  in  dem  er  dem  in  Augsburg  sich 
aufhaltenden  Kaiser  bekannt  giebt,  er  wei  de,  ohne  auf  dessen 
Einspruch  Rücksicht  zu  nehmen  Bayern  mit  den  französi- 
schen Hilfsvölkern  verlassen.  Die  übrigen  Schriftstücke  des 
1.  Abschnittes  (p.  1 — 143)  enthalten  lediglich  Correspondenzen 
mit  dem  Kaiser,  den  Marschällen  Törring  und  Seckendorf, 
besonders  Bitten  letzterer  um  Unterstützung  bei  Operationen, 
Verabredungen  zu  gemeinschaftlichen  Unternehmungen,  die 
aber  ßroglie  fast  immer  zu  verzögern  und  zu  vereiteln  sucht. 
P.  143 — 151  folgen  verschiedene  Beilagen  zu  diesen  Schrift- 
stücken. Mit  Seite  151,  beginnen  die  Briefe  des  Kaisers  und 
seiner  beiden  Marschälle  an  Broglie,  sie  umfassen  den  Zeit- 
raum vom  3.  Jänner  1742 — 25.  Juni  1743.  Besonders, 
kennzeichnend  für  das  zwischen  dem  Kaiser  und  dem  fran- 
zösischen Marschall  bestehende  Verhältniss  sind  die  Schreiben 
des  ersteren  vom  30.  Mai — 24.  Juni  (p  204-217)  und  die 
Instruction  für  den  General  Piosasque,  den  der  Kaiser  zu 
Broglie  sandte  (p.  206).  Den  Schluss  des  Bandes  (p.  222 
bis  233)  bilden  Briefe  eines  französischen  höheren  Offiziers, 
die  dieser  vom  2.  Mai — 1.  Juni  von  Straubing,  von  da  bis 
25.  Juni  von  Ingolstadt  aus  an  verschiedene  Persönlichkeiten 
richtete.  —  Auser  vielen  Ausweisen  über  die  Stärke  der 
kaiserlichen  und  französischen  Truppen,  Dislocationen  der- 
selben liegen  dem  Bande  auch  zwei  Pläne  über  die  Aufstel- 
lung der  Batterien  bei  der  Belagerung  von  Eger  bei. 


Würdin  ger :  Töpfer^  sehe  Materialien  f.  d.  hayr.  Kriegsgeschichte  etc.  121 

7.  Band. 
Varia  über  die  Feldzüge  1741 — 1742. 
Seite  1 — 10  Schreiben  des  Marschall  Belleisle  an  den 
Kurfürsten  Carl  Albrecht  d.  d.  Versailles  25.  Juli  1741, 
in  welchem  die  näheren  Abmachungen  über  die  Stärke, 
Verpflegung  und  die  Zeit  des  Eintreffens  der  französischen 
Hilfstruppen  in  Bayern,  die  von  den  übrigen  AUiirten  zu  stel- 
lenden Truppen,  sowie  über  einen  allgemeinen  Kriegsplan 
getroffen  werden.  Diesen  folgt  p.  11  —  25  die  briefliche 
Darstellung  eines  höheren  bayerischen  Offiziers  der  Kriegs- 
ereignisse des  Herbstes  1741  in  Oberösterreich  und  Böhmen 
einschliesslich  der  Eroberung  von  Prag,  p.  25  —  35  Memoire 
der  an  der  Enns  commandirenden  Generale  Segur  und 
Minucci  an  den  König  von  Böhmen  d.  d.  Linz  19.  Dezem- 
ber, wie  sie  sich  beim  Eintreten  eines  Angriffes  zu  verhalten 
hätten,  mit  den  darauf  erfolgten  Resolutionen;  eine  Instruc- 
tion Carl  Albrechts  vom  Januar  1742  für  die  nunmehr  in 
Linz  befindlichen  beiden  genannten  Generale;  ein  eingehen- 
der Bericht  eines  bayrischen  Offiziers  über  die  Vorfälle  au 
der  Enns  vom  30.  Dezember  1741  bis  zur  Capitulatiou  von 
Linz;  p.  37  und  38  deutsche  Auszüge  aus  den  im  XI.  Band 
enthaltenen  Briefen  des  General  Grafen  Piosasque  aus  Böh- 
men (3.— 17.  Dezember  1741);  39—43  Berichte  des  fran- 
zösischen General-Quatiermeisters  von  Mortaigne  an  den 
Kurfürsten  von  Bayern  vom  2.  November  1741  —  I.Januar 
1742,  sie  sind  bezeichnend  für  die  zwischen  den  Marschällen 
Belleisle  und  Broglie  herrschende  Gereiztheit;  43 — 47  das 
Tagebuch  des  Führer  der  bayerischen  Avantgarde,  Oberst 
Girard  des  kurf.  Garderegiments  vom  28.  Oktober— 22.  No- 
vember 1741.  An  die  nun,  p.  57,  folgenden  Standesaus- 
weise über  die  Stärke  der  3  bayrischen  Corps  bei  Schärding, 
Rosenheim  und  in  der  Oberpfalz  (1.  September  1741),  der 
französischen  Hilfstruppen,  über  Geschütze  und  Munition, 
schliessen  sich   Meldungen  Törrings  an  den  Kurfürsten  vom 


122  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

Oktober — Dezember  1741,  (^.  68)  ein  Gutachten  des  P. 
Elegius  aus  Tabor  über  das  Testament  Ferdinand  I.,  mehrere 
Memoires,  Operationspläne,  worunter  ein  Entwurf  des  General 
Mortaigne  vom  14.  April  1741  an:  Seite  93—95  enthalten 
einen  Bericht  über  eine  mit  dem  König  von  Preussen  am 
19.  und  20.  Januar  1742  zu  Dresden  abgehaltene  Conferenz. 

8.  und  9.  Band. 

Correspondenz  die  Kriegshegehenheiten  1742 — 1745. 

Auf  die  Kunde  von  den  Unterhandlungen,  welche  des 
Friedens  wegen  zwischen  Preussen  und  Oesterreich  im 
Juni  1742  statt  hatten,  sendete  der  Kaiser  den  Feldmar- 
schall Heinrieh  von  Seckendorf  zuerst  nach  Dresden,  um 
sich  den  ferneren  Beistand  der  Sachsen  zu  sichern,  dann 
später  nach  Berlin.  Die  Berichte  des  Marschalls  über  die 
Unterhandlungen  mit  Sachsen,  die  zu  Meuselwitz  und  Dres- 
den vom  11. — 30.  Juni  geführt  wurden,  sowie  die  darauf 
bezüglichen  Erlasse  des  Kaisers  bilden  von  Seite  5  — 15  den 
Eingang  des  Bandes.  Ihnen  folgen  (p.  21 — 28)  die  Instruc- 
tion des  Marschalls  für  sein  Verhalten  am  Berliner  Hofe 
(10.  Juli)  ergänzt  durch  weitere  Weisungen  bis  zum  4.  August 
und  (p.  28—35)  der  Bericht  des  Marschalls  über  den  Ver- 
lauf seiner  Sendung  vom  31.  Juli.  Mit  Seite  37  beginnen 
die  Berichte  des  Feldmarschalls  aus  dem  Lager  von  Platt- 
ling (24.  August),  und  erstrecken  sich  auf  den  Rückzug 
nach  Regensburg,  die  Trennung  von  der  französischen  Armee, 
die  im  September  nach  Böhmen  zog,  dann  die  selbstständigen 
Operationen  Seckendorfs  an  der  Isar  und  am  Inn,  die  Ein- 
nahme von  Landshut  (p.  104),  Burghausen  (p.  127),  Braunau 
(p  130)  bis  zu  dem  im  Dezember  vollzogenen  Einrücken 
in  die  Winterquartiere.  Sie  sind  sämmtlich  an  den  Kaiser 
gerichtet.  Ihnen  folgen  von  Seite  155 — 202  Seckendorfs 
Correspondenzen    mit    dem    Grafen    Törring    und    Anderen, 


Würdinger:  Töpfer^ sehe  Materialien  f.  d.  bat/r.  Kriegsgeschichte  etc.  123 

beginnend  mit  einem  Standesausweis,  aus  dem  zu  entnehmen, 
dass  im  August  1742  die  kaiserliche  Armee  statt  der  Soll- 
stärke von  40,550,  nur  eine  solche  von  13,830  Mann  besass, 
zu  denen  noch  7250  pfälzische  und  hessische  Mannschaften 
kamen,  (197 — 202)  Befehle  des  Kaisers  und  Törrings  für 
Seckendorf.  Beilagen  zu  obiger  Correspondeuz ,  und  der 
Schriftwechsel  zwischen  Seckendorf  und  Broglie  vom  23.  No- 
vember— 16.  Dezember  finden  sich  von  p.  202 — 230.  Die 
Correspondenzen  des  französischen  General  es  Maillebois  mit 
dem  Kaiser,  Feldmarschall  Seckendorf,  Blondel,  dem  Grafen 
von  Sachsen  und  Anderen  umfassen  (p.  233—287)  die  Zeit 
vom  4.  August  1742 — März  1743.  Sie  sind  meist  nur  in 
Auszügen  gegeben,  und  stimmen  nicht  immer  mit  denen  des 
kaiserlichen  Generaladjutauten  Seyssel  d'Aix,  welcher  dem 
französischen  Marschall  beigegeben  war  überein.  P.  314 
beginnt  ein  Tagebuch  des  Commandanten  von  Braunau 
General  Minucci  über  die  Kriegsereignisse,  Befreiung  und  den 
Entsatz  der  ihm  untergebenen  Festung  vom  27.  November 
bis  16.  Dezember  1742.  Den  Schluss  des  Bandes  Seite  321 
bis  352  bilden  die  Berichte  des  kaiserlichen  Generalquartier- 
meisters Mouleon  an  den  Kaiser  und  den  Grafen  Törring 
mit  dem  17.  September  1742  beginnend  und  April  1745 
endend,  mit  Skizzen  über  die  Befestigungen  von  Ingolstadt 
und  Straubing. 

10.  Band. 

Correspondenz    des   Kurfürsten   Carl  Älhrecht   von       ayern 

{Kaiser  Carl  VII.)  mit  dem  König  Friedrich  IL  t    i 

Preussen  1741-1745, 

107  Briefe   Friedrich    des   Grossen   aus    dem  Zeiträume 

vom  24.  Januar   1741  —  14.  März  1745.     An  Carl  Albrecht 

als  Kurfürst  sind    17,  als  König  von  Böhmen  5,  als  Kaiser 

72  gerichtet;    als    weitere  Adressaten    erscheiuen    die   Feld- 

[1878  I.  Phüos.-philol.-hist.  Cl.  2.]  10 


124  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

marschälle  Graf  Törring  und  Seckendorf,  Marschall  Belleisle, 
Marschall  Schmettau,  der  französische  Gesandte  am  preus- 
sischen  Hofe  Marquis  Vallori,  Cardinal  Fleury,  Comte  de 
Baviere,  der  Markgraf  von  Anspach,  Lord  Hyndfort,  Baron 
Wetzel,  Plotho,  dann  zweimal  der  Kurfürst  Maximilian  HL 
von  Bayern.  Seite  11  — 13  Brief  der  verwittweten  Kaiserin 
Elisabeth  an  den  Prinzen  Ferdinand  von  Preussen  und  dessen 
Antwort  vom  11.  resp.  14.  September  1741  ;  p.  31  Friedrichs 
Feldzugsplan  vom  20.  Februar  1742,  p.  74  Beurtheilung 
des  kaiserlichen  Heeres  unter  Feldmarschall  Seckendorf.  — 
Im  directen  Zusammenhange  mit  den  vorhergehenden  stehen 
die  nun  (p.  97—193)  folgenden  82  Briefe  an  den  König 
von  Preussen  mit  dem  29.  Januar  1741  beginnend,  im  April 
1745  schliessend.  72  Stücke  sind  von  Carl  Albrecht,  4  vom 
Kurfürst  Maximilian  IIL,  die  übrigen  von  Belleisle,  dem 
englischen  Unterhändler  Hyndfort,  dem  Marschall  Seckendorf, 
Comte  de  Baviere,  Cardinal  Fleury.  —  Die  Correspondenz 
behandelt  hauptsächlich  die  Allianz  zwischen  Bayern  und 
Preussen ,  die  gemeinschaftlichen  Kriegsoperationen  und 
diplomatischen  Verhandlungen.  Wichtig  sind  mehrere  Nach- 
richten über  den  ersten  schlesischen  Krieg,  die  mit  den  in 
Friedrichs  histoire  de  mon  temps  enthaltenen  Angaben  in 
Widerspruch  stehen. 

11.   Band. 

Correspondenz  der  bayrischen  Gesandten  Graf  von  la  Rosee 

und    Baron   Spon   in  Berlin   an  Feldmarschall  Törring  et 

vice  versa  1742—1744. 

Der  Band  beginnt  (p.  1  5)  mit  einem  Schreiben  des 
Gouverneurs  von  Strassburg  Marechal  de  Broglio  d.  d. 
26.  August  1740  an  den  französischen  Gesandten  v.  Blondel 
iu  Frankfurt,  und  berichtet  über  einen  Besuch,  den  König 
Friedrich  von  Preussen  im  strengsten  Incognito  m  Strassburg 


Würäinger :  Töpfer'' sehe  Materialien  f,  d.  hayr.  Kriegsgeschichte  etc.   125 

gemacht  hatte.  Ihm  folgen  (5 — 18)  die  Correspoudenz  des 
Ministers  Graf  Törring  mit  dem  kaiserlichen  Gesandten 
am  preussischen  Hofe  Chevalier  de  la  Rosee  vom  30.  Okto- 
ber 1742 — 13.  Juli  1743,  au  welchem  Tage  dem  la  Rosee 
die  Ernennung  seines  Nachfolgers  Baron  de  Spon  bekannt 
gegeben  wird.  Seite  19—39,  die  Gesandtschaftsberichte 
La  Rosees  an  Törring.  Seite  41—53  Correspoudenz  Törrings 
mit  dem  neuernannteu  Gesandten  Freiherrn  von  Spon  vom 
9.  September  1743  -17.  Februar  1745,  Seite  55  —  102  Ge- 
saudtschaftsberichte  Spons,  und  zwar  zuerst  von  seinem 
Aufenthalte  in  Paris  d.  d.  9.,  11.  März,  8.  April,  dann 
vom  2.  September  1743  — 16.  März  1745  aus  Berlin.  Ausser 
zuverlässigen  Aufschlüssen  über  die  politische  Lage  enthalten 
die  Berichte  manche  Einzelnheiten  über  die  Person  Fried- 
rich IL,  seine  Minister,  seinen  Hof,  und  unter  andern  auch, 
über  Voltaires  Aufenthalt  in  Potsdam.  —  Den  weitern 
Inhalt  bilden  die  Briefe  des  Grafen  Carl  Piosasque  (p.  103 
bis  111),  der  am  17.  September  1738  den  Vertrag  wegen 
eines  bayrischen  Hilfscorps  zum  Türkenkriege  mit  dem 
Wienerhofe  abschloss,  und  während  des  Feldzuges  als  Ma- 
rechal  de  Camp  die  bayrische  Cavallerie  commandirte.  Sie 
beginnen  in  Wien  mit  22.  September  1738,  bringen  d.  d. 
Semlin  30.  Juli  1739  einen  sehr  interessanten  Bericht  über 
das  unglückliche  Gefecht  bei  Krotzka  (22.  Juli)  und  enden 
mit  seiner  Rückkehr  nach  Bayern  25.  Juli  1740.  Ueber 
seine  weitere  kriegerische  Thätigkeit  geben  seine  aus  Böhmen 
3.  bis  Ende  Dezember  1741  an  Törring  erstatteten  Berichte 
Aufschluss.  Er  starb  im  Jänner  1742  im  Lager  bei  Pisek. 
Aufschlüsse  über  die  militärischen  Verhältnisse  zur  Zeit  des 
unglücklichen  Treffens  bei  Braunau  bieten  die  Berichte  des 
Commandanten  von  Braunau,  des  Capitain  der  Leibgarde 
Graf  Joseph  Piosasque  de  Non  vom  8.  — 15.  Januar  1742 
(p.  121  —  127).  Den  Schluss  (p.  127  —  135)  bilden  zwei 
ausführliche   Relationen,    eine   officielle    und  die  eines  fran- 

10* 


126  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  9.  Februar  187 S, 

zösischen  Offiziers  über  die  Erstürmung  der  Stadt  Prag 
(26.  November  1741). 

Beilage  aus  Band  I. 

Idee^)  sur  le  discours  que  m'a  tenu  le  Comte  de  Leuenstein 
ä  Namur  le  23.  de  May  1712^ 

qui  etoit  en  substance:  que  la  cour  de  Vienne  etoit  fort 
portee  pour  le  mariage  entre  mon  fils  le  P*'''  Electoral  et 
TArchiducbesse,  fille  ainee  de  l'Empereur  Joseph;  que  c'etoit 
en  cette  vue,  qu'on  avoit  tant  de  soins  de  son  education, 
et  qu'on  le  faisoit  servir  sur  le  meme  pied,  que  Tetoient 
les  Archiducs  d' Antriebe  et  les  fils  des  Empereurs;  que  pour- 
tant  l'intention  de  la  cour  de  Vienne  etoit,  que  je  ne  rentre 
Jamals  en  Baviere  et  que  mes  dits  etats  soient  restitues  au 
P''^  Electoral,  c'est  ä  dire  la  Haute  et  la  Basse  Baviere,  sans 
le  Haut-Palatinat,  qui  resteroit  avec  l'Arcbidapiferat  et  ses 
prerogatives  et  rangs  ä  l'Electeur  Palatin.  Sur  cette  Idee 
le  C.  de  Leuenstein  a  propose,  comme  une  pensee  ä  lui- 
meme,  pour  expedient  de  me  donner  a  la  paix  les  Pais-bas 
ä  vie,  sur  le  pied,  que  Varchiduc  s'accorderoit  la  dessus  avec 
les  Etats  Generaux  de  Hollande,  si  je  cedois  la  Baviere  au 
P°^  Electoral,  comme  il  est  dit  plus  baut,  m'assurant,  que  la 
succession  de  Tarchiduc,  s'il  n'a  pas  d'enfants,  venoit  aux 
deux  arcbiduchesses,  fiUes  de  l'Empereur  Josepb,  et  que  les 
Facta  Familiae  de  la  maison  d'Autricbe  portoient,  que  le 
dernier  arcbiduc,  se  trouvant  sans  succession,  pouvoit  dis- 
poser  en  faveur  des  fiUes  de  sa  maison,  selon  qu'il  le  trouve 
convenir. 

En  cette  supposition  ma  pensee  est,  que : 
1°  L'archiduc  declare  la  fille  ainee  de  l'Empereur  Josepb 
son  heritiere  universelle  de  tous  ses  royaumes  et  etats. 
2^  Qu'elle  soit  mariee  ä  mon  fils  aine,  le  Prince  Electoral, 


')  Eigenhändiger  Aufsatz  des  Kurfürsten  Max  Emanuel. 


Würdinger :  Töpfer' sehe  Materialien  f.  d.  hayr.  Kriegsgeschichte  etc.  127 

par  consequent  lui  et  ses  desceudants  appeles  ä  cette 
succession  de  la  maison  d'Autriche. 

3^  Poiir  mieux  consolider  et  etablir  cette  succession,  la 
seconde  fille  de  TEnipereur  Joseph,  epouse  mon  second 
fils  le  Duc  Philippe,  lequel  avec  sa  succession  succe- 
deroit  au  P*"^  Electoral  en  cas,  que  celui-ci  n'eut  pas 
d'enfants. 

4^  En  faveur  de  ces  mariages  je  nie  contente  de  renoncer 
la  Baviere  au  P''^  Royal,  qui  en  sera  mis  en  possession 
avec  la  dignite  d'Electeur  et  la  restitution  de  tout  ce, 
que  j'ai  possede  avant  la  guerre,  hormis  le  Haut-Pala- 
tinat  et  l'Archidapiferat  avec  son  rang  et  prerogatives, 
qui  rester oit  ä  TElecteur  Palatin  regnant  aujourd'hui 
et  ä  ses  descendants  en  ligne  directe:  au  defaut  de 
quoi  le  dit  Haut-Palatinat  et  l'Archidapiferat  retour- 
neront  au  P""^  Electoral,  c'est  ä  dire  ä  celui,  qui  sera 
Electeur  regnant  de  Baviere. 

5^  J'aurai  pour  moi  les  Pays-bas  en  tout  son  entier  et 
en  piain  souverainete  selon,  qu'on  en  conviendra  au 
congres  d' Utrecht  tant  pour  les  frontieres  que  la  garde 
des  places  et  garnisons. 

6^  La  souverainete  et  possession  des  Pays-bas  sera  pour 
ma  vie  duraute,  apres  quoi,  si  l'archiduc  a  succession, 
les  Pays-bas  seront  ä  la  maison  d'Autriche,  excepte 
les  deux  places  et  provinces  de  Luxerabourg  et  Namur, 
lesquelles  resteront  au  P*''' Electoral  ou  ä  l'Electeur  regnant 
en  Baviere  jusques  ä  ce  que  le  haut  Palatinat  lui  soit 
restitue,  et  qu'il  soit  entierement  dedommage  des  pertes 
que  cette  guerre  a  cause  ä  la  maison  de  Baviere  dans 
les  etats  de  Baviere.  II  sera  pourtant  au  choix  de 
l'Electeur  regnant,  quand  le  cas  arrivera  de  la  mort  de 
l'Electeur  Palatin  d'aujourd'hui  sans  succession,  comme 
il  est  explique  ä  l'article  4""^,  de  ravoir  le  Haut-Pala- 
tinat ou   de  garder    les   deux   provinces  et   places  de 


128  Sitzung  der  histor.  Gasse  vom  9,  Februar  1878. 

Luxembourg  et  de  Namur,  bien  entendu,  qiie  de  l'une 
ou  autre  fa90ii  l'archidapiferat  et  le  rang  de  premier 
Electeur  secularier  reviendra  toujours  ä  l'Electeur 
reguaiit  en  Baviere  apres  la  mort  de  l'Electeur  Palatin 
Sans  succession. 

7^  Le  Roi  d'Espagne  me  cedera  le  royaume  de  Sicile  en 
pleine  propriete  et  droit,  pour  moi  et  mes  descendants, 
ä  Texclusion  pourtant  de  mon  premier  fils,  qui  sera 
Electeur  de  Baviere;  ainsi  mon  heritier  dans  le  dit 
Royaume  de  Sicile  sera  mon  second  fils ,  le  duc 
Philippe,  qui  aura  epouse  l'arcliiduchesse  d'Autriche 
deuxieme  fille  de  l'Empereur  Joseph. 

8®  Que  l'Archiduc  employe  son  credit,  offices  et  assistance, 
pour  qu'un  de  mes  fils  soit  elu  Coadjuteur  de  mon 
frere  l'Electeur  de  Cologne,  tant  ä  l'archeveche  de 
Cologne  qu'ä  l'eveche  de  Lieche, 

9^  Que  l'Archiduc  ne  s'oppose  point,  si  le  Grand-Duc 
de  Toscane  vouloit  appeller  un  de  mes  fils  ä  sa  suc- 
cession, et  donne  plutot  les  maius  de  son  cote  pour 
un  pareil  etablissement  d'un  de  mes  fils. 
10^  Que  l'Electeur  Palatin,  en  faveur  de  la  cession,  que 
lui  fait  ma  maison  du  Haut-Palatinat  et  Archidapi- 
ferat,  s'oblige  d'appuyer  de  tout  son  pouvoir  la  negotia- 
tion  pour  l'etablissement  d'un  de  mes  fils  ä  la  succession 
du  Grand-Duc  de  Toscane,  et  que  Madame  l'Electrice 
Palatine  n'y  joigne  pas  seulement  ses  bons  offices, 
mais  cede  lä  dessus  ses  pretentions,  si  eile  en  avoit, 
ä  mon  fils  destine  ä  cette  succession,  puisque  sur  cela 
eile  n'a  pas  d'enfauts  ä  y  placer. 


WünUnger :  Töpfer' sehe  Materialien  f.  d.  hayr.  Kriegsgeschichte  etc.  129 

Baisons,  pour  lesquelles  les  allies  äevroient  entrer  äans  Videe 

que  je  propose^  particulierement  la  maison  d'Autriche  et  la 

Bepuhlique  de  HoUande,  qui  sont  ceux,  qui  sopposent  le  plus 

ä  mes  droits  et  interets. 

La  maison  d'Autriche  veut  soutenir  le  ban  de  l'Empire 
coiitre  moi  et  par  lä  m'oter  l'Electorat  et  empecher  mon 
retour  dans  mes  etats  de  Baviere  pour  toute  ma  vie,  et  pour 
satisfaire  ä  l'article  de  la  capitulatioii,  faite  ä  Fraucfort,  ä 
l'election  de  l'arcliiduc,  son  dessin  est,  de  mettre  mon  fils, 
le  P*'^  Electoral,  en  possession  de  mes  dits  etats  de  Baviere. 

Par  les  propositions,  que  je  projette,  je  donne  pleine 
satisfaction  au  dessin  de  FArchiduc,  et  celle,  que  je  demande 
pour  moi  est  sans  aucun  prejudice  ä  la  maison  d'Autriche, 
de  plus  fondee  sur  une  equite  entiere.  Je  me  contente  des 
Pays-bas  pour  ma  vie  durante,  quoique  la  cession  du  Roi 
d'Espagne  me  les  donne  en  plein  droit  et  ä  mes  descen- 
dauts.  Si  FArchiduc  a  succession,  les  Pays-bas  reviennent 
ä  la  maison  d'Autriche,  laquelle  sans  cette  succession  est 
eteinte.  Si  non,  ils  restent  de  meme  ä  son  heritiere  pre- 
somptive,  qui  est  l'archiduchesse,  sa  niece.  Ainsi  de  quel 
cote  qu'on  tourne  la  chose,  je  n'ai  la  jouissance  des  Pays- 
bas  que  pour  ma  vie,  et  en  effet  tel  cas,  qni  arrive,  la 
maison    d'Autriche    n'en    est  privee,    que  pour  ce  temps  lä. 

Si  ma  gloire  et  ma  naissance  exige,  que  j'aie  une  dignite 
et  rang  dans  le  monde,  ayant  cede  celui  que  j'avois  avec 
mon  patrimoine,  ce  n'est  pas  ä  la  maison  d'Autriche  que 
je  le  demande,  mais  au  Roi  d'Espagne,  qui  possede  le 
royaume  de  Sicile,  dont  je  propose  la  cession. 

Les  propres  convenances,  que  la  maison  d'Autriche 
trouve  en  cette  idee,  sont  considerables,  et  avant  tout  le 
bien  et  l'avantage  de  notre  religion,  etant  certain,  que  si 
l'Archiduc  n'etablit  pas  la  succession  au  defaut  de  la  sienne 
propre,  que  la  religion  est  en  grand  danger  tant  dans 
l'Empire   que   dans  les  Pays-bas.     La  maison   d'Autriche  ei 


130  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

parii  toujours  si  zelee  pour  la  religion,  qu'il  n'est  pas  croyable, 
que  rArchicluc  voulut  l'exposer  aux  evenements  dangereiix 
dont  eile  est  menacee  au  susdit  cas. 

Je  sais  que  l'Arcliiduc,  Tlmperatrice,  sa  mere,  aussi 
bien  que  ses  sujets,  inclinent  pour  le  mariage  de  mon  fils 
avec  TArchiducliesse,  connoissant  ses  qualites  personnelles, 
desquelles  selon  que  j'en  suis  iDforme,  ils  sont  tres  satisfaits. 
II  est  eleve  entre  leurs  mains,  imbu  de  leurs  maximes  et  des 
sentiraents,  qu'ils  lui  ont  voulu  inspirer. 

II  n'en  est  pas  de  meme  des  autres  Princes,  qui  sont 
en  age  et  en  passe  d'epouser  TArchiduchesse.  Le  P''^  Elec- 
toral  de  Saxe,  fils  du  Roi  Auguste  de  Pologne,  est  eleve 
Lutherien  et  Test  encore  sans  qu'il  y  aie  la  moiudre  appa- 
reuce,  qu'il  cbange  la  religion,  ä  quoi  sa  mere  et  les  Etats 
de  Saxe  s'opposent  fortement;  le  dit  Prince  est  dejä  d'un 
age  oü  l'heresie  a  pris  racine,  ainsi  que  je  ne  crois  pas, 
qu'il  puisse  etre  prefere  ä  mon  fils. 

Le  prince  de  Piemont  est  appelle  ä  la  succession  d'Es- 
pagne  et  ce  ne  seroit  pas  eviter  une  nouvelle  guerre  par 
ce  mariage  si  l'Archiduc  venoit  ä  mourir  sans  enfants,  puis- 
que  Ton  viendroit  dans  le  cas  que  les  pays  hereditaires  de 
la  maison  d'Autriche  et  la  couronne  Imperiale  pouvoient 
tomber  sur  la  meme  tete  avec  la  monarchie  d'Espagne. 

L'education  du  Prince  de  Piemont  est  bien  differente 
pour  la  maison  d'Autriche  ä  celle  que  l'Archiduc  fait  donner 
ä  mon  fils,  les  coutumes  et  manieres  sont  aussi  fort  opposees 
ä  Celles  qu'ont  toujours  eues  les  Princes  d'Autriche  et  de 
Baviere.  Par  toutes  ces  raisons  et  beaucoup  d'autres,  que 
je  ne  dit  pas  ici,  je  laisse  ä  juger,  lequel  de  ces  trois  Princes 
convient  le  mieux  ä  la  maison  d'Autriche. 

Je  joins  ä  cela  encore  un  motif,  qui  doit  porter  l'Archi- 
duc au  double  mariage  avec  mes  fils,  qui  est  celui  de  bien 
placer  et  etablier  les  deux  Archiduchesses,  ses  nieces,  ce  qui 
est  aussi  difficile  ä  trouver   en   ce  temps-ci,    et   le  pis-aller 


Würdmger :  Töpfer^ sehe  Materialien  f.  d.  hayr.  Kriegsgeschichte  etc    131 

de  ces  denx  Princesses  par  les  dits  mariage  est,  que  ruiie 
sera  Electrice  de  Ba\iere  et  l'autre  Reine  de  Sicile. 

Quant  ä  la  Republique  de  Hollaude,  les  priucipales 
raisons,  qu'elle  allegne,  ponr  s'opposer  que  la  cession  des 
Pays-bas  faite  en  ma  faveur  aie  son  effet,  sont :  Que  je  n'ai 
pas  la  puissance  de  les  soutenir  et  que  quelque  precaution 
que  la  dite  republique  puisse  prendre,  pour  la  purete  de  sa 
barriere  et  frontiere,  eile  ne  sauroit  empecber,  que  moi  ou 
mes  successeurs  ne  prenions  un  parti  contraire  ä  son  interet, 
quand  l'occasion  se  presenteroit  favorable,  laquelle  pendant 
mon  regne  j'embrasseroit  avec  plaisir,  quand  je  pouvrois 
m'unir  avec  la  France,  persuades  comme  ils  sont  de  l'attache- 
ment,  que  j'ai  pour  eile. 

Ils  considerent  la  chose  tout  autrement  du  cote  de 
r  Au  triebe,  laquelle  ils  regardent  toujours  opposee  aux  inte- 
rets  et  ä  l'agrandissement  de  la  France  et  en  etat  par  sa 
propre  puissance  de  soutenir  les  Pays-bas  et  d'entrainer  par 
Tavantage,  que  lui  donne  la  couronne  Imperiale,  tout  l'Em- 
pire  en  sa  faveur  en  une  guerre,  quand  meme  eile  ne  seroit 
que  pour  ses  interets  particuliers,  comme  on  a  eu  l'exemple 
en  cette  guerre- ci.  Ce  projet  ne  detruit  pas  seulement  cette 
crainte  et  ce  raisonnement  des  Hollandois,  mais  le  met  aussi 
ä  couvert  d'une  guerre,  qui  seroit  infailliblement  leur  perte, 
si  TArchiduc  (ayant  les  Pay-bas)  venoit  ä  mourir  sans  suc- 
cession. 

Les  Pays-bas  m'etant  donne  pour  ma  vie  durante  et  la 
succession  reglee  en  faveur  de  la  maison  d' Antriebe,  sui- 
vant  ce  projet,  l'Arcbiduc  ne  peut  que  les  regarder  et  defendre 
comme  ses  propres  etats,  et  c'est  sur  ce  pied  la  que  les 
Hollandois  aussi  bien  que  la  maison  d' Antriebe  peuvent 
prendre  leiirs  suretes  avec  moi.  La  maison  d' Antriebe 
consiste  ä  present  dans  la  seule  personne  de  l'Arcbiduc,  qui 
n'a  point  de  succession.  S'il  ne  la  regle  pas  pendant  sa 
vie  au  defaut  de  la  sienne,  la  guerre  est  infaillible   et   eile 


132  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  9.  Februar  1878. 

ne  peut  etre,  que  funeste  ä  la  republique  d'Hollande.  Si 
TArchiduc  est  le  maitre  des  Pays-bas  l'Empire  se  divisera, 
et  ne  sera  occupe  que  pour  la  couronne  Imperiale,  ainsi 
la  Hollande  ne  trouvera  ni  assistance  ni  allies  de  ce  cote- 
lä.  L'Angleterre  a  de  bonnes  raisons,  ponr  ne  s''en  pas 
meler,  et  si  eile  le  feroit,  le  cas  d'ä  present  fait  voir,  que 
ce  ne  seroit  pas  en  faveur  de  la  dite  republiqae  de  Hollande. 

Je  conclue  donc,  que  Ton  remedieroit  ce  par  le  double 
mariage  aux  conditions  proposees  dans  ce  projet. 

L'Angleterre  jusqu'a  present  n'a  rien  voulu  faire  en 
ma  faveur,  toachant  les  Pays-bas,  pour  le  menagement, 
qu'elle  a  eu  pour  TArchiduc  et  les  Hollandois.  Par  ce 
projet  cette  consideration  doit  cesser  et  je  crois,  que  si  le 
cas  venoit,  que  le  Roi  Tres  Chretien  trouvoit  ä  propos  de 
la  proposer  ä  la  Reine  d'Angleterre,  eile  le  trouveroit  assez 
fonde  en  raison,  pour  s'employer  ä  y  faire  entrer  l'Archiduc 
et  les  Hollandois. 

Comme  le  Systeme  de  l'Empire  n'est  change  en  rien 
par  ce  projet,  on  ne  trouvera  aucune  Opposition  de  la  part 
des  Electeurs,  et  Princes  de  l'Empire. 

Le  Pape  ne  peut  rien  souhaiter  de  plus  solide  pour  le 
bien  de  la  religion  et  comme  Prince  en  Italic,  lui  aussi 
bien  que  les  autres  Etats  et  Princes  d'Italie  ne  seront  pas 
facbes  que  la  Sicile  et  la  Toscane  ne  soient  pas  ä  la  mai- 
son  d' Antriebe,  qai  sans  cela  se  trouve  dejä  si  puissante  en 
Italic. 


Sitzung  vom  2.  März  1878. 


Herr  v.  Hefner-Alteneck  trug  vor: 

„lieber  den  Maler,    Kupferstecher    und 
Pormschneider  Jost  Amman." 

Wer  die  Geschichte  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts in  Bezug  auf  Deutschland  und  die  Schweiz  studirt 
und  behandelt ,  und  sich  dabei  nicht  nur  allein  auf  die 
Thatsachen  geschichtlicher  Ereignisse  im  Frieden  und  Krieg, 
im  Geistlichen  und  Weltlichen  ,  was  wohl  die  Hauptsache 
bleibt,  beschränken  will ,  sondern  dem  es  darum  zu  thun 
ist,  auch  die  ausser! ichen  Erscheinungen,  welche  mit  dem 
Seelenleben  der  Menschen  in  Verbindung  stehen,  oder  viel- 
mehr der  Ausdruck  desselben  sind ,  kenneu  zu  lernen ,  als 
z.  B. :  die  Bildnisse  geschichtlicher  Personen ,  die  Trachten 
aller  Stände,  die  kulturgeschichtlichen  Einzelnheiten,  die 
Geschmacksrichtung  in  allem  Bilden  und  Schaffen  u.  s.  w., 
für  den  existirt  nur  ein  Künstler,  welcher  als  vollgültiger 
Ausdruck  seines  Zeitalters  durch  beispiellosen  Fleiss,  Viel- 
seitigkeit und  Schärfe  der  Auffassung  ein  so  umfassendes 
und  ausgiebiges  Material  geliefert  hat,  wie  die  Geschichte 
kein  zweites  Beispiel  aufweisen  kann. 

Jost  Amman,  geboren  zu  Zürich  1539  aus  einer  an- 
gesehenen Bürgersfamilie  daselbst  stammend ;  von  da  zog  er  im 


134  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Jahre  1560  nach  Nürnberg,  wo  er  auch  im  März  1591  starb. 
Im  Todtenregister  ist  er  eingeschrieben  ,,Der  Ersam  Jobst 
Amnion  Kunstreiser,  unter  der  Vesten,  in  der  obern  Schmidt- 
gassen." Das  ist  Alles,  war  wir  von  seinen  Lebensverhält- 
nissen wissen. 

Von  ihm  gilt  im  vollsten  Masse,  was  seiner  Zeit 
unser  König  Ludwig  I.  von  dem  Geschichtschreiber  Lam- 
bertus  aas  Aschaffenburg  sagte  „von  ihm  wissen  wir  We- 
nig, durch  ihn  aber  sehr  Viel." 

Er  war  Zeichner,  Oel-  und  Aquarellmaler,  Kupferste- 
cher, Radirer,  Formschneider  und  Glasmaler. 

Sein  Name  stünde  in  der  deutschen  Kunstgeschichte 
oben  an,  wenn  seine  ungeheure  Arbeitskraft  und  sein  pro- 
duktives Talent  nicht  zu  sehr  von  den  Kunstindustriellen 
in  Anspruch  genommen  und  ausgebeutet  worden,  und  ihm 
Zeit  und  Ruhe  geblieben  wäre,  seine  Werke  mehr  durchzu- 
bilden und  das  zu  machen,  was  man  in  unseren  Tagen 
akademische  Studien  nennt. 

Es  waren  vorzüglich  die  Verleger  und  Buchdrucker, 
welche  seine  Thätigkeit  zu  Illustrationen  ihrer  Werke  so 
zusagen  mit  Beschlag  belegten,  auch  manche  hervorragende 
Gelehrte  jener  Periode  bedurften  seiner  Holzschnitte  und 
Kupferstiche,  um  das  in  ihren  Werken  klar  zu  machen, 
wozu  ihre  Worte  nicht  ausreichten.  Es  waren  auch  viele 
hohen  Herrn,  welche  durch  Amman  ihre  Bildnisse,  ihre 
Macht  und  Herrlichkeit  in  Krieg,  auf  der  Jagd,  in  Tur- 
nieren und  ihren  Hoffesten  verewigt  wissen  wollten.  Aber 
eben  dadurch  hat  Amman  seinen  Blick  und  seine  Auf- 
fassungsgabe vorzüglich  für  alle  Erscheinungen  seines  Zeit- 
alters und  seiner  Umgebung  geübt  und  für  Historiker  eine 
besondere  Bedeutung  erlangt,  und  nur  von  diesem  Gesichts- 
punkte aus  glaube  ich  an  dieser  Stelle  die  Aufmerksamkeit 
auf  ihn  lenken  und  seine  Bedeutung  hervorheben  zu  dür- 
fen.    Wollte  ich  seine  Werke   einzeln    anführen    und   nach 


V.  Hefner- Alteneck :  Jost  Amman.  135 

ihrer  Bedeutung  würdigen ,  so  könnte  ich  einen  starken 
Band  darüber  schreiben. 

Jost  Ammans  Werke,  insoferne  sie  im  Druck  erschie- 
nen und  aufzutreiben  waren,  (denn  es  werden  noch  bestän- 
dig neue  aufgefunden)  beschreibt  Dr.  Andreas  Andresen  in 
seinem  „Deutschen  Peintre-Graveur ,  Leipzig  1864  I.  Bd." 
mit  grosser  Sorgfalt.  Im  Vorworte  spricht  er  auch  das 
aus,  was  ich  längst  fühlte,  indem  ich  schon  mit  dem  Jahre 
1826  begann,  Ammans  Werke  zu  sammeln,  nämlich,  dass 
das  ausserordentliche  Material,  welches  dieser  Künstler  für 
Geschichtskunde  bietet ,  noch  nicht  von  Ferne  zureichend 
gewürdigt  und  benützt  ist. 

Auf  die  geschichtliche  Bedeutung  der  Werke  dieses 
Künstlers  einzugehen,  oder  auch  die  Werke  desselben,  welche 
in  Zeichnungen  und  Gemälden  als  Unica  bestehen  ,  zu  be- 
schreiben, lag  ausser  dem  Zwecke,  welchen  Andresen  in 
seinem  Peintre-Graveur  verfolgte. 

Um  nur  annähernd  eine  Vorstellung  seines  enormen 
Fleisses  und  seiner  Vielseitigkeit  zu  geben,  will  ich  hier 
versuchen,  eine  Anzahl  seiner  Werke,  welche  im  Druck  er- 
schienen und  besonderes  Interesse  für  Geschichtsforscher 
bieten,  wenn  sie  gleichwohl  schon  beschrieben,  vorzuführen, 
dann  im  Allgemeinen  erwähnen,  was  der  Künstler  an  Zeich- 
nungen und  Malereien  lieferte,  welche  nur  als  Unica  bestehen 
und  nie  vervielfältigt  oder  beschrieben  wurden,  und  unter 
letzteren  nur  ein  Beispiel  hervorheben,  um  zu  zeigen,  was  man 
schon  an  ihm  allein  für  Geschichtskunde   entnehmeu  kann. 

Dass  Jost  Amman,  wiewohl  selbst  Formschneider, 
nicht  alle  seine,  auf  mehrere  Tausend  sich  belaufende  Zeich- 
nungen selbst  in  Holz  schneiden  konnte ,  ist  natürlich. 
Auf  die  meisten  seiner  Werke  setzte  er  sein  Monogramm 
I.  A. ,  und  hat  er  sie  auch  in  Holz  geschnitten ,  so  fügte 
er  häufig  die  Abbildung  des  Instrument chens  bei,  mit  wel- 
chem er  geschnitten,  was  dann   so  viel  als  ,,sculpsit"  hiess, 


136  Sitaung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

auch  brachte  er  öfter  bei  seinen  Monogrammen  den  eigen- 
thümlich  geformten  Dolch  der  Schweizer  an,  was  dann  so- 
viel sagte  als:  „J.  Amman  der  Schweizer." 

Unter    den  Bildnissen,    welche  Amman    lieferte,  sind 
für  uns  folgende  als  die  wichtigsten  zu  bezeichnen. 
In  Kupfer  gestochen  oder  radirt: 

Stephan  Bathori,  Fürst  von  Siebenbürgen. 

Caspar  de  Coliguy,  Admiral  von  Frankreich. 

Jacobine  de  Coligny,  seine  Gemahlin. 

Sigmund  Feierabend,  Buchhändler  in  Frankfurt  a/M. 

Wenzel  Jamnitzer,  Goldschmied  und  Mathemathiker. 

ür.  Martin  Luther  als  Mönch  zu  Erfurt  und  als  Pro- 
fessor in  Wittenberg. 

Dr.  Martin  Luther  auf  dem  Todtenbette. 

Johann  Neudörffer,  Schreib-  und  Rechnen meister. 

Hans  Sachs. 

63  Bildnisse  französischer  Könige. 

78  Blätter.     Die  bayerischen  Fürsten. 
Bildnisse  in  Holzschnitt: 

Johann  Aventin  (in  dessen  bayerischer  Chronik.) 

Herzog  Christoph  von  Württemberg. 

Veit  Dietrich  (in  dessen  Summarien.     Nürnb.   1567.) 

Sigmund  Feierabend. 

Joh.  Wolfgang  Freymann,  Dr.  med. 

Leonard  Fronsperger,  Verfasser  des  Kriegsbuches. 

Die  beiden  Ritter  Georg  und  Caspar    von  Frundsberg. 

Markus  Fugger. 

Georg  Herzog  von  Sachsen. 

Wenzel  Jamnitzer. 

Georg  Lauterbeck,  Regen tenbch.   1579. 

Adam  Lonicer. 

Marthin  Luther. 

Martin  Luther  mit  6  Freunden  zu  Tisch  sitzend. 

Theophrastus  Faracelsus. 


V.  Hefner- Alteneclz :  Jost  Amman.  137 

Erasmus  Sarcerius,  Theolog. 

Georg  Ludwig,  Freiherr  v.  Seinsheim. 

Andreas  Tiraquellus.  Dr.  jur. 

Leonardus  Tbarneisser  zum  Thurn. 

Die  Bibel  v.  Jahr   1564  mit  133  Holzschn. 

Die  Bibel  v.  Jahr  1571   mit  136  Holzschn. 

D.  Evangelistenbilder  v.   1571  mit  93  Holzschn. 

D.  Evangelistenbilder  v.   1587  mit  80  Holzschn. 

Die  biblischen  Figuren  v.   1579  mit  78  Holzschn. 

Das  Passional,  u.  Apostel  v.   1570  mit  7  Holzschn. 

Biblisches  Handbüchlein    v.    J.    Brentius    v.    1573  mit 

30  Holzschn. 
Luthers  Tischreden  1573  mit  20  Holzschn. 
Melanchthons  Epigramme  1583   mit  20  Holzschn. 
Theatrum  Diabolorum  1569  mit  40  Holzschn. 
Geistliches  Kreuterbuch  v.  W.  Sarcerius  m.  23  Holzschn. 
Plutarch,  1580;  48  Holzsch. 
Titus  Livius  mit  136  Holzschn. 
Barlandis    Geschichte     der    Grafen     von    Holland     mit 

36  Holzschn. 
Aventins  bayerische  Chronik  mit  12  Holzschn. 
Appians  bayerische  Landtafeln. 

Ammans  Antheil  daran  erst  1567  Rahmenornamente, 
bayer.  Wappen  etc.  etc. 
Die  Moscovitische  Chronik  1579  mit  16  Holzschn. 
Die  Chronik  v.  Venedig  1584  mit  85  Holzschn. 
Die  Ungarische  Chronik  1581  mit  34  Holzschn. 
Das  Heldeobuch   1590  mit  30  Holzschn. 
Die  berühmten  Frauen  des  Boccaccio  mit  47  Holzschn. 
Terenz  mit  6  Holzschn. 
Reinecke  Fuchs  mit  56  Holzschn. 
Die  Bambergische    Halsgerichtsordnung    1580    mit    22 

Holzschn. 
Das  Turnierbuch  mit  45  Holzschn. 


138  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Leonh.  Fronspergers  Kriegsbuch  mit  62  Holzschn. 

—  —     zweiter  Theil  dess.  mit  227  (incl.  Wiederhol.) 

—  —     dritter  Theil  dess.  mit  342  Holzschn. 

Das  Wappen  und  Stammbuch  1579  mit  167  Holzschn. 

Künstler-  und  Handwerkerbuch  mit  132  Holzschn. 

Dieses  Buch,  welches  auch  in  neuerer  Zeit  durch  viel- 
fache Copien  verbreitet  wurde,  bietet  nach  vielen  Richtun- 
gen und  besonders  für  Geschichte  der  Industrie  und  Tech- 
nik reiches  Material. 

Trachtenbuch  der  katholischen  Geistlichkeit  1585  mit 
102  Holzschn. 

Das  Frauen  Trachtenbuch  mit  122»  Holzschn. 

H.  Weigels  Trachtenbuch  mit  125  Holzschn. 

Das  Kartenspielbuch  mit  55  Holzschn. 

Das  Stamm-  und  Gesellenbuch  mit  32  Holzschn. 

Das  Kunst-  und  Lehrbüchlein  mit  107  Holzschn. 

Das  Thierbuch  mit  107  Holzschn. 

Das  Jagdbuch  mit  74  Holzschn. 

Fugger,  von  der  Gestüterei  mit  39  Holzschn. 

Kunstreiche  Figuren  der  Reiterei  mit  97  Holzschn. 

Indem  ich  somit  nur  eines  Theiles  seiner  Arbeiten, 
welche  für  den  Druck  verfertigt,  in  Bibliotheken  und 
Sammlungen  gelangten,  gedachte,  muss  ich  noch  erwähnen, 
dass  er  auch  eine  Unzahl  von  Holzschnitten  für  ganz  ge- 
wöhnliche industrielle  Zwecke  fertigte,  welche  öfter  zu 
seinen  besten  Arbeiten  gehörten,  aber  grösstentheils  im  Ge- 
brauche und  Laufe  der  Zeit  verloren  gingen ,  und  nur  hie 
und  da  als  üuica  und  Seltenheiten  auftauchen. 

So  z.  B.  fertigte  er  für  Schachtelmacher  viele  Holz- 
stöcke, mit  deren  Abdrücken  die  runden  oder  ovalen  Deckel- 
flächen und  die  Seitenwände  überzogen,  mittelst  Schablonen 
schlecht  colorirt  und  dann  gefirnisst  wurden.  In  gleicher 
Weise  wurden  seine  Holzschnitte  für  aus  Holz  gedrechselte 
Schüsseln  verwendet,    auf  welche   man  Brod    oder   sonstige 


V.  Hefner- AUeneck:  Jost  Amman.  139 

trockene  Esswaaren  legte,  oder  sie  in  den  Nürnberger 
Schauküchen  aufstellte.  U.  A.  hat  unser  bayerisches  Na- 
tionalrauseum ,  wie  das  Germanische  Museum  in  Nürnberg 
Manches  derart  aufzuweisen.  Ausser  den  unzähligen  Ent- 
würfen und  Zeichnungen  zur  Ausschmückung  von  Werken 
der  Architektur,  Prachtsälen,  Triumphbogen,  Decorirungen 
bei  den  Turnieren,  besitzt  fast  jedes  Handzeichnungscabinet 
der  Welt  eine  grössere  oder  kleinere  Anzahl  von  Entwürfen 
(„Vorzeichnungen")  für  Glasmaler,  wiewohl  der  überwiegend 
grössere  Theil  derselben  natürlich  durch  den  Gebrauch  in 
den  Werkstätten  zu  Grunde  ging ;  meistens  sind  dieselben 
klar  und  bestimmt,  in  alle  Einzelheiten  eingehend,  mit  der 
Feder  gezeichnet  und  ausgetuscht.  In  der  Regel  stellen  die- 
selben nach  Schweizerart  das  Wappen  des  Bestellers  mit 
seinem  oder  auch  seiner  Hausfrau  Bildniss  in  ganzer  Figur 
dar,  von  Renaissance- Ar chitectur  und  allegorischen  Figuren 
umgeben. 

Betrachten  wir  solche  Entwürfe  des  Meisters,  bei  wel- 
chen die  Heraldik  eine  Hauptsache  bildet,  im  Zusammen- 
hang mit  dem  schon  erwähnten  grösseren  und  kleineren 
Holzschnitt-Stammbuch  und  seinen  vielen  in  Miniaturmalerei 
ausgeführten  Stammbäumen,  wie  z.  B.  den  der  Patricier- 
Familie  Pfinzing  von  Henfenfeld  in  Nürnberg  mit  reicher 
Landschaft,  150  reich  costümirten  Bildnissfiguren  und  un- 
geheurer Masse  von  Wappenvögeln  und  Laubwerk,  und 
einzelnen  Stammbuch-Blättern,  so  haben  wir  ein  voll- 
ständiges Bild  der  schwungreichen  und  aufs  Feinste  styli- 
sirten  Heraldik  ihrer  letzten  Blüthezeit,  wie  wir  es  auf 
keinem  anderen  Wege  finden  können. 

Um  noch  einen  Beweis  der  fabelhaften  Thätigkeit 
dieses  Künstlers  zu  geben,  erwähnen  wir  unter  seinen  vielen 
ähnlichen  Werken  der  Miniaturmalerei  den  Krönungs- 
Festzug  Kaiser  Maximilian  IL  in  dem  Handzeichnungscabinet 
zu  München,  zwar  nur  40  Cm.  hoch,  aber  30  Meter  lang. 
[1878  I.  Philos.-pMlol.-hist.  Cl.  2.]  11 


140  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2,  März  1878. 

Derselbe  enthält  mehrere  hundert  Personen  aus  den  ver- 
schiedensten Ständen  und  Nationalitäten  zu  Pferd  und  zu 
Fuss  in  solcher  Genauigkeit ,  dass  man  nicht  nur  die  ver- 
schiedensten Charactere  der  Gesichtszüge,  sondern  auch  alle 
Einzelnheiten,  die  Stickereieu,  die  Ornamentirung  in  Schmuck, 
Waffen,  Pferdegeschirren  etc.   erkennt. 

Eines  der  merkwürdigsten  Werke  Ammans  ist  das  1,08 
hohe  und  1,26  breite  Miniaturgemälde,  welches  ein  Turnier 
(vielmehr  Stechen  oder  Gestecli)  darstellt,  welches  Patricier 
auf  dem  Marktplatz  vor  der  Frauenkirche  zu  Nürnberg  im 
Jahre  1561  hielten. 

Dasselbe     zeigt     auf     seinem    ursprünglich    schwarzen 

Rahmen  in  goldener  Schrift    die  Erklärung,  welche  lautet : 

„Den   Tritten    Martii   als   da   war,    fünfzehnhundert 

,, sechzig  ein  Jar,    Ein  löbliche  geselschafft  hatt.  Solch 

,,gstech    gehalten    in    der    statt,    Nürenberg    auf   dem 

„marckt  so  frey,  Wie  es  hie  Contierfet,  dabey  Gewesen 

„sein  volgende  gschlecht.  Wurde    erkent  also  zu  recht, 

„Das    den    Dank    erlangt    lobesan,     Moritz    fürer    der 

„kühne    man,  Die    andern    stecher    waren  die,    Philip 

„Gauder  vn~d   sunst  alhie ,    Matthes  Löffelholtz ,   Chri- 

„stoff  Scheurl,  Endres  Schmittmer,  Balthasar  Christoff 

„Gugel,    Philip    Lux,    Wilhelm  Traner,    Wie  nun  das 

„gstech  voleut   vd  aus,    Ward  gehalten  auf  dem  Rat- 

,,hauss.     Ein    herrlicher    ehrlicher  Tantz,    zuvor    hat 

„g'habt  den  gsellen  krantz,  Gabriel  Baumgartner,  den 

„er.  Aufsetzt    dem    Gabriel   Tucher.     Solch   Ritterspiel 

„durch  die  gene~t  Ist  so  in  Lob  vn~d  freudt  vollendt.^' 

Dieses  Werk    zeigt  die   Eigenthümlichkeit   der   letzten 

Art  von  solchen  Ritterspielen  in  der  Ausführlichkeit,    dass 

man   nicht    zweifeln    kann,    der    Künstler,    welcher    selbst 

Augenzeuge  war,  legte  einen  Werth  darauf,    der  Nachwelt 

eine  Erklärung    über    die  Einzelheiten  und  Vorbereitungen 

solcher  Stechen  zu  hinterlassen. 


V.  Befner-Altenech:  Jost  Amman.  141 

Man  sieht  daselbst  nicht  nur  das  gewöhnliche  Rennen 
oder  Stechen,  wie  wir  es  in  manchen  Turnierbüchern  fin- 
den ,  sondern  auch  ,  wie  der  Patricier  in  dem  enorm 
schweren  Stechzeug  uoch  nicht  festgeschraubt,  so  dass  er 
noch  Arme  und  Hals  ein  wenig  bewegen  kann,  auf  an  das 
Pferd  gestellte  Stufen  empor  geführt  und  auf  den  Sattel 
gehoben  wird,  während  der  Waffenmeister  die  Lanze  mit 
dem  Krönling  und  der  Brechscheibe  bereit  hält,  und  einem 
Anderen,  welcher  bereits  auf  dem  Pferde  sitzt,  vom  Waffen- 
meister die  Schrauben  angezogen  werden ,  damit  die  Har- 
nisch theile  fest  au  einander  schliessen  und  unbeweglich  wer- 
den ,  und  wie  im  dritten  Akte  einem  zu  Pferde ,  von  der 
linken  Seite,  und  dem  andern,  von  der  rechten  Seite  ge- 
sehen, durch  den  Waffenmeister  die  Lanze  in  den  Vorder- 
haken an  der  Brustplatte  von  oben  nach  unten,  und  in 
den  weit  nach  hinten  hinausstehenden  Haken  von  unten 
nach  oben  eingelegt  wird,  während  im  vierten  Akte  zwei 
Gegner  im  Aufeinanderrennen  begriffen  sind.  Die  Patricier 
führen  dabei  ihre  Wappenfarben,  heraldische  Bilder  und 
Helmzierde,  was  nicht  immer  bei  Turnieren  der  Fall  war ; 
ein  Jeder  hat  zwei  Waffenmeister  in  schv/arzer  Kleidung 
zu  Pferde  und  4  Schalksnarren  (Prügelknechte)  in  seiner 
Farbe  und  seinem  Abzeichen  bekleidet  bei  sich  —  letztere 
treiben  verschiedene  Possen  und  sind  beim  Aufsetzen  auf 
das  Pferd  und  bei  dem  Aufheben  nach  etwaigem  Falle  be- 
hülflich.  Die  Schranken  dieses  ritterlichen  Spieles,  von 
welchem  ein  zuschauender  Türke  gesagt  haben  soll  ,,für 
Ernst  zu  wenig  und  für  Spass  zu  viel"  sind  von  einer 
kaum  übersehbaren  Masse  von  Zuschauern  umgeben,  Männer 
und  Frauen  aus  allen  Altersklassen  und  aus  den  verschie- 
densten Ständen,  welche  uns  durch  ihre  Characteristik, 
Trachten  etc.  ein  vielseitiges  Bild  jenes  Stadtlebens  und 
Zeitalters  vor  Augen  führen.  Dieses  reichhaltige  Bild  wurde 
durch    die    betheiligten    Patricier    als    Andenken    für    das 

11* 


142  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Rathhaus  zu  Nürnberg  bestimmt,  —  und  ich  erwarb  es 
vom  Antiquar  Herdegen  daselbst  im  Jahr  1862  für  das 
königliche  Kupferstich-  und  Handzeichnungscabinet  in 
München. 

Möge  aus  dieser  meiner  nur  allgemein  gehaltenen  Dar- 
stellung der  Wirksamkeit  dieses  Künstlers  entnommen  wer- 
den, wie  vieles  Material  für  Detailstudien  in  der  Kultur- 
geschichte jener  wichtigen  Ausgangsperiode  des  16.  Jahr- 
hunderts aus  seinen  Werken  genommen  werden  kann. 


Herr  von  Druffel  hielt  einen  Vortrag: 

„Hß^'zog  Herkules  von  Ferrara  und  seine 
Beziehungen  zu  den  Kurfürsten  Moritz 
von  Sachsen  und  zu  den  Jesuiten*', 

welcher  in  einem  späteren  Heft  zum  Abdruck  gelangt. 


Sitzung  vom  2.  März  1878. 


Philosophisch-philologische  Classe. 


Herr  G.  Thomas  besprach: 

,, Einen   Bericht    über    die   ältesten   Be- 
sitzungen der  Venezianer  auf  Cypern." 

Die  ansehnliche  Bibliothek  der  *^Fondazione  Quirini 
Stampalia'  in  Venedig  bewahrt  auch  eine  nicht  unbeträcht- 
liche Sammlung  von  Handschriften;  die  meisten  derselben 
beziehen  sich  auf  die  politische  und  innere  Geschichte  der 
Republik ;  Abschriften  von  Relazionen,  Auszüge  aus  Senats- 
und Raths  -  Beschlüssen ,  Gesetze,  Capitulare  von  Kunst- 
handwerken ,  Chroniken  und  anderes  verdient  sicher  die 
Prüfung. 

Eine  merkwürdige  Handschrift  ist  der  Codex  No.  190 
aus  dem  13.  Jahrhundert,  in  Pergament  4^.  Dieselbe  stellt 
gleichsam  ein  Memoriale  dar  über  die  Dinge  in  Syrien 
und  die  Ver  h  ältnisse  der  Venezianer  daselbst  im 
12.  und  13.  Jahrhundert,  von  welchem  man  annehmen 
möchte,  dass  es  von  einem  Mitbetheiligten  geschickt  und 
kundig  angeordnet  worden  ist. 

Den  Kern  dieses  geschichtlichen  Denkbuches  bildet  der 
Bericht  des  Marsilius  Georgius,  Bajulus  von  Syrien, 
zur  Zeit  des  Dogen  Jacob  Theupolus  (1243),  welchen  wir 
im  zweiten  Theil  des  Urkundenbuchs  von  Venedig  (Fontes 
rerum  Austriacarum  t.  XIII)  p.  351  —  398  zum  erstenmal 
vollständig  veröffentlicht  haben  und  welcher  seitdem,  nament- 
lich von  Herrn  Dr.  Hans  Prutz  in  seinem  Buche  ,,aus 
Phönicien"  gut  ausgenützt  worden  ist. 


144        Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  2,  März  1878. 

Dem  Bericht  selbst  aber  —  im  Codex  fol.  15 — 41  — 
geht  eben  hier  noch  anderes  voraus.  Zuerst  auf  fol.  1 
folgendes  Rubrum : 

In  nomine  domini  nostri  Jesu  Christi,  anno  eiusdem 
M.  CG.  XL.  11^^  indictione  XV'^,  mense  Junii  eo  tempore 
cum  civitatem  Tyri  recuperavimus  a  nostris  inimicis  Longo- 
hardis  qui  tenehant  eam.  ad  hec  in  posterum  memorie  com- 
mendatur,  Ideo  nos  Marsilius  Georgius  haiidns  in  Syria 
Venetorum^  iussu  domini  ducis  Jacohi  Teupoli  fecimus  re- 
digi  in  puhlicam  scripturam  ea  que  Veneti  in  toto  regno 
Jerosolimitano,  tarn  in  civitate  Tyri  quam  in  omnihus  aliis 
civitatihus  et  locis,  secundum  quod  per  nos  scivimus  et  etiam 
inquirere  potuimus  per  anticos  nostros  qui  in  Syria  de- 
morantur.  ad  hec  ut  valeat  per  quoscunque  sciri  ut  que 
habemus,  valeant  cum  deo  et  iusticia  retineri.  et  quod  nohis 
longo  tempore  violenter  est  acceptum.,  possit  recuperari  a 
detinentibus  malo  modo. 

Diesem  Rubrum,  welches  für  die  Chronologie  des  Mar- 
siliusischen  Berichtes  einen  neuen  Anhalt  bietet  —  das 
Datum  anno  1242  für  den  ersten  Bericht  —  folgt  dann  im 
Codex  mit  der  Aufschrift  „Incipit  ystoria  et  Privilegium'^ 
ein  Auszug  aus  dem  französischen  Texte  des  Wilhelm 
von  Tyrus,  fol.  1  —  14,  und  zwar  lib.  XII  cap.  23.  24 
und  lib.  XIII  cap.  1  —  14;  diesen  Auszügen  sind  —  fol.  3— 7  — 
die  Privilegia  Warmundi  a.  1123  et  Balduini 
a.  1125  eingefügt,  gerade  wie  bei  Wilhelm  von  Tyrus 
selbst;  vgl.  unsere  Ausgabe  im  Urkundenbuch  von  Venedig 
(Fontes  rerum  Austriacarum  t.  XII)  1.  No.  XL.  XLI. 

Hieran  reiht  sich  fol.  15 — 41  die  Relation  des  Mar- 
silius Georgius,  wie  wir  dieselbe  herausgegeben  haben,  nur 
mit  dem  Eingang :  ,, Incipit  ystoria  ad  hoc  ut  quilibet*'  etc." 
(vgl.  p.  354  1.  2  unseres  Textes). 

Ohne  allen  Hinweis  wird  dann  dem  Marsilius  fol.  41 
das  "^Privilegium   Johannis  de  Ibelino,    Bcriti  do- 


Thomas:  Aelteste  Besitzungen  der  Venezianer  auf  Cypern.     145 

Diini^  V.  J.  1221  angeschlossen,  welches  im  Urkundenbuch 
B.  2,  p.  230  vorliegt. 

Alle  diese  Texte,  von  uns  nach  dem  berühmten  Liber 
Albus  herausgegeben,  wurden  sorgfältig  mit  dieser  älteren 
Abschrift  verglichen    und    nicht   ohne   erklecklichen  Erfolg. 

Endlich  aber  —  nnd  dieses  ist  ein  Novum  von  beson- 
derem Werthe  —  enthält  der  Codex  auf  den  letzten  Blät- 
tern einen  Bericht  über  die  ältesten  Besitzungen 
der  Venezianer  auf  der  Insel  Cypern. 

Ob  er  wohl  auf  eben  jenen  patriotischen  Marsilius 
Georgius  zurückzuführen  ist?  Die  Behandlung  der  Sachen 
und  die  Einleitung  sprechen  dafür.  Einen  bestimmteren  An- 
halt gäbe  es,  wenn  man  wüsste,  welcher  Balian  von  Ibelin 
gemeint  ist,  dessen  unten  an  einer  Stelle  Erwähnung  ge- 
schieht. Keinesfalls  möchte  ich  für  die  Zeit  der  Abfassung 
des  Berichtes  nach  seinem  ganzen  Inhalt  über  das  Jahr  1277 
herabgehen ;  in  diesem  Jahre  wurden  die  Verhältnisse  der 
Venezianer  mit  Syrien,  d.  h.  mit  Tyrus  und  mit  Cypern 
wiederum  in  ein  besseres  Geleise  gebracht.  Den  hieher  ge- 
hörigen Vergleich  zwischen  Jacob  Contareno,  dem  Dogen 
von  Venedig  und  Johann  von  Montfort,  Herrn  von  Tyrus, 
gibt  unsere  Sammlung  B.  3  No.  CCCLXIX  p.  150-159; 
die  Bestätigungsurkunde  vom  J.  1278  habe  ich  erst  bei 
meinem  letzten  Aufenthalt  im  Venezianer  Archiv  aufgefun- 
den, und  zwar  in  einer  Sammlung,  wo  man  selbe  kaum 
suchen  würde.*)  lieber  die  Geschichte  jenes  Jahres  wäre 
übrigens  Mas  Latrie  histoire  de  l'ile  de  Chypre  I  p.  460  zu 
vergleichen. 

Der  Bericht  selbst  weist  darauf  hin,  was  Venedig  auf 
Cypern  besessen  habe  und  noch  besitze.  Die  Republik  hatte 
sich,  wie  anderswo,  so  hier  Freiheit  im  Handel  und  Wandel, 

*)  Es  erscheint  nicht  unstatthaft  und  ist  sicherlich  manchem 
erwünscht,    wenn    ich   hier  diesen  Nachtrag    zur  Kenntniss 


146        Sitzung  der  jahilos.-philoh  Classe  vom  2.  März  1878. 

eigene  Gerichtsbarkeit  und  Selbstverwaltung  zu  versebaffen 
gewussst.  Die  Venezianer  hatten  ihr  Fontego  und  ihren 
Consul.  Man  ersieht  aus  dieser  Schrift,  v^^ie  gut  es  die 
Venezianischen  Ansiedler  verstanden ,  sich  des  Grunds  und 
Bodens  für  den  Einzelbedarf,  für  die  Gemeinde,  für  die 
lateinische  Kirche  zu  bemächtigen. 

Diese  Besitzungen  vertheilten  sich  im  wesentlichen  auf 
Nimis,^)  d.  h.  Limassol,  und  Nicosia;  wenige  treffen  auf 
Paphos  (Baffo). 


1)  Diese  Abkürzung  ist  einzig.  Die  Stadt  selbst,  neueren  Ur- 
sprungs, hiess  Neapolis  (Neapoleos)  bei  den  Griechen,  nachher  Ne- 
bringe, soweit  es  mit  Rücksicht  auf  den  oben  angeführten 
Vergleich  erforderlich  ist. 

Confirmatio  conventionis  inter  Johannem  de  Monteforti 

et  Yenetos. 

a.  d.   1278  die  3.  m.  Madii. 
Pacta  Ferrariae  archivi  Veneti  fol.  76*. 

,,Nos  lacobus  Contarenus  dei  gracia  etc.  Notum  faci- 
mus  tenore  presentium  universis  quod  cum  nostro  minori 
et  maiori  consilio  in  sala  maiori  nostri  palacii  in  maiora 
congregati,  consilio  more  solito  congregato,  nostro  et  ipsius 
nostri  comunis  Veneciae  nomine  laudamus  approbamus  et 
confirmamus  et  ratificamus  restitutiones  et  pacta  per  egre- 
gium  virum  Johannem  de  Monteforti  dominum  Tyri  et 
duarum  partium  Tyri  factas  et  facta  nobilibus  viris  Alber- 
tino Maaroceno,  de  nostro  mandato  Venetorum  baiulo  in 
Accon  et  in  Tyro  et  in  tota  Syria  et  Andrea  Fuschareno 
et  Phylippo  Cornaro,  eiusdem  baiuli  consiliariis  et  cum 
ipsis  vice  et  nomine  nostro  et  comunis  Venecie  et  recep- 
tiones   per  eos  factas  a  dicto  Johanne  de   omnibus   posses- 


Thomas:  Aelteste  Besitzungen  der  Venezianer  auf  Cypern,     147 

Neben  den  Venezianern  erscheinen  Pisaner,  Genuesen, 
Provenzalen,  Templer,  Johanniter  als  Grundherren.  Wie 
man  sich,  wenn  es  galt,  in  Besitz  stellte,  das  zeigen  u.  a. 
die  Vornahmen  ""per  vim\ 

Der  Bericht  ist  für  die  Orts-  und  Culturgeschichte  der 
Insel  im  13.  Jahrhundert  nicht  ohne  Belang;  auch  für  den 
Wortschatz  der  Sprache  fällt  mancher  Gewinn  heraus.  Die 
Handschrift  selbst  —  so  gleichmässig  dieselbe  dem  Auge 
erscheint,  ist  durch  viele  und  eigenthüraliche  Abkürzungen 


m  es  SOS,  Limisso,  Limassol;  Lamazira   bei  Willebrand  von  Ol- 
denburg; Nimocium,  Nymocine,  civitas  Nymociensis  lateinisch. 


sionibus,  bonis,  dricturis  et  iurisdictionibus,  tarn  intra  civi- 
tatem  Tyrensem  quam  extra  etc.''  quae  leguntur  in  con- 
ventionis  primo  capitulo,  tom.  III.  (Fontium  XIV)  p.  151  —  152 
lin.  1   ,,pertinentiarum"  —  tum  pergit: 

,,et  etiam  alia  omnia  et  singula  inita  et  firmata  .... 
que  continentur  in  instrumento  inde  scripto  per  Bartho- 
lameum  de  Firmo  imperiali  auctoritate  notarium ,  buUato 
bullis  pendentibus  plumbeis  dominorum  patriarche  lerusalem 
et  magistrorum  hospitalis  S.  Johannis  et  militie  Tempil  et 
prefati  Johannis  et  sigillo  cereo  pendenti  dicti  Albertini 
baiuli  Venetorum.  quod  factum  fnit  sub  anno  dom.  a  nati- 
vitate  millesimo  ducentesimo  septuagesimo  septimo,  indictione 
quinta,  die  kalendarum  Julii. 

Ad  cuius  rei  firmitatem  perpetuam  et  evidenciam  ple- 
niorem  presentes  litteras  fieri  fecimus  et  bulla  nostra  plumba 
pendenti  iussimas  communiri  ac  per  manura  Conradi  nostri 
et  curie  nostre  cancellarii  mandavimus  roborari,  currente 
anno  ab  incarnacione  dom.  nostri  Jesu  Christi  millesimo 
ducentesimo  septuagesimo  octavo ,  indictione  sexta ,  mense 
Madii  die  tercio  intrantis. 

Ego  Corradus  «^ 


148  Sitzung  der  histor.  Clas^  vom  2.  März  1878. 

nicht  leicht  zu  lesen ,  abgesehen  von  den  Barbarismen  der 
damaligen  Zeit  (besonders  im  Gebrauch  des  Aceusativs  statt 
des  Nominativs  und  in  Verwechslung  des  Genus)  und  von 
dem  Missverstäudniss  des  Abschreibers;  vorzüglich  steht  man 
bei  den  Namen  der  Personen  und  noch  mehr  der  Orte 
manchmal  vor  Räthseln.  Eine  wiederholte  Durchsicht  hat 
zwar  vieles  geklärt,  anderes  musste  in  Zweifel  gelassen 
werden;  die  Sprache  zu  verbessern  fällt  dem  Leser  nicht 
schwer. 

Mas  Latrie  hat  in  seinem  emsigen  und  reichen  Werke 
den  Besitz  der  Venezianer  im  15.  Jahrhundert  hinlänglich 
erörtert,  für  diese  frühere  Zeit  fehlt  es  an  Vergleichen; 
auch  aus  der  *^Chorograffia  et  breve  historia  universale  dell' 
Isola  di  Cipro  .  .  .  per  Fr.  Steffano  Lusignano  di  Cipro  delF 
Ordine  de'  Predicatori^  Bologna  1573  kann  nur  einzelnes 
erläutert  werden. 


Beducinnis  ad  niemoriam  presentihus  et  futuris  facientes 
scrihi  in  Jwc  presenti  volumine  ca  que  condam  antiqiiitus 
Veneti  et  comiine  Venetiariim  hahuenmt  uel  hahent  et  eis 
pertinuerunt  in  insida  CIPRI:  in  primis  hahuerunt  integram 
libertatem  in  omnihus  reliis  et  mercimoniis,  eundo  stando 
et  redeundo,  et  cur i am  liberam  in  iusticiis,  introitihus^  iuris- 
dictionibus  et  iudiciis  faciendis  sine  alicuius  contrarietate, 
et  ea  omnia  que  pertinent  et  pertinere  possunt  principalibus 
et  specialihus  dominis  terre. 

In  primis  ecciesie  S.  Marci  episcopatus  NiMis  quam 
fecerunt  Vitalis  Beräm,  cur  Bert,  Dominicus  Bert,  ^)  omnes 


2)  Die  drei  Brüder  Vitalis,  Aurius  (so  nach  anderen  Stellen  zu 
lesen)  und  Dominicus  trugen  wohl  den  Familien-Namen  Bertram  oder 
Bertrand;  die  Schreibung  ist,  wie  man  sieht,  verschieden  abgekürzte 
auch  weiter  unten. 


Thomas:  Aelteste  Besitzungen  der    Venezianer  auf  Oi/pern.    149 

fratres,  et  Leonardas  Fuscariuus.  habet  zardinum  unum  qui 
reddit  in  anno  bizantios  L.  stationes  vj.  in  platea  liij""  justa 
mare  et  ij  in  plathea  et  iiij""  stationes  cum  ij  domibns,  que 
fuerunt  Orlandi,  et  ibi  morabatur ,  et  terra  tanta  que  fuit 
Georgi  Zirini,  in  qua  terra  sunt  domus  xi].  et  redditum 
accipit  ecclesia  et  pauperum  bospitalis,  que  fuit  dicti  Georgii 
Zirini.  et  Sanctus  Johannes  prope  ubi  baptizantur.  Tstam 
dictam  maiorem  ecclesiam  fuit.  ^)  Jo.  Aüg.  et  domos 
quas  tenebantur  et  arcbidiaconi,  qui  sunt  in  campo  ccclesie, 
omnes  fuerunt  cathalati  *)  Veneciarum.  La  gastina  ^)  que 
fuit  etiam  Johannis  Aüg.  ubi  erant  domos  et  possessiones, 
quas  episcopus  omnes  fecit  destrui  in  quam  efficitur  mess  (sie). 

Item  Sanctus  Georgius  est  de  episcopatu  supra  dicte 
ecclesie.  terra  ipsius  ecciesie  cum  tota  sua  pertinentia  fuit 
Uiuiano  Bono. 

Item  habitatio  tota  Templariorum  NiMis  ciuitatis 
fuit  Leonardi  Fuscarini  et  Marci  Lazari  et  Angeli,  que 
omnia  üeri  fecerunt  et  duo  zardini  qui  sunt  extra  ciuitatem 
in  parte  Oriente  fuerunt  Vitalis  Betrara  supradicti  et  doini- 
nantnr  modo  a  Templariis,  que  fuit  suo  patrimonio. 

Item,  aliud  zardinum  tenetur  a  Templariis ,  quod 
fuit  Manuelis  Rossi.  iacet  in  parte  oecidente,  qui  fuit  sui 
patrimonii. 

Item  domus  hospitalis  tenet  zardinum  unum,  qui  iacet 
in  magistro.  ubi  est  unum  palmerium,  quod  fuit  Vitalis 
Bethrandi. 

Item  in  terra  S.  Nicolai  que  est  apud  supra  scriptum 
zardinum    qui    tenetur   a    Grecis  ^     fuit    de    Viuiano    Bono. 


3)  fecit? 

4)  Wohl  xaraXlccxrai ,  si  korämen  unten  nochmals  vor ;  und  ein- 
mal auch  werden  cambiatores  angeführt. 

5)  gastina  hat  im  mittelalterlichen  Latein  mehrere  Bedeutungen: 
ursprünglich  wohl  locus  desertus  s.  vastatus,  solitudo;  dann 
terra  inculta;  ferner  ager  pascuus;  endlich  praediura. 


150        Sitzung  der  phüos.-philoh  Gasse  vom  2.  März  1878. 

Item  ista  in  cepto  (sic)domorum  UenetorumcmiisiiisNimis 
curia  nna,  que  fuit  Johannis  Balbi  et  iusta  dictam  curiam 
est  alia  curia,  que  fuit  Johannis  Derimi,  que  sunt  in  occi- 
dente  et  iusta  dictam  curiam  possessio  Dominici  Coustantini 
et  uacuantur.     tota  ista    possessio    adtinet  de  iure  maritali. 

Item  domus,  que  tenentur  a  Filipo  Dare  usque  a  dicto 
Docheri,  fuerunt  Sancto  Marco . . .  Vomreri  et  Micheli  Vomreri 
et  Manuelis  patris  quondam  presbiteri  pizoli  fuerunt  de 
iure  paterno. 

Item  insula  una,  ubi  sunt  domus  xij.  fuit  Michaeli  Li- 
noti  et  mina. 

Item  curia  una,  que  fuit  termina  iusta  Dominicum 
Constantinum,  teuetur  a  milite  condam  Symeonis  Bafii  et 
la  gastina  de  Manuele  Rosso  euacuatur,   iacet  in  occidente. 

Item  curia  de  Durio  ^)  Augustino  cum  omnibus  suis 
domibus,  que  iacet  in  parte  occidente. 

Item  domus  Uiuiani  Bononi  tenetur  a  Genuensihus. 

Item  domus,  que  fuit  Aurij  Albini  rex  fecit  fieri  fon- 
tego  et  tenetur  adhuc  pro  fontego. 

Item  curia  que  fuit  Octo  Marosin,  ubi  fuerunt  domus 
vj.  in  parte  occidente. 

Item  curia,  que  tenetur  a  Pisanis  <,  fuit  Dominici 
Damori  et  Martinis  Zancaroli. 

Item  possessio  Henri ci  Venerii,  sunt  domus  tres.  mo- 
rantur  in  occidente  et  possidet  Ualpertius  justa  dicti  Henrici. 

Item  possessiones  Frigerii  Dente  tenentur  a  rege. 

Item  possessio  uxoris  condam  Johannis  Floriani  tenetur 
a  filio  Alberti  Smeloni. ') 

Item  stationes  vj.  que  fuerunt  Dominici  Alberigo  et 
Stefani  fratris  eins,  tenentur  a  domino  Sythies.^)  que  fue- 
runt de  iure  paterno. 

6)Aurio? 

7)  Sermeloni? 

8)  Sythiensi? 


Thomas:  Äelteste  Besitzungen  der  Venezianer  auf  Cypern.    151 

Ttem  in  alia  curia  cum  domo  qiie  fiierunt  dicti  Do- 
minici  Alberigi  et  i.  zardinum  in  curia,  morantur  niilex 
Asaldus  que  fuerunt  de  iure  paterno. 

Item  curia  de  Michaelis  Pladoni  et  alia  de  Vitali 
Venerio. 

Item  stationes  lij.  que  sunt  deleoste  et  sunt  in  plathea 
et  iusta  est  curia  que  fuit  Dominici  Geni. 

Item  domus  Vigo  Zeui  cum  una  curia  et  i.  zardinum 
iacet  in  occidente. 

Item  medietatem  domorum,  que  fuerunt  de  Marchesano 
et  alia  medietas,  que  fuit  Rugerii  Semiteculi  et  medietatem 
unius  zardini.  sunt  extra  ciuitatem ,  que  fuerunt  de  iure 
maritali. 

Item  zardinum,  quod  tenet  Uastulongo.  tamen  illius 
zardini  fuit  Ueneiorum. 

Item  zardinum,  quod  fuit  Aurium  Bethram,  Georgius 
de  Seta  tenet  modo. 

Item  aliud  zardinum  iusta  predictum  zardinum  fuit  de 
domo  Benum.  (?)  modo  tenet  Jofredus  millex,  que  fuit  de 
iure  maritali. 

Item  Stephanus  Zirinus  habuit  domos  in  plathea  que 
reddunt  bizantios  cc.  in  anno,  hec  omnia  iacent  in  parte 
in  occidente:  que  omnes  fuerunt  de  iure  paterno. 

Item  in  parte  Oriente  domus,  quae  fuerunt  Johannis 
Michiel,  modo  tenet  Jacobus  de  Hospitale,  que  fuit  de  iure 
paterno. 

Item  stationes  inj.  que  sunt  super  terram  Uenetorum 
et  etiam  dicte  stationes  posite  antea  in  cambium  fuerunt 
de  Ueneciis, 

Item  domus  una  cum  duabus  stationibus  fuerunt  de 
Uenetiis  iusta  dictas  stationes   et   nominatas  supra  scriptas. 

Item  terra,  que  fuit  Stefenisi,  generi  Stefani  Zirini, 
dominatur  et  tenetur  a  Constantino  Colocato ,  que  fuit  de 
iure  maritali. 


10) 


152        Sitzung  der  philol.-phüol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Item  domus,  que  fueruut  Marci  Lazari,  Templum  domi- 
natur,  posiie  iusta  mare  in  Oriente. 

Item  domus  üitalis  üenerii  cum  duabus  stationibus  te- 
il entur  a  Provinzalibus  et  aliis  tribus  stationibus  que  fuerunt 
dicti  Uitalis  üenerii.  teneutur  a  filia  Uassilengo;  que  fuerunt 
de  iure  maritali. 

Item  Aurius  Beräm  habuit  stationes  x.  in  duabus  cu- 
riis.  tenentur  a  dicta  filia  Uasilengi. 

Item  terra  que  fecit  fieri  domos  S.  Älemane^  fuit  Jo- 
hannis  Girardi   Veneti. 

Item  domos  que  fuerunt  Georgii  Zirini,  tenet  filia  de 
rege. 

Item  terra  que  fuit  Cauatorta,  accepit  rex  et  fecit  fieri 
furnum  super  ipsam  terram. 

Item  domus  una,  que  fuit  Pessu  Panigo  iusta  dictum 
furnum. 

Item  domus  Dominici  Armani  modo  tenet  Hugu  de 
Clara  Pisanus  et  Lapisoe  cum  tribus  domibus. 

Item  domus,  que  fuerunt  Dominici  Zirini,  posite  a  la- 
boraria,  tenentur  modo  a  Templariis. 

Item  possessiones ,  que  sunt  justa  possessionem  dicti 
Dominici  Zirini,  que  fuerunt  Citoli,  tenentur  a  Templariis. 

Item  domus  que  fuerunt  Rugenoni,  a  codam  Grifone.  ^) 

Item  domus  quas  tenet  dominus  Raubarata  millex. 
medietas  illius  domi  fuit  de   üeneciis^  Dominici  Pascali. 

Item  domus  que  fuerunt  Petri  Michaelis  et  Johannis 
Michaelis,  tenet  modo  Dominicus  Aura  (sie). 

Item  domus,  que  habet  Thesererio,  fuit  Flocan  (?)  Gra- 
donico  et  modo  tenet  Michaelis  Natalis  et  Marcus  Natalis 
fuerunt  principes  illius  domi. 


9)  „Griffones   Gallis   Graeci   Byzantini  imperii    oliiu    dicti' 
Ducange. 

10)  Das  Pergament  dieser  Zeilen  ist  abgerieben. 


Thomas:  Aelteste  Besitzungen  der  Venezianer  auf  Cypern.      153 

Item  donius  Marini  Silvestri  tenet  Georgius  Lobalio 
episcopatus. 

Item  domus ,  que  fuerunt  Dadomo  Martinazo  teuet 
modo  Johannes  de  lospitali  milex. 

Item  domus,  que  fuerunt  presbiteri  Mathei  Ueneti, 
euacuantur. 

Item  curia  Marci  Marceil i  cum  omnibus  suis  haben ciis 
rex  accepit  et  dedit  mihti  cuidam  et  sie  alienauerunt. 

Item  domus,  que  fuerunt  sororis  domini  Georgii  Zi- 
rini,  iuxta  Steni  Marubiani  dominantur  et  tenentur  a  pres- 
bitero  quodam  Grifone. 

Item  iuxta  dictas  domos  alia  soror  dicti  Dominici  Zi- 
rini  habuit  domum,    que  teuetur  a  filio  Leonardi   piscatori. 

Item  domus  Michaelis,  catallacti  ^^)  Ueneti^  tenentur 
a  Johanne  Dabedone. 

Item  domus  cum  una  magna  curia  habentibus  v.  domos 
intus  que  fuerunt  Petri  de  Canale,  filii  Geruasii  de  Canale 
et  unum  zardinum  cum  xxiiij.  domibus. 

Item  zardinum  unum  cum  una  fossa  et  cum  toto  ci- 
miterio  fuit  medietas  una  Uitalis  Berän  et  alia  medietas 
Nemiti  Sigorani,  tenetur  a  quodam  Lobardo  Fisano. 

Item  balneum,  quod  fuit  üenetoriiin,  tenetur  a  Filippo 
de  greco  milite.  reddit  omni  anno  M.  bizantios. 

Item  terram,  quam  fecit  Vicentius  zardinum,  fuit  üe- 
netorum. 

Item  unusquisque  zardinus  reddit   in  anno  bizantios  C. 

H  I 

hec  omnia    fuerunt    patrimonio    uel  matrimonio    se  man  au 
proprio  concosto  (sie).  ^^) 

Item  cassale  Monachroli^  quod  tenetur  hospitalis^  fuit 
de  Uiuiano  Bono.  habuit  pro  denaro  ab  uxore  sua. 


11)  vgl.  oben  Note  4. 

12)  Hier  liegt  wohl  ein  Eigennamen  verborgen   und  eine   Besitz- 
änderuug :  proprio  conquisitu  s.  conquestu? 


154        Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  2.  Man  1878. 

Item  cassale,  quod  uocatur  Pirigo,  qnod  tenent  fratres 
alhi,  fuit  Johannis  Michaelis  ex  parte  patris  sui. 

Item  Sanctus  Georgius  cum  uno  cassale,  uocatur  Auuo 
lopistrico  de  poUpani,  tenetur  a  fratribus  alhis^  fuit  de  Ne- 
mizo   Uenetico. 

Item  Agronda  pastrio,*^)  quod  fuit  Geruasii  da  Canale, 
de  suo  iure  episcopatus  tenet. 

Item  domus  Templariorum  tenet  Ägerhniso  domos 
campos  et  zardiuos  que  omnia  faerunt  de  Zitoli.  hec  habuit 
de  parte  uxoris  sue. 

Item  domos  campos  zardinos  omnes  residuos  de  casali 
G&remisso^  quod  habent  domus  Templariorum^  fuerunt  do- 
mini  Bartholomei  Signoli  que  omnia  emit  suis  monetis. 

Item  ij  molendini  qui  sunt  in  Geremiso ,  fuerunt  de 
Petro  Zirini  et  Marci  Stati  et  modo  tenentur  a  Templariis. 

Item  Vitalis  Gradonicus  babuit  in  dicto  cassale  Gere- 
miso duas  uincas  plantatas ,  tenentur  a  Templariis ,  que 
fuerunt  de  propriis  suis  inuenta. 

Item  Jobannis  Michael  habet  Achiläi  unum  pastreto  et 
tenetur  a  ospitali  et  alium  pastreto,  qui  fuit  dicti  Johannis, 
in  eodem  casali  tenetur  a  ospitali.,  habuit  ex  parte  uxoris  sue. 

Item  Sanctus  Constantinus  et  Sanda  Cruce  de  Meso- 
chipi  de  Aurio  Cauatorta  Ueneto  et  ipse  edificare  fecit  pre- 
dictas  ecclesias. 

Item  zardinus,  qui  fuit  de  Marco  de  Marchimino  Ue- 
tieto,  modo  Johannis  de  hospitali. 

Item  zardinus  qui  tenetur  per  Nicolam  scribanum.  terra 
ipsa  fuit  Uenetorum. 


13)  Dieses  Wort,  welches  sich  unten  in  mancherlei  Gestalt  wieder- 
holt: pastreo,  pastreum,  pastreta,  pastretia,  pastreto 
(pastretho),  pastretio  weist  auf  den  Stamm  pasco-pastum  zu- 
rück und  bezeichnet,  wie  noch  andere  Formen  des  gleichzeitigen  La- 
teins: einen  Weide-  oder  Wiesenplatz,  pascuum,  pratum,  ager 
pascuus. 


Thomas:  Aelteste  Besitzungen  der  Venezianer  auf  Cypern.     155 

Item  aliud  zardinum  quod  stat  iusta  supra  scriptum 
zardinum,  tenet  filia  Sidonis  Ruberto  de  Mala,  terra  fuit 
Üenetorum. 

Item  unum  pastrio,  quod  fuit  ALnerigi  Sabatini,  modo 
tenet  dominus  ßalianus  de  Bilino.  **) 

Item  pastretio,  quod  fuit  de  Beneuenuto  Sigorano,  tenet 
Johannes  Dormithia. 

Item  unum  pastreo  de  Loga,  quod  fuit  Bartholomei 
Signoli,  tenet  modo  Johannes  de  Gafarat. 

Item  Palothia  que  fuit  Geruasii  de  Canale.  tenet  modo 
Johannes  de  Palothia  milex. 

Item  duo  pastrethia  que  sunt  Älaperemilia,  que  fuerunt 
de  Aurio  Venerio  et  de  Michiele  fradello,  modo  tenet  do- 
minus Stacius  Leze. 

Item  Sandus  Johannes  qui  fuit  Aurii  Albini,  Johannes 
Preuetanus  tenet  modo. 

Item  Sancta  Coronata  que  fuit  Gervasü  in  Canali, 
modo  tenet  Beneuenuto  Trecopulo. 

Item  unum  pastreo  iusta  Fensore^^^)  quod  de  Michaele 
catalato,  modo  tenet  domus  Templariorum. 

Item  Tyrocinium,  quod  est  casale,  fuit  de  Manuel  Roso, 
tenet  ospitale. 

Item  unum  pastreo  Äthrechonio,  fuit  de  Leonardo 
Foscarini,  tenet  hospital. 

Item  pät  est  cambiatorum ,  ^  ^)  habuit  unum  pastreum 
Athechonio  quod  tenet  hospitale. 

Item  lo  pastreo  quod  fuit  de  Dominico  Zirino,  quod 
est  Äthrachonio,  tenet  domus  Gasöl. 

Item  alium  pastretho  posito  in  Trachonio^  quod  fuit 
Dominici  Pascalis,  modo  tenet  hospitale, 

14)  Eine  genealogische  Tabelle  der  Herrn  von  Ibelin  hat  Wilken, 
Geschichte  der  Kreuzzüge  I,  S-  21  der  Beilage. 

15)  Fesore ,  sie. 

16)  vgl.  oben  Note  4. 

[1878.  I.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  2.]  12 


156        Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  2,  März  187 S. 

Item  Sancta  Bachide  ^  que  fuit  de  Rnberta  Michaeli, 
modo  tenet  dominus  Bethrano  daper  (i.  e.  daperius). 

Item  casale  Saudi  Änchidini^'^)  quod  fuit  Dominici 
Pascalis,  tenet  modo  Fuszerius  Trecopuli. 


See  sunt   possessiones   Venetorii^n  Wicosienses. 

In  primis  Sanctus  Nicolaus  de  NicosiA  cum  tota  sua 
pertinentia  fuit  Uenetorum  merchatornm  de  controbenio. 

Item  domus  qua  moratur  rex  Cipri,  fuit  domini  Leo- 
nard! Sabatini,  quam  ipse  fecit  fieri  suis  bonis. 

Item  domus  domini  Jobannis  Sabatini,  tenet  Raimundo 
balester  per  uim. 

Item  Arnuldus  balesterius  tenet  per  uim  unum  pala- 
cium  cum  curia,  que  fuit  domini  Johannis  Sabatini. 

Item  domus  Nicolai  Feli.  tenetur  a  quodam  Grifone 
qui  fecit  aquUas. 

Item  Nicolaus  Cirinus  habuit  duos  molendinos  et  unam 
pastrea  que  omnia  tenet  Uiglielmus  de  Cafara,  que  fuit  de 
sponsala  uxoris  sue. 

Item  Marcus  Matus  üenetus  habuit  domos,  quos  tenet 
modo  äuu'  Corner  gerius  hesyesse^  que  fuerunt  de  sponsala 
uxoris  sue. 

Item  domus  Martini  pillizarii  Ueneti,  alienatus  habuit 
de  sponsala  uxoris  sue. 

Item  pastreta  una  Ängelagia^  que  fuit  Johannis  Michiel, 
tenet  modo  rex. 

Item  pastreta  una,  que  fuit  Leonardi  Sabatini,  Ämise 
Chilesi^  rex  tenet  modo. 

Sanctus  Nicolaus  de  Baffo  cum  omnibus  suis  pertinen- 


17)  i.  e.  Akindyni. 


Thomas:  Aelteste  Besitzungen  der  Venezianer  auf  Cypern.     157 

ciis  fuit  Uenetiarum  et  domum  unam  que  fuit  Johannis 
Pistelli. 

Item  domus  et  possessio  Andree  Ramengo  de  Baffo, 
fuerunt  eiusdem  Andree. 

Item  Marcas  Marcellus  habuit  a  sollt o  uineas  domos  et 
unum  presol;  ^^)  tenetur  a  uillanis. 


Hec  omuia  et  alia  plurima  sunt  cum  insula  Cipri  que 
per  singula  denotare  nequimus,  sed  hec  tarnen  ad  memoriam 
reconduximus. 


Item  Johannes  Michael  habuit  uineas  et  domos  et 
presär  in  casale  solito.  tenentur  omnia  a  domino  Pechramo 
garperio. 

Item  dominus  Bethramo  carperius  tenet  X.  zarete  de 
uinea,  que  sunt  in  loco  qui  uocatur  Mälea,  fuerunt  de 
Georgio  Zirini. 

Item  Magasa  casale  pathreta  una  cum  molendino  uno. 
uineas  in  zardinum,  que  omnia  sunt  aliminata  et  fuerunt 
Aurij  Betrani,  modo  tenet  dominus  Balianus,  dominus 
Beriti. 

Item  casale  quod  uocatur  Fellendria  ^^)  una  pastreta 
que  fuit  de  Nicheta  Michaeli,  tenet  rex  modo. 

Item  molendinum  et  zardinum  Petri  Sabatini  que  sunt 
Ätrimichino^  modo  tenet  dominus  Joannes  de  Antiochia  per  uim. 


Qui  scripsit  scrihat  semper  cum  domino  uiuat 
Viuat  in  celis  Jacdbus  de  frairago  in  nomine  felix. 


18)  Bald  unten  presar;  entspricht  dem  griechischen  ngoariXios 
{riQoaeiXog)  und  bedeutet  einen  der  Sonne  ausgesetzten  Platz,  eine  Ter- 
rasse, zum  Trocknen  der  Früchte,  Trauben  u.  dgl. 

19)  Dieses  Casale  erwähnt  SteflFano  Lusignano  chorograffia  fol.  19. 


12 


Oeffentliche  Sitzung   der   k.  Akademie    der  Wissen- 
schaften 

zur  Feier  des  119.  Stift  ungstages 
am  28.  März  1878. 

Der  Herr  Präsident  v.  Döllinger  trug  vor: 

„Gedächtnissrede    auf  Alexandre    Herculano  de 
Car  valho." 

Unsere  Akademie  pflegt,  wenn  sie  die  jährliche  Feier 
ihres  Stiftungstages  begeht,  vor  Allem  derjenigen  Männer 
zu  gedenken,  welche  durch  Gleichheit  des  Strebens  und 
durch  unsere  Wahl  im  Leben  ihr  angehört  haben,  im  Jahres- 
lauf aber  durch  den  Tod  ihr  entrissen  sind.  Diessmal  nun 
handelt  es  sich  um  den  Verlust  eines  Mannes,  welcher  in 
höherem  und  ungewöhnlichem  Maasse  unsere  Beachtung  in 
Anspruch  nimmt,  und  es  wohl  verdient,  dass  wir  uns  ein- 
gehend mit  ihm  und  seinen  Leistungen  beschäftigen,  ob- 
wohl er  in  weiter  Entfernung,  am  äussersten  Südende  Eu- 
ropa's  gelebt  und  gewirkt  hat,  und  obwohl  seine  Schriften 
einer  in  Deutschland  sonst  kaum  gekannten  Literatur  an- 
gehören. Er  verdient  es ,  denn  wunderbar  vielseitig  war 
seine  Begabung,  reich  und  unerschöpflich  seine  geistige 
Zeugungskraft,  Grosses  hat  er  für  Literatur  und  Wissen- 
schaft geleistet,  seinem  Volke  aber  ist  er  auch  für  kommende 
Zeiten  ein  leuchtendes  Vorbild  geworden,  gleichwie  er  ihm 
an  seinen  Schriften  einen  unvergänglichen  Schatz  der  Selbst- 
erkenntniss  und  der  Bildung  hinterlassen  hat. 


V.  JDöllinger:  Gedächtnissrede.  159 

Alexandre  Herculano  de  Carvalho ,  gestorben  den 
13.  September  1877 ;  geboren  zu  Lissabon  den  28.  März  1810. 
Noch  vor  seinem  20.  Jahre  ging  er  nach  Frankreich,  er- 
fuhr dort  die  ersten  Eindrücke  der  Juli-Revolution  und  der 
grossen  durch  sie  bewirkten  Umwandlung,  und  kehrte  1832 
zurück,  um  als  Soldat  in  das  Heer  Don  Pedro's  einzutreten 
und  den  Bürgerkrieg  mitzumachen,  der  zur  Umgestaltung 
Portugals  in  einen  coustitutionellen  Staat  den  Grund  legte. 
Was  der  junge  Mann  damals  erlebte,  sah  und  vollbringen 
half,  das  ist  entscheidend  geworden  für  seine  Denkweise 
und  sein  Streben,  und  darum  ist  ein  Blick  auf  PortugaPs 
Lage,  wie  sie  vor  einem  halben  Jahrhundert  war,  unerläss- 
lich.  Dreimal  hatte  die  Nation  mit  Anspannung  aller  Kräfte 
und  mit  Englischer  Hilfe  die  französische  Invasion  zurück- 
geworfen und  Napoleon's  Joch  abgeschüttelt.  Aber  der 
Friede  von  1815  brachte  dem  unglücklichen  zertretenen 
Lande  keinen  Trost,  keinen  Aufschwung.  Ackerbau,  Ge- 
werbfleiss,  Handel  waren  im  tiefsten  Verfalle  oder  wie  ver- 
nichtet, das  zahlreiche  Heer  stand  ausser  allem  Verhältniss 
zu  der  Bevölkerung,  mit  dem  Monopol  des  Brasilischen 
Handels  hatte  Portugal  die  Hauptquelle  seines  Reichthums 
verloren.  Die  Verbinduug  mit  den  übrigen  überseeischen  Pro- 
vinzen war  unterbrochen;  da  Hof  und  Adel  in  Brasilien  sassen, 
war  das  Land  zur  Dependenz  seiner  Colonie  herabgesunken. 
Bald  erfolgte  die  gänzliche  Losreissung  Brasiliens,  und  nun 
war  zwar  der  Hof  wieder  im  Lande,  aber  welch'  ein  König, 
dieser  Johann  VI.,  der  hinfällige  Sohn  einer  wahnsinnigen 
Mutter,  der  verachtete  Gatte  eines  verworfenen  Weibes,  un- 
umschränkter Monarch  und  doch  machtlos.  Und  zu  dem 
Allen  lasteten  noch  die  Missbräuche  und  Verkehrtheiten 
einer  fast  dreihundertjährigen  Missregierung  auf  diesem 
Lande,  so  dass  auch  die  beste  und  weiseste  Verwaltung  nicht 
ohne  eine  tiefgehende  Umgestaltung  hätte  Hilfe  schaffen 
können.     Nur  wenn  es  zu  einer  solchen  Regeneration  kam, 


160  OeffentUche  Sitzung  vom  28.  März  1878. 

konnte  Portugal  seine  natürlichen  Hilfsquellen  entwickeln; 
erfolgte  diese  nicht,  so  wurde  ein  langsames  Hinsiechen  in 
kläglicher  Verkümmerung  unvermeidlich  sein  Loos. 

Nur  von  oben  herab,  nur  vom  Monarchen  selbst  konnte 
diese  Regeneration  Portugals  ausgehen,  und  diesen  Dienst 
leistete  Johann's  VI.  älterer  Sohn,  Don  Pedro,  nach  des 
Vaters  Tode  seinem  Lande;  er  gab  ihm  eine  Verfassung, 
die  wirklich  lebensfähig  war,  wiewohl  auch  sie  anfänglich 
von  der  Mehrheit  des  Volkes  zurückgestossen  ward.  Es 
folgten  vier  Jahre  absolutistischer  Reaction,  und  die  Frage : 
die  Charte  oder  despotische  Monarchie,  verwuchs  mit  dem 
Hader  der  beiden  Brüder  um  die  Thronfolge. 

Da  ereignete  sich  eine  der  wunderbarsten  Begebenheiten 
dieses  Jahrhunderts.  Don  Pedro  landete  von  Terceira  aus 
mit  einem  kleinen  Heerhaufen  von  nur  7500  Mann,  setzte 
sich  in  Oporto  fest,  und  nahm  den  Kampf  auf  mit  seinem 
Bruder,  der  über  ein  vorzügliches,  erprobtes  Heer  von  mehr 
als  60000  Mann  verfügte ,  der  gestützt  und  gehoben  war 
durch  Alles  was  dort  Macht  und  Einfluss  besass,  durch  die 
Kirche,  den  Adel  und  die  Volksmassen,  der  sich  im  Voll- 
besitz aller  Hilfsquellen  des  Landes  befand. 

Dieser  Kampf  endigte  nach  15' Monaten  mit  dem  voll- 
ständigen Siege  der  Pedroisten,  der  Einführung  der  von  Don 
Pedro  als  Regent  octroyirten  Charte  und  der  Thronbesteigung 
seiner  Tochter  Maria.  Don  Pedro's  Heer  war  in  dieser  Zeit 
stets  gewachsen  ,  so  dass  es  gegen  Ende  des  Bürgerkrieges 
bis  auf  60000  Mann  sich  vermehrt  hatte,  während  die  Armee 
seines  Bruders  trotz  der  religiösen  vom  Clerus  genährten 
Begeisterung,  trotz  der  ihnen  täglich  gegebenen  Versicherung, 
dass  sie  für  die  Sache  Gottes  föchten,  wie  Schnee  vor  der 
Sonne  zerschmolzen  war. 

Herculano  hat  in  einer  seiner  kleineren  Schriften  dieses 
Phänomen  erklärt.  Bis  zum  Jahre  1833  war  der  Libera- 
lismus in  Portugal  eine  gehaltlose  Comödie,  ebenso  reich  an 


V.  DölUnger:  Gedächtnissrede.  161 

phrasenhafter  Rhetorik  als  arm  an  .politischem  Verstand. 
Aber  zwei  Männer  —  Herculano  nennt  sie  zwei  Riesen  — 
Don  Pedro  und  sein  Minister  Mousinho  de  Sylveira,  schufen 
die  Grundlage ,  auf  welcher  heute  noch  das  constitutionelle 
Portugal  steht,  jener  als  tapferer,  entschlossener  Krieger  und 
Feldherr,  dieser  als  Gesetzgeber.  Nicht  durch  das  was 
Mousinho  Neues  schuf,  ward  er  der  Gründer  der  heutigen 
Staatsordnung  —  dazu  ward  ihm  die  Zeit  nicht  gelassen  — • 
sondern  indem  er  die  feudalen  Bande  lösend  die  Landbe- 
völkerung entlastete,  so  dass  die  Gesetze  vom  16.  Mai, 
30.  Juli  und  13.  August  1832  wie  ein  dreimal  wiederholtes 
Erdbeben  wirkten,  und  Portugal  sich  zum  erstenmal  rühren, 
seine  Glieder  gebrauchen,  seine  Kräfte  verwerthen  konnte. 
Damit  war  dem  Absolutismus  der  Boden  unter  den  Füssen 
weggezogen. 

Die  Franzosen  hatten  das  schöne  Land  verwüstet  und 
verarmt  zurückgelassen,  und  der  Bürgerkrieg  hatte  die  all- 
meine Zerrüttung,  das  Chaos,  wie  es  schlimmer  dort  wohl 
nie  gewesen,  vollendet.  Jetzt  erst,  als  unter  der  Königin 
Maria  und  der  von  ihrem  Vater  gegebenen  Verfassung  ein 
Zustand  ruhiger  Besinnung  und  freien  Aufathmens  eintrat, 
konnte  eine  Literatur  in  dem  schwer  heimgesuchten  Lande 
sich  wieder  bilden.  Mit  jugendlicher  Begeisterung  trat 
Herculano  in  die  begiunende  Bewegung  der  Geister  ein. 
Derselben  Sache,  für  die  er  als  Soldat  gestritten,  wollte  er 
nun  mit  seiner  Feder  dienen.  So  schrieb  er,  26  Jahre  alt, 
,,die  Stimme  des  Propheten",  und  hier  im  Gewände  des 
alttestamentlichen  Prophetenstils ,  in  diesem  Erguss  einer 
zornigen,  strafenden  Beredsamkeit  nimmt  sich  die  ohnehin 
so  schöne  und  klangvolle  portugiesische  Sprache  ungemein 
vortheilhaft  aus.  Damals  hatte  ein  Aufstand  der  sogenannten 
Septembristen  die  Herstellung  der  demokratischen  Verfass- 
ung von  1820  erzwungen,  um  die  Chartisten  von  der  Re- 
gierung zu  verdrängen ,  der  Kriegsminister  war  ermordet 
worden ,   und  Herculano's  Unwille   wandte   sich  gegen  eine 


162  Oeff entliche  Sitzung  vom  28.  März  1878. 

Partei,  welche  in  ihrer  Selbstsucht  die  erst  kürzlich  so 
theuer  erkauften  Errungenschaften  gefährdete,  und  das  der 
ruhigen  Entwicklung  so  bedürftige  Land  in  die  Zuckungen 
des  Bürgerkrieges  zurückzuschleudern  drohte.  Indess  äussert 
er  in  einer  30  Jahre  später  zur  neuen  Ausgabe  geschriebenen 
Einleitung:  nach  so  vielen  Erfahrungen  und  Enttäuschungen 
müsse  er  über  die  hyperbolischen  Invectiven,  die  er  darin 
gehäuft,  selber  lächeln. 

In  dieser  früheren  Lebensperiode  erscheint  Herculano 
noch  nicht  als  Gelehrter  und  Forscher ;  er  redigirte  bis  zum 
Jahre  1843  eine  belletristisch-politische  Zeitschrift,  Pano- 
rama, er  gab  unter  dem  Titel:  ,,Die  Harfe  des  Gläubigen" 
eine  Sammlung  religiöser  Gedichte  heraus.  Bald  darauf 
aber  begann  er  seine  umfassenden  historischen  Forschungen 
und  rüstete  sich,  der  Geschichtschreiber  seines  Vaterlandes 
zu  werden,  und  hier  ist  es ,  um  die  Stellung  und  die 
Leistungen  des  Mannes  zu  würdigen,  unerlässlich,  zwei  Dinge 
näher  in's  Auge  zu  fassen :  einmal  die  Beziehungen  Portu- 
gals zu  anderen  Nationen,  und  dann  die  Anschauung  der 
Nation  von  ihrer  eigenen  Geschichte  und  die  dadurch  be- 
dingten Anforderungen  an  den  Darsteller  dieser  Geschichte. 

Drei  Völker  sind  es,  mit  welchen  die  Portugiesen  seit 
Beginn  ihres  Staatswesens  in  nähere  Berührung  gekommen 
ßind,  und  welche  einen  mächtigen  oder  entscheidenden  Ein- 
fluss  auf  die  Geschicke  und  die  Sinnesweise  dieses  Volkes 
erlangt  haben  oder  auch  noch  immer  besitzen:  Spanier, 
Engländer,  Franzosen. 

Was  die  Spanier  betrifft,  so  hat  die  nahe  Stammes-  und 
Sprachverwandtschaft,  die  Charakterähnlichkeit,  die  Gleich- 
heit der  Bildungsstufe  und  Sinnesweise  doch  nicht  gehindert, 
dass  das  kleinere  Volk  gegen  den  grösseren,  stärkeren  Nach- 
bar Jahrhunderte  lang  bittere  Feindseligkeit  nährte.  Man 
hatte  soviel  Druck,  so  schwere  und  nie  ersetzte  Verluste 
von   diesem  Nachbar  erlitten,  man  fürchtete  so  sehr,  doch 


V.  DölUnger:  Gedächtnissrede.  163 

noch  von  ihm  verschlungen  zu  werden.  Die  Zeiten  und 
Ereignisse,  die  den  Portugiesen  ah  die  glorreichsten  galten, 
sind  gerade  jene,  in  denen  sie  die  Castilianer  besiegten  und 
ihrer  Herrschaft  sich  entrissen.  Die  Gedächtnisstage  dieser 
Siege  haben  sie  längst  schon  als  nationale  Freudenfeste  zu 
begehen  geliebt,  und  die  sechzig  Jahre  der  Spanischen 
Herrschaft  (1580  —  1640)  nennen  sie  noch  heute  die  Zeit 
der  Gefangenschaft.  Und  noch  jetzt  ist  in  Portugal  Spa- 
nische Literatur  die  am  wenigsten  beachtete,  und  sitzt 
wenigstens  in  den  Grenzgebieten  der  Hass  noch  so  tief, 
dass  ein  deutscher  Wanderer  (Willkomm)  meiut,  beide  Na- 
tionen würden  sich,  wenn  sie  einmal  ungehindert  übereinan- 
der herfallen  könnten,  mit  Wohllust  morden.^) 

In  Spanien  ist  nun  aber,  auch  schon  seit  1640,  die 
Ansicht  allgemein:  nur  wenn  die  Halbinsel  wieder  ein  ein- 
ziges staatliches  Ganzes  bilde,  wenn  Portugiesen  und  Spanier 
wieder  zusammengehörten,  könne  Spanien  sich  wieder  zu 
früherer  Macht  und  Blüthe  erheben.  Man  nennt  das  Stre- 
ben, die  Agitation  zu  Gunsten  dieser  Verschmelzung  Iberis- 
mus.  Die  Spanischen  Staatsmänner  haben  schon  im  vorigen 
Jahrhundert  es  als  Axiom  aufgestellt ,  dass  die  Trennung 
nur  als  etwas  Vorübergehendes  zu  betrachten  sei,  dass 
man  der  Vereinigung  der  beiden  Kronen  auf  einem  Haupte 
vorarbeiten .  müsse.  ^)  Erst  in  diesen  Tagen  wieder  hat  der 
beredteste  der  Spanier,  Castelar,  in  der  Kammer  zu  Madrid 
der  beiden  Wunden,  die  sich  nicht  schliessen  wollen,  mit 
Trauer  gedacht,  nämlich  Gibraltar's  und  des  getrennten 
Portugals,  und  seine  Hinweisung  auf  die  Nothwendigkeit, 
dass  die  lusitanische  Küste  mit  ihren  drei  Strommündungen 


1)  Willkomm,    zwei   Jahre    in   Spanien   und  Portugal.     1847, 
III,  296. 

2)  Baumgarten's  Geschichte  Spaniens  zur   Zeit  der  französischen 
Revolutioa.     1861,  S.  229. 


164  Oeff entliehe  Sitzung  vom  38,  März  1878. 

wieder  spaniscli  werde,  ist  von  der  Kammer  mit  einem  Bei- 
fallssturme aufgenommen  worden. 

Der  Bund  mit  England  bestellt  nun  schon  nahe  an 
500  Jahre;  er  begann,  als  König  Jobann  I.,  der  Gründer 
der  neuen  Dynastie  von  Avis,  mit  dem  dortigen  Königs- 
bause  verschwägert,  sich  dieser  Stütze  gegen  das  übermächtige 
Castilien  bediente.  Seitdem  erprobte  sich  England  in  ent- 
scheidenden Momenten  als  eine  starke  verlässige,  wenn  auch 
nicht  uneigennützige  Schutzmacht;  nur  mit  seiner  Hilfe 
hat  das  kleine  Land  dem  Spanischen,  dem  Französischen 
Joche  sich  zu  entziehen  vermocht,  nur  ihm  verdankt  es, 
dass  es  seit  der  Napoleonischen  Invasion  keinen  äusseren 
Feind  mehr  ernstlich  zu  fürchten  hatte.  Einmal  freilich, 
als  die  Armee  völlig  Englisch  geworden  und  Beresford  im 
Namen  des  in  Brasilien  weilenden  Königs  despotisch  herrschte, 
da  zerbrach  die  Revolution  von  1820  dieses  als  nationale 
Schmach  und  Erniedrigung  empfundene  Joch.  Doch  das 
ist  nun,  wenn  nicht  vergessen,  doch  beiderseits  verziehen 
und  durch  spätere  Wohlthaten  von  England  gesühnt. 

Nun  sind  aber  die  beiden  Völker  durch  Stamm,  Sprache, 
durch  Denken  und  Fühlen,  durch  Sitte  und  Religion  so  sehr 
von  einander  verschieden,  dass  trotz  der  engen  politischen 
Verbindung  doch  ein  geistiger  oder  moralischer  Einfluss 
des  an  höheren  Gütern  so  reichen  britischen  Volkes  auf  das 
ärmere  Volk  am  Tajo  und  Duero  nie  stattgefunden  hat. 
Diesen  Einfluss  besitzt  nur  die  Führerin  der  lateinischen 
Völker,  Frankreich,  besitzt  ihn  in  Fülle,  und  die  Portugiesen 
der  höheren  und  mittleren  Stände  richten  sich  nach  Paris, 
wie  die  Moslems  nach  Mekka.  Frankreich  entlehnt  ist  die 
Gesetzgebung,  die  Verwaltung,  die  Rechtspflege,  das  Heer- 
wesen, Wissenschaft  und  Literatur  der  Neuzeit.  Französisch 
nur  wird  in  Lissabon  und  Oporto  gesprochen,  französische 
Bücher  sind  es,  welche  die  dortigen  Bibliotheken  füllen, 
und  mancher  Portugiese  zieht  vor,  sein  Buch  französisch  zu 


V.  DölUnger:  Gedächtnissrede.  165 

schreiben.  Es  ist  diess  die  Folge  jenes  zweihuudertjälirigen 
terroristischen  Druckes  und  Zwangsystems,  durch  welches 
Kirche  und  Königthum  vereint  Bildung  und  Literatur  im 
Lande  niederhielten  und  erstickten.  War  doch  Portugal 
das  einzige  Land  in  ganz  Europa,  welches  von  der  Refor- 
mation so  völlig  unberührt  blieb,  dass  dort  auch  nicht  ein 
einziger  Mann,  der  für  die  reformatorischen  Ideen  gezeugt 
oder  gelitten  hätte,  genannt  werden  kann.  Die  Nation 
blieb  überhaupt  vom  Europäischen  Geistesleben  gründlich 
abgeschieden,  sie  verdankte  es  nur  den  politischen  Verwick- 
lungen und  dem  Bündnisse  mit  England,  dass  man  sich  von 
Zeit  zu  Zeit  auf  ihre  Existenz  besann  und  sie  auch  einiger- 
massen  als  ein  Culturvolk  gelten  Hess.  Als  dann  aber 
unter  Pombal's  eisernem  Regiment  plötzlich  neben  der  In- 
dustrie auch  Literatur  und  selbst  Wissenschaft  im  Lande 
wieder  erwachen  und  aufblühen  sollten,  da  griff  man,  um 
die  eigene  Nacktheit  zu  verhüllen,  nach  dem  reichen  fran- 
zösischen Vorrathe ,  Uebersetzungen  Pariser  Producte  sind 
seit  einem  Jahrhundert  in  Menge  erschienen,  wobei  sich 
denn  nicht  verkennen  lässt,  dass  bei  der  sehr  kleinen  Zahl 
klassischer  Nationalwerke  diese  massenhafte  Importation  aus 
der  Fremde  den  portugiesischen  Styl  verschlechtert ,  ihn 
trockner,  farbloser,  zur  Wiedergabe  von  banalen  Wendungen 
und  Gemeinplätzen  besser  geeignet  gemacht  hat. 

Hiemit  ist  nun  auch  grossentheils  schon  die  Stellung, 
die  Herculano  in  der  Literatur  seines  Landes  einnimmt, 
näher  bezeichnet.  Der  Iberismus  ist  ihm  fremd ;  mit  Spa- 
nischer Literatur  scheint  er,  soweit  aus  seinen  Schriften 
sich  urtheilen  lässt ,  sich  nur  wenig  beschäftigt  zu  haben. 
Freilich  hat  auch  die  frühere  Spanische  Literatur  nach 
Cervantes  ausser  ihrem  dramatischen  Reichthum  nur  wenig 
zu  bieten,  das  einen  Nichtspanier  anziehen  könnte,  da  eben 
die  beiden  Reiche  der  Halbinsel  dem  gleichen  Geistesdrucke 
unterlagen,    Er  hat  es  aber  auch,  soviel  ich  sehe,  vermieden, 


166  Oe/fentliche  Sitzung  vom  28.  März  1878. 

über  die  an  Spanien  sich  knüpfenden  Fragen  sich  zu  äussern, 
würde  aber  sicher  eine  Unterordnung  seines  Vaterlandes 
unter  den  grösseren  Nachbar  als  ein  schweres  nationales 
Missgeschick  beklagt  haben.  Mit  der  französischen  Literatur 
zeigt  er  sich  vertraut,  mehr  aber  noch  mit  der  deutschen, 
der  philosophischen,  historischen  und  poetischen.  Er  weiss 
sehr  wohl,  dass  die  literarische  Abhängigkeit  die  Portugiesen 
dahin  gebracht  hat,  auch  ihr  politisches  Leben  genau  nach 
französischem  Vorbild  zu  gestalten  und  sich  die  Geissei  einer 
Centralisation  zu  flechten,  die  den  Menschen  in  jedem  Mo- 
mente von  der  Wiege  bis  zum  Grabe  bevormundend,  hem- 
mend, quälerisch  begleitet,  und  keine  spontane  Lebensbe- 
wegung im  Volke  aufkommen  lässt.  ^)  Um  so  höheren  Werth 
legt  er  auf  das  ßündniss  seines  Landes  mit  England.  Wenn 
je,  sagt  er,  mein  Volk  aufhören  wollte,  Bruder  und  Freund 
des  Englischen  Volkes  zu  sein ,  so  müsste  es  zuerst  die 
Kirche  S.  Maria  de  la  Victoria  niederreissen,  jenes  zur  Er- 
innerung an  den  von  Portugiesen  und  Engländern  zusammen 
erfochtenen  Sieg  von  Aljubarotta  (1385)  errichtete  Denkmal, 
und  auf  den  Ruinen  desselben  und  über  den  Gebeinen  des 
besten  Königs,  den  wir  gehabt,  Johann's  L,  müsste  der 
Herold  der  Zwietracht  verkünden ,  dass  der  vierhundert- 
jährige Bund  erloschen  sei.^) 

Wenn  nun  Herculano  es  unternahm ,  die  Geschichte 
seines  Vaterlandes  zu  schreiben,  so  wusste  er  wohl,  dass 
kein  Volk  in  ganz  Europa  mit  einem  so  stolzen  Selbstge- 
fühl auf  seine  Vergangenheit  blickt,  als  das  Portugiesische. 
Theil weise  nicht  ohne  Berechtigung :  in  hundertjährigem 
Kampfe  haben  sie  ihr  Land  den  Mauren  abgerungen,  haben 
sich  dann  siegreich  gegen  das  stärkere  Castilien  behauptet, 
sind   zuerst  hinüber  nach  Afrika  gegangen,  sind  mit  ihrem 


1)  Opusculos,  tomo  II:  Questoes  publicas,  p.  236. 

2)  Opusculos,  11,  289. 


V.  DölUnger :  Gedächtnissrede,  167 

Prinzen  Heinricli  dem  Seefahrer  bis  zum  Senegal,  hierauf 
unter  Bartolomeo  Diaz  bis  zur  äussersten  Spitze  Afrika's 
vorgedrungen.  Als  dann  ihr  Vasco  de  Gama  das  Cap  um- 
schifft hatte,  drängte  in  rascher  Folge  eine  Entdeckung  und 
Eroberung  die  andere.  Ganz  Afrika  ward  mit  einer  Kette 
von  Stationen  und  Handelsplätzen  umsponnen ;  in  Indien 
ward  Goa  erorbert,  Ceylon,  Java,  die  Molukken  besetzt, 
selbst  an  China's  Küste  eine  Niederlassung  gegründet. 
Waren  auch  die  Indischen  Erwerbungen  auf  einige  Küsten- 
plätze beschränkt,  in  der  Ferne  schienen  sie  doch  ein  grosses 
Reich,  welches  zu  unbegrenzten  Erweiterungen  Aussicht  ge- 
währe. Und  wirklich  besass  ja  Portugal  damals  den  Welt- 
handel und  die  Herrschaft  der  Meere,  war  Lissabon  eine 
Zeitlang  die  erste  Handelsstadt  in  Europa,  der  kleine  Staat 
in  Asien  so  geachtet  und  gefürchtet,  dass  auf  einer  Per- 
sischen Landkarte  Portugal  als  die  Hauptstadt  der  Franken 
bezeichnet  war.  Als  nun  auch  noch  Brasilien  hinzukam, 
war  Portugal  freilich  zu  schwach,  zu  menschenarm  und 
staatlich  zu  wenig  entwickelt,  zu  mangelhaft  organisirt,  um 
auf  die  Dauer  so  gewaltigen  Anforderungen  genügen ,  so 
ungeheuere  Besitzungen  in  drei  Welttheilen  behaupten  zu 
können.  Da  indessen  der  Zusammenbruch  der  ganzen  Herr- 
lichkeit doch  erst  nach  der  Niederlage  von  Alcacer  und  mit 
der  Spanischen  Thronfolge  nach  Sebastian's  Tod  eintrat, 
so  sah  die  Nation  eben  nur  in  jenem  einen  Afrikanischen 
Unglücksschlag  und  noch  mehr  in  der  ohnehin  verhassten 
Spanischen  Herrschaft  die  Ursache  ihres  traurigen  Nieder- 
ganges und  tiefen  Falles.  Wehe  dem  Portugiesen,  der  es 
gewagt  hätte,  an  die  schweren  Missgriffe  und  argen  Frevel 
zu  mahnen,  welche  frülie  schon  mit  den  heroischen  Thaten 
und  glänzenden  Eroberungen  Hand  in  Hand  gingen.  Das 
Volk  war  und  ist  noch  immer  mehr  geneigt,  rückwärts 
schauend  seine  Vorfahren  wie  verklärt  im  Heiligenscheine 
unverschuldeter    Trübsal    sich    vorzustellen,    als    in  ernster 


168  Oe ff  entliehe  Sitzung  vom  28.  März  1878. 

Anspannung  der  Kräfte  an  der  Verwirklichuiig  eines  erreich- 
baren Masses  von  Macht  und  Wohlstand  zn  arbeiten. 
Fumos,  ja  näo  somos  (wir  waren  einst,  jetzt  sind  wir  nichts) 
sagt  noch  in  unseren  Tagen  Almeida  Garrett,  der  vorzüg- 
lichste Dichter  der  Nation  seit  Camoens,  und  dieses  Wort 
tönt  nun  schon  durch  Jahrhunderte  fort,  und  hat  früher  in 
der  so  tief  gewurzelten  und  zähen  Erwartung  des  wieder- 
kehrenden Sebastian's  als  eines  politischen  Nationalmessias 
phantastisch  sich  ausgesprägt.  *) 

So  ist  nun  aber  der  Nationalruhm ,  die  unbefleckte 
Glorie  des  Portugiesenthums  ein  Götze  geworden,  dem  vor 
Allem  die  schlichte  geschichtliche  Wahrheit  zum  Opfer 
fallen  muss.  Der  Historiker  soll,  wenn  er  nicht  als  Feind 
der  Nation  und  der  Kirche  verfolgt  werden  will,  geschehene 
Dinge  verschweigeu ,  soll  nicht  gescheheue  Dinge  berichten, 
soll  der  Kritik,  wo  sie  unbequem  wird,  entsagen,  und  da, 
wo  Schweigen  unmöglich  wäre,  wenigstens  beschönigen. 
Ein  Beispiel :  die  Portugiesen  sind  es ,  welche  durch  ihre 
Könige  und  durch  den  päpstlichen  Stuhl  sich  haben  ermächtigen 
lassen,  Muhammedaner  und  Heiden,  Mauren  und  Neger  zu 
Sklaven  zu  machen.  Papst  Nikolaus  V.  ertheilte  im  Jahre 
1455  zuerst  diese  Vollmacht,  Calixtus  HI.  bestätigte  sie, 
und  Alexander  VI.  hat  dann  den  Spaniern  für  ganz  Amerika 
dasselbe  Recht,  die  Indianer  zu  Sklaven  zu  machen,  ver- 
liehen.^) Daraus  ist  die  Vertilgung  ganzer  Völker,  daraus 
der  auch  heute  nach  den  beharrlichsten  Anstrengungen  Eng- 
lands noch  nicht  ganz  unterdrückte  Sklavenhandel  mit 
seinen  unsagbaren  Gräueln  und  der  Hinopferung  ungezählter 
Millionen   von  Menschenleben   entstanden.     Das  Volk  fand 


1)  Vgl.  die  Revista  Iberica,  Madrid,  1862,  11,  80. 

2)  Die  Bulle  Nikolaus  V.  in  dem  Quadro  elementar  das  relagoes 
polit.  de  Portugal,  pelo  Visconde  de  Santarem  e  Rebello  da  Silva, 
Lisboa  1866,  t.  X,  p.  55.  Ueber  die  Bullen  Calixtus  III.  und  Alexan- 
der VI.;  vgl.  Solorzuno,  de  Indiarum  jure,  1,  640  und  717. 


V.  DÖlUnger:   Gedächtnissrede.  169 

bald  das  Sklaveiilialfcen  so  bequem,  dass  im  Jahre  1535, 
wie  der  Niederländer  Cleynaerts  von  Lissabon  meldet,  es 
dort  mehr  Sklaven  als  Freie  gab. ^)  Die  Folge  war,  dass 
jedes  Handwerk  und  jede  Arbeit  theils  Fremden,  theils 
Sklaven  überlassen  wurde,  der  Portugiese  aber  unter  dem 
hinzutretenden  Einflüsse  der  Menge  von  Feiertagen  und  des 
Vorbildes  von  Schaaren  müssiger  Ordensgeistlichen  die  Ar- 
beit als  etwas  Unehrenhaftes,  das  Betteln  dagegen  als  ehren- 
voll zu  betrachten  sich  gewöhnte,  wie  denn  heute  noch  die 
unglaubliche  Trägheit  des  Volkes  jedem  Fremden  sofort  beim 
Eintritte  in  das  Land  auffällt.  Und  noch  andere  Ringe 
hängen  an  dieser  verhängnissvollen  Kette  hier  wie  in 
Spanien  :  die  Masse  des  unbebauten  Landes  und  der  nun 
schon  so  lange  am  Marke  des  Königreichs  zehrende  Scha- 
den: das  Defizit.  Der  Sklavenhandel,  von  Portugiesen  be- 
trieben, hat  nun  an  vier  Jahrhunderte  schon  fortgewährt, 
seit  1814  nicht  mehr  im  Namen  und  unter  dem  offenen 
Schutz  der  Regierung,  wiewohl  noch  im  Jahre  1837  der 
Minister  Vasconcellos  öffentlich  erklärte,  er  sei  dem  Reiche 
unentbehrlich.  Jüngst  hat  nun  freilich  einer  der  Minister 
in  der  Kammer  erklärt,  die  Regierung  habe  sich  hohe  Ver- 
dienste um  die  Abschaffung  der  Sklaverei  erworben,  unter- 
dess  aber  wird,  wie  von  Oporto  aus  verlautet,  der  Sklaven- 
handel noch  immer  im  Afrikanischen  Binnenlande  von 
Portugiesen  betrieben.^)  Man  sieht  aber,  die  Zeit  ist  noch 
immer  nicht  gekommen,  in  der  ein  Geschichtschreiber  oder 
Staatsmann  dort  es  ungestraft  unternehmen  könnte,  seinem 
Volke  einen  Spiegel  seiner  Thaten  mit  offener  Hinweisung 
auf  Ursachen  und  Wirkungen  vorzuhalten.  Herculano  hat 
es  denn  auch,  soweit  ich  seine  Schriften  kenne,  vermieden. 


1)  Annaes  das  sclencias  e  lettras,   publ.  pela  Academia   real  das 
sciencias,  1857,  t.  I,  p.  315. 

2)  Allgem.  Zeitung,  1877,  839. 


170  Oeff entliehe  Sitzung  vom  28.  März  1878. 

dieses  böse  Gescliwür  zu  berühren ,  so  nalie  ihm  auch  die 
Veranlassung  dazu  j^c^legt  war,  und  so  kühn  und  offen  er 
auch  sonst  den  Finorer  auf  die  Wunden  seines  Landes  zu 
logen  pflegt. 

Nun  aber  jene  Fabeln,  jene  vom  Selbstverherrlichungs- 
triebe ersonnenen  Ausschmückungen  und  Legenden  — ^  sie 
wuchern  in  der  portugiesischen  Geschichte  so  reichlich,  und 
vorzüglich  sind  es  die  Anfänge  des  Reiches,  welche  unter 
den  Händen  der  nüchternen  Kritik,  wie  sie  Herculano  in 
seinem  Hauptwerke  geübt  hat,  ihres  traditionellen  Aufputzes 
verlustig  gehen.  Das  grosse  Werk  der  Cistercienser  Bernardo 
Brito  und  Brandao,  mit  der  Fülle  von  Fabeln  und  unächten 
oder  im  Interesse  nationaler  Vorurtheile  verfälschten  Ur- 
kunden, das  indess  immer  als  die  feste  Grundlage  der  Lan- 
desgeschichte galt,  ist  durch  die  neue  Darstellung  unseres 
Autor's  auf  die  Stufe  einer  zwar  sehr  unzuverlässigen  aber 
doch  noch  brauchbaren  Materialiensammlung  herabgedrückt. 
Die  Schlacht  von  Ourique ,  welche  als  die  Geburtsstunde 
der  Monarchie  gilt,  war,  wie  Herculano  zeigt,  weder  so 
grossartig  noch  so  folgenreich,  als  späterer  Patriotismus 
sie  gemacht  hat;  die  Ausrufung  Alfonso's  zum  Könige  auf 
dem  Schlachtfelde  erscheint  bei  ihm  als  eine  spätere  Er- 
findung. Den  populären,  auf  eine  erdichtete  Urkunde  gestützten 
Lieblings-Mythus,  welchem  zufolge  Graf  Alfons  vor  der 
Schlacht  durch  eine  göttliche  Offenbarung  aus  dem  Munde 
Christi  selbst  belehrt  wurde,  dass  Portugal  nach  himmlischem 
Rathschluss  ein  für  immer  göttlicher  Gnade  theilhaftiges 
Volk  und  Königreich  sein  und  sein  Geschlecht  bis  in's 
sechszehnte  Glied  es  beherrschen  werde  —  Herculano  hat 
das  Alles  auch  nicht  der  Erwähnung  werth  gehalten.  Und 
so  hat  er  auch  die  Cortes  von  Lamego,  deren  Text  noch 
im  Thronstreit  zwischen  der  Königin  Maria  und  ihrem  Oheim 
Don  Miguel  als  Staatsgrundgesetz  angerufen  wurde,  still- 
schweigend zu  den  Todten  geworfen,  obgleich  noch  Schäfer, 


V.  Döllinger:  Gedächtnissrede.  171 

dessen  Werk  Herculano  selber  für  die  beste  Geschichte 
Portugals  erldärt,  sie  preiszugeben  sich  nicht  entschliessen 
konnte.  ^) 

Schon  in  der  Vorrede  hatte  Herculano  erklärt :  Patrio- 
tismus könne  den  Dichter  begeistern  und  dem  Styl  Farbe 
geben,  für  den  Historiker  aber  sei  er  ein  schlechter  Be- 
rather. Er  hat  das  wohl  nicht  so  allgemein  verstanden,  als 
es  klingt,  er  wusste  sicher,  dass  es  gerade  die  Liebe  ist, 
die  den  Blick  schärft  und  der  Darstellung  Wärme  und  Leben 
verleiht,  auch  hat  er  sich  stets  im  Leben  als  warmen  Pa- 
trioten erwiesen  ;  aber  jenem  falschen  Patriotismus  gegen- 
über ,  der  dort  den  Wahn  und  die  Lüge  nicht  antasten 
lassen  will,  weil  sie  für  politische  und  kirchliche  Interessen 
nützlich  seien,  hatte  er  Recht. 

Der  Rückschlag  erfolgte  sofort,  und  Herculano  musste 
es  schmerzlich  empfinden,  welch  ein  gefährliches  Werkzeug 
historische  Kritik  und  Forschung  in  einem  Lande  sei,  wo 
eine  künstlich  gemachte  Tradition  mit  noch  immer  mächtig 
vertretenen  Interessen  verwachsen  ist.  Er  hatte  gezeigt, 
dass  das  alte  Lusitanien  und  das  heutige  Portugal  weder 
geographisch  noch  ethnologisch  sich  decken,  dass  die  heutigen 
Portugiesen  ein  Mischvolk  von  Leonesen  und  Mauren  oder 
Saracenen  seien;  Portugal,  führte  er  aus,  sei  erst  im  12. 
Jahrhundert  in  einem  Winkel  von  Gallicien  ohne  allen  Ein- 
fluss  der  früheren  politischen  Theilungen  entstanden,  und 
habe  dann  das  saracenische  AI  -  Gharb  allmälig  sich  ange- 
gliedert. Dabei  ist  zu  erinnern,  dass  die  Gallicier,  Gallegos, 
in  Portugal  sehr  zahlreich  und  zugleich,  weil  sie  die  von 
den  Portugiesen  verschmähten  Arbeiten  verrichten,  verachtet 
sind.     Zu   diesem  Attentat  gegen   die  Nationalehre  des  auf 


1)  Brandao,  der  diese  mit  Geschick  verfertigte  Fiction  zuerst  ver- 
öffentlicht hat,  that  diessdoch  nur  mit  einer  Entschuldigung,  die  erkennen 
lässt,  dass  er  selber  im  Grunde  nicht  an  deren  Aechtheit  glaubte. 
[1878.  I.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  2.]  13 


172  Oeff entliehe  Sitzung  vom  28.  März  1878. 

seinen  Viriathus  stolzen  Portugals  kam  noch  ein  anderes: 
er  hatte  den  Antheil,  den  deutsche  Kreuzfahrer  an  der  Er- 
oberung Lissabons  genommen ,  gebührend  hervorgehoben, 
und  so  geschah,  dass  in  der  Provinz  Alemtejo  in  einer 
Denkschrift  gegen  das  abgetretene  Ministerium  auch  der 
feilen  Feder  eines  Historikers  gedacht  wurde,  welcher  die 
portugiesische  Nationalität  verächtlich  machen  wolle.  ^)  Schlim- 
meres noch  stand  bevor:  Wie  er  in  einer  späteren  Schrift 
nicht  ohne  Humor  berichtet,  erhoben  sich  Ankläger  in 
Menge  gegen  ihn :  er  habe  mit  seinem  Buche  ein  grosses 
Aergerniss  gegeben ,  es  sei  antipatriotisch  ,  gottlos ,  blas- 
phemisch,  lutherisch,  er  selber  habe  sich  den  Fremden  ver- 
kauft, sei  ein  Manichäer,  ein  Ikonokiast,  ein  Hochverräther 
und  Feind  der  vaterländischen  Ehre.  Ich  hätte,  sagt  er, 
als  ächte  Quellen  der  Geschichte  anerkennen  sollen  die 
Pöbelsagen,  die  frommen  Betrügereien,  die  Illusionen  des 
Aberglaubens,  die  nationalen  Vorurtheile,  die  Erzählungen 
alter  Weiber.  Ich  hätte,  scherzt  er,  mittels  der  Geschichte 
zeigen  sollen,  dass  jeder  Portugiese  soviel  werth  sei  als  drei 
Spanier  und  zwei  Franzosen  oder  Engländer. 

Wenn  nun  schon  diese  Schmähungen  und  Verdächtig- 
ungen dem  reizbaren  Manne  den  erwählten  Beruf  verleideten, 
so  kam  noch  ein  Ereigniss,  in  welchem  er  eine  persönliche 
Kränkung  sah ,  hinzu ,  ihn  vollends  zu  entmuthigen.  Die 
Akademie ,  deren  Präsident  Herculauo  war ,  hatte  die  Ent- 
hebung ihres  Sekretärs  beantragt ,  dessen  Gebahren  seit 
Jahren  den  Unwillen  der  Gesellschaft  erregt  hatte;  die  Re- 
gierung aber  ernannte  den  Mann  zum  Vorstand  des  Reichs- 
archivs, der  sog.  Torre  de  tombo.  Nun  hatte  Herculano 
mit  Beihilfe  anderer  Mitglieder  der  Akademie  die  Heraus- 
gabe der  Portugiesischen  Geschichtsquellen  nach  dem  Muster 


1)  Zu  der  Note  zum  Monge  de  Cister ,    Lisboa  1848 ,  II,  272  ff. 
und  in  der  advertencia  zum  4.  Bd.  der  historia  de  Portugal. 


V.  Döllinger:   Gedächtnissrede.  173 

der  deutschen  Monumenta  unternommen;  die  Urkunden  be- 
fanden sich  grösstentheils  in  diesem  Archiv,  und  so  war 
Herculano  und  der  Fgrtgang  des  grossen  Werkes  plötzlich 
abhängig  geworden  von  dem  Wohl-  oder  Misswollen  eines 
Mannes,  den  sie  von  sich  ausgestossen  hatten.  Da  legte  er 
die  Präsidentschaft  der  Akademie  nieder  und  erklärte,  die 
begonnenen  historischen  Werke  nicht  fortführen  zu  wollen. 

So  ist  denn  sein  Hauptwerk  nur  bis  zum  vierten  Band 
gediehen,  und  umfasst  wenig  mehr  als  Ein  Jahrhundert 
der  Portugiesischen  Geschichte.  Es  ist  indess  ohngeachtet 
der  Anfeindungen  durchgedrungen,  verbreitet  in  4000  Exem- 
plaren in  drei  Auflagen  —  ein  für  dortige  Verhältnisse  ausser- 
ordentlicher Absatz.*)  Wer  dort  stimmfähig  ist,  äussert 
sich  in  hoher  Anerkennung  von  Herculano's  grundlegenden 
und  mustergültigen  Leistungen,  wie  diess  namentlich  Re- 
bello  da  Silva ,  der  beste  Kenner  der  portugiesischen  Ge- 
schichte unter  den  Lebenden,  thut. 

Bald  nach  dem  1.  Bande  seines  grossen  Geschichts- 
werkes hatte  Herculano  ein  anderes  Werk  unternommen, 
das  denn  freilich  geeignet  war,  die  durch  das  Frühere  ge- 
weckte Erbitterung  noch  beträchtlich  zu  steigern.  Es  ist 
diess  eine  dreibändige  Geschichte  der  Einführung  und  der 
ersten  zwanzig  Jahre  der  Inquisition  in  Portugal,  zu  wel- 
cher er  die  Quellen,  Tausende  von  Processakten ,  die  Cor- 
respondenz  zwischen  dem  Könige  und  den  Päps'ten,  die 
Instructionen  und  Briefe  der  königlichen  und  päpstlichen 
Agenten,  in  der  Bibliothek  zu  Ajuda,  deren  Vorstand  er 
war,  vorfand.  Er  hat  damit  Klarheit  und  Gewissheit  in 
ein  bisher  vielfach  dunkles  und  arg  entstelltes  Gebiet  ge- 
bracht, aber  freilich  eine  Klarheit,  wie  wenn  die  Laterne 
des  Häschers  plötzlich  ihr  Licht  in  eine  Räuberhöhle  und 
ihre  blutigen  Orgien  würfe. 


1)  Diese  Angaben  hat  F.  de  Silva  im  Diccionario  A.  v.  Harculano. 

13* 


174  Oeff entliehe  Sitzung  vom  28,  März  1878. 

Ehe  die  hier  enthüllten  Vorgänge  bekannt  waren,  hatte 
Southey  im  J.  1811  die  Portugiesische  Inquisition  definirt 
als  eine  Association  zur  Verbrennung  von  Personen  ')  wegen 
wirklicher  oder  vorgeblicher  Jüdischer  Meinungen  oder  Ge- 
bräuche, um  sich  ihres  Vermögens  zu  bemächtigen.  Hercu- 
lano's  Buch  hat  die  Wahrheit  dieser  Definition  bestätigt, 
aber  es  hat  noch  vieles  Andere  an  den  Tag  gebracht :  vor 
uns  entrollt  sich  eine  verhängnissvolle  Kette  von  Fanatis- 
mus, Heuchelei,  Habgier,  Bestechlichkeit  und  Grausamkeit, 
welche  die  Bezeichnung:  drama  de  flagitios  (Drama  von 
Schandthaten)  die  der  Verfasser  selbst  seiner  Darstellung 
gibt,  vollkommen  rechtfertigt.  Was  bisher  nicht  bekannt 
war,  das  ist  insbesondere  der  spannende  wechselvolle  Verlauf 
der  Verhandlungen  mit  E,om ,  wo  die  unglücklichen  Neu- 
christen durch  immer  fortgesetzte  Geldspenden  einige  Milde- 
rungen oder  Bürgschaften  gegen  das  mörderische  Process- 
verfahren  zu  erwirken  suchten,  der  König  aber  endlich  als 
der  Meistbietende  bei  Paul  HI  den  Sieg  davontrug,  und  eine 
Bulle  erlangte,  welche  die  gräuelvolle  Thätigkeit  des  Glau- 
benstribunals für  zwei  Jahrhunderte  festigte. 

Einem  Manne  von  so  dichterischer  Begabung  wie  Her- 
culano  sie  hatte,  lag  es  nahe,  sich  auch  im  historischen  Roman 
zu  versuchen ,  und  die  Stoffe  dazu  der  vaterländischen  Ge- 
schichte zu  entlehnen.  Ohne  Zweifel  hat  ihn  Walter  Scott's 
Vorbild  dazu  ermuntert,  wie  denn  nur  durch  den  Einfluss 
des  grossen  Schottischen  Dichters  diese  Gattung  des  Romans 
auch  in  Deutschland,  England,  Frankreich  eine  so  weite 
Verbreitung  gewonnen  hat. 

Nun  befindet  sich  aber  unter  allen  den  Namen,  die 
hier  zu  nennen  wären,  kein  einziger  Historiker  von  Beruf, 
denn  wenn  wir  von  Xenophon  absehen,  der  neben  seinen 
beiden  geschichtlichen  Werken  auch  einen  historischen  Ro- 


1)  Quarterly  Review,  I,  287. 


V.  DölUnger:  GedäcMnissrede.  175 

inaD ,  die  Cyropädie  geschrieben  hat,  so  wüsste  ich  von 
ächten  Geschichtschreibern  nur  noch  Sismondi  anzuführen, 
dessen  Julia  Severa  aber  auch  nicht  den  bescheidensten  Er- 
wartungen entspricht.  Salvandy's  trefflicher  Don  Alonso 
war  bei  seinem  Erscheinen  zu  nahe  an  die  Gegenwart  heran- 
gerückt, um  als  historischer  Roman  zu  gelten. 

So  steht  also  Hercuhmo  in  der  Literatur  allein.  Kein  an- 
derer hat  die  strenge  historisch-wissenschaftliche  Darstellung 
mit  dem  Flug  und  Schwung  der  Dichtung  so  zu  vereinigen 
gewusst ;  er  der  gründliche  Historiker  hat  es  wirklich  ver- 
standen, in  seinen  Romanen  nicht  etwa  blos  aus  geschicht- 
lichen und  antiquarischen  Notizen  zusammengeknetete  Fi- 
guren, sondern  Gestalten  von  Fleisch  und  Blut,  die  doch 
in  der  richtigen  Beleuchtung  ihres  Zeitalters  stehen ,  vorzu- 
führen. Weniger  freilich  in  seinem,  von  Heine  in's  Deutsche 
übersetzten  ,,Eurich'',  denn  für  den  Sturz  des  Westgothen- 
reichs  durch  die  Saracenen ,  welcher  hier  dargestellt  wird, 
sind  die  Quellen  viel  zu  dürftig,  um  ein  historisch  treues 
Bild  von  dem  damaligen  Zustande  des  christlichen  Spaniens 
zu  ermöglichen.  Glücklicher  gewählt  und  besser  gelungen 
ist  sein  zweiter  Roman  „Der  Cisterciensermönch" ,  welcher 
sich  mit  der  Epoche  der  Portugiesischen  Geschichte  unter 
König  Johann  I.  am  Beginne  des  15.  Jahrhunderts  beschäftigt. 

Hier  fliessen  die  Quellen  viel  reichlicher  und  der  Zeit- 
punkt ist  einer  der  glänzendsten  und  beweguugsvollsten  in 
der  Portugiesischen  Geschichte.  Damals  wurde  die  Unab- 
hängigkeit des  Reiches  durch  den  Sieg  über  Castilien  be- 
festigt ,  die  folgenreiche ,  nie  mehr  zerrissene  Verbindung 
mit  England  eingegangen,  der  Anfang  zu  den  Afrikanischen 
Eroberungen  gemacht.  Aber  Herculano's  Phantasie  scheint 
unter  dem  Eindrucke  seines  langen  Studiums  der  Inquisitions- 
acten  gestanden  zu  sein,  denn  sie  neigt  sich  der  Schilderung 
der  finsteren  Abgründe  des  menschlichen  Herzens  zu ,  und 
so  bietet  die  Katastrophe  in  beiden  Romanen,  vorzüglich  im 


176  OeffentUche  Sitzung  vom  38.  Man  1878, 

Cistercienser,  ein  entsetzlich  grauenvolles  Bild.  Gleicbwohl 
gab  die  durchgreifende  Wirkung,  welche  das  Buch  in 
der  Heimath  hervorbrachte,  sich  alsbald  durch  die  grosse 
Zahl  der  seitdem  erschienen  Romane  kund ,  die  Alle  aus 
der  Landesgeschichte  geschöpft  und  sich  Herculano  zum 
Vorbild  genommen  haben.  Unter  ihnen  werden  die  Dich- 
tungen von  Rebello  da  Silva,  von  Marreca  und  Andrade 
Corvo  als  besonders  gelungen  bezeichnet. 

Herculano  war  für  die  Ehre,  für  die  Wohlfart  seines 
Volkes  in  tiefster  Seele  erglüht.  Dennoch  hat  er  den  Ver- 
such, dem  Gemeinwesen  auch  im  politischen  Leben  zu  dienen, 
nur  einmal  gemacht,  und  sich  dann  für  immer  von  der 
parlamentarischen  Thätigkeit  zurückgezogen.  Selbst  als  ihn 
im  J.  1862  die  Regierung  zum  Pair  des  Reichs  und  zum 
Grosskreuz  des  Ordens  von  S.  Tiago  ernannte,  lehnte  er 
beides  ab.  Wiederholt  wurde  ihm  ein  Mandat  für  die  Kammer 
angeboten;  er  aber  erwiederte:  als  er  einmal  ein  solches 
angenommen ,  da  habe  er  bald  erkennen  müssen ,  dass  er 
einer  Illusion  unterlegen  sei ;  bussfertig  habe  er  seine  Kleider 
vom  Schmutz  gereinigt ,  sein  Antlitz  gewaschen ,  und  sich 
aus  der  Politik  heraus  in  den  Schooss  der  sittlichen  Welt 
geflüchtet.  Seine  Empfindungen  waren  eben  dieselben,  wie 
die,  welche  um  die  gleiche  Zeit  der  Spanische  Minister- 
Präsident  in  der  Kammer  zu  Madrid  aussprach :  „Ich  kann 
in  dieser  mephitischen  Atmosphäre  nicht  leben,  wo  Seele 
und  Gedanke  jeden  Augenblick  in  der  Erbärmlichkeit  per- 
sönlicher Interessen  und  Intriguen  versinkt,  wo  die  gehäuften 
Enttäuschungen  schliesslich  jeden  Glauben  zerstören."  *) 
Hatte  doch  Herculano  nur  in  den  15  Jahren  von  1836  bis 
1851  nicht  weniger  als  17  Aufstände  erlebt,  und  sind  doch 
dort  Kabinetskrisen ,  Ministerwechsel,  Kammer-Auflösuugen 


1)  Edgar  Quinet:    Mes  vacances  en  Espagne.    Oeuvres   completes, 
IX,  43  ff. 


V.  Döllinger:   Gedächtnissrede.  177 

und  Neuwahlpn  so  sehr  an  der  Tagesordnung,  dass  ein 
Kabinet,  welches  sein  Dasein  auf  12  bis  14  Monate  bringt, 
schon  für  langlebig  gilt.  Und  dabei  handelt  es  sich  zum 
allermeisten  nicht  um  Principien,  nicht  um  ernste  über  Wohl 
und  Weh  des  Landes  entscheidende  Fragen,  sondern  um  die 
Interessen  von  Parteien  oder  vielmehr  von  Coterien,  die  es 
nicht  einmal  zur  Bedeutung  einer  politischen  Partei  bringen. 
Wie  denn  die  Jagd  nach  Ehrenstellen  und  die  Begierde  nach 
äusseren  Auszeichnungen  nirgends  so  weit  getrieben  wird, 
wie  in  Portugal. 

Wie  er  keiner  Partei  angehöre,  sagt  Herculano  einmal, 
so  bekämpfe  er  auch  keine.  Chartismus  und  Septembris- 
mus,  die  so  lange  mit  einander  um  die  Herrschaft  gerungen, 
seien  ohnehin  bereits  zwei  auf  dem  Kirchhof  der  Geschichte 
begrabene  Leichname.  Gegen  die  drei  Factionen,  die  nach 
jenen  bis  auf  die  Gegenwart  abwechselnd  die  Regierung  be- 
sessen oder  Opposition  gemacht  haben,  die  Regeneratoren, 
die  Historiker  nnd  die  Progressisten,  verhielt  er  sich  gleich- 
falls indifferent,  Wohl  musste  auch  er  in  tiefster  Seele 
sich  gekränkt  fühlen,  als  im  Mai  1870  ein  für  die  ganze 
Nation  so  scbmachvolles  Ereigniss  eintrat,  als  der  Herzog 
von  Saldanha  einige  Regimenter  zur  Meuterei  verführte,  in 
den  Palast  seines  Königs  eindrang,  und  ihm  trotz  des  Pro- 
testes der  beiden  Kammern  seine  Ernennung  zum  Minister- 
Präsidenten  abtrotzte,  —  bald  darauf  aber,  wie  die  Wahlen 
gegen  ihn  ausfielen ,  als  Botschafter  mit  enormem  Gehalte 
sich  nach  England  senden  Hess.  In  einer  kurz  darauf  er- 
schienen Schrift  äusserte  er,  er  vermeide  es  auch  nur  in 
Gedanken  sich  mit  den  öffentlichen  Zuständen  zu  beschäf- 
tigen; es  mache  ihn  zu  traurig. 

Allein  tiefer  und  schmerzlicher  noch  als  diesen  acuten 
Ausbruch  der  auf  der  ganzen  Halbinsel  einheimischen  Krank- 
heit der  Soldaten-Meuterei  empfand  Herculano  das  chronische 
Leiden  des  gesammten  staatlichen  und  socialen  Lebens, 


178  Oeff entliche  Sitzung  vom  28.  März  1878. 

Er  hat  in  einer  seiner  Schriften  mit  beredten  Worten 
die  Schäden  und  Gebrechen  seines  Landes  geschildert.  ^) 
Oben  an  steht  ihm  die  herrschende  Gallomauie,  die  natür- 
liche Folge  des  früheren  Geistesdruckes,  der  jede  Erörterung 
politischer  Materien,  jede  Bildung  einer  Literatur  über  Staats- 
wesen unmöglich  gemacht  hatte,  so  dass  als  das  alte  System 
zerfallen  war,  die  Portugiesische  Geistesarmuth  Gedanken, 
Kenntnisse,  Einrichtungen  von  Frankreich  entlehnen  musste. 
Damit  aber  hielt  auch  die  Centralisation  der  Verwaltung 
ihren  Einzug,  in  der  Herculano  das  schlimmste  Uebel,  den 
Tod  alles  socialen  und  politischen  Lebens,  das  Absterben 
der  vom  Absolutismus  noch  übrig  gelassenen  Reste  munici- 
paler  Selbstverwaltung  erkannte.  Er  schildert ,  wie  auch 
dort  das  Volk,  der  Selbsthilfe  entsagend,  von  der  Regierung 
alles  hoffe  und  fürchte,  Alles,  auch  das  Unmögliche  von  ihr 
verlange  und  sie  dann  verwünsche.  Er  zeichnet  noch  manche 
Schattenseiten,  namentlich  das  elende  Volks-Schulwesen,  das 
eine  offizielle  Lüge  sei. 

Sobald  indess  Herculano  aus  der  trüben  Gegenwart  in 
die  Vergangenheit,  die  Zeiten  vom  16.  Jahrhundert  bis  zum 
Beginn  des  jetzigen  blickte,  musste  er  doch  zugeben,  dass 
damals  ein  moralischer  Verfall,  eine  Corruption  selbst  in  den 
sittlichen  Vorstellungen  geherrscht  habe,  weit  schlimmer, 
als  Alles  was  heute  dem  Beobachter  missfallen  und  Besorgniss 
erregen  kann.  Portugal  sei  doch  glücklich  daran,  meint  er, 
dass  solche  Zustände,  wie  sie  noch  zu  Pombal's  Zeiten  ge- 
wesen, unmöglich  mehr  zurückkehren  könnten.^) 


1)  In  der  Carta   aos  Eleitores   de  Cintra  im  Jahre  1858,    in  den 
Opusculos,  II,  227  ff. 

2)  In  der  Schrift  Mousinho  da  Silveira,  der  einzigen  französisch 
von  ihm  geschriebenen,  Opusculos,  11,  214,  sagt  er  von  der  Zeit  Pom- 
bals  (1750—77):  cette  epoque  de  decadence  morale,  pire  cent  fois  que 
le  relächement  actuel,  et  dont  le  retour  est  devenu  maintenant  ira- 
possible.    Malouet,  der  damals  als  Gesandtschafts-Secretär  in  Lissabon 


V.  Döllinger  :  Gedächtnissrede.  179 

Den  Wählern  von  Cintra,  die  ihn  eingeladen,  sie  in 
der  Kammer  zu  vertreten,  rieth  er  in  einem  merkwürdigen, 
durch  die  anschauliche  Schilderung  der  Landeslage  lehrreichen 
Schreiben  ,  eine  Kirchthurmwahl  vorzunehmen,  d.  h.  einen 
mitten  unter  ihnen  lebenden  verständigen  Mann  zu  wählen, 
und  ja  nicht  einen  Redner  oder  Agitator  von  selbsterwähltem 
politischen  Berufe;  nur  auf  diesem  Wege  werde  man  endlich 
zur  wahren  Freiheit,  der  Verwaltung  des  Landes  durch  das 
Land  gelangen. 

Tiefe  Schatten,  spärliche  Lichter,  das  ist  der  Eindruck 
vom  Zustande  Portugals,  den  Herculano's  politische  Schriften 
in  der  Seele  zurücklassen,  und  auch  den  Spaniern  ist  es 
aufgefallen,  dass  Portugiesische  Staatsmänner  über  ihr  Volk 
und  dessen  Aussichten  entmuthigter  und  hoffnungsloser  sich 
äussern,  als  die  Spanischen  über  das  ihrige. 

Im  Jahre  1866  äusserte  er  in  seinem  ersten  Schreiben 
über  die  Civilehe,  er  habe  keine  Hoffnung  für  das  Land 
seiner  Geburt  und  glaube  nicht  an  dessen  Zukunft.  Was 
ihn  so  entmuthigte  und  pessimistisch  stimmte,  war  der 
Mangel  sittlicher  Kräfte  in  den  höheren  leitenden  Stän- 
den ,  der  Verfall  des  durch  Immoralität  auch  physisch  ver- 
kommenen Adels,  die  Bestechlichkeit  der  Beamten,  der  Bil- 
dungsmangel und  die  Missachtung  des  darbenden  Klerus, 
der  Geist  der  Meuterei  in  der  Armee.  Schwer  freilich  wiegen 
diese  Dinge  in  der  Wagschale,  in  der  die  Geschicke  der  Völker 
gewogen  werden.  Aber  Herculano  wusste  doch  auch,  was 
Alles  in  die  andere  Wagschale  gelegt  werden  muss;  dass 
die  Monarchie,  gehoben  durch  die  Tüchtigkeit,  Mässigung 
und    Verfassungstreue    der    drei    Könige     aus     dem    Hause 


weilte  und  die  Zustände  des  Landes  sorgfältig  studirte,  sagt  darüber: 
Tout  ce  qu'on  pouvait  dire  alors  de  ce  pays  se  reduirait  ä  peu  ou  point 
d'industrie,  point  d'instruction,  mauvais  gouverneraent,  mauvaises  moeurs, 
peuple  miserable  et  degrade  par  la  superstition  et  par  un  despotisrae 
Ignorant.     Memoires,  2e  edition,  Paris  1874,  I,  17. 


180  Oejf entliehe  Sitzung  vom  28.  März  1878. 

Koburg  voll  Lebenskraft  ist;  dass  Portugal  frei  ist  von 
der  Feindschaft  verschiedener  Stände  oder  Volksklassen 
gegen  einander ;  dass  wenn  auch  in  den  beiden  Hauptstädten 
des  Landes,  Lissabon  und  Porto,  anarchische  Elemente  vor- 
handen, doch  die  grosse  Masse  des  Volkes  politisch  gesund  und 
dem  Königthum  ergeben  ist.  Herculano  hatte  wiederholt,  das 
Land  durchwandernd  und  studirend,  sich  überzeugt,  dass  das 
Landvolk,  durch  die  Revolution  von  1833  entlastet^und  freier 
Bewegung  zurückgegeben,  unermesslich  gewonnen,  dass 
durch  die  in  Folge  dieser  Revolution  erfolgte  Abschaffung 
der  todten  Hand  und  besseren  Vertheilung  des  Grundbesitzes 
das  Proletariat  sich  wesentlich  vermindert  habe;  er  erlebte 
auch  noch  die  Aufhebung  der  Majorate.  Auf  das  ge- 
fährliche Streben  einer  weit  verbreiteten  Partei,  die  Wohl- 
thaten  und  Rechte,  die  das  Jahr  1833  der  Nation  gebracht, 
ihr  allmälig  wieder  zu  entreissen,  weiset  Herculano  mehr- 
mals sorgenvoll  und  warnend  hin.  Dass  sie  ihre  Absicht 
erreiche,  hat  er  nicht  für  möglich  gehalten ;  aber  er  scheint 
gefürchtet  zu  haben,  dass  der  jedenfalls  in  die  Länge  sich 
ziehende  Kampf  die  sittlichen  und  physischen  Kräfte  der 
Nation  erschöpfen ,  und  dann  am  Ende  doch  Portugal  von 
Spanien  verschlungen  werde,  obwohl  dieses  an  gleichem  oder 
noch  schlimmerem  Siech thum  leide. 

Noch  bleibt  uns ,  indem  wir  Herculano's  vielseitige 
Geistesthätigkeit  überblicken ,  eine  Seite  derselben  zu  be- 
trachten,  die  religiös-kirchliche.  Die  Schriften,  in  denen 
er  seine  Ueberzeugung  über  die  diesem  Gebiete  angehörigen 
Fragen  ausspricht,  sind  mit  besonderer  Energie  der  Gedanken 
wie  des  Styles  geschrieben  und  unverkennbar  haben  hier 
Einsicht  und  Wille,  lebendiges  persönliches  Glaubens- 
bewusstsein  und  patriotische  Aufregung  zusammen  einen 
höheren  Wärmegrad  der  Rede  erzeugt.  Herculano  war  auf- 
richtig gläubiger  Christ,  wie  er  sich  schon  in  den  Gedichten 
seiner  Jugendjahre   als    solcher  zu  erkennen  gab;  er  ist  es 


V.  DölUnger:    Gedächtnissrede.  181 

auch  stets  und  bis  zu  seinem  Tode  geblieben.  Als  Historiker, 
als  Christ,  als  Bürger  Portugals  befehdete  er  das  System, 
das  ültramontanismus  heisst,  uud  das  gerade  dort  ein  so 
schlimmes  Andenken  hinterlassen,  dem  Lande  so  viel  Blut 
und  Geld  gekostet,  so  schmerzliche  materielle  und  geistige 
Opfer  auferlegt  hatte.  Ihm  schwebte  vor  die  Erinnerung 
an  die  Cruzada  und  ihr  Tribunal,  an  die  CompositionsbuUe 
und  deren  entsittlichende  Wirkungen,  an  das  Unwesen  der 
Ritterorden,  deren  reiche  Pfründen ,  die  Commanderien,  mit 
Pfarrzehnten  ausgestattet,  dem  Luxus  des  Hofes  und  der 
Günstlinge  dienen  mussten,  während  der  darbende  Seelsorger- 
klerus von  dem  gleichfalls  nothleidenden  Volke  ernährt 
werden  musste.  Auch  hat  er  daran  erinnert,  dass  ehedem 
der  Klerus  an  allen  Räubereien  und  Erpressungen  des  könig- 
lichen Fiskus  sich  betheiligt  habe.  Pius  IX.  hatte  im  Jahre 
1862  ein  Schreiben  an  die  Portugiesischen  Bischöfe  erlassen, 
welches  auch  in  diesem  Lande  den  Klerus  zum  Kampf  gegen 
die  staatliche  Ordnung  aufzurufen  bestimmt  war,  wie  es 
dem  in  Rom  seit  1850  erwählten  Systeme  entsprach.  Je- 
dem Staatsgesetze,  welches  mit  irgend  einem  Kirchengesetz 
in  Widerspruch  stehe,  sollten  die  Bischöfe  den  Gehorsam 
versagen,  und  das  Volk  belehren,  dass  es  im  Conflikt  von 
Staats-  und  Kirchengesetzen  nur  den  letzteren  zu  gehorchen 
hätte.  Hätten  die  Bischöfe  damit  Ernst  gemacht,  so  wäre 
wohl  ein  religiöser  Bürgerkrieg  dort  ausgebrochen,  denn 
auch  dort  wie  in  allen  Culturländern  ist  eben  die  Verfassung 
and  der  gesammte  sociale  Zustand  unvereinbar  mit  dem 
päpstlichen  Kirchenrecht.  Zudem  hatte  der  Syllabus,  wie 
Herculano  hervorhebt,  die  Grundlagen  auch  der  Portugie- 
sischen Staatsordnung  so  gut  wie  die  anderer  Nationen  ver- 
dammt. 

So  wirkte,  noch  ehe  die  Vaticanischen  Dekrete  er- 
schienen waren.  Vieles  zusammen,  Herculano  als  einen  grund- 
sätzlichen Gegner  der  Römischen  und  einheimischen  Hierarchie 


182  Oeffentlichc  Sitzung  vom  38.  März  1878. 

erscheinen  zu  lassen,  um  so  gefährlicher,  als  er,  wie  das 
ganze  Land  wusste,  ein  ernst  religiöser,  französischem  In- 
difFerentismus  und  Skepticismus  durchaus  fremder  Mann 
war.  Schon  hatte  der  Streit  über  die  Vorgänge  vor  und 
nach  der  Schlacht  von  Ourique,  der  nicht  weniger  als  25 
Pamphlete  erzeugte ,  ^)  Bedeutung  uud  Gestalt  eines  für  und 
gegen  die  Kirche  geführten  Kampfes  angenommen,  und  Her- 
culano  half  dazu,  indem  er  seiner  Vertheidigungsschrift  den 
Titel  gab;  ,,Ich  und  der  Klerus"  (Eu  e  o  Clero).  Es  scheint 
nun  kaum  verständlich,  wie  die  Frage,  ob  gewisse  Ereignisse 
des  zwölften  Jahrhunderts  geschehen  oder  nicht  geschehen 
seien,  einen  so  dogmatischen  Charakter  annehmen  und  als  eine 
Lebensfrage  der  portugiesischen  Religion  behandelt  werden 
konnte.  Die  Sache  hat  ihren  Grund  in  den  eigenthüm- 
lichen  Verhältnissen  Portugals.  Die  grosse  Macht  und  der 
Reichthum  des  dortigen  höheren  Klerus  gründeten  sich  auf 
die  Vorstellung,  dass  dieses  Volk  und  Reich  speziell  von 
Gott  zur  steten  Führung  des  Glaubenskampfes  auserwählt, 
seine  Wohlfahrt  und  Grösse  an  die  treue  Erfüllung  dieses 
Berufes  geknüpft  seien.  Jene  Fabeln  waren  ersonnen  wor- 
den ,  um  den  Glauben  an  diesen  göttlichen  Beruf  und  den 
unbedingten  Gehorsam  gegen  die  Kirche  einzuprägen,  wel- 
cher die  religiöse  kriegerische  Begeisterung  der  Nation  zu 
nähren  und  ihr  die  Ziele  anzuweisen  obliege.  Je  ungün- 
stiger nun  die  Ereignisse  der  jüngsten  Zeit  für  den  Klerus 
sich  gestaltet  hatten,  je  grösser  gerade  dort  der  Verlust 
der  Kirche  an  Besitz  und  Autorität  war,  desto  tiefer  war 
die  Erbitterung  gegen  den  Historiker,  der  so  kalt  und  vor- 
nehm mit  diesen  kostbaren,  lange  trefflich  erprobten  Legen- 
den aufgeräumt  hatte. 

Herculano  hatte  als  Mitglied  der  mit  dem  Entwurf  eines 


1)  Sie  sind  alle  aufgeführt  in   dem  Diccionario  Bibliografico  Por- 
tuguez  von  J.  P,  da  Silva,  Lisb.  1859,  II,  243. 


V.  DölUnger  :  Gedächtnissrede.  183 

Civilgesetzbiiches  betrauten  Commission  mit  Rücksicht  auf 
die  zahlreichen  in  Portugal  ansässigen  nicht  katholischen 
Ausländer  Sorge  getragen,  dass  die  fakultative  Civilehe  darin 
Aufnahme  fand.  Diess  zog  ihm  neuerdings  Angriffe  zu ; 
man  hielt  ihm  entgegen ,  die  katholische  Religion  sei  laut 
der  Charte  Staatsreligion,  folglich  auch  ihr  Ehegesetz  Staats- 
gesetz, demnach  stehe  eine  Civilehe  auf  portugiesischem 
Boden  selbst  mit  der  Verfassung  in  Widerspruch.  Hercu- 
lano  vertiefte  sich  in  diese  Frage,  liess  erst  vier  Sendschreiben, 
dann  drei  Hefte  ,, Studien"  darüber  erscheinen,  ^)  und  führte 
unter  anderm  darin  aus,  dass  die  Gegner  die  Andersgläu- 
bigen zu  einem  Akt,  nämlich  der  priesterlichen  Trauung 
zwingen  v^ollten,  der  dann  in  den  Augen  der  Katholiken 
die  Profanation  einer  heiligen  Handlung,  eine  der  Religion 
zugefügte  Beschimpfung  sei.  Seine  Schriften  scheinen  über- 
zeugt zu  haben,  denn  am  1.  Juli  1861  erklärte  ein  Gesetz 
die  Gültigkeit  der  Civilehe  für  alle  Nichtkatholiken. 

Wer  Herculano's  Gesinnungen  kannte,  wusste  zum 
Voraus,  wie  er  die  Dekrete  des  Vaticanischen  Concils  auf- 
nehmen werde.  Ihm  dem  gläubigen  Christen  und  gründ- 
lichen Historiker  erschienen  sie  als  ein  furchtbarer  Frevel, 
ein  Bruch  mit  der  überlieferten  Lehre,  eine  Veränderung 
der  Glaubenslehre,  während  früher  stets  die  Unwandelbar- 
keit des  Dogma  als  die  wesentlichste  Eigenschaft  der  Ka- 
tholicität  gegolten  habe.  Er  hat  denn  auch  einige  Monate 
nach  dem  Schluss  des  Concils  in  einer  Flugschrift  ^)  in 
seiner  beredten  und  tief  einschneidenden  Weise  sich  darüber 
verbreitet,  welch  ein  Gräuel  und  Aergerniss  ihm  diese  Ver- 
fertigung neuer  Glaubensartikel  sei,  wie  sie  Pius  IX.  unter 
Anleitung   des  Jesuiten  aufgebracht   habe.     Er  forderte  die 


1)  Estudios  sobre  o  casamento  civil  Lisboa  1866,  Serie  1—3. 

2)  A  suppressäo  das  conferencias  do  Casino   1871,    in  den  Opus- 
culos,  I,  255  ff. 


184  Oeif entliehe  Sitzung  vom  28.  März  1878. 

Regierung  auf,  den  Beschlüssen  und  neuen  Lehren  jede 
staatliche  Anerkennung  zu  versagen,  denn  sie  zerstörten  die 
Continuität  der  Kirche ,  die  doch  gerade  durch  den  Wort- 
laut des  die  katholische  für  die  Staatsreligion  erklärenden 
Artikels  gefordert  werde.  Ich  weiss  nicht,  ob  diese  Sqhrift 
Einfluss  geübt  hat  auf  die  Entschliessungen  der  Staatsge- 
walt, aber  Thatsache  ist,  dass  die  Regierung  in  diesem  Sinne 
gehandelt  hat,  die  Vaticanischen  Dekrete  bis  zur  Stunde 
vollständig  ignorirt  und  ihnen  jede  Geltung  in  den  Ge- 
bieten, wohin  der  Arm  des  Staates  reicht,  verweigert. 

Im  Jahre  1873  Hess  Herculano  noch  zwei  Theile  seiner 
kleinereu  Schriften  erscheinen,  seitdem  aber  verstummte  er. 
In  der  Vorrede  äusserte  er :  heftige  Stürme  hätten  viele 
Jahre  hindurch  das  Schifflein  seines  literarischen  Lebens 
umhergeschleudert,  bis  es  endlich  in  dem  ruhigen  und 
glücklichen  Hafen  des  Schweigens  und  der  Dunkelheit  sich 
vor  Anker  gelegt  habe.  Zurückblickend  auf  seine  schrift- 
stellerische Laufbahn  gesteht  er,  der  Ungestüm  seines  Wesens 
habe  ihn  wohl  mitunter  verlockt ,  seine  Ideen  mit  über- 
mässiger Energie  darzulegen  und  zu  vertheidigen  ,  aber 
gerade  dieses  leidenschaftliche  Feuer  möge  seinen  Schriften 
das  Wohlwollen  erworben  haben,  dass  ihnen  so  reichlich, 
selbst  von  gegnerischer  Seite  zu  Theil  geworden.  Im  Juni 
1876  schrieb  er  mir,  er  habe  sich  für  seine  alten  Tage  in 
die  Einsamkeit  zurückgezogen ,  lebe  auf  dem  Lande,  fern 
von  der  politischen  und  literarischen  Bewegung  seines  Lan- 
des, von  der  grossen  Welt  nahezu  vergessen,  nur  in  lite- 
rarischen Kreisen  gedenke  man  seiner  noch. 

Das  steht  jetzt  schon  fest,  dass  es  seinen  zahlreichen 
Gegnern  mit  all  ihren  Streit-  und  Schmähschriften  nicht 
gelungen  ist,  auch  nur  Eine  Feder  aus  den  Schwingen  seines 
Ruhmes  zu  reissen.  Er  hat  nicht  nur  den  Grund  gelegt 
und  den  Anfang  gemacht  zur  allein  richtigen  Auffassung 
und  Darstellung   der  Geschichte  Portugals,    sondern  er  hat 


V.  Döllinger:    Gedächtnissrede.  185 

aucli  für  sein  Volk  die  historische  Wissenschaft  überhaupt 
auf  eine  unvergleichlich  höhere  Stufe  erhoben.  Sein  zwölf 
Jahre  jüngerer  Freund  und  Schüler  Rebello  da  Silva,  gleich 
ihm  Verfasser  historischer  Romane  und  ernster  Forscher 
und  Geschichtsschreiber,  ist  in  des  Meisters  Fussstapfen  ge- 
treten, hat  bereits  in  dessen  Geist  einen  wichtigen  Abschnitt 
der  Portugiesischen  Geschichte,  die  Zeit  der  Spanischen 
Herrschaft  dargestellt,  setzt  das  grosse  Urkunden  werk  des 
Visconde  von  Santarem  fort ,  und  hat  überdiess  schon  fünf 
Bände  einer  neuen  Sammlung  von  Briefen  und  Aktenstücken 
geliefert,  in  welcher  auch  die  Dokumente,  auf  welche  Her- 
culano  seine  Geschichte  der  Inquisition  gebaut,  abgedruckt 
sind.  Der  allzufrühe  seinem  Reiche  entrissene  König  Don 
Pedro  V.  hat,  da  die  einzige  Landesuniversität  Coimbra 
trotz  ihrer  fünf  Fakultäten  Lehrstühle  der  humanistischen 
Wissenszweige  nicht  errichten  konnte  oder  wollte,  aus  eigenen 
Mitteln  im  Jahre  1859  eine  Fakultät  für  Geschichte,  Philo- 
sophie, klassische  Studien  und  Literatur  gegründet,  und 
Rebello  da  Silva  bekleidet  einen  dieser  Lehrstühle.  So  ist 
denn  wohl  dafür  gesorgt,  dass  Herculano's  hohes  Verdienst 
um  sein  Volk  und  Land  nicht  vergessen  und  nicht  verdunkelt 
werde,  dass  vielmehr  seine  Geistesarbeit  dem  dortigen  jün- 
geren Geschlechte  als  ein  reiches  Pfund,  damit  zu  wuchern, 
dienen  werde  —  vorzüglich,  wenn  dort  die  Erkenntniss  auch 
praktisch  durchdringt,  dass  es  die  Volksschule  ist,  welche 
auch  die  Leistungen  in  den  höheren  Wissenschaften  bedingt. 


186  Oeffcntliche  Sitzung  vom  28.  März  1878. 


Der  Classensecretär  Herr  v.  Prantl  erwähnte  in  Kürze 
die  im  abgelaufenen  Jahre  verstorbeuen  Mitglieder  der  philos.- 
philol.  Classe,  nemlich  die  auswärtigen  Mitglieder  Johann 
Erik  R y d q  u i s t  und  Emmanuel  Roulez,  und  das 
correspondirende   Mitglied  Karl  Freiherr    von  Estorff 

Wegen  vorgerückter  Zeit  wurde  das  Nähere  der  hiemit 
folgenden  Druck- Veröffentlichung  vorbehalten  : 

Johann  Erik  Rydquist, 

geboren  am  20.  October  1800  in  Göteborg,  wo  sein  Vater 
Secretär  des  Collegiums  der  Bürgerschaftsältesten  und  der 
Handels- Societät  war,  sollte  sich  dem  Kaufmannsstande 
widmen  und  brachte  auch  ein  Jahr  in  einem  Handlungshause 
zu,  war  aber  von  einer  unüberwindlichen  Neigung  zum 
Studium  beseelt  und  erreichte,  nachdem  es  ihm  gegönnt 
war,  diesem  Zuge  zu  folgen,  durch  ungeheueren  Fleiss  nach 
einjähriger  Vorbereitung  das  Ziel,  i.  J.  1820  die  Univer- 
sität Upsala  zu  beziehen,  wo  er  bis  1826  juristischen  Stu- 
dien oblag.  Da  ihm  die  Wahl  eines  praktischen  Berufes 
nicht  zusagte,  trat  er  1827  als  zweiter  Amanuensis  an  der 
Bibliothek  zu  Stockholm  ein,  wo  er  1843  zum  ersten  Ama- 
nuensis, 1851  zum  Vice-Bibliothekar  und  1858  zum  Biblio- 
thekar vorrückte.  Jm  Jahre  1865  nahm  er  seinen  Abschied, 
nachdem  er  bereits  seit  1840  von  einem  schweren  Nerven- 
leiden heimgesucht  war  und  öfteren  Urlaub  hatte  erbitten 
müssen.  Am  19.  December  1877  raifte  ihn  der  Tod  hinweg. 
Bewegter  und  wechselvoller  als  das  schlichte  äussere 
Leben  verlief  seine  literarische  Entwicklung.  Im  Anfange 
seiner  Studienzeit  hatte  er  in  einer  mehr  schöngeistigen 
Richtung  mancherlei   kritische   Aufsätze,    metrische  üeber- 


V.  Prantl:   Nekrolog  auf  Joh.  Erik  Uydquist.  187 

traguDgeu  aus  dem  Griechischen  und  auch  einzelne  eigene 
Gedichte  veröffentlicht,  worauf  Uebersetzungen  aus  Thomas 
Moore  und  aus  Novalis  folgten,  sowie  er  auch  Washington 
Irving's  Geschichte  von  New -York  ins  Schwedische  über- 
trug. Bereits  1827  erhielt  er  für  seine  scharfsinnige  und 
gründliche  ,, Abhandlung  über  die  schönen  Künste  der  Vor- 
zeit im  Vergleiche  mit  denen  der  Gegenwart"  die  kleine 
goldene  Medaille  der  schwedischen  Akademie,  welche  auch 
die  Druckveröffentlichung  dieser  Arbeit  veranstaltete,  (1829 
im  12.  Bande  der  Verband  hin  gen).  Rydquist  übernahm 
dann  (1828  —  32)  die  Redaction  der  vielgelesenen  Wochen- 
schrift ,,Heimdall''  und  bethätigte  sich  dort,  sowie  (1833  f.) 
in  der  Zeitschrift  des  schwedischen  Literatur  -  Vereins  in 
literarischer  und  Kunstkritik;  1835  veröffentlichte  er  eine 
historisch  -  topographische  Beschreibung  des  Stockholmer 
Thiergarteus,  und  1836  wurde  seiner  ,, Abhandlung  über  das 
älteste  Schauspiel  des  Nordens"  von  der  Akademie  der  höchste 
Preis  ertheilt  (gedruckt  in  der  Zeitschrift  ,,Skandia'\  Bd. 
VII,  2,  und  im  19.  Bande  der  Verhandlungen  der  Akademie). 
Mit  staatlicher  Unterstützung  unternahm  er  1836  —  37  eine 
grössere  Reise  nach  Dänemark,  Deutschland,  Belgien,  Frank- 
reich und  Italien;  von  der  begonnenen  Beschreibung  dieser 
Reise  ist  nur  der  erste,  Deutschland  betreffende  Theil  er- 
schienen (1838),  welcher  von  der  scharfen  Beobachtungs- 
gabe des  Verfassers  Zeugniss  gibt.  Im  Jahre  1839  widmete 
Rydquist  dem  (am  30.  Juni)  gestorbenen  Dichter  und  Theo- 
logen Olof  Wallin  (Erzbischof  und  Procanzler  der  Univer- 
sität, in  Upsala)  ein  Gedenkbild ,  und  zur  selben  Zeit  hatte 
er  sich  in  publicistische  Kämpfe  eingelassen,  indem  er  nicht 
nur  in  einer  anonymen  Brochüre  über  die  schwedischen  Civil- 
beamten  sich  mit  rücksichtloser  Schärfe  geäussert  hatte 
(1838),  sondern  auch  eine  in  conservativem  Sinne  gehaltene 
politische  Streitschrift  über  einzuführende  Veränderungen 
der  Verfassung  Schwedens  veröffentlichte  (1840,  2  Hefte). 
[1878.  I.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  2.]  14 


188  Öeft entliche  Sitzung  vom  ^8,  März  1878. 

In  dem  gleiclien  Jahre  aber  (1840)  fand  er  schliesslich 
den  Boden,  auf  welchem  seine  wissenschaftliche  Leistungs- 
fähigkeit zu  ihrer  vollen  Entfaltung  geführt  wurde,  indem 
er  sich  zu  einer  Thätigkeit  tiefen  und  bleibendsten  Gehaltes 
wendete.  Durch  sein  damals  beginnendes  nervöses  Leiden 
an  das  Zimmer  gefesselt  beschäftigte  er  sich  mit  den  alt- 
nordischen Handschriften  der  Bibliothek  und  gelangte  so 
zu  einer  ruhmwürdigen  Beschäftigung  mit  dem  Gebiete  der 
germanischen  Philologie ,  in  welcher  bezüglich  des  Schwe- 
dischen immerhin  noch  eine  fühlbare  Lücke  auszufüllen 
war,  während  gleichzeitig  durch  die  Veröffentlichung  der 
,,Scriptores  rerum  Suecicarum"  und  durch  S<3hlyter's  be- 
langreichste Arbeiten  das  Interesse  für  schwedische  Sprache 
und  Geschichte  geweckt  worden  war.  Eine  erste  Frucht 
seiner  mehrjährigen  ernstesten  Studien  gab  Rydquist  in 
seiner  Antrittsrede  als  Mitglied  der  Stockholmer  Akademie 
(2.  Juni  1849)  „lieber  die  Ziele  und  Mittel  historischer 
Sprachforschung"  (gedruckt  im  20.  Bande  der  Verhandlungen 
der  Akademie,  und  später  in  2.  Auflage  1863),  worin  er 
nach  dem  Urtheile  der  Fachkundigen  in  unübertrefflicher 
Klarheit  unter  steter  Vergleichung  der  schwedischen  Dialekte 
und  der  übrigen  nordischen  Sprachen  nachwies,  wie  Vieles 
in  Lautlehre,  Wortbildungs-  und  Wortbeugungs-Lehre  ge- 
leistet werden  könne,  und  hiebei  eine  wahre  Meisterschaft 
in  Behandlung  grammatischer  und  lexikologischer  Fragen 
bethätigte.  Bald  hernach  (1850)  erschien  das  erste  Heft 
seines  umfassenden  Hauptwerkes  „Svenska  spräkets  lagar", 
dessen  1.  Band  1852  vollendet  war,  worauf  1857  der  2., 
1863  der  3.,  1868  —  70  der  4.  und  1874  der  5.  Band  folgte 
In  dieser  umfangreichen  Leistung  hat  Rydquist,  —  wie  uns 
von  sachverständiger  Seite  mitgetheilt  wird  — ,  durch  mühe- 
vollste Untersuchungen  in  abgeschlossener  Darstellung  der 
Formenlehre  eine  Gesammtgeschichte  der  schwedischen 
Sprache    von    ihren    ältesten    verfolgbaren    Zeiten    bis    zur 


V.  Prantl:  Nekrolog  auf  Joh.  Erik  Bydquist.  189 

Gegenwart  kritiscli  durchgeführt,  und  geleitet  von  feinem 
Sprachgefühl  und  angewöhnlichem  Scharfsinne,  sowie  begabt 
mit  dem  Talente  einer  klaren  lesbaren  Darstellung,  alle 
Vorzüge  vereinigt,  welche  man  von  einer  bahnbrechenden 
Arbeit  auf  so  schwierigem  Földe  beanspruchen  kann,  und 
ein  Werk  geschaffeu ,  welches  für  lange  Zeit  die  Grundlage 
der  nordischen  Linguistik  bleiben  wird.  Ausserdem  hielt 
er  in  der  Akademie  (1849)  eine  Gedächtnissrede  über  Ber- 
zelius'  Leben  und  Wirken  und  veröffentlichte  (1869)  ausser 
einer  polemischen  Schrift  über  die  schwedische  Orthographie 
und  einer  Biographie  des  literarisch  strebsamen  Hofmar- 
schalles  Bernhard  von  Beskow  auch  die  vortreffliche  Ab- 
handlung „Licht  und  Trugschein  in  der  Welt  der  Sprache" 
(gedruckt  im  39.  Bande  der  Verhandlungen  der  schwedischen 
Akademie,  sowie  separat  1865),  worin  er  auf  die  richtigen 
Wege  und  auf  die  Irrwege  der  Linguistik  imter  besonderer 
Berücksichtigung  üblicher  dilettantenhafter  Bestrebungen 
hinwies.  Hierauf  folgte  noch  (1870)  ein  Aufsatz  über  das 
Wörterbuch  der  schwedischen  Akademie  (gedruckt  im  45. 
Bande  der  Verhandlungen).  Rydquist  war  Mitarbeiter  ver- 
schiedener Zeitschriften  und  Mitglied  mebrerer  in-  und  aus- 
ländischer gelehrter  Körperschaften ;  unserer  Akademie  ge- 
hörte er  seit  1871  an.  (S.  Nr.  1  des  Jahrgangs  1878  der 
Stockholmer  Ny  illustrered  Tidning). 


Jos.  Emmanuel  Ghislain  Ronlez, 

geboren  am  6.  Februar  1806  in  Nivelles  (Provinz  Brabant) 
als  Sohn  eines  Notars,  studirte  zunächst  in  dem  College 
seiner  Vaterstadt  und  bezog  hierauf  1822  die  Universität 
Löwen,  wo  er  sich  mit  glänzendem  Erfolge  der  Philologie 
widmete,  so  dass  er  bereits  1825  eine  Verwendung  als 
Lehrer   am   College   zu  Mons'  fand,    von    wo  er  1828  nach 

14* 


190  OeffentUche  Sitzung  vom  28.  März  1878. 

Löwen  zurückkehrte,  um  dort  zu  promoviren.  Nun  erhielt 
er  ein  Reisestipendium  in  das  Ausland  und  studirte  vorerst 
in  Heidelberg  unter  Creuzer  und  Bahr  (auch  Bonn  besuchte 
er  vorübergehend),  dann  1829  in  Berlin,  wo  er  bei  Böckh, 
Bekker,  Lachmann,  Hegel,  Ritter  und  Tölken  hörte,  hierauf 
1830  in  Göttingen  unter  Ottfried  Müller,  Bissen  und 
Heeren.  Bald  nach  seiner  Rückkehr  ins  Vaterland  wurde 
durch  die  Revolution  die  Regierung  gestürzt,  welche  bis 
dahin  sein  Talent  unterstützt  hatte,  und  er  musste  sich  nun 
abwartend  verhalten.  Doch  bereits  gegen  Ende  d.  X  1831 
ergingen  an  ihn  gleichzeitig  zwei  Anträge,  nemlich  einer- 
seits nach  Paris  als  Mitarbeiter  am  Thesaurus  linguae  graecae 
umzusiedeln,  und  andererseits  eine  Lehrstelle  am  Athenäum 
zu  Gent  anzutreten ;  letzteres  Angebot  nahm  er  an,  beschloss 
jedoch  nebenbei  Jurisprudenz  zu  studiren,  um  bei  der  Un- 
sicherheit seiner  Stellung  sich  eine  unabhängige  Existenz 
als  Advokat  zu  begründen,  und  so  erwarb  er  auch  (1834) 
die  juristische  Doctorwürde.  Seine  Besorgnisse  aber  er- 
wiesen sich  als  unnöthig,  denn  schon  1835  wurde  er  als 
ausserordentlicher  Professor  an  der  neu  organisirten  philo- 
sophischen Fakultät  der  Universität  Gent  angestellt  und 
hierauf  1837  zum  ordentlichen  Professor  befördert.  Seine 
dortige  Lehrthätigkeit  erstreckte  sich  auf  einen  aufPallend 
weiten  Umkreis,  nemlich  auf  Logik,  römische  und  griechische 
Literaturgeschichte,  Archäologie,  römische  Rechtsgeschichte 
und  Alterthümer,  Encyclopädie  der  Jurisprudenz  und  neuere 
politische  Geschichte.  Jm  Jahre  1846  und  wieder  1857—64 
war  er  Rector  der  Universität  und  1849  wurde  er  Mitglied 
eines  neu  eingerichteten  Studienrathes  und  Inspector  der 
Mittelschulen,  sowie  Mitglied  der  Prüfungscommission;  die 
ihm  angebotene  Stelle  eines  General-Tnspectors  des  Studien- 
wesens schlug  er  aus,  um  seinem  Lehramte  obliegen  zu 
zu  können,  neben  welchem  er  seit  1867  auch  die  Stelle 
eines  Directors  der  Classe  des  lettres  der  Brüsseler  Akademie 


V.  PrantI:  Nekrolog  auf  Jos.  Em.  Roulez.  191 

bekleidete.  Wankende  Gesundheit  nöthigte  ihn  1873  sich 
in  den  Ruhestand  zurückzuziehen,  und  am  18.  März  des 
heurigen  Jahres  starb  er.  —  Seine  äusserst  fruchtbare 
literarische  Laufbahn  ( —  die  sämmtlichen  Schriften  finden 
sich  angeführt  im  Almanach  der  Academie  royale  de 
Bruxelles,  1875  — )  begann  er  mit  einer  Abhandlung  ,,De 
Carneade''  (1825),  worauf  eine  „Commentatio  de  vita  et 
scriptis  Heraclidis  Pontici'^  (1828)  und  „Observationes 
criticae  in  Themistii  orationes"  (1828)  folgten;  dann  gab 
er  die  bei  Photius  erhalteneu  Fragmente  des  Ptolemäus 
Hephästion  heraus  (1834)  und  begleitete  das  Werk  des 
Baert  ,,Sur  les  campagnes  de  Cesar  dans  la  Belgique*'  mit 
Anmerkungen  (1833).  Abgesehen  von  Publicationen,  welche 
durch  seine  Vorlesungen  veranlasst  waren  (ein  französischer 
Auszug  aus  SchöU's  griechischer  und  Bähr's  römischer 
Literaturgeschichte  und  ein  „Programm  du  cours  d'anti- 
quites  romaines")  gab  er  in  dem  ihm  eigenthümlichen 
Forschungsgebiete  eine  sehr  geschätzte  Leistung  in  ,,Choix 
de  Vases  peintes  du  Musee  de  Leyde"  (1854);  es  lag  nem- 
lich  überhaupt  sein  eigentliches  Verdienst  in  den  zahl- 
reichen (weit  über  hundert)  Abhandlungen  verschiedenen 
Umfanges,  welche  theils  in  den  ,,Memoires"  theils  in  den 
„Bulletins**  der  Brüsseler  Akademie  oder  in  den  „Annales 
de  riustitut  archeologique"  erschienen.  Dort  nemlich  ei'- 
örtert^er  eine  Fülle  einzelner  Fragen  betreffs  mythologivscher 
Erklärung  der  Vasenbilder  oder  bezüglich  der  römischen 
Alterthümer  Belgiens  oder  auch  prähistorischer  Forschungs- 
gegenstäude  in  einer  Weise,  dass  er  nach  dem  Urtheile  der 
Fachkundigen  als  ein  Hauptvertreter  der  Archäologie  in 
Belgien  gilt,  welcher  nicht  nur  das  Interesse  für  diese  Stu- 
dien rege  erhielt,  sondern  auch  selbst  sich  mit  gesundem 
Sinne  in  soliden  Leistungen  bethätigte,  welche  frei  von 
phantastischen  Auswüchsen  vielfache  Förderung  der  Forsch- 
ung mit  sich  brachten  uijd  auch  vermittelnd  zwischen  dem 


192  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1878. 

deutsclien  und  dem  belgischen  Betriebe  der  Archäologie 
wirkten.  In  gleicher  verdienstlicher  Weise  lieferte  er  auch 
verschiedene  Aufsätze  in  mehrere  Zeitschriften  Deutschlands 
und  Belgiens.  Die  warme  Anerkennung,  welche  er  fand, 
ist  dadurch  bezeugt,  dass  ihn  die  Academie  des  Inscriptions 
und  ausser  der  Brüsseler  die  Akademien  zu  Turin,  Neapel, 
Rom,  sowie  die  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Göttingen 
unter  ihre  Mitglieder  aufnahmen ;  unserer  Akademie  gehörte 
er  seit  1853  an. 


Karl  Freiherr  von  Estorff, 

welcher  unserer  Akademie  seit  1857  als  correspondirendes 
Mitglied  angehörte,  stammte  aus  einer  im  Bardengau  (in 
der  Provinz  Hannover)  begüterten  Familie  und  wurde  am 
21.  Dezember  1811  auf  dem  Gute  Veerssen  bei  Uelzen  ge- 
boren. Er  hat  das  Verdienst  in  dem  wissenschaftlichen 
Gebiete,  welches  heutzutage  als  prähistorische  Forschuug 
bezeichnet  wird  und  bekanntlich  seit  mehreren  Jahren  einen 
hohen  Aufschwung  nahm,  bereits  in  einer  Zeit  bahnbrechend 
gewirkt  zu  haben,  in  welcher  man  gemeiniglich  viele  Dinge, 
welche  jetzt  als  wichtige  Funde  gelten,  entweder  unbeachtet 
liegen  liess  oder  höchstens  als  unverstandene  Raritäten 
aufbewahrte.  Nachdem  Freiherr  von  EstorfiF  sich  während 
einer  längeren  Reihe  von  Jahren  mit  Aufspürung  und  Sich- 
tung zahlreicher  Fundgegenstände  beschäftigt  hatte,  ver- 
öffentlichte er  i.  J.  1846  das  dankenswerthe  Werk  ,, Heid- 
nische Alterthümer  der  Gegend  von  Uelzen  im  ehemaligen 
Bardengau  mit  16  Tafeln  und  einer  archäologischen  Karte", 
worin  er  die  Ergebnisse  seiner  mit  Scharfblick  und  Ge- 
schmack geführten  Untersuchung  prähistorischer  Alterthümer 
niederlegte  und  dabei  nicht  vergass,  auf  die  Nothwendigkeit 
einer  möglichst  allgemeinen  Vergleichung  derartiger  Gegen- 


V.  Prantl:  Nekrolog  auf  Karl  Freiherr  von  Erstorff.        193 

stände  hinzuweisen,  für  deren  Classification  und  Termino- 
logie er  seinerseits  erspriessliclies  leistete.  Von  einer  län- 
geren wissenschaftlichen  Reise,  welche  er  zu  gleichen  Zwecken 
in  das  südliche  Europa  unternommen  hatte,  zurückgekehrt, 
veranlasste  er  in  den  Sommern  1853  und  1854,  dass  eine 
grosse  Anzahl  der  Antiquitäten  des  Bardengaues,  welche  in 
Gefahr  waren,  durch  Eisenbahnbauten  oder  dergleichen  zer- 
stört und  verschleudert  zu  werden,  gesammelt  und  aufbe- 
wahrt wurden,  und  1862  machte  er  die  ganze  mehrere 
Tausende  enthaltende  Sammlung  dem  Staate  Hannover  zum 
Geschenke.  Abgesehen  von  Beiträgen,  v.Llche  er  in  ver- 
schiedene Zeitschriften,  z.  B.  besonders  in  das  Correspon- 
denzblatt  der  Gesphichts-  und  Alterthumsvereine  Deutsch- 
lands lieferte,  wurde  er  durch  Desor's  an  Justus  v.  Liebig 
gerichtete  Abhandlungen  „Aus  Sahara  und  dem  Altlas" 
veranlasst,  sich  gegen  die  darin  ausgesprochene  Keltomanie 
zu  erklären,  und  so  veröffentlichte  er  in  der  ,, Allgemeinen 
Zeitung"  (Sept.  1868)  seinen  „Brief  an  Professor  E.  Desor" 
(derselbe  erschien  in  2.  Aufl.  mit  Vorwort  von  Professor 
A.  Sprenger,  Bern  1876),  worin  er  den  germanischen  Ur- 
sprung der  sog.  Dolmen  oder  Hünengräber  vertheidigte  und 
in  seine  Untersuchung  auch  viele  in  Algerien  gemachte 
Funde  beizog ,  daneben  auf  die  Nothwendigkeit  einer  Bei- 
hilfe sowohl  seitens  der  vergleichenden  Anatomie  als  auch 
seitens  der  Sprachkuude  hinweisend.  Seit  dem  Frühjahre 
1876  hatte  er  nach  häufigem  Wechsel  seines  Aufenthaltes 
sich  in  Bern  niedergelassen ,  woselbst  er  in  Folge  einer 
chirurgischen  Operation  am  8.  Oct.  1877  starb.  (Ueber 
Störungen  der  düsternsten  Art,  welche  durch  ihn  in  sein 
Familienleben  eingerissen  waren,  s.  „Gartenlaube",  1875, 
S.  472  u.   1876  S.  376). 


194  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1878, 


Der  Classensecretär  Herr  v.  G  i  e  s  e  b  r  e  c  bt  verwies 
bezüglicb  eines  der  verstorbenen  Mitglieder  gleichfalls  auf 
die  liiemit  folgende  Druck-Veröffentlichung: 

Die  historische  Classe  hat  ausser  ihrem  ordentlichen 
Mitgliede,  Alexander  Herculano  de  Carvalho,  ein 
hiesiges  ausserordentliches  Mitglied  verloren,  den  Landtags- 
Archivar  und  k.  Regierungs-Director  Pleikard  Stumpf, 
der  seit  dem  Jahre  1852  der  Akademie  angehörte. 

PI.  Stumpf  vrnrde  am  6.  September  1807  zu  Bamberg 
geboren,  wo  damals  sein  Vater,  der  1820  verstorbene  Re- 
gierungsdirector  Andr.  Seb.  Stumpf,  angestellt  war.  Durch 
den  veränderten  Wirkungskreis  des  Vaters  kam  PI.  Stumpf 
früh  nach  Würzburg,  besuchte  dort  das  Gymnasium  und 
die  Hochschule  und  setzte  später  das  Studium  der  Juris- 
prudenz auf  der  hiesigen  Universität  fort.  Tm  Jahre  1837 
wurde  er  als  Archivactuar  in  Würzburg  angestellt  und  ge- 
wann sich  in  seiner  amtlichen  Thätigkeit  bald  solche  Aner- 
kennung, dass  ihn  sechs  Jahre  später  die  beiden  Kammern 
Bayerns  zum  Landtagsarchivar  wählten.  In  dieser  Stellung, 
die  er  bis  zu  seinem  Tode  bekleidete,  hat  er  sich  die  Hoch- 
achtung und  Liebe  der  Mitglieder  beider  Kammern  in  hohem 
Grade  zu  erwerben  gewusst.  Seine  Verdienste  sind  von 
höchster  Stelle  wiederholen tlich  durch  Orden  und  Ranger- 
höhungen gewürdigt  worden. 

Stumpf  lag  in  seinen  Mussestunden  mit  Vorliebe  hi- 
storischen Studien  ob,  die  sich  vorzugsweise  auf  die  Landes- 
geschichte bezogen.  Unter  den  Früchten  dieser  Studien 
sind  besonders  bemerkenswerth  die  beiden  grösseren  Werke : 
,, Bayern,  ein  geographisch-statistisch-historisches  Handbuch 
(München  1852)"  und  ,, Denkwürdige  Bayern.  Kurze  Le- 
bensbeschreibungen verstorbener  verdienter  Männer,  die  in 
den    Landesgebieten    des   jetzigen    Königreichs  Bayern    ge- 


V.  Giesebrecht :  Nekrolog  auf  PleiJcard  Stumpf.  195 

boren  oder  durch  längeren  Aufenthalt  ihm  angehörig  waren 
(München  1863)."  Das  letztgenannte  Werk  war  veranlasst 
durch  einen  Preis ,  welchen  der  hochselige  König  Maximi- 
lian II.  auf  Antrag  der  historischen  Comraission  unserer 
Akademie  für  Biographien  berühmter  oder  verdienter  Bayern 
im  Jahre  1860  aussetzen  Hess.  Stumpf  legte  den  Plan  zu 
einem  Bayerischen  Plutarch  der  Commission  vor,  welche 
demselben  ein  Accessit  zuerkannte.  Auf  Grund  dieses  Plans 
hat  dann  Stumpf  das  durch  patriotische  Wärme  ausge- 
zeichnete Werk  ohne  weitere  Mitwirkung  der  Commission 
ausgearbeitet  und  veröffentlicht. 

Stumpf  war  ein  thätiges  Mitglied  des  historischen  Ver- 
eins von  und  für  Oberbayern ;  au  den  Arbeiten  der  Aka- 
demie hat  er  sich  wenig  betheiligt.  Sein  Tod,  der  hierselbst 
am  15.  Juli  vorigen  Jahres  erfolgte,  erweckte  in  weiten 
Kreisen  lebhafte  Theilnahme. 


[1878.  I.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  2.]  15 


Sitzungsberichte 


der 


königl  bayer.   Akademie  der  Wissenschaften, 


Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  vom  2.  März  1878. 


Herr  T  r  u  m  p  p  legte  vor : 

„Beiträge   zur   Erklärung   des   Mufassal." 

Das  Mufassal  des  gelehrten  Zama^sari  gehört  unstreitig, 
mit  dem  Kitäb  des  Sibavaih  (dessen  Ausgabe  wir  bald  er- 
warten dürfen),  zu  den  ersten  cl assischen  Werken  der 
arabischen  Grammatiker  (aus  der  Schule  von  Basrah)  und 
bezahlt  reichlich  die  Mühe  eines  eingehenden  Studiums.  Es 
ist  concis  und  bietet  doch  eine  reiche  Fülle  des  gram- 
matischen Stoffes,  ja  es  behandelt  mit  einer  gewissen  Vor- 
liebe gerade  solche  Puncto,  die  zu  den  dunkelsten  (für 
Nicht- Araber)  gehören.  Daran  erkennt  man  leicht,  dass 
der  Verfasser   selbst   ein  Nicht -Araber  (Perser)  *)   gewesen 


1)  Er  stammte  aus  dem  Dorfe  (sj)  y-^iJ^V  in  f\yy^ 
(Persisch:  /ärizm  mit  xjjjow  .1.)  und  heisst  daher  ^^wCiv^JI . 
Sein  eigentlicher  Name  ist     y^   ^    ^y^    ^J.J    jv^LäJI   yi\ . 


k 


[1878. 1.  Philol.-philos.-hist.  Cl.  3.]  16 


198        Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

ist,  der  erst  das  Arabische  sich  angelernt  und  aus  Enthusias- 
mus für  diese  Sprache  lange  Zeit  unter  den  Arabern  (in 
Bagdad  und  Makkah)  gelebt  hat.  Aus  diesem  Umstände 
erklärt  sich  bis  auf  einen  gewissen  Grad  die  Schärfe  und 
Genauigkeit  seiner  grammatischen  Arbeiten :  denn  ein 
Fremder,  der  sich  in  eine  andere  Sprache  gänzlich  hinein- 
arbeitet, so  dass  er  darinnen  lebt  und  webt,  fasst  dieselbe 
gewöhnlich  viel  schärfer  nach  ihrem  ganzen  Baue  und  ihren 
Eigenthümlichkeiten  auf,  als  ein  Eingeborner,  der  sich  seine 
Muttersprache  nicht  in  diesem  Grade  zu  objectiviren  pflegt, 
wenn  er  sich  nicht  schon  mit  einer  fremden  Sprache  ein- 
gehend beschäftigt  hat  und  dadurch  zur  Erkenntniss  des 
eigenthümlichen  Wesens  seiner  Muttersprache  gelangt  ist. 
Es  ist  darum  nicht  zu  verwundern ,  wenn  wir  die  besten 
grammatischen  Werke  über  die  arabische  Sprache  und  die 
besten  Qur'än-Commentare  gebornen  Persern  verdanken ,  die 
auch  in  der  Lexicographie  vorzügliches  geleistet  haben,  ob- 
schon  wir  bedauern  müssen ,  dass  sie  darüber  ihre  eigene 
vortreffliche  Muttersprache  hintangesezt  haben.  Den  ein- 
gebornen  arabischen  Grammatikern  klebt,  wie  man  so  häufig 
Gelegenheit  hat  zu  bemerken,  hauptsächlich  der  Mangel  an, 
dass  sie  keine  fremde  Sprache,  nicht  einmal  eine  der  ihnen 
zunächst  liegenden  semitischen  Sprachen  zu  erlernen  pflegten 
und  darum  auch  von  ihrem  beschränkten  Horizont  aus  keinen 
Vergleich  ziehen  konnten,  der  sie  über  manche  Eigenthüm- 
lichkeiten oder  dunkle  Puncte  ihrer  eigenen  Sprache  sofort 
aufgeklärt  hätte. 

Zama;{sari  (geb.  a.  H.  467,  f  538)  hat  nach  Ibn  X^alli- 
kän  drei  grammatische  Werke  verfasst ,  das  J..*äax>  ,  das 
-^J^j!  (ein  'Auszug  aus  dem  Mafassal ,  von  dem  De  Sacy 
in  seiner  Anthol.  gram.  ar.  den  dritten  Abschnitt    über|die 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  199 

Partikeln  publicirt  hat)  *)  uucl  ^^1  ^^  oii^JI^  4>>.aJI, 
von  dem  bis  jetzt  nocli  nichts  weiter  bekannt  geworden  ist. 
Sein  Hauptwerk,  das  Mufassal,  soll  er  im  Anfang  des  Monats 
Ramadan  a.  H.  513  (a,  Ch.  1119  —  20)  begonnen  und  im 
Anfang  des  Muh'arram  515  (a.  Ch.  1121 — 2)  vollendet 
haben. 

Es  ist  ohne  Commentar  nur  schwer  verständlich ,  be- 
sonders da  so  manche  Verse  nur  bruchstückweise  citirt  sind; 
es  ist  daher  ein  grosses  Verdienst,  dass  Dr.  Jahn  die 
Herausgabe  des  umfassenden  Commentars  von  Ibn  Ya?is 
dazu  unternommen  hat,  was  das  Werk  uns  erst  recht  zu- 
gänglich macht. 

Ibn  Ya^is  (geb.  zu  Halab  a.  H.  553  (a.  Ch.  1158), 
f  643  (a  Ch.  1245)  ist  ein  durchaus  selbstständiger  Cora- 
mentator,  der  sich  nur  lose  an  den  Text  des  Mufassal  hält 
und  häufig  seinen  eigenen  Weg  geht.  Er  fügt  viele  werth- 
voUe  Ergänzungen  hinzu,  ist  aber  auf  der  einen  Seite  viel 
zu  breitspurig  und  auf  der  andern  wieder  zu  knapp,  da  er 
manches  überspringt,  über  was  man  recht  gerne  eine  Be- 
lehrung hingenommen  hätte.  Das  hohe  Lob,  das  ihm  Ibn 
A'allikän  ertheilt  (dass  unter  allen  Commentaren  keiner  dem 
seinigen  gleich  komme)  scheint  mir  darum  etwas  zu  hoch 
gegriffen,  da  nach  meiner  Erfahrung  sein  Commentar  mit 
der  klaren  und  bündigen  Erklärung  der  Alfiyyah  durch  Ibn 
?Aqil  nicht  wetteifern  kann.  Es  ist  oft  recht  mühsam  sich 
durch  seine  langen  und  nicht  selten  hausbackenen  Exposi- 
tionen hindurchzuwinden,  die  viel  conciser  und  darum  auch 
klarer  hätten  gegeben  werden  können. 


1)  Eine  ganze  Ausgabe  des   _,v>«»^l    wäre  sehr  erwünscht   und 
eine  Erleichterung  für  das  Verständniss  des  Mufassal. 


16 


200        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

So  reichhaltig  im  ganzen  auch  das  Mufassal  ist,  so 
sind  doch  darin  manche  wichtige  Puncte  übergangen.  Es 
i-st  daher  höchst  lehrreich  das  grosse,  spätere  grammatische 
Werk  aus  der  Basrischen  Schule,  die  Alliyyah  des  Ibn  Mälik 
(f  a.  H.  672)  mit  dem  gelehrten  Commentar  des  Ibn  ^Aqil 
(ed.  Dietericij  damit  zu  vergleichen,  wodurch  manches  er- 
gänzt oder  in  ein  helleres  Licht  gestellt  wird.  Ibn  Mälik 
und  sein  Commentator  erwähnen  zwar,  so  weit  icli  mich 
erinnern  kann,  Zama;^sari  nie  mit  Namen  noch  eines  seiner 
grammatischen  Werke ,  obschon  sie  Sibavaih  und  andere 
ältere  Grammatiker  oft  genug  citiren ;  es  ist  jedoch  kaum 
anzunehmen,  dass  ein  so  berühmter  und  fruchtbarer  Schrift- 
steller ihnen  unbekannt  gewesen  sein  könne.  Der  Grund 
davon  ist  wohl  nur  der,  dass  sie  sich  mit  Zama;(sari 
in  Einklang  wussten  und  darum  kein  Grund  zur  Polemik 
vorlag  und  dass  zu  jener  Zeit  der  Auctorität  eines  Sibavaih, 
Al-a/fas  (des  mittleren),  Al-asma^i  etc.  gegenüber  die  von 
Zamaxsari  noch  zurückstand.  Wie  dem  aber  auch  sein 
möge,  beide  Werke  ergänzen  einander  vortrefflich  und  bilden 
zusammengenommen  ein  Compendium  der  arabischen  Syntax, 
das  für  das  Studium  dieser  einzigartigen  Sprache  die  besten 
Mittel  darbietet,  zumal  die  Alfiyyah  durch  die  üebersezung 
Dieterici's  leicht  zugänglich  gemacht  worden  ist. 

Wir  haben  daher  im  nachfolgenden  überall  in  den 
Anmerkungen  auf  die  Alfiyyab  Rücksicht  genommen,  wo 
solches  zur  Aufhellung  des  Textes  förderlich  schien. 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  201 

Uebersezung  des  Mufassal. 

Ina  Namen  Gottes  des  Barmlierzigen,  des  Gnädigen ! 
0  mein  Herr,  las^e  es  gelingen  und  vollende  es  aufs  beste! 


(Vorrede.) 

Ich  lobe  Gott,  dass  er  micli  gemacht  hat  zu  einem  der 
Gelehrten  der  arabischen  Sprache  und  dass  er  mir  einge- 
prägt hat  Unwillen  um  der  Araber  willen  *)  und  Eifer  (um 
sie),  und  dass  er  es  mir  nicht  zugelassen  hat,  dass  ich  ge- 
trennt würde  von  den  besten  ihrer  Unterstüzer  und  ab- 
gesondert, und  dass  ich  mich  anschlösse  an  den  zusammen- 
gelaufenen Haufen  der  Smübiten  ^)  und  mich  abseits  wandte, 
und  dass  er  mich  bewahrt  hat  vor  ihrer  Ansicht,  die  ihnen 
nichts  darbietet  ausser  das  (Pfeil-)Schiessen  mit  den  Zungen 
der  Verwünschenden  und  das  schnelle  Stossen  mit  den 
Lanzenspizen  der  Durchbohrenden;  und  an  den  vortrejff- 
lichsten  der  Vorangehenden  und  Nachfolgenden  ^)  richte  ich 


1)  2U  v_A^i^ }  zürnen ,  unwillig  sein  um  jemandes  willen ,  wenn 
er  am  Leben  ist,  und   mi    v^^^it ,    wenn  er  todt  ist. 

2)  sixjyXMK"  ,  eine  Secte,  welche  die  Araber  raissachteten  und  die 
*^   über  sie  stellten. 

3)  ^.o-iJt,  zunächst  von  Pferden  bei  einem  Wettrennen  ge- 
braucht, dasjenige,  welches  dem  vorangehenden  unmittelbar  folgt  (dessen 
Kopf  an  dem  Hinterheil ,  ^^ ,  des  vorangehenden  ist).  Nach  Ibn 
Ya*i§  steht  ^j^x-l^o-^JI^  ^^xfibLw.Jt  figürlich  für:  ^j^ä.^L  ^j^L^I 
/TvaAüÜI  ^^yOf  (der  beste)  der  ersten  und  lezten  von  den  Arabern  und 
Nicht- Arabern. 


202        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

die  besten  Gebete  der  Betenden,  an  Muh'^ammad,  der  um- 
geben ist  von  den  grossen  ^)  und  den  selbstständigen  Stäm- 
men von  den  Söhnen  ?Adnän's ,  ^)  der  herkommt  von  dem 
Stamme  Qurais  in  der  Mitte  ihres  ausgedehnten  Landes,  der 
gesandt  ist  zu  dem  Schwarzen  und  dem  Rothen  ^)  mit  dem 
erleuchteten  arabischen  Buche  ;  und  für  seine  Familie ,  die 
guten,  bitte  ich  Gott  um  Gnade,  und  ich  rufe  ihn  an  gegen 
die  Leute,  die  mit  ihnen  in  Streit  und  Feindschaft  leben. 
Und  vielleicht  sind  diejenigen,  welche  die  arabische  Sprache 
herabdrücken  und  ihren  Werth  mindern ,  und  herabziehen 
wollen  ihren  Leuchtthurm,  den  Gott  erhöht  hat,  insofern  '*) 
er  den  besten  seiner  Gesandten  und  das  beste  seiner  Bücher 
nicht  unter  seine  nicht-arabischen  Geschöpfe,  sondern  unter 
seine  Araber  gesezt  hat,  nicht  fern  von  den  Su?übiten,  in- 
dem sie  dem  klarsten  Recht  offen  widerstreiten  und  ab- 
weichen von  dem   geraden  Pfade;   und  das  was  Verwunder- 


1)  [VÄ.U.Ä.  PI-  von  Ä4.^Ä» ,  ein  arabischer  Stamm,  der  (Oj-laj , 
oder  Unterstämme  umfasst,  während  Lä.^  (PI.  sLi^J)  ein  selbst- 
ständiger Stamm  für  sich  ist;  es  gibt  deren  fünf. 

'r  "  " 

2)  j^üt\£ ,     ein   Urahne    des   Propheten.     Ihn  Ya?i§   führt  den 

Stammbaum  Muh'aramads  bis  auf  ?Adnän  zurück ,  der  von  den  Söhnen 
Ismaels  sein  soll.  Von  »Adnän  bis  auf  Israael  j-^ioch  fehlt  die  Linie. 
Die  Genesis  25,  13  sqq.  führt  12  Söhne  Ismaels  auf,  die  Fürsten  über 
ihre  Stämme  geworden  sind. 

3)  Unter  dem  Schwarzen  wird  der  Araber,  und  unter  dem  Rothen 
der  Nicht-Araber  verstanden. 

4)  Ibn  Ya»i§  sagt,  dass  »caxä.  von  ^yXjcii  abhänge;  in  diesem 
Falle  müsste  es  durch  „während"  übersezt  werden.  Es  ist  aber  ein- 
facher,  wenn  man  hier  cy^Ä.  statt  des  gewöhnlichen  o».j^  ^JWO 
fasst,  da  dies  dem  nächsten  Zusammenhang  ^m  besten  entspricht 


I 


\ 


Trumpp:  Beiträge  zur  ErJdärung  des  Mufassal.  203 

uug  hervorruft  ist  der  Umstand,  dass  sie  sich  in  wenig 
Billigkeit  und  in  einem  Ueberraass  von  Ungerechtigkeit  und 
Dahinlaufen  aufs  geradewohl  befinden,  und  das  darum,  dass 
sie  keine  der  islamitischen  Wissenschaften,  die  Jurisprudenz, 
die  GrandbegrifFe  der  Religion  ^),  die  Wissenschaft  der  Exe- 
gese und  der  historischen  Nachrichten  finden  ausser  ihr 
Bedürfniss  für  die  arabische  Sprache  ist  evident  und  un- 
eutfernbar,  und  aufgedeckt  und  nicht  zu  verschleiern  ;  und 
dass  sie  die  Rede  über  die  wichtigsten  Capiteln  der  Grund- 
begriffe der  Jurisprudenz  und  ihrer  Fragen  auf  die  Wissen- 
schaft der  grammatischen  Flexion  gebaut  sehen  und  die 
(Qur'än-)Erklärungen  voll  von  Ueberlieferungen  von  Siba- 
vaih  und  Al-a/fas  und  Al-kisäi  und  Al-farrä'  und  andern 
der  basrischen  und  küfischen  Grammatiker,  und  dass  man  an 
den  Orten  aus  denen  man  die  Aussprüche  ^)  deducirt  (und 
erläutert),  bei  ihren  Worten  Hilfe  sucht,  und  dass  man  sich 
an  die  Säume  ihrer  wörtlichen  und  figürlichen  Erklärung 
anklammert. 

Und  in  dieser  Sprache  ist  ihre  ^)  Mittheilung  über  die 
Wissenschaft  und  ihre  Unterredung,  ihr  Unterrichten  und 
ihr  Disputiren,  in  ihr  tröpfeln  ihre  Federn  auf  das  Papier, 
in  ihr  schreiben  ihre  Richter  die  Rescripte  ihrer  Entscheid- 
ungen und  Urtheile.  Sie  sind  also  eingekleidet  in  die 
arabische  Sprache,  wohin  sie  immer  reisen,  sie  lassen  nicht 
ab  von  ihr,  wohin  sie  sich  immer  wenden,  sie  drücken  auf 
sie,*)  wo  sie  herumwandern. 


1)  So  erklärt  Ibn  Ya^^is  das  Wort  ^%S  hier.  Es  ist,  was  wir 
Dogmatik  nennen,  systematische  Entwicklung  der  Grundbegriffe  der 
Religion. 

2)  I.  e.  des  Quräns  und  der  Sunnah. 

3)  I.  e.  der  Gelehrten. 

4)  L.^A.Ä    J.^,    wörtlich:   (sie  sind)  eine  Last  auf  ihr  (cf.  Qur. 

16,  78),  d.h.   sie  hängen  sich  an  sie,   wie   ein   Gewicht,   lassen  nicht 
von  ihr. 


204        Sitzung  der  phüos.'phüol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Dann  läugnen  sie  *)  um  das  zwei-  und  dreifache  von 
diesem  ^)  ihre  Vortrefflichkeit  und  schaffen  weg  ihre  Su- 
periorität,  sie  wenden  sich  ab  von  ihrer  Werth-  und  Hoch- 
schäzung  und  untersagen  sie  zu  lernen  und  zu  lehren,  sie 
zerfleischen  ihre  Haut  und  essen  ihr  Fleisch;  sie  handeln 
also  darin  nach  dem  gangbaren  Sprüchwort:  die  „Gerste 
wird  gegessen  und  getadelt''.  Sie  behaupten ,  dass  sie  sie 
entbehren  können  und  dass  sie  mit  ihr  nichts  zu  than 
haben.  Wenn  also  das  richtig  ist,  was  ist  dann  ihr  Zu- 
stand? Sie  geben  nicht  gänzlich  auf  die  Wortkenntniss  und 
die  Flexion,    sie  hauen    nicht  ab  zwischen  diesen  zwei   und 

V 

ihnen  (den  Su?ubiten)  die  Verbindungen,  so  dass  sie  von  der 
Erklärung  des  Qurän  die  Spuren  beider  verwischten  und 
von  den  Principien  der  Jurisprudenz  den  Staub  beider  ab- 
wischten ,    dass  sie  nicht  redeten  von  der  Ausnahme :   denn 


^    WM«0         Ö    ^  ^ 

1)  Das  "sie*  geht  auf  ^TwJtXJf   JJü   zurück.    Zama/ääri  versteht 

wohl  darunter  hauptsächlich  seine  eigenen  Landsleute,  die  Perser,  welche 
die  Superiorität  der  arabischen  Sprache  nicht  anerkennen  wollten ,  ja 
sogar  anfiengen,  das  eingedrungene  Arabische  wieder  aus  ihrer  Sprache 
auszumerzen  (Shähnamah). 

2)  Es   ist  fraglich,    wie    der    Ausdruck    »iJlJj    uftXftLij   ^^  zu 

verstehen  ist.   Nach  dem  Commentar  des  Ihn  Yang  bedeutet  («jixÄLoJ 

das  zwei-  und  mehrfache,  weil  es  in  diesem  Sinne  nur  im  Plural  ge- 
braucht wird,  wie  er  bemerkt;  ^^  würde  dann  in  der  Bedeutung  der 
Multiplication  stehen.  Der  Sinn  wäre  dann :  sie  läugnen  um  das  zwei- 
und  dreifache  mehr,  als  was  von  der  Vortrefflichkeit  und  Noth wendig- 
keit  der   arabischen   Sprache    gesagt   worden   ist,   etc.     Da  nach  Lane 

(p.  1792)  LjixcLdJ»  auch  =  oLä.öI  ist,  im  Sinne  von  „Zwischen- 
raum zwischen  den  Linien  eines  Buches",  so  könnte  viJÜj  i—ixÄLoj  ^^ 

auch  bedeuten:  „in  den  Zwischenräumen  von  diesem",  d.  h.  während 
sie  das,  was  von  der  arabischen  Sprache  gesagt  worden  ist,  nicht  ver- 
peinen  können,  so  läugnen  sie  doch  dazwischen  hinein  etc. 


Trumpp:  Beitröge  zur  ErJclärung  des  Mufassal.  205 

das  ist  Syntax,  und  vom  Unterschied  zwischen  dem  üeter- 
minirten  und  Indeterminirten :  denn  das  ist  Syntax;  von 
der  Determination  der  Gattung  und  der  Determination  des 
Bekannten:    denn    diese    beide    sind   Syntax;    von  den  Par- 

-55'. 

tikeln,  wie*^ ,   o,   aö  ,  dem  Läni    des    Besitzes,    dem   Mim 

der  Theilung  und  den  ihnen  ähnlichen;  von  der  Auslassung 
und  der  Verschweigung ;  von  den  Capiteln  der  Abkürzung 
und  der  Wiederholung;  von  der  Ehescheidung  (ausgedrückt) 
durch  das  Verbalnoineu  und  das  Nomen  ageutis;  ^)  von  dem 

Unterschied  zwischen    ,j|  und  ,jl ,   lc>|^  und  ,Jmq  und  UJ.3 

und  ähnlichen,  deren  Erwähnung  zu  weitläufig  wäre:  denn 
diese  alle  gehören  zur  Syntax.  Und  warum  haben  sie  nicht 
für  thöricht  erklärt  die  Meinung  des  Muh'ammad  bin  Al- 
h*^asan  as-saibäni ,  über  den  sich  Gott  erbarmen  möge !  in 
Betreff  dessen  was  er  niederlegte  in  dem  Buche  der  Schwüre  : 
,,und  warum  bedienen  sie  sich  nicht  in  den  Unterrichts- 
sizungen    und    in    den     Disputation scirkeln    einer    fremden 


1)  Ibn  Ya^is  bemerkt  dazn,  dass  wenn  Jemand  sage:  (JJL^b  ool , 
80  sei  die  Frau  von  ihm  geschieden,  auch  wenn  er  das  nicht  beabsich- 
tigt  habe;  gebrauche  er  aber  das  Verbalnomen  und  sage:  ^^^Lb  oJl , 
so  finde  die  Scheidung  nur  nach  seiner  Intention  statt,  sei  noch  keine 
giltige,  obschon  andere  es  auch  anders  fassen.   Ueber  den  Gebrauch  der 

Verbalnomina   im  Sinne  eines   JxLftJI    ^m}   macht  Ibn  Ya*i§  die  wohl 

zu  beachtende  Bemerkung,  dass  sie  entweder  durchaus  unverändert 
bleiben,  ohne  Rücksicht  auf  die  Zahl  und  das  Geschlecht  des  Substan- 
tivs,  dem  sie  zur  Qualification  dienen  (und  dies  sei  das  bessere),   oder 

dass    sie    in    den    Dual   und    Plural    gesezt    werden    (z.  B.    JtXß , 


206        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Sprache?  Dann  mögen  sie  zusehen,  ob  sie  der  Wissenschaft 
eine  Schönheit  und  einen  Glanz  lassen  und  ob  die  distin- 
guirten  Leute  den  gemeinen  Leuten  gleich  stehen ;  ob  sie 
zum  Gegenstand  des  Hohns  werden  für  die  Spötter,  und 
zum  Gegenstand  des  Gelächters  für  die  Zuschauer.  So  ist 
es.  Denn  die  Flexion  ist  nüzlicher  als  die  Brechungen  des 
Stabes  *)  und  ihre  schönen  Spuren  sind  zahllos  wie  der 
Kies.  Und  wer  Gott  nicht  fürchtet  in  seinem  geoffenbarten 
Buche  und  es  also  wagt  die  Erklärung  desselben  anzu- 
fassen, während  er  die  Wissenschaft  der  Flexion  nicht  ver- 
steht, der  reitet  ein  blindes  Kamel  und  schlägt  den  Boden 
wie  ein  kurzsichtiges  Kamel." 

Und  er  sagt:  ,,was  ist  eitles  Reden  und  Erdichten  und 
Schwazen ,  während  das  Wort  Gottes  frei  davon  ist;  und 
das  ist  die  Leiter,  die  aufgestellt  ist  zur  Wissenschaft  der 
Erklärung,  die  Kunde  gibt  von  den  schwierigen  Puncten 
des  Qur'äns,  die  einsteht  für  die  Darlegung  seiner  schönen 
Eigenschaften,  die  betraut  ist  mit  der  Ausgrabung  seiner 
Minen;  und  wer  davon  also  abhält  ist  wie  der,  der  die 
Wege  des  Guten  versperrt,  damit  sie  nicht  begangen  werden, 
und  wie  der,  der  in  Betreff  der  Wege  zu  demselben  (i.  e. 
dem  Guten)  die  Absicht  hat,  dass  sie  verabscheut  und  ver- 
lassen werden." 

Es  hat  mich  fürwahr  angetrieben  das  Bedürfniss  der 
Muslim  für  die  Kenntniss  der  Rede  der  Araber,  und  mein 
Mitgefühl  und  meine  Ergebenheit  gegen  meine  Genossen, 
die  Mitarbeiter  in  der  Philologie,  zur  Abfassung  eines 
Buches  über  die  Flexion,  das  die  Gesammtheit  der  Capitel 
(derselben)  umfasst,  wohl  angeordnet  ist,  sie  (die  Capitel) 
zu  dem  fernen  Ende   auf  dem  nächsten  Wege  bringt,    und 


2)  „Nüzlicher  als  die  Brechungen  des  Stabs"  ist  ein  arabisches 
Spruch  wort,  weil  aus  jeder  Brechung  des  Stabes  ein  neuer  Nuzen  resul- 
tiren  soll.    S.  Ibn  Yans,  p.  17. 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  3Tu,''as.^aI.  207 

ihre  Eimer  auf  die  leichteste  Weise  mit  Wasser  füllt.  So 
habe  ich  also  dieses  Buch  verfasst,  das  betitelt  ist:  kitäbu- 
Imufassal,  über  die  Bildung  der  Flexion,  eingetheilt  in  vier 
Theile 

I.  Theil :  über  die  Nomina. 
IL  Theil:  über  die  Verba. 

III.  Theil:  über  die  Partikeln. 

IV.  Theil:  über  das  Homonyraum.  *) 

Ich  theilte  ab  einen  jeden  dieser  Theile  und  behandelte 
jede  Abtheilung  davon  besonders ,  so  dass  jedes  Ding  zu 
seinem  Ursprung  zurückkehrt  und  an  seinem  Standorte 
steht,  und  nicht  reservirte  ich  mir  etwas  in  dem  was  ich 
darinnen  zusammen  stellte  von  den  vielfachen  Nuzau Wend- 
ungen, und  was  ich  (wie  Perlen)  au  einander  reihte  von 
den  zerstreuten  Edelsteinen,  mit  einer  nichts  vermissen 
lassenden  Redekürze,  und  einer  nicht  anwidernden  Heraus- 
hebung der  Hauptpunkte,  aufrichtig  berathend  die  welche 
von  ihm  (dem  Buche)  lernen  wollen. 

Ich  hoflPe,  dass  ich  von  ihnen  ernten  werde  die  zwei 
Früchte  eines  erhörten  Gebets  und  eines  schönen  Lobes,  und 
Gott,  dessen  Herrschaft  erhaben  ist,  ist  der  Herr  der  Hilfe 
zu  jedem  Guten  und  der  Stärkung,  und  reichlich  darreichend 
die  Förderung  in  demselben  und  die  rechte  Leitung. 


§   1.     (Einleitung). 

5^    ^  G  -  - 

lieber  die  Bedeutung  von  iU^>   und  f»^5  . 
ä^aXII   ist  das  Wort,  *)    das    hinweist    auf   einen    ein- 


9  ^^  O 


1)   ^Äxc^JI,    statt:   iui   du'Xi^JI ,    ein   Wort,    in    das    sich 
verschiedene  Bedeutungen  theilen. 

0  o^ 

1)   Cf,  Alf.    y.    8.  9.    Com.    ia^J    ist  Ausdruck  im  allgemeinen 


208        Sitzung  der  phüos.-phüol,  Classe  vom  2.  März  1878. 

zelnen  Sinn  dnrcli  die  conventioneile  Bedeutung  des  Wortes, 
und  das  ist  ein  GattuDgsnomen,  das  drei  Arten  in  sich  be- 

greift,  nämlicli  das  Nomen  (fv^*^!^!)?  <ias  Verb  um  (JjtiJI) 
und  die  Partikel  (^^1).  Die  Rede  (der  Saz ,  jl^öl) 
ist  das  aus  zwei  Wörtern  zusamraengesezte,  von  denen  eines 
an  das  andere  angelehnt  wird,  und  das  ist  nicht  ausführbar 
ausser  bei  zwei  Nominibus,  wie  du  sagst:  Zaid  (ist)  dein 
Bruder,  und:  Bisr  ist  dein  Genosse;  ^)  oder  bei  einem  Verb 
und  einem  Nomen,  wie  du  sagst:  es  schlug  Zaid,  und:  es 
gieng  Bakr ;  ^)  dies  nennt  man  einen  Saz.  ^) 

I.  Theil. 

§2. 
Von  den  Nominibus. 

Das  Nomen  (jVA«yi)  ist  dasjenige,    was   auf  einen  Sinn 


9-  o. 


(»JbJii  ein  einzelner  Ausdruck),  der  die  Rede  f*^^),  das  Wort  und 
die  Wörter  {(J<.^  und  iljii^) ,  das  Gebräuchliche  und  Ungebräuch- 
liche in  sich  begreift. 

1)  Dies  sind  Nominalsäze   (iU^^wl    'iJ^4^)   und    zwar   der    erste 

6,9. 

ein  reiner  Nominalsaz,  da  sein  Xabar  ein  JooL^  ^'  ist,  das  kein 
verborgenes  Pronomen  in  sich  schliesst. 

2)  Dies  sind  Verbalsäze  (iitjüjii  äJUä..)  bestehend  aus  einem  Verb 

9 

und  einem  sichtbaren   JläÜ  ,  oder  Activsubject. 

3)  xig*^  ist  jeder  Saz,  habe  er  einen  abgeschlossenen  Sinn  oder 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassdl.  209 

in  sich  selbst  ^)  hinweist,  entblöst  von  der  Verbindung  (mit 
der  Zeit)  ^).  Ihm  kommen  besondere  Eigenschaften  zn, 
nämh'ch:  die  Möglichkeit  als  Subject  (eines  Sazes)  zu  stehen,^) 
das  Vortreten  der  Partikel  der  Determination  (i.  e.  des  Ar- 
tikels), der  Genetiv,  das  Tanvin,  die  Annexion. 

§3. 

Zu  den  Nominibus  gehört  das  Nomen  der  Gattung. 

Und    das    ist    was   beigelegt     wird    (als    Bezeichnung) 
einer  Sache  und  jeder,    die  ihr  gleicht.      Man  theilt  es  eia 

in  1)  Nomen  concretum   \^'fr^  |V^U'   und    2)    Nomen    ab- 

stractum  (Nomen  der  Idee,   (^'*Ji^   jv^wl).     Beide  theilt  man 

wieder  ein  1 )  in  das  Nomen,  das  kein  Qualificativ  ist  (reines 
Substantiv)   und  2)  in  das  Nomen,   das  ein  Qualificativ  ist. 

ö  ,  - 
Das   Nomen,    das  kein  Qualificativ  ist,    ist  z.  B.   0<^\ 

6-"-  6  "  ®  o  - 

(Mann),  |j*^vi  (Pferd),  *1ä  (Wissenschaft),  J^^  (Unwissen- 
heit),    und   das    Qualificativ   ist   wie    z.  B.    v^- 7    (reitend), 

0  ji  9      >  o-  9-  o   > 

U*JLä.  (sitzend),  (»^-^^  (verstanden),  v4-ojo  (im  Sinne  be- 
halten). 


nicht;    Jj<S^  dagegen   ist   in   der  Terminologie  der  Grammatiker   nur 

der  vollständige  Saz. 

1)  Zum  Unterschied  von  den   o^yÄ. 

2)  Zum  Unterschied  vom  Verhura ,   das  mit  einem  Zeitbegriff  ver- 
bunden ist. 

3)  2uj|   JoUw^l ,   das  auf  welches  praedicativ  bezogen  wird,  das 
Subject,    JOLwwL«JI   das  Praedicat. 


210        Sitzung  der  j^hüos.-philol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

§4. 
Zu  den  Nominibus  gehört  der  Eigenname. 

Und  das  ist  das,  was  einer  Sache  speciell  beigelegt 
wird  ohne  das  sich  anzueignen,   was  ihr  gleicht.     Es  muss 

nothwendigerweise   ein    Nomen    sein ,    wie   tX.^\  und  y^xs^ , 

oder  eine   ^-f^^ ,  ^)    wie   ^y^   yi'    und    r^y^    r»'  ?   oder  ein 

s-j^ÄJ    (Beiname),  ^j    wie    &nj   (Flasche)   und    xü*    (trockene 
Gurke). 

Man  theilt  ihn  ein  in  einfachen  und  zusammen- 
gesezten,  in  übertragenen  (tropischen)  und  im- 
provisirten. 

Der  einfache  ist  wie  tXJS  und  ^r*^j   cler   zusam- 

mengesezte   ist   entweder  ein  Saz,    wie   ö>^   ^y^  (sein 

Hals  glänzte)    und  L-ti   iajü'   (er  trug  Unheil  unter  seinem 

Arm)  ^)   und   Laä.   ^5n(>    (er  worfelte  Getreide),    und  iPü^-i* 

6-t.'  yf        i^  ,0  »-0 

1)    Äjuo    ist  ein  Zuname,  der  mit  ^f ,     *f ,    ^^^' ,    äaj!     oder 

>    o 

v.:>«;^    zusammengesezt  ist.    Auch  von  Thieren  gebraucht. 

2j  Der  ^_^  kann  ein  Spizname  (yo)  sein,  oder  ein  Ehren- 
name. Er  muss  immer  nachstehen ,  wenn  er  mit  einem  Namen  ver- 
bunden ist.     Alf.  V.  74,  Com. 

3)  Nach  Ibn  Ya*i§  soll  er  eine  Schlange  unter  seinem  Arm  ge- 
tragen  haben.  Solche  Zusammensezungen  werden  ^^t^Lw^!  nwOw« 
(praedicativum  compositum)  genannt. 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassah  211 

V^«w  (ihre   zwei    Locken    waren    grau\    und   tX:?VJ    wie   in 

dem  Verse  des  Dichters: 

,,Ich  wurde  benachrichtigt,  dass  meine  mütterlichen 
Oheime,  die  Bani  Yazid  ^)  tyrannisch  handeln  gegen 
uns,  es  ist  ein  Geschrei  über  sie."     (7^;^ 

Oder  kein  Saz,    (sondern)  zwei  Nomina,    die  als  Ein 

Nomen  gesezt  werden,  ^)  wie    v^v.XJtX*x>  ,  vLIa-Iäj  ,  )  ^j^r*"^ ' 

Äj^iaÄJ ;   oder  ein  oLö.x)  und  x^Jj^  oLäx> ,    wie  oLax)  cXaä  , 

""  11°  ^ ' " «  .  -  "  > 

(j^^^-üül  ^v-«',    und  die  äxa>  . 

Der  übertragene  Eigenname  besteht  aus  s^chs  Arten: 
1)  ein    von   einem   Nomen    concretum    übertragener   Eigen - 

name,   wie  >^J'    (Stier),    tX^f    (Löwe);     2)    ein    von    einem 

•     1   "" 
Nomen  abstractum  übertragener  wie  (>-wii  (Vortrefflichkeit), 

(j^üj^  (Geben,  Gabe,  von  ij^ij ;  3)  ein  von  einem  Qualificativ 

übertragener,  wie:    (wLä   (richtend)  und  äJoü    (schenkend); 


>     - 
1)  Hier    als    Saz:    der   Vermehrer,    wesshalL    Jov  nicht  flectirt 


wird.     Ibn  Yang   sagt ,   die   richtige   Lesart    sei  joyj' , 

2)  Ein  solcher  Eigenname  wird   ein   mixtum  compositum   genannt 

3)  Man  kann  auch  diese  Formen  indeclinirbar  auf  Path'  sezen,  wie 
viuA*j  ,  ^  w5  ^^cXä/o  ;  oder  man  kann  v^j  J.äj  ,  ^^yA  y^LS^ 
sagen,  s.  Alf.  V.  70—78,  Com.;  die  Nomina  propria  auf  ^L>•  dagegen 
sind  indeclinabilia. 


212  Sitzung  der  phüos.'philol.  Classe  vom  2.  März  1878, 
4)  übertragen  von  einem  Verbum,  sei  es  Perfect,  wie: 
j^  (von  y¥^ ,  schnell  sein  in  einem  Geschäft)  und 
v«aa**ä5  (von  v«a.a«a5  ,  laufen),  oder  Imperfect ,  wie  >^X.xS 
(von  v-A.Xft)  und  j^^,  (von  >^),  oder  Imperativ,  wie 
v:>.4.^^  in  der  Rede  des  Hirten: 

„Er  rief  einen  salüqischen  (Hund),  der  die  Nacht 
(dort)  war,  und  brachte  die  Nacht  mit  ihm  zu  in  der 
Wüste  Ismit  (des  Schweigens),  indem  auf  ihren 
Rücken  *)    Krümmung    war/*  ^)     (iaxA*o) 

Und  U*  Jol    in  der  Rede  des  Hu^ailiten :  ') 

„(Ich  wusste,  dass  die  Wohnpläze,  wie  Scripturen  der 
Dintenfässer,  die  der  Inmyaritische  Schreiber  schreibt) 
im  Zustande  von  Atriqä  (des  Kopfhäugens  und 
Schweigens)  waren ,  veraltet  *)  an  den  Zelten ,  aus- 
genommen das  ^umäm-Gras  und  die  Stäbe."  (v-jsLjüJo) 

5)    Uebertragen    von    einem    Laute    (^cy^J,    wie   ä-o  , 


>     * 


1)   \::/»^jc\   ist  nämlich  femininum. 


,  ff  -ß 

^)   3*1    Läo^^I   ^    ist  ein  nominaler  H'älsaz,  der  die  Stelle  der 

ÄA^   vertritt.     Also  —  in   der   Wüste   Ismit   mit   ihren   gekrümmten 
Hügelrücken. 

3)  Der  Verfasser  ist  nach  Ihn  Ya^iä   V*:?}*^    5^'  • 

4)  Die   Lesart   im  Mufassal  und   in  Ihn  Ya^i§  Com.   ^:yljJlj  ist 

unrichtig,  da  es  H'al  ist;  dagegen  kann  nach  Ihn  Yang  A^  und  ätL^ 

(lezteres  sftX.Aj^L  als  Mubtada*,  dessen  Xabar  ausgelassen  ist)  gelesen 
werden. 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  213 

und  das  ist  ein  Spizname  von  ?Abdu-llali  ibnu-lli'äri^  bin 
Naufal.  6)  üebertragen  von  etwas  Zusammengeseztem,  was 
wir  schon  erwähnt  haben. 

Der  improvisirte  (Eigenname)  ist  zweierlei  Art : 
regelmässig    und   anomal.     Der  regelmässige^)  ist 

wie  jjLÄk^,  jjfw^x,  ^IJ-^-ä.,  (j*»jiÄi  und  oi^LiÄ.,   und  der  un- 

S-cc  G-o-  G-ro- 

regel massige  ist  wie  v-a.^  ^)  und  v^P^  und  N^^l^yo  und 
5^^  3^    und   ä^Ai^  .  *) 

§  5.     (Cf.  Alf.  V.  75.) 

Wenn  bei  einem  Manne  ein  nicht  annectirter  Name  und 
ein  Beiname  zusammentreffen,  so  wird  sein  Name  au  seinen 
Beinamen  annectirt,  man  sagt  also:  das  ist  Sa?id  von  einem 
Ranzen,  und:  Qais  von  einer  trockenen  Gurke,  und:  Zaid 
von  einer  Flasche.^)  Wenn  (aber)  der  Name  annectirt 
oder  eine  Kunyah  ist,^)   so   richtet  sich   der  Beiname  nach 


1)  Regelmässig    genannt,     weil    er    andern    analogen    Bildungen 
entspricht. 

2)  v^^A^    (eigentlich  Inf.)  ist  unregelmässig  für   ■_^<y . 


3)    s\«jCo   statt   des    regelmässigen  jjvbsjo 


4)  5«j^   statt  des  regelmässigen   x^ä.  . 

5)  Die  küfischen  Grammatiker  erlauben  in  diesem  Falle  auch  die 

Go  '      = 

Apposition,  wie :   \  S  i^J^Ju»  \d^ .      I^as  ist   immer   der  Fall ,    wenn 
der  Eigenname  durch  den  Artikel  definirt  ist. 

6)  Nach  der  Alfiyyah  (V.  75),  wenn  der  eine  der  beiden  kein  Einzel- 
wort ist.    Neben  der  Apposition   ist   aber   auch  der  Nominativ  und 

Accusativ  gestattet,    indem  man  im  ersteren  Falle    «JD  ^^^  t   i""* 
lezteren  dagegen  ^JLaI   supponirt. 
[1878.  I.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  3.]  17 


214        Sitzung  der  phüos.'philol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

dem    Nomen ;    man    sagt    also :    das   ist    ?Abdu-llali ,    (die) 
Flasche,  und:   das  ist  Abu  Zaid,  (die)  trockene  Gurke. 

§  6.  (Cf.  Alf.  V.  72.  73.) 
Und  sie  benennen  was  sie  in  Besiz  nehmen  und  mit 
was  sie  umgehen ,  ihre  Pferde  und  Kamele  und  Schafe 
und  Hunde  und  andere  (Thiere) ,  mit  Eigennamen, 
von  denen  ein  jeder  auf  ein  specielles  Individuum  an- 
gewendet wird,  durch  den  sie  es  erkennen,    wie  die  Eigen- 

namen  bei  den  Menschen,  z.  B.   ^^y^i  >  )   ^J^^  ?  )  fvitV^ ,  ) 

^UJx,*)  ih^  und  ä-Ljc,  )  ^'^,   v*-^^- ^) 

§  7. 
(Fl.  Beitr.  II,  p.  287;  De  Sacy,    I,  §  593.) 

Und  was  nicht  in  Besiz  genommen  und  mit  was  nicht  (so) 
umgegangen  wird,  dass  man  einer  Unterscheidung  zwischen  den 


1)  — -5^1  (krumm)  Epithet  und  der  Eigenname  eines  berühmten 
Hengstes  bei  den  Arabern  der  Heidenzeit  Seine  Nachkommen  wurden 
iU^y^yi   Juil  genannt. 

2)  Ebenfalls  Name  eines  berühmten  Pferdes  (schlank). 

3)  Name  eines  berühmten  Kamelhengstes  (weit  an  der  Seite  des 
Mundes). 

4)  Name  eines  Kamels;  die  Form  ^^UJLß  findet  sich  weder  in 
Lane  noch  im  Muh'itu-lmuh'it ;  der  leztere  hat  ^^LJlx  (sowie  auch 
Lane),  mit  der  Bedeutung:  ein  schlankes,  überragendes  Kamel. 

5)  Eigennamen  für  zwei  bösartige  Ziegen.  iiuL^  wird  speciell 
auf  ein  Schaf  (»Li)   angewendet.    Cf.  Alf.  V.  72.  73,  Com.     (äJUp 

6)  ij'>4-*öj   Hundsname;    v^Lww^j  ,   Name  einer  Hündin. 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  215 

einzeln en  bedürfte,  wie  die  Vögel,  die  wilden  Thiere  und  die 
Reptilien  der  Erde  und  andere,  so  dient  in  der  Tliat  der 
Eigenname  davon  zur  Bezeichnung  der  ganzen  Gattung,  ^) 
kein  Theil    ist   dadurch    näher   als   der   andere.      Wenn  du 

^   .  -     'f 

also  sagst :   (j^' >■>  ^'   (Name    eines    Vogels ,    mit    schwarz 

und  weissem  Gefieder)    und  iblt>  ,jjf^   (Rabe)     und     iUUwf 

(Löwe),  und    XjUj  (Fuchs),  und   SvÄj  ^l    (eine    schlimme 

-r     »  " 
Schlangenart  =  Pfeilssohn),  und  (3^  ^-^^   (Schildkröte),    so 

ist  es ,  wie  wenn  du  sagen  würdest :  die  Gattung,  welche 
von  der  und  der  Eigenschaft  ist.  Und  von  diesen  Gat- 
tungen   ist    das,    was  einen  Gattungsnamen   hat.     Und  der 

Eigenname     ist    wie :    iX^J^^    und    iULwf    (der  Löwe),  und 

v^UjiaÜ  und  äJLaj  (der  Fuchs).  Und  das,  von  dem 
kein  Name    bekannt    ist,    ausser  der  Eigenname,    ist  z.  B. 

\j6yÄjo  ,j.j|  (das  Wiesel),   und  jj^v^*  5^^  (Kellerassel).    Sie 

sind  auch  dabei  verfahren  wie  bei  der  Benennung  der 
Menschen,    haben  also  der  Gattung  einen  Namen  und  eine 

Kunyah    gegeben    und    heissen    den    Löwen    aUL*;!  2)    und 


vij|vLil  ^j| ,   und   den  Fuchs    iÜuLS*   und   jj^x-üf   «.jI  ,     und 
"  ^  »    ,  -  -  --    d^      " 

die    Hyaene     ^:^Lo.ä.  3)    und   yoLt   *| ,    und    den    Scorpion 

üy^  und  Jäj  v£;  ]♦'  •      Es    gibt   welche ,    die    einen   Namen 


1)  Der  Eigenname  zerfällt  nämlich  in  den  Eigennamen  der  Person 
und  den    Eigennamen  der  Gattung   ((jwJLä.    i^Ju^;    (joi^    i*-^ )  • 

2)  Doch  auch  mit  dem  Artikel:   iüoLw«^l . 

3)  Eigentlich  PI.  von  w^S^ ,    grossbauchig. 


216        Sitzung  der  phüos.-pldlol   Classe  vom  2.  März  1878. 

haben,  aber  keine  Kunyah,  wie  fwCi*  für  die  männliclie 
Hyaene;  ^)  und  was  eine  Kunyah  hat,  aber  keinen  Namen, 
ist  wie  J^K-?  ^^'  (ein  Vogel,  der  verschiedene  Farben  an- 
nimmt),  und  »v^-yö  ^!  (ein  Vogel  roth  am  Bauch,  schwarz 
am  Kopf,  den  Flügeln  und  dem  Schwanz,  an  den  übrigen 
Theilen  roth),  und  ^^;  r»^  (der  männliche  Affe,  im  Dia- 
lecte  von  Yaraan),  und  j^;^^  A  (ein  Vogel,  schwarz,  aber 
weiss  an  der  Basis  des  Schwanzes,  den  er  viel  bewegt). 

§  8. 

Sie  haben  dabei  auch  die  Nomina  abstracta  wie  die 
Nomina  concreta  behandelt ;  so  benennen  sie  die  Lobpreisung 

(^jM^uw^jJI)    mit    (jL^^  j  ^)     den   Tod    (iLy.JI)     mit     y;*'^ 

1)  Die  weibliche  Hyaene  heisst  ^Lii*  und  süts». ,  weil  sie  sich 
mit  ihrem  Kothe  beschmuzt.     Die  Form    Jljti   ist   eigentlich    ein    ira- 

perativischer  Infinitiv  (indeclinabiliter  gesezt),  der  auch  dazu  gebraucht 
wird,  eine  ideale  Persönlichkeit  auszudrücken,  die  auf  weibliche  Wesen 
angewendet   wird.     Diese  Form   wird  meist  im  Vocativ  gebraucht,   wie 

nL^    oder  X^  Lj  ,   das  Laster!  um  etwas  Hässliches   oder  Schlechtes 

auszudrücken,   doch  auch   ohne  Anruf,    als  reiner  Eigenname.     S.  Alf. 

V.  672,  673,  Com.     Die  Tamimiten   gebrauchen   die  Form    JLii    und 

decliniren  es  schwach.  S.  Alf.  V.  672.  673,  Com.  und  de  Sacy,  Anth. 
p.  <\\i ,  L.  4.    Ew.  I,  p.  221.     Fleischer,  Beiträge  etc.,  III,  p.  131. 

2)  ^L^^  wird  als  ein  *X^  angesehen;  es  ist  ein  Verbal- 
nomen, das  schwacli  flectirt  wird  (und  nur  im  Acc.  vorkommt,  abhängig 
von  einem  ausgelassenen  Verbum) ;   seine   ursprüngliche  Bedeutung  ist : 


Trumpp:   Beiträge  nur  Erklärung  des  Mufassal.  217 

(Trennerin)  ^)  und  ^^s  ^}  (Mutter  eines  Geiers),  die  Schlau- 

lieit  UcXäJIJ  mit  jjlAw^f  (eigentlich:  arglistig,  als  männ- 
1  ich  er  Daemon  gedacht),  und  das  kommt  vor  im  Dialect  der 
Banü  Fahm: 

„Wenn  sie  die  Arglist  zu  Hülfe  rufen,  so  sind  ihre 
Grauen    mehr    voran    zur    Arglist    als   ihre  bartlosen 
Jungen/'      (J^^-^) 
Und  davon  benennen  sie  einen  Schlag  (Tritt)  mit  dem 

Fuss  auf  den  Rücken  eines  Menschen  mit   ,^L.^^>    *l    (Mutter 

'  CS- 

des  Arglistigen),  und  die  Frömmigkeit  mit  üy? ,  -)  die  Schlech- 

tigkeit    (s>.^i!)    mit    >Ls? ,    die  Gesammtheit   (xaIwI)    mit 

f?y)>    wie  in  dem  Verse: 

,,(Und  wenn  ein  irrender  Mensch  von  Tanü/  eine 
Qasidah  macht,  in  der  ein  Anstoss  vorkommt),  so  wird 
sie  mir  ganz  zugezählt."     (J^j^io) 

Und  sie  sagen    in  Betreff  der  Zeiten:    ich   begegnete 

ihm  diesen  Morgen  (s^tXi-),   früh  an  diesem  Morgen  (»v^), 

und:  heute  ein  wenig  vor  Tagesanbruch  fy^j,  und:  in  der 

bestimmten  Zeit  (xJ^j^s)-  ^) 


Gott  von  aller  Unvüllkommenheit  ausnehmen  (^sj>yXxi\).    In   der  Poesie 

kommt  es  auch  mit  Tanvin  vor   (üL^^),    was    entweder    dem   Vers- 
zwang zugeschrieben  wird  oder  einer  intendirten  Indetermination. 

>     >  -  G     j  - 

1)   ^^5.*^   ist  Femininum;    (^«.ji^   dagegen   ist  vollständig  flec- 


>  (j" 


tirbar  und  masculinum,   als  Nomen  für   li^jj-^-JI  . 

2)  S.  Alfiyyah;  V.  81,  Com.  am  Ende. 

3)  Diese  Zeitnomina   werden   wie   Eigennamen  behandelt  und  un- 


218        Sitzung  der  philos.-phüol.  ülasse  vom  2,  März  1878. 

Und  sie  sagen  in  Betreff  der  Zahlen:  (die  Zalil)  sechs 
(itLu/)  ist  das  Doppelte  von  drei,  und:  vier  ist  die  Hälfte 
von  acht.  ^) 

§  9. 

Und    zu  den  Eigennamen   gehören   die   Formen,    nach 

denen  gemessen  wird,  wie  du  sagst :  das  ^X*i  ,  dessen  Fe- 

mininum    Joii     ist,  und  das    J.*il,  als    Adjectiv,    werden 

schwach  flectirt,    und  das  Formmass  von    it^s-b  und    ^^^l 
ist  das  iUjii  und  das  Jjtif^ .  ^) 


vollständig  declinirt  (cf.  Alf.  V.  670,  Com.) ;  dadurch  werden  sie  deter- 
minirt   und   auf  eine   bestimmte  Zeit   angewendet.     So   wird    auch 

liji^  im  Sinne  von   iUxÄJ!  gebraucht,  z.  B.    diXjJ  tX.Ju  iüUi  iüjüü  , 

„ich  begegnete  ihm  die  Zeit  nach  der  Zeit  was  IbnYa-?iä  (p.  44,  L.  21) 

durch  ^jN^il    jJu   ^jJ^I   erklärt,     gleichbedeutend    mit   (^»tXjJt, 

von  Zeit  zu  Zeit,  hie  und  da.  Werden  diese  Nomina  als  Indeter- 
minata  gebraucht,  so  werden  sie  vollständig  flectirt. 

1)  Die  Zahlen  (auf  s)  werden  auch  als  eine  Art  von  Gattungs- 
Eigennamen  behandelt  und  daher  wie  Nomina  propria  schwach 
flectirt,  wenn  sie  den  Zahlbegriff  in  abstracto  ausdrücken.  Nach  Ibn 
Ya^is  (p.  4h,  L.  2)  kann  diese  Idee  auch  durch  den  Artikel  ausgedrückt 

werden,  z.  B   iU-wwJ!    ^j^    &;LAjL!I,    „drei  ist  die  Hälfte  von  sechs," 

indem  die  Determination  durch  den  Artikel  den  Gattungs-Eigen- 
namen gleichkommt.  Doch  kann  dadurch  auch  auf  vorher  genannte 
Dinge  zurückgewiesen  werden. 

2)  Diese  Formmasse,  welche  alsSubstantiva  betrachtet  werden 

(nach  Ibn  Yan§  Com.  p.  45,  L.  14:    xa^  ^ks.  a-w!  xJyXxi  L.gjdwU)) 

werden  ebenfalls  zu  den  Eigennamen  gerechnet  und  darum  schwach 
flectirt.     Es  können  jedoch  auch  Fälle  eintreten,   wo  sie  als  Nomina 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  219 

§   10. 

Und  manclimal  wird  einer  der  Namen,  die  allen  zu- 
kommen, auf  einen  der  damit  Benannten  vorherrschend  an- 
gewendet   und   wird   ein  Eigenname   von    ihm   durch  über- 

wiegenden  Gebrauch ,  wie  z.  B.  y-^  ^j^* ,  (j^y^  ^' » 
i^yXMUQ  j^l ;  (diese  Nomina)  werden  vorwiegend  von  den 
?Abdu-llah^)  gebraucht  mit  Ausschluss  derer,  die  ausser 
ihnen  Söhne  ihrer  Väter  sind.  Ebenso  wird  y^'f^  lO^' 
vorwiegend  gebraucht  von  ?Abdu-llah,  mit  Ausschlus  eines 
andern  von  den  Söhnen  von  r^ V'  >  und  ^J^x^\  ^\ , 
pt v^  ^\  und  ^J^^   \^}    werden  überwiegend  gebraucht  ^) 


indeterminata  stehen,  und  dann  stark  (mit  Tanvin)  flectirt  werden, 

z.  B.    Oy.o.AJ  J)  iiLa^    (J.?^-    <-^'*^^    ^1    "^^^  J^^^^  Af^al,    das  ein 

^  -  i*  S  >  > 

Ädjectiv  ist,  wird  schwach  flectirt."     Hier  nöthigt   ^^  dem  jL*il    die 

Indetermination  auf,  wie  überhaupt  ein  jeder  Eigenname,   wenn  er  in- 
determinirt  gefasst  wird,   stark  flectirt  wird  (Alf,  V.  672,  673,  Com.). 

Wörter  nach  der  Form  Jk*if ,    wenn   sie   Noraina   indeterminata   sind, 

können  stark  flectirt  werden,    wie    JjCil    (ein   grüner  Specht),     cjut 

(Name  eines  Vogels),  weil  sie,  ohschon  sie  eine  Verbalform  haben,  doch 
keine  Adjectiva  sind  (Alf.  V.  653—55).  ^ 

1)  Das  nähere  über  diese  Namen  siehe  bei  Ibn  Yans  Com.   p.  f  H 

Der  Plural   ^üOLAÄ   ist  wie  von  einem  supponirten  Singular   J  Jul&   aus 
gebildet. 

2)  Die  Nomina  propria  werden    hier   als   Wort    im    allgemeinen 
(ä4.A.^)  betrachtet,  daher  das  Femininum  iUili  darauf  bezogen  ist. 


220        Sitzung  der  phüos.-philol.  Glasse  vom  2.  März  1878. 

von  4>->W. ,  )  tXj^  und  y^^f  so  dass  keiner  ihrer  Brüder 
darunter  vermutliet  wird.     (Cf.  Alf.  V.  111.  112.) 

§  11. 

Vor  einige  der  Eigennamen  tritt  das  Läm  der  Deter- 
mination;^) dieses  ist  zweierlei  Art:  1)  ein  nothwendiges, 
und  2)  ein  nicht  nothwendiges. 

1)  Das  nothwendige  kommt  vor  in  Worten  wie 
*ä!I  für  die  Plejaden  (^:>r^l)  ?  und  ^3***aJI  und  in  den 
gemeinen  (Nominibus),  die  überwiegend  in  Gebrauch  ge- 
kommen sind  (als  Eigennamen) ;  siehst  du  nicht,  dass  beide, 
auf  diese  Weise  durch  das  Lsm  determinirt,  zwei  Nomina 
sind  für  jeden  Stern,  den  der  Anredende  und  der  Angeredete 
kennt  und  für  jeden  Bekannten,   der  durch  den  Blitzstrahl 

getroffen  würde.  Dann  kam  |WSÜI  überwiegend  in  Gebrauch 
für  die  Plejaden,  und  ^^juoj\  für  Xuvailid  bin  Nufail  bin 
?Amr  bin  Kiläb.  Das  Läm  also  in  den  beiden  und  die 
die  Annexion  in  (j^K  ^^  und  ^S  ^^\  sind  sich  darinnen 
gleich,  dass  beide  nicht  weggenommen  werden  können. 


1)  Yazidu  heisst  (HjloJI  ^^\ ,  der  Sohn  des  durch  einen  Don- 
nerschlag  von  Sinnen  gekommenen,  weil  sein  Vater  JUii  ^^  tX-S>*.^ 
von  einem  Blitzstrahl  getödtet  worden  war. 

2)  i^Äjoüdl  (»y,  i.e.  der  Artikel,  so  genannt,  weil  einige  Gram- 
matiker (besonders  Sibavaih)  das  Alif  des  Artikels  nur  als  J1.O5JI  oiJI 

betrachten,   als   eigentlichen  Bestandtheil  desselben  also  nur  das  Läm 
annehmen. 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erlclärung  des  Mufassal.  221 


Ebenso  ,jIvJ4\JI  (der  Nachfolgende) ,  *)  [J^y-^^  (der 
Hinderer),  2)  ^U^l  (der  Hohe),^)  und  Lj  JÜI ,  weil  sie  über- 
wiegend in  Gebrauch  gekommen  sind  für  die  Sterne ,  die 
abgesondert    sind    von    dem ,    was    durch    vJt> ,    jjjLa ,   vil*^ 

und  8^  JiJf  qualificirt  wird.  *)  Und  was  nicht  bekannt  ist 
als  Derivativum  von  dieser  Gattung,  das  wird  dem  ange- 
schlossen, was  bekannt  ist. 

2)  Das  nicht  nothwendige  kommt  vor  in  Worten 
wie  OpLiI,    (j*.UiJI ,     wiiajl ,    JwiiJI    und    i^iJI,    und  in 

1)  Eigentlich  ein  iü,^  (Adjectiv),  ein  Stern,  der  zwischen  den 
Plejaden   und  dem  Orion    (i|v*.i)    steht  und  den  Plejaden  nachfolgt. 

2)  ^-yw*;!  ist  der  Stern  Capella;  er  soll  den  Dabaran  hindern, 
sich  mit  den  Plejaden  zu  vereinigen. 

3)  Der  Stern  Arcturus. 

4)  Diese   (ursprünglichen)    Adjective    werden    nicht  allgemein  an- 

gewendet,  obschon  sie  dem  Sinne  nach  mit  wjI«^  ,    (SjLä   und  dLcLww 

zusammenfallen,  weil  sie  eine  specielle  Beziehung  angenommen  haben 
und  durch  ihren  Bau  von  den  andern  Derivativa  abgesondert  sind,  in- 
dem Adjectiva,   je  nach  ihrer  äusseren  Form,   eine  specielle  Bedeutung 

0  o  S  ^  0  ö^  j 

erhalten  können,    z.  B.  JlXä  ,    J-?tN^  ?    Jt>Lt .       üjo    ist    das   Di- 

minutiv  von   ^^jv-J   (fem.  von  ijUt->J,    „zahlreich   oder  viel  besizend" 

(als  ob  es  von  dem  Subst.  i^yi  (Menge)  abgeleitet  wäre).  —  Zu  den 
Nominibus,    in  denen   der   Artikel  erforderlich  ist,    rechnet  Ibn  Yan§ 

z.  B.  die  Wochennamen,  wie :   iUJbül ,   der  dritte  Wochentag  =  Diens- 

tag  (ohne  Tanvin  und  Femin.  s.  Alf.  V.  770,  com.),  iüijv  j!|  der  vierte 

Wochentag  =  Mittwoch. 


222        Sitzung  der  philos.-philol.  Glasse  vom  2.  März  1878. 

solchen,  die  ursprünglich  ein  Qualificativ  oder  ein  Verbal- 
nonien  sind.  ^) 

§  12. 

Und  manchmal  wird  der  ICigenname  durch  einen  von  der 
damit  benannten  Classe  von  Leuten  (näher)  erläutert,  darum  wird 

er,  wegen  der  Erläuterung,  wie  0^^  und  (j^>-9  (als  indeter- 

minirLes  Gattungsnomen)  behandelt  ^)  und  man  wagt  sich 
an  seine  Annexion  und  die  Vorsezung  des  Lam  (i.  e.  des 
Artikels) ;  3)  man  sagt  Mudar  von  der  rothen  (Kuppel), 
Rabi?ah  von  den  Pferden,  und  Anmär  von  den  Schafen. 
Ein  Dichter  sagte: 

,,Am  Tage  des  Sandhügels  trat  unser  Zaid  auf  den 
Kopf  eures  Zaid  mit  einem  yamanischen  blinkenden 
(Schwerdt),  scharf  auf  den  beiden  Seiten."    (J^^) 

Und  Abu-nnajm  sagte: 

„Die  Wächter  der  Pforten  entfernten  die  Mutter  des 
?Amr  von  ihrem  Gefangenen  auf  ihre  Schwäche  hin." 

Und  ein  anderer  sagte: 


1)  Bei  Worten  dieser  Art  kann  man  den  Artikel  sezen  oder  weg- 
lassen, je  nachdem  man  die  ursprüngliche  Adjectivbedeutung  oder  die 
Eigenschaft  als  Eigennamen  vorwiegen  lassen  will.  Die  Verbalnomina 
dieser  Art  sind  dann  auch  als  Adjectiva  zu  betrachten;  darum  darf 
nicht  jedes  Verbalnomen  hieher  gerechnet  werden.     Cf  Alf.  V.  109.  110. 

2)  In   diesem   Falle    kann    das    Nom.    propr.    auch    das    ^yj^ 

-AX^Uu!    annehmen,    wie:    äÄjK    aj^o!    lj^  ,   ich    habe    manchen 
Ibrahim  gesehen. 

3)  Die  Alfiyyah  (V.  107.  108)  hält  den  Artikel  bei  Eigennamen 
dieser  Gattung  für  pleonastisch  und  aus  dem  Verszwang  hervorgegangen. 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  223 

,,Ich  sah  denValid,^)  den  Sohn  des  Yazid,  gesegnet, 
fest  ist  sein  Nacken  in  den  Krümmungen  (i.  e.  schwie- 
rigen Geschäften)  des  Ä'alifats."     (J.j^) 
Und  Al-a;(tal  sagte: 

„Es  war  von  ihnen  gewesen  ein  Thürhüter,  und 
Ibn  Ummihi,  Abu  Jandal  und  Zaid,  der  Zaid  der 
Schlachtfelder."     {S^.y^) 

Und  von  Abü-l-?abbäs  (ist  es  überliefert) :  wenn  Männer 
im  allgemeinen  (als  Masse)  erwähnt  werden ,  so  ist  der 
Name  jedes  einzelnen  von  ihnen  ,,Zaid";  man  sagt  zu  ihnen: 
,,was  ist  also  zwischen  dem  ersten  und  dem  letzten  Zaid?" 
und:  „Dieser  Zaid  ist  edler  als  jener  Zaid/'  und  das  kommt 
selten  vor. 

§  13.- 

Und  jeder  in  den  Dual  oder  Plural  gesezte  Eigen- 
name wird  durch  den  Artikel  determinirt ,  ^)  ausser  Worte 

wie:    (jLjül  (zwei  gegenüberliegende  Berge,  von  denen  der 

eine   mit    dem    andern    verbunden    ist)    und  jjUjUx   (zwei 

gegenüberliegende  Berge),   und   oLiv^    (ein  bekannter    Ort 

bei  Makkah)  und  ^Li^ol.^) 

1)  lN-j^J^JI  hat  den  Artikel  nach  derselben  Regel  wie  y^jL^xJ! ; 
Jo«jJ!    dagegen  steht  im  Sinne  von   Joyj . 

Zu  beachten  ist,  dass  wenn  ein  Nora,  propr.  in  die  Annexion  tritt 
oder  mit  dem  Artikel  versehen  wird,  es  vollständig  flectirt  wird,  auch 
wenn  es  sonst  nach  der  schwachen  Declination  geht.  Cf.  Alf.  V.  43. 
De  Sacy,  Anthol.  gr.  p.  ^v,    L.  8,  sqq. 

2)  Der  Eigenname  wird  durch  die  Sezung  in  den  Dual  und  Plural 
naturgemäss  indeterminirt ;  soll  er  darum  als  determinirt  festgehalten 
werden,  so  rauss  der  Artikel  davor  treten. 

3)  Cf.  Alf.  V.  42,  Com. 


224        Sitzung  der  phüos.-philol  Classe  vom  2.  März  1S78. 

Es  sagte  (ein  Dichter): 

„Und  vor  mir  starben  die   beiden  /älid,   ^Amid  von 

den  Banü  JahVän  und  Ibnu-lmudallal." 

Er    meint   xälid   bin   Nadiah,    und   yß\id    bin  -Qais  bin 

Almudallal.    Und  man  heisst  Ka^b  bin  Kiläb,  und  Ka?b  bin 

Rabi?ah,    und  ?Amir  bin  Mälik  bio  Ja?far,    und  ^Amir  bin 

Attufail,    und    Qais    bin    ^Annäb,    und   Qais   bin   Hamzah : 

^UäXDI  ,  und  ^jL/oÜlI(  ,  und  ^LaaaxäJI  . 

Es  sagte  (ein  Dichter): 

„Ich  bin  Ibn  Sa?d,  der  edelste  der  Sa?d."    (j^)) 

Und  in  ein-er  Ueber  liefer  au  g  von  Zaid  bin  i9^äbit,  dem 
Gott  gnädig  sei,  (heisst  es) :  jene  Muh*^ammad  mit  Verstand. 

Und  sie  sagen:  der  Talh'ah  der  Talh'^ah,  and  Ibn  Qais 
(der  Mann  der)  Ruqaivyät.  ^)    Ebenso  (sagt  man  (im  Dual) 

jjUxjLw^I    (die    zwei    Löwen)    und     (im    Plural)    c^LoLaa/^I 

(die  Löwen),  und  was  dem  ähnlich  ist. 

§  14. 

G    r  >  '  -  M  '  '  ? 

Und  yj-jVJ   und   kJXi    (der,    die    so    und    so),   und  y^\ 

^,  .,  ii 

(j^i   (der  Vater  von  so  und  so),  und  iij^i  J   (die  Mutter 

von  der  so  und  so),  sind  Metonymien  für  die  Namen  der 
Menschen  und  ihre  Beinamen.  Auch  haben  sie  erwähnt 
dass,  wenn  sie  statt  der  Eigennamen  der  Thiere  einen 
metonymischen  Ausdruck    gebrauchen,    sie   (denselben)   den 

Artikel  vorsezen;^)  sie  sagen  also:  jj^aJI  und  iw^Lail  (der 
die  so  und  so). 

1)  Er  soll  an  eine  Anzahl  Frauen  verheirathet  gewesen  sein,   die 

alle   &xi\  hiessen. 

2)  Nach  Ibn  Ya-?is,  weil  die  Thiere  in  der  Determination  unter 
der  Würde  der  Menschen  stehen. 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufasaäl.  225 

Was  aber   ^5^  und  »«^  (Sache)  betrifft,   so  dienen  sie 
zu  metonymischen  Ausdrücken  für  Gattungsnomina. 


Zu  den  Arten  des  Nomens  gehört: 
Das   Flectirte  (v/^0- 

§  15. 
Obschon  die  Rede  über  das  Flectirte  geeignet  ist,  mit 
Rücksicht  darauf,  dass  das  Nomen  und  das  Verbum  an  der 
Flexion  Theil  nimmt,  im  vierten  Theile  zu  stehen,  so 
rechtfertigt  doch  das  Vorkommen  zweier  Ursachen  sie  in 
diesen  Theil  zu  verweisen.  Die  eine  Ursache  ist,  dass  ur- 
sprünglich das  Recht  der  Flexion  dem  Nomen  zusteht, 
während  sich  das  Verbum  dabei  dem  Nomen  nur  aufdrängt 
wegen  seiner  Aehnlichkeit  (mit  dem  Nomen).  Die  zweite 
Ursache  ist,  dass  nothwendigerweise  die  Kenntniss  der 
Flexion  für  den,  der  durch  die  übrigen  Kapitel  watet,  vor- 
ausgeschickt werden  sollte. 

§  16. 
Das  flectirbare  Nomen  ist  dasjenige,  dessen  Endung 
sich  abwandelt  in  Folge  der  Verschiedenheit  der  (gram- 
matischen) Rectoren  der  Wortform  oder  (nur)  dem  locus 
grammaticus  nach,^)  durch  einen  Vocal  oder  Consonanten. 
Die  Abwandlung  der  Wortform  nach  durch  einen  Vocal 
findet  also  statt  in  jedem  Worte,  dessen  Flexionsconsonant 
(i.e.  Endradical)  stark   ist  oder   dem   ähnlich,  2)    wie    du 


1)  Siehe  meine  Einleitung  in  das  Studium  der  arabischen  Gram- 
matil:er,  §  6. 


2)  Er  meint  damit  Worte  mit  einem  finalen  •  oder  (^ ,  deren  pen- 
ultima  vokallos  ist,  wie:  jyc ,  /c^  ?  ^^^^  solche,  deren  finales  « 
oder  f^  verdoppelt  ist,  wie:    «tX^  ,    ^aw*.5  . 


226        Sitzung  der  philos.'phüol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

sagst:  es  kam  der  Mann  (JȊ.JI),  und:  ich  sah  den  Mann 
rj»Ä.  Jl),   utid :    ich  gieng   an  dem  Mann    vorüber   (J.ä.  Jü). 

Und  die  Abwandlung  der  Wortform  nach  durch  einen  Co n- 
soüanten  (findet  statt)  an  drei  Stellen:  in  den  sechs 
Nominibus  in  der  Annexion,^)  z.  B:  es  kam  zu  mir 

sein  Vater  (Sj-?')?  i"^d  sein  Bruder  (»^^'j?  und  ihr  Schwieger- 

Vater    (üö^-»a.j,    und    seine    Sache  (s^P>J,    und    sein    Mund 

(8^),   und    ein   Besitzer   von  Vermögen  (JU  ^o) ;  und :  ich 

sah  seinen  Vater  (sbl)   und:   ich  gieng  vorüber  an  seinem 

Vater  (aüol),    und  so  die  übrigen.     Und  bei  ^>  ,   wenn    es 

an  ein  Pronomen  annectirt  ist,  sagst  du:  es  kamen  zu  mir 

die  beiden   (L4iö^>),   und:    ich   sah    die    beiden  (U^^A^); 

und  nach  ihrer  Weise  (oder  Definition)    sagst   du   im  Dual 

und    Plural:    es    kamen    zu    mir    zwei    Muslime   (jjU-Lw«<)) 

und:  Muslime  (PI.   ^^-♦-LA^vo),  und:   ich   sah   zwei  Muslime 

(jJ.x#-L*ax>J  und:  Muslime   (^j.>j*Aa«-« ),  und:    ich   gieng  vor- 

über   an    zwei   Muslimen    {^/^^Xm^}     und:    an    Muslimen 

Und    die    Abwandlung    des    flectirbaren    Nomens    dem 


1)  Wenn  sie  nicht  an  das  ^  der  I.  Person  annectirt  sind  (cf.  Alf. 
V.  31,  Com.)  und  im  Singular  stehen.  Im  Dual,  Plural  und  in  der 
Diminutivform  \yerden  sie  dagegen  mit  Vocaleu  flectirt.  —  Zwei  andere 
Flexionsweisen  dieser  Wörter  im  Singular  werden  Alf.  V.  29.  30.  Com. 
erwähnt. 

2)  Im  Dual  und  Plural  wird  nur  ä,  ai,  ü  und  i  als  eigentliche 
Casusendung  angesehen.    S.  meine  Ausgabe  der  Ajrümiyyah,  §  14,  sqq. 


Trumpp:   Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  227 

locus  grammaticus  nach  kommt  vor  in  Worten  wie  Lä*J| 
und  (^tX*Aw  und  ^^^uJ!  im  Nominativ  und  Genetiv,  w^äh- 
rend    es    (das   lezte)    im    Accusativ   wie    ^nI^I     ist    (also : 

§  17. 
Das    flectirbare   Nomen   besteht   aus    zwei  Arten:    eine 
Art  nimmt  die  Vocale  der  Flexion  mit  dem  Tanvin  an,  wie 

tX.j\ ,  J^s  und  wird  das  stark  Flectirte  (o*..o.a4jIJ 
genannt;  von  der  (zweiten)  Art  wird  der  Genetiv  und  das 
Tanvin  abgetrennt  wegen  der  Aehnlichkeit  mit  dem  Verbum 
und  es  wird  mit  Fath*^  vocalisirt  an  der  Stelle  des  Genetivs, 

wie:  4X4Ä.I  (Gen.)  und  {j^jy^  (Nom.  iXf^l  und  (j^^vo), 
ausser  wenn  es  annectirt  wird  oder  ihm  das  Lsm  der 
Determination  (i.  e.  der  Artikel)  vorangeht.  Und  man 
nennt  es  ,, nicht  stark  flectirt"  (o^-^^äa^JI  vxc)  und 
der  Ausdruck  ^^^.X^-X^J!    begreift    beide    (Arten)    in    sich;  *) 

und  manchmal  nennt  man  das  stark  Flectirte  (jX^^I  (das 
sehr  feststehende). 

§  18. 

Und  das  Nomen  wird  von  der  Flexion  mit  Tanvin  ^) 
abgehalten,  wenn  dabei  zwei  von  neun  Ursachen  zusammen 
treffen  oder  eine  wiederholt  wird;  und  diese  sind:  (1)  die 
Qualität  als  Eigenname  und  (2)  das  Femininum,  das  der 


1)  Siehe  darüber  meine  Ajrumiyyah  p.  24. 

2)  lieber   OwoJi    s.  meine  Ajr.  p.  23. 


228        Sitzung  der  philos  -philol.  Classe  vom  2.  März  1878. 
Wortforra    nach   inhärirt,^)    oder    (auch    bloss)   dem  Sinne 

nach,  in  Worten  wie  C>\jum  und  ii^Jb ;  und  (3)  die  Verbal- 
form, welche  ihm  (dem  Verbum)  überwiegend  zukommt  in 

Worten  wie  J^»il,  denn  es  kommt  mehr  bei  ihm  (dem 
Verbum)    vor    als   beim   Nomen ,  ^)    oder  welche   ihm    (dem 

Verbum)  speciell  zukommt,  in  Worten  wie  Vr^J  wenn 
damit  ein  Eigenname  bezeichnet  wird;  ^)  und  (4)  die  Qua- 
lität  als  Adjectiv  in  Worten  wie  >4.ä.!;  )  und  (5)  die 
Ab  weichung  von  der  (ursprünglichen)  Form  zu  einer 

' " '  'Mä- 

andern in  Worten  wie  v4X  und  ^d>Xj* ;  ^)  und  (6)  dass  es  ein 

Plural  ist,  von  dessen  Form  kein  Singular  vorkommt, 
wie  4Xä.Lm.x>  und    ^s^L^a^o ,   ausgenommen  die  Worte,  deren 

1)  Dieses  Femininum  ist  wohl  zu  unterscheiden  von  dem,  welches 
das  Masculinum  von  dem  Femininum  trennt.     Das  leztere  heisst  das 

zufällige   {y^Xsti^)   und   ist   vollständig   flectirbar.    —    Es   gehört 

dazu,  dass  ein  solches  Femininum  ein  Nomen  proprium  sei,  bezeichne  es 
ein  männliches  oder  weibliches  Wesen.    Cf.  Alf.  V.  664—66. 

2)  Cf.  Alf.  V.  668. 

3)  Cf.  Alf.  V.  668,  c.  com. 

4)  Dadurch  ist  die  Form    Jjiil    ausgenommen,    die   ihr   Femini- 
num auf  t  bildet,  denn  diese  sind  stark  flectirt.     Cf.  Alf.  V.  652. 

5)  Die  Abweichung  (JJulII)   findet   nur  in  der  Wortform   statt, 

>  -  > 
nicht  in  der  Bedeutung,     w^x    ist    nur    eine    andere    Wortform    für 

^Ix .  Die  Form  vd>j\j'  (i>LÄ.! ,  cü,  etc.)  ist  ein  Beschreibewort, 
das  sich  nur  mit  einem  indeterminirten  Nomen  verbinden  kann ;  es  steht 

6  S 

statt   Äj'^'    Xi*^',   etc.    Cf.  Alf.  V.  656—7. 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  229 

Endradical  schwach  ist  wie  )^)-^  ^  denn  im  Nominativ 
und  Genetiv  geht  es  wie  \jo\3 ,  und  im  Accusativ  wie 
ujsl^  (also  (^nI^ä-),  *)  und  ^ä-Lo^  und  J^j^I^w,  in  der 
Supposition  Plural  von  >.^^  und  &Jl^v-w .  2)  Und  (7)  die 
Zusammensezung  in  Worten  wie  v->  vXjlXxxj  ,  ^aXju  . ' ; 

Und  (8)  dass  es  ein  Fremdwort  ('^-^)  ist,  was  speciell  bei 
Eigennamen  der  Fall  ist>)    Und  (9)  das  Alif  und  Nun,  die 


1)  Cf.  Alf.  V.  659,  c.  com. 

?       ^  - 

2)  Jo.lyA«   ist  nach  Sibavaih  und  andern  Grammatikern  ein  per- 

sisches  Wort  (J«JLjÄ),    das    arabische    Wortform    (wie    Jo^lxi'   etc.) 

angenommen   hat.     Cf.  Alf.  V.  660      Beide   Nomina   haben   Singular- 

bedeutung.      Die   Singularbedeutung    von    yÄ-Ld^.    erklärt  Ibn  Ya^Ts 

mit  Hinweis  darauf,  dass  auch  Menschen-  und  Städte-Namen  im  Plural 

9  —  j    -^^  ^ 

vorkommen ,  wie   k,.J%S  ,    ^^jf  J^^JI . 

S     o-     9  ^-> 

3)  Es  muss   übrigens  ein   sogenanntes    \St^   <~^^>^     (mixtum 

compositum)  sein  (i.  e.  iUL^Ä.  yxi).  iw  Gegensaz  zum  ^i^U^^uj*  v-a5  yo 
(oder  praedicativen  Compositum),  das  ein  Saz  ist.     Cf.  Alf.  V.  662. 

4)  Besteht    das   Fremdwort   aus   mehr  als   drei  Eadicalen,    (wie 

I*A;elol),  so  wird  es  schwach  flectirt,  wenn  es  ein  fremder  Eigenname 
(und  als  solcher  determinirt)  ist.  Ist  es  aber  in  der  fremden  Sprache 
kein  Eigenname,  sondern  nur  in  der  arabischen,  oder  in  beiden  Sprachen 
indeterminirt,  so  wird  es  stark  flectirt,  wie  A.^  (Pers.  i»KJ)  Die 
fremden  Eigennamen   mit  drei  Eadicalen  werden  stark  flectirt,   sei  der 


mittlere  ruhend  (wie  ^%^)  oder  mit  Vocal  versehen  wie  ^Jui  .    Cf.  Alf. 
[1878. 1.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  3.]  18 


230        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

ähnlicli  sind  den  beiden  Auf  des  Femininums  ^)   in  Worten 

wie  (jl^-Cu;,  j   ^U^jSj   ausser  dass  der  Dichter,    wenn  er 

(durch  das  Versmass)  gezwungen  wird ,  sie  *)  stark  flectirt. 
Eine  einzige  Ursache  jedoch  verhindert  keineswegs  (die 
starke  Flexion)  ^)  und  das,  an  was  sich  die  küfischen  Gram- 
matiker halten  in  Betreff  ihrer  erlaubten  Verwehrung  in 
der  Poesie,  ist  kein  sicherer  Grund. 

Und  das,  was  eine  von  zwei  oder  mehrere  Ursachen 
(der  Verwehrung  der  starken  Flexion)  hat,  ist  die  Eigen- 
schaft als  Eigenname ;  bei  der  Indetermination  ist  also  seine 
Regel  die  starke  Flexion,  wie  du  sagst:  manche  SuJäd 
und  Qatäm,    weil  es  ohne  Ursache  oder  auf  Einer  Ursache 

bleibt,^)    ausgenommen    Worte    wie    >4äi:    denn    darüber 

V.  667.  (Verbessere  darnach  Wright,  arab.  Gram.  I,  p.  275,  c.  «;  als 
Fem.  dagegen    ^Jüij, 

1)  Das  Alif  und  Nun  sind  zwei  Incremente  und  gleichen  darum 
den  zwei  Alif  des  Femininums  in  Worten  wie   -^K  »^  . 

2)  Aus  dem  Beispiel  geht  hervor,  dass  nur  diejenigen  adjecti vischen 
Bildungen  auf  änu  gemeint  sind,  die  ihr  Femininum  nicht  auf  t  bilden, 

sondern  auf  a,   wie    ^^'v^«*«,    Fem.   ^J5<jm  .       Die  Form    ^ jVjii , 


die  das  Fem.  auf  ^ü^^Jti  bildet,   wird   stark   flectirt,    wie    ^JJlxjm  ^ 
Fem.  iüUl^.     Cf.  Alf.  V.  651. 

3)  Beim  Eigennamen,   der  nach  der  Form   ^^^ii   gebildet  ist, 

tritt  die  schwache  Flexion  wegen  der  Form  und  wegen  der  2U.4JLc  ein. 

4)  D.  h.  alle  die  angeführten  neun  Classen. 

5)  Es  müssen  also,  wenn  ein  Nomen  schwach  flectirt  werden  soll, 
immer  zwei  von  den  neun  angeführten  Ursachen  zusammentreffen;  die 
weitere  Ausführung  s.  in  Wright's  Arab.  Gram.  I,  p.  279. 

6)  Der  Eigenname  verbindet  sich   nämlich  (nach  Ibn  Ya*i§)   mit 


I 


» 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufasml.  231 

herrscht  eine  Meinungsverschiedenheit  zwischen  Al-a^fas  und 
dem  Verfasser  des  Buchs  (i.  e.  Sibavaih).^)  Und  das  drei- 
radicalige  Nomen  prop.    mit    mittlerem   ruhenden,    in   dem 

G     ' 
zwei  Ursachen  vorhanden  sind,  wird  stark  flectirt,  wie  ^^ 

und  isy ,  in  der  gewählten  Sprache,  die  dem  Qurän  eigen 
ist,    weil  das  Sukün  eine  der  beiden  Ursachen  bekämpft;^) 

sechs  Ursachen  der  Verwehrung  der  starken  Flexion:  1)  x^.^]! ,  wie 
J.AÄ4-cül^ .  2)  JjLftJI  ^\^ ,  wie  Jo wj  .  3)  JjoJI ,  wie  w4.fi: . 
4)  Das  Increment  von  ^\ ,  wie  ^Cit .  5)  v^xSOJI ,  wie  dQjij  . 
6)  viy-xJüJ! ,  wie  sy*.^ .  Im  Eigennamen  als  solchem  ist  die  Deter- 
mination inbegriffen;  fällt  nun  diese  weg,  so  fehlt  eine  der  Ursachen 
und  das  Nomen  hat  nur  noch  Eine  Ursache,  die  in  Wirklichkeit  eigent- 
lich keine  Ursache  mehr  für  die  schwache  Flexion  ist  Aehnlich  ist  es 
auch  bei  andern  Nom.  prop.,  in  welchen  drei  und  mehr  Ursachen  zu- 
sammentreffen, da  mit  der  Indetermination  auch  die  andern  Ursachen 
dahinfallen.    Cf.  Alf.  V.  672,  673,  c.  com. 

1)  Nach  dem  Com.  des  Ihn  Ya^is  verwehrt  Sibavaih  die  vollstän- 
dige Flexion  dieser  Worte,  auch  wenn  sie,  nachdem  sie  in  Nom.  prop. 
übergegangen  sind,  indeterminirt  gebraucht  werden,  wegen  ihrer  Aehn- 
lichkeit  mit  ihrem  Zustand  vor  ihrer  Anwendung  als  Nom,  prop.  (oder 
wie  Ibn  *Aqil,  Com.  zu  Alf.  V.  658 — 55  sagtj  im  Hinblick  auf  ihren 
Ursprung).  Al-ajfas  dagegen  spricht  ihnen  die  vollständige  Flexion  zu, 
^wenn  sie  als  Nom.  prop.  indeterminirt  gebraucht  werden.    Das  Mufassal 

leigt  auf  die  Seite  Sibavaih's,  ohne  den  Streit  endgiltig  zu  entscheiden. 

2)  Wie  dies  geschieht,   wird  nicht   näher   angedeutet.     Auch  Ibn 
'a'Jis  sagt  nur:  „und  einige  flectiren  es  manchmal  stark,  weil  es  durch 

LS  Sukün  seines  mittleren  Radicals  leicht  wird,  als  ob  die  Leichtigkeit 
line  der  beiden  Ursachen  bekämpfte."  Ibn  Ya^is  unterscheidet  hier 
läher  die  Nom.  prop.  fem.   mit  drei  Radicalen,   deren  mittlerer  ruhend 

st;  diese  kann  man  stark  oder  schwach  flectiren,  wie  d<^(^  und  tXÄt>, 

loch  ist  das  letztere  das  gebräuchlichere.  Bei  dem  Nom,  prop.  masc. 
lagegen,  deren  mittlerer  Radical  ruhend  ist,   findet,   wenn  sie  fremden 

18* 


232         Sitzung  der  philos.'phüol.  Classe  vom  2.  März  1^7 8. 

und  einige  behandeln  sie  nach  der  Regel,  flectiren  sie  also 
nicht  stark;  der  Dichter  fasst  beide  (Arten  der  Flexion) 
zusammen  in  seinem  Worte : 

„Nicht  bedeckte  sich  Da?d  mit  dem  überflüssigen 
Theil  ihres  Schleiers  *)  und  nicht  liess  sie  sich  tränken 
aus  den  Melkkübeln."     (^yj^MJjo) 

Und  was  dasjenige  (Nom.  prop.)   betrifit,    in   welchem 

eine  Ursache  mehr  ist  (als  zwei),  wie  »Ui  und  ^^,    so    ist 

s    > 
in  diesen  beiden  das  was  in   ^^  ist,    mit   dem  Zusaz    des 

Femininums,  man  braucht  also  nicht  auf  die  Verwehrung 
seiner  starken  Flexion  hinzuweisen. 

Und   die   Wiederholung   (der   Ursache)   kommt  vor  in 
Worten  wie   ^y^    und  i» j^P  und  tXÄ>Lwux>   und   ^3oUax> . 

Die  Bildung  mit  einem  Buchstaben  des  Femininums,  der 
sich  nicht  in  einem  Falle  ablöst,  und  die  Form,  der  kein 
Singular  entspricht,  wird  als  ein  zweites  Femininum  und 
als  ein  zweiter  Plural  behandelt.  *) 


Ursprungs  sind,  das  Gegentheil  statt,  indem  ihre  schwache  Flexion 
nicht  gebilligt  wird.  Zama;^§ari  macht  keinen  Unterschied  zwischen 
Nom.  prop.  fem.  und  masc. 

1)  D.  h.  sie  gebrauchte  keinen  zu  grossen  (überflüssigen)  Schleier. 

2)  Cf.  Alf.  V.  649,  Com.  Das  an  der  Stelle  von  zwei  Ursachen 
stehende  ist  also  das  verkürzte  und  das  gedehnte  Alif  des  Femininums 
(weil  in  diesen  das  Alif  mit  der  Wortform  zusammenschmilzt),  und  der 

Plural  der  das  äusserste  Ende  erreicht  hat  (also  die  Formen  JoLi , 
Jljljii   und  der  Plural  der  Quadrilitera  etc.) 


I 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassäl.  233 

§  19. 

Die    Rede    von    den    Gestaltungen    der    Flexion 

des  Nomens  (i.  e.  von  den  Casus). 

Diese    sind    der    Nominativ    ( /*^y ' )  >    der    Accusativ 

(v^.«äaJI)   und  der  Genetiv   ( v^O?  indem  ein  jeder  von  ihnen 

ein  Hinweis  auf  einen  (bestimmten)  Sinn  ist.    DerNomina- 

tiv  also  ist  der  Hinweis  auf  das  handelnde  Subjeet  (iUlÄUJI); 

und   das    active    Subjeet    ist   nur   eines.*)      Was   aber    das 

Mubtada'  und  sein  Xabar  betrifft,    und  das  Xabar  von  ,j^ 

und   seinen   Schwestern,    und  von  y,    das  zur  Verneinung 

der   (ganzen)   Gattung  dient,    und   das  Nomen    von  l^  und 

y,  die  ij*^   gleichgestellt  sind,   so  werden  sie  dem  Activ- 

Subject   angehängt   (i.  e.    analog   behandelt),    weil   sie   ihm 
ähnlich  sind  und  nahe  kommen.  ^) 


1)  Ein  Verbum,  sei  es  transitiv  oder  intransitiv,  kann  natur- 
gemäss  nur  Ein  Activ- Subjeet  haben  (stehe  dieses  im  Singular,  Dual  oder 
Plural),   da  es  nur  von  Einem  Subjeet  etwas  aussagen  kann;   das  was 

sich  ein  Verb  unterordnet,   ist   iLl,oi  (accessorischer  Bestandtheil  des 


2)  Das  Mubtada*  und  sein  Xabar  müssen  beide  im  Nominativ 
stehen.  Das  Xabar  von  ^^!  und  seinen  Schwestern  (i.  e.  ^^f ,  ^o  , 
^jJ3  ,  JüJ  und  v:iuJ),  sowie  von  ^  (zur  Verneinung  der  Gattung) 
muss  im  Nominativ  folgen.  Das  Nomen  von  Lo  und  ^  (c^^)  (und 
bisweilen  auch  von  dem  negativen  ^o' )  steht  im  Nominativ,  sein  Xabar 
dagegen   im   Accusativ,    wenn   diese   im   Sinne  von   ^jj^jj   gebraucht 


234        Sitzung  der  philo s.-philol.  Classe  vom  2.  3Iärz  1878. 

Und  ebenso  ist  der  Accusativ  der  Hinweis  auf  die  ob- 
jective  Unterordnung  (xII^JtAJO-  Das  Object  ist  fünferlei 
Art:  (1)  das  absolute  Object,^)  (2)  Das  (eigentliche)  Object 
(oder  objective  Complement  des  Verbums,  äj  J^-Äi^JI),  (3) 
das  (adverbiale)  Object  der  Zeit-  oder  Ortsbestimmung  (das 
im  KSinne  von  3  steht,  daher  Äxi  J^jiäJI  =  o  JaJI),  (4)  das 
Object  des  Mitseins  (das,  in  Verbindung  mit  welchem  ge- 
handelt  wird,  ifjuo  JyiAjI),  2)  ^nd  (5)  das  Object  des  Mo- 
tivs  (xl  JytA^JI  oder  auch  &^l  ^  JyiAjl).  Und  der 
Zustandssaz  fjtilj;  und  die  Specificatiou  (yx>j4JJi),  und 
das  in  den  Accusativ  gesezte  Ausgenommene,  und  das  A'^abar 
bei  der  Kategorie  von  ,j(^ ,  und  das  Nomen  bei  der  Kate- 
gorie von  jjj^ ,  und  das  durch  ^ ,  das  zur  Verneinung  der 
Gattung  dient,  in  den  Accusativ  Gesezte,  und  das  Xabar 
von  Lx)  und  ^ ,  die  dem  {j*^  gleichen,  werden  an  das  Ob- 
ject (in  der  grammatischen  Behandlung)  angehängt. 

Und  der  Genetiv  ist  der  Hinweis  auf  die  Annexion. 


werden.    Man  reiht  sie  an  das   JxU    an,  weil  sie,  wie  dasselbe,  immer 
in  Nominativ  stehen  müssen, 

1)  S.  meine  Ajrüm.  §  67.  Es  ist  das  meistens  das  aus  dem  vor- 
angehenden Verbum  abgeleitete  und  in  den  Accusativ  gesezte  ^Jk^^Ävo, 
das  entweder  zur  Bestätigung  dient,  oder  die  Art  und  Weise  oder  die 
Zahl  anzeigt. 

2)  Es  ist  das  nach  1  (dem  in  diesem  Falle  die  Bedeutung  „mit" 
gegeben  wird)  in  den  Accusativ  gesezte  Nomen, 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Miifassal.  235 

Was  aber  die  Apposita  ^)  betrifft,  so  fallen  sie  in  ihrem 
Nominativ,  Accusativ  und  Genetiv  unter  die  Regeln  der 
Worte,  denen  sie  apponirt  werden,  indem  die  Rection  des 
(grammatischen)  Rectors  über  die  beiden  Arten  sich  gleich- 
massig  ergiesst;  und  ich  werde  alle  diese  Gattungen  mit 
der  Hilfe  Gottes  und  der  Gnade  seines  Beistandes  der  Ord- 
nung nach  getrennt  behandeln. 

Erwähnung  der  Worte,  die  im  Nominativ  stehen 

(müssen). 

Das  Activ-Subject. 

§  20. 

Das  Fä^il  (oder  Activ-Subject)   ist  dasjenige,   dem  das 

an  dasselbe  Angelehnte,^)  sei  es  ein  Verbum  oder  ein  ihm 

ähnliches  (Nomen) ,  *)    durchaus  vorangestellt  wird ,   wie  du 


1)  Die  ^jUj>  sind  viererlei  Art:  1)  ooLUI  (das  Qualificativ); 
2)  Ljiia*JI  (die  Anfügung)  und  zwar  ,oLuJI  v-^kf  (die  erklärende 
Anfügung,  asyndetiseh)  und  (^J^w**JLJI  v^lic  (die  Anfügung  der  An- 
reihung  durch  die  zehn  conjunctive  Partikeln);  3)  cXx5ydl  (die  Cor- 
roboration),  und  4)  JjuJj  (das  Permutativ).  S.  meine  Ajrüm.  §  53,  sqq. 
2J  ^üJI^  l\^aw.4.JI  ,  wörtlich :  das,  an  was  angelehnt  wird,  ist  hier 
das,  auf  welches  das  Verbum  bezogen  wird  (also  das  Subject) ;  JOUw^^JI 
ist  das  was  angelehnt   wird,   i.  e.  das  active  Verbum;    oLLww^II    die 

Anlehnung  des  Verbs  an  sein  Activ-Subject,  i.  e.  die  Beziehung  zwischen 
Praedicat  und  Subject. 

3)    Unter    diesen    Nominibus   versteht    man    das   JxLäJI   ^jm  I , 

das   J^jtAjl    ^\   und  die  Eigenschaftswörter,  die  dem   JkrLftJI   ^j^\ 

der  Construction  nach)  ähnlich  sind.     Cf.  Alf.  V.  467,  sqq. 


236        Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  2,  März  1878. 

sagst:  es  schlug  Zaid,  und:  Zaid,  es  schlägt  sein  Knabe 
(Sclave),  und:  schön  (ist)  sein  Gesicht.  Ihm  kommt  von 
rechtswegen  der  Nominativ  zu,  und  das  was  es  in  den  No- 
minativ sezt,  ist  das,  was  an  dasselbe  angelehnt  wird  (i.  e. 
das  Verbum).  Und  die  Regel  ist,  dass  es  dem  Verb  folge, 
weil  es  gleichsam  ein  Theil  von  ihm  ist.  Wenn  ihm  also 
etwas  anderes  vorgesezt  wird,  so  ist  es  der  Absicht  nach 
nachgesezt,  und  darum  ist  es  erlaubt  zu  sagen:  es  schlug 
seinen  Sclaven  Zaid,  und  es  ist  verboten  zu  sagen:  es 
schlug  sein  Sclave  den  Zaid.  ^) 

§  21. 

Das  pronominale  (Fä?il)   ist  in  Betreff  der  Anlehnung 

an  dasselbe  wie  das  offenbare  Nomen;    du  sagst:   ich  habe 

geschlagen,  und :  wir  haben  geschlagen,  und :  sie  (m.)  haben 

geschlagen,    und:  sie  (fem.)   haben  geschlagen;    und:   Zaid, 

er  hat  geschlagen.  Du  intendirst  also  in  v>-^  ein  Fä?il, 
und  das  ist  ein  Pronomen,  das  auf  Zaid  zurückweist,  ähn- 
lieh  dem  „t",  das  auf  ül  und  oil  zurückweist  in  oowo  ül 
und  y^:^y^    <o.jl  •  ^) 


1)  Der  Grund  ist,  dass  das  Pronomen  suff.  seinem   Juuuo  ,   auf 

das  es  sich  bezieht,  nicht  vorangehen  darf.  Die  Alfijyah  (V.  241)  er- 
laubt jedoch  eine  solche  Construction,  während  Ibn  *Aqil  in  seinem  Com- 
mentar  sie  bekämpft.    Der  im  Texte  angeführte  Saz   ist  jedoch   ganz 

richtig,  wenn  sich  das  Suff.  5  auf  das  in  »^wo  verborgene  jLftLi 
bezieht. 

2)  Das  J^frLi  ist  zweierlei  Art:  1)  v.^Ij>ö  ,  ein  offenbares  Nomen, 
und  2)  w4«<a;o,  ein  Pronomen.  Dieses  leztere  ist  wieder  entweder 
J^^oÄAXi  (getrenntes  =  absolutes  Pronomen),  oder  J..oJt/o  (angehängtes, 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufasml.  237 

§  22. 
Zu  den  Fällen,  in  denen  das  Fa?il  (durch  ein  Pro- 
nomen) im  Sinne  behalten  wird ,  gehört  deine  Rede :  er 
schlug  mich  und  ich  schlug  den  Zaid.  Du  behältst  (durch 
ein  Pronomen)  im  ersten  das  Nomen  von  dem  im  Sinne, 
der  dich  schlug  und  den  du  schlugst,  unter  der  Bedingung 
der  Explication  (desselben),  weil,  da  es  deine  Absicht  war 
in  dieser  Rede,  Zaid  als  Fä^il  und  Object  zu  sezen  und  du 
desshalb  die  beiden  Verba  auf  dasselbe  hinwandtest,  du  dich 
einmal  mit  der  Erwähnung  desselben  begnügen  konntest, 
und  da  es  nothwendig  war,  das  eine  von  beiden  eine  Rec- 
tion  darauf  ausüben  zu  lassen,  so  liessest  du  die  Rection 
dem,   welchem  du  es  unmittelbar  folgen  liessest.  ^)     Hieher 


und  zwar  p«jw>e,  im  Nominativ  stehendes).  Das  leztere  kann  wieder 
\^ü  (offenbar,  wenn  die  Person  zu  Tage  tritt,  wie  in  oowoj  sein, 
oder  yXXjMjo  (verborgen  wie  in  uj>..o  ,  oowo).  Cf.  meine  Ajrum. 
§  41.  42. 

1)  Es  handelt  sich  hier  um  den  sogenannten  Conflict  in  der 
Rection,  (Jl^jÜI  3  c\LüJIJ,  welchen  die  Alfiyyah  als  ein  eig-enes 
Capitel  behandelt,  was  immerhin  practischer  ist,  da  es  sich  dabei  nicht 
allein  um  das   JxU  ,    sondern  auch   um   das   J*.«jlo   handelt.     Man 

gebraucht  diesen  Ausdruck,  wenn  zwei  Regens  sich  auf  Ein  Rectum 
hinwenden,  indem  sie  demselben  vorangehen.  Eins  von  den  zwei  Re- 
gens regiert  das  sichtbare  Nomen,  während  das  andere  rectionslos  ge- 
lassen wird  und  nun  das  Pronomen  des  sichtbaren  Nomens  regiert.  Jedes 
der  beiden  Verba  kann  das  sichtbare  Nomen  regieren;  die  Basreuser 
und  Küfenser  sind  nur  darüber  uneinig,  welches  der  beiden  Verba  für 
die  Rection   geeigneter   sei ,   indem   die  Basrenser  das   zweite  Verbum 

dazu   für   passender  erklären,   weil    es  dem    Jy^juo   näher  stehe,   die 

Küfenser  dagegen  das  erste,  weil  es  vorangehe.    (Alf.  V.  278.  279,  sqq.) 


238        Sitzung  der  phüos.-pMlol.  Classe  vom  2.  März  1878, 

gehört  das  Wort  von  Tufail,  welches  Sibavaih  citirt  hat 
(Metrum  Jj^)- 

„(Dunkelbraune,  tief  rothe,  als  ob  [eine  Gold- 
farbe] auf  ihren  Hüften)  flösse,  und  sie  auf  dem 
Leibe  bekleidet  wären  mit  einer  Goldfarbe."  ^) 

Und  ebenso  ist  es,  wenn  du  sagst:  ich  schlug  (ihn) 
und  es  schlug  mich  Zaid ;  du  sezest  es  (das  Fs?il,  i.  e.  Zaid) 
in   den  Nominativ,    weil  du  es  dem  folgen  lassest,   was  in 

den  Nominativ   sezt    (nämlich  dem  Verb  Vr**^  ™it  seinem 

Object  ni),  und  du  lassest  aus  das  Object  des  ersten  (Ver- 
bums) indem  du  es  entbehren  kannst;  und  demgemäss 
lassest  du  immer  das  nächste  (Verb)  die  Rection  ausüben. 
Du   sagst   also:    ich    schlug   und   es   schlugen    mich   deine 

Leute  (viU^'J.       Sibavaih    sagt:    und    wenn    du    die   Rede 

nicht  mit  dem  lezten  (Verbum)  in  syntactischen  Einklang 
bringen  würdest,    würdest   du    sagen:    ich  schlug,    und  sie 

schlugen  mich ,  deine  Leute  x^kioyi ,  im  Accus,  als  J^4Jix> 
des    ersten    Verbums).*)      Und    das    (nämlich    dem    lezten 


1)  In  dem  citirten  Verse  von  Tufail  regiert  das  zweite  Verbum  das 
[jyj^XA  (i.e.  y^Joo  lovj,  ußd  das  erste  Verb,  das  sich  ebenfalls 
auf  ^^jjsüd<A  r^y  bezieht,  ist  rectionslos  gelassen  (denn  wenn  es  re- 
gieren  würde,  müsste  es  ^„^jj&i)<jo  ^yS  in  den  Nominativ  stellen  als 
sein  JltU),  es  regiert  nur  das  Pronomen ,  das  auf  dasselbe  zurück- 
weist und  das  es  virtualiter  in  den  Nominativ  stellt  (als  sein  JxU), 
da  es  in   ^-r^   verborgen  ist. 

2)  Nach  Alf.  V.  280.  281,  Com.  muss  dasjenige  Regens,  das 
rectionslos  gelassen  wird,  das  Pronomen  des  sichtbaren  Nomens 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  239 

Verbum  die  Rection  zukommen  zu  lassen)  ist  die  gewählte 
Ausdrucksweise ,  welche  die  Offenbarung  anwendet.  Gott, 
der  über  alles  gepriesen,  sagte  (Qur.  18,  95):  bringet 
(es)  mir,  damit  ich  das  flüssige  Eisen  darüber  giesse;  und: 
nehmet,  leset  mein  Buch  (Qur.  69,  19).  Und  dies  ist  die 
Ansicht  unsrer  basrischen  Genossen. 

Und  manchmal  wird  die  Rection  dem  ersten  (Verbum) 
zugetheilt  und  das  ist  selten.  Hieher  gehört  die  Rede  des 
?Umar  bin  abi  rabnah:    (J^j^b) 

„(Da  sie  nicht  abrieb  die  Zähne  mit  dem  Holz  eines 
Aräkah-Baums)  so  wurde  ausgewählt  das  Holz  eines 
Ish^il-Baumes,  mit  dem  sie  sie  dann  abrieb." 

Dies  (nämlich  dass  das  erste  Verbum  die  Rection  haben 
sollte)  behaupten  die  küfischen  Grammatiker. 

Gemäss  den  beiden  Lehrweisen  sagst  du :    „es   standen 

auf  (UU*)  und  es  sezten  sich  f  tVjw)  deine  beiden  Brüder,"  und : 
„es  standen  auf  (»»Li')  und  es  sezten  sich  (Ijjii*)  deine  beiden 
Brüder." 

Es    gehört    (aber)    nicht   das  Wort   des   Imru'u-1-qais : 

„(Wenn  ich  also  nach  einer  sehr  geringen  Subsistenz 

trachten    würde),    so    würde   mir,    ich   trachte  jedoch 

nicht  (nach  Besiz),  wenig  Besizthum  genügen"  (Jj^ic) 

zu   der    Gattung,    mit   der    wir    es    zu    thun    haben,     da 


regieren,  weil  das  Fa-?il  unter  allen  Umständen  ausgedrückt  werden 
muss.  Regiert  also  das  erste  Verbum  das  J«-».juo,  und  das  zweite 
nicht,  so  muss  am  zweiten  das  Fa^il,  welches  das  auf  das  Oy4*^ 
zurückweisende  Pronomen  ist,  je  nach  Zahl  und  Geschlecht  desselben 
ausgedrückt  werden.  Also  hier  ^jjjwO  (mit  Beziehung  auf  den  Col- 
lectivbegrifF  von  ^aiJs). 


240        Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

dabei  das  zweite  Verbuin  sich  nicht  zu  dem  hinwendet ,  zu 
dem  sich  das  erste  wendet.  ^) 

Zu  dem,  dessen  (Fä?il)  man  (durch  ein  Pronomen)  im 
Sinne  behält,  gehört  ihre  Rede:  „wenn  es  sich  morgen  er- 
eignen wird,  dann  komm  zu  mir,'*  d.  h.  wenn  das,  wovon 
wir  handeln,  sich  morgen  ereignen  wird.  ^) 

§  23. 

Und  manchmal  kommt  das  Fä?il  vor,  während  das 
Verb  das  es  (i.  e.  das  Fä?il)  in  den  Nominativ  sezt,  im  Sinne 
behalten  wird ;   man  sagt :  wer  hat  (es)  gethan  ?     Da  sagst 

du:  „Zaid",  indem  du  cUi  im  Sinne  behältst.^)  Hieher 
gehört  auch  das  Wort  Gottes,  des  erhabenen  und  glorreichen : 
„Preis  wird  ihm  dargebracht  in  ihnen  am  Morgen  und 
Abend,  Männer  (preisen  ihn)"  (Qur.  24,  36),  bei  dem,  der 
das  ^  (in  ^-i^*^)  mit  Fath  liest;  die  Erklärung  wäre  also : 
es  preisen  ihn  Männer  (J^»►^  w  ^-jwwwoj.  Und  hieher  gehört 
der  Vers  des  Buches  (Metrum:  J^^)- 

„Beweint  soll  werden  Jazid,  einer  der  wegen  eines 
Streites  niedergeschlagen  ist  (und  einer  der  eine  Gunst 
erfleht   darum    dass  Unglücksfälle   ihn   ins   Verderben 


1)  Der  Grund  ist  der,  dass  s..JLJbl ,  nach  dem  Zusammenhang, 
sich  nicht  auf  JL^JI   ^Two   JuJU   bezieht,  sondern  auf  Besiz  (dULo). 

2)  Dies  hängt  mit  dem  Vorangehenden  nur  in  so  fern  zusammen, 
als  das  Fä^il  von  ^^1^  nicht  näher  bezeichnet  wird,  sondern  aus  dem 
Zusammenhang  erschlossen  werden  muss. 

3)  Cf.  Alf.  V.  229. 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufaasdl.  241 

stürzten  ^)'*,  d.  h.  es  soll  ihn  beweinen  einer  der  nieder- 
geschlagen ist. 

Und    das    in    den    Nominativ    gesezte   Wort    in    ihrer 
Rede:  „ist  Zaid  herausgegangen?"^)   ist  das  Fä^il  eines  im 


1)  So  lautet  der  vollständige  Vers,   wie  ihn  Ibn  Ya*i§  in  seinem 
Com.  p.  97  anführt. 

2)  Es  handelt  sich   hier   um  Partikeln,   die  dem  Verbum  speciell 

zukommen   (JlaaJL)    (jaJCiä?).     Diese  sind  die  Adverbia  interrogativa 

I   und   Jjo  ,    (über  deren  speciellen  Gebrauch  s.  De  Sacy,  Anthol.  gram. 

p.  259),  die  Adverbia  negativa  Lo  und  ^  (cf.  Alf.  V.  258.  259,  c.  com. 

und  De  Sacy,  Gram.  II,  §  343),    viAjyÄ.,    wenn   es  nicht  mit   Lo   ver- 

bunden  ist,  die  Conditionalpartikeln    ^1    und    «J,    sowie   ^Üc ,    für- 

wahr,   gewiss,    und  U-^  ,    so  oft  auch  immer  (De Sacy,  Gram. 

II,  §  340),   wozu   im  Commentar   der   Alfiyyah  (zu  V.  229)  auch   |(3l 

gezählt  wird.  In  diesen  Fällen  kann  das  Nomen  (sei  es  Subject  oder 
Object)  von  seiner  ihm  gebührenden  Stelle  nach  dem  Verbum  verrückt 
und  vor  das  Verbum  gesezt  werden,  so  dass  das  Verb  seine  unmittel- 
bare Rection  auf  dieses  Nomen  verliert  und  nur  sein  Pronomen  regieren 

kann ,  was  man  JUlX^f  nennt ,  s.  darüber  Alfiyyah ,  V.  255,  sqq. 
Die  Grammatiker  supponiren  in  diesen  Fällen  ein  Verb  vor  dem  so  vor- 
angestellten  Nomen,   welches    gewöhnlich   das   ausgelassene   erschliesse 

-.  c  -^ 

(was   sie    ^^S   nennen).    Diese  Auslassung  des  Verbums  vor  dem  von 

seiner  Stelle  verrückten  Nomen  wird  als  eine  nothwendige  bezeichnet 
(cf.  Alf.  V.  229,  c.  com.),  woraus  klar  hervorgeht,  dass  diese  Erklärungs- 
weise nur  eine  Pedanterie  der  Grammatiker  ist. 

In  BetreiF  von  |  und  Jkjo  ist  noch  zu  bemerken,  dass  die  meisten 
Grammatiker,  wenn   |  vor  ein  Nomen  tritt,    den  Saz   als   ItXÄJUo    und 


242        Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  2,  März  1878, 

Sinne  behaltenen  Verbums,  welches  das  sichtbare  (Verb) 
erschliesst,  und  ebenso  im  Worte  Gottes:  „und  wenn  einer 
der  Polytheisten  dich  um  Schuz  anfleht"  (Qur.  9,  6),  und 
in  dem  Verse  der  H^amäsah:  ,,wenn  der  schwache  feig  ist;"  *) 
und  in  einem  Spruch  wort  der  Araber:  „wenn  mich  eine 
mit  einem  Armbande  beohrfeigt  hätte."  ^)  Und  das  Wort 
Gottes:  ,,und  wenn  sie  geduldig  gewesen  wären"  (Qur.  49,  5) 

steht  im  Sinne  von  o>o'  y  ^  (zz:  und  wenn  es  festgestanden 


yxis».  (das  auch  ein  Verbum  sein  kann)  fassen,  obgleich  einige  auch 
hier  vor  dem  Nomen  ein  Verbum  supponiren  wollen ,  dies  jedoch  nicht 
zugeben,  wenn  JjD  gebraucht  wird,  aus  dem  Grunde,  weil  Jjß 
als  Fragepartikel  beschränkter  sei  als  I  und  auch  manchmal  eine  andere 
Bedeutung  habe  (nämlich  die  von  Jö ,  und  sogar  im  Sinne  einer  Ne- 
gation gebraucht  werde).  Gegen  Wright,  Arab.  Gram.  II,  p.  332,  ist 
noch  zu  bemerken,  dass  Säze  wie:    c^Lx)   Jov    Jjß   also  wohl  erlaubt 

sind,  gemäss  den  vorangehenden  Erläuterungen  und  der  ausdrücklichen 
Bestätigung  des  Mufassal.  " 

1)  Der  ganze  Vers  der  H'amäsah  ist  in  Ibn  Yans  Com.  und  Frei- 
tags Ausgabe  der  H'amäsah,  p.  5  zu  lesen;  er  lautet: 


„Wenn  der  Schwache  feig  ist,   dann  fürwahr  wird  aufstehen  eine  harte 
Schaar  mit  Zorn  (zur  Vertheidigung  des  Rechtes)."     Das  Metrum  ist 


2)    nLa«    ^b ,    eine,  die  ein  Armband  trägt,  das  Abzeichen  der 
Freien   (^=:    S>ä.J. 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  MufasRal.  243 

hätte);  und  Lieber  gehört  das  Sprüchwort:  „wenn  nicht  in 
Gunst  gehalten,  so  lasse  (ich)  nicht  nach,"  d.  h.  wenn  du 
keine  unter  den  Weibern  hast,  die  in  Gunst  steht,  so  bin 
ich  nicht  nachlassend  (sie  zu  erlangen).  ^) 

§  24. 
Das  Mubtada    und  Xabar. 
Die  beiden   sind  die  Nomina  ^)    die    entblöst    sind   zum 
Zweck   der  praedicativen  Beziehung,    wie   du    sagst:  „Zaid 

(ist)  weggehend.^'  Der  Sinn  von  „Entblössen*^  (tV>^)  ist, 
dass  man  beide  von  den  (grammatischen)  Rectoren  frei 
macht,   welche  sind   ,jD  ,   ^\  und  oy^^Ä.  und  ihre  Schwe- 


1)  Das  Sprüchwort  wird  verschieden  erklärt  und  demgemäss  auch 
verschieden  gelesen.  Supponirt  man  als  Verb  J^5^l,  so  muss  als 
wAÄ.  von  ^jl^:  iüJaÄ.  und  iiUJI  gelesen  werden.  Ihn  Ya^is  erklärt 
xj.O>->^  und  xaJI  nach  dem  Formmass  von  iULuii ,  was  jedenfalls 
hier  besser  passt,  als  die  Erklärung  Lane's  (s.  unter  iUJI),  der  es  als 
Substantiv  fasst.     Der  Muh'itu-1-muh'it  führt  zwar  das  Sprüchwort  an, 

9-;    ^ 

spricht  sich  jedoch  nicht  näher  über  die  Form  von   äjJI   aus. 

2)  iJüCx^jf   (elliptisch  statt  &j  IJolmJI,    das,  womit  angefangen 

wird)  ist  jedes  Nomen,   das  den  Saz  beginnt.     Es  kann  ein  Substantiv 

(Pronomen  absei.)  oder  Qualificativ  [ysL^l)   sein,  das  leztere  jedoch  nur 

dann,  wenn  ihm  ein  Fragewort  oder  eine  Negation  voransteht, 
auf  die  es  sich  stüzt  (wobei  das  Fragewort  durch  eine  Partikel  oder  ein 
Nomen,    und  die  Negation  durch  eine  Partikel   oder  durch  das   Verb 

\jtjj^    ausgedrückt   sein  kann).     Das  Mubtada*    kann  jedoch   auch  ein 


244        Sitzung  der  philos.'philol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

stern ,  ^)  weil  diese ,  wenn  beide  (i.  e.  das  Mubtada'  und 
Xabar)  nicht  von  ihnen  frei  sind,  mit  ihnen  ein  Spiel 
treiben  und  ihnen  das  Verharren  im  Nominativ  wegnehmen. 
Und  bei  dem  Entblösen  wird  nur  das  zur  Bedingung  ge- 
macht, dass  dies  von  wegen  der  praedicativen  Beziehung 
geschehe,  weil  wenn  beide  nicht  zum  Zweck  der  praedica- 
tiven Beziehung  entblöst  würden,  sie  unter  die  Kategorie 
der  Laute  fallen  würden,  denen  es  zukommt  zum  Anruf 
verwendet  zu  werden,  ohne  flectirt  zu  sein,  weil  die  Flexion 
nicht  am  Plaze  ist  ausser  nach  der  Verbindung  und  Zu- 
sammensezung  (der  Worte). 

Und  der  Umstand,  dass  beide  entblöst  sind  zum  Zweck 
der  praedicativen  Beziehung,  ist  das  was  beide  in  den  No- 


sogenanntes  u^y/o  ^»mA  sein,  meistens  ein  Verb  verbunden  mit  ^f 
und  Lo ,  das  in  diesem  Falle  einem  »tX.«£uo  gleichgesezt  wird  (cf.  De 
Sacy,  Gr.  ar.  II,  §  952).  Das  Mubtada  selbst  ist  zweierlei  Art:  1)  ein 
Mubtada  mit  einem  Xabar,  2)  ein  Mubtada  mit  einem  Fä*il,  das  die 
Stelle  des  Xabar  vertritt. 

1)  Diese  fasst  man  unter  dem  Namen  •^^^yXi\  (die  welche  das 
Mubtada'  abrogiren)  zusammen.  Es  sind  Verba  und  Partikeln.  Von 
den  Verbis  gehören  hieher:  1)  ^^1^  und  seine  Schwestern,  2)  v_>.a*o». 
(jT^)    und  seine   Schwestern;    3)  die  Verba  des  Beinaheseins   (t>l^  , 

^-M*Ä  etc.),  welche  das  Mufassal  hier  nicht  erwähnt  (s.  dagegen  die 
Alfiyyah  V.  164,  sqq.) 

Von  den  Partikeln  gehören  hieher:  1)  Lo  und  seine  Schwestern 
(!^,  viy  und  ^[,  s.  Alfiyyah  V.  158,  sqq.);  2)  ^  zur  Verneinung 
der  Gattung;  und  3)   ^\^  und  seine  Schwestern. 


Trumpp:  Beiträge  zur  ErJdärung  des  Mufassal.  245 

minativ  sezt,^)  weil  es  dem  Sinne  nach  beide  zusammen  auf 
einmal  erfasst ,  in  Anbetracht  dessen ,  dass  die  Anlehnung 
nicht  möglich  ist  ohne  zwei  Seiten ,  (nämlich)  ein  An- 
gelehntes   und    eines,    an    das   angelehnt   wird.     Und    dem 

ähnlich  ist,  dass  die  Idee  der  Vergleichung  bei  jjO  ,   da  sie 

ein  Verglichenes  und  etwas  womit  verglichen  wird,  erfor- 
dert, auf  beide  Theile  Rection  ausübt.  Und  die  Aehnlichkeit 
beider  mit  dem  Fä:fil  beruht  darin,  dass  das  Mubtada  ihm 
dadurch  ähnlich  ist,  dass  auf  dasselbe  praedicativ  bezogen 
wird,^)  und  das  Xabar  dadurch,  dass  es  der  zweite  Theil  des 
Sazes  ist. 

§  25. 

Das  Mubtada'  ist  zweierlei  Art :  es  ist  ein  d  e  t  e  r  - 
minirtes,  und  das  ist  die  Regel,  und  ein  indeterminirtes 
Nomen,  entweder  qualificirt,  wie  in  dem  Worte  Gottes: 
„fürwahr  ein  glaubiger  Sclave''  (Qur.  2,  220),  oder  nicht 
qualificirt,  wie  in  ihrer  Rede:  ,,ist  ein  Mann  in  dem  Hause 
oder  eine  Frau?"  und:  „nicht  ist  einer  besser  als  du,'' 
und:    ,, etwas   Schlimmes    machte    knurren    den   mit   einem 


1)  Dies  ist  die  Lehre  Sibavaih's  und  der  meisten  Basrenser,  dass 
das  Mubtada'  als  solches  im  Nominativ  steht,  weil  es  von  jedem  wört- 
lichen Regens  frei  sein  muss,  und  dass  das  Xabar  durch  das  Mubtada* 
in  den  Nominativ  gesezt  wird.   Sie  statuiren  übrigens  für  das  Mubtada' 

ein  ;^yXxjo   JooLä  ,    ein  ideelles  Regens,  das  eben  darin  bestehen  soll, 

dass  es  von  jedem  wörtlichen  Regens  frei  ist !  üebrigens  darf  das  Mub- 
tada ein  wörtliches  Regens  haben,  wenn  dies  pleonastisch  oder  dem 
ähnlich  ist  (cf.  Alfiyyah,  V.  117,  c.  com.). 

2)  Das  Fä?il  und  das  Mubtada*  sind  beide  Subjecte,    denen  etwas 

attribuirt  wird    (iuJf    JOL-waXj),    nur   ihre   Stellung   im   Saze  ist    eine 

verschiedene. 

[1878. 1.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  3.]  19 


246        Sitzung  der  phüos.-philol,  Classe  vom  2.  März  1878. 

Hauer   versehenen   (Hund),"    und:    „unter   meinem   Haupte 
ist  ein  Sattel,"  und:  „auf  seinem  Vater  ist  ein  Panzer."  *) 

§  26. 

Das  Xabar  ist  zweierlei  Art,  ein  Einzelwort  und 
ein  S  a  z.  Das  Einzel  wort  ferner  ist  zweierlei  Art :  frei  von 
dem  Pronomen  und  es  enthaltend,  wie:  „Zaid  ist  dein 
Sclave",  und  „^Amr  geht  weg",  ^j 


1)  Die  Regel  ist,    dass   das   Mubtada    determinirt  sei.     Indeter- 

minirt  kann  es  nur  dann    sein,    wenn  es  einen  vollständigen  Sinn 

gibt.     Die  Alfiyyah,  V.  125 — 127,   und  Ibn  *Aqil  im  Commentar   dazu 

praecisirt  dies  näher  dahin,  dass  dies  in  6  Fällen  statt  finde:  1)  Wenn 

0    >o-      2,  - 
das  Xabar  ein   Owio    oder  ein   ^jv^j   y^   sei    und   dem   Mubtada' 

voranstehe  (vergleiche  die  zwei  lezten  Beispiele  im  Muf.).    2)  Wenn 

dem  Indeterminirten  ein  Fragewort  vorangehe  (cf.    JjJI  ^^  J^J). 

6  -  ^    ^ 

3)  Wenn  dem  Indeterminirten  eine  Negation  vorangehe  (cf.  Jcä.!  Lo). 

4)  Wenn    es    ein    Qualificativ    bei    sich    habe    (cf.    j^woyo   tX-J^j« 

5)  Wenn  es  eine  Rection  (auf  das  nachfolgende  Wort)  ausübe  (kein 
Beispiel  davon  im  Muf.)  6)  Wenn  es  annectirt  ist  (ohne  Beispiel  im 
Muf.)  Diese  6  Fälle  sind  (nach  dem  Comm.  zur  Alfiyyah  auf  24,  ja 
auf  30  und  mehr  Fälle  gesteigert  worden,  worunter  sich  auch  der  findet, 
dass  das  Indeterminirte  im  Sinne  der  Beschränkung  genommen  sei, 

wie  bei  ^i^ ,  wo  der  logische  Sinn  sei:  ^^  ^1  wißj  Lo  .  Vergl.  auch 
dazu  Ibn  Yä*i§,  p.  104. 

2)  Die  Alfiyyah,  V.  121,  c.  com.  erläutert  dies  näher  dahin,  dass 

das  Einzelwort,  wenn  es  ein  JuoLä-  (unabgeleitet)  ist,  kein  Pronomen 

in  sich   begreift   (obschon  einige  Grammatiker  dies   behaupten);   ist  es 

2  -  *-  j 
dagegen   ein   (äJCww^    (Particip   act.   und  pass,    und   das   verbalartige 

Adjectiv  sowie  das  Elativ),  so  begreift  es  ein  Pronomen  in  sich,  wenn 
es    nicht    ein    sichtbares   Nomen    in    den    Nominativ    sezt; 


Trumpp:  Beiträge  zur  ErTdärung  des  Mufassal.  247 

Der  Saz  besteht  aus  vier  Arten;  (er  ist)  Verbalsaz, 
Nominalsaz ,  Bedingungssaz  und  Ort-  und  Zeitsaz ,  wie : 
(ad  1)  „Zaid,  gegangen  ist  sein  Bruder";  (ad  2):  ?Amr,  sein 
Vater  (ist)  weggehend" ;  (ad  3) :  „Bakr,  wenn  du  ihm  geben 
wirst,  wird  er  dir  danken";  (ad  4):  „Xälid  (ist)  in  dem 
Hause".  ^) 

§  27. 
In  dem  Saze,  der  als  X'abar  dient,  muss  nothwendiger- 
weise  eine  Erwähnung   vorkommen,    die   auf  das    Mubtada' 

sich    zurückwendet;    wenn   du   sagst:  ^^dJ   3,    so    ist    der 

Sinn  davon :  L^>wi  ^.ääawI  (er  verweilt  darin).  ^)   Und  manch- 


I 


thut  es  dies,  so  involvirt  es  kein  Pronomen  (darnach  ist  De  Sacy,  Gr. 
ar.  II,  p.  518,  Note  1  zu  rectificiren),  weil  dieses  sein  Fä?il  ist  und  ein 
Verb    und   die  verbalartige  Sifah    keine   zwei  Fä^il   in  den  Nominativ 

d   -   "    > 

sezt.  Das  ^^JJuÄjo  dagegen,  das  nicht  eine  Verbalbedeutung  bat, 
schliesst  kein  Pronomen  in  sich^  wie  die  Nomina  instrumenti,  des  Orts 
und  der  Zeit,  e.  q.   ^Lxixi ,    ^^y^• 

1)  Wenn  das  Xabar  ein  oüi?  ist  oder  ein  im  Genetiv  stehendes 
Wort  (wie  JjJI  ^),  so  sind  sie  von  einem  noth  wendiger  weise  aus- 
gelassenen  abhängig.     Die  Grammatiker  erlauben   hier  entweder   ^^o 

CS-- 

oder  JijJjJ  zu  suppliren.  Im  ersteren  Falle  ist  dann  das  Xabar  ein 
Einzelbegriff,  der  durch  das   o^-b    näher  specificirt  wird,  im  lezteren 

ein  Saz.  So  die  Alfiyyah  V.  123  c.  com.  und  Ihn  Yan§  im  Com.  Ver- 
gleiche auch  das  erste  Beispiel  im  folgenden  Paragraphen. 

CJ  — 

2)  Das  was  hier  auf  das  Mubtada'  zurückweist,  ist  das  in  väÄaw! 

-  > 
verborgene  Pronomen   ^ . 

\  19* 


248         Sitzung  der  philos.'philol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

mal  ist  das  Zurückweichende  bekannt,  so  dass  man  sich 
seiner  Erwähnung  entschlagen  kann ,  ^)  wie  z.  B.  wenn  sie 
sagen:  „der  Weizen,  die  Tonne  (davon)  um  sechzig  (Dirham)," 
und:  „das Schmalz,  zwei  Man  (davon)  um  einen  Dirham,"  ^) 
und  im  Worte  Grottes:  „wer  geduldig  ist  und  vergibt,  für- 
wahr dieses  (von  ihm)  ^)  gehört  zum  festen  Vorsaz  der 
Dinge  (Qur.  42,  41).'^ 

§  28. 
Es  ist  erlaubt,  das  Xabar  dem  Mubtada'  vor- 
anzustellen, wie  du  sagst:  ein  Tamimite  (bin)  ich," 
und:  „verhasst  ist  der  dich  hasst,"  und  wie  Gott  sagt: 
„gleich  (ist)  ihr  Leben  und  ihr  Sterben  (Qur.  45, 
20),"  und:  „es  ist  ihnen  gleich,  ob  du  sie  ermahnst 
oder  nicht   ermahnst   (Qur.  2,  5),'*  *)    der   Sinn  (des   lezten 


1)  Wenn  das  Xabar  als  Saz  das  Mubtada  dem  Sinne  nach  repro- 

G       ^ 

ducirt,  so  ist  kein  Pronomen  als  ^oJ\s  zwischen  beiden  nöthig,  wie: 
^ajwää.   ^JUI       öU'i    (cf.  Alfiyyah,  V.  119;  120).    Ist  dies  aber  nicht 

der  Fall,  so  muss  der  Saz  ein  Pronomen  enthalten,  das  ihn  mit  dem 
Mubtada'  verbindet.  Wo  übrigens  die  Verbindung  klar  zu  Tage  liegt, 
kann  das  Pronomen  auch  weggelassen  werden. 

2)  Vergleiche  dazu  Alfiyyah,  V.  119;  120  c.  com.,  wo  dasselbe 
Beispiel  angeführt  ist. 

3)  Hier  supponirt  Ihn  Ya*i§  (p.  116,  4)  und  auch  Baidävi  (sub 
versu)  KkiO ,   um  dadurch  auf  das  Mubtada'  \jq   zurückzuweisen. 

4)  Die  Alfiyyah,  V.  128  c.  com.  spricht  sich  ebenfalls  ganz  all- 
gemein dahin  aus,  dass  die  Voranstellung  des  Xabar  erlaubt  sei,  wenn 
dadurch  keine  Undeutlichkeit  entstehe.  Es  kommen  mit  Bezug  auf  die 
Stellung  des  Xabar  überhaupt  drei  Fälle  in  Frage:  1)  Die  Möglich- 
keit der  Vor-  oder  Nachsezung  desselben.  2)  Die  Nothwen- 
digkeit  der  Nachstellung  desselben.  3)  Die  Nothwendigkeit 
der  Voranstellung  desselben.  Hier  handelt  es  sich  um  den  ersten 
Fall.     (Cf.  De  Sacy,  Gr.  ar.  II,  §  994.) 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufasml,  249 

Sazes)  ist:  es  ist  ihnen  gleich  das  Ermahnen  und  Nicht- 
ermahnen.  ^) 

Als  nothwendig  wird  die  Voranstellung  ^)  des- 
selben betrachtet  in  Säzen,  in  denen  das  Mubtada'  als  in- 

determinirt  vorkommt  und  das  Xabar  als  oUä  ^)  (Orts- 
oder Zeitbestimmung),  wie  du  sagst:  „im  Hause  (ist)  ein 
Mann."  Was  aber  (die  Worte)  anlangt,  wie :  „Frieden  über 
dir!''  und:  „wehe  dir!"  und  was  von  Anwünschungen 
diesen   beiden   ähnlich   ist,^)    so   werden   sie   in  ihrem  Zu- 


^»55 1  >      9   o 


1)  D.  h.  ^^ji\tXj|f  etc.  steht  hier  als   J^^    «vwl. 

2)  Die  Alfiyyali   (V.  131—135,   c.   com.)   statuirt  dabei  4  Fälle: 

1)  Wenn  das  Mubtada'  indeterminirt  und  das  Xabar  ein   Owb    oder 

G   >  o-       S, 

%»w^«    xLä.   ist  (wie  in  dem  Beispiele  im  Text).    2)  Wenn  das  Mub- 

tada'  ein  Pronomen  umfasst,  das  auf  etwas  im  Xabar  zurückweist. 
3)  Wenn  dem  Xabar  die  erste  Stelle  gebührt  (wie  bei  den  Fragewörtern 
^jof ,   ^^AxS ,    ic^J  •     ^)  Wenn  das  Mubtada'   beschränkt  ist   (durch 

CS 

^1).     Zu  2)  und  4)  werden  im  Muf.  keine  Beispiele  erwähnt. 

3)  Zama/gari   gebraucht  das  Wort  oüo  im  weiteren  Sinne,   so 

9      o-       S,  - 
dass   das    \^y^  ^  y^    darin  inbegriffen  ist. 

4)  In  Säzen  wie   viUXc    *^aw   und   dU   Jül    bleibt  das  Mub- 
tada*  an  seiner  Steile,   obgleich  es  indeterminirt  und  sein  Xabar  ein 

9    Jo-       2,  - 

s.w^^    xLä»   ist.      Dies    ist    jedoch    nur    erlaubt    in    Wunschsäzen 

S'l     ü  ^  9   -  ^  G  o 

(iuwÄ4>lj,  weil  da  Worte  wie  J^m^  und  Jol  (dem  locus  grammaticus 
nach)  im  Accusativ  stehen  (=  viJLJL&  L^^^),  in  welchem  Falle  sie 
einem  Verbalausdrucke  gleichkommen    =  dUulx    xAJI    ^Xmj  ,    dL  j^ 


250        Sitzung  der  philos.-philol.  Glasse  vom  2.  März  1878, 

stände  gelassen,  da  sie  (eigentlich)  im  Accusativ  stehen,  in- 
dem sie  auf  die  Stufe  des  Verbums  (dem  Sinne  nach)  herab 
gerückt  werden;  und  in  Säzen  wie:  „wo  ist  Zaid?''  und: 
„Avie  befindet  sich  ?Amr?"  und:  „wann  (findet)  der  Kampf 
(statt)?'' 

§  29. 

Und  es  ist  erlaubt  das  eine  von  den  beiden  aus- 
zulasseH. 

Zur  Auslassung  des  Mubtada*  gehört  die  Rede 
dessen,  der  nach  dem  Neumonde  ausschaut  (und  ausruft): 
,,der  Neumond,  bei  Gott!"  und  deine  Rede,  nachdem  du 
einen  Wohlgeruch  gerochen  hast:  „der  Moschus,  bei  Gott!" 
Oder  wenn  du  Jemand  gesehen  hast  und  dann  sagst: 
„?Abdu-llah,  bei  meinem  Herrn !"  ^)  Und  hieher  gehört  der 
Vers  des  Al-muraqqis  (Metrum  J««(^): 

„(Möge  Gott  nicht  fern  machen  das  Umgürten  der 
Waffen  und  die  Einfälle  berittener  Schaaren),  wenn 
das  Heer  sagt:  (da  sind)  Kameele." 

Zur  Weglassung  des  Xabar  gehört  der  Ausdruck: 
„ich  gieng  heraus,  und  siehe  da  der  Löwe !"  ^)  und  die  Rede 
von  ^u-rrummah  (Metrum  J^^) : 


idUl,    und    da    dem   Verb    die    erste    Stelle    im  Saze    zukommt,    so 

bleiben  sie   (um  dieser   ihrer  supponirten  Verbalbedeutung  willen)   an 
ihrem  Orte.    So  Zama;^§ari  und  Ihn  Ya?i§.     Dies  ist  jedoch  nur  eine 

künstliche  Deutelei.    Der  Grund  ist  offenbar  der,   dass  auf  |»jVaw   und 

So 

Jl>*   der  Hauptnachdruck  liegt,   und  darum  steht  das  Xabar  nach  den- 
selben. 

1)  Diese  Fälle  sind  so  zu  ergänzen :  J^.^1  IJüC ,   dLI^JI  yS^ , 
2JJI   J^i   ^1^- 

2)  Hier  ist  als  Xabar    woIä.   oder   J«^*jo   zu  ergänzen.    S.  AI- 


Trumpp:  Beiträge  zur  ErJclärung  des  Mufassal.  251 

„Also  o  Gazelle  des  weichen  Saudbodens  zwischen 
Juläjil  und  zwischen  dem  Sandhügel !  bist  du  (es)  ^)  oder 
die  Mutter  des  Sälim?'' 

Und   das    Wort   Gottes:    J^v«^   r^•*^  lässt    die   zwei 

Erklärungsweisen  zu ,  d.  h.  entweder :  ,,also  meine  Sache 
ist  schöne  Geduld/'  oder:  „schöne  Geduld  ist  besser  (ge- 
ziemender).*' ^) 

Als  (nothwendig)  wird  erfordert  die  Auslassung  des 
Xabar  in  Säzen  wie:  „wenn  nicht  Zaid  (gewesen  wäre),  so 
wäre  es  so  und  so  gegangen,"  weil  der  Nachsaz  seinen 
Plaz  ausfüllt  (i.  e.  darauf  hinleitet).  ^) 

Und  zu  dem,  in  welchem  das  Xabar  ausgelassen  wird, 
weil  etwas  anderes  seinen  Plaz  ausfüllt,  gehören  Säze,  wie: 
„stehen  die  beiden  Zaid?"  *)  und:  „mein  Schlagen  den  Zaid, 


fiyyah  V.  136.  137  c.  com.  und  Ibn  Yaüs,  p.  115  (der  auch  andere 
Auffassungsweisen  anführt). 

1)  Nach    \::j^\\   muss  hier   aLuJaJI   ergänzt  werden. 

2)  S.  Wright,  arab.  Gr.  II,  p.  286.   Rem.  6.     Ibn  »Aqil   im  Com. 

zu  V.  141  (am  Ende)  will  hier  das  Mubtada   als  nothwendig  ausgelassen 

betrachten,  wenn  das  Xabar  ein  Masdar  sei,  das  die  Stelle  des  Verbums 

®       -      G  o  -  c  - 

vertritt.    Er  erklärt  daher  diese  Worte  durch:  JUc^ä.     yjyo    ^yiyc  , 

Die  Qur  anstelle  ist  12,  18. 

3)  Nach  cXjn  j) J  ist  i^ys>yjo  oder  w^Lä.  als  Xabar  zu  er- 
gänzen. Ibn  fAqil  (im  Com.  zu  Alf.  V.  138 — 141)  bemerkt  dazu,  dass 
in  diesem  Fall  die  Wegnahme  des  Xabar   nothwendig  sei,    wenn  es  ein 

allgemeines  Sein  (LäJUauo  Üä^j  ausdrücke,  sei  es  aber  ein  be- 
schränktes, so  könne  man  es  sezen  oder  weglassen;  leite  aber  nichts 
darauf  hin,  so  müsse  es  erwähnt  werden. 

4)  Dies  ist  nur  eine  andere  Auffassungsweise  Zama/gari's.     *oü>l 

G 

ist  Mubtada   und   ^|(X>-J|   ist  ein   JlcU  ,   das  die  Stelle  des  Xabar 


252         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  2,  März  1878. 

wenn  er  steht' ^  (=i  ich  schlage  den  Zaid,  wenn  er  steht) ;  ^) 
und:    ,,ich    trinke    meistens    (wörtlich:    das   meiste    meines 


vertritt.    S.  Alfiyyah,  V.  113 — 155,  c.  com.  Es  ist  also  in  Wirklichkeit 

das  Xabar  nicht  ausgelassen,  sondern  nur  durch  das    JläU  ersezt,   da 

jvSU'l    nothwendigerweise  als  Mubtada'  gefasst  werden  muss.  (Vergl.  die 

Anra.  2  zu  S.  243.)  Auch  Ihn  Yang  fasst  die  Sache  so  auf.  Com. 
p.  117,  L.  11.  12. 

1)  Die  Alfiyyah  V.  138 — 141  und  Ihn  ?Aqil  im  Commentar  dazu 
bebandelt  diesen  Punct  etwas  ausführlicher.  Das  Xabar  wird  noth- 
wendigerweise ausgelassen,  wenn  das  Mubtada'  ein  Maadar  ist  und  nach 
ihm  ein  H'äl  steht,   der  die  Stelle  des  Xabar  vertritt,   ohne  als  Xabar 

gelten  zu  können.  In  dem  angeführten  Beispiele  ist  /^Jy-o  Mubtada*, 
das  an  das  Pronomen  der  ersten  Person  annectirt  ist,  !jo\  ist  das 
von  v^w^  abhängige  io  ^yxsuo^  und  Uo  U*  ist  H'al.  Die  Frage 
ist  nun,  was  das  JLil  v,^ä.Lö  sei?  ItXj)  könne  es  nicht  sein, 
denn  sonst  könnte  UoU'  nicht  die  Stelle  des  Xabar  ausfüllen,  da  es 
dann  noch  zur  ^JL^  des  Masdar  gehören  würde.  Denn  das  Regens 
von  Ijov  ist  ^Y^  j  und  was  den  jLiI  >^„j,ssXj>o  regiert,  regiert 
auch  den  JLä.  zugleich.  Desshalb,  sagt  Ihn  Ya*i§  und  Ihn  ?Aqil,  muss 
der  H'äl  UoLs  von  dem  Pronomen  eines  supponirten  Verbums  ab- 
hängen und  das  eigentliche  Xabar  ist  ^^  mit  einem  supponirten 
joLo)  oJb  (Ijl^  für  das  Futurum,  und  31  für  die  Vergangenheit, 
im  Sinne  von  ,j«X>,  ^^  ^\jy^).  Dass  das  Verb  ^(^  (als  iwü») 
obgleich  es  das  Regens  für  den  H*äl  ist  oder  sein  soll,  sammt  16 1  oder 
jl    ausgelassen  sein  soll,  ist  doch  sehr  fraglich.    Weder  Ibn  Ya?iä  noch 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  253 

Trinkens)  den  dünnen  Brei  im  gestandenen  Zustande  ;'*  *) 
mid :  „das  beredteste  von  dem,  was  der  Amir  ist,  (ist)  wenn 
er  steht  (=  der  Amir  ist  am  beredtesten,  wenn  er  steht) ;"  ^) 
und  ihre  Rede:  „jeder  Mann  mit  seinem  Handwerk  (oder 
Landgut)/^  ^) 


Ibn  ^Aqil  führen  einen  Beweis  für  die  Zulässigkeit  dieser  Auslassung  an, 
die  sich  sprachlich  kaum  wird  begründen  lassen.  Das  unregelmässige  solcher 
Säze  liegt  eben  in  dem  Gebrauche  des  Masdar,  das  sowohl  eine  Verbal- 
als  Nominalbedeutung  in  sich  begreift,  mit  Ausschluss  des  ZeitbegriflFes ; 


i   o 


o  -^ 


^y^     kann    darum  =:    \::/^y^ ,     als   auch  =    v^j^^l    sein.    Wir 

werden  sie  daher  am  leichtesten  als  einfache  Verbalsäze  fassen,  so  dass 

dann   Ijov    als   Jlil    v_a^Lo   steht,  was  weitaus  das  natürlichste  ist. 

Da  aber  die  arab.  Grammatiker  pedantisch  nur  die  äussere  Wortform 
im  Auge  behalten,  so  werden  sie  zu  solchen  künstlichen  Deuteleien 
getrieben. 

1)  Das  dem  Masdar  Annectirte  folgt  der  Regel  des  Masdar. 

2)  ,j*kX.j  Lo  wird  als  J^yo  s(Xo.x)  betrachtet,  so  dass  es  für 
^jyoill  ^J^  v^ia:^!  steht.  Löst  man  nun  das  Masdar  in  das  Verbum 
finitum  auf  (=  ^jl^  oder  USU  j-axi^I  _^.ksl  mjjXj),  so  bedarf  es 
nicht  der  Ergänzung  UjU  ^^  16t  und  L^oU*  ist  ein  von  wyo^l 
abhängiger  H'äl, 

3)  Das  l  vor  ^Ux^^  ist  das  sogenannte  aUA*JI  •  !•  ,  das  Väv 
des  Mitseins.  Die  Grammatiker  lösen  diesen  Saz  auf  durch :  J.ä-5  Ji^ 
^^Xj^yÜA   ÄAÄA^  5  ,    indem  sie    ^ü.wü^   als  Xabar  suppliren.    Dies 

wird  jedoch  von  andern  bestritten,  indem  sie  (mit  Recht)  behaupten, 
dass  der  Saz  auch  ohne  ein  supponirtes  Xabar  vollständig  sei  (Jeder 
Mann  (ist)  mit  seinem  Handwerk  =  hängt  an  seiner  Beschäftigung  oder 
seinem  Landgute).    Cf.  Ibn  ^Äqil's  Com.  zu  Alfiyyah  V.  138—141, 


254        Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

§  30. 

Und  manclimal  kommt  das  Mubtada'  und  das  Xabar 
als  zwei  determinirte  Nomina  zusammen  vor,  wie  du 
sagst:  „Zaid  ist  der  weggehende/'  und:  „Allah  ist  unser 
Gott,"  und:  „Muh^^ammad  ist  unser  Prophet/'  Und  hieher 
gehört  auch  deine  Rede:  ,,du  bist  du,"  *)  und  die  Rede  des 
Abu-nnajm : 

,,Ich  bin  Abu-nnajm,  und  meine  Dichtung  ist  meine 
Dichtung."   (Metrum  'j^)) 

Und  hier  ist  die  Voranstellung  des  Xabar  nicht  er- 
laubt, sondern  welches  von  den  beiden  (determinirten  No- 
mina) du  voranstellst,  das  ist  das  Mubtada'.^) 

§  31. 

Und  manchmal  kommen  für  das  Mubtada*  zwei  und 
mehr  A'abar  vor.  Hieher  gehört  deine  Rede:  „das  ist  süss- 
sauer,"  und  das  Wort  Gottes:  „er  ist  der  Vergebende,  der 
Liebevolle,  der  Herr  des  Thrones,  der  Glorreiche,  der  thut 
was  er  will"  (Qur.  85,  14— 16).  3) 

§  32. 

Wenn  das  Mubtada^  die  Idee  der  Bedingung  invol- 

virt,   so  darf  o  vor  sein  Xabar  treten.  Und  dieses  (Mub- 

1)  Der  Sinn  ist:  Du  bist  der  alte. 

2)  Cf.  Alfiyyah,  V.  130.  131  c.  com. 

3)  Die  Grammatiker  sind  über  diesen  Punct  nicht  ganz  einig. 
Einige  wollen  die  Mehrheit  des  Xabar  nicht  erlauben  ohne  Verbindungs- 


"  >     o  ^ 


Partikel  (^  «^^    Owä.).     Andere  (wie  die  Alfiyyah  und  das  Mufassal) 

erlauben  dies,   gleich  viel  ob  zwei  Xabar  im  Sinne    von  Einem  stehen 

(wie  y>d>ol.Ä.   y^  =  yo)    oder  nicht.     Andere  behaupten,   dass  das 

Xabar  nicht  in  der  Mehrzahl  vorkomme,  ausser  wenn  die  beiden  Xabar 
im  Sinne  eines  einzigen  stehen,  sonst  müsse  die  Verbindungspartikel 
eintreten ;  komme  so  etwas  ohne  Verbindungspartikel  vor,  so  müsse  ihm 
ein  anderes  Mubtada'  supponirt  werden.     Cf.  Alfiyyah,  V.  142,  c.  com. 


IVumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  255 

tada')  ist  zweierlei  Art,  das  Relativ  um  ^)  und  das  quali- 
ficirte    Nomen    indeterminatum,    wenn   die   Silah 

oder  die  Sifah  ein  Verb  ist  oder  ein  oüb,   wie  das  Wort 
Gottes :  ,, Diejenigen,  die  ihre  Besizthümer  als  Almosen  ver- 


1)  Dazu  g-ehört  jedoch,  dass  das  Relativ  mit  seiner  Silah  allgemein 

(äjÜw)  sei  und  nicht  speciell  einem  einzelnen  zukomme   (^ya^)^ 

damit   es   die   Idee   der   Bedingung   ausdrücken  könne;   denn  nur  als 

rt  (7  ^^    (als  vages)  involvirt  es  eine    l9.«uj    und   Er*^  ,    wenn  zugleich 

seine  äJLo  ein  Verb  oder  ein  oüs  (worunter  auch  das  \^>^%  )V.ä. 

begriffen  ist ,  weil  dabei  immer ,  nach  dem  vorangegangenen ,  ein  Verb 
supplirt  werden  muss)  ist,  weil  die  Bedingung  immer  auf  ein'.Verb  ge- 
etüzt  sein  muss.    Ebenso  verhält  es  sich  mit  einem  qualificirten  Nomen 

indeterminatum;  denn  das  äJo  gleicht  in  der  Vagheit  fj^L^I)  dem 
JyOmjo ,  und  seine  'iJua  der  iJLo  desselben.  Dazu  bemerkt  aber 
Ibn  Ya^i§  (p.  123,  L.  22),  dass  wenn  in  einer  solchen  ^JLo  oder  gJoa 
neben  der  Bedingung  auch  schon  eine  Apodosis   (xlyÄ.)    enthalten  sei, 

man  vor  das  Xabar  nicht  mehr  o  sezen  dürfe,  weil  die  Bedingung 
nicht  zweimal  beantwortet  werde. 

Was  aber  die  Sezung  oder  Nicht-Sezung  des  o  vor  das  Xabar  in 
den  im  Texte  erwähnten  Säzen  betrifft ,  so  soll  nach  Ibn  Ya^is  der 
Unterschied  der  sein,  dass  o  die  unmittelbare  Consequenz  der  Be- 
dingung ausdrücke,  während  das  Xabar  ohne  o   als  nicht  unmittelbar 

aus  der  vorangegangenen  Bedingung  resultirend  hingestellt  werde.  So 
scharfsinnig  dies  aussieht,  so  ist  es  doch  nicht  richtig,  denn  wenn  die 
Bedingung  im  Verb  liegt,  so  muss  auch  die  Apodosis  von  der  durch 
das  Verb  gesezten  Bedingungserfüllung  abhängen.  Wir  können  daher 
seine  Correctur  Zama/gari's  nicht  hinnehmen. 


256        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

wenden  bei  Nacht  und  bei  Tag,  insgeheim  und  öffentlich, 
die  haben  ihren  Lohn  bei  ihrem  Herrn"  (Qur.  2,  275),  und 
wie  sein  Wort :  „was  ihr  an  Reichthum  besizet,  das  ist  von 
Gott''  (Qur.  16,  55),  und  wie  du  sagst:  „jeder  Mann  der 
zu   mir   kommt,    oder   im  Hause  ist,    der   bekommt   einen 

Dirham."     Wenn  also  o^   oder  Jju  vor    (die   erwähnten 

Mubtada')  tritt,  so  steht  nach  allgemeiner  Uebereinstimmung 

^^  nicht  (vor  dem  Äbar),  und  wenn   ^ji  vor  sie  tritt,  so 

ist    (über   die   Zulässigkeit    von  o    vor    dem  Xabar)    eine 

Meinungsverschiedenheit  zwischen  Al-a^fas  und  dem  Ver- 
fasser des  Buches  (Sibavaih).  ^) 


1)  Wenn  vor  das  erwähnte     J^ayo     oder    s  Jo   die  Partikeln 

(J*  ?  (J* )  jjo  ,  ouy ,  Joü  und  ^jXj ,  zu  stehen  kommen, 
welche  das  Mubtada'  in  den  Accusativ,  das  Xahar  dagegen  in  den  No* 
minativ  stellen,  so  lehrt  Sibavaih,  dass  die  vier  Partikeln  ^jl^,  v,:>JJ , 
J^äJ   und   ^oJ^   es  nicht  gestatten,  dass  das  o  vor  das  Xabar  trete, 

weil  sie  nicht  nur  die  Wortform,  sondern  auch  die  Bedeutung  (des 
Sazes)  verändern;  denn  diese  Partikeln  nähern  sich  in  ihrer  Bedeutung 
dem  Verb  und  lassen  die  Idee  einer  Bedingung  und  Apodosis  nicht  zu. 

^j!    und   ^j!  jedoch  lassen  die  Sezung  von  o  vor  dem  Xabar  zu,   da 

diese  zwei  Partikeln  wohl  die  Wortform  (des  Mubtadä*)  verändern,  aber 

e5  .  ^^\ 

nicht  den  Sinn  (des  Sazes).  Al-a/fa§  dagegen  will  auch  bei  ^jj^  (und  ^) 
den  Gebrauch  von  o   nicht  gestatten,  da  sie  wie  ihre  Schwestern  Rec- 

tion  ausüben.  Nach  den  Qur*änstellen  jedoch,  die  Ihn  Ya*i§  citirt  (cf. 
Qur.  46,  12;  3,  20;  62,  8.),   ist  die  Lehrweise  Sibavaih's  gerechtfertigt, 

während  Al-a/fa§  das  o  in  diesen  Stellen  als  pleonastisch  wegerklärt. 
In  der  Alfiyyah  ist  der  Inhalt  dieses  §  nicht  behandelt. 


Trumpp :  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  257 

Das  Xabar  von  jj^  und  seinen  Schwestern.*) 

§  33. 
Dieses  ist  das  in  den  Nominativ  gesezte  (Wort)  in 
Säzen  wie:  „fürwahr  Zaid  ist  dein  Bruder,"  und:  „vielleicht 
ist  Bisr  dein  Genosse."  Nach  der  Ansicht  unserer  (der 
basrischen)  Genossen  wird  es  durch  die  Partikel  in  den 
Nominativ  gesezt,  weil  sie  dem  Verbum  darin  gleicht,^) 
dass  sie  sich  an  Nomina  anschliesst,  und  dem  Mädi  des- 
selben darin,  dass  sie  indeclinabel  auf  Fath*^  steht.  Das 
durch  sie  in  den  Accusativ  Gesezte  wird  also  an  das  Object 
angeschlossen,  und  das  durch  sie  in  den  Nominativ  Gesezte 
an  das  Fä?il,  und  deine  Rede:  „fürwahr  Zaid  ist  dein 
Bruder"  wird  auf  gleiche  Linie  gestellt  mit  dem  Saze:  „es 
schlug  den  Zaid  dein  Bruder"  und  (deine  Rede):  ,,als  ob 
iAmr  der  Löwe  wäre"  auf  die  gleiche  Linie  mit  dem  Saze : 
„es  tödtete  den  ?Amr  der  Löwe."  ^)     Nach  der  Ansicht  der 


1)  Es  sind  das  im  Ganzen  die  sechs  Partikeln:  ^]  ^  ^f ,  ^jJü, 
oJJ  ,    JjJ    und    ^1^  . 

2)  Wegen  ihrer  Aehnlichkeit  mit  dem  Verbum  werden  diese  Par- 
tikeln   JL^^L    2L^-Lä^!    Owä.^1  genannt. 

3)  Diese  Aehnlichkeit  ist  eine  rein  äusserliche  und  der  Vergleich 
hinkt  daher.  Auch  die  Bemerkung  des  Ibn  Ya?i§,  dass  das  Mafeül  vor- 
angestellt werde,  um  dadurch  diese  Partikeln  vom  eigentlichen  Verbum 
zu  unterscheiden,  trägt  nichts  zur  Erklärung  dieser  Construction  bei. 
Die  ursprüngliche   Construction  dieser  durch   die   erwähnten   Partikeln 

(specieü  ^^\    und    ^|)   eingeleiteten  Säze  war,  Mubtada'  und  Xabar  in 

den  Accusativ  zu  stellen,  wie  sie  noch  bei  Dichtern  vorkommt,  was  der 

ursprünglichen  Bedeutung  von    ^\    und    ^jl    vollkommen    entspricht. 


258        Sitzung  der  philos.'pküol.  Classe  vom  2,  März  1878. 

küfischen  Grammatiker  wird  es  (das  Xabar)  in  den  Nomi- 
nativ gesezt  durch  das,  durch  was  es  in  den  Nominativ 
gesezt  wird  in  deiner  Rede:  „Zaid  ist  dein  Bruder;"^) 
und  die  Partikel  übt  darauf  keinerlei  Rectionskraft  aus. 

§  34. 

Und  alles  das,  was  über  das  Xabar  des  Mubtada'  er- 
wähnt worden  ist  in  Betreff  seiner  Arten  und  Zustände  und 
Bedingungen ,  ^)    gilt   von    ihm    (hier),    nur    dass   es   nicht 

erlaubt  ist  es  voranzustellen,  ausser  wenn  es  als  o  Jo  vor- 
kommt, wie  du  sagst:  „fürwahr  im  Hause  ist  Zaid,"  und: 
„vielleicht  ist  bei  dir  ?Amr,"  und  in  der  Offenbarung 
(kommt  vor) :  „fürwahr  zu  uns  ist  ihre  Rückkehr,  dann  für- 
wahr liegt  uns  ob  die  Abrechnung  mit  ihnen''  (Qur.  88, 
25.  26).  3) 


Später  trat  diese  Bedeutung  mehr  in  den  Hintergrund   und  das  Xabar 
wurde  daher  wieder  in  den  Nominativ  gesezt. 

Siehe  meine  Abhandlung  über    ^\    und    ^^f    (Silzungsber.  der  k. 

b.  Acad.,  Mai  1877,  p.  123),  wo  jedoch  statt:  „die  basrischen",  „einige* 
zu  lesen  ist. 

1)  D.  h.  eben  durch  das  Mubtada'-  Verhältniss.  Die  Ansicht  der 
küfischen  Grammatiker  ist,   was  den  späteren  Sprachgebrauch  anlangt, 

jedenfalls  richtiger,  da  ,^1^  etc.  keine  Rectionskraft  auf  das  Xabar  mehr 

ausübt.   In  der  älteren  Sprache  verhielt  es  sich,   nach  dem  in  der  vor- 
angehenden Anmerkung  bemerkten  anders. 

2)  Die  oLloI  beziehen  sich  darauf,  dass  das  Xabar  t^yAxi  oder 
äJL«^  ist,  die  Jl«^k.| ,  dass  es  üiyXjo  oder  HyXJ  ist,  die  isolww, 
dass  ein    JoLc   vorhanden  sein  muss,  wenn  das  Xabar  ein  Saz  ist. 

3)  Die  Alfiyyah,  V.  126,  c.  com.  führt  dies  weiter  aus.  Die  Vor- 
oder   Nachstellung   des  Xabar   ist   erlaubt,    wenn   es   ein    Owb    oder 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufas.ml.  259 

§  35. 

Auch  wird  (das  Xabar,  wenn  es  ein  oüö  ist)  aus- 
gelassen in  Säzen  wie:  „fürwahr  Vermögen,"  und:  „für- 
wahr ein  Sohn,"  und:  „fürwahr  eine  Anzahl,"  d.  h.  „für- 
wahr ihnen  ist  Vermögen,"  etc.^)  Und  es  sagt  ein  Mann 
zum  andern:  „habt  ihr  Jemand?  fürwahr  die  Leute  sind 
gegen  euch  (ein  feindlich  gesinnter  Haufen)."  Darauf  sagt 
er:  „fürwahr  Zaid/'  und:  „fürwahr  ?Amr,"  d.  h.  „fürwahr 
uns  ist"  etc.     Und  es  sagte  Al-'a^sä: 

,, Fürwahr  Absteigen  und  Weiterziehen,  und  fürwahr 
Stillstand  (dann)  auf  der  Reise,  wenn  sie  vorüber- 
gezogen sind."     (Metrum  ^y^Juo) 

s^y^^  ^Lä.  ist,  weil  die  Sprache  gerne  solche  Saztheile  in  die  Mitte 
stellt,  ja  sogar  das  oLdi«  von  seinem  iuJI  oLo-«  dadurch  trennt. 
Noth wendig  ist  aber  die  Voranstellung,    wenn  sich  auf  das   o*Jo   ein 

Nomen  durch  ein  angehängtes  Pronomen  bezieht,  oder  wenn  das  Nomen 
indeterminirt,  das  Xabar  dagegen  determinirt  ist.  Das 
von    dem   Xabar    Regierte   darf  dem   Nomen  (dem   eigentlichen  Mub- 

tada')  nicht  vorangestellt  werden,  auch  nicht   wenn  es  ein  o*.iö    oder 


)>/^i  )^  '''• 


1)  Dies  ist  hauptsächlich  der  Fall,  wenn  eine  Frage  vorausgegangen 
ist,  welche  das  Xabar  enthielt,  so  dass  man  es  in  der  Antwort  nicht 
zu  wiederholen  nöthig  hatte,  oder  wenn  es  aus  dem  Zusammenhang 
sich  von  selbst  versteht.  Die  Grammatiker  sind  indessen  betreffs  der 
Auslassung  des  Xabar  verschiedener  Meinung.    Die  ßasrenser  behaupten, 

dass  dies  bei  einem  xijjuo   und   »Jo    gleich  statthaft   sei,    während 
die  Küfenser  dies  nur   bei  einem   ä^jo  erlauben  wollen.  Al-farrä  wollte 

die  Auslassung  nur  zugestehen,  wenn  ^^}  wiederholt  werde.    Nach  dem 
angeführten  Beispiele  indessen  haben  die  Basrenser  Recht. 


260        Sitzung  der  philos.'philol.  Classe  vom  2.  März  W78. 

Und  du  sagst:  „fürwahr  ausser  ihnen  Kamele  und 
Schafe,"  ^)  d.  h.  sind  uns."     Und  es  sagte  (Ru'batu): 

„0    dass    die    Tage     der    Jugend     wiederkehrten!" 
(Metrum  'y^))     Das  heisst:  „o  dass  uns!"  etc.  ^) 

Und  hieher  gehört  das  Wort  des  eUmar  bin  ?abdu- 
baziz  an  einen  Quraisiten,  den  er  angieng  mit  (=z  auf 
Grund)  einer  Verwandtschaft :  „also  fürwahr  das ;"  dann  er- 
wähnte er  sein  Verlangen.  Darauf  sagte  (jener) :  „vielleicht 
das,"  d.  h.  also  fürwahr  das  ist  verificirt,"  und:  „vielleicht 
wird  dein  Verlangen  realisirt."  ^)  Als  nothwendig  wird  er- 
achtet die  Auslassung  des  Xabar  in  dem  Saze:  „o  dass  ich 
wüsste!"  *) 


1)  Es  ist  am  eiufachsten  als  Nomen  von  ^^1  ,  ^L^l  und  sLa« 
ZU  fassen  und  wXJt  als  Praeposition  (oder  JLä.  ,  wie  Ibn  Ya?is  will) 
=  UöLa*;;  doch  kann  auch  Lijj^  das  Nomen  von  ^1^  sein  und 
^^1    und   ^Li   ein    'wu^'   dazu 

2)  Auch  Ibn  Ya^iä  will  zum  Xabar  das  supponirte  uJ  machen 
und  fasst  darum  LxÄkl.^  als  fl*äl  zu  ^yoJI  aGI  .  Dies  ist  jedoch 
nicht  nöthig,  da  »oo^J ,  nach  dem,  was  wir  S.  257,  Anm.  1  u.  3  be- 
merkt haben,  sowohl  sein  Mubtada'  als  auch  sein  Xabar  in  den  Accu- 
sativ  stellen  kann.  Es  braucht  in  diesem  Falle  dann  auch  keine  Aus- 
lassung  von   LjÜ   als  eigentlichen  Xabars  angenommen  za  werden. 

3)  Ibn  Ya»i§  bemerkt  dazu,  dass  es  der  Analogie  mehr  angemessen 

wäre,  hier  vor  ^J|6  beidemal  als  Xabar  dU  zu  suppliren ,  obgleich  der 
Sinn  derselbe  sei. 

4)  Ibn  Ya?i§  erwähnt  verschiedene  Erklärungsweisen,  -die  erste 
(der    er    den    Vorzug    gibt)   ist,   dass    es    statt    ot^f   /c-*-^   stehe; 


Trumpp:  Beiträge  zur  ErJclärung  des  Mufassal.  261 

Das  Xabar  von  ^,  das  zur  Verneinung  der  Gat- 
tung dient. 
§  36. 

Dieses  ist  in  der  Rede  der  Leute  von  Hijäz  ^)  (z.  B.) : 
„Kein  Mann  ist  vortrefflicher  als  du,"  und:  „Keiner  ist 
besser  als  du/'  und  die  Rede  H'ätim's   (Metrum  h^^^^): 


f    9  " 

•.x-til  sei  also  das  eigentliche  Xabar,  für  das  das  Masdar  (^>Xmj 
eintrete,  und  das  Nomen  von  v:i^  sei  das  ^  in  ^^y*-^  j  das  seine 
Stellvertretung  übernehme.  Die  dritte  ist,  dass  das  Xabar  ausgelassen 
sei,  ähnlich  wie  in  dUuOyS^^  Jo\  ^*J ,  wo  nach  J^jv  als  Xabar 
i>ySb^».jQ  oder  ^^Lä.  supplirt  wird.  Die  zweite  ist,  dass  der  Saz  nach 
.-y*^    an  der  Stelle  des  Xabar  stehe. 

1)  Nach  Ibn  Ya«ä  stellen  die  Leute  von  Hijäz  das  Xabar  heraus, 
so  dass  die  Rection  (von  ^1)  darin  zum  Vorschein  kommt,  während  die 
Banü  Tamim  dies  nicht  thun.  Dieses  ^  sezt  das  Mubtada'  in  den  Ac- 
cusativ,  das  Xabar  dagegen  in  den  Nominativ,  beide  jedoch  müssen 
indeterminirt  sein.  Das  Nomen  von  ^1  kann  annectirt  sein,  oder 
dem  Annectirten  ähnlich  (wie  in  dem|Verse  von  H''ätim)>  oder  ein  Einzel- 
wort. Steht  dieses  leztere  im  Singular  (und  nicht  im  Dual  oder  Plural), 
so  wird  es  als  ein  mit  ^  zusammeugeseztes  Wort  betrachtet  (ähnlich 
wie  j.xLc  Ä-WW.+Ä.),  und  daher  als  unflectirt  auf  Fath*^  stehend,  ob- 
gleich sein  Casus  grammaticus  der  Accusativ  ist,  wie  dies  aus  dem 
Plur.  sanus  und  dem  Dualis  erhellt.  Die  Küfenser  und  einige  basrische 
Grammatiker  behaupten  daher,  dass  dieses  a  der  Flexionsvocal  des 
Accusativs  sei. 

[1878. 1.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  3.]  20 


262        Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

„Kein  edler  von  den  Söhnen  bekommt  einen  Morgen- 
trunk." 

Dies  lässt  zwei  Erklärungsweisen  zu;  die  eine  ist,  dass 
er  dabei  seinen  Täitischen  Dialect  für  den  Hijäziscben  auf- 

gebe;    und  die  zweite  ist,    dass  er  ^yj<^a.jo  nicht  als  Xabar 

hinstelle,  sondern  als  ksl^  ,   die  in  lieber einstimmung  steht 

mit  dem  locus  grammaticus  von  ^   mit  seinem  Negirten.  ^) 

Es   (das   Xabar)    steht   im   Nominativ   ebenfalls   durch 

die  Partikel,    weil  ^  nach   derselben    gemessen  wird,    nach 

dem  Mass  von  jjj^ ,  mit  Rücksicht  darauf,  dass  es  sein 
Gegentheil  ist  und  sich,  wie  dasselbe,  an  Nomina  an- 
schliesst.  ^) 

§  37. 

Und  die  Leute  von  Hijäz  lassen  es  (das  Xabar)  oft 
aus  und  sagen  also:  „es  gibt  keine  Leute,"  und:  „kein  Be- 
sitzthum,"  und:  „keinen  Schaden"  (=  es  schadet  nicht), 
und:  „keinen  freigebigen  ausser  ?AlT,"  und:  ,,kein  Schwert 


1)  Der  locus  gram,  von  ^  mit  dem  von  ihm  Negirten  ist  eigent- 
lich der  Nominativ,  da  beide  zusammen  virtuell  das  Mubtada'  repräsen- 
tiren.  Siehe  meine  Ausgabe  der  Ajrüm.  p.  106,  2;  Muf.  p.  35,  1.  15, 
sqq.  Alfiyyah  V.  201.  Gegen  die  Erklärung  Zama/sari's  an  dieser 
Stelle,  s.  §  37,  Anm. 

.  r  c:  . 

2)  D.  h.  jJ  wird  in  diesem  Fall  ganz  wie  die  Partikel  ^^1  be- 
handelt, indem  ^1  zur  Bejahung,  ^  aber  zur  Verneinung  dient  j  beide 
treten   vor   ein  Mubtada'   und  Xabar,   indem  sie  das  Mubtada'  in  den 

Accusativ  (denn  auch  beim  Nomen  von  ^  ist  die  ursprüngliche  Stellung 

der  Accusativ,   obgleich  das  Einzelwort  im  Sing,   als  indeclinabile  auf 
Fath'  betrachtet  wird),  das  Xabar  aber  in  den  Nominativ  stellen. 


Trum'pp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  263 

ausser  >LääJI  ^6 .''  Hieher  gehört  aucli  das  Glaubens- 
bekenntniss,  und  sein  Sinn  ist:  ,,es  gibt  keinen  Gott  in 
Wirklichkeit  ausser  Allah."  Und  die  Banü  Tamim  kennen 
es  gar  nicht  in  ihrer  Rede.  ^) 

Das  Nomen  von  Lo  und  ^ ,   welche  (j^  ähnlich  sind. 

§  38. 

Das  ist  wie  du  sagst:  „Zaid  ist  nicht  weggehend,"  und: 
„Kein  Mann  ist  vortrefflicher   als  du."  ^)     Und  ihre  Aehn- 

lichkeit  mit  (j^   besteht  in  der  Negation  und  darin,  dass 

sie  dem  Mubtada'  und  Xabar  vortreten,  ausser  dass  L«  mehr 

in   die   Aehnlichkeit   mit  ihm   (i.  e.  ij^)  eintritt,   weil  es 


1)  Die  Alfiyyah  V.  205  sagt,  dass  die  Auslassung  des  Xabar  von 

^1  allgemein  ist,  wenn  bei  dessen  Wegfall  das  Intendirte  klar  ^hervor- 
tritt. Dem  fügt  Ibn  ^Aqil  im  Commentar  noch  bei,  dass  in  diesem 
Falle  der  Ausfall  des  Xabar  bei  den  Tamimiten  und  Ta  iten  nöthig  sei, 
während  es  bei  den  Hijzaiten  erlaubt  sei.  Eine  absolute  Auslassung  des 
Xabar  nimmt  demnach  Ibn  9Aqil  bei  den  Tamimiten  und  Tä'iten  nicht  an, 
wie  es  Zama/sari  behauptet ;  dagegen  spräche  auch  der  citirte  Vers  (§  36) 

(wenn  von  H'ätim),  wo  es  sehr  gezwungen  wäre,  —yx/o^  als  nJua  von 
I^jw5^^l  zu  fassen.    Ibn  ?Aqil,  welcher  diesen  Vers  auch  citirt  (Com.  zu 

Alf.  V.  205)  folgert  daraus  das  gerade  Gegentheil.  Ibn  Ya?i§  gibt 
zwar  (p.  132)  beide  Erklärungsweisen  zu,  stimmt  aber  Zama/gari  darin 
nicht  bei,  dass  der  erwähnte  Vers  von  H'ätim  sei,  da  Al-jarrai  ihn  dem 

^^J^ÖJ  dem  Huiailiten,  zuschreibe.   Auch  Ibn?Aqil  erwähnt  den  Namen 

deä  Verfassers  nicht,  noch  auch  die  Jü:^!«^  zur  Alfiyyah. 

2)  Das  Xabar  kann  jedoch  mit  v«^  auch  im  Genetiv  stehen.    Alf, 
V.  161,  c.  com. 

20* 


264         Sitzung  der  philos.-phüol  Classe  vom  2.  März  1878. 

speciell  der  Negation  des  Gegenwärtigen  zugetheilt  wird 
und  darum  tritt  es  zugleich  vor  das  Nomen  determinatum 
und    indeterminatum.       Man    sagt    also :    ,,Zaid    geht    nicht 

weg,"  und:  ,, Keiner  ist  vortrefflicher  als  du."    Und  ^  tritt 

nur  vor  das  Nomen  indeterminatum;  man  sagt  also:  ,,Kein 
Mann  ist  vortrefflicher  als  du,"  und  man  darf  nicht  sagen : 

„nicht   (^)   ist  Zaid  weggehend."      Und   der  Gebrauch    von 

y  im  Sinne  von  (j**«^  kommt  selten  vor;  hieher  gehört  der 

Vers  des  Buches  (Metrum  J-<D,    und  zwar  J«ij.>oj: 

,,Wer  auch  sich  abwendet  von  seinen  (i.  e.  des 
Krieges)  Feuern  —  ich  also  bin  der  Sohn  des  Qais, 
es  ist  kein  Verlassen  des  Plazes  (von  meiner  Seite)."  ^) 

Erwähnung  der  Worte  die  imAccusativ  stehen. 

§  39. 

DasabsoluteObject 

ist  das  Masdar.     Es    wird    so   benannt,    weil   die  Handlung 

von    ihm    ausgeht.      Und    Sibavaih    nennt  es    (das   Masdar) 

'   "-»  '   "  ''"1 

viJtX^i  (Ereigniss)  und  ,jütXs.|  (idem),  und  manchmal  nennt 

er  es  J.JLftJI   (die   Handlung).      Und    man    theilt   es    ein    in 


1)  Der  Vers  ist  aus  der  H'amasah,  I,  p.  250.  Tabrizi  zu  dem 
Verse  sagt,  dass  die  Erklärung  dahin  gehe,  dass  -^f^J  statt  des  Ac- 
cusativs  — lyJ  stehe,  um  des  Verszwanges  willen,  Sibavaih  (und  nach 
ihm  Zama/sari)  dagegen  fasst  hier  jf  im  Sinne  von  (»«.aJ  und  hält  das 
Xabar  für  im  Sinne  behalten  (=  j^JoLc).  Näheres  über  die  Rection 
von    Li,    !^l    {^*3    und    Jjl)    siehe  Alf.  V.  158,  sqq. 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  265 

9  -  o  > 

(V^-yo    (vages),    wie:    ,,icli    schlug    ein    Schlagen/'  ^)     und 

<:/3yjo  (zeitlich  bestimmt),    wie :  ,,ich  schlug  ein  einmaliges, 
zweimaliges  Schlagen.  ^) 

§  40. 

Und  manchmal  wird  mit  dem  Verb  etwas  anderes  als 
sein  Masdar  verbunden,  nämlich  das,  was  in  der  Bedeutung 
desselben  steht.  Und  dieses  ist  zweierlei  Art,  eiu  Masdar 
oder  etwas  anderes  als  ein  Masdar. 

Das  Masdar  ist  (wieder)  zweierlei  Art :  ein  solches, 
welches  dem  Verbum  in  seiner  Ableitung  (von  der  Grund- 
form) entspricht,  wie  in  dem  Worte  Gottes:  ,,Und  Gott 
hat  euch  von  der  Erde  hervorsprossen  lassen"  (Qur.  71,  16), 
und:  ,, Trenne  dich  (von  der  Welt)  zu  ihm  hin''  (Qur.  73, 
8) ;  ^)  und  ein  solches ,    das  ihm  darinnen  nicht  entspricht, 

wie  du  sagst:   ,,ich  sass  (^:i>tXAij  ein  Sizen  (I^w^Aä-)'',  und: 

ich  hielt  ab   (o^aaaaä.)  ein  Abhalten   (üü.xj).'*) 

Und  das  Nicht-Masdar  ist  wie  du  sagst:  ,,ich  schlug 
ihn    verschiedene   Arten   des    Schiagens,"  ^)    und :    ,,was  für 

1)  Es  wird  so  genannt,  weil  es  nur  zur  Verstärkung  oder  Be- 
kräftigung der  Idee  der  Handlung  dient,  ohne  derselben  ein  neues 
Moment  (der  Qualität  oder  Quantität)  beizufügen. 

2)  Dies  ist  das  Nomen  vicis  (üyjo  (V-^vf)  nach  dem  Formmass 
«Xxs ,  welches  die  Idee  der  )L^  (oder  Quantität)  hinzufügt  und  da- 
durch die  Handlung  näher  bestimmt. 

3)  Hier  ist  nur  das  gleichbedeutende  Masdar  einer  anderen  Verbal- 
form gebraucht. 

4)  In  diesen    zwei    Beispielen   entspricht  das  Masdar  dem  Verbum 
nur  der  Bedeutung,  nicht  dem  Verbalstamme  nach. 

5)    ^y^\    ^jjo   LäLjI    steht  =  lx.y.Ävo    L>^^  oder   LalÄi^ , 

ein  verschiedenes  Schlagen. 


266        Sitzung  der  phüos.'phüol  Glasse  vom  2,  März  1878. 

ein  Schlagen!'^*)  Und  hieher  gehören  (die  Ausdrücke): 
„er  trat  den  Rückzug  nach  hinten  an,"  ^)  und:  er  hüllte 
sich  in  das  Obergewand  indem  er  es  von  der  rechten  über 
die  linke  Schulter  warf,"  ^)  und:  „er  sass  nach  der  kauern- 
den Weise,"  weil  sie  gewisse  Arten  des  Umkehrens,  des 
Einhüllens  und  des  Sizens  sind;  und  hieher  gehört  auch 
(der  Ausdruck) :  „ich  schlug  ihn  mit  einer  Peitsche."  *) 


1)  Das  Mufassal   hat   hier  die  zwei  Ausdrücke :   ^^wo  ^\   und 

(I  "      I  -es. 

y^y/6  UjI  ,  die  wir  in  der  deutschen  Uebersezung  nur  einmal  wieder- 
gegeben  haben,  da  sie  dem  Sinne  nach  identisch  sind.    ^\   (als  äa^) 

wird  auch  im  Sinne  der  Verwunderung  gebraucht.  Steht  das  Nomen, 
dessen  ksuc  es  ist,  indeterminirt,  so  stimmt  es  im  Casus  mit 
ihm  überein,  ist  es  dagegen  determinirt,  so  kann  es  nur  als  JLä.  (im 
Accus.)  folgen,  da  es,  an  sich  selbst  indeterminirt,  nicht  mit  einem 
determinirten  Nomen  übereinstimmen  kann.  Ist  das  Nomen  selbst 
aber  ausgelassen,   so  steht  es  in  dem  Casus,    in   welchem  das  Nomen 

stehen  müsste,  wenn  es  gesezt  wäre,  j^l ,  im  Sinne  der  Verwun- 
derung,  steht  nur  im  Sing.  masc.   (als   ein   Neutrum)   und   wird 

s  * 
einem  indeterminirten  Nomen  annectirt.    Gleichbedeutend  mit  ^1 

ist  U->l  ,    indem  durch   die   Anfügung   von   Lo    seine  Bedeutung   nur 
etwas  verallgemeinert  wird,  ohne  dass  seine  ßection  aufgehoben  würde. 
Der  Saz:  ^^wO   ,^}   iiX^yo  ist  aufzulösen  durch:  ü«»o  ^v^ 
^y-^  (^»  ,   ich  schlug  ihn  ein  Schlagen,  was  von  einem  Schlagen ! 

2)  i^üL^-äJI,  eine  gewisse  Art  des  Rückgangs  nach  hinten. 

3)  ^U^l   J^Ca^I   steht  statt:   ^U^JI    i^-CccJi    ^^4-^1,    er 
hüllte  sich  ein  nach  der  Weise  von  etc. 

4)  Nach  Alfiyyah   V.   289,   c.   com.    kann  auch  das  Instrument 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufasml.  267 

§  41. 

Und  die  Masdar,    die  diircli  im  Sinne  behaltene  Verba 
in    den    Accusativ   gesezt   werden ,    sind    von  dreierlei  Art : 

(1)  ein  solcher,  bei  dem  die  Herausstellung  und  die  Ver- 
bergung    seines    (regierenden)    Verbums    im    Gebrauch    ist; 

(2)  ein  solcher,  bei  dem  die  Herausstellung  seines  Verbums 
nicht  im  Gebrauche  ist,  und  (3)  ein  solcher,  der  durchaus 
kein  Verbum  hat;  und  diese  drei  enthalten  einen  Wunsch 
und  keinen  Wunsch.  Die  erste  Art  also  ist,  wenn  du  zu 
einem  von  seiner  Reise  Ankommenden  sagst:  „beste  An- 
kunft," und  zu  dem,  der  in  seinen  Versprechungen  nicht 
Wort  hält:  „Versprechungen  des  ^Urqüb,''  und  zu  einem 
Zornigen:   der  Zorn  der  Pferde   gegen   die  Zügel."  ^)     Und 


(ÄJ^I)  stellvertretend  für  das  Masdar  eintreten.  Ibn  -^Aqil  erklärt  da- 
her  diesen  Saz  durch:  Jc^mj  <^y^  Ä^jy^ä,  indem  das  oLä>o  aus- 
gelassen und  das  äaJI  oLdx)  an  seine  Stelle  gesezt  wurde.  Ibn 
Yans  dagegen  erklärt  es  durch:  ic^.ww.JL  i^Jy^o  xÄjy^,  indem 
io«.*w^JLj  dem  locus  grammaticus  nach  eine  iüua  zu  &jw^  sei; 
dann  werde  das  \^y^oyjo  (i.  e.  i^j».^)  ausgelassen  und  die  &^o  an 
seine  Stelle  gesezt.  Die  Praeposition  falle  dann  aus  und  das  Verbum 
werde  transitiv  und  seze    Jö«.a*JL   in  den  Accus.,  und  die  Transitivität 

gäbe  den  Hinweis  auf  das  Instrument.   Dieser  weitschweifigen  Erklärung 

ist  die  des  Ibn  ^Aqil  jedenfalls  vorzuziehen. 

"  "     "^ 
1)  Hier  supplirt  man  beim  ersten  Beispiel  oxijö ,  beim  zweiten 

^AJ'tVc  • ,   und   beim   dritten    c>.A^.t  ]    das  hinzuzudenkende  Verb  ist 

das  Kegens  des  Masdar.     Nach  Ibn  Ya^i§  Angabe   jedoch   gebrauchen 
einige    Araber    in    diesen    Fällen    auch    den    Nominativ    und    sagen; 


268        Sitzung  der  phüos.-pJiilol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Lieber  gehört  ihr  Ausdruck:  „eine  Furcht,  die  besser  ist 
als  Liebe?''  d.  h.  ,,soll  ich  mich  vor  dir  fürchten  eine 
Furcht  die  besser  ist  als  Liebe?" 

Die  zweite  Art  ist  deine  Rede:  „ein  Tränken!"  und: 
„ein  Beschirmen!"  „ein  Vereiteln!'^  und:  „ein  Verstüm- 
meln!" und:  „ein  Verwunden!"  und:  „ein  Unglück  (über 
ihn)!"  und:  „Fluch  über  ihn!"  und  „Verwünschung  (über 
ihn)!"^)  Und:  „ein  Loben,"  und:  „ein  Danken,  kein  Ab- 
läugnen  (der  Wohlthat),"  und:  ,,ein  Wundern,"  und:  „ich 
thue  das  und  Ehre  (für  dich)  nnd  Erfreuung,"  und:  „ja 
und  Ergözen  des  Auges,"  und:  ,,ich  thue  das  nicht,  nicht 
nahe  daran  sein  noch  daran  denken,"  und :  „ich  würde  ge- 
wiss dieses  thun,  und  gegen  (deinen)  Willen  und  mit  Ver- 
achtung (deiner)."  ^) 


-«'-JO-  -6^,0- 


AtXü^    j-^Ä.  etc.,  im  Sinne  von  *JJüo    wcä.   viLo» Jö  ,   so  dass  dann 
ÄtX.Ä/0    5-A.^    diis  Xabar  eines  ausgelassenen  Mubtada*  ist. 

1)  Die  Regel  ist,  dass  das  Regens  des  Masdar  nothwendig  weg- 
genommen wird,  wenn  das  Masdar  das  Verbum  finitum  vertritt.  Dies 
ist  der  Fall,  wenn  das  Masdar  einen  Im  perativ,    Prohibitiv  oder 

Wunsch    implicirt.       uüIa«   steht   also   statt:    äJUI   cILä^  ,     Ulc^ 

statt :    iJJI     iJLis  ,      i^Axis^    statt :   iJUf    ^aj^ä.  ,      LäJcä.    statt : 

xAj!    vilÄtXö.,    IJiÄ   statt:  \Ji^  jsjj]   5wä£.  ,     Lav«.j    statt:  ^UwLjI 

Lavo   iüU!,     ftX.*j    statt:   lt\jtj   aX:]    5 Jou! ,    und  ebenso:    Lä^ 

statt :  Lft^   iüJ]    isJi^]    (möge    Gott    ihn    [vom   Glück]    entfernen!). 

Cf.  Alf.  V.  292,  c.  com.     In  allen  diesen  Fällen  jedoch   ist  auch  der 

Nominativ  erlaubt^  wie:  viJU     ^äa«  . 

2)  Selten  ist  die  Auslassung  des  Regens  des  Masdar  upd  die 
Sezung  des  Masdar  an  seine  Stelle,  wenn  damit  eine  Aussage  gemacht 
werden   soll,    die   der  Redende   von   sich   macht.     In  den  aufgezählten 


Truwpp:  Beiträge  zur  ErUärung  des  Mufassal.  269 

Und  liieher  gehören  (Ausdrücke  wie):  ,,dii  nur  ein 
Reisen,  Reisen,"  und:  ,,du  nur  Tödten,  Tödten,"  ^)  und: 
,,du    (reisest)    nur    wie    ein    Eilbote ,"    und :    ,,du    nur    das 


Säzen  steht  also  IcX^ä.  etc.  im  Accus,  durch  ein  noth wendigerweise  im 
Sinne  behaltenes  Verbuin ,    auf  dessen  Bedeutung   das  Masdar  hinweist, 

also  ltX.».Ä.  =  äJJI  J.4-Ä.I ;  \y^^  =  lwXl*i  SyX^f ;  Ll^  = 
Ll#  v#l;  ix)L^^  Ä}^  Jiil  =  'd\y<  ^y^\^  .  üeber 
((^j^ÄJ*ljiJ  und  (..».jiwA'x^.JtJ*  ist  noch  besonders  zu  bemerken,  dass 
das  Substantive  sind ,  die  an  der  Stelle  des  Masdar  stehen  (man  sagt 
auch  ^^^.xt  iUjü  und  ^üü  und  j^>jä  r»^)-  ^^^  ursprüngliche 
Redensart  ist:  Lu^  'tX-^  vi:;».4JÜ ,  indem  Iaxc  als  y^x^J  steht. 
■^vJLß.  «»Ijü  würde  demgemäss  =  ^^j^  »»üü  si>4JÜ  stehen  =  ich  bin 
(darüber)  ergözt  ein  Ergözen  des  Auges.  Anders  der  Muh'it,  welcher  es 
durch  dUJotJ  üouül  vilJ  j  Jüiil  erklärt,  was  auch  zulässig  ist,  wie 
man  zu  äx>(w5  das  Verb  j»^|  supplirt.  \d^jS  *^  —  Jk*i!  ol^l  ^j 
ich  bin  nicht  daran  es  zu  thun.  U-^)5  erklärt  Ihn  Ya-fis  durch: 
Ux>  ifcXxÄj  viUiwÄl,  ich  erniedrige  dich  dadurch,  dass  ich  es  thue, 
ein    Erniedrigen;    U-^)    kann   aber  auch   „gegen  (deinen)  Willen"    be- 

deuten,  wie  man  sagt:   X^s.    iJlii,    „er  that   es  gegen   (seinen)  Wil- 

^  ^^  ^^      i> 

len."  Ljf«.;»«  =  üf«.^  iu  dUx5öl  •  ,  ich  mache  dich  dadurch  ver- 
ächtlich. 

1)  Das  Regens  des  Masdar  wird  ausgelassen,  wenn  das  Masdar  auf 

ein  Nomen  concretum  (/^wxc.  (V^f)  bezogen  ist  und  von  demselben 
etwas  aussagt.  Das  Masdar  muss  in  diesem  Falle  wiederholt  oder 
(durch   ü^t    und   Ujt)    beschränkt   sein.     Diese  Construction   dient 


270         Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Schlagen  der  Leute,"  *)  und:  „du  (trinkst)  nur  wie  die  Ka- 
meele  trinken.''  Und  hieher  gehört  das  Wort  Gottes :  ,,also 
darnach  entweder  Güte  (gütiges  Losgeben)  oder  Loskaufung" 
(Qur.  47,  5).  ^)  Und  hieher  gehört  (der  Ausdruck) :  „ich 
gieng  vorüber,  und  siehe,  er  hatte  eine  Stimme  wie  die 
Stimme  eines  Esels ;'' ^)    und:  ,, siehe  er  hatte  ein  Geschrei 


dazu,  um  anzudeuten,  dass  etwas  oft  oder  viel  geschehe  (Ibn  Yans).  Die 

Auflösung  von  Lxa«  Uxa«  oJI  Ui!   ist  also:  i^km  vAwwwo  viol  Uil, 

du  thust  nur  (immer)  reisen;"    y>j-^    i^t   noth wendig  ausgelassen,    da 

das  Masdar  an  seine  Stelle  getreten  ist.  Bei  der  Beschränkung 
braucht  das  Masdar  nicht  wiederholt  zu  sein,  da  darin  schon  eine  Ver- 
stärkung liegt,  welche  die  Wiederholung  vertritt.     Man  kann  jedoch  in 

Säzen  dieser  Art  auch  den  Nominativ  gebrauchen,  wie:  ^xaw  j)|  ooI  Lo 
y.KMj  ;  der  Sinn  ist  dann  jedoch  nur :  w^^  v«^ä.Lo  ^I  ojI  Lx>  ,  und 
die  Idee  der  Vielheit  oder  Aufeinanderfolge  fällt  weg.  (wx^  als  No- 
minativ  wird  dann  l\L^  gebraucht,  wie  man  auch  sagt:  J<Xd  (J^sj- 

1)  D.  h.  du  schlägst  nur  die  Leute.  Es  könnte  aber  nach  Um- 
ständen auch  bedeuten:  du  schlägst  wie  die  Leute  schlagen. 

2)  Die  Alfiyyah  V.  293  führt  dies  weiter  aus,  indem  sie  bestimmt, 
dass  das  Regens  des  Masdar  nothwendig  ausgelassen  werden  müsse,  wenn 
es  (i.  e.  das  Masdar)  das  Resultat  des  Vorangegangenen  einzeln  darlege. 

Die  logische  Restitution  ist  nach  Ibn  Ya^is :   Uol  •   LLo    l«^4>J'   ;j'  ^^ 

gftXi  LöIJls  jjI;    ähnlich   auch  Ibn  ^Aqil  im  Com.  zu  diesem  Verse. 

3)  Die  Alfiyyah  (V.  297)  bestimmt  dies  näher  dahin,  dass  das 
Regens  des  Masdar  weggenommen  werde,  wenn  mit  dem  Magdar  eine  Ver- 
gleichung  intendirt  werde  nach  einem  Saze,  der  logisch  das  Fa^il 
implicire,   indem  das  Masdar  die  Stelle  des  Verbum  finitum  vertritt; 

^^•«o    nj   ist  also  =    i:i>««o.J.    Ibn  Ya^i§  will  A^^  ^<^yc    auch  als 


Trumpp:  Beiträge  zur  ErJclärung  des  Mufassal.  271 

wie  eine  ihres  Kindes  beraubte  (Frau)/'  und:  „siebe  er 
hatte  ein  Zerstossen,  wie  du  mit  dem  Stämpfel  das  Qilqil- 
Korn  *)  zerstossest." 

Und  hieher  gehört  (das  Masdar),  das  eine  Bestätigung 
ist  entweder  für  etwas  anderes,  wie  du  sagst:  ,,das 
ist  ?Abdu-llah  in  Wahrheit,"  und:  ,,in  Wahrheit,  nicht 
fälschlicherweise;"^)   und:    ,,dies  ist  Zaid,   im  Gegensaz  zu 


H*al  fassen,  abhängig  von  einem  ausgelassenen  (c^^^j  L^a^xj  oder 
!^Avo ,    was  jedenfalls  eine  künstliche  Deutelei  ist. 

1)  Das  Qilqilkorn   wird  als  schwarz  und   sehr  hart  beschrieben; 
es   ist  nicht   zu  verwechseln    mit  dem  Pfefferkorn  (jLäJLi),  obschon  es 

(nach  Ibn  Ya^i§)  das  gemeine  Volk   fälschlicherweise   JiiJLi  ausspricht. 

2)  Die  Alfiyyah  (V.  295.  296)  und  der  Commentar  des  Ibn  *Aqil 
dazu  sagt,  dass  das  Regens  des  Masdar  nothwendig  ausgelassen  werde, 
wenn  das  Masdar  sich  selbst  oder  etwas  anderes  bestätige.  Das  sich 
selbst  bestätigende  Masdar  ist  dasjenige,  welches  den  vorangehenden 
Saz  so  bestätigt,  dass  kein  anderes  Masdar  daneben  zulässig  ist;  das 
etwas  anderes  bestätigende  dagegen  ist  dasjenige  Masdar,  welches  nach 
einem  Saze  steht,  der  sowohl  die  Idee  des  Masdar  als  auch  die  eines 
andern  zulässt.    Man  supplirt  dabei  aus  dem  Verbalnomen  das  Verbum 

flnitum,  also  vor  Lää.  :  (^ä!  ,  ich  bestätige  als  wahr.  Ibn  Ya?i§  sagt, 
dass    (nach   den  in  Mufassal   gegebenen  Beispielen)  dem  bestätigenden 

Masdar  auch  der  Artikel  vorgesezt  werden  dürfe,  weil  z.  B.  (^JÜ 
nicht  alsH'äl  gefasst  werden  könne,  da  es  determinirt  sei;  die  Alfiyyah 
bestätigt  dies  V.  289,    c.  com.  und  führt  dort  ein  Beispiel  eines  durch 

den  Artikel  determinirten  dS^A  >tN.*^ax?  an.  Lane  (II,  p.  608)  jedoch 
sagt,  dass  in  (^il  der  Artikel  in  derselben  Weise  gebraucht  sei, 
wie  in  der  Phrase:  ^JloiJI  L.gJLwJ,  und  führt  für  diese  Erklärung 
die  Auctorität  Sibavaih's  und  des  Täj  al-*arüs  an.   In   iJfjjJI  L^JLwnI 


272         Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

dem,  was  du  sagst,"  V)  und:  „das  ist  die  Rede,  nicht  (sage 
ich  =  führe  ich)  deine  Rede ;"  ^)  und :  „ist  es  dein  Ernst, 
dass  du  nicht  das  und  das  thust  ?"  ^) 

Oder  für  sich  selbst,  wie  du  sagst:  ,,ich  schulde 
ihm  tausend  Dirhara  eingestandenermassen ;"  *)  und  die 
Rede  Al-ah'vas: 

„Führwahr  ich  schenke  (vergebe)  dir,    dass  du    dich 
(von    mir)     wendest,      und     fürwahr     (ich    schwöre) 


aber  steht  (nach  Muf.  p.  28  L.  7  v.  ii.)  cJLjlII  als  H'al,  und  obgleich 
deterrainirt  wird  es  durch  'iS  Jüsuo  interpretirt.  Es  ist  also  sehr  fraglich, 
ob  J^LJf  y  tÖ^t  (<las  leztere  als  i^jüac  durch  *3)  als  «tX..«a>o 
dSyjc  gefasst  werden  rauss.  Viel  einfacher  wäre  es,  dazu  das  Verb 
J^'l    zu  suppliren :   ,,icli  spreche  die  Wahrheit   nicht  die  Unwahrheit." 


-    s 


1)  Ihn   Yaüs  erklärt    diesen   Saz   durch    wj^^    Las».    Jk.j\   Ijuß 

JjÄJi'  Lo.   Er  nimmt  an,  dass  Lää.   (als    ^s^yOyA)    ausgefallen  sei,  zu 

dem    L-o    Y^   die  iüuo   bilde.     Wir   hätten   hier  somit   eine  doppelte 

Auslassung.     Es  dürfte  auch  hier  einfacher  sein    J*i>|   zu  suppliren,  da 
in   diesen   elliptischen   Säzen    doch  ein   Verbum  zu  erstatten   ist,   und 

-  o  — 

yjLC  kein  bestätigendes  Masdar  sein  kann. 

2)  Hier  supplirt  Ibn  Yans  selbst  vor  viJU«.5  :  J*i*l.  Der  Sinn 
ist  nach  ihm:  ich  rede  wahr,  nicht  falsch. 

3)  'ijd^S  wird  von  Ihn  Yans  durch :   Ij^ä.  dU6  Jc^l    erklärt. 

"  "  "s 

Ändere  Auffassungen  dieser  Phrase  siehe  in  Lane  sub  voce    J^. 

4)  S.  Alfiyyah,  V.  295.  296,  c.  com.,  wo  derselbe  Saz  erklärt  ist. 
Ow£  ist  ein  Substantiv  (Anerkennung)  im  Sinne  von  s^IoCä!.  Die 
Eestitution  ist  also:    Lil^JCt!    OvXcI. 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufasml.  273 

einen  Eid,  ich  neige  mich  (zu  dir)   trotz  dem  dass  du 
dich   (von  mir)  abwendest."     (Metrum  :   J^o  j. 

Und  das  Wort  Gottes:  „als  Werk  Gottes'*  (Qur.  27, 
90),  und:  ,,als  Verheissung  Gottes"  (Qur.  80,  5),  und:  ,,als 
Vorschrift  Gottes  für  euch"  (Qiir.  4,  28),  und :  ,,als  die  Re- 
ligion Gottes"  (Qur.  2,  132),  und  wir  sagen:  ,,(der  Ausruf): 
Gott  ist  grösser  (als  alles  ausser  ihm),  als  Einladung  zur 
Wahrheit."  ^)  Und  hieher  gehört,  was  als  Dual  vorkommt 
und  das  (sind  Ausdrücke  wie):  ,, deine  Gnadenbezeugungen 
(erflebe  ich),  ^)  und :  „Verweilungen  bei  dir  (im  Gehorsam) 
und    Hilfeleistungen    für    dich,"  ^)    und:    ,,im    Wechsel    mit 


1)  In  allen  diesen  Ausdrücken,  wie  xiJf  «a.o,  ^JUI  Jlc*, 
xiJf  ^Iä5^,  iJÜI  ÄÄA^,  (^il  S^4>,  werden  *'*JL^  etc.  als 
OSpo  ^i\j>ajo  gefasst,  von  einem  aus  dem  Zusammenhang  zu  supplir- 
enden  Verbum  abhängig  gedacht. 

2)  Nach  Sibavaih  (und  Ihn  Ya-?i§)  soll  der  Dual  in  diesen  Worten 
nicht  im  stricten  Sinne  stehen,  sondern  im  Sinne  der  Vielheit  (eins  um  das 

andere).  Man  sagt  neben  dLxjLAÄ.  auch  im  Singular:  ^^k  L    dloLlÄ.. 

Der  Sinn  ist  nach  Ibn  Yasfiä:    ^^yJ^:^    tX«J    LLa^    ilh^^- 

3)  Ibn  ?Äqil  im  Com.  zu  Alf.  V.  397.  398  erklärt   duuJ    durch 

iUU'l  tXjL5  *iLoUs.|  J<£.  iüöUl  ein  Stehen  in  deinem  Gehorsam  nach 
^  •       ^  •    •  ^  ^^ 

einem  Stehen,  d.  h.  wiederholtes  Stehen.  Aehnlich  auch  Ibn  Yan§: 
'iyA  i>ij  'iyii  Lg-^J^  iuUl^  viUcUo  ^£,  Lol.J ;  vibtX*^ 
erklärt  er  durch:  5tX£L.w^  tX*j  »tXxLwwo,  eine  Hilfeleistung  nach 
einer  andern  (in  oder  für  die  Sache  Gottes;  falsch  Dieterici:  Glück- 
spendung).  Beide  Wortformen  sind  *tX,«a^,  die  durch  ausgelassene  Verba 
in  den  Accusativ  gesezt  sind,  welche  aus  dem  Zusammenhang  zu  ergänzen 


274       Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

dir , "  ^)    und :    „dein    sclinelles    (aufeinanderfolgendes)    Ab- 
schneiden." ')     Und  hieher  gehört ,   was   nicht  flectirt  wird, 


sind.  dlxjJ  kommt  nur  in  dieser  Annexion  vor ;  bei  ^0  kommt  auch 
hie  und  da  das  Pronomen  der  dritten  Person  vor  yjkxjj)^  selten  ist  es 

an  ein  sichtbares  Nomen  annectirt  (cf.  Alf.  Com.  zu  V.  397.  398,  und 
Hamäsah'  p.  va^,  erster  Vers,  mit  dem  Com.;  an  beiden  Orten  werden 
auch  die  verschiedenen  Ansichten   der  Grammatiker  über  die  Ableitung 

c.  c5-r 

von  ^J  discutirt,  womit  zu  vergleichen  ist,  was  Ibn  Ya*i§  p.  ff}, 
L.  19  sagt. 

1)  Die  Wortform  dl>JI«t>  vergleicht  Ibn  Yans  mit  dUjLÄ. 
(  =  dljJ«.Ä.,  „um  dich  herum");  JljO  wäre  demgemäss  ein  Substantiv 
wie  JI«.Ä.,  im  Sinne  eines  Verbalnomens  =  &J«ljk.xJ,  im  Wechsel  herum- 
gehen lassen.  Wenn  Ibn  Ya?is  sagt,  dass  dUJ|lt>  an  der  Stelle  eines 
H  al  stehe  =  ^TwjJ^ftXÄ^  (es  wechselseitig  thuend) ,  so  ist  dies  wohl 
dem  Sinne,  aber  nicht  der  Wortform  entsprechend.  Das  Pronomen 
suif.  in  viLJ«(>  tritt  schon  ganz  zurück,  und  diese  Wortform  bedeutet 
jetzt  ohne  Rücksicht  auf  das  Subject  des  Sazes  „wechseis weise." 

2)  dLj54>!  Jijj>  erklärt  Ibn  Ya(?i§  durch  tXiß  Jol>  !  Jüö  ,  ähnlich 
der  Muh'it  durch  »h3  tX*J  \jüa£  *  Die  Kraft  des  Pronom.  suffix. 
ist  auch  in  dieser  Wortform  nunmehr  erloschen. 

lieber  die  augenscheinliche  Dualform  dieser  Worte  ist  noch  zu 
bemerken,  dass  sie  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ein  alter  Status  constr. 
des  Plurals  ist,  was  auch  die  arab.  Grammatiker  herausgefühlt  haben. 
Wir  haben  im  Hebräischen  im  Plural  des  Stat.  constr.  i—  ,  im  Syrischen 
ai,  und  dieselbe  alte  Endung  begegnet  uns  auch  noch  im  Aethiopischen 

bei  den  Präpositionen,  wie  JP"AA»s  (mesl-e),  im  Arabischen  z.  B.  vil^-Lc , 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  2,75 

wie:  „(icli  thue  dar)  die  höchste  Vollkommenheit  Gottes,"  ^) 
und:  ,,(ich  suche)  den  Schuz  Gottes,"^)  und:  „bei  deiner 
Anerkennung  die  ewige  Existenz  Gottes,"^)  und:  ,,bei 
deiner  Anerkennung  der  Beständigkeit  Gottes.'^  ^) 

Und  die  dritte  Art  ist  wie:   „Gestank  und   Niederlage 
(für    ihn!    d.   h.    möge    er    schmählich    unterliegen!),    und: 


so  dass  wir  kaum  fehlgehen,   wenn  wir  Formen  wie  viJLAjJ   unter  diese 
Categorie  subsumiren. 

1)  jmL:S\^    kommt  nur  im  Accusativ   (als   schwach  flectirt,    wie 

ein  Eigenname)  vor ,   sei  es  annectirt  oder  nicht  annectirt ;    nur  in  der 
Poesie  nimmt  es  bisweilen  ein  Tanvin  an.     Seine  eigentliche  Bedeutung 

ist  nach  Ibn  Ya^is :  sVl  w>JI  .    xj^a^JI    (Gott   für   frei    von   allen  Un- 

voUkommenheiten  erklären). 

2)  Erklärt  durch:  I3ljtx)  xJÜLj  j-xl  (ich  suche  Schuz  bei  Gott). 
Auch    jLä;o    (oder    s3L*X))  kommt  nur  im  Accusativ  vor. 

3)  Diese  Phrase  wird  verschieden   erklärt.     Ibn  Yans  löst  sie  auf 


r.  £,  ^ 


durch:    iJUf    w^-pLs    viA.jLwl,    so  dass    w^x    im  Sinne  von    *.-«j4JU 
stünde.    Andere  Erklärungen  siehe  bei  Lane  sub  voce  y^ . 

4)  Dies  ist  die  Erklärung  von  Ibn  Yans,  der  diese  Phrase  durch: 
s:i^LaaJLj  ^JÜ(  dLft^«j  umschreibt.  Nach  ihm  kommen  beide  Aus- 
drücke nur  beim  Schwüre  vor.  Der  Muh'it  dagegen  führt  auch  die 
weitere  Erklärung  an,  dass  es  im  Sinne  von:  äJÜI  viJLi'^^x  (ich  bitte 
Gott  um  die  Verlängerung  deines  Lebens)  stehen  könne,  so  dass  es  dann 
kein  Schwur,  sondern  ein  conciliatorischer  Wunsch  sei  =  xJJI  ^i\xs, 

möge  Gott  mit  dir  sein  und  dich  bewahren!    Auch   ä-UI    ^^.^-c   wird 

durch  einige  dahin  erklärt,  dass  es  „möge  Gott  dein  Leben  verlängern" 
bedeute. 


276        Sitzung  der  phüos.-phüol,  Classe  vom  2.  März  1878. 

„Scl^ande  (Schrnuz)  (über  ihn)!"^)    und:    „ach  du  Armer!'' 
und  :  ,,welie  dir!*' 

§  42. 

Und  manchmal  werden  auch  Nomina,  die  keine  Verbal- 
nonfiina  sind,  nach  dieser  Weise  behandelt,  und  diese  sind 
zweierlei  Art,  Substanzen,  wie  sie  sagen:  ,, Staub  und 
Steine,"'')  und:  ,,ein  Bein  für  deinen  Mund,"  und  Quali- 
ficative,  wie  sie  sagen:  „gesund  und  zuträglich!"  *)  und: 
„bei    dir    Schuz    suchend,"^)    und:    ,, (bleibst    du)    stehend, 


1)  iJö  ist  nur  ein  Schallwort  zu  'ij,\  .  Einige  von  diesen  Worten 
sind  keine  Verbalnominia,  sie  werden  jedoch  nach  der  Aehnlichkeit  der- 
selben behandelt. 

2)  Die  logische  Restitution  ist  nach  Ibn  Ya*i§:  ijüj  dl^jiiol 
JF JOL^  •  Wr^*)  i^aöge  dir  Gott  Staub  und  Steine  zu  essen  geben!  Das 
regierende  Verbum   wird  hier  entfernt,   weil  dies  nur  ein  anderer  Aus- 

druck  für  oJ JuLs*  •    ^^cXj    vci^jo  ,    „mögen  deine  beiden  Hände  voll 

"  -^ 

Staub  sein  und  an  die  Steine  angeklebt  werden,"  ist. 

3)  Die  logische  Restitution  ist  nach  Ibn  Ya*is:  viJU3  viU  vi>^' 
L— Jjjo  Li-juLJO ,  „möge  sich  dir  dieses  als  gesund  und  zuträglich  er- 
weisen," so  dass     L^XA^O  als  H'äl  steht. 

4)  Dies  wird  durch:  db  IjoLfc  öy^\  erklärt.  lieber  liXjLt 
sind  die  Grammatiker  uneins;  yjwl^*J|  «.^t  fasst  ItNoLc  als  Stell- 
vertreter des  Masdar  I  jLxt ,  weil  der  H'äl  hier  nichts  wesentliches 
hinzufüge,  also  nuzlos  sei;    andere  dagegen,  wie  Sibavaih,  fassen  es  als 

9  w 

H'al,  weil  der  H'äl  auch  als  ein  bestätigender  (tX5^)   vorkomme. 
(Lane  sub  voce   joLc   schreibt  dagegen  Sibavaih   die  umgekehrte  Er- 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassäl.  277 

während  sich  die  Leute  schon  gesezt  haben?"  und:  „(bleibst 
du)  sizend,  während  die  Reisegesellschaft  schon  aufge- 
brochen ist?'' 

§  43. 

Und  aus  dem  Verschweigen  des  Masdar  kommt 
deine  Rede:   „?Abdu-lläh,   ich  glaube  es,   geht  fort."     Du 

»  2  - 

sezest  »  als  Pronomen  für  das  (ausgelassene)  ^j-^ ,    als    ob 

du  gesagt  hättest:  „?Abdu-lläh,  ich  hege  meine  Meinung, 
geht  fort,"  ^)  und  was  vorkommt  in  der  Bitte,  die  auf  den 
Propheten  zurückgeführt  wird:  ,,und  mache  es  zum  Erben 
von  uns,"  lässt  nach  meiner  Ansicht  zu,  dass  es  auf  dieses 
(Verschweigen  des  Masdar)  bezogen  werde.  ^) 


klärung  zu).  Ibn  Ya^i§  macht  jedoch  dabei  aufmerksam,  dass  in  diesen 
Fällen  das  den  H'äl  regierende  Verbura  nur  dann  verschwiegen  werden 
dürfe,  wenn  der  H'al  eine  Anschauung  implicire,  die  darauf  hin- 
weise, d.  h.  wenn  aus  der  Sachlage  das  Verb,  das  den  H'äl  regiert,  sich 
von  selbst  ergibt. 

1)  Die  Alfiyjah  (V.  211 — 213)  fasst  dieses  Verhältniss  anders  auf. 

^^Jb  nämlich  kann  rectionslos  stehen,   wenn  es  in  der  Mitte  oder  am 

Ende  eines  Sazes  vorkommt;  steht  es  aber  am  Anfange  eines 
Sazes,  so  muss  es  nach  den  Basrensern  immer  regieren.  Regiert  es 
nicht  direct  sein  Object,  so  theilt  man  ihm  das  Pronomen  der  Sach- 

läge  jmLu^JI  v^S»-^)  ^^  ^^^^  supponirt  es.  Diese  Erklärung  ist  ent- 
schieden der  von  Zama/gari  vorgeschlagenen  vorzuziehen. 

2)  Die  Ansicht  Zama/äari's  gründet  sich  darauf,  wie  auch  in  dem 
voranstehenden  Beispiele  (iUidl  j,  dass,  wie  die  Alfiyyah  V.  289,  c.  com. 
dies  näher  ausführt,  das  Masdar  auch  von  seinem  Pronomen 
vertreten  sein  könne,  so  dass  2jijt£»l  ~  J^-*^'  (>*^'  [steht. 
(Wenn  das  Pronomen  das  tV5^  sJ^j^jo  vertritt,  so  restituirt  Ibn 
[1878.  I.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  3.]  21 


278        Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

§  44. 
Das   objective  C  omplemen  t.  ^) 

Das  objective  Complemeut  ist  dasjenige,  auf  welches 
die  Handlung  des  Activ-Subjects  fällt,  in  Säzen  wie:  „es 
schlug  Zaid  den  ?Amr,''  und :  „ich  gelangte  zu  der  Stadt/' 


*Aqil  denselben  mit  dem  ArtikeL  was  offenbar  das  richtigere  ist, 
während  Ibn  Ya-?iä  in  seinem  Com.  p.  153,  L.  11  nur  ^x^  sezt).  Da 
aber  Jjiä.  ein  doppeltes  Object  regiert,  so  müsste  in  diesem  Falle  das 
erste  Object  supplirt  werden,  welches  Ibn  Ya-?iä  durch  Lj^Lwaxf  thut, 
indem  ^AJ^\  nur  das  Praedicats-Object  sein  kann.  Dervolle  Saz  nämlich  lau- 
tet nach  Ibn  Yans :  LüU^^I  Lo  \jiXj^\ y  UäUawL  |v4-^^  Lotx«!^, 

„Gott,  lass  uns  unsere  Ohren  und  Augen  geniessen,  so  lange  Du  uns 
leben  lassest,  und  mache  (unsere  Gliedmassen)  zum  Erben  von  uns!" 
Der  Sinn  ist :  lasse  mich  im  Genüsse  meiner  Ohren  und  Augen,  so  lange 
ich  lebe,    sie  mögen  mich  dann  nach  meinem  Tode  beerben!    Die  Sache 

wäre  ganz  klar,  wenn  statt  ^JL*:^!  .*  X  a  i*^|  stehen  würde.  Weil  aber 

das  Pronomen  suff.    s    sich  nicht  auf   LläL^-wI    und    UsLojI     beziehen 

kann,  so  muss  eine  andere  Erklärung  desselben  versucht  werden.  Ibn 
Ya-^is   (dem   die  Erklärung  von  Zama/äari  offenbar   nicht    ganz  zusagt) 

will  das  Pron.  suff.  5  auf  ein  zu  supplirendes  cLcx>^l  beziehen,  was 
aber  keineswegs  passt.  Da  das  ^jLufcJI  y^^  hier  nicht  in  Frage  kommen 
kann,  so  ist  es  vielleicht  besser,  5  mehr  ad  sensum  zu  construiren  (etwa 
im  Sinne  von  ^sl^mj  und  ^^y^£L^j  wodurch  die  vorgeschlagenen  künst- 
lichen Erklärungen  wegfallen  würden. 

1)  &j  dySÜL^S  (wörtlich:  das,  an  welchem  gehandelt  wird)  ist  das 

eigentliche  Object  oder  der  Objects-Accusativ,  das  wir  darum  das  ob- 
jective Complement  der  Handlung  nennen. 


Trumpp:  Beiträge  zur  ErJdärung  des  Mufasaai.  279 

Und  dieses  (i.  e.  das  ^  J^ax))  ist  dasjenige,  was  die  tran- 
sitiven Zeitwörter  von  den  intransitiven  unterscheidet ;  ^) 
und  es  ist  eins  und  darüber  bis  auf  drei,  gemäss  der  Er- 
klärung derselben,  die  du  an  seinem  Orte  erhalten  wirst, 
wenn  es  Gott  gefällt.  Und  es  kommt  vor  im  Accusativ 
durch  ein  verschwiegenes  Regens,  dessen  Herausstellung  im 
Gebrauche   ist   oder   dessen   Verschweigung  noth wendig  ist. 

§  45. 
(Das  objective  Complement),  das  in  den  Accusativ 
gesezt  wird  durch  das,  dessen  Herausstellung 
im  Gebrauche  ist. 
Dieses  ist  wenn  du  zu  einem,  der  anfängt  die  Leute  zu 
schlagen,  oder  der  sagt :  „ich  schlage  den  schlechtesten  der 
Menschen,''  sagst:  ,,den  Zaid,"  mit  Verschweigung  von 
„schlage,"    und    zu    dem,    der    seine    Erzählung    abbricht: 


1)  Nach  Ihn  ?AqiI  Com.  au  Alf.  V.  267  ist  das  transitive  Verb 
dasjenige,  welches  sich  mit  seinem Object  ohne  Praeposition  verbin- 
det, das  intransitive  dagegen  dasjenige,  welches  nur  durch  eine  Prae 
Position  sich  mit  seinem  Object  verbindet,  oder  das  gar  kein  Object  hat. 

Das  transitive  Verb  heisst  d^juiA   (übergehend)    «i>U    (auf  etwas  fallend, 

so  besonders  bei  den  küfischen  Grammatikern),  und    v»L^  (sich  zu  etwas 

anderem  wendend) ;  das  intransitive  j* ^^l  (das  beim  Activ-Subject  stehen 

bleibende),  woli'  (das  zur  Erreichung  des  Objects  unfähige),  oder  auch: 

JotXx)    yxß  ,    und    J.Ä»    OysJ    Jk.ÄÄx> .  Das  Zeichen  des  transitiven  Ver- 

bums  ist,  dass  damit  das  Suffix  s  verbunden  werden  kann,  welches  auf 
etwas  anderes  als  das  Masdar  hinweist:  denn  das  Suffix,  das  sich  auf 
das  Masdar  bezieht ,   kann   mit   trans.   und   intrans.   Verba  verbunden 

werden   (z.  B.    iüUi*    A-^\    —    A^^   c^-tJJj-     Auch  Ibn  Ya^is  in 

seinem  Com.  p.  153,  L.  2  v.  u.  macht  auf  diesen  Punct  aufmerksam. 

21* 


280        Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  2,  März  1878. 

„deine  Erzählung!'*  und  zu  dem,  von  dem  Handlungen  der 
Geizigen  ausgegangen  sind :  „alles  das  aus  Geiz  ?''  mit  Ver- 
schweigung  von  ,,gieb,"  und:  „du  thust." 

§  46.        , 

Und  daher  kommt  es,  wenn  du  zu  Jemand,  von  dem  du 
vermutliest ,  dass  er  nach  Makkah  zu  gehen  beabsichtigt, 
sagst:  „nach  Makkah,  beim  Herrn  der  Ka?bah/'  und  zu 
Jemand,  der  einen  Pfeil  gerichtet  hat:  „die  Scheibe,  bei 
Gott;"  und  zu  denen,  die  nach  dem  Neumond  ausschauen, 
wenn   sie   ausrufen:   Gott  ist  grösser  (als  alles)  „den  Neu- 

mond  bei  Gott!"    Du  verschweigst  dabei  tXj^J  und  v«>>-»äj  ) 

und  »;^"«aj' .      Und  zu  dem ,    der  einen  Traum  gehabt  hat : 

„etwas  gutes  und  was  erfreut,  und  etwas  gutes  für  uns 
und  etwas  schlimmes  für  unsern  Feind,"  d.  h.  hast  du  ge- 
sehen; und  zu  dem,  der  von  Jemand  spricht:  „dessen 
würdig,"  d.  h.  du  hast  erwähnt  einen ,  der  dessen  würdig 
ist.  ^)     Und  davon  kommt  seine  Rede  (Metrum  ^dx-g^) : 

,,Du    wirst   sie   gewiss   nicht    sehen,    auch   wenn  du 
sorgfältig  betrachten  würdest,  ausser  (indem  du  siehst) 
auf  den   Scheiteln   ihres   Hauptes   eine   wohlriechende 
Sache"  3) 
d.  h.  und  du  siehst  von  ihr  etc. 


1)  Zu   jj^LbwftJI   kann  neben   v«^.»äj>  (er  triflft)  auch  nachUm- 
^     ^^ 

ständen   i^^Lol   (er  hat  getroffen)  supplirt  werden. 

2)  Wenn  man  statt  ^Ij  Ji^l  :  aSsfA  sagt,  so  bezieht  sich  das 
Suffix  auf  ein  zu  subintellegirendes  ^jJI,  wie  Ihn  Yang  mit  Recht  be- 
merkt. 

3)  Wegen  des  Accus.    LuJo   kann  der  Saz    IS   L^j^    ^|    nicht 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  281 

Und  davon  kommt  ihr  Ausdruck:  „wie  heute  einen 
Mann,"  mit  Verschweigung  von  „habe  ich  nicht  gesehen." 
Aus  sagte:    (Metrum    J^o)' 

„Etwas  Gesuchtes  noch  Gesuchsteller  *)  wie  heute  (habe 
ich  nicht  gesehen)." 

§  47. 

Sibavaih  sagt:  „und  dieses  sind  Beweise,  die  man  von 
den  Arabern  hört;  sie  sagen:  „o  Gott,  eine  Hyäne  und 
einen  Wolf!"  Und  wenn  du  sie  fragst,  was  sie  (damit) 
meinen,  so  sagen  sie:  „o  Gott,  bringe  zusammen  bei  ihnen 
(den  Schafen)  eine  Hyäne  und  einen  Wolf!"  Und  es  hörte 
Abu-1/attäb  einen  Araber,  zu  dem  gesagt  worden  war: 
„warum  habt  ihr  euren  Ort  verdorben V"  sagen:  „die 
Knaben,  mein  Theuerster!"  2)  d.  h.  tadle  die  Knaben! 
Und  es  wurde  zu  einem  von  ihnen  gesagt :  „ist  nicht  an 
einem  Orte  so  und  so  eine  Wassergrube?"  Da  sagte  er: 
„Ja,  Wassergruben,"  d.  h.  ich  kenne  daselbst  Wasser- 
gruben. 


als  Nominal -h'älsaz  gefasst  werden,   was   sonst  das  natürlichste  wäre, 

wenn    v^^jd^   stehen  würde;   es  muss  also  aus    Ijöwj*  :   j^o    ergänzt 

werden,  wodurch  er  zu  einem  Verbal-h'älsaz  gemacht  würde.  Es  scheinen 
also  hier,  des  Verszwanges  wegen,  zwei  Constructionen  zusammenge- 
flossen zu  sein. 

6  ".  r-  ®  H  r 

1)  v.^Xb   ist  Plur.  pauc.  von  v^AjUb . 

2)  ^L)    oder   ool   ^^Lj   ist    eine  elliptische  Redensart    statt: 
^o  v:i*.JtXi ,    mögest  du  mit  meinem  Vater  losgekauft  werden !    Weil 

diese  Redensart  zu  einer  Interjection  wurde,  so  Hess  man  das  Verbum 
nachgerade  weg.  Da  der  Sinn  der  Phrase  (ich  gebe  meinen  Vater  als 
Lösegeld  für  dich)  der  ist,  „du  bist  mir  theurer  als  mein  Vater," 
so  könnten  wir  sie   am  einfachsten  durch  „mein  Theuerster"  übersezen. 


282         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  votn  2.  Blärz  1878, 

§  48. 

(Das  objective  Complement),    das   in  den  Accusativ 

gesezt    wird    durch   das,    dessen  Verschweigung 

n 0 1 h w e n d i g   ist. 

Hieher  gehört  das  Angerufene,  weil  da,  wenn  du  sagst: 
„o  ?Abdu-lläh !"  gleichsam  sagst:  „o,  ich  wünsche  oder 
meine  den  ?Abdu-lläh.''  Dieses  (Verbum)  wird  jedoch  aus- 
gelassen   wegen    des   häufigen  Gebrauches,    und  Ls  tritt  als 

Permutativ  dafür  ein.  Es  muss  noth  wendiger  weise  in  den 
Accusativ  gesezt  werden  der  Wortform  oder  dem  locus  gram- 
maticus  nach.  Der  Wortform  nach  wird  es  in  den  Accu- 
sativ gesezt,  wenn  es  annectirt  ist,  wie  ?Abdu-lläh,  oder 
ihm  (darin)  ähnlich  ist,  wie  du  sagst:  ,,o  (du  der  du) 
besser  bist  als  Zaid!"  und:  „o  (du,  der  du)  den  Zaid 
schlägst!"  und  „o  (du),  dessen  Sclave  geschlagen  wird!'' 
und:  ,,0  (du),  dessen  Bruders  Angesicht  schön  ist!"^)  und: 
„o    (du)   Drei    und   dreissig!"^)  oder    wenn    es    indeter- 

1)  Nach  der  Alfiyyah  V.  471 — 73  sind  nach  dem  Com.  des  Ibn 
?Aqil  (unter  dem  fünften  Punct)  die  drei  Formen  hier  möglich :  h'asanun 
vajhu  abin,  h'asanun  vajha   ahin,    und  hasanu  vajhi  abin.    De  Sacy, 


r.     -  -        -J 


Gram.   II,   p.   199   fahrt  die  Form   i^^t   a^l   ^j.aaaä.   J^s    unter 

denen  an,  die  zwar  zugelassen  aber  selten  im  Gebrauche  seien,  die  Form 

dagegen:    \^J3\  Xä^*  ^^y^.^  d^)  bezeichnet  er  als  eine  gute,  während 

Ibn  Ya-?i§  den  Nominativ  ^^^l|    }s^l  für  minder  gut  betrachtet  als  den 

Accus,   ^^j)!    ^lÄ►5  ,   da  die   erste  Form  ein   JoLfc   bedürfe  (also  is^l 

■&       " 
&joljj    doch  steht  dies  keineswegs  fest. 

2)  (jyCAo'«    'ijiX3    als  Ein  Eigenname    gefasst.    Zu   dem,   was 

y  I  -     s    5  0- 
dem  Annectirten  ähnlich  ist,  gehörtauch  ein  ^vJ  •  P^-y^  als  Ganzes 


Trtinipp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassäl.  283 

miuirt    ist,  *)     wie    in    der  Rede    (des   Dichters   ?Abdu- 

„Also  o  Reiter,  ^)    wenn  du  mit  (ihnen)   zusammen- 
triffst, so  benachrichtige  (meine  Genossen  von  Najräu, 
dass  kein  Wiedersehen  mehr  ist.")  (Metrum  J«.-?^) 
Dem    Locus    grammaticus    nach    wird     (das    Ange- 
rufene) in  den  Accusativ  gesezt,  wenn  es  ein  determinirtes 
Einzelnomen    ist,     wie    du    sagst:    „o    Zaid!''^)    und:    „o 


genommen.  Cf.  Alf.  V.  579  c.  com.  Ist  jedoch  ^^yXXü^  ein  angereihtes 
(^••.A^^AX> )   Nomen  prop.,  so  kann  es  nach  Ihn  Ya^i§  im  Nominativ  oder 

im  Accus,  folgen ;  die  Alfiyyah  jedoch  (V.  587,  c.  com.)  stellt  die  Regel 
auf,  dass  ein  angereihtes  determinirtes  Einzelnomen  ohne  „al"  (Artikel") 

auf  jvo  stehen  müsse ,  und  nur  dann ,  wenn  es  mit  dem  Artikel  ver- 
sehen ist,  in  den  Nominativ  oder  Accusativ  treten  dürfe.  Demgemäss 
wäre  daher  nur  ^«JC-ilo*«  zulässig,  nicht  der  Accusativ.  Das  Beispiel, 
das  Ihn  Ya9i§  anführt,  beweist  nichts,  da  in  dem  Saze  c-jw^l*  Jon  Lj 
das  ^Vaa^a^   mit  dem  Artikel  versehen  ist. 

1)  Ein  indoterminirtes  Einzelnomen,  das  nicht  näher  intendirt  ist 

(im  Gegensaz  zu  dem  intendirten  indeterminirten  Nomen,  wie  Jä^n  L) 

tritt  im  Anruf  in  den  Accusativ,  weil  es  nicht  als  gegenwärtig  be- 
trachtet wird. 

2)  Ein  unbestimmter,   nur  der  Phantasie   des  Dichters  vorschwe- 
bender ßeiter. 

3)  Das    (V^   von    t\j\    etc.  gilt  als  indeclinabile,  da  es  stricte  als 

Object    im  Ä^ccusativ  stehen  sollte.    Die  Art    und  Weise  wie  Ihn  Ya?is 

diese  Indeclinabilität  zu  beweisen  sucht,  ist   wenig  einleuchtend.    Das 

_  —  »ö  — 

Munada  soll  indeclinabile   werden,    weil  es  an  die   Stelle   eines     yK£. 

j^vx!».Ä4,J(  (nomen  indeclinabile)  trete,   indem  es   statt  des   Pronomens 


284        Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Knabe^)!"  und:  „o  du  Mann!'\^)  oder  wenn  vor  ihm  das 
Läm  des  Hilferufs  oder  der  Verwunderung  steht/)  wie  (der 
Dichter)  sagt  (Metrum  oUAi>): 

'  „Herbei  zur  Hilfe  unser  ?Attäf  und  Riyäh'  !'* 
Und    wie    sie    sagen:    „o   das   Wasser!'^    und:   ,,o   die 
Unglücksfälle!''   Oder  wenn  es  ein  beklagtes  ist,  wie  du 
sagst:  „Ach  der  Zaid!''*) 


(cio!  etc.)  stehe;  die  Indeclinabilität  des  Pronomens  aber  sei  noth- 
wendig.  Das  Tanvin  aber  ist  im  Anrufe  wohl  nur  desshalb  abgeworfen 
worden,  um  mit  desto  grösserem  Nachdruck  die  Stimme  auf  die  erste 
Silbe  legen  zu  können. 

1)  *^Lc  ist  ursprünglich  ein  indeterminirtes  Nomen,  es  wird  aber 
determinirt  durch  die  Anrede,  so  dass  der  Artikel  entbehrlich  geworden  ist. 

2)  Als  eigentliches  Munädä  wird  ^\  angesehen,  und  La  entweder 

O—  J      o    — 

als  pleonastisch  (cf.  Alf.  V.  588.  589,  c  com.)  oder  als  äaaaj  Owä«; 
J^  Jl ,  als  ÄÄ*o  von  ^\ ,  ist  der  eigentliche  Gegenstand  des  Anrufs« 
S.  meine  Ajrüm  p.  111,  Anm. 

3)  J  wird  zur  Bezeichnung  dessen  gebraucht,  bei  dem  Hilfe  ge- 
sucht  wird  (^u  cjLäÄmmJIJ  und  J  zur  Bezeichnung  dessen,  gegen 
den  Hilfe  gesucht  wird  (^üLÄ.'^,ÄJ  c^LiÄ^LiJ!}.  Werden  mehrere  zu 
Hilfe  gerufen,  so  wird,  wenn  ü  nicht  wiederholt  wird,  mit  J  (statt  mit 
j)  fortgefahren.  J  wird  auch  bei  der  Verwunderung  gebraucht,  indem 
das,  worüber  man  sich  verwundert  [kXa  v..j^2äJL«j|j,  wie  das  ^LiXvwuo 
construirt  wird,  weil  es  gewissermassen  personificirt  wird;  doch  kann 
man  hier  auch  J  anwenden,  indem  das,  worüber  man  sich  verwundert, 

gleichsam  als  das  »j   oLäJua*^   betrachtet  wird. 

4)  Bei  der  Klage  (§  55)  wird  gewöhnlich  die  Interjection  |*  vor- 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  285 

Die  Apposita  des  Angerufenen. 
§  49. 
Die  Apposita  *)  des  Angerufenen ,  das  mit  Damm  ver- 
sehen und  nicht  unbestimmt  ist,  werden,  wenn  sie  für  sich 
stehen  (und  nicht  in  Annexion)  in  üebereinstimmung  ge- 
bracht mit  seiner  Wortform  und  seinem  locus  grammaticus, 
wie  du  sagst:  „o  du  langer  Zaid!'*^)  und:  „o  ihr  Tami- 
miten  alle!'' ^)  und:  „o  Knabe  Bisr!"*)  und:  „o  ?Amr  und 

gesezt,  L  nur  dann,  wenn  keine  Verwechslung  mit  einem  nicht  Be- 
klagten zu  befürchten  ist  (Cf.  Alf.  V.  573;  574  c.  com.).  Gewöhnlich 
wird  dem  Nom.  prop.  (und  dem  Nomen  determinatum :  denn  nur  vor 
diesen  zweien  kann   \l     stehen  cf  §  55)  in  der  Klage  noch  die  Endung 

f —  (in  Pausa  sl — j    angehängt,  (vor  welcher  die  Endvocale  abgeworfen 

werden),  weil  der  Ton  der  Stimme  auf  ihr  gedehnt  ruht  (im  Gegensaz 
zum  eigentlichen  Vocativ). 

Die  Wegnahme   der  Interjectionspartikel  ist   weder  bei    dem  Be- 
klagten, noch  bei  dem  um  Hilfe  Angerufenen  gestattet  (noch  auch  beim 

Vocativ,  wenn  er  durch  ein  Pronomen  ausgedrückt  ist,  wie  0LI  U) 
Cf.  §  56. 

1)  Unter  den  .%i\yi   sind   hier   zunächst    verstanden   die   ^tft^, 

cXa^o'   und  ^yuJI   ^.diaÄ  .    Sie  müssen  im  Accus,  stehen,  wenn  sie 

annectirt  und  nicht  mit  dem  Artikel  versehen  sind. 

2)  Die    ÄÄ-o  :  J^^äJI  kann  mit  seinem  o«-oyo  (i.  e.  JcjO  der 

äusseren  Wortform  nach  übereinstimmen  und  steht  dann  im  Nominativ, 
oder  dem  locus  grammaticus  nach  (welcher  beim  Munädä  der  Accusativ, 
als   J*.XÄ^,  ist),  und  steht  dann  im  Accusativ. 

3)  jj«.*4Ä.!   ist   i\jSyj     zu    |VX4J*  ü ,  desshalb   jj^u^l   o<ler 
^■x.tt»r^l    nach  derselben  Regel. 

4)  Broch   hat   in  der  Ausgabe   des   Mufassal  yM  vocalisirt  und 


286        Sitzung  der  phüos.-phüöl.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Al-h%ri^!''i)  und  es  wird  (im  Qur'äu,  34,  10)  gelesen: 
,,(o  ihr  Berge,    wiederholet    mit  ihm  das  Lob  Gottes)   und 

o  ihr  Vögel!''  (x»A.iail),  mit  Nominativ  und  Aceusativ;  aus- 
genommen (von  dieser  Regel)  ist  das  Permutativ  und 
von  den  angereihten  Worten  solche  wie:  ,,Zaid  und  ?Amr," 
denn  ihre  Regel  ist  die  Regel  des  Munädä  selbst.  Du  sagst 
(demgemäss):    ,,o   Zaid,    Zaid!"    oder:    ,,o  Zaid  und  ?Amr!" 

nur  mit  r%.4.     Und  ebenso:  „o  Zaid  oder  ?Arar!"   und:  „o 

Zaid,  nicht  ?Amr!"     Und  wenn  sie  annectirt  werden,  so 

steht   der    Aceusativ,    wie   du   sagst:    ,,o  Zaid    mit  langem 

Haupthaar!"    und  wie  (der  Dichter)   sagt  (Metrum  Jo^io j : 

„0  Zaid,  Bruder  des  Varqä'u,    (wenn    du   ein  Blut- 


zwar  ganz  mit  Recht  nach  dem  Zusammenhang ;  Jahn  dagegen  in  seiner 

9 

Ausgabe  des  Ibn  Ya*i§  waJxj  ,  weil   er   den   Commentar   missverstanden 

hat,  der  die  Sache  hier  ganz  richtig  darstellt.  Denn  in  dem  Vers,  den 
Ibn  Ya?is  hier   (p.  164,    L.  4)  citirt,  muss  das  zweite    w^aj    ebenfalls 

y^ai  gelesen  werden  als  ,o^.>j^'  <-Ahc.  zu  dem  ersten  y,o.J ,  mit 
dessen  Wortform  es  im  Einklang  steht.  Ibn  Ya*i§  sagt  ja  ausdrücklich, 
man  lese  hier  ^oi  und  fw,o.J  (als  (jLxxJf  oUa^j  sowie  wO j ,  als 
Permutativ.  Dies  bestätigt  vollkommen  die  Alfiyyah  indem  sie  V.  586 
sagt,  dass  nur  das  Permutativ,  sowie  das  (^^.awJJI  ^^Iiä,  wie  ein 
selbstständiges  Munädä  behandelt  werde.  Dafür  führt  'noch  Ibn  *Aqil 
im  Com.  das  Beispiel  an :   Jo\    J.ä»x    ü    o  Mann ,  (nämlich)  o  Zaid ! 

(falsch  Dieterici:  yä  rajulu  zaidun).  Vergl.  auch:  Näru-lqirä,  p.  282, 
L.  8  sqq. 

1)  Das  Angereihte  muss  mit  ^  stehen,  wenn  es  ein  determinirtes 
Einzelwort  ist  ohne  den  Artikel;  hat  es  aber  den  Artikel,  so  ist  der 
Nominativ  und  Aceusativ  erlaubt. 


\ 


Tnimpp:  Beiträge  zur  ErTdärimg  des  Mufassal.  287 

rächer    bist,    so    haben    sich    dargeboten    Seiten    des 

Rechtes,  also  streite!)" 

Und:  „o  Xälid  selbst!''  und:  „o  ihr  Tamimiten  alle!'' *) 
und:  ,,0  Bisr,  Genosse  des  ?Anir!"  und:  „o  Sclave  Abu 
?Abdu-'lläh !"  und:  „o  Zaid  und  ?Abdu-'llsh." 

§  50. 

Und  die  Beschreibung  durch  ^^\  und  &Ajf    ist  wie  die 

Beschreibung  durch  andere  Worte,  wenn  diese  beiden  nicht 
zwischen  zwei  Eigennamen  stehen.  Wenn  sie  also  (so) 
stehen,    so  lässt  man    den   (End-)Vocal   des   ersten  Wortes 

dem  Vocale   des    zweiten    folgen,    wie  sie   das  bei   ^^jI   ^^^ 

i  id. 

^yjQ)  thun. "^)     Du  sagst:  „o  Zaid,  Sohn  unseres  Bruders!" 

und:  „o  Hind ,  Tochter  unseres  Oheim!"  und:  „o  Zaid, 
Sohn  des  ?Amr!"  und:  „o  Hind,  Tochter  des  ^Äsirn!"^) 

1)  Wenn  das  »AlS  mit  einem  Pronomen  des  Angerufenen  ver- 
bunden ist,  so  kann  das  Pronomen  entweder  in  der  dritten  Person 
stehen  (mit  Rücksicht  auf  die  Wortform  des  sichtbaren  Nomens,  das  als 
solches  in  der  dritten  Person  steht),  oder  in  der  zweiten  (mit  Rücksicht 
auf  die  Gegenwart  des  Angeredeten).  S  Näru-lqira,  p.  282  L.  6  v.  n. 
und  Ibn  Yang  p.  165,  L.  22. 

2)  Bei  diesen  zwei  Worten    findet   eine  zurückwirkende  Vocal-As- 

sonanz  statt;   man  sagt  also  im  Genetiv:    ,vajm    ^  y^' )    ^^^-  U-^J' i 

3)  Die  Regel  ist:  Steht  wjf  nicht  nach  einem  Eigennamen  oder 
folgt  ihm  kein  Eigenname  so  muss  das  Munädä  mit  Damm  stehen  wenn 
stark  flectirt.    ^^\    behält  in  diesem  Falle   sein  Alif  und  steht,    weil 

G-o 

annectirt,  im  Accusativ.    Ebenso  wird  iUji  (nur  in  Annexion)  und  (selten) 

"  G  o  0-0 

o  gebraucht.    Steht  aber  ^j.jf  und  iUjI  zwischen  zwei  Eigennamen 


G  " 


288        Sitzung  der  philos-phüol   Classe  vom  2.  März  1878. 

Sie  sagen  auch,  wenn  sie  nicht  im  Anrufe  stehen  und 
man  damit  beschreibt:  ^^das  ist  Zaid,  der  Sohn  unseres 
Bruders,"  und:  ,,Hind,  die  Tochter  unseres  Oheims,"  und: 
das  ist  Zaid,  der  Sohn  des  ?Amr,"  und :  „Hind,  die  Tochter 
des  ?Äsim.  Und  ebenso  (steht)  der  Accusativ  und  Genetiv.  *) 
Wenn  sie  also  nicht  (damit)  beschreiben,  ^)  so  wird  (beim 
voranstehenden  Nomen  prop.)  nur  das  Tanvin  gesezt.  Im 
Verszwang  erlauben  sie  auch  bei  der  Beschreibung  (durch 
diese)  das  Tanvin,  ^)  wie  (der  Dichter)  sagt  (Metrum  'y=?'))'' 
„Ein  Mädchen  von  Qais,    dem  Sohne  des  0alabah." 


G  t-, 


ohne  Trennung  zwischen  dem  Munada  und  ^^lundiiLol)  so  steht  das 
Munädä  entweder  mit  Damm  oder  mit  Fath*,   indem   man  es  mit  der 

0    o 

Wortform  des  folgenden  Wortes  in  Uebereinstimmung  bringt.  ^j\  ver- 
liert  in  diesem  Falle  immer  sein  Alif,  während  es  ijj]  durchaus  beibe- 
hält. Das  Mufassal  erwähnt  nur  die  leztere  Construction.  Siehe  dagegen 

6  o 

Alfiyyah,  V.  580.  lieber  einige  Ausnahmen  bei  ^^1  vergl.  Wright 
Gram.  I,  p.  22,  Rem.  6. 

1)  Die  Eegel  ist,  dass  die  stark  flectirten  Nom.  prop.  ihr  Tanvin 
abwerfen,  wenn  ihnen  unmittelbar  ^jj  und  iüjf,  annectirt  an  ein 
folgendes  Nora.  prop. ,  als  mJjs  folgen.  Ibn  Ya?i§  erklärt  auch  dieses 
Damm  als  cUjI  )L^  (als  zurückwirkende  Vocal- Assonanz) ,  weil  das 
Nom.  prop.  mit  dem  folgenden  ^^ ^  ("ivh*  ^^^O  gleichsam  zu  einem 
Nomen  zusammenschmelze.  In  den  Fällen  aber,  wo  ^.jf  sein  Alif  be- 
hält, und  in  Folge  davon  keine  Verschmelzung  mit  dem  vorangehenden 
Nom.  prop.  eintritt,  behält  auch  dieses,  wenn  stark  flectirt,  sein  Tanvin. 

2)  D.  h.  wenn  ^\   nicht  als    mj3  zu  dem  vorangehenden  Nom. 

prop.,  sondern  als  Praedicat  steht;  in  diesem  Fall  behält  es  auch 
sein  Alif  bei. 

3)  Wird  gegen  die  allgemeine  ßegel  das  Tanvin  bei  den  voran- 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  289 

§  51. 

S  ^ 

Und  das  angerufene  Vage  sind  zwei  Worte  i^f  und  das 
s  ^ 
Demonstrativ  (13).      ^^1   also  wird  durch  zwei  Dinge  quali- 

ficirt,  durch  das,  in  welchem  sich  der  Artikel  befindet,  in- 
dem zwischen  beide  das  Wort,  welches  die  Aufmerksamkeit 
auf  etwas  hinlenkt,  eingeschoben  wird,  und  durch  das  De- 
monstrativum ,  wie  du  sagst:  ,,o  Mann!*'^)  und:  „o  du 
da!"    Es  sagte  ^ü-rrumah  (Metrum  J^^i»)  • 

„0  du  da,  dessen  Seele  die  Leidenschaft  tödtet  (wegen 

einer  Sache,    welche   die  Schicksale   aus   seiner  Hand 

entfernt  haben)." 
Und    das    Demonstrativ    wird    nicht    qualificirt    ausser 
durch   das,    in   welchem    sich  der  Artikel  befindet,    wie  du 
sagst:  „0  du  Mann  da!"  und:  „o  ihr  Männer  da!"  *) 


gehenden  Nom.  prop.  gesezt,  so  behält  auch   ^^wj!    sein   Alif  bei,    wie 

aus  dem  Beispiele  zu  ersehen  ist. 

s  , o ,         i^ 

1)  Als  das  eigentliche  Munäda  wird  das    iv-^-yo  :  j^f    betrachtet, 

an  welches  sich  die  iUjuJ  O^ ,  i.  e.  Üß  als  kJLo«  (Verbindung 
oder  Ueberleitung)  anschliesst;   das  nachfolgende  Nomen  wird  als  jsJuo 

betrachtet,  die  mit  dem  Artikel  stehen  muss,  weil  sie  das  eigentlich 
durch  den  Anruf  Intendirte  ist  und  darum  determinirt  sein  muss.    Als 

G  ■  i* 

«jÜ>  muss  sie  im  gleichen  Casus  mit  ^1  stehen,  i.  e.  im  Nominativ. 
Doch  erlaubt  Al-mäzini  auch  den  Accusativ,  J^  J(  L^l  L)  .  Die  In- 
terjectionspartikel  ü  kann  davorstehen  oder auchf wegfallen.  Statt  eines 
determinirten  Nomens  kann  nach  L^l  auch  \b  oder  das  Relativ 
H^jJl    mit  seiner    ^JLo  eintreten.    Cf.  Alf.  V.  588.  589. 

2)  Man  sagt   JkiJI  Ij  C  und   Jä-JI    I4Ü  b   (denn  die  Aus- 


290        Sitzung  der  philos.-phüol  Classe  vom  2.  März  1878, 

Und  Sibavaih  citirt  von  Xuzaz  ibn  Lau^än  (den  Vers, 
Metrum  J^Kj: 

„0  Genosse*),  der  du  mager  ausgestattet  bist^)  in  Be- 
treflF  des  (starken)  Kamels,  (des  Reitsattels  und  der 
Geräthe  und  der  Decke)." 

Und  von  ?Ubaid  (Metrum  JsXjI^J  : 

„0  du,  der  du  uns  erschreckst  durch  das  Tödten  deines 
Scbaich's!" 

Und  du  sagst  bei  Worten,   die  keine  ^^^  sind :  ^)     ,,o 

So-  ^  o- 

du  da,  Zaid!"  (tXj\  und  ^S^\)  und:    „o  ihr  beide  da,  Zaid 


lassung  der  Interjectionspartikel  U  vor  einem  Demonstrativura  wird  von 
den  meisten  Grammatikern  verboten,  obschon  sie  hie  und  da  vorkommt, 
cf.  Alf.  V.  588.  589).    Da  jedoch  f  jjü   (und  |  j)  auch  ohne   }sJu£>    im 

Vocativ  stehen  kann,  so  ist  nach  \(XS^  U  (und  wohl  auch  nach  Il>  U, 
obschon  Ibn  Yan§  dies  nicht  speciell  erwähnt,  cf.  Com.  p.  170,  L.  1 
sqq.)  auch  der  Accusativ  zulässig  (dem  Locus  grammaticus  nach),   wie 

J^lpl  IJ^  LI. 

1)  ,^Lo    L)  j    Abkürzung  statt :  v^>ä.LaO    G  . 

2)  jj/jwÄ*JI  ooLdJI  ist  eine  uneigentliche  Annexion,  statt  eines 
yjuw^J  \  das  regierende  Wort  muss  darum,  wenn  es  determinirt  sein  soll, 
mit  dem  Artikel  versehen  sein.  Die  küfischen  Grammatiker  wollen  hier 
jjjgyüul  ^x)l^  lj>  (fj  als  Accus,  von  Jo)  lesen,  weil  sie  sich  an 
dem  ^evyfxa  stiessen. 

3)  D.  h.  die  ein  (^La^JI  »wftkÄ  oder  ein  JtXj  sind.  Das 
^LxAjf  t^IsÄ  kann,  wie  schon  bemerkt  worden  ist,  im  Nom.  und  Acc. 
stehen. 


I 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  291 

und  ?Arar!"  (Nom.  und  Accus.);  und  du  sagst:  „o  du  da, 
(nämlich)  der  mit  dem  herabhängenden  Haupthaar !''  auf 
Grund  des  Permutativs.;  *) 

§  52. 
Und  nicht   wird    im  Anruf  gebraucht  (ein  Nomen),    in 

dem  sich  das  Alif  und  Nun  befindet,  ausser  ä-ÜI  allein,  weil 
die  beiden  sich  nicht  von  ihm  trennen,    wie  sie  sich  nicht 

von  (^-ssx "  ^)  trennen ,    da  sie    ein  Substitut  für  das  Hamzah 

in  i^l  sind.  ^)  Und  es  sagt  (ein  Dichter,    Metrum  v»^^)' 

„Deinetwegen,  o  du,  die  du  mein  Herz  unterjocht 
hast,  während  du  geizest  mit  der  Vereinigung  (mit 
mir,  dich)  von  mir  (ferne  haltend)." 

(Der  Dichter)  hat  es  (i.  e.  ^aJI   L)  ähnlich  wie  tdJ^  U 

gebraucht,  und  dies  ist  anomal.'*) 

^-        ,    "  ^  s  -  - 

1)  Ist  die  ^^L>yJI    ^^ia^ ,    so  wie  das  Jjo  annectirt,   so  müs- 
sen sie  im  Accusativ  stehen. 

2)  Ueber    jl^Jf  z=  IjyÜI    s.  §  11. 

3)  Nach  Ibn  Ya^is  ist  die  ursprüngliche  Form  &j!^f| ;    daraus  ent- 
steht,  durch  Unterdrückung  des  Hamzah   ( <Jt.j^,kf^)   xJUI ,    und  durch 

Insertion  des   ersten  Alif  in  das  zweite  iJJI .  Ob  aber  der  Artikel  als 

Substitut  für  das  unterdrückte  Hamzah  betrachtet  werden  kann,  ist  eine 
andere  Frage.    Im  Vocativ  kann   man,   mit  Hamz   der  Trennung   und 

Verbindung  sagen:  äLI  Lj  und  üif  ü.  Cf.  Alf.  V.  583.  584.  Be- 
steht jedoch  ein  Eigenname  aus  einem  Saze,  so  ist  nach  der  Alfiyyah 
(1.  c.)  der  Artikel  beim  Vocativ  die  Eegel. 

4)  Nur  in  der  Poesie  wird  bisweilen,    des  Verszwanges  wegen,  ü 
mit  dem  Artikel  des  angerufenen  Nomens   gebraucht.    Ibn  Ya?is  führt 


292        Sitzung  der  philos.'philoh  Classe  vom  2.  März  1878. 

§  53. 

Und  wenn  das  Angerufene  wiederholt  wird  im  Zu- 
stande der  Annexion,  so  kommen  dabei  zwei  Construc- 
tionsweisen  vor ;  die  eine  ist,  dass  beide  Nomina  zusammen 
in  den  Accusativ  *)  gesezt  werden,   wie  Jarlr  sagt  (Metrum 

isju^o): 

„0  ihr  Taimiten,  ihr  Taimiten  vom  (Stamme)  ?Adi, 
ihr  habt  keinen  Vater!" 

Und  wie  einer  seiner  Söhne  sagt  (Metrum  V^j)  • 

„0  Zaid,  Zaid  von  den  vortrefflichen,  abgemagerten 
Kamelen!" 

und  die  zweite,   dass   das   erste  (Munadä)  mit  Damm    ver- 
sehen wird. 

§  54. 
Und   sie  sagen  bei  einem  Nomen,    das  an  das  Yä  der 

ersten  Person  annectirt  ist,    „o   mein  Knecht!'*  (^x)Xi  b 

und  (5^^^  Lj   und  ^^^   b  und  Lo^Lc  L>);     und    in    der 

Offenbarung  (kommt  vor):    „o  meine  Diener,   fürchtet  also 


den  Vers  an :  ^'^mLoXÜI    Lo  den  anch  Ibn  »Aqil  im  Com.  zu  Alfiyyah 

V.  583.  584.  citirt  hat. 

1)  Die  Grammatiker  erklären  dies  verschieden.    Sibavaih  ist  der 
Ansicht,   dass  das  erste  Nomen  eigentlich  an   das   nach  dem  zweiten 

Nomen  stehende  annectirt  und  das  zweite  Nomen  zwischen  das  oLd>e 
und  iüJI  oLd/o  eingeschoben  sei,  was  höchst  unwahrscheinlich  ist. 
Al-mubarrad  dagegen  ist  der  Ansicht,  dass  das  iuJI  oLdxJ  des  ersten 
Nomens  weggelassen  worden  sei,  da  es  mit  dem  ajj]  oLo^  des 
zweiten  Nomens  identisch  sei  und  dieses  darauf  hinweise.  Viel  wahr- 
scheinlicher ist  es,  dass  auch  hier  eine  rückwärts  wirkende  Laut-Asso- 
nanz statt  findet,  wie  in  §  50  gelehrt  worden  ist. 


Triimp'g:  Beiträge  zur  Erklärung  des  MufasaaL  293 

mich!'^  (Qiir.  39,  18)  und  es  wird  (auch)  gelesen:  ;5^L^£  L>. 
Und  man  sagt:  „o  mein  Herr,   gehe  an  mir  vorüber!"  und 


in    der  Pausa :    sLn   L   und   sLo^ä   U  .  i)     Und   das    Tä    in 
^1 


^1  L>   (o  mein  Vater!)    und  v:>-^l   L   (o  meine  Mutter!)  ist 

ein   Tä    Feminini,    das    für  das  Yä  gesezt  wird;    siehst    du 
nicht,    dass   sie  es  in  der  Pausa   in  Ha  verwandeln?    (i.  e. 

kit  ü,  ^T  L).^) 

Und  sie  sagen:  „o  Sohn  meiner  Mutter !''  und  „o  Sohn 
meines  väterlichen  Oheims!"^)  Es  sagte  Abu-nnajm  (Me- 
trum y^;)  • 

1)  Die  Alfiyyah  V.  592  führt  auch  noch  die  Form  Julä  L>  an,  die 
hier  nicht  erwähnt  ist. 

2)  Das  „t"  in  oi^jI  erklärt  Ihn  Yai^is  als  eine  Steigerung  des  Bc- 
griffs  wie  in  der  Form  iU^Ä  ;  demgemässs  könnte  dann  das  finale 
„i"  wohl  das  Pron.  suff.  der  ersten  Person  sein.  Statt:  »ool  ü  sagt 
man  auch  ool  o  ,  c:ax>I  b  (Alf.  V.  594)  und  Lüf  L  ,  LLol  L> , 
und  in  Pausa  auch:  sUül  ü  und  sUCyol  ü.  Nach  Yunus  sollen  auch 
die   Formen    ^^t   L   und   j»|    L>   vorkommen- 

3)  Das  Mufassal  führt  hier  drei  Formen  an :  ^x)l  ,^1  L ,  L> 
-»I  j^l  und  -»I  ,^1  ü ,  ebenso  wenn  ^jt  an  jv^  annectirt  ist. 
Die  Alfiyyah  jedoch,  V.  539  c.  com.  bestreitet  die  Form  ^1  ^j|    L 

und  will   nur  die  zwei  andern  gelten  lassen  und  zwar   nur  bei  diesen 
zwei  Constructionen,  was  jedoch  nicht  richtig  ist;  Ibn  Ya*i§  führt  auch 

noch  eine  vierte  Form  an:  Col      wjf  L    und    LZc  ^^jI    L  .    Aehnlich 

wie   ^jf    in  Annexion  mit    ^\  und  aa    scheint  auch  v;>^j    construirt 
[1878.  I.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  3.]  22 


294        Sitzung  der  phüos.-phüoL  Classe  vom  2.  März  1878. 

„0  Tochter  meines  väterlichen  Oheims,  tadle-  (mich) 
nicht  und  schlafe!" 
Sie  sezen  die  beiden  Worte  wie  Ein  Wort.  ^) 

§  55.      . 
Bei    dem    Beklagten    (oder   Betrauerten)  ist    es  unum- 
gänglich nothwendig  ihm   Q  ^)  oder  1^    vorzusezen,  während 
es  dir  frei  steht,  an  das  Ende  (des  Wortes)  ein  Alif  anzu- 
hängen.     Du    sagst   also:    „ach    der    Zaid!'*   (s'^Xjs  f^    oder 

<X>\  1^  J ,  und   das   Ha ,    das    .sich    nach  dem  Alif  anschliesst, 

dient  speciell  zur  Pause,    mit  Ausschluss    der  fortlaufenden 
Rede.  ^)      Und    es   hängt   sich    dieses    (finale   Alif)    an    das 


worden  zu  sein,  wie  aas  dem  folgenden  Vers  erhellt.  Bei  anderen  Wort- 
verbindungen jedoch  muss  die  regelmässige  Construction  eintreten,  d.  h. 
wenn  ein  Munädä  an  ein  anderes  Nomen  mit  dem  Suffix  der  ersten 
Person  annectirt  wird,  so  muss  das  Yä  sichtbar  hervortreten. 

1)  Diese   Bemerkung  kann   sich   nur   auf    die   beiden    Formen  Lj 

*l  j^jI  und  Lol  ^j|  U  beziehen.  Durch  den  häufigen  Gebrauch 
dieser  Worte  sind  sie  gleichsam  zu  einem  Compositum  zusammenge- 
schmolzen, so  dass  der  Endlaut  des  ersten  Wortes  den  Endlaut  des 
zweiten  durch  eine  fortlaufende  Laut- Assonanz  nach  sich  gezogen  hat, 
wie  dies  im  Türkischen  sich  zu  einem  festen  Geseze  ausgebildet  hat. 

2)  Vergleiche  jedoch  dazu  p.  284  Anm.  4,  dass  U  bei  dem  Be- 
klagten nur  dann  gebraucht  werden  darf,  wenn  keine  Verwechslung  mit 
dem  Nichtbeklagten  stattfinden  kann. 

3)  Ibn  Ya^is  holt  in  seinem  Com.  noch  nach,  was  hier  nicht 
erwähnt  ist,  wie  es  sich  nämlich  verhalte,  wenn  das  Beklagte  mit 
einem    Pronomen   suffixum    verbunden    sei.     Er   führt   beim   Pronomen 

der     ersten   Person    die   folgenden    Formen    an ':    -»^i  !•  ,    ^/*^£  !• 

Lo^Lfc  !•  (in  Pausa  sUo^Lc  l.j;  ^v^^ä  L  und  Lavo^Lc  !•  ;  ^«^^^  U 
ist  nur  eine  andere  Schreib v^ise  für  Lx)^Lc-  !• .     Bei  den  übrigen  Pron. 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erldärung  des  Mttfassal,  295 

xSJl  oLax>;    man  sagt  also:  „ach  der  Fürst  der  Gläubigen!" 

Und  nach  der  Ansicht  Al-xaliFs  hängt  es  sich  nicht  an  das 
Qualificativ,  man  sagt  also  nicht:  ,,ach  der  gescheidte  Zaid!" 
und  nach  der  Ansicht  von  Yünus  hängt  es  sich  an  dasselbe. 
Und  bei  der  Klage  wird  nur  ein  bekannter  Name  *) 
gebraucht;  man  sagt  also  nicht:  „ach  ein  Mann!"  und  nicht 
hält  man  für  unschön  den  Ausdruck:  „ach  um  den,  der 
den  Brunnen  Zamzam  gegraben  hat!"  weil  es  statt-:  „ach  um 
? Abdu-lmuttalib ! ' '  steht. 

§  56. 
Die  Wegnahme  der  Interjectionspartikel  von  dem,  durch 
welches  nicht  (^t  beschrieben  wird,    ist   erlaubt.     Gott  hat 

(im  Qurän  12,  29)  gesagt:  „o  Joseph,  wende  dich  ab  von 
diesem!"  und  er  (Moses)  sagte  (Qur.  7,  139):  „o  mein  Herr, 
lass  mich  (deine  Herrlichkeit)  sehen ,  damit  ich  zu  dir  auf 
schauen  mag".  Und  du  sagst:  ,,o  Mann!"  ,,o  Frau!^'  und: 
,,0  du  der  du  nicht  aufhörst  wohlzuthun,  thue  mir  wohl !" 
Und  nicht  wird  sie  weggenommen  von  dem,  durch  welches 

(^l  beschrieben  wird;  du  sagst  also  nicht:   d^)  und  liXiO'')- 


suif.  wird  nur  der  Endvocal  gedehnt  und  mit  dem  Hä  der  Pausa  geschlos- 
sen, wie     sKxj^Lt  L  ,    ÄxXlo^Lc.  L    »«-^XJ^i  L  etc  Die  Verhältnisse 

sind  also  im  wesentlichen   dieselben,    wie  beim   Vocativ,   wesshalb   sie 
wohl  Zama/sari  nicht  besonders  erwähnt  hat. 

1)  Es  darf  also  kein  unbestimmtes    noch  vages  Nomen  sein,    im 
Gegensaz  zum  Vocativ. 

2)    (^1    ist  ein  vages  Nomen    ( |V^X) )   und  muss  darum,   wenn  es 

bestimmt  werden  soll,  eine  2(,Jua    zu    sich    nehmen,    die    entweder    ein 

durch  den    Artikel  bestimmtes  Nomen,  oder  ein  ihm  ähnliches   ^.^j^ 

22* 


296        Siztung  der  pJiilos.-phüol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Und  anomal  ist  ihr  Ausdruck:  „werde  Morgen,  o  Nacht!" 
und:  „kaufe  dich  los,  o  Erdrosselter!"  und:  „lass  die  Augen 
sinken,  o  Karä!"  ^)  und:  „o  Mädchen,  forsche  nicht  nach 
meiner  entschuldbaren  Lage !"  —  und  nicht  von  dem  zur 
Hilfe    Gerufenen    noch   von   dem    Beklagten;    dagegen   wird 

ihre  Weglassung  erfordert  bei  rv^-UI ,  weil  das  Mim  als  Sub- 
stitut dafür  eintritt.  *) 

§  57. 
Und    in   ihrer  Rede   kommen  Ausdrücke    vor  nach  der 
Weise  des  Anrufs  ,   während    dadurch  die  specielle  Hervor- 
hebung beabsichtigt  ist,  nicht  der  Anruf.  ^)     Das  ist  wenn 


(wie  ItXiO)  ist.  Fällt  nun  ^|  (welches  das  eigentliche  Oj..oyo  ist) 
weg  (und  mit  ihm  die  xaaJo  ui^-ÄJ,  so  muss  ein  Ersaz  dafür  ein- 
treten, und  dieser  ist  U.  Die  Alfiyyah  (V.  575;  576.  c.  com.)  drückt 
dies  so  aus,  dass  die  Wegnahme  der  Interjectionspartikel  vor  einem  De- 
raonstrativum  und  einem  Gattungsnoraen  (^juwa^^  a,a«Ij  so  selten 

sei,  dass  die  meisten  Grammatiker  sie  verbieten.  Steht  aber  L>^  so  ist 
der  Artikel  nach  §  52  nicht  mehr  zulässig. 

1)  Iw5^  ist  nach  Lane  (sub  voce  iVJbf)  das  Männchen  von 
^f.jj  ,  eine  Rebhühner  Gattung;  Ibn  Ya'^is  dagegen  hält  es  für  ein 
(V-V^y  von   ^J\^^, 

2)  Doch  kommt  in  der  Poesie  auch    a-äJÜ!    Lj    vor.   S.  Ibn  Yan§ 

Com.  p.  181,  L.  13,  und  Alfiyyah  V.  583;  584  (Com.) 

3)  Diese  Specification  (;joLaÄisi.f3  findet  nur  statt  mit  Beziehung 
auf  ein  vorangehendes  Pronomen  der  ersten  und  zweiten  Person, 
nicht  aber  der  dritten.    Da  kein  Anruf  beabsichtigt  ist,  so  darf  darum 

auch  nie  die  Interjectionspartikel  L>  gebraucht  werden.   Die  nachfolgende 


Trum'pp'.  Beiträge  nur  JßrJclärung  des  Mufassdl.  297 

sie  sagen:  „was  mieli  betrifft,  so  werde  ich  so  und  so  han- 
deln, der  Mann  da"  und:  „wir  werden  so  und  so  handeln, 
die  Leute  da",    und:    „o  Gott,  vergib  uns,  die  Schaar  da." 

Sie  sezen  (^f   mit  seiner  xi-o    als    Hinweis    auf  die  Speci- 

fication  und  nähere  Erläuterung  und  meinen  mit  dem  Mann 
und  den  Leuten  und  der  Schaar  nur  sich  selbst,  und  nicht 

sezen  sie  dafür  ^)  als  Deckwort  ul  and  i^^  und  das  in  Lü 

liegende  Pronomen,  als  wie  wenn  gesagt  worden  wäre: 
„was  mich  betrifft  so  werde  ich  handeln,  specialisirt  unter 
den  Männern  durch  jenes",  und:  „wir  werden  handeln  als 
specialisirt  unter  den  Leuten" ,  und :  vergib  uns ,  die  wir 
specialisirt  sind  unter  den  Schaareu." 

Und  von  dem,  was  nach  dieser  Weise  geht,  ist  ihre 
Rede:  „fürwahr  wir,  die  Schaar  der  Araber,  werden  so  und 
so  handeln",  und:  ,,wir,  die  Familie  von  N.  N.,  sind  frei- 
gebig", und:  „fürwahr  wir,  die  Schaar  der  Armen,  haben 
nicht  die  Mittel  zur  Grossmuth" ,  ausser  dass  sie  hier  das 
Vortreten  des  Artikels  gestatten  und  also  sagen:  ,,wir,  die 
Araber,  sind  die  gastfreundlichsten  unter  den  Menschen 
gegen  Gäste",  und:  „in  dir,  Gott,  erhoffen  wir  (alle) 
gute  Gaben^',  und :  ,, deine  absolute  Vollkommenheit  (preise 
ich) ,   den  grossen   Gott".  ^)     Und   hievon  kommt  ihr   Aus- 


Specification  durch    ^^1   und  seine  «Juo  ist  ein  Mubtada'^  dessen   yxi>. 
ausgelassen  ist,  etwa  im  Sinne  von  tXj.f      w^o  x^^^tX+if  J^ül,    und 

da  der  vorangehende  Saz  vollständig  ist,  so  steht  sie  logisch  im  Sinne 
eines  H'älsazes,  wesshalb  auch  Zama;^§ari  sie  so  umschreibt. 

1)  Nämlich  für   ^f   und  seine  xLo . 

2)  Auch  diese  Gattung  der  Specification  ist  nur  nach  einem  Pro- 
nomen der  ersten  oder  zweiten  Person  erlaubt.  Sie  hat  keine  Aehn- 
lichkeit  mit  dem  Anruf,   da  sie  immer  mit  dem  Artikel  versehen  ist, 


298        Sitzung  der  philos.'phüol.  Classe  vom  2,  März  1878. 

druck:  ^)  „Lob  (sei)  Gott,  dem  preiswärdigen'%  und:  „die 
Herrschaft  (kommt  zu)  Gott,  der  der  Herrschaft  würdig  ist", 
und  es  kam  zu  mir  Zaid,  der  schlechte,  gemeine."  Und  es 
wird  (im  Qur^än,  111,  4)  gelesen:  ,, die  Trägerin  des  Brenn- 
holzes", und:  „ich  gieng  vorüber  an  ihm,  dem  armen  und 
elenden."  Es  kommt  auch  indeterminirt  vor  in  der 
Rede  des  Hudailiten  (Metrum    ^XäXjo): 

„Und  er  zieht  sich  zurück  zu  Weibern  ohne  Halsschmuck 
und  mit  zottigem  Haar  und  säugend,  wie  Hexen." 

Und  das  ist  das  was  man  Accusativstellung    heisst  auf 
Grund  des  Lobes  und  des  Vorwurfs  und  des  Mitleids. 

§  58. 
Zu   den   Eigen thümlichkeiten    des    Anrufs    gehört    das 
Tarxim,  *)  ausser  dass  die  Dichter,  des  Verszwanges  wegen, 


Der  Accusativ  der  Speeification  ist  abhängig  von  einem  nothwendiger- 

weise  ausgelassenen  Verbum  tXj  J  oder  ^^äI  oder  (j^oJCä-I  (ich  eigne 
mir  speciell  zu).  ^ 

1)  Diese  Gattung  von  Speeification  ist  von  der  vorangehenden  in 
einzelnen  Puncten  wesentlich  verschieden,  wie  dies  die  Alfiyyah  V.  518, 

c.  com.,  ausführt.    Es  handelt  sich  hier  um  die  Abtrennung  des   «oJÜ 

von  seinem   ^cijyiJwo ;     steht  das  \::^jü   zum  Lobe  —J^^Jj   oder  Tadel 

(»•LXij   oder  zum  Mitleid    (|V=:.w.aJ),   so  kann  es  im  Nominativ  oder 

Accusativ  stehen,  mit  nothwendiger  Auslassung  von  yS^   oder  ,-a^I; 

steht  es  aber  zur  Speeification  allein,  so  kann  yi  oder  ^rl  auch 
heraustreten.  —  Das  Mufassal  erwähnt  nur  die  Accusativsezung  als  die 
gewöhnlichere  Construction. 

2)  f^^yi  bedeutet  ursprünglich  (::^yaJ\  (^J-xi'o  (die  Verdün- 
nung des  Lautes),  als  grammatischer  terminus  technicus :  die  Wegnahme 
der  Endbuchstaben  eines  Wortes  beim  Anruf. 


Trumpp:  Beiträge  zur  ErJclärung  des  Mufassal.  299 

auch  bei  Worten,  die  niclit  im  Vocativ  stehen,  die  End- 
buchstaben wegfallen  lassen.  ^)  Für  dasselbe  gelten  gewisse 
Bedingungen.  Die  erste  ist,  dass  das  Nomen  ein  Eigen- 
name sei;  die  zweite,  dass  es  ni  cht  annec  tirt  sei; 
die  dritte,  dass  es  kein  Beklagtes  noch  zu  Hilfe- 
gerufenes sei;  die  vierte,  dass  seine  Zahl  über  drei 
Buchstaben  hinausgehe.  Ausgenommen  davon  ist  das 
Nomen,  an  dessen  Ende  sich  ein  Tä  des  Femininums  be- 
findet :  denn  es  wird  bei  diesem  nicht  zur  Bedingung  gemacht, 
dass  es  ein  Eigenname  sei,  und  dass  es  die  Zahl  von  drei 
Buchstaben  überschreite.  Man  sagt  (mit  Beziehung  auf 
Nomina  feminina) :  ^)  „o  Tadlerin!^'  und:  ,,o  Mädchen, 
forsche  nicht!"  und:  ,,o  Schaar,  komme  heran!"  und:  „o 
Schaf,  bleibe  beim  Hause!'* 

Was  aber  ihren  Ausdruck;  o  Genosse    (^L^  L?)  und: 

„0  Kara ,  schlage  die  Augen  nieder !"  betriift,  so  gehören 
sie  zu  den  Anomalien.  ^) 

Und  das  Tar%im  ist  eine  Abschneidung  am  Ende  des 
Wortes,  nach  der  Weise  einer  willkürlichen  Elision.  Dann 
wird  das  abgeschnittene  entweder   als  feststehend  supponirt 


1)  Cf.  Alfiyyah,  V.  619,  wo  im  Com.  als  ein  Beispiel  dieser  Art 
JLc    ^.j    ^-«My-^   (statt  dULo)   angeführt  ist. 

2)  Die  Regel  ist  also:  alle  Nomina  fem,  können  im  Anruf  das  „t" 
abwerfen.  Ebenso  alle  Nomina  prop.  mit  der  Femininendung  t,  be- 
zeichnen sie  männliche  oder  weibliche  Wesen  und  seien  sie  drei-  oder 
vierbuclistabig. 

3)  Bei   ^^L.o    ü    liegt  die  Anomalie  darin,  dass  es  wie  ein  Nom. 

prop.  behandelt  ist,  während  es  ein   sJo   ist;  bei  1^5^  noch  überdies 
darin,   dass  es,   wenn  es  von   mU^^  verkürzt  ist,   iS  lauten  sollte. 

Der  Wegfall  der  Interjectionspartikel  liesse  sich  dadurch  erklären,   dass 
das  Wort  schon  die  Eigenschaft  eines  Nora.  prop.  angenommen  hat. 


300        Sitzung  der  phüos.-philol.  Glasse  vom  2.  März  1878. 

und  das  ist  das  gewöhnliclie,  oder  das,  was  übrig  geblieben 
ist  (nach  der  Abschneidung)  wird  als  ein  Nomen  für  sich 
selbst  gesezt  und  dann  so  behandelt,  wie  man  die  übrigen 
Nomina  behandelt.     Man  sagt  also  nach  der  ersten  Weise: 

^Lä   L    (—   ^^{^    L)   und:   ^yö    1:3    (  "    d^SyS^    ^}j  und: 

yjk3    ü   (=  (>y^  U) ,  und  ^-o   Ls,   wenn  einer    ^J^■?  heisst; 

und  nach  der  zweiten  Weise:   \^  b,   und:  (Jjv^  Lj,  und: 

f^*^    L)    und  ^J   b  .  ^) 

Das  am  Ende  verkürzte  Nomen  ist  nothwendigerweise 
entweder  ein  Einzelnomen  oder  zusammengesezt. 

Ist  es  ein  Einzelnomen,  so  sind  bei  ihm  zwei  Be- 
handlungsweisen  zulässig;   die   eine  ist,    dass  von  ihm  Ein 


1)  Das  Damm  von  »Lä^  und  i»yi^  ist  ein  neu  hinzugetretenes 
Damm  indeclinabile  des  Anrufs,  als  ob  der  Stamm  vLä.  und  iVy^ 
wäre.    Demgemäss  würde  bei   ^^3   und    «Jü    die  Form   j^'   und   *Jb 

entstehen.  Diese  Form  aber  ist  in  der  arabischen  Nominal-Flexion  nicht 
zulässig,   sondern  das   .,   dem   ein  Damm  vorangeht,  wird  in  ^  ver- 

wandelt  und  das  Damm  in  Kasr,   wie  man  im  Plural  von   iii^  :   Jjf 

(statt  yid])   bildet.    Fällt  die  Nunation  weg  (wie  im  Vocativ),  so  sagt 

man   jjf .     Ebenso  also   ^^   L  etc.    Cf.  De  Sacy,  Gram.  I,  §  211. 

—  Nach  dieser  Regel  kann  man  auch  von  it^JL^wjo    (Nom.  prop.  masc.) 

|vA..waX»  L  oder  *J.Ay^  L  sagen.  Wenn  jedoch  das  Tä  fem.  den 
Unterschied  zwischen  dem  Masc.  und  Fem.  bezeichnet,  so  darf  man  im 
Tar/im  die  Endung  „u"  nicht  anwenden,  man  kann  also  von  2l«JL^^<« 
nur   aXwwuo   b   sagen.    S.  Alf.  V.  618. 


Trmnpp:  Beiträge  zur  ErUärung  des  Mufassal.  301 

Buchstabe  abgeschnitten  werde,  wie  ich  erwähnt  habe,  und 
die  zweite,  dass  von  ihm  zwei  Buchstaben  abgeschnitten 
werden,  und  diese  sind  zweierlei  Art,  entweder  zwei  Aug- 
mente (^  Servilbuchstaben)  im   Sinne   eines   einzigen,    wie 

diejenigen,    die    an    den   hinteren   Theilen   von  iU^v!     und 

^'^vXJ  und  ;jUaä  und  j^äJ^   stehen  ,    oder    ein    gesunder 

(starker)  Buchstabe,  vor  dem  eine  Dehnung  steht,  und  das 

kommt  vor  in  Worten  wie  \y.^£LXjo ,    ^Uä  und  ^j-^S.^^ .   ) 

Und  wenn  es  zusammengesezt  ist,  so  wird  das  lezte 
der  beiden  Wörter  vollständig  abgeschnitten;  man  sagt  also: 


1)  Die  Alfiyyah  (V.  612.  613  c.  com)  praecisirt  diese  Regel  dahin, 
dass  mit  dem  Endbuchstaben  zugleich  der  vor  ihm  stehende  weggelassen 
werde,  wenn  er  ein  weicher,  ruhender  Servilbuchstabe  ist  und  der  vierte 

oder  darüber.  Man  sagt  also :  j^jm\  G  ,  v^juUb  ü ,  \jqJjo  ü , 
viJLwkX)  U  .  Ist  aber  der  vorlezte  kein  Servilbuchstabe  (wie  in  AÄrS?), 
noch  weich  (also  ein  Doppellaut  wie  in  ^y£.yi),  noch  ruhend  (wie  in 
»•-o),  noch  der  vierte  (wie  in  tXx^),  so  darf  er  nicht  abgeschnitten 
werden.  Man  sagt  also  Uiä?  b ,  ^^  L ,  yjJ  L  ,  ^  L . 
Ist  der  vorlezte  ein  Diphthong,  so  erlaubt  Al-farrä'  und  Al-jarmi  auch 
die  Form  Cwi  Ij  und  ^j  ^«^  ü  (von  (^J^w^j*  Ihn  Ya?i§  (Com. 
p.  189,  L.  20)  behauptet,  dass  man  von  sj^mj -^  nach  Massgabe  von 
^LÄ.  L ,  auch  Hau  L  (statt  yKMj  L)  sagCH  könne ;  demgemäss 
müsste  man  auch  von  ^^J^js^yJi.  \  ^Jy^^  L)  sagen  können.    Es  scheinen 

indessen  die  beiden  lezten  Formen  nur  eine  Consequenzenmacherei  zu 
sein,  da  andere  Grammatiker  nichts  davon  erwähnen. 


302        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

o^   ü ,     v4X    L> ,    v^AA«    ü    und  &^4.i=^   o   bei    v.«aj   c:^ , 

tXj^s-*-c,   ä^j^aaaa;    und  dem,  der   v-cc^£^   x^^A^-^ä^  heisst;   was  je- 

doch  Nomina  propria  anlangt ,  wie  U^  iajU  und  s  v^  (^' vJ  , 
so  wird  nicht  abgeschnitten.  ^) 

§  59. 
(Auslassung  des  Angerufenen). 

Und  manchmal  wird  das  Angerufene  ausgelassen; 
man  sagt  also:  „o,  wehe  demZaid!"  im  Sinne  von:  „o  ihr 
Leute  ^)  (oder:  o  meine  Leute),  wehe  dem  Zaid!"  Und  von 
den  Versen  des  Buches  (ist)  (Metrum:  iixA«.j): 

„0 ,    der  Fluch  Gottes    und  aller  Völker  ^)   und  der 


1)  Die  mixta  composita    (^Ä.yo    v,^5  yXi)    werfen   beim   Tar/im 

0     > "-    ö     . 
den  zweiten  Theil  ab,  wie  dies  auch  bei  der  Bildung  des  K^y^^jo    a.aw! 

der  Fall  ist;   das   ;^oLLwI    ^.^yX^   (der    aus    einem    Saz    bestehende 

Eigenname)  dagegen  bleibt  unverändert.  Ibn  Mälik  (Alf.  V.  614)  will 
zwar  auch  hier  das  Tar/im  gestatten,  sich  auf  die  Auctorität  des  Siba- 
vaih  stüzend,  der  dies  von  den  Arabern  berichtet  habe.  Allein  Ihn  *Aqil 
bestreitet  dies,  sowie  auch  Ibn  Ya^ig,  und  darum  ist  dies,  so  lange  es 
nicht  sicher  belegt  ist,  abzusezen. 

2)  Ibn  Ya*i§  statuirt,  dass  U  auch  als  muJJi  O-ä.  für  sich 
stehen  könne,  so  dass  es  nicht  nöthig  ist,  in  diesen  Fällen  eine  Elision 
des  Munädä  anzunehmen.    Dafür  spricht  auch  der  Ausdruck:   o-aJ    L> 

o 

{^>jXm  ,    „0  dass  ich  wüsste!"     Cf  Wr.  II,  p   99  (Rem.  h.) 

3)  Der  Text  des  Mufassal  bietet  -»jjj^f  und  ^j^iLaJI  im  No- 
minativ; Ibn  Ya-?i§  erwähnt  jedoch,  dass  auch  der  Genetiv  gelesen 
werde  (aber  wohl  nur  um  die  Schwierigkeit  wegzuräumen).     Liest  man 


Trumpp :  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  303 

Rechtschaffenen    sei    über    Sani?an,    als    Nach- 
bar!*'i) 
Und  in  der  Offenbarung  (Qur.  ?) :  „wohlan,  o  betet  an!" 

§  60. 

(Die  Warnung). 

Und  zu  dem  was  in  den  Accusativ  gesezt  wird  durch 
das,  dessen  Verschweigung  nöthig  ist,  gehört  deine  Rede 
bei  der  Warnung:  ,,dich  und  den  Löwen !"  d.  h.  hüte  dich 
dem  Löwen  entgegen  zu  treten ,  und :  „den  Löwen,  damit 
er  dich  nicht  tödte!"  Dem  ähnlich  ist:  „deinen  Kopf  und 
die  Mauer  !*'  und :  ,,o  Mäzin,  deinen  Kopf  und  das  Schwert  !"^) 
Und  man  sagt:  „mich  und  das  Uebel!'^  und:  ,,mich  und 
dass  einer  von  euch  nicht  auf  den  Hasen  schiesst!"  ^),  d.  h. 
entferne  mich  von  dem  üebel  und  entferne  das  Uebel  von 
mir!  und:  entferne  mich  von  dem  Anblick,  dass  auf  den 
Hasen  geschossen  wird  und  entferne  sein  geschossen  werden 
von  meiner  Gegenwart  und  meinem  Anblick !  und  der  Sinn 
ist,  das  Schiessen  auf  den  Hasen  zu  verwehren.  Und  davon 
kommen  her  die  Ausdrücke:  „deine  Sache  und  die  Pilger- 
farth !',  d.  h.  deine  Sache  mit  der  Pilger farth  steht  bei  dir ; 
und:  „einen  Mann  und  ihn  selbst!"  d.  h.  lass  ihn  mit  sich 
selbst!    und:    „deine  Leute  und  die  Nacht!"    d.  h.   eile   zu 


den  Nominativ,  so  ist  es  nach  Ibn  Ya^is  eine  Constructio  ad  sensum,  da 
iJJI    äaÜ   so  viel  wie   äJJI   ia*J  ist. 

1)  ^A   zur  Bezeichnung   des   y^^ . 

2)  Wird  die  Person,  die  gewarnt  wird,  und  die  Sache  oder  Per- 
son, vor  der  gewarnt  wird,  zugleich  genannt,  so  müssen  sie  durch  • 
verbunden  werden.  Nur  in  der  Poesie  wird  die  Conjunction  des  Vers- 
zwanges wegen  ausgelassen. 

"•'         "^  ^       t     "  "  "        "  \^t 

3)  <-JtX^   ^j!  l   im  Sinne  von   ^Sd^c:>\   ocX^  •    (»5S?i  • 


304        Sitzung  der  phüos.-philol.  Gasse  vom  2.  März  1878. 

ihnen  vor  der  Nacht!  Und  davon  kommt  der  Ausdruck: 
,, deine  Entschuldigung!''  d.  h.  bringe  deine  Entschuldigung 
vor !  ^) 

Und  hievon  ist:  „dieses  und  nicht  deine  Behaup- 
tungen!*' d.  h.  nicht  halte  ich  deine  Behauptungen  (für 
wahr);  und  ihr  Ausdruck:  „die  beiden  und  die  Datteln!" 
d.  h.  gib  mir!  und:  „jede  Sache  und  nicht  das  Schmähen 
eines  Freigebornen!"  d.  h.  befasse  dich  mit  jeder  Sache 
aber  unternehme  nicht  die  Schmähung  eines  Freigebornen! 

Und  davon  kommt  ihr  Ausdruck :  „enthalte  dich  (davon), 
(thue)  eine  schickliche  Sache !"  weil,  nachdem  er  gesagt  hat 
,, enthalte  dich",  man  weiss,  dass  es  in  syntactische  Ueber- 
einstimmung  gesezt  ist  mit  einer  Sache,  die  dem  verbotenen 
entgegengesezt  ist.  Gott  hat  gesagt  (Qur.  4,  169):  „ent- 
haltet euch  (davon),  (es  ist)  besser  für  euch!'*^)  Und  sie 
sagen:    „lass    dir   es   genug   sein    (und   thue)   was  für  dich 


1)  vJiXc,  sowie  st>Lfc,  das  was  oder  der  welcher  entschul- 
digt;  also   ^JwJcXä    oder   üJx^Lc    wörtlich:    das   was   dich   eiitschul- 

G       .  - 

digt.   Einige  Grammatiker  fassen  dagegen    vJ Jcä   als  Maadar  nach  der 

G       - 

Form  Jwuü  auf  (so  Sibavaih  und  nach  ihm  Ihn  Ya^is),  da  sie  be- 
haupten, dass  diese  Form  auch  bei  andern  Verbis,  als  denen  die  einen 
Laut  impliciren,  vorkomme. 

2)  Dies  wird  nach  Ihn  Ya*i§  auf  dreierlei  Weise  erklärt.  Ent- 
weder  supplirt  man  (nach  Sibavaih  und  Al-/alil)  «Jol  •  (und  thut), 
oder  man  hält  (nach  Al-kisai)  iwj^  für  das  Praedicat  eines  aus- 
gelassenen ^jl^  (=  jvXJ  IIaä.  iL^Jo!^!  ^Xl)  ^^0,  oder  (nach 
Al-farra )  als  mit  dem  vorangehenden  in  Verbindung  stehend  als  Sifah 
eines  ausgelassenen  Maadar   (—  aX)   1^X2*.   eLgJüt    l«-^Jül). 


Trumpp:  Beiträge  zur  ErMärung  des  Mufassal,  305 

besser  ist",  und:  „(räume  den  Ort  der)  hinter  dir  ist  (und 
begib  dich)  an  einen,  der  für  dich  geräumiger  ist!'*  *) 

Und  hieher  gehört  der  Ausdruck:  „wer  bist  du  mit 
Rücksicht  auf  Zaid?"  d.  h.  dass  du  den  Zaid  erwähnest, 
oder  den  Zaid  erwähnend,  ^j  Und  hieher  gehört  (der  Be- 
willkommnungsgruss) :  ,, einen  geräumigen  Ort,  Verwandte, 
weiches  Land!''  d.  h.  du  hast  erreicht  Geräumigkeit,  keine 
Enge,  und  bist  gekommen  zu  Verwandten,  keinen  Fremden, 
und  du  hast  deinen  Fuss  gesezt  auf  einen  weichen  Land- 
strich, keinen  harten^);  und:  ,,wenn  du  zu  mir  kommst, 
so  (kommst  du)  zu  Verwandten  der  Nacht  und  Verwandten 
des  Tags" ,  d.  h.  fürwahr  du  kommst  zu  Verwandten  von 
dir  bei  Nacht  und  bei  Tag.  *) 

§  61. 

Und  sie  sagen:  ,,den  Löwen!  den  Löwen!"  und:  „die 
Mauer,  die  Mauer!"  und:  ,,den  Knaben,  den  Knaben!" 
wenn  sie  Jemand  warnen  vor  einem  Löwen  und  einer  dem 
Einsturz  drohenden  Mauer  und  dem  Treten  eines  Knaben. 
Und  hieher  gehört:  ,, deinen  Bruder,  deinen  Bruder!"  d.  h. 
halte  dich  an  ihn  I  und:  „den  Weg,  den  Weg!"  d.  h. 
räume  ihn!  Und  wenn  ein  solcher  Ausdruck  doppelt  ge- 
fasst  wird,  so  ist  die  Verschweigung  seines  Regens  noth- 
wendig,  und  wenn  er  allein  steht,  so  ist  es  nicht  noth- 
wendig.  ^) 


1)  So  erklärt  diese  Phrase  Ibn  Ya^is. 

2)  Dies  sagt  man  zu  einem  Manne  der  Zaid  heisst  aber  nicht  die 
Eigenschaften  des  bekannten  Zaid  besizt. 

3)  Vergleiche  damit  Genesis  24,  25. 

4)  D.  h.  zu  Leuten,  die  dir  wie  Verwandte  sind  und  dich  demge- 
mäss  behandeln  werden. 

5)  Dieselbe  Regel  gilt  auch,  wenn  zwei  Accusative  durch  •  mit 
einander  verbunden  sind,  wie  im  vorangehenden  §;  steht  aber  nur  Ein 
Accusativ,  so  kann  das  regierende  Verbum  herausgestellt  werden. 


306        Sitzung  der  phüos.-philol,  Classe  vom  2.  März  1878. 

§  62. 

(Die  Verschweigung  des  Regens,  unter  der  Bedingung, 
dass  es  [nachher]  herausgestellt  werde).  ^) 

Und  zu  dem,  was  in  den  Accusativ  gesezt  wird  durch 
das,  dessen  Verschweigung  nothwendig  ist,  gehört  das,  in 
dem  sein  Regens  verschwiegen  wird  auf  die  Bedingung  hin, 
dass  es  (nachher)  herausgestellt  werde ,  ^)  in  deiner  Rede : 
,,den  Zaid,  ich  schlug  ihn'^ ,  wie  wenn  du  gesagt  hättest: 
,,ich  schlug  den  Zaid,  ich  schlug  ihn,''  nur  lassest  du  das 
Regens  nicht  sichtbar  hervortreten,  indem  du  dich  mit  seiner 
(nachfolgenden)  Erschliessung  begnügst.  Es  sagte  ^u-rrumm- 
ah  (Metrum:   Jo^): 

„Wenn  du  den  Neffen  des  Abu  Müsa,  den  Biläl, 
erreicht  haben  wirst,  dann  ^)  möge  zwischen  deinen 
zwei  Gelenken  der  Schlächter  mit  einem  Beile  stehen!'' 

Und  hieher  gehört:  ,,den  Zaid,  ich  gieug  an  ihm  vor- 
über", und:  „den  ?Amr,  ich  begegnete  seinem  Bruder", 
und:  „denBisr,  ich  schlug  seinen  Sclaven",  mit  Verschwei- 
gung von :  *^ich  stellte  auf  meinen  Weg ,  und  'ich  hatte  zu 
thun    mit' ,    und :   'ich   behandelte   verächtlich\  *)     Sibavaih 


1)  Dies  nennt  man  auch :   J*.4jl*JI    ^j-c    JooLäJI   JLxÄawI  ,    das 

Beschäftigtsein  des  Eegens,   so   dass  es  sich  mit  dem  (vorangehenden) 
Rectum  nicht  befassen  kann.     S.  Alfiyyah,  V.  255,  sqq. 

2)  Die  meisten  Grammatiker  sind  der  Ansicht,  dass  das  verschwie- 
gene Verbum,  wenn  auch  nicht  immer  der  Wortform,  so  doch  dem  Sinne 
nach  mit  dem  sichtbaren  Verbum  übereinstimme.  Die  Küfenser  dagegen 
lehren,  dass  das  Nomen  durch  dass  nachfolgende  Verbum  in  den  Accu- 
sativ gestellt  werde  (und  beides  zugleich  regiere,  das  Nomen  und  das 
Pronomen). 

3)  ui  steht  hier  im  Nachsaz  vor  einem  Verbum  finitum,  weil  es 
einen  Wunschsaz  einleitet. 

4)  In  diesen  drei  Beispielen  kann  das  nachfolgende  Verbum  seiner 
Wortform  nach  nicht  als  Regens  für   den  vorangestellten  Accusativ  be- 


Trumpp :  13eiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  307 

sagt:  der  Accusativ  ist  gut  arabisch,  aber  der  Nominativ 
ist  besser.  ^) 

Ferner  siehst  du,  dass  der  Accusativ  gewählt  und 
(oder)  nothwendig  ist. 

Gewählt  ist  er  an  zwei  Orten:    der  eine  ist,    dass 


trachtet  werden.    Im  ersten  Beispiele  ist    oo   mit    ^   construirt,  man 

»      O     f 

muss  daher  ein  sinnverwandtes  Verbum  wie  ^ci>  y^. ,  oder  wie  im  Texte 
^-ÄJwio  ^Ä  v:>jiji:5».  suppliren.  In  den  zwei  anderen  Beispielen  ist  der 
vorangestellte  Accusativ  logisch  das  iuJI    oLäx)    von     •  |  und  J^kh  , 

das  nachfolgende  Verbum  kann  also  nicht  unmittelbar  auf  denselben 
bezogen  werden.  Die  vorgeschlagene  Erklärung  des  Mufassal  ist  zu 
künstlich;  es  ist  weit  einfacher  den  Accusativ  als  eine  Art  Accusativus 
absolutus  zu  fassen ,  der  der  Emphase  wegen  vorangestellt  wird,  wobei 
der  Redende  den  weiteren  Verlauf  des  Sazes  noch  nicht  klar  vor  Augen 
hat;  also  =:  was  betrifft,  was  anbelangt.  In  grammatischer  Hinsicht  ist 
es  gleichgiltig,  ob  das  Pronomen  suffixum,  das  den  vorangestellten  Ac- 
cusativ aufnehmen  muss,  mit  dem  Verbum  verbunden  oder  von  ihm  ge- 
trennt ist  durch  eine  Praeposition  oder  durch  eine  Annexion 

1)  In  den  angeführten  Beispielen  ist  der  Accusativ  und  Nominativ 
des  iU£.  J«jLCw.4jf  möglich,  aber  der  Nominativ  wird  für  besser  ge- 
halten, weil  in  diesem  Falle  nichts  zu  suppliren  ist.  Denn  in  dem  Bei- 
spiele:  2üiJy^  Jo\  ,  ist  dann  J^jv  Mubtada  und  ^üü*.AO  ist  sein 
Xabar.  —  Es  können  beim  JUlX^I  überhaupt  folgende  Fälle  vor- 
kommen, wo  1)  der  Nomina  tiv,  2)  der  Accusativ  nothwendig 
ist;  3)  wo  beide  Casus  stehen  können,  jedoch  der  Nominativ  oder  4) 
der  Accusativ  gewählter  ist;  5)  wo  beide  Casus  gleichmässiger- 
weise  gestattet  sind. 

Hier  hätten  wir  es  also  mit  3)  zu  thun.  Nach  der  Anschauung 
der  arabischen  Grammatiker  ist  ein  solcher  Saz  seiner  äusseren  Form 
nach  perfect,  wir  aber  würden  in  solchen  Fällen  den  Nomin inativ  als 
einen  Nominativus  absolutus  betrachten,  da  er  logisch  von  dem  Sazge- 
füge  abgerissen  ist,  wie  der  Accusativus  absolutus. 


308        Sitzung  der  philos.-pMlol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

dieser  Saz  (der  das  äaä  J^i^o  Jf  enthält)  mit  einem  Verbal- 

saz  durch  eine  Conjunction  verbunden  wird,  wie  du  sagst: 
„ich  begegnete  den  Leuten,  sogar  dem  ^Abdu-llah  begegnete 
ich",  und :  „ich  sah  den  ?Abdu-llah  und  gieng  an  Zaid  vor- 
über', und  in  der  Offenbarung  (Qur.  76,  31):  „er  lässt  in 
sein  Erbarmen  eingehen,  wen  er  will,  und  den  üebelthuenden 
hat  er  peinliche  Strafe  zugemessen",  und  dem  ähnlich  ist 
(Qur.  7,  28) :  „eine  Anzahl  hat  er  recht  geleitet  und  einer 
Anzahl  ist  mit  Recht  der  Irrthum  zuerkannt.  *) 

Was  nun  das  anbelangt,  wenn  du  sagst:  ,,Zaid  (<X)0, 
ich  begegnete  seinem  Vater,  und  was  den  ?Amr  betrifft 
{iy4^)j  ich  gieng  an  ihm  vorüber",  so  verschwindet  der  Un- 
terschied in  der  Superiorität  zwischen  dem  Nominativ  von 
?Amr  und  seinem  Accusativ,  weil  der  erste  Saz  ein  Saz 
mit  zwei  Gesichtern  ist.  ^) 


1)  Der  Grund  für  die  Accusativstellung  ist  der,  dass  nachdem  im 
vorangehenden  Saze  das  Nomen  anf  das  Verbum  gebaut  (resp.  dadurch 
in  den  Accusativ  gesezt)  worden  war,  die  Harmonie  zwischen  den  beiden 
Säzen  es  verlangt,  dass  auch  das  nachfolgende  Nomen  in  den  Accusativ 
gestellt  werde.  So  erklärt  es  Sibavaih,  De  Sacy,  Anthol.  gram.  p.  157, 
L.  11,  sqq.,  wo  auch  dieselben  zwei  Citate  aus  dem  Qur'än  als  Beispiele 
angeführt  sind. 

2)  Dies  ist  also  ein  Fall,  wo  beide  Casus  gleich  massiger  weise  ge- 

stattet  sind  (5),   wenn  nämlich  der  erste  Saz  ein  ^^wx^^»    ui>!t>    ist. 

o  ^  o         > . .      ör" f 
Ein   i^x.gÄ.5    ^ö    aUL4.Ä».   ist   ein  Saz^    der  aus  einem   Nomen   als 

Mubtada',  und  einem  Verbalsaz  als  seinem   ^i*   besteht.  (Alf.  V.  262, 

c.  com.)    In  diesem  Falle  kann  das    ^UÄ    J*jLCi».4JI  im  Nominativ  oder 

Accusativ  stehen,  im  Nominativ  mit  Rücksicht  auf  den  Anfang  (das 
Mubtada),  und  im  Accusativ  mit  Rücksicht  auf  das  Ende  (das  Verbum) 
des  vorangehenden  Sazes.     Nicht   zu  übersehen  ist,   dass  in  einer  jeden 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  309 

Kommt  daan  nach  dem  ^  etwas  vor,  was  die  Rede  auf 
die  Mubtada'- Stellung  hinwendet,  wie  du  sagst:  „ich  be- 
gegnete Zaid,  und  was  den  9Amr  betrifft,  so  war  ich  an 
ihm  vorübergegangen",  und  :  ,,ich  begegnete  Zaid,  und  siehe 
da  ?Abdu-llah,  es  schlug  ihn  ^Amr",  so  kehrt  der  erste  Zu- 
stand zurück,  wie  er  zuvor  war.  *)  Und  in  der  Offenbarung 
(Qur.  41,  16)  kommt  vor:  „und  was  den  Stamm  0amüd  be- 
grifft, so  haben  wir  sie  recht  geleitet",  und  man  liest  auch 
den  Accusativ  (Öamüda).  ^) 

Und  der  zweite  (Ort)  ist,  dass  (der  Saz)  an  einem 
Orte   vorkomme,    der   mehr    dem  Verbum   zukommt^)    und 


V  A  ^^^    volt>    iuU.Ä'  ein  Pronomen  (offenbar  oder  verborgen)  vorhan- 
den  sein   muss,   das  den  Zusammenhang   mit    dem  Mubtada'  vermittelt 

9    ^ 
luid  wenn  offenbar,  Jb.^L    heisst,  welches   nur   in    einzelnen,    an   sich 

klaren  Fällen  ausgelassen  werden  darf. 

1")  D.  h.  wie  wenn  ihm  kein  Saz  vorangegangen  wäre. 

2)  Lol  und  Iti)!  sind  keine  Verbindungspartikeln,  sondern  schnei- 
den den  Saz  nach  ihnen  ab  von  dem  was  vorangeht,  so  dass  es  ist,  als 
ob  ihnen  kein  Saz  vorangienge;  der  Nominativ  ist  daher  nach  ihnen 
gewählter.  Die  Alfiyyah  (V.  261,  im  Com.)  drückt  dies  so  aus,  dass 
wenn  zwischen  der  Conjunction  (s»ftiöL*JI)  und  dem  Nomen  eine  Tren 
nung  eintrete,  so  stehe  das  Nomen ^    als  ob  ihm  nichts  vorangegangen 


3)  Oder  wie  es  Ibn  ^Aqil  (Com.  zu  Alf.  V.  261),  ausdrückt,  der 
meistens  dem  Verbum  unmittelbar  vorangeht.  Die  Fragepartikel  pflegt 
unmittelbar  vor  einem  Verbum  zu  stehen  ;  folgt  ihr  kein  Verbum  son- 
dern ein  Nomen  im  Accusativ ,  so  wird  ein  Verbum  supplirt ,  welches 
das  nachfolgende  Verbum  herausstellt.  Darum  ist  hier  der  Accusativ 
gewählt,  obgleich  der  Nominativ  auch  zulässig  ist.  Ebenso  verhält  es 
sich,  wenn  das  nachfolgende  sichtbare  Verbum  im  Passivum  steht.  Doch 
sind  hier   zwei  Fälle  zu  unterscheiden.    Der  erste  ist ,    wenn  ein  Verb 

ein  doppeltes  Object  sich  unterordnet,  z.  B.    J^y^Ji    a^y^ö    er   schlug 

r"  o  --  ..      -      > 

ihn  mit  der  Peitsche;  im  Passivum  müsste  dies  lauten    is^^wvJ!    <^y^S 

[1878.  I.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  3.]  23 


310        Sitzung  der  phüos.-phÜol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

das  ist  das,  dass  er  nach  einer  Frag ep  artikel  stehe,  wie 
du  sagst:  ,,den  ?Abdu-llah,' hast  du  ihn  geschlagen?"  Und 
dem  ähnlich  ist:  ,,die  Peitsche,  wurde  mit  ihr  Zaid  ge- 
schlagen?" und:  das  Ledertuch,  wurde  das  Fleisch  auf  ihm 
gegessen?"  und:  „den  Zaid,  bist  du  an  ihn  gebunden?" 
und :  „den  Zaid,  wirst  du  über  ihm  hochmüthig  behandelt?" 
und:  ,,den  Zaid,  bist  du  nach  ihm  benannt?" 


(oder  ioj-wJü  ^•-Jwao).  Wird  nun  das  Verb  von  seinem  Object  ab- 
gewendet und  dasselbe  vorangestellt,  so  bleibt  ^«.^jl  im  Accusativ 
stehen,  da  das  Verbum  nur  Ein  Subject  in  den  Nominativ  stellt,  und 
js^  weist  durch  das  Pronomen  suff.  (als  -bjfx)  auf  }cy^l\  zurück 
und  steht  daher  virtuell  ebenfalls  im  Accusativ.  Aehnlich  verhält  es 
sich  mit  ijl%ii>l  ,  indem  bei  der  Passivconstruction  das  Instrument 
auch  lose  im  Accusativ  untergeordnet  werden  kann  (also    iväJI     Ji^l 

^o^5^^>  statt  M^5^^    v.^J-    ^^^  andere  Fall  ist,   wenn  das  Verbum 

kein  doppeltes  Object  sich  unterordnet.  Aber  auch  da  ist,  um  der  Frage- 
partikel willen,  der  Accusativ  gewählter,  nur  muss  aus  dem  nachfolgen- 
den sichtbaren    passiven  Verbum  ein  sinnentsprechendes  Activverb  sup- 

plirt  werden.  So  erklärt  Ibn  Ya^is  (p.  204,  L.  18)  den  Saz:  \ö^\\ 
iUw-Lc  (j^v^^  ool  durch :  ftXjv  JaxAJ'l  „erwartest  du  den  Zaid, 
bist  du  an  ihn  gebunden  ?"  und  beim  nachfolgenden  supplirt  er : 
|jo\    ci^xxxi/l    „beklagst  du  dich  über  den  Zaid?" 

In  allen  diesen  Fällen  jedoch  muss  ein  Verb  nachfolgen;  doch 
kann  statt  eines  Verbum  finitum  auch  ein  JlcLftif  jv^l  oder  ein  jv^wl 
JajLa^Jf  stehen,  nur  darf  es  nicht  mit  dem  Artikel  versehen  sein,  da- 
mit es  seine  volle  Verbalkraft  behält.  Folgt  kein  Verbum  oder  was  ihm 
gleich  kommt,  so  ist  nur  der  Nominativ  zulässig.  Cf.  Alf.  V.  265,  c.  com. 


Trumpp :  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  311 

Und  davon  kommt  der  Ausdruck :  ,,den  Zaid,  hast  du 
den  ?Amr  geschlagen  und  seinen  Bruder  (i.  e.  des  Zaid)?" 
und:  ,,den  Zaid,  hast  du  einen  Mann  geschlagen,  der  ihn 
(den  Zaid)  liebt?"  weil  das  lezte  (Wort)  mit  dem  ersten 
verkehrt  durch  die  Anfügung  oder  die  Beschreibung.  *) 

1)  Die  Alfiyyah,   V.  266   c.  com.   führt  dieses  näher  aus.     Es  ist 

gewählt  das  vorangestellte  Nomen  aruch  dann  in  den  Accusativ  zu  sezen, 

wenn   das   nachfolgende    Verb   etwas    ( dem    Zusammenhang )   Fremdes 

.  S    "  ^f 

(  -ajLä.!)  regiert,   d.  h.  ein  Nomen,   das   mit  dem   vorangestellten  in 

s  I 

keiner  Verbindung  steht,  wenn  nämlich  dieses  ein   mJ3   hat,    das    das 

Pronomen  des  vorangehenden  Nomons  umfasst,  sei  es  eine  isJü>o  (wie 
(ius[) ,  oder  ein  ,^LyJI  i-jiaÄ  (wofür  im  Texte  des  Mufassal  kein 
Beispiel  angeführt  ist),  oder  ein  speciell  durch  1  angefügtes  Nomen 
(wie  sIä.|.J.  Dadurch  wird  der  Verkehr  (mit  dem  vorangestellten 
Nomen)  ebenso  hergestellt,  wie  durch  das  ,<-aaaa;  selbst.    ,^aaa*/  heisst 

nämlich  ein  Qualificativ,  das  sich  zwar  an  das  vorangehende  Nomen  an- 
schliesst,  jedoch  nicht  dieses,  sondern  das  nachfolgende  Nomen  beschreibt 

(wie  s«^l   j^vAw^Ä.   d^))'    I^ieses  leztere  Nomen  heisst   v^^aa«  ,     die 


>  w  -  j 


(zufällige)  Ursache  der  Qualification  oder  o«-o*-*JI  v.,>AM^>o ,  das  was 
die  Qualification  des  Mausüf  veranlasst,  und  das  ihm  vorangehende  Qua- 
lificativ,  j^aaa«  ,    was  zur   ^«aa^    in  Beziehung  steht ,  oder   ^„j^j^jmjo  , 

G    0^  0  - 

zufällig  verursacht  (weil  das  oJÜ  als  dem  o«.^yo  nicht  an  sich  zu- 
kommend  gesezt  ist).    Die  Analogie  zwischen  diesen  beiden    Sazarten 

G  , 

besteht  also  darin,  dass  das  aJLs..!  mit  seinem  .«jvJ  ,  das  ein  Pro- 
nomen enthält,  das  auf  das  vorangehende  Nomen  hinweist,   ebenso  con- 

g 

cS    -'  —  o  " 

struirt  wird,  wie  das   ^^aa-u/  ,    das  sich  nach  seinem   o«.^«.jo  richtet. 

Die  Erklärung,  die  De  Sacy  (II,  p.  208,  note  1)  gibt,  stimmt  nicht  mit 
dem  Com.  des  Ihn  *Aqil,  dem  wir  gefolgt  sind,  überein. 


312        Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  2.  März  1878, 

Wenn  man  (aber)  dann  sagt:  ,,Zaid,  geht  man  mit  ihm 
weg?"  so  steht  nur  der  Nominativ.  ^) 

(Ferner),  dass  (der  Saz)  nach  'i>l  und  o/.-^^^  steht,  wie 
du  sagst :  „deu  ?Abdu-llah ,  wann  du  ihn  triffst ,  so  ehre 
ihn!''  und:  „den  Zaid,  wo  du  ihn  findest,  ehre  ihn!"*)  und 
nach  einer  Verneinungspartikel,  wie  du  sagst :  „den  Zaid,  ich 
habe  ihn  nicht  geschlagen."  Es  sagte  Jarir  (Metrum  :  y^^^)' 

„Also  keinen  Grund  des  Ruhmes,  worüber  du  dich 
brüsten  könntest ,  (erwähnst  du)  von  den  Taimiten ,  und 
keinen  Grossvater,  wann  sich  die  Gross väter  zusammen- 
drängen". ^) 

1)  Bei  dem  passiven  Ausdrucke   au    v^^^j    vertritt   isj  das  Pas- 

siv-Subject,   steht  also  virtuell  im  Nominativ,   desshalb  muss  auch  das 

deplacirte  Jk.j>\  im  Nominativ  stehen.  Ueber  die  weitere  Noth wendig- 
keit des  Nominativs  vergl.  Alf.  V.  258.  269.  Der  Nominativ  ist  nämlich 
nothwendig,  wenn  das  Nomen  nach  solchen  Worten  steht,  die  speciell 
das  Mubtada'  verlangen,  wie  131  ;  ebenso  wenn  es  vor  einer  Partikel 
steht,  die  ihrer  Natur  nach  am" Anfange  eines  Sazes  stehen  muss  und 
darum  keine  Rection   auf  das  vorangehende  ausüben  kann,  wie  Beding- 

ungs-  und  Fragepartikeln  und  das  affirmative   J   und  das  verneinende 

Lo  ,  doch  kommt  vor  Lo  auch  der  Accus,  vor.  Cf.  De  Sacy,  Gr.  II,  §  341. 

2)  Diese  beiden  Partikeln  sind  meistens  mit  einem  Verbum  ver- 
bunden, weil  sie  eioe  Apodosis  impliciren.  Das  verschwiegene  Verbum 
wird  durch  das  nachfolgende  herausgestellt. 

3)  Uo  und  y  sind  ebenfalls  gewöhnlich  mit  einem  Verbum  ver- 
bunden.   S.  De  Sacy,  Gr.  II,  §  843. 

4)  Der  Vers   wird   verschieden   erklärt.     Ibn  Ya*i§   supplirt  nach 

^  :  v;i>w5^  .    das  jedoch   v:y».5^    lauten  sollte  (nicht  s;:jjfi>j  wie  es 

bei  Jahn,  p.  207,  L.  2  vocalisirt  ist),  da  das  verschwiegene  Verbum  mit 
dem  herausgestellten  der  Person  und  Zahl   nach  übereinstimmen   muss. 

In  der  vierten  Linie  folgt  darum  La^ä    ^^  v«aa*JI;Jo    ^ ,     du     er- 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufasscu.  313 

Und  dass  (der  Saz)  einen  Imperativ  und  (=z  oder) 
Prohibitiv^)  enthalte,  wie  du  sagst:  „den  Zaid,  schlage 
ihn!''  und:  „den  Xälid,  schlage  seinen  Vater!"  und:  „den 
Bisr,  schmähe  nicht  seinen  Bruder!"  und:  „den  Zaid,  ?Amr 
soll  ihn  schlagen,  und  (was)  den  Bisr  (betrifft),  so  soll  ?Amr 
seinen  Vater  tödten."  Und  dem  ähnlich  ist:  „was  den  Zaid 
(betrifft  ^) ,  so  tödte  ihn,  und  was  den  Xälid  (betrifft),  so 
schmähe  nicht  seinen  Vater  !"  Und  der  W  u  n  s  c  h  steht  dem 
Imperativ  und  Prohibitiv  gleich;  du  sagst:  „o  Gott,  (was) 
den  Zaid  (betrifft),  so  vergib  ihm  seine  Sünde !"  und :  „(was) 
den  Zaid  (betrifft),  Gott  möge  ihm  das  Leben  bitter  machen!'' 
Es  sagte  Abu-lasvad  (Metrum:    J^^}: 

„Also  einem  jeden,  möge  ihm  Gott  vergelten  für  mich 
das,  was  er  gethan  hat." 

Und :  „was  den  Zaid  betrifft,  Verstümmelung  ihm  !  und 
was  den  ?Amr  betrifft,  Tränkung  ihm!"^) 


wirbst  ihnen  keinen  Grund  des  Euhmes.  Yunus  dagegen  will  Lv^ww^ä.  ^ 

=  v^AAAfcCä.    ^    fassen  und  erklärt   LLw^ä    und   IlX:^^  als  durch  den  Vers- 
zwang veranlasst. 

1)  Vergleiche  dazu  Alfiyyah  V.  260;  261.  Beim  Imperativ  ist  es 
gleichgiltig,  ob  er  in  der  zweiten  oder  dritten  Person  steht. 

2)  Ibn  Ya*is  (p.  207,  L.  23)  macht  darauf  aufmerksam,  dass  nach 
Lo!  kein  Verb  supplirt  werden  darf,  weil  es  schon  den  Sinn  eines  Ver- 
bums implicirt,  das  Verb  muss  vielmehr  nach  dem  Nomen  ohnePro- 
nomen  supplirt  werden,  also:  J^JCi'Li  lt\.j\  L;o|,  indem  man  es  auf  das 
Nomen  (als  sein  vorangestelltes    iu    J«.*ax))  wirken  lässt.    Dann  lässt 

man  es  aus,  weil  das  nachfolgende  Verbum  es  herausstellt. 

3)  Der  Accusativ  des  deplacirten  Objects  ist  hier  ebenfalls  ge- 
wählt, weil  es  Wunschsäze  sind,  in  denen  das  Verbalnomen  das  Verbum 
finitum  vertritt.    Wird  aber  der  Wunsch  nicht  durch  ein  Verbum  oder 


314        Silmung  der  philos.-pJiilol.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Nothwendig  (ist  der  Accusativ  in  dem  Fall),  dass 
der  Saz  nach  einer  Partikel  steht ,  der  (sonst)*  nur  4as 
Verbura  unmittelbar  folgt*),  wie  du  sagst:  ,,wenn  du  den 
Zaid  siehst,  schlägst  du  ihn."  Es  sagte  (ein  Dichter  ^)  (Me- 
trum :   J^o J : 

„Sei  nicht  ungeduldig,    wenn  ich  das  kostbare  (Ver- 
mögen) zu  Grunde  richte."  ^) 

Und  ^^^  und  ^1  und  ^^  und  U^  stehen  dem  ^1 
gleich,  weil  sie  nach  dem  Verbum  streben  und  nicht  werden 
nach  ihnen  die  Nomina  als  Mubtada'  gesezt.  ■*) 


einen  verbalartigen  Begriff  ausgedrückt,  so  darf  Idas  erste  Nomen  nur 
im  Nominativ  stehen,  z.  B.  ä-JLc  *^Lw**i  tX.j\  Lx)l,  weil  das  nicht 
vorhanden  ist,  was  auf  das  zu  supplirende  Verb  hinwiese. 

1)  Der  Sinn  ist:  wenn  das  Nomen  nach  solchen  Partikeln  steht, 
die  eine  Bedingung  oder  den  Begriff  einer  Bedingung  impliciren  und 
desshalb  dem  Verb  sich  unmittelbar  anzuschliessen  pflegen,  und  nach 
dem  Nomen  ein  Verbum  folgt,  welches  das  Pronomen  des  Nomens  ent- 
hält, so  ist  der  Accusativ  nothwendig. 

-ro-      >         9    --.. 

2)  Nach  Ihn  Ya^i§:   ^yS   ^    j-U "  • 

3)  Ihn  *Aqil  im  Com.  zu  Alf.  V.  257  führt  diesen  Vers  auch  an, 
liest  aber  ^jt^Jujo ,  als  Beweis  dafür ,  dass  in  dem  bezeichneten  Falle 
auch  der  Nominativ  auf  Grund  der  Mubtada- Stellung  gebraucht 
werde.  —     ^j^Jimo   ist  =    (j/-jUj    JLx). 

4)  Diese  vier  oder  mit  ^|  fünf  Partikeln  (cf.  Alf.  V.  715,  c.  com.) 
werden  in  einem  doppelten  Sinne  gebraucht.  Sie  sind  1)  o**-^. 
tjo^xJL  (jö^^äJI  j  Partikeln  der  Anreizung  und  der  Petition 
((jöjÄ   bedeutet  nicht  „reproof",   wie  Wright,   Gr.  II,  p.  334  angibt; 


Trumpp:  Beiträge  zur  Erklärung  des  Mufassal.  315 

§  63. 
(Auslassung   von  j^J   J^xa^JI ) 

Die  Auslassung  des  objectiven  Complements  ist  häufig; 
sie  kommt  bei  ihm  auf  zweierlei  Weise  vor.  Die  eine 
ist,  dass  es  der  Wertform  nach  ausgelassen  wird,  während 
es  dem  Sinn  und  der  Supposition  nach  intendirt  ist;  und 
die  zweite  ist,  dass  es  nach  der  Auslassung  zu  einem  ver- 
gessenen (und)  übergegangenen  gemacht  wird,  ^)  als  ob  sein 
Verbum  zur  Classe  der  intransitiven  Zeitwörter  gehörte,  wie 
das  Activ - Subject  vergessen  wird,  wenn  das  Verb  iu  die 
passive  Form  tritt.  Von  der  ersten  Weise  ist  das  Wort 
Gottes  (Qur.  13,  26):  ,,Gott  reicht  reichlich  das  tägliche  Brod 
dar,  wem  er  will  und  schränkt  (es)  ein;"  und  sein  Wort 
(Qur.   11,  45):  „Niemand  ist  heute  geschüzt^)  vor  dem  Be- 


s.  De  Sacy,  Anthol.  gr  p.  83  L  3j,  wenn  ihnen  das  Futurum  folgt,  und 

2)    ^^^.jJI  o.y^^   Partikeln  des  Vorwurfs,  wenn  ihnen  das  Per- 

ect  folgt.  Manchmal  wird  nach  diesen  Partikeln  das  Verb  ganz  aus- 
gelassen, wenn  es  aus  dem  Zusammenhang  erhellt.  Siehe  ein  Beispiel 
bei  Ibn  Ya=fi§,  Com.  p.  209,  L.  16,  und  Alfiyyah,  V.  7l6,  c.  com.,  wo 
derselbe  Vers  citirt  ist.  Die  Alfiyyah  fasst  jedoch  die  Sache  etwas  an- 
ders auf,  als  das  Mufassal,  indem  sie  sagt,  dass  ein  Nomen  bisweilen 
nach  den  Partikeln  der  Anreizung  stehe,  welches  durch  ein  nachge- 
stelltes (oder  ausgelassenes)  Verbum  regiert  werde.  Ist  das  Verbum 
jedoch  ausgelassen^   so   kann  nach  Umständen  das  Nomen   auch  im 

Nominativ  stehen,  wenn  z.  B.  Jc^«  oder  ^^o  zu  suppliren  ist.  S. 
ein  Beispiel  davon  Alf.  V.  716,  Com.,  wo  *jLäÄJI  ^iö  Ibn  *Aqil  durch 
*tXÄxJI    tX-Ä.«    ^jo   erkärt. 

1)  ^c-^    (J^    —    (-^^j    s-  Lämiyyah,  V.  61,  62,  c.  com. 

2)  ßaidavi  erklärt   *..oLc.   durch   s^xxs.   jö ,    so  dass  das    ^mj} 
JLäLaJI    im  Sinne  eines   JyiÄ+JI    (*«wl    stünde. 


316        Sitzung  der  philos.-philoL  Classe  vom  2.  März  1878. 

fehl  Gottes,  ausser  über  (wen)  er  sich  erbarm t'\  weil  es  für 
dieses  Relativ  absolut  nöthig  ist,  dass  von  seiner  Silah  zu 
ihm  etwas  zurückkehre,  was  dem  ähnlich  ist,  was  du  in 
dem  Gottesworte  siehst  (Qur.  2,  276):  „derjenige,  den  der 
Teufel  niedergetreten  hat/'  Und  das  Gotteswort  (Qur.  36, 
35):  „und  was  ihre  Hände  gearbeitet  haben"  wird  auch  ge- 

lesen:   v^ii^-l^-c   Lo^    (ohne    lXSLä)- 

Und  zur  zweiten  gehört  ihr  Ausdruck:  „N.  N.  gibt 
und  verweigert,  er  verbindet  und  schneidet  ab;"  und  das 
das  Wort  Gottes  (Qur.  46,  14):  „mache  (die  Sache)  gut 
für  mich  in  meiner  Nachkommenschaft",  und  das  Wort  des 
^u-rummah  (Metrum :  Jo^) : 

,,Obschon  (die  Kamele)  entschuldigt  sind  wegen  ihrer 
(wenigen)  Milch  durch  die  Sterilität  (des  Bodens),  ver- 
wundet (sie)  die  Spize  meines  Speeres  an  ihren  Flech- 
senfersen für  den  Gast."*) 


l)  D.  i.  ich  schlachte   sie  für  den  Gast,    wozu  der  Anfang  damit 
gemacht  wird,  dass  man  ihnen  die  Hinterflechsen  durchschneidet. 


Nachtrag. 

S.  8,  L.  9  verbessere  statt:  was  ist  dann  ihr  Zustand?  Sie  geben 
etc. :  „warum  geben  sie  nicht  gänzlich  auf  die  Wortkenntniss  und  die 
Flexion,  und  hauen  nicht  ab"  etc. 


Sitzungsberichte 


der 


königl  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 

Sitzung  vom  2.  März  1878. 


Historische  Classe. 


Herr  v.  Druffel  legt  vor: 

„Herzog  Herkules  von  Ferrara  und  seine 
Beziehungen  zu  dem  Kurfürsten  Moritz 
von  Sachsen  und  zu  den  Jesuiten." 

Niemand  tritt  in  eine  fremde  Welt,  wenn  er  sich  in 
Gedanken  in  den  Kreis  der  herzoglichen  Familie  Este  ver- 
setzt, welche  in  der  zweiten  Hälfte  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts zu  Ferrara  und  Belriguardo  glänzend  Hof  hielt. 
Zuerst  begegnet  uns  da  das  Bild  der  von  Tasso  gefeierten 
Prinzessin  Leonore  und  ihres  Bruders  Alfonso,  welche  aus 
Göthes  Dichtung  uns  persönlich  bekannt  sind.  Auch  die 
meisten  der  übrioren  Glieder  der  herzo2flichen  Familie  lernt 
man  kennen  aus  dem  ersten  Gespräche  der  beiden  Leonoren : 
den  Vater  der  Prinzessin  Herkules,  ihre  Mutter  Renate,  die 
Schwester  Lukrezia,  den  Oheim  Cardinal  Hippolyt.  Nur 
die  älteste  Schwester  Leonorens,  Anua  von  Gaise,  die  zur 
Zeit  als  Tasso  an  den  Hof  kam,  bereits  seit  vielen  Jahren 
den  väterlichen  Palast  verlassen  hatte,  und  ihr  Bruder  Car- 
dinal Luigi,  der  eigentliche  Gönner  des  Dichters  von  Sorrent, 
haben  keine  Berücksichtigung  gefunden. 

Wenn  das  Interesse   für  jene  Persönlichkeiten  ein  all- 
gemeines ist,    so   ist  dies  gewiss  vorzugsweise  durch  die  an 
Tasso's  Namen  anknüpfenden  Erinnerungen  veranlasst;  aber 
auch  hiervon   abgesehen    erfreuen    sich  zwei  Mitglieder  des 
[1878.  I.  Philos.-philol.  hist.  Cl.  4.]  24  ' 


318  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Hauses  Este  noch  aus  anderem  Grunde  einer  besonderen 
Sympathie  in  Kreisen,  welche  sich  zwar  enger  abgrenzen 
als  die  Göthe-  and  Tassoverehrer,  aber  doch  noch  über  die 
Zunft  der  Fachhistoriker  weit  hinausgreifen.  Es  sind  zwei 
einander  schroif  gegenüber  stehende  Heerlager,  welche,  das 
eine  den  Namen  des  Herzogs  Herkules,  das  andere  den 
seiner  Gemahlin  Renate  gleichsam  auf  ihre  Fahne  geschrieben 
haben.  Hier  wird  Renate  verehrt  als  Dulderin  für  den 
evaagelischen  Glauben,  dort  wird  Herkules  gepriesen  als 
der  väterliche  Beschützer  der  jungen  Pflanzung  des  heiligen 
Ignatius  von  Loyola. 

Bekanntlich  gehört  der  Liebesroman  zwischen  Tasso 
und  Leonore  völlig  der  Dichtung  an;  dies  Gebiet  und  das 
der  historischen  Wahrheit  sind  völlig  verschiedene  Dinge. 
Man  vermag  dem  historischen  Tasso,  wie  ihn  Voigt  ^)  ge- 
schildert, seine  Theilnahme  zu  schenken,  ohne  auch  nur 
daran  zu  denken,  dass  kaum  ein  Zug  des  vorgeführten 
Bildes  zu  der  Vorstellung  stimmt,  welche  uns  dichterische 
Phantasie  an  die  Hand  gegeben  hatte ;  und  andererseits  wird 
sich  Niemand  den  Genuss  des  poetischen  Werkes  verderben 
lassen,  wenn  wir  uns  mit  einer  Brautwerbung  um  die  Prin- 
zessin Leonore  beschäftigen,  welche  vierzehn  Jahre  vor  der 
Zeit  spielte,  als  Tasso  an  den  Hof  von  Ferrara  kam. 

Anders  steht  es  mit  der  Andacht  zu  Renate  und  Her- 
kules. Wer  diese  verehrt,  thut  dies  in  der  Vorstellung,  dass  er 
das  wahre  Bild  der  Geschichte  vor  sich  habe.  Alle  die  zahlreichen 
Darstellungen,  welche  uns  die  Leidensgeschichte  der  von  ihrem 
fanatischen  Gemahl  wegen  ihrer  religiösen  Meinungen  ge- 
quälten Fürstin  vorführen,  thuen  das  mit  der  redlichen  Ab- 
sicht, Geschichte  zu  schreiben,  und  auch  die  Jesuiten  glaubten 
nur  eine  Pflicht  der  Dankbarkeit  zu  erfüllen,  wenn  sie,  ge- 
stützt auf  die  von  ihrem  Ordensstifter  herrührenden  Quellen, 
dem  Herzoge  das  verdiente  Denkmal  errichteten. 

1)  Im  20.  Bande  der  Sybelschen  Zeitschrift. 


V.  Druffel:  Herzog  Herkules  von  Ferrara  etc,  319 

Die  Zuverlässigkeit  der  einerseits  von  den  Jesuiten, 
andererseits  von  vielen  evangelischen  Schriftstellern,  Herren 
und  Dameu,  entworfenen  Bilder  scheint  sich  auf  den  ersten 
Blick  gegenseitig  zu  bedingen.  Grade  weil  der  Herzog  in 
den  Augen  der  Jesuiten  das  höchste  Lob  verdient,  muss  er 
denen  hassenswerth  erscheinen,  welche  in  ihm  den  Knecht 
der  Intoleranz,  der  Inquisition  erblicken.  Und  wo  bliebe 
das  Verdienst  der  Dulderin  für  den  Glauben,  wenn  man 
den  Gedanken  fassen  könnte,  dass  der  Gegensatz  zwischen 
den  beiden  Gatten  andere  Gründe  gehabt  habe,  als  Renatens 
Liebe  zum  reinen  Evangelium  ? 

Orlandini  S.  J.  in  den  Annalen  seiner  Gesellschaft, 
Blümmer,  Strack,  Emma  Pommerenike,  Henke  ^)  und  Andere 
erzählen  uns  übereinstimmend  von  den  gemeinsamen  Be- 
mühungen des  Herzogs  Herkules  und  des  Königs  Heinrich  IL 
von  Frankreich,  die  Herzogin  Renate  von  ihren  der  Neuerung 
günstigen  religiösen  Ansichten  zurückzurufen.  Man  griff, 
als  dieselbe  Widerstand  leistete,  selbst  zu  gewaltsamen  Mass- 
regeln und  entfernte  ihre  Töchter,  um  sie  ihrem  Einflüsse 
zu  entziehen.  Grade  die  Rücksicht  auf  die  Töchter  führte 
Herkules    von  Ferrara   in   einem    öfter   gedruckten  ^)  Briefe 


1)  Die  Schriften  von  Blümmer,  Strack,  die  zu  Gotha  bei  Perthes 
1869  erschienene  anonyme  Schrift  (mit  Vorwort  von  W.  v.  Giesebrecht) 
sind  ohne  grossen  Werth  und  meist  in  unerquicklichem  Erbauungstone  ge- 
schrieben; Henke  hat  wenigstens  das  Streben  nach  Kritik,  indessen  ist 
seine  Kenntniss  der  Literatur  nicht  genügend.  Bonnet  hat  in  der 
Revue  chretienne  1875  den  Anfang  einer  Geschichte  Renatens  erscheinen 
lassen.  Diese  Arbeit  verspricht  gediegen  und  unparteiisch  zu  werden. 
Leider  hat  sich  aber  durch  dieselbe  Ernesto  Masi  abhalten  lassen,  der 
Renate  eine  umfangreichere  Arbeit  zu  widmen ;  auch  das,  was  er  jetzt 
bietet,  ist  in  hohem  Grade  dankenswerth ,  besonders  der  Anhang,  der 
Dokumente  wichtiger  Art  darbietet.  Bonainis  frühere  Arbeit  im  Ar- 
chivio  storico  Italiano,  Giornalo  degli  Archivi  Toscani,  Jahrgang  1859, 
wird  Niemand  entbehren  können ;  jedoch  sind  seine  Mittheilungen  nicht 
sehr  reichlich.    Henkes  Aufsatz  s.  bei  Sybel  Zeitsch.  Bd.  25. 

2)  Z.  B.  beiCantü  Gli  Eretici  d'ltalia  II,  95, im  Archivio  st.  Ital.XII, 

24* 


320  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  Mars  1878. 

an  den  König  von  Frankreich  als  einen  der  Hauptgründe 
an,  welche  das  Einschreiten  gegen  die  Mutter  erforderlich 
machten ;  er  versichert ,  er  wolle  sie  vor  dem  beharrlichen 
Zuspruch  der  Mutter  schützen,  da  sonst  nicht  bloss  Gott 
beleidigt  würde,  sondern  sich  auch  leicht  Schwierigkeiten 
bei  ihrer  Verheirathung  mit  christlichen  Fürsten  ergeben 
könnten,  zumal  doch  schon  der  Ruf  von  der  Ketzerei  seiner 
Gattin  zu  seiner  eigenen  Schmach  durch  ganz  Italien  ver- 
breitet sei.  Wenn  man  nur  diesen  Brief  ins  Auge  fasst, 
so  möchte  man  glauben,  dass  Herkules  in  vollem  Eifer  für 
den  Katholicismus  geglüht  und  dass  er  eine  gleiche  Ge- 
sinnung bei  dem  König  Heinrich  voraussetzen  zu  dürfen  ge- 
glaubt hätte. 

Von  keinem  der  Biographen  Renatens  sind  indessen 
die  an  verschiedenen  Orten  gedruckten  Dokumente  berück- 
sichtigt worden,  welche  sich  auf  die  Verhandlungen  über 
die  Verheirathung  eben  jener  von  Herkules  so  sorglich  ge- 
hüteten Töchter  beziehen.  Ihre  Heranziehung  ist  erfor- 
derlich. 

Noch  zu  Lebzeiten  seines  Vaters  Franz  I.  beabsichtigte 
der  Dauphin  Heinrich,  eine  der  Esteschen  Prinzessinnen  mit 
dem  Sohne  des  Kurfürsten  von  Sachsen  zu  verheirathen.  ^) 
Zahlreiche  Aktenstücke  des  Stuttgarter  und  des  Weimarer 
Archivs  geben  davon  Zeugniss.  Der  Herzog  Christof  von 
Wirtemberg  war  der  Vermittler.  Da  jedoch  die  Angelegen- 
heit noch  zu  keinem  Abschluss  gekommen  war,  als  mit  dem 
unglücklichen   Schmalkaldischen   Kriege  über   das    bisherige 


418.  Tolra  de  Bordas  hatte  in  dem  im  Investigateur  1877  Nr.  5  S.  297 
besprochenen  Vortrage  sicherlich  bloss  diesen  Brief  im  Auge,  obgleich 
sein  Inhalt  folgendermassen  wiedergegeben  wird:  une  lettre  qui  lui 
revele  les  eiforts  tentes  aupres  de  sa  femme  pour  repandre  le  protestan- 
tisme  en  Italie. 

1)    Vgl.  Beck  Job.  Friedrich  d.  M.,   Stalin  und  Druffel  Bei- 
träge zur  Eeichsgeschichte  1546 — 1551,  Nr.  3,  8. 


V.  Druff el:  Herzog  HerJcules  von  JBerrara  etc.  321 

Kurhaus  Sachsen  eine  entscheidende  Krisis  hereinbrach,  be- 
greift es  sich  leicht,  dass  eine  Vertagung  jener  Absichten 
erfolgte.  Sie  wurden  erst  im  Jahre  1553  wieder  aufge- 
nommen. Auch  jetzt  übernahm  Christof  von  Wirtemberg 
dieselbe  Rolle,  welche  er  früher  gespielt  hatte.  Aber  wäh- 
rend damals  die  Anregung  von  Französischer  Seite  ausge- 
gangen war,  that  jetzt  Wirtemberg  die  ersten  Schritte.  Der 
frühere  Bischof  von  Capo  d' Istria,  Verger,  der  ein  Asyl  bei 
dem  Herzoge  gefunden  hatte,  sollte  desswegen  selbst  nach 
Ferrara  gehen.*)  Diese  Reise  wegen  angeblich  drohender 
Gefahren  unterbrechend,  setzte  Verger  sich  von  Chiavenna 
aus  schriftlich  mit  der  Herzogin  Renate  in  Verbindung. 
Diese  liess  jedoch  in  ihrer  nur  der  Form  nach  entgegen- 
kommenden Antwort  durchblicken,  dass  sie  eine  Klärung 
der  zwischen  den  beiden  Sächsischen  Häusern  nach  Mo- 
ritz Tode  obwaltenden  Wirren  und  insbesondere  eine  Ent- 
scheidung über  die  Kur  abzuwarten  wünsche,  und  desshalb 
folgte  Herzog  Christof  nicht  dem  Rathe  Vergers ,  die  Ange- 
legenheit wieder  bei  Johann  Friedrich  anzuregen,  zumal  er 
der  Gesinnung  des  Herzogs  Herkules  nicht  sicher  zu  sein 
glaubte.  Wie  damals,  so  blieb  auch  1557  ein  erneuter,  dies- 
mal von  dem  Sachsenfürsten  selbst  ausgehender  Versuch  der 
Wiederanknüpfung  erfolglos. 

Bei  allen  diesen  Verhandlungen  kann  man  im  Zweifel 
sein  über  die  Mitbetheiligung  des  Herzogs  Herkules  selbst ; 
Verger  versichert  freilich  im  Jahre  1557,  dass  auch 
dieser    die  Heirath   seiner    Tochter   mit    Johann    Friedrich 


1)  In  der  Ausgabe  der  Briefe  Vergers,  Stuttgarter  lit.  Verein  Bd. 
124,  wird  man  nach  dem  Eegister  die  entscheidenden  Stellen  nicht 
auffinden  können ;  vgl.  unter  „Ferrara"  und  „Este",  dagegen  findet  sich 
eine  dankenswerthe  Zusammenstellung  derselben  in  einer  Anmerkung  zu 
Brief  Nr.  2 ,  S.  50 ;  im  Allgemeinen  darf  man  sich  auf  die  meist  aus 
allbekannten  Handbüchern  kritiklos  abgeschriebenen  Erläuterungen  zu 
der  Edition  nicht  verlassen. 


322  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

d.  M.  vormals  gewünscht  Jiabe.*)  Das  reicht  aber,  weil  es 
in  einem  Briefe  an  den  Brautwerber  selbst  gesagt  ist,  zum 
vollgültigen  Beweise  nicht  aus,  zumal  Verger  ein  persön- 
liches Interesse  an  dem  Betreiben  dieser  Angelegenheit  hatte. 
Und  wenn  wir  sehen,  dass  im  Gegensatze  zu  jenen  sich 
hinschleppenden  Verhandlungen  verschiedener  Mittelsper- 
sonen es  dem  Cardinal  Karl  von  Guise  auf  seiner  Durchreise 
durch  Ferrara  im  Winter  1547/48  sofort  gelingt,  endgültig 
die  Verheirathung  der  Prinzessin  Anna  mit  Franz  von  Guise 
festzusetzen,  während  man  gleichzeitig  auch  ein  Ehebündniss 
Lukrezia's  mit  dem  Herzog  von  Anmale  plante,  ^)  so  möchte 
man  der  Ansicht  zuneigen,  dass  der  Herzog,  welcher 
nach  der  Verbindung  mit  diesem  als  Träger  des  Katholi- 
cismus  in  Frankreich  dastehenden  Hause  so  eifrig  griff, 
schwerlich  jene  Projekte  der  Vermählung  mit  Deutschen 
protestantischen  Fürsten  habe  begünstigen  können. 

Indessen  geben  Korrespondenzen  des  Dresdener  Archivs 
uns  Nachricht  von  einem  dem  obigen  ähnlichen  Heiraths- 
plane  mit  einem  protestantischen  Deutschen  Fürsten,  wobei 
Herkules  selbst  die  Verhandlung  geführt  hat.  Kurfürst 
Moritz  von  Sachsen  trat  im  Jahre  1550  mit  ihm  in  Ver- 
bindung, um  die  Hand  einer  Prinzessin  von  Ferrara  für  den 
Markgrafen  Albrecht  Alcibiades  von  Brandenburg  zu  ge- 
winnen. Für  Moritz  war  es  erwünscht,  den  einflussreichen 
Truppenführer    fester   an    sich   zu  ketten,   und    es  erschien 


1)  mutatis  temporibus  animadverto  ducem  Ferrariae  mutasse 
priorem  sententiam,  nam  olim  optavit  filiam  dare.    Beck  II,  253. 

2)  Vgl.  Ernesto  Masi  I  Burlamacchi  e  di  alcuni  documenti  in- 
toriio  a  Renata  d'Este  S.  242:  II  ReV""  di  Guisa  poi,  scrivendo  da  Fer- 
rara alla  madre,  e  parlando  della  seconda  figlia  del  duca,  di  quella 
cioe  di  cui  trattavase  il  matrimonio  col  S"^®  d'ümala,  diceva  haverla 
trovata  cosi  bella  et  grande  di  sua  etate,  che  pensa,  quando  ben  si 
consumasse  matrimonio  seco,  che  la  non  morirebbe.  Bei  Baguenault 
S.  29  wird  betont,  dass  Herkules  bei  der  Mitgift  sparen  konnte. 


V.  Druffel:  Herzog  HerJcules  von  Ferrara  etc.  323 

als  geeignetes  Mittel  dazu,  wenn  er  demselben  eine  Prin- 
zessin mit  so  königlich  reicher  Mitgift  verschaffte ,  wie 
allerdings  Lnkrezia  und  Leonore  von  Ferrara,  nicht  aber 
Deutsche  Prinzessinnen  zu  erwarten  hatten. 

Dass  der  Brandenburger  dem  Plane  Geschmack  abge- 
wann, begreift  sich  leicht,  wenn  er  sich  freilich  auch  wohler 
fühlen  mochte  bei  einem  Zechgelage  mit  seinen  Reitern, 
als  bei  dem  Gedanken  an  die  feingebildeten  Damen  des 
Esteschen  Hofes,    welche  Griechisch  und  Latein  verstanden. 

Wohl  wegen  der  bald  nachher  eintretenden  Verschärf- 
ung der  politischen  Lage,  weil  der  Markgraf  in  geheimer 
Mission  nach  Frankreich  reiste,  scheiterte  der  Plan  und  der 
Markgraf  musste  seinen  anderen  vergeblichen  Brautwerb- 
ungen ^)  auch  diese  hinzurechnen.  Lidessen  gewährt  uns 
die  Verhandlung  die  Möglichkeit,  die  dabei  betheiligten  Per- 
sönlichkeiten und  auch  den  Herzog  Herkules  genauer  kennen 
zu  lernen. 

Was  zunächst  den  in  Aussicht  genommenen  Bräutigam 
betrifft,  so  zeigt  er  sich  in  den'^von  ihm  eigenhändig  zu 
den  Aktenstücken  gemachten  Bemerkungen  als  das,  was  er 
war,  als  einen  wilden,  rohen  Gesellen.  Der  in  dieser  Sache 
thätige  Sächsische  Rath  Sibottendorf  hatte  in  einem  Bericht 
gesagt,  dass  er  bei  einer  von  Herkules  auf  Albrechts  sonstige 
Freiersfährten,  z.  B.  wegen  einer  Polnischen  Prinzessin,  ge- 
machten Anspielung  vorsichtig  ausweichend  ünkenntniss  vor- 
geschützt habe.  Der  Markgraf  schrieb  dazu  aufrichtig  an  den 
Rand:  ,,Tst  wol  mit  mir  davon  practicirt,  ich  alter  narr!'',  um 
freilich  bald  nachher,  wo  es  sich  um  die  Höhe  der  Mitgift  han- 
delt, den  Rath  zu  ertheilen,  der  Gesandte  möge  den  Herren  in 
Ferrara    bemerklich  machen,    dass    er  schon   manche  rei<jhe 


1)  J.  Voigt  Älbrecht  Ale.  I,  197.  Wenn  hier  die  Ansicht  ge- 
äussert ist,  dass  Albrecht  in  seinem  Deutschen  Wesen  öine  Pol- 
nische Prinzessin  wohl  am  wenigsten  zugesagt  habe,  so  beruht  das 
wohl  auf  einer  für  Albrecht  zu  wohlwollenden  Interpretation. 


324  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2,  März  1878. 

Partie  abgeschlagen  habe  und  dass  sich  die  ganze  Sache 
auflösen  könne,  wenn  kein  stattliches  Heirathsgut  gewährt 
werde.  Auf  eine  Andeutung,  welche  von  Ferrarischer  Seite 
über  eine  mögliche  Verheirathung  der  älteren  Prinzessin 
nach  Frankreich  gefallen  war,  will  er  erwidert  wissen:  die 
vorgeschlagene  Heirath  sei  eben  so  gut  als  jene,  und  die 
Werbung  würde  unterblieben  sein,  wenn  man  nicht  auf 
das  Wohl  des  Herzogs  und  seiner  Familie  bedacht  gewesen , 
wäre.  Die  Hauptsache  war  für  ihn  die  Mitgift,  „das  Kind 
musste",  wie  er  sich  ausdrückt,  „einen  Namen  haben".  Der- 
artige Herzensergüsse  kamen  natürlich  nur  in  Moritz  Hand ; 
sie  stechen  seltsam  ab  von  der  Art,  wie  der  Sächsische  Kur- 
fürst, der  Meister  der  Praktik,  mit  dem  verschlagenen  Ita- 
liener verhandeln  liess. 

Der  erste  Punkt,  welcher  zu  Anständen  Veranlassung 
bot,  war,  dass  Herzog  Herkules  auf  seine  Eigenschaft  als 
Lehnsmann  der  Kirche  hinwies,  und  auf  die  Möglichkeit, 
dass  er  seine  Lehen  verlieren  könne,  da  kraft  päpstlicher 
Constitution  die  Eltern,  welche  ihr  Kind  einem  Nichtkatho- 
liken  gäben,  gleich  den  Neuvermählten  dem  Banne  verfielen. 
Er  setzte  hinzu,  er  selbst  würde  sich  sonst  nicht  viel  um 
den  Papst  kümmern,  da  sein  Vater  nach  einander  mit  drei 
Päpsten  Kriege  geführt  habe,  aber  die  jetzige  politische 
Lage  könne  leicht  vom  Papste  zu  seinem  Schaden  ausge- 
beutet werden ;  desshalb  müsse  der  Consens  des  Papstes  ein- 
geholt werden.  Er  schlug  vor,  man  möge  von  Deutscher 
Seite  den  Versuch  zu  seiner  Erlangung  machen,  sei  es  nun, 
dass  man  überhaupt  einen  falschen  Namen  angebe,  oder  dass  man 
in  des  Markgrafen  Namen  die  Erlaubniss  zur  Verheirathung 
mit  einer  beliebigen  katholischen  Prinzessin  einhole.  Als 
dann  Sibottendorf  in  erster  Linie  den  Consens  für  über- 
flüssig erklärte  und  ferner  hervorhob,  dass  einerseits  sein 
Herr  Bedenken  tragen  werde,  sich  darum  zu  bemühen,  und 
andererseits  dessen  Erlangung  für  Ferrara  jedenfalls  leichter 


V.  Druff el:  Herzog  HerJcules  von  Ferrara  etc.  325 

sein  würde,  da  verstand  sicli  der  Herzog  dazu,  die  Ent- 
scheidung über  die  Art  der  Consenseinholung  dem  Kurfürsten 
Moritz  anheim  zu  stellen,  und  sprach  nur  den  Wunsch 
nach  Mittheilung  der  Brandenburgischen  Kirchenagende  aus, 
indem  er  meinte,  der  Papst  werde  leichter  zur  Dispensertheilung 
zu  bewegen  sein,  wenn  die  dortigen  kirchlichen  Gebräuche 
nicht  allzu  extrem  Lutherisch  seien.  Zugleich  erkundigte  er 
sich  danach,  wie  man  im  Jahre  1546  bei  der  Verheirathung 
des  Herzogs  von  Jülich  mit  der  Habsburgischen  Prinzessin 
verfahren,  ob  damals  eine  Dispenseinholung  für  erforderlich 
gehalten  worden  sei.  Es  wurde  auch  die  Frage  berührt, 
ob  der  Kaiser  in  Kenntniss  gesetzt  werden  müsse,  aber  der 
Herzog  Hess  dies  sogleich  wieder  fallen,  indem  er  bemerkte, 
dass  er  selbst  nicht  viel  nach  dem  Kaiser  frage,  und  der  Kur- 
fürst Moritz  dabei  Bedenken  haben  könne.  Sibottendorf  ging 
auf  diesen  letzteren  Punkt  nicht  näher  ein,  sondern  äusserte 
ausweichend,  Geheimhaltung  sei  dem  Kurfürsten  erwünscht, 
da  doch  der  Fall  möglich  sei,  dass  die  Verhandlung  nicht 
zu  dem  angestrebten  Resultate  führe.  Die  schliessliche 
Erklärung  des  Herzogs  war,  er  sei  bereit,  die  ältere  und 
körperlich  bevorzugte  Tochter  Lukrezia  zu  geben,  falls  nicht 
vor  Erlangung  des  Consenses  eine  Werbung  von  Frank- 
reich ^)  oder  Navarra  eintreffe,  in  diesem  Falle  bestimme  er 
die  jüngere  Leonore,  welche  damals  gerade  14  Jahre  alt 
wurde. 

Das  zarte  Alter  und  die  Kränklichkeit  dieser  Prin- 
zessin hätten  indessen  noch  immer  eine  Ausrede  zugelassen. 
Zudem  war  über  den  Punkt,  welcher  dem  Markgrafen  und 
desshalb  auch  dem  Kurfürsten  der  wichtigste  war,  über  die 
Mitgift,    noch    keine    Entscheidung   getroffen.     Die    Rück- 


1)  St.  Mauris  berichtete  1547  Nov.  3,  Monluc  solle  nach  Ferrara, 
dann  nach  Polen  abgehen,  um  des  Polenkönigs  Heirath  mit  der  zweiten 
Tochter  des  H.  Ferrara  zu  betreiben. 


326  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

äusserung  des  Kurfürsten  vou  Sacbsen  betonte  neben  der  Bitte 
um  das  ältere  Fräulein,  Lukrezia,  die  Notbwendigkeit,  die 
Geldfrage  zu  ordnen;  ferner  wurde  bemerkt,  dass  bei  der  Jü- 
lichschen  Heirath  keine  Dispens  eingeholt  worden  sei,  dass  er 
aber  den  Herzog  von  Ferrara  nicht  hindern  möchte,  wenn 
derselbe,  ohne  Namen  zu  nennen,  sich  darum  bemühen  wolle; 
der  Kaiser  aber  möge  aus  dem  Spiele  gelassen  werden.  In 
einem  chiffrirten  Briefe  vom  22.  August  antwortete  Herzog 
Herkules,  er  wolle  sich  um  die  Dispens  bei  dem  Papste  be- 
mühen, wenn  derselbe,  wie  geplant  sei,  im  Monat  September 
nach  Bologna  komme ;  ^)  er  vermied  aber  jede  eingehendere 
Mittheilung  über  die  Höhe  der  Mitgift,  und  versicherte  nur 
im  Allgemeinen ,  dass  dieselbe  eine  würdige  sein  werde ; 
bevor  die  Dispens  erlangt  sei,  sei  jede  derartige  Erörterung 
verfrüht.  Zum  Schlüsse  begegnete  er  der  Bemerkung  des 
Kurfürsten,  dass  es  sich  um  eine  Werbung  um  Lukrezia, 
nicht  um  Leonore  handle,  mit  der  Betheuerung,  dass  es 
ihm  gleichgültig  sei ,  ob  diese  oder  jene  in  Frage  komme, 
beide  seien  seine  Töchter  und  er  für  beide  ein  gleich  lie- 
bender Vater. 

Dies  ist  die  letzte  Spur,  welche  wir  von  diesem  Hei- 
rathsprojekt  finden.  Lukrezia  heirathete  erst  in  viel  späterer 
Zeit  den  Herzog  von  Urbino,  Leonore  blieb  unvermählt, 
Albrecht  von  Brandenburg  wurde  nach  wenigen  Jahren  aus 
seinem  wilden  Kriegsleben  abgerufen,  nachdem  Moritz  von 
Sachsen  die  Todes  wunde  im  Kampfe  gegen  ihn ,  seinen 
einstigen  Genossen  empfangen  hatte.  So  verschieden  liefen 
die  Wege  derjenigen  auseinander,  welche  sich  damals  zur 
Stiftung  eines  Ehebundes  zusammen  gefunden  hatten. 

Gleich  einer  Seifenblase  hat  dieses  Projekt  nicht  die 
mindeste  Spur  hinterlassen,  und  die  Abenteuerlichkeit,  welche 


1)  Vgl.   Druffel   Beiträge  III,   Nr.  785   S.  241.    Die  Absicht   des 
Papstes  kam  nicht  zur  Ausführung. 


V.  Druff el:  Herzog  Herkules  von  Ferrara  etc.  327 

in  der  geplanten  Verbindung  liegt,  würde  kaum  ein  ge- 
nügender Grund  sein,  denselben  jetzt  besondere  Beachtung 
zu  schenken.  Geführt  von  jenen  Fäden  nehmen  wir  in- 
dessen noch  anderweitige  BeziehuDgen  zwischen  Moritz  und 
Herkules  wahr. 

Eine  Spur  hiervon  hat  bereits  Schönherr  ^)  in  dem 
Innsbrucker  Archiv  aufgefunden.  Der  Cardinal  Madruzzo 
warnte  am  1.  oder  2.  Juni  1552  die  Innsbrucker  Regierung 
vor  einer  durch  Moritz  in  Verbindung  mit  dem  Herzog  von 
Ferrara  und  anderen  Potentaten  geplanten  Unternehmung 
gegen  die  Grafschaft  Tirol.  Obgleich  Madruzzo  versichert, 
dass  er  sich  auf  glaubwürdige  Quelle  stütze,  muss  man  diese 
Nachricht  doch  zweifelnd  aufnehmen,  indem  danach  für  den  Fall, 
dass  der  Kurfürst  sein  eigenes  Land  verlieren  sollte,  dessen 
Entschädigung  durch  Tirol  ins  Auge  gefasst  wurde.  Zudem 
wissen  wir,  dass  die  persönlichen  Bemühungen  des  Cardinais 
Hippolyt,  seinen  Bruder  zum  Anschlüsse  an  Frankreich  zu 
bestimmen,  Avenigstens  bis  zum  9.  März  ^)  ohne  Ergebniss 
blieben.  Im  Dresdener  Archiv  aber  findet  man  den  Beweis, 
dass  Herkules  trotz  aller  der  freundschaftlichen  Versicherungen, 
welche  er  kurz  vorher  au  Madruzzo  übermittelt  hatte,  nicht 
bloss  mit  Frankreich,  sondern  auch  direkt  mit  Moritz  ver- 
handelte. In  den  Tagen,  wo  dieser  zur  Friedensverhandlung 
mit  König  Ferdinand  nach  Linz  ging,  befand  sich  ein 
Sächsischer  Gesandter  in  Ferrara.  Wir  hören  von  ihm  nur, 
dass  sowohl  der  Herzog  Herkules  als  dessen  Sohn  Alfonso  mit 
Freuden  dessen  uns  unbekannte  Werbung  entgegen  genommen, 
aber  dann  mit  Schrecken  des  Kurfürsten  Reise  nach  Linz  ver- 
nommen hätten.  Sowohl  für  sich  selbst  als  für  den  Herzog  von 
Urbino  und  die  Mitverwandten  baten  sie  dringend  um  Aus- 
kunft, welche  Aussichten  des  Churfürsten  Verhandlung  dar- 


1)  Schöllherr  Der  Einfall  in  Tirol  1552.    Bonelli  III,  332. 

2)  Cl.  Ferrara  an  Heinrich  II.     Vgl.  Paris  Bibl.  3137/51. 


328  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

biete,  denn,  so  fügen  sie  hinzu,  in  dem  Falle,  dass  jener  einen 
Vertrag  mit  dem  Kaiser  abschlösse,  würden  sie  sich  wohl  hü- 
ten, offen  als  des  Kaisers  Feinde  aufzutreten.  Diese  Bitte 
wurde  schwerlich  erfüllt,  wenigstens  entschuldigte  sich  Moritz 
in  einem  erst  nach  dem  Friedensschluss  geschriebenen  Briefe 
an  den  jungen  Markgrafen  Alfonso,  dass  er  lange  Zeit  gar 
keine  Nachricht  gegeben  babe,  indem  er  zugleich  sein  Ver- 
halten unter  hochtönenden  Redewendungen  über  das  Wohl 
des  Vaterlandes  und  der  Christenheit  rechtfertigt.  Herzog 
Herkules  hatte  indessen  noch  keinen  übereilten  Schritt  ge- 
than,  sondern  sich  vorsichtig  zurückgehalten.  So  war  es 
möglich,  dass  nach  einiger  Zeit  aufs  Neue  eine  politische 
Verbindung  mit  Moritz  von  Sachsen  angeknüpft  wurde. 
Der  Herzog  legte,  anscheinend  wenigstens,  kein  Gewicht 
auf  jene  von  Moritz  an  den  Tag  gelegte  Sinnesänderung  zu 
Gunsten  des  Kaisers,  die  ja  auch  nur  dazu  diente,  dessen  ge- 
heime Pläne  zu  verdecken.  Aufs  Neue  gingen  Boten  und 
Briefe  hin  und  her.  Es  handelte  sich  dabei  um  weitaus- 
sehende Projekte,  welche  auf  die  Gründung  eines  König- 
reichs Ungarn  unter  Türkischer  Oberhoheit  abzielten,  an 
dessen  Spitze  Moritz  treten  sollte.  Die  Korrespondenz 
wurde  in  versteckter  Weise  geführt,  als  ob  es  sich  um  ein 
kaufmännisches  Geschäft  handle,  die  Briefe  sind  mit  einer 
Gemme  verschlossen.*)  Den  eigentlichen  Inhalt  ahnt  man 
jedoch  schon  aus  Schreiben,  welche  Jobst  Bufler  zu  Eilenburg, 
der  mit  diesen  Dingen  von  Moritz  betraut  worden  war,  an 
letzteren  richtete,  und  dass  der  Herzog  von  Ferrara  dabei  be- 
theiligt war,  ersieht  man  aus  dem  Umstände,  dass  der 
Abdruck  derselben  Gemme,    welche  zum  Verschlusse  jener 


1)  Cornelius  hat  diese  Dinge  zuerst  ans  Licht  gezogen.  Mün- 
chner historisches  Jahrbuch  1866,  S.  278.  Anderes  Material  soll  im 
II.  Bande  meiner  Beiträge  gedruckt  werden.  Nach  Muratori  Ant. 
Est.  kam  1556  wieder  ein  Türkischer  Gesandter  nach  Ferrara. 


V.  Druff el:  Herzog  Herlcules  von  Ferrara  etc.  329 

Briefe  verwandt  wurde ,  sich  auch  an  einem  andern  unver- 
fänglichen Briefe  des  Herzogs  findet.  So  seltsam  jenes 
Projekt  ist,  so  wurde  es  doch  mit  dem  grössten  Eifer  be- 
trieben, und  auch  mit  dem  Tode  des  Kurfürsten  Moritz 
wurde  es  nicht  aus  der  Welt  geschafft,  vielmehr  wandte 
mau  sich  an  dessen  Bruder  uud  Nachfolger ;  dieser  freilich 
bezeugte  wenig  Entgegenkommen,  und  bezog  vielleicht  auf 
diese  Dinge  das  geringschätzige  Urtheil  mit,  das  er  selbst  auf 
ein  Schreiben  des  Herzogs  Herkules  schrieb,  in  welchem  in  den 
wärmsten,  brüderliche  Liebe  athmenden  Worten  der  Hin- 
gang des  Moritz  beklagt  wurde:  „Seint  welsche  parolen 
und  nit  vert,  dass  einer  das  gesiebt  dar  ob  verderbt' '. 

So  wenig  Bedeutung  der  in  konservativere,  wenn  man 
will  spiessbürgerliche  Bahnen  einlenkende  Kurfürst  August 
derlei  halsbrecherischen  Plänen  beigelegt  haben  mag,  so  wird 
doch  daraus  kein  Schluss  auf  die  An-  und  Absichten  seines 
Bruders  und  Vorgängers  zu  ziehen  sein.  Wenn  man  sich 
daran  erinnert,  dass  die  Berechtigung  der  Habsburgischen 
Herrschaft  in  Ungarn  vielfachen  Anfeindungen  ausgesetzt 
war,  wenn  man  insbesondere  an  die  in  Siebenbürgen  nach 
Martinuzzi's  Tode  herrschende  Verwirrung  denkt,  so  könnte 
man  vielleicht  mit  Rücksicht  auf  jene  Verhandlungen  dem 
Zuge  des  Kurfürsten  nach  Ungarn  1552  eine  andere  Bedeutung 
zusprechen,  als  die  der  pflichtmässigen,  reichstreuen  Heeres- 
folge. Es  ist  nicht  unuiöglich,  dass  der  thatkräftige  kühne 
Moritz  auch  Gedanken  hegte,  wie  sie  sogar  bei  dem  energie- 
losen Kurfürsten  von  Brandenburg  und  dem  Baiernh erzog 
zu  Tage  getreten  sind.^) 

Der  Tod  setzte  diesen  Plänen  des  Kurfürsten  ein  Ziel; 
sie  sind  sicherlich  nicht  über  das  Stadium  der  Vorberathung 


1)  Vgl.  den  Aufsatz  ,,Der  Mönch  von  Siebenbürgen  und  Kurfürst 
Joachim  II.  von  Brandenburg"  in  den  Forschungen  zur  Deutschen  Ge- 
schichte Bd.  VII. 


330  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

hinausgelangt.  Von  grösserer  Bedeutung  aber  war  eine  an- 
dere Verhandlung,  zu  deren  Anknüpfung  sich  Moritz  gleich- 
falls der  guten  Dienste  der  Este  bediente ;  sie  bezweckte  die 
Wiederannäherung  an  Frankreich. 

Der  Passauer  Vertrag  hatte  ein  Zerwürfniss  zwischen 
Moritz  und  den  Franzosen  zur  Folge.  Gegenseitige  Vorwürfe 
wurden  erhoben.  Kurfürst  Moritz  schob  sofort  in  dem  Schrei- 
ben, worin  er  dem  Herzog  von  Ferrara  von  dem  erfolgten 
Vertragsabschluss  Kenntniss  gab,  die  Schuld  auf  den  Bischof 
von  Bayonne,  der,  wie  er  ausführte,  seines  Herrn  Interesse 
schlecht  gewahrt  habe.  Als  er  dann  erfahren  hatte,  dass 
sein  Todfeind  Johann  Friedrich  durch  Vermittlung  des  bi- 
schöflich Augsburgischen  Kanzlers  bei  dem  Herzog  von  Fer- 
rara ein  bedeutendes  Anlehen  zu  machen  versucht  habe,  um 
das  1547  Verlorene  wieder  zu  gewinnen,  da  beruhigte  es 
ihn  nicht,  dass  er  zugleich  von  der  Erfolglosigkeit  dieser 
Bitte  hörte.  Er  schickte  einen  Gesandten,  Johann  Heise, 
nach  Ferrara,  um  Herkules  für  die  Ablehnung  der  Zumu- 
thung  Johann  Friedrichs  zu  danken,  and  ihn  um  Verwen- 
dung bei  dem  Französischen  Könige  zu  ersuchen.  Zugleich 
tauschten  sie  ihre  Gedanken  aus  über  die  ganze  politische 
Lage.  Noch  im  Juni  1553  schickte  Moritz  an  Herkules  ein 
Schreiben,  worin  er  versicherte,  alle  seine  Kräfte  für  die  Er- 
haltung und  Erweiterung  der  Ehre  und  Macht  Sr.  Majestät 
von  Frankreich  aufbieten  zu  wollen. 

Moritz  hat  meistens  nicht  bloss  dem  Feinde  überra- 
schende Schläge  zu  versetzen,  sondern  auch  dem  Bundesge- 
nossen die  gemeinsam  erworbene  Beute  möglichst  zu  ent- 
ziehen und  sich  selbst  zuzuwenden  gewusst.  Aus  der  ge- 
nannten Redewendung  wird  Niemand  folgern,  dass  Moritz 
sein  Blut  für  die  Französische  Lilie  verspritzt  habe  ;  sie  hatte 
den  gleichen  Zweck,  als  wenn  er  bei  anderer  Gelegenheit 
die  Vertheidigung  des  vom  Papismus  bedrohten  Evangeliums, 
oder  die  Herstellung  der  Deutschen  Libertät  nach  Spanischer 


V.  Druff el:  Herzog  Herkules  von  Ferrara  etc.  331 

Servitut  auf  seine  Fahne  schrieb;  es  kam  ihm  darauf  an, 
bezüglich  seiner  eigentlichen  eigennützigen  Absichten  der 
Mitwelt  Sand  in  die  Augen  zu  streuen. 

Das  Urtheil  der  Nachwelt  aber  war  erstlich  durch  den 
plötzlichen  Tod  des  Kurfürsten  in  dem  Kampfe  gegen  den 
Markgrafen  Albrecht  von  Brandenburg  beeinflusst;  man  war 
geneigt,  die  Pläne  wohlwollend  zu  beurtheilen,  deren  Ausführ- 
ung durch  den  wilden  Priedensbrecher  so  plötzlich  be- 
droht worden  war.  Dann  aber  wirkte  die  Moritzsche  Po- 
litik der  Geheimhaltung  lange  nach,  und  wenn  jetzt  durch 
die  Eröjßfnung  der  Archive  sich  auch  über  manche  Thatsachen 
ein  helleres  Licht  verbreitet,  so  ist  man  an  andern  Stellen 
noch  heutiges  Tags  ausser  Stande,  sei  es  den  Zusammen- 
hang anscheinend  unverbundener  Päden  zu  entdecken,  sei 
es  widerspruchsvolle  Knoten  zu  lösen,  weil  Moritz  münd- 
liche Rücksprache  dem  schriftlichen  Verkehr,  und  die  eigene 
persönliche  Thätigkeit  der  Arbeit  der  Räthe  vorzog. 

Kaum  günstiger  steht  es  mit  unserer  Kenntniss  von 
dem  Herzog  Herkules  von  Perrara. 

Mag  derselbe  auch  an  geistiger  Bedeutung  wie  an  äus- 
serer Machtstellung  dem  Sachsenfürsten  nachstehen ,  er  hat 
denselben  erreicht  in  der  Kunst,  Praktiken  im  Verborgenen 
zu  spinnen,  und  über  das  Geplante  den  undurchdringlichsten 
Schleier  zu  werfen.  Nur  mit  Zögern  sehen  wir  erfahrene 
zeitgenössische  Diplomaten  sich  mit  einem  Urtheile  über 
diesen  Pursten  hervorwagen,  weil  sie  besorgten,  in  Irrthum 
zu  gerathen.  ^)  Und  noch  jetzt ,  wo  doch  auch  über  ihn 
mancherlei  ursprüngliches  Material  zugänglich  geworden,  be- 
findet man  sich  fast  in  gleicher  Verlegenheit;  man  muss 
dem  Herzog  gleichzeitig  in  so  verschiedener  Richtung  folgen, 
dass  man  schier  verzweifeln  möchte  bei  dem  Versuche,  die 
verschiedenen  Züge  zu  einem  einheitlichen  Bilde  zu  gestalten. 

1)  Vgl.  S.  366  unten  Anra.  2. 


332  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Werfen  wir  zuerst  einen  Blick  auf  seine  äussere  Politik  ! 
Die  Behauptung  eines  scliwaclien  Fürstenthums,  wie  Ferrara, 
war  in  jener  Zeit,  wo  sich  die  Interessen  des  Kaisers  und 
Frankreichs  auf  Italienischem  Boden  feindlich  begegneten, 
eine  schwere  Aufgabe.  Ausserdem  bereitete  das  Lehnsver- 
hältniss  zum  Papste  grosse  Schwierigkeiten ,  als  Herkules 
im  Jahre  1534  zur  Regierung  kam.  Mochte  auch  Paul  III. 
nicht,  wie  sein  Vorgänger  Clemens  VII.,  eine  für  die  Herr- 
schaft der  Este  gradezu  bedrohliche  Politik  verfolgen,  so 
machte  es  doch  anfänglich  Schwierigkeiten,  Seitens  des 
päpstlichen  Lehnsherrn  die  Anerkennung  seines  Besitzes  zu 
erlangen.  Es  bedurfte  weitläufiger  Verhandlungen  unter 
Zuziehung  des  Kaisers,  um  endlich  1539  eine  Verständigung 
zu  erzielen.*)  Im  Augenblicke,  als  diese  gesichert  schien, 
suchte  Herkules  auch  mit  Frankreich  in  freundschaftliche 
Beziehungen  zu  treten,  ohne  jedoch  mit  dem  Kaiser  und 
dem  Papste  zu  brechen.  Er  traf  vielmehr  zu  deren  Be- 
grüssung  mit  beiden  im  Jahre  1541  zu  Lucca  zusammen, 
und  unterstützte  Karl  V.,  wenigstens  nach  Howards  Bericht, 
mit  100000  Kronen  und  40  Geschützen,  als  dieser  sich  zu 
dem  Feldzug  gegen  Algier  vorbereitete ;  ^)  kurz  vorher  war 
aber  von  ihm  mit  einem  uns  nicht  näher  bekannten  Auf- 
trage Luigi  Alemanni  an  den  Hof  des  Französischen  Königs 


1)  Vgl.  den  Bericht  Casale's  an  Cromwel  1535  Juli  27.  in  den 
State-papers  VII,  618.  Im  Jahre  1536  schützte  der  Kaiser  den  Herzog 
vor  dem  Papste;  Stp.  654.  Im  Jahre  1535,  Stp.  VII,  607,  und  zu  Nizza 
1538  wurde  die  Verständigung  mit  dem  Papste  erörtert,  und  zwar  unter 
Zuziehung  des  Kaisers  und  des  Königs  von  Frankreich.  Vgl.  die  Chronik 
Modena's  von  Lancillotto  in  den  Monumenti  di  storia  patria  delle  pro- 
vincie  Modenesi  VI,  S.  4.  Der  Abschluss  wird  gemeldet  S.  104.  In 
der  Zeit,  wo  der  Herzog  die  Bestätigung  durch  das  Consistorium  er- 
wartete, hatte  der  Französische  Gesandte  Joachim  des  Vaux  bei  ihm 
Audienz;  derselbe  berichtet,  dass  Herkules  um  des  Königs  Schutz  ge- 
beten habe.     Ribier  Lettres  etc.  I,  377.     Rabelais  Lettres. 

2)  Stp.  VIII,  608,  615. 


V.  Druff el:   Herzog  Ilerlcules  von  Ferrara  etc.  333 

abgegangen.^)  Das  Ergebniss  war,  dass  der  Herzog  heim- 
lich anf  Frankreichs  Seite  trat,  das  Unternehmen  gegen 
Marano  unterstützte.  2)  Im  Jahre  1543  besuchte  der  Papst 
den  Herzog  in  seiner  Residenzstadt  und  fand  glänzende 
Aufnahme;  man  fasste  damals  sogar  eine  Familienverbin- 
dung der  Häuser  Este  und  Farnese  ins  Auge.^)  Während 
des  Französisch-kaiserlichen  Krieges  im  Jahre  1544  betrieb 


1)  Ribier  I,  559. 

2)  Stp.  IX,  199,  Paget  schreibt  Okt.  10.:  „I  have  perceived,  Sir, 
secretely  that  the  duke  of  Ferrara  —  what  countenaunce  so  ever  he 
beareth  outwardly  —  is  French  in  bis  hart,  and  by  dedes  declareth 
the  same,  whenne  he  may  covertly;  for  I  know  that  he  has  sent  unto 
Maran  artillerie  and  other  störe  of  munition  on  the  French  kinges  be- 
half, which  also  the  Venecyanes  have  smelled  and  think  upon  it  well 
ynough."  Harvel  schreibt  aus  Venedig  1543  März  26.:  „Th'  Imperiais 
hath  lately  interceptid  certain  letters  of  the  duke  of  Ferrare,  that 
went  to  France;  moche  important  as  it  is  stimid.  Men  suspect  the 
said  duke  to  be  French";  Apr.  22.:  „The  bushop  of  Rome  apointid  to 
entre  in  Ferara  this  present  day,  where  he  shall  be  recayvid  with  pas- 
sing grete  and  sumptuous  porape  of  the  duke,  who  is  notid  openly  French". 

3)  Bei  Desjardins  Negociations  de  la  France  avec  la  Toscane 
III,  50  ist  ein  eigenhändiges  Memoire  des  Cardinais  von  Ravenna 
abgedruckt,  welches  nach  einer  Anmerkung  des  Herausgebers  an  Gran- 
vella  oder  Diego  Mendoza  abgestattet  sein  soll.  Es  fragt  sich  nur, 
wie  dasselbe  dann  in  das  Mediceische  Archiv  gekommen  ist.  Darüber 
erhalten  wir  von  dem  Herausgeber  keinen  Aufschluss.  Uebrigens  darf 
man  mit  Rücksicht  darauf,  dass  das  Aktenstück  in  indirekter  Rede  be- 
ginnt, annehmen,  dass  dasselbe  ein  Auszug  aus  einem  anderen  Schrift- 
stücke ist,  falls  nicht  etwa  die  Verstümmelung  erst  bei  der  Edition 
vorgenommen  wurde,  worüber  jede  Bemerkung  fehlt.  Sachlich  ist  jeden- 
falls der  Inhalt  höchst  werthvoll,  wir  ersehen  daraus,  dass  der  Papst 
auf  dem  Besuche  in  Ferrara  bestand;  der  Bericht  schliesst  mit  den 
Worten:  „E  s'intende  per  certa  la  conclusione  del  parentado  della  se- 
condogenita  di  S.  Exc^^  col  S.  Ottavio  Farnese,  e  che  la  duchessa 
di  Ferrara  ci  ha  fatto  assai  che  seguisse."  Bemerkenswerth  ist, 
dass  der  Engländer  Boner  sich  nicht  dadurch  täuschen  Hess,  dass  im 
Juni  1543  das  Gerücht  ging,  der  Herzog  werde  sich  auf  die  Seite  des 
Kaisers  stellen  :  „considering  bis  entertenement  of  the  pope,  with  practise 

[1878.  I.  Philos.-philol.  bist.  Cl.  4.]  25 


334  Sitzung  der  histor,  Classe  vom  2.  März  1878. 

dann  der  Herzog  eine  Vereinigung  der  verseliiedenen  Ita- 
lienischen MäcMe  gegen  den  Kaiser;  er  hoffte  den  Oberbe- 
fehl über  die  ins  Feld  zu  stellende  Armee  zu  erlangen, 
und  meinte,  dass  der  Papst  wohl  zur  Abtretung  Bolognas 
bestimmt  werden  könne.  ^)  Indessen  hütete  er  sich  selbst 
einstweilen  vor  offenem  Hervortreten,  und  seine  ohnehin 
grosse  Vorsicht  wurde  noch  gesteigert,  als  Granvella  einmal 
zu  verstehen  gab,  dass  man  des  Herzogs  Umtriebe  kenne,  und 
erklärte,  wenn  sich  feststellen  lasse,  dass  Herkules  aach  nur 
einen  Thaler  für  die  Franzosen  ausgegeben  habe,  so  werde 
derselbe  künftig  nie  mehr  Glauben  finden  für  seine  Worte. 
Es  blieb  damals  bei  den  Praktiken,  zur  That  kam  es  nicht. 
In  ähnlicher  Weise  gestaltete  sich  auch  die  Estesche  Poli- 
tik bei  der  nächsten  grossen  Verwicklung,  in  dem  Schmalkal- 
dischen  Kriege.  Herkules  unterstützte  den  Kaiser  Karl  mit 
einer  Reiterschaar ,  deren  Geringfügigkeit  allerdings  Veran- 
lassung zu  Vorwürfen  gab;  seinen  Bruder  Franz,  welcher 
sich  verstimmt  aus  dem  kaiserlichen  Dienste  zurückziehen 
wollte,  veranlasste  er  zur  Rückkehr  an  den  Hof. ^)    Daneben 


of  mariage,  and  how  he  doth  favour  the  Frenche  part,  it  is  not  so  well 
beloved  of  hym".  Trotzdem  besuchte  der  Herzog  den  Kaiser  in  Cre- 
raona;  Stp.  IX,  405,  413. 

1)  Vgl.  D  ruf  fei  Kaiser  Karl  V.  und   die  römische  Kurie  im  XIII. 
Bande,  Abth.  2,  der  Abhandlungen  unserer  Klasse  S.  210. 

2)  Vgl.  Mocenigo's  Eelation  bei  Fiedler  in  den  Fontes  rerum 
Austriacarum  Bd.  XXX,  S.  57  f g  ;  Druffel  Viglius  van  Zwichem 
Tagebuch  unter  dem  Worte  Ferrara. 

Vgl.  Herberger  Sebastian  Schertlin  und  seine  Briefe,  Augsburg 
1852,  S.  90.  Schärtlin  schreibt  an  die  Bürgermeister  zu  Augsburg;  „Dem 
herr  Bernardin  zu  schryben,  das  er  auch  soUichs  des  herzogen  von  Ferar 
potschaft  zuschryb,  des  seinem  herrn  bericht  zu  thun;  dan  der  herzog 
ist  dem  pabst  feind  und  hat  dem  kaiser  hilf  abgeschlagen.  Und  nit  zu 
underlassen,  wan  man  des  in  Italien  Verhinderung  furdern  kan.'*  Es 
steht  diese  Stelle  auf  einer  cedula  inclusa,  die  Herberger  zum  10.  Juli 
eingeordnet  hat.  Ist  die  Deutung  auf  Ochino  richtig,  so  erhebt  sich  die 
Frage,   wo  derselbe  sich  damals  aufgehalten,  da  Schärtlins  Aeusserung 


V,  Bruffel:  Herzog  Herlules  von  Ferrara  etc.  335 

aber  scheiüt  er ,  wie  mit  Frankreich ,  so  auch  mit  den 
Schmalkaldnern  in  Beziehung  gebliebeü  zu  sein.  Wenigstens 
wünschte  Schärtlin  von  Burtenbach  durch  Ochino's  Vermitt- 
lung den  Herzog  sogar  zu  feindseligem  Auftreten  gegen  den 
Kaiser  zu  bestimmen.  Der  für  den  Kaiser  günstige  Verlauf 
des  Krieges  w^^  ^^^  Herkules  indessen  Grund  genug,  sich 
zurückzuhalten,  und  wenn  es  wahr  ist,  was  ein  gleichzeitiger 
Ferrareser  Chronist  berichtet,  dass  die  Herzogin  Renate  den 
Sohn  des  Papstes  bei  dem  gegen  die  kaiserlich  gesinnten 
Dorias  in  Genua  gerichteten  Unternehmen  Fiesko's  unter- 
stützte, so  muss  dies  in  aller  Stille  geschehen  sein ,  da  wir 
sonst  nichts  hiervon  wahrnehmen.^) 

Durch  die  im  September  1547  erfolgte  Ermordung  des 
Pierluigi,  welche  den  Papst  in  grosse  Erbitterung  gegen  den 
Kaiser  und  seinen  Mailändischen  Statthalter  Gonzaga  ver- 
setr<te,  schienen  sich  den  Französischen  Bemühungen  nach 
eiuem  antikaiserlichen  Bunde  der  bedeutenderen  Italienischen 
Fürsten  gute  Aussichten  zu  eröffnen.^)  Der  Cardinal  Guise 
kam  desshalb  im  Winter  1547/48  nach  Rom  und  Ferrara, 
d'  ürfe  suchte  auf  Venedig  einzuwirken.  Dennoch  gelang 
der  Plan  nur  unvollkommen,  da  der  Papst  doch  wieder  mit 
dem  Kaiser  anknüpfte;  mehr  Erfolg  aber  hatte  das  Streben 
des  Cardinais  nach  einer  engeren  Verbindung  Ferrara's  mit 
seiner  eigenen  Familie  und  dadurch  mit  dem  Französischen 


seine  Anwesenheit  in  Augsburg  auszuschliessen  scheint.  Das  in  Bezug 
auf  die  theologischen  Schriften  ausführliche,  dagegen  hinsichtlich  der 
politischen  Thätigkeit  Ochino's  vielfach  lückenhafte  Buch  von  Ben  rat h 
gibt  hierüber  keine  Auskunft, 

1)  Vgl.  Ernesto  Masi  S.  186.  In  der  Schrift  von  Brea  Sulla 
congiura  del  conte  Gio.  Luigi  Fieschi,  Genua  1863,  findet  sich  keine 
Auskunft.  Die  von  Masi  angeführte  Schrift  von  Celesia,  welche  ein 
Jahr  später  ebenfalls  in  Genua  erschien,  ist  mir  nicht  zugänglich. 

2)  Interessante  Mittheilungen  enthält  auch  hierüber  die  Relation 
Mocenigo's,  bei  Fiedler  S.  58.  Der  Gesandte  Ferrara's  erklärte,  ohne 
Venedigs  Betheiligung  sei  an  einen  Beitritt  seines  Herrn  nicht  zu  denken. 

25* 


336  Sitzung  der  histor,  Classe  vom  2.  März  1878. 

Hofe.  Anna  von  Este  ^vurde  mit  dem  Herzog  Franz  von 
Guise  wirklicli  vermählt,  während  die  gleichfalls  geplante 
Heirath  Lukrezia's  mit  dem  jüngeren  Bruder,  dem  Herzog 
von  Anmale,  sich  hinausschob  und  dann  nicht  zu  Stande 
kam.^)  Auch  dieses  bedeutete  aber  noch  immer  nicht  den 
völligen  Anschluss  Ferrara's  an  Frankreich.  Im  Jahre  1547 
verhandelte  der  Herzog  über  eine  Heirath  seines  Sohnes 
Alfonso  mit  Maria  von  England.  ^)  Als  der  Prinz  Philipp 
von  Spanien  1549  durch  Oberitalien  reiste,  begrüsste  ihn 
der  Herzog  Herkules  und  gab  ihm  das  Geleit.  ^)  In  dem 
nach  Pauls  III.  Tode  entstandenen  Streite  zwischen  Ju- 
lius HI.  und  Oktavio  Farnese  spielte  Herkules  mit  Eifer  die 
Rolle  eines  Vermittlers;  *)    sorgfältig  suchte  er   die  eigenen 


1)  Vgl.  oben  S.  322  ferner  Ricasoli  bei  Desjardins  Negotia- 
tions  de  la  France  avec  la  Toscane  III,  223.  Masi  S.  242.  Wotton 
meldet  1548  März  18.:  The  marriage  of  the  duke  of  Vendome  with 
the  princess  of  Navarra  will  take  place  shortly,  as  will  also  that  of 
the  [duke  of  Aumale]  with  the  duke's  of  Ferrara  daughter.  Turnbull 
Calendar  Nr.  73.     Die  folgende  Nr.  74  gehört  zu  1547! 

2)  Vgl.  Turn  bull  Nr.  55  und  74. 

3)  Maximilian  dem  Zweiten  soll  der  Herzog  bei  seiner  Durchreise 
durch  Italien  10000  Sc.  geliehen  haben.  Relation  Michele's,  Fiedler 
S.  263.  lieber  Philipp  vgl.  den  lehrreichen  Aufsatz  Cittadella's 
Ultimo  decennio  di  Ercole  II,  im  Archivio  st.  Italiano  1877,  Bd.  25 
Seite  44. 

4)  Dass  Herkules  bei  seiner  Friedensvermittlung  sich  sorgfältig 
bemühte,  nicht  selbst  in  den  Gegensatz  hineingezogen  zu  werden,  er- 
sehen wir  aus  den  Memorie  di  Mirandola,  II,  241,  1551  März  10:  „II 
S'*  duca  di  Ferrara  fa  1000  fanti  nel  suo  stato",  März  12.:  „si  dubita 
che  questi  fanti  sianoper  appoggiarei  Francesi";  S.  258  dagegen  schreibt 
Dandino:  „II  duca  di  Ferrara  si  e  coutentato  che  li  nostri  muniscano 
Castelnovo  et  Montecchio  et  vi  lascino  presidio**.  Als  Dandino  eine  von 
einem  Kurier  des  Herzogs  mitgeführte  und  mit  dem  herzoglichen  Siegel 
verschlossene  Depesche  aufgreifen  Hess,  welche  für  den  Französischen 
Befehlshaber  Termes  bestimmt  war,  und  sich  dann  bei  dem  Herzog 
desshalb,  zumal  auch  ein  freilich  gleichgültiger  Brief  des  Herzogs  selbst 
eröffnet  worden  war,  entschuldigen  Hess,  nahm  Herkules  dies,  wie  Dan- 


V.  Dru/fel:  Herzog  HerMles  von  Ferrara  ete.  337 

Gränzen  zu  sichern,  welche  durch  den  Kampf  in  der  Nach- 
barschaft bedroht  waren.  ^)  Das  Jahr  1552  brachte  in  Italien 


dino  schreibt,  con  la  solita  prudentia  sua  entgegen,  und  bezeugte,  nach 
anfänglichen  Aeusserungen  der  Unzufriedenheit,  bald  die  hingehendste 
Gesinnung  gegen  den  Papst.    S.  274,  276. 

Nach  Cl.  Farnese  suchte  der  Herzog  von  Ferrara  Julius  den  Dritten 
zum  Vorgehen  gegen  Oktavio  Farnese  zu  bestimmen,  indem  er  auf  die 
mangelhafte  VertheidigungsfähigkeitParma's hinwies;  Lettere  del  Comen- 
datore  Anibal  Caro  in  der  Mailänder  Ausgabe  der  Classici  Italiani. 
Bd.  74  fg.  Opere  del  Caro  IV,  318;  dass  die  Beziehungen  zu  den  Far- 
nesen  nicht  gleich  abgebrochen  wurden,  zeigt  der  entgegenkommende 
Brief,  welchen  der  Cl.  Farnese  dem  Herzog  1550  Nov.  1.  schrieb;  IV, 
403.  Im  Juli  1551  äusserte  dagegen,  nach  Serristori,  der  Papst,  dass 
Venedig  und  der  Herzog  von  Ferrara  auf  alle  Weise  den  Frieden  her- 
zustellen suchten.     Canestrini  Legazioni  di  Serristori  S.  280. 

Die  Memorie  storiche  della  citta  e  dell'  antico  ducato  della  Miran- 
dola  bringen  im  dritten  Bande  statt  der  Bd.  II,  257  und  265,  in  Aus- 
sicht gestellten  Aufzeichnungen  Faleti's  die  Annalen  Papotti's,  welche 
für  unsere  Epoche  so  gut  wie  werthlos  sind.  Wenn  im  Bd.  II,  S.  210 
fg.  Auszüge  aus  der  Chronik  Lancilotto's  gegeben  sind,  so  hat  dies  wohl 
darin  seinen  Grund,  dass  der  Schluss  von  der  in  den  Monumenti  di 
storia  patria  delle  provincie  Modenesi  begonnenen  und  bis  zum  9.  Bande 
gediehene  Gesammtausgabe  dieser  allerdings  von  Längen  und  Wieder- 
holungen nicht  freien  Aufzeichnungen,  welche  aber  jedem  Forscher  will- 
kommene Ausbeute  liefern,  leider  nicht  erscheinen  soll.  Nun  wird  ein 
Stück  in  den  Geschichtsquellen  von  Mirandola,  vielleicht  nächstens  ein 
anderes  anderswo  veröffentlicht,  und  zwar  mit  Unterstützung  des  Italieni- 
schen Ministeriums,  Bd.  II  S.  2,  damit  wenigstens  in  dem  Zustande 
der  histoiischen  Quellenwerke  die  auf  politischem  Gebiete  glücklich  be- 
seitigten Kirchthurmsinteressen  ihren  Ausdruck  finden.  Es  ist  zu  be- 
dauern, dass  so  einsichtsvolle  Männer  wie  Campori  und  Cittadella,  deren 
Namen  wir  unter  den  Mitgliedern  des  Geschichtsvereines  zu  Mirandola 
lesen,  dies  nicht  zu  verhindern  vermochten.  Braghirolli's  Auszüge  aus  dem 
Mantuaner  Archiv  über  die  Belagerung  von  Mirandola  würden  brauch- 
barer sein,  wenn  sie  chronologisch,  statt  nach  Autoren  eingetheilt  wor- 
den wären.  Sie  enthalten  selten  mehr  als  die  äusseren  Vorgänge;  wich- 
tiger dagegen  ist  die  Correspondenz  Dandino's  mit  Cosimo  Medici. 

1)  Als  Herkules   nach   der    Thronbesteigung   Julius   III.    in  Eom 
war,   um   dem   neuen  Papste   zu   huldigen,  besuchte  ihn  der  Gesandte 


338  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  Mars  1878. 

die  Aussölinung   zwischen    dem    Papste   und    den    sich    auf 
Frankreich    stützenden  Farnesen   in   einem    Augenblicke,  *) 


Venedigs.  Dandolo  wurde  von  Herkules  mit  ausgesuchter  Höflichkeit 
empfangen,  dann  sprach  sich  der  Herzog  über  die  ganze  Weltlage  aus, 
„wbich  he  certainly   discussed  at   great  length,   like  a  very  sage  and 

experienced   statesman he   showed   that  my   visit   to   him  was 

most  acceptable,  and  thanked  Your  Highness  for  it,  raaking  many  pro- 
fessions  of  being  your  good  son  and  servant,  and  above  all  a  good 
Italian,  and  thanking  the  Lord  God  infinitely  for  preserving  the  most 
excellent  Signory  for  the  protection  and  assistance  of  such  part  of  Italy 
as  she  holds".    Brown  Nr.  655. 

Der  Engländer  Vannes  schreibt  1551  April  26.  aus  Venedig:  „The 
duke  of  Ferrara  is  reported  to  be  about  to  confederate  with  the  Vene- 
tians  for  the  defence  of  their  confines,  and  in  the  meanwhile  with 
diligence  fortifies  bis  holds"  ;  und  in  einer  zweiten  Depesche  von  demselben 
Tage :  „The  duke  of  Ferrara,  who  always  desires  to  live  in  peace  is,  we 
understand  in  great  agony  of  mind,  being  importuned  to  join  one  side 
or  other.  He  is  rather  Fr  euch  than  Imperial.  The  war  is  likely  to  be 
commenced  in  his  own  confines,  and  he  is  supposed  of  late  to  have 
been  here  secretly,  and  to  have  conferred  with  the  Seigniory  of  these 
matters".    Turnbull  Nr.  325,  326. 

Vgl.  ferner  Turnbull  Nr.  384,  392:  „So  solicitous  for  peace  is  the 
duke  of  Ferrara,  that  he  left  not  to  offer  to  Octavio  his  son  in  hostage 
and  his  fortresses  in  pledge,  that  the  Bishop  or  he  for  the  ßishop  would 
see  performed,  whatsoever  was  promised."  Nr.  430,  431  I,  452.  Vgl. 
auch  die  Briefe  Anibale  Caro's  und  die  Memorie  storiche  della  cittä 
della  Mirandola,  Mirandola  1874,  Bd.  II,  S.  241,  245,  295.  Diego 
Mendoza  Hess  Depeschen  des  Herzogs  von  Ferrara  auf  Florentiner  Gebiet 
aufgreifen,  Turnbull  Nr.  462  II;  Dandino  schreibt  darüber,  wie  es 
scheint,  Juli  15,  in  Memorie  della  Mirandola  II,  276.  Indessen  bestehen 
zwischen  beiden  Nachrichten  Widersprüche,  die  vielleicht  in  fehlerhaftem 
Auszuge  begründet  sind. 

1)  Maurenbrecher  Karl  V.  und  die  deutschen  Protestanten 
S.  290  beruft  sich  für  seine  Erzählung  zwar  auf  ungedruckte  Depeschen, 
verdient  indessen  doch  nicht  in  allen  Punkten  Glauben.  Gegenüber 
seiner  Nachricht:  „am  15.  April  wurde  die  Sache  im  Consistorium  vor- 
gebracht und  der  Waffenstillstand  mit  Tournon  besiegelt"  wird  man 
sich  an  den  von  Ranke  V,  212  angeführten,  augenscheinlich  authen- 
tischen Abdruck  der  Capitulation  in  den  Lettere  di  principi  III,  123 
halten,  wo  wir  das  Datum  29.  April  finden. 


V.  Druff el:  Herzog  HerJcules  von  Ferrara  etc.  339 

wo,  wie  wir  oben  gesehen,  Herzog  Herkules  mit  dem  Plane, 
gegen  den  Kaiser  loszubrechen,  beschäftigt  war ,  von  dem 
er  selbst  sich  noch  rechtzeitig  zurückzog.  Nur  sein  Sohn 
Alfonso  ging  in  das  Französische  Feldlager  ab,  anscheinend 
gegen  den  Willen  des  Vaters,  welcher  um  die  Meinung  zu 
erwecken,  als  sei  er  ganz  unbetheiligt,  das  Bildniss  desjeni- 
gen, den  man  für  den  Rathgeber  des  Sohnes  hielt,  öffentlich 
brandmarkte.  Man  wird  indessen  mit  Rücksicht  auf  die 
oben  mitgetheilten  Aktenstücke  zu  der  Annahme  genöthigt 
sein,  dass  dies  Verfahren  blosser  Schein  war  und  nur  dess- 
halb  beliebt  wurde,  um  den  Verdacht  des  Kaisers  zu  be- 
schwichtigen.*) Den  gleichen  Zweck  hatte  es,  wenn  der 
Herzog  sich  die  Anwesenheit  der  Französischen  Minister, 
mochte  zu  denselben  auch  der  eigene  Bruder  gehören,  in 
Ferrara  verbat  und  sie  veranlasste,  sich  nach  dem  Venetiani- 
sehen  Chioggia  zu  begeben ,  um  dort  ihre  Verhandlungen 
über  die  Befehdung  des  Kaisers  auch  in  Neapel  zu  pflegen.  ^) 
Die  Politik  des  Herzogs  verliess  indessen  nicht  den  bis- 
her eingeschlagenen  Weg.  Sie  war  insgeheim  stets  auf  die 
Durchkreuzung  der  kaiserlichen  Absichten  in  Italien  be- 
dacht. Im  folgenden  Jahre ,  als  Siena  das  Objekt  wurde, 
um  welches  sich  der  kaiserlich-französische  Gegensatz  drehte, 


1)  Die  übliche  Erzählung  von  Alfonsos  heimlicher  Entfernung  am 
28.  Mai  1552  liest  man  am  besten  bei  Muratori  Antichitä  Estensi 
II,  389  fg.  nach.  Der  Herzog  Herkules  scheint  sich  jedenfalls  mit  der 
•Rückberufung  seines  Sohnes  aus  Frankreich  nicht  beeilt  zu  haben.  Bei 
der  im  Dezember  erfolgenden  Rückkehr  des  Englischen  Agenten  Fitz- 
patrick von  Corapiegne  nach  London  brachte  derselbe  als  Neuigkeit  die 
Nachricht  mit:  „The  duke  of  Ferrara  has  sent  hither  to  have  bis  son 
restored,  and  otherwise  is  at  point  to  protest  being  forced  thereunto, 
unless  he  would  put  two  of  bis  towns  in  risk  of  confiscation,  viz.  Mode- 
na  and  Reggio  feodaries  of  the  emperor."  Turn  bull  Calendar  Nr.  593. 
Cittadella  S.  47  hat  den  Sachverhalt  richtig  angedeutet ;  vgl.  M a s  1 
S.  195,  sowie  den  späteren  Vorfall  mit  Luigi's  Entfernung 

2)  Vgl.  Cittadella  S.  47. 


340  Sitzung  der  Tiistor,  Classe  vom  2.  März  1878, 

erschien  Strozzi  in  Ferrara,  um  den  Herzog  Herkules  zur 
Mitwirkung  mit  Frankreich  zu  bestimmen.^)  Die  Beding- 
ungen, welche  damals  der  Herzog  stellte  und  welche  der 
Französische  Gesandte  zu  Venedig,  der  Bischof  von  Lodeve 
annahm,  waren  aber  für  Frankreich  so  unverhältnissmässig 
schwer ,  dass  der  König  Heinrich  unter  Beirath  des  Conne- 
table  Montmorency  deren  Gutheissung  ablehnte  und  so  die 
Abmachung  seines  Gesandten  verleugnete.  Dieser  musste 
den  Vorwurf  hinnehmen,  dass  er  sich  benommen  habe,  als 
ob  seine  Aufgabe  gewesen  sei,  bloss  das  Interesse  Ferrara's- 
und   nicht    dasjenige   Frankreichs    zu    wahren.  ^)      Obschon 


1)  Hierüber  enthält  Turnbull  Calendar,  Edward  VI,  Angaben, 
welche  zwar  aus  zweiter  Hand  stammen ,  aber  dennoch  glaubwürdig 
sind,  da  die  Berichte  der  Englischen  Agenten  vom  Französischen  Hofe 
mit  dem  übereinstimmen,  was  zu  Brüssel  nach  Römischen  Berichten 
verlautete. 

2)BaguenaultdePuchesse  Jean  de  Mor  villiers  eveque  d'Orleans, 
garde  des  sceaux  de  France,  Paris  1870,  hat  darüber  eingehende  Nach- 
richten. Der  Herausgeber  schliesst  sich  aber  zu  unbedingt  den  An- 
sichten an,  welche  Morvillier  über  das  Verhalten  des  Bischofs  Lodeve 
äusserte;  er  unterbricht  z.  B.  die  wörtliche  Anführung  der  Quellenstellen 
mit  dem  Ausruf:  „Une  teile  arrogance  etait  evidemment  inacceptable." 
Hätte  er  aber  Ribier  etwas  genauer  angesehen,  so  würde  er  gefunden 
haben,  dass  der  Bischof  von  Lodeve  sehr  wohl  die  Art  des  Herzogs 
Herkules  kannte,  und  dass  der  angebliche  Verrath  des  Französischen 
Interesses  durch  den  Bischof  nicht  zur  Folge  hatte,  dass  Heinrich  II 
ihm  das  Vertrauen  entzog.  Es  würde  sehr  wohl  möglich  sein,  dass  die 
in  dem  Briefe  an  Lodeve  an  den  Tag  gelegte  Missstimmung  nicht  ernst . 
gemeint  war,  und  man  ihn  nur  desavouirte,  weil  sich  vielleicht  die 
Verhältnisse  geändert  hatten.  Die  Thatsache,  dass  der  König  eine  von 
Lodeve  eingegangene  Capitulation  verleugnete,  wird  man  indessen  in 
jedem  Falle  festhalten  dürfen. 

Ein  abschliessendes  Urtheil  ist  freilich  ohne  Kenntniss  der  Akten- 
stücke nicht  möglich.  Wer  ist  der  Verfasser  des  S.  83  angeführten 
Schreibens  und  wann  ging  dasselbe  ab  ?  Baguenault  de  Puchesse  würde 
sich  ein  grösseres  Verdienst  erworben  haben,  wenn  er  blosse  Abdrücke 
von  Texten   geliefert  hätte.    Der  Werth   seiner   Schrift   besteht  doch 


V.  Brujfel'.  Herzog  Herkules  von  Ferrara  etc.  341 

dieses  Zurückweichen  Frankreichs  von  seinen  Anerbietungen 
schwerlich  einen  günstigen  Eindruck  auf  den  Herzog  ge- 
macht hatte,  so  hinderte  es,  wie  wir  weiter  unten  sehen 
Averden,  dennoch  nicht  eine  bald  nachher  erfolgende  Wie- 
deranknüpfung auf  ähnlicher  Grundlage.  Ob  zeitweilig  der 
Herzog  dadurch  bewogen  wurde,  in  ein  anderes  Fahrwasser 
einzulenken,  mag  dahingestellt  bleiben. 

Erst  als  auf  den  päpstlichen  Stuhl  der  Neapolitaner 
Caraffa  erhoben  worden  war,  und  damit  die  Garantie  für 
eine  nachhaltige  Kriegführung  gegen  den  Kaiser  geboten 
schien,  liess  sich  schliesslich  Herzog  Herkules  zu  offenem 
Auftreten  bestimmen.  Wieder  gingen  langwierige  Verhand- 
lungen dem  wirklichen  Abschlüsse  des  Bündnisses  vorher 
und  wieder  war  es  der  Herzog,  der  mit  Vorsicht  die  ihm 
erwachsenden  Vortheile  abwog,  welche  ihm  vom  Papste 
und  vom  Französischen  König  angeboten  wurden.  Am 
16.  Nov.  1555  wurde  von  den  Cardinälen  Karl  von  Loth- 
ringen und  Hippolyt  von  Ferrara  einerseits,  von  dem  Her- 
zog andererseits  ein  Vertrag  unterzeichnet,  welcher  gegen 
die  Gewährung  freien  Passes  in  des  Herzogs  Gebiet  dem- 
selben den  Oberbefehl  über  die  ausserhalb  Piemont  stehen- 
den Ligatruppen  übertrug,  ihm  in  Kriegs-  und  Friedenszeit 
eine  Monatspension  von  2000  Sc.  sowie  die  Besoldung  von 
Garnisonen  zusagte  und  zugleich  Aussicht  auf  Gebietserwerb 
eröffnete.  ^)     Der   Waffenstillstand    von  Vaucelles ,    welchen 


nur  in  den  wörtlichen  Anführungen,  welche  man  auf  Grund  seiner 
dürftigen  Mittheilungen  nicht  immer  in  den  richtigen  Zusammenhang 
zu  bringen  vermag.  Die  Arbeit  desselben  Verfassers  in  der  Revue  des 
questions  historiques  1868  leidet  an  demselben  Fehler. 

1)  Diese  Nachrichten  verdankt  man  dem  Aufsatz  von  Cittadella, 
Arch.  st.  It.  1877,  Bd.  25,  S.  62  fg.  Man  möchte  wünschen,  statt  der 
Italienischen  Uebersetzung,  welche  Cittadella  benutzte,  das  Original  zu 
kennen. 


342  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Frankreich  im  Beginn  des  Jahres  1556  ^)  abschloss,  ver- 
schob das  Inkrafttreten  jener  Abmachungen.  Wie  der  Papst, 
so  erhob  auch  Herzog  Herkules  die  lebhaftesten  Vorstellungen 
bei  Frankreich,  weil  er  im  Stiche  gelassen  und,  da  er  be- 
reits seinen  Gesandten  vom  kaiserlichen  Hofe  abberufen, 
der  Rache  des  Kaisers  ausgesetzt  sei.  *)  Jedoch  hinderte 
ihn  dies  nicht,  seinen  Sohn  Alfonso  gerade  um  diese  Zeit 
wieder  nach  Frankreich  abgehen  zu  lassen.  ^)  Man  wird 
annehmen  dürfen,  dass  dieser  in  gleicher  Richtung  thätig 
war,  wie  des  Papstes  Nepot,  Cardinal  Caraffa,  der  auf  seiner 
Reise  nach  Frankreich  im  Sommer  1556  durchsetzte,  dass 
die  päpstlich-französische  Liga  wirkliche  Geltung  erhielt.*) 
Diese  Entwicklung  war  begünstigt  worden  durch  einen 
Wechsel  in  der  Haltung  Oktavio  Farnese's,  welcher  sich,  in 
der  Hoffnung  auf  Rückgabe  Piacenza's,  jetzt  dem  Kaiser 
und  König  Philipp  anschloss.^) 


1)  Febr.  5.;  der  Vertrag  ist  bei  Ribier  JI,  626  gedruckt. 

2)  Baguenault  de  Puchesse  S.  96. 

3)  Turnbull  Nr.  496. 

4)  Dass  der  Cardinal  dem  Venetianer  Soranzo  gegenüber  die 
Concilsangelegenheit  als  einzigen  Zweck  seiner  Reise  bezeichnete,  hat 
schwerlich  den  Gesandten  der  Republik  getäuscht;  Brown  Nr.  539; 
CaraflFa  kam  27.  Mai  in  Marseille  an,  hatte  Juni  16  Audienz;  Nr.  507, 
515.  Des  Königs  Schreiben  1556  Juli  17  an  Tournon  Ribier  II,  644 
war  sicher  nur  für  die  Oeffentlichkeit  geschrieben.  Tournon  war  der 
Vertreter  der  Friedenspartei;  er  verliess  Rom  an  demselben  Tage,  wo 
der  König  an  ihn  schrieb.  Vgl.  Brown  Nr.  562.  Nr.  537  bei  Brown  ist 
ein  Bericht  über  das  Gebahren  des  Cardinais  Caraflfa  gegenüber  Re- 
nard in  Gegenwart  der  fremden  Gesandten.  Vgl.  Weiss  IV,  627.  Re- 
nard sprach  sicher  nicht  Spanisch,  wie  Brown  meldet,  sondern  Französisch. 
Der  Vertrag  zwischen  Caraffa  und  Avan9on,  dem  Französischen  Gesandten, 
der  bei  Ribier  II,  650  gedruckt  ist  „fait  ä  Rome  23.  Juillet",  kann 
nicht  in  dieses  Jahr  gehören,  da  Caraffa  damals  in  Frankreich  weilte. 
Vgl.  Soranzo's  Depeschen  vom  25.  Juli,  2.  August  und  vor  Allem  vom 
24.  August  1556  bei  Brown. 

5)  Cardinal  Ranuzio  und  Cardinal  Alessandro  Parnese  gaben  zu  ver- 
stehen, dass  sie  die  Verständigung  ihres  Bruders  mit  den  Kaiserlichen 


V.  Druffel:  Herzog  HerJcules  von  Ferrara  etc.  343 

• 

Diese  Veränderung  bei  dem  nächsten  Nachbar  hätte 
nach  der  Ansicht  des  Französischen  Gesandten  zu  Venedig 
auf  Ferrara  die  Wirkung  äussern  müssen,  dass  dasselbe  sich 
völlig  Frankreich  in  die  Arme  warf.  Er  hielt  es  für  un- 
nöthig,  sich  besondere  Mühe  um  dessen  Mitwirkung  zu 
geben ;  die  Lage  sei  vielmehr  umgekehrt :  der  Herzog  brauche 
den  Schutz  Frankreichs.  ^)  Indessen  beurtheilte  der  Car- 
dinal Farnese  die  Lage  anders ;  ^)  er  meinte  die  Stellung 
Ferrara's  sei  eine  durchaus  befestigte,  seine  Plätze  seien  mit 
Allem  wohl  versehen,  so  dass  der  Herzog  mit  guter  Zuver- 
sicht auf  seine  Ueberlegenheit  pochen  könne,  ja  er  schien 
zu  glauben,  dass  derselbe  noch  besondere  Fäden  in  der 
Hand  habe,  um  sich  für  alle  Fälle  zu  sichern.^)     Und  dass 


nicht  billigten.  Ersterer  musste  dem  Papste  im  Consistorium  Kede  stehen, 
Brown  Nr.  551,  von  letzterem  haben  wir  mehrere  Briefe  in  Caro's 
Briefsammlung,  welche  das  beweisen.  Auch  Oktavio  selbst  Hess  es  dem 
Connestable  gegenüber  in  Abrede  stellen,  Brown  Nr.  571,  576,  und 
schickte  zu  gleichem  Zwecke  einen  Gesandten  nach  Eom;  Nr.  577. 
Der  Bischof  Lodeve  äussert  sich  über  das  Gerücht  August  28.  [?]  bei 
Ribier  II,  647. 

Die  Capitulation  möge  man  ja  nicht  in  der  vielfach  irrigen  Eng- 
lischen Uebersetzung  bei  Brown  Nr.  625,  sondern  im  Italienischen 
Text  in  den  Lettere  di  Principi,  Ausgabe  von  1581,  Bd.  III,  174  be- 
nützen. Brown  übersetzt  Tentrata  di  Novara  et  del  Regno  [di  Napoli] 
mit :  He  gives  him  back  Novara  and  its  territory.  Die  Briefe  des  Car- 
dinais Farnese  bei  Caro  Lettere  VI,  201  fg.  sind  nicht  im  Sept.  1557 
geschrieben ,  sondern  gehören  augenscheinlich  dem  vorhergehenden 
Jahre  an. 

1)  Du  Gabre,  Bischof  von  Lodeve  an  Montmorency,  Ribier  II,  647. 

2)  Brief  von  Ardinghello  bei  Caro  Lettere  VI,  210.  Aehnlich 
Paris  Bibl.  nat.  F.  fran9ais  3141/Afg. 

3)  Im  Sommer  tauschte  Herkules  noch  mit  dem  Gesandten  König 
Philipps  Höflichkeiten  aus,  gab  demselben  zu  verstehen,  dass  er  nur 
den  allgemeinen  und  vor  Allem  Italiens  Frieden  wünsche ,  Hess  aber 
dann  durch  seinen  Gesandten  in  Rom  dem  Papste  über  sein  Verhalten 
Aufklärung  ertheilen;  Brown  572. 


344  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

dem  so  war,  scheint  man  auch  in  Frankreich  gefühlt 
zu  haben.  ^)  Nicht  der  Herzog  war  es,  welcher  bat,  er 
wurde  gebeten.  Ihm  wurden  durch  Fourquevaux  Anerbie- 
tungen gemacht,  welche  die  vorläufigen  Abmachungen  der 
Capitulation  des  Vorjahres  erweiterten.     Abgesehen  von  den 


1)  Die  Depeschen  des  kaiserlichen  Gesandten  Renard ,  welche  in 
dem  vierten  Bande  der  Papiers  de  Granvelle  abgedruckt  sind,  geben 
uns  ein  hinlänglich  deutliches  Bild  von  der  Spannung,  mit  der  man 
in  Frankreich  Nachrichten  aus  Ferrara  erwartete.  Vgl.  S.  568,  580, 
619,  624.  Juli  29.  schreibt  Renard:  Au  retour  de  l'ambassadeur 
qu'est  alle  devers  le  duc  de  Ferrare  Ton  pourra  s^avoir  s'il  aura  negocie 
le  Si  ou  Non ;  et  suis-je  advertis  que  la  principale  occassion  que  retient 
par  de^ä  le  legat  Caraffe  est  pour  attendre  la  reponse  et  negotiation  du  dit 
ambassadeur ,  que  suspend  la  resolute  determination  de  la  dicte  lighe 
et  capitulation.  S.  653.  August  11.  meldet  er  dann,  dass  vorgestern 
ein  Kurier  die  Betheiligung  des  Herzogs  auf  Grund  der  von  Guise  ab- 
gemachten Capitulation  überbracht  habe;  S  660.  Am  6.  Sept.  hat  er 
wieder  ganz  gegentheilige  Nachrichten,  man  vermuthete  sogar,  der 
Herzog  habe  sich  mit  Oktavio  und  dem  Kaiser  in  Verbindung  gesetzt, 
der  Prinz  Alfonso  stellte  sich  unwohl,  um  der  Missstimmung  des  Königs 
auszuweichen. 

Ebenso  ist  das  Schreiben  vom  14.  Sept.  noch  ganz  im  Zweifel; 
S.  698.  Erst  nach  dem  27.  September,  vgl.  S.  721,  724,  weiss  Renard, 
dass  die  Verständigung  erzielt  sei,  indem  man  dem  Herzog  von  Ferrara 
alle  seine  Ansprüche  befriedigt  habe. 

Die  Nachricht  von  dem  Abschluss  des  Bündnisses  scheint  vielfach 
überrascht  zu  haben,  denn  früher,  Febr.  10.,  hatte  Wofcton  an  Petre 
geschrieben:  „many  thought  the  duke  would  not  have  been  induced,  as 
in  such  matters  he  does  nothing ,  but  by  counsel  of  the  Venetians" ; 
Turnbull  Nr.  470.  Vgl.  Vannes  Depesche  vom  30.  Mai  1556  an  Petre. 
1554  Okt.  20.  hatte  er  geurtheilt,  der  Herzog  werde  wahrscheinlich  eben 
so  wie  Venedig  neutral  bleiben  :  „the  duke  is  a  wise  and  puissant  prince, 
his  frontiers  and  towns  very  strong,  himself  very  rieh,  and  unlikely  to 
endanger  all."  Daran  knüpft  er  Bemerkungen  über  den  Plan  einer  Hei- 
rath  Alfonsos  mit  der  Tochter  des  Französischen  Königs,  vgl.  Calen- 
dar  (Mary)  Nr.  496  „on  what  conditions  he  does  not  know.  Miran- 
dola  joins  with  Ferrara  and  being  in  a  powerfuU  and  unfriendly 
prince's  hands  may  annoy  him  much,  likewise  Parma  joins  with  Reggio, 
oeither  being  able  to  keep  their  own,  if  long  pressed  by  a  strong  power, 


V.  Druff el:  Herzog  Herhulcs  von  Ferrara  etc.  345 

GeldbewilliguDgen  *),  erhielt  Herkules  Aussicht  auf  den  Be- 
sitz Parma's^).  Es  fehlte  nicht  an  Leuten,  welche  dem  Her- 
zog zutrauten,  dass  er  noch  nach  Grösserem  strebte,  ja  es 
wird  sogar  einmal  der  Gedanke  hingeworfen,  dass  des  Her- 


without  aid  of  some  strong  prince.  Vannes  dachte  an  einen  Austausch 
gegen  Besitzungen  des  Herzogs  —  d.  h,  wohl  der  Herzogin  —  in  Frank- 
reich [Montargis]:  „What  men  may  conclude  from  all  this  knows  not. 
Thinks  the  duke  to  be  a  man  like  other  raen,  well  willing  to  keep  his 
estate  in  safety  to  advance  it  peacebly  to  bring  his  lands  together  and 
to  oversee  anything  likely  to  be  hereafter  troublesome :  as  to  his  enter- 
ing any  war  it  is  not  my  credo** ;  Nr.  278.  [Das  folgende  Aktenstück 
Nr.  279  gehört  zum  Jahre  1535 ! !  Die  bei  Cittadella  S.  208  abgedruckte 
Quittung  des  Bischofs  von  Lodeve  ist  nach  altem  Styl  datirt,  gehört 
also  zu  1557.] 

1)  Fortlaufende  Nachrichten  über  die  Verhandlungen  mit  Frank- 
reich und  die  Sendung  Fourquevaux's  bieten  die  Depeschen  Soranzo's 
bei  Brown  579,  603,  639,  649—51,  663,  vgl.  Ribier  II,  647.  Der  Text 
des  Vertrages,  welcher  jedenfalls  neu  unterzeichnet  wurde,  da  der  frühere 
hinfällig  geworden  war,  vgl.  Revue  S.  506,  ist  nicht  bekannt.  Man 
darf  jedoch  annehmen,  dass  er  sich  nicht  wesentlich  von  dem  früheren 
unterschied,  das  ist  aus  den  verschiedenen  Nachrichten,  besonders  aus 
dem  Schreiben  des  Königs  bei  Ribier  II,  672  zu  folgern.  Das  hier 
stehende  Datum  28.  November  wird  richtig  sein,  trotz  der  Bemerkung 
des  Herrn  Baguenault  de  Puchesse,  Revue  512,  der  es  ohne  die  Ab- 
weichung bei  Ribier  zu  erwähnen,  dem  2.  Oktober  zuschreibt,  was  schon 
desshalb  unmöglich  ist,  da  darin  auf  einen  Brief  „du  7.  de  ce  mois" 
Antwort  ertheilt  wird.  Dagegen  könnte  man  eher  das  Datum  der  De- 
pesche des  Bischofs  von  Lodeve  bei  Ribier  II,  647  anzweifeln,  obschon 
Baguenault,  in  der  Revue  510  Anm.,  es  als  richtig  annimmt.  Wenig- 
stens schreibt  Soranzo  Okt.  1.  aus  Paris:  Yesterday  M.  de  Forcevoe 
departed  on  his  way  to  the  duke  of  Ferrara,  während  der  Bischof  von  Lodeve 
in  jener  Depesche  über  dessen  Verhandlung  berichtet. 

2)  Dieses  Streben  des  Herzogs  war  nicht  neu.  Als  Cardinal  Fer- 
rara 1555  nach  der  Tiara  strebte,  machten  die  Farnesen  dagegen  gel- 
tend, dass  Herzog  Herkules  ihnen  mit  Hülfe  Frankreichs  Parma  zu 
entreissen  gesucht  habe.  Der  Herzog  erklärte,  che  la  domando  con- 
dizionamente,  quando  essi  non  la  potessero  tenere;  Canestrin 
Legazioni  di  Averardo  Serristori  S.  352.    Gl.  Farnese  spricht  in  mehreren^ 


346  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

zogs  Sohn  Alfonso  an  die  Spitze  von  Italien  treten  solle  *). 
Ende  1556  erzielte  man  eine  Verständigung,  wie  es  scheint  auf 
Grundlage  der  früheren  Artikel,  vielleicht  mit  geringen  Ab- 
weichungen. Es  kam  zum  Kriege  ^).  Indessen  liess  selbst 
die  Eintracht  des  Herzogs  mit  seinem  Schwiegersohn,  dem 
Herzog  von  Guise  zu  wünschen  übrig,  indem  jener  ver- 
weigerte die  Truppen  zur  Bekämpfung  Albas  nach  Mittel- 
italien zu  entlassen,  damit  sein  eignes  Gebiet  nicht  entblösst 
werde  ^).  So  trat  zu  Tage,  dass  jeder  der  Theilnehmer  an 
der  Liga  nur  den  eigenen  Yortheil  verfolgte,  ohne  Rück- 
sicht auf  die  Genossen,  wie  denn  auch  bei  dem  Abschlüsse 
des  Bündnisses  Jeder  bemüht  gewesen  war,  möglichst  ge- 
ringe  Opfer    zu    Gunsten    des  Alliirten  zu  bringen  *).     Als 


Schreiben  davon,  dass  der  Herzog  Herkules  sofort  mit  Parma  und  Pia- 
cenza  werde  belehnt  werden,  z.  B.  Caro  Lettere  VI,  176;  ein  akten- 
mässiger  Beweis  liegt  indessen  nicht  vor,  vielleicht  begnügte  man  sich, 
wie  1555,  im  Allgemeinen  die  Theilung  der  zu  machenden  Eroberungen 
festzusetzen,  wobei  dann  dennoch  der  geheime  Gedanke  der  Franzosen 
blieb,  freie  Hand  zu  behalten,  indem  man  die  Bedeutung  der  Abmach- 
ungen durch  Sophistik  zu  beseitigen  gedachte,  wie  der  Cardinal  Guise 
dies  in  dem  Schreiben  an  Montmorency,  Revue  des  questions  historiques 
1868,  Bd    V,  S.  503,  als  möglich  nachzuweisen  sucht. 

1)  „according  to  whose  league  a  son  of  the  duke  of  Ferrara  is  to 
have  Italy"  schreibt  Badoero  über  die  Liga;  Brown  509. 

2)  Das  scharfe  Schreiben  des  Herzogs  von  Alba  an  den  Papst  vom 
21.  August  kann  man  in  den  verschiedensten  Sprachen  gedruckt  lesen; 
Italienisch  in  den  Lettere  di  Principi  III,  175,  Französisch  bei  Ribier 
II,  653,  Spanisch  und  Französisch  in  den  Papiers  de  Granvelle  IV,  666, 
drei  Mal  Spanisch  bei  Lafuente,  Andrea  und  in  der  Coleccion  Bd.  II. 
Endlich  steht  dann  noch  ein  Englischer  Text  bei  Turnbull.  Der  einzige 
der  neueren  Herausgeber,  welcher  wusste,  dass  es  nicht  Ineditum  sei, 
ist  Lafuente. 

3)  Vgl.  Frizzi,  Calendar,  Revue  S.  514. 

4)  Frankreichs  Politik  spricht  sich  in  dem  Schreiben  des  Cardinais  von 
Lothringen,  Revue  502,  am  deutlichsten  aus.  Cardinal Farneseurtheilte über 
die  nicht  benutzten   Gelegenheiten   in  einem   nicht  abgesandten  Briefe 


V.  Druff el:  Herzog  Herkules  von  Ferrara  etc.  347 

dann  die  Schlacht  von  St.  Quentin  Frankreich  in  eine  be- 
drängte Lage  versetzt  hatte,  rieth  König  Heinrich  selbst  ^) 
dem  Papste  und  dem  Herzog  von  Ferrara,  sich  mit  Spanien 
zu    vertragen  ^).     Der    Papst    erreichte    dies    ohne    grosse 


folgenderraassen :  Quelli  che  mettevano  avanti  che  potessero  far  mira- 
coli  nello  stato  di  Ferrara  o  se  nMntendevano  poco  o  gioeavano  dl  ma- 
lignitä,  perche  le  sue  piazze  son  ben  fortificate  e  hen  fornite,  ha  danari 
e  tutto  quello  che  si  ricerca  alla  guerra,  e  non  e  odiato  da'  popoli;  e 
chi  vnole  assaltare  uno  Stato  di  quella  sorte,  ci  vuole  altro  che  5000 
fanti  e  500  cavalli.  Noi  non  avevamo  altro  per  noi  che  la  giustizia 
della  causa  e  il  demerito  della  sua  ingratitudine.  Dio  ha  voluto  per 
questo  che  le  cose  siano  procedute  meglio,  perche  l'essere  il  Papa  fuor 
di  gioco  ha  levati  nui  fuor'  di  pericolo  e  l'avarizia  e  la  poca  virtü  del 
Duca  di  Ferrara  ha  fatto  il  resto;  Caro  VI,  217. 

1)  Der  Brief  des  Königs  an  Guise  vom  IG.  Aug.  Ribier  II,  702 
sagt  dies  ausdrücklich;  die  Stelle  welche  Ranke  aus  einem  Briefe  des 
Königs  an  Guise  anführt,  findet  sich  nicht  an  dem  bezeichneten  Orte 
bei  Ribier  II,  750  und  widerspricht  sowohl  obigem  Schreiben,  als  dem 
auf  dasselbe  folgenden  Briefe  an  Tournon  vom  1.  September.  Sie  muss 
in  einen  anderen  Zusammenhang  gehören.  Reumont  in  seiner  Ge- 
schichte Toscana's  I,  224  hat  nicht  beachtet,  dass  die  Franzosen  selbst 
die  Verständigung  Ferrara's  mit  Philipp  befürworteten. 

2)  Der  Herzog  beklagte  sich  darüber,  dass  man  ihn  im  Stiche  ge- 
lassen hatte,  die  Franzosen  waren  entrüstet  über  seine  Treulosigkeit; 
vgl.  Bischof  Lodeve  Sept.  23  bei  Ribier  und  Revue  S.  514.  Wie  die 
Franzosen  sich  zu  Vaucelles  mit  dem  Kaiser  verständigt  hatten,  ohne 
Rücksicht  auf  den  Papst  und  Ferrara,  so  scheint  auch  Herkules  diese 
Möglichkeit  sich  lange  Zeit  offen  gehalten  zu  haben.  1556  Sept.  24. 
meldet  ßadoero  aus  Gent,  der  Cardinal  von  Trient  habe  dem  König  Philipp 
versichern  lassen,  der  Herzog  von  Ferrara  sei  nicht  so  schlecht  gesinnt, 
wie  man  gewöhnlich  annehme,  and  that  he,  the  Cardinal,  knows  him 
to  be  the  king's  servant,  and  that  he  wishes  and  offers  to  form  re- 
lationship  in  sorae  way  with  the  house  of  Austria,  which  to  all  his 
Majesty  chief  ministers  has  seemed  a  very  stränge  and  novel  thing  to 
hear;  and  they  lay  the  blame  either  on  his  right  reverend  Lordship's 
ignorance  of  the  said  duke's  mind,  or  on  the  too  close  friendship  main- 
tained  by  him  since  a  long  while  with  his  Excellency.  Brown  Nr. 
629.     Dies  steht  sicher  im  Zusammenhang  mit  der  Praktik  CoUegno's, 


348  Sitzung  der  hidor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

Schwierigkeit.  Der  Herzog  von  Ferarra  war  allein  übrig 
gelassen  und  man  konnte  glauben,  dass  sieb  die  ganze 
Spanische  Macht  in  Italien  auf  ihn  werfen  würde.  In  seiner 
Noth  wandte  er  sich  wieder  an  den  Herzog  von  Wirtem- 
berg  *)  mit  der  Bitte,  Anwerbung  Deutscher  Truppen  ge- 
statten zu  wollen.  Der  eigentliche  Sinn  des  Schreibens  war 
jedoch,  nach  Vergers  Meinung,  der  Wunsch,  dass  der  Her- 
zog Christof  die  Vermittlung  des  Friedens  unternehmen 
möchte.  Christof  trug  Bedenken  hierauf  einzugehen ,  er 
überliess  diese  Aufgabe  dem  Herzog  Cosimo  ^)  und  der  Repu- 
blik Venedig,  welche  die  erbetene  bewaffnete  Unterstützung 
freilich  abgelehnt  hatte,  jetzt  aber  gern  die  Hand  bot,  um  die 
Ruhe  Italiens  herzustellen.  Herkules  trat  von  dem  Bünd- 
nisse mit  Frankreich  zurück,  und  sein  Sohn  heirathete  eine 
Mediceerin  ^).     Als  Nachwirkung  der   früheren  Freundschaft 


von  der  wir  durch  die  Instruktion  für  Ariosto  in  den  Lettere  di 
Principi  III,  183  und  deren  Ergänzung  bei  Cittadella  S.  212 
Kenntniss  haben.  Von  den  früheren  freundschaftlichen  Beziehungen 
zwischen  beiden  geben  die  Briefe  Zeugniss,  welche  ßonelli  Notizie 
istorico-critiche  della  chiesa  di  Trento  III,  1,  S.  332  abgedruckt  hat. 
Man  wird  nicht  annehmen  können,  dass  trotz  der  an  den  Tag  gelegten 
Entrüstung  des  Herzogs  über  CoUegno  gleichzeitig  die  Freundschaft 
bestehen  blieb.  Aber  das  schroffe  Auftreten  des  Herzogs  erfolgte  erst 
gleichzeitig  mit  dem  Abschluss  des  Französischen  Bündnisses,  acht 
Wochen  nach  jener  Meldung  Badoero's,  und  so  bleibt  es  möglich,  dass 
diese  auf  Wahrheit  beruhte.     Montecuculo's  Sendung  s.  S.  365. 

1)  Vgl.  Vergers  Briefwechsel  v.  K ausler  S.  155. 

2)  Cardinal Farnese  beglückwünscht  denselben  dazu,  Caro  Lettere 
VI,  228. 

3)  Der  Wechsel  in  der  Stellung  der  beiden  Fürsten  zu  einander 
war  sehr  bedeutend.  Das  Schreiben  Serristori's  vom  31.  März  1550 
zeigt,  dass  damals  eine  Annäherung  an  Ferrara  von  Cosimo  ins  Auge 
gefasst  worden  war ;  Serristori  billigte  dies,  ma  nel  resfringerla  straor- 
dinariamente  sia  da  considerare  la  natura  dell'  E.  V.  e  la  sua,  e  se  i 
disegni  che  Ella  fa  di  valersi  di  lui,  quando  ne  venga  l'occasione,  gli 
sieno  per  riusciare;  e  se  quelli  de  quali  il  duca  pensasse  potersi  valere 


v.Druffel:   Herzorf  Herkules  von  Frrrara  etc.  349 

mit  Prankreich  nehmen  wir  nur  gegenseitige  Vorwürfe 
wahr:  der  Franzosen  über  Ferrara's  Treulosigkeit,  des  Her- 
zogs über  nicht  erfüllte  Versprechungen.  Nach  Herkules 
hatte  Alfonso  bereits  mehrere  Jahre  den  Thron  inne,  als 
ihm  wenigstens  theilweise  Ersatz  wurde  für  die  in  Frank- 
reichs Interesse  aufgewandten   Geldsummen  *). 

In  der  äusseren  Politik  des  Herzogs  treten,  wie  man  sieht, 
die  religiösen  Gesichtspunkte  keineswegs  hervor;  er  lässt  sich 
nur  von  der  Rücksicht  auf  den  eigenen  Vortheil  bestimmen, 
wenn  er  bald  mit  dem  Kaiser  bald  mit  Frankreich,  einer- 
seits mit  dem  Papste  andererseits  mit  den  Deutschen  Prote- 
stanten sich  in  Verbindung  setzt.  Herkules  scheint  es  auch 
nicht  für  seine  Aufgabe  gehalten  zu  haben,  in  den  Zersetz- 
ungsprocess  einzugreifen ,  in  v/elchem  sich  die  kirchlichen 
Verhältnisse  auch  in  seinem  Gebiete,  vorzugsweise  in  Mo- 
dena  und  iu  Ferrara  selbst,  durch  das  Fortschreiten  und 
die  Ausbreitung  Lutherischer  Ansichten  befanden  ^).  Schon 
im  Jahre  1539  wurde  es  ofPeukundig,  dass  die  Mitglieder 
der  Akademie  zu  Modena  sich  dem  üblichen  Kirchenthura 
feindselig  gegenüberstellten,  auch  die  Menge  und  die  üeppig- 
keit  des  Kleras  lebhaft  bekämpften.  Der  Papst  bezeichnete 
sie  dafür  als  Lutheraner  und  Ketzer,  und  soll  schon  damals 


deir  E.  V. convenissero allo  stabilimento  e  grandezza  del  suo  stato.  Canes- 
trini  S.  245.  Soranzo  meinte  1556,  falls  das  Französisch-päpstliche 
Heer  sich  gegen  Toscana  wende,  werde  dies  dem  Herzog  von  Ferrara  am 
erwünschtesten  sein,  by  reason  of  the  enmity,  he  bears  that  duke; 
Brown  663.  Dagegen  trat  auch  der  Gedanke,  dass  die  beiden  Fürsten 
gemeinsame  Interessen  hätten,  öfter  zu  Tage;  vgl.  Renmont  Geschichte 
Toscana's  I,  224.  Cardinal  Tournon  hatte  die  Begünstigung  dieser  Heirath 
dem  Könige  Heinrich  U,  anempfohlen.  Ribier  IJ,  706. 
1)  Dies  zeigt  am  besten  der  Aufsatz  von  Cittadella. 
2]  Eine  vorzügliche  Quelle  hiefür  ist  die  bereits  oben  angeführte 
Chronik  Lancilotto's.  Vgl.  die  in  dem  Register  des  einen  Bandes  unter 
Controversie  religiöse,  in  dem  .des  andern  unter  Dispute  ange- 
führten Stellen. 

[1878.  I.  Philos.-philol.  bist.  Cl.  4.]  26 


350  Sitzung  der  Mstor,  Classe  vom  2.  März  1878. 

dem  Herzog  um  ihretwillen  geschrieben  haben  *).  Eine  be- 
sondere Wirkung  hatte  dieser  Schritt  indessen  nicht.  Im 
Jahre  1542,  kurz  nach  Erlass  der  Inquisitionsbulle,  kam 
dann  ein  päpstliches  Breve  nach  Modena,  worin  der  Bischof 
angewiesen  wurde,  den  namentlich  bezeichneten  Akademikern 
eine  Liste  von  41  Glaubenssätzen  vorzulegen:  unterschrieben 
sie  dieselbe,  so  absolvirte  sie  der  Bischof,  für  den  anderen 
Fall  waren  sie  nach  Rom  citirt.  Die  Akademiker  stoben 
theils  auseinander  —  einige  gingen  nach  Venedig  oder  nach 
Griechenland  —  theils  schützten  sie  Unwohlsein  vor,  ein 
zu  ihnen  gehöriger  Kanonikus  verschwor  es,  künftig  noch 
zu  studiren  und  verkaufte  alle  seine  Bücher.  Obgleich 
der  Bischof  von  Modena,  der  unter  Paul  IV.  selbst  von  der 
Inquisition  verfolgte  und  in  Haft  genommene  Cardinal  Mo- 
rone,  mit  dem  beinahe  von  demselben  Loose  betroffenen  '^) 
Cardinal  Cortese  und  dem  Bischof  Bertano  von  Fano  zu- 
sammen persönlich  eingriffen,  richteten  sie  wenig  aus,  der 
weltliche  Arm  blieb  ihnen  versagt  und  sie  scheinen  sich 
endlich  damit  begnügt  zu  haben,  dass  anstatt  der  aufs 
Korn  genommenen  Akademiker  die  Conservatoren  der  Stadt 
unterschrieben ;  jene  wurden  somit  aus  dem  Spiele  gelassen. 
Kurze  Zeit  nach  Morone's  Entfernung  kehrte  der  Lehrer 
des  Griechischen,  welcher  sich  geflüchtet  hatte,  zurück  und 
eröffnete  wieder  in  Modena  seine  Vorlesungen,  ungehindert 
von  dem  Herzoge  welcher  damals  gerade  dort  verweilte. 
Diesem  wurde  es  auch  zugeschrieben,  dass  der  Sicilianer  Fi- 
lenio,  welcher  1540  in  die  Hände  der  Inquisition  gerathen 
war  und  nach  Bologna  und  Ferrara  geschleppt  wurde,  mit 
Verurtheilung  zu  den  Galeeren  davonkam,  während  die 
Brüder  des  heiligen  Dominikus  ihn  den  Flammen  zu  über- 


1)  Cronache  Bd.  VIT,  Lancilotto  Bd.  VI,  S.  205. 

2)  Vgl.  Young  Life  of  Paleario  I,  S.  334. 


V.  Dru/fel:  Herzog  Herkules  von  Ferrara  etc.  351 

liefern  gewünscht  hätten  ^).  Gyraldus  verehrte  in  dem  Her- 
zog gleichfalls  seinen  Erretter  vor  der  Inquisition  *).  Auch 
in  den  späteren  Jahren  scheint  des  Herzogs  Eifer  hinter 
den  Wünschen  des  Papstes  Paul  IV.  zurückgeblieben  zu 
sein.  In  diesem  Sinne  wird  man  es  wohl  zu  deuten  haben, 
wenn  der  Papst  den  Herzog  1559  in  einem  eigenen 
Breve  um  Uebermittelung  eines  bereits  zu  Reggio  in  der 
Haft  des  Bischofs  befindlichen  Arztes  nach  Rom  ersuchen 
musste  ^).  Wir  wissen  nicht,  ob  des  Papstes  Wunsch  er- 
füllt wurde. 

Für  einen  Italienischen  Fürsten,  welcher  sich  in  Ab- 
hängigkeit von  dem  Papstthum  befand,  wäre  es  indessen 
eine  schwere  Aufgabe  gewesen,  der  von  dort  ausströmen- 
den Geistesrichtung  entschieden  zu  widerstreben ;  vor  Allem 
hätte  dazu  eine  selbstbewusste  Stellung  in  den  religiösen 
Fragen  gehört.  Davon  aber  war  bei  Herkules  nicht  die 
Rede;  jenen  Zügen  der  Milde  stehen  andere  härtere  zur 
Seite.  So  verbot  der  Herzog  dem  Mönche  Aegidius  von 
Bergamo  die  Lesung  der  hl.  Schrift  auf  der  Kanzel*)  und 
untersagte  das  Studium  auf  andern  Universitäten  als  Fer- 
rara ^) ;  wie  unter  Julius  III.  die  Inquisition  grössere  Thätig- 
keit  entwickelte  als  unter  Paul  III.,  fielen  derselben  auch 
in  Ferrara  einzelne  Opfer,  so  Fannius  aus  Faenza,  der  1550 
öffentlich  hingerichtet,   Georgius   Siculus,  welcher  im  Jahre 


1)  s'el  non  fasse  stato  S.  Exe*'*,  che  lo  ha  hauta  de  gratia,  detti 
Frati  lo  haveriano  fatto  brusare;  Lancilotto  VI,  420. 

2)  Burckhardt  Cultur  der  Renaissance,  3.  Auflage  von  L.  Geiger 
I,  316. 

3)  Vgl.  Raynald  Annales  ecclesiastici  1559,  Nr.  22. 

4)  L'Ill™**  duca  .  .  prohibiva  a  frate  Egidio  da  Bergamo  de  S*" 
Augustino  ch'el  non  dovesse  legere  le  epistole  di  S.  Paulo  come  el  fa- 
ceva  nell'hora  della  predica  suso  el  pergolo  in  la  giesia  e  che  per  tutto 
questo  di  4  ditto  el  dovesse  partirse  de  Modena;  Lancilotto  Vif,  21,39. 

5)  Lancilotto  VII,  151. 

26* 


352  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2,  März  1878. 

nachher  heimlich  erdrosselt  wurde  ^).  Es  sind  vereinzelte 
Fälle  wie  wir  sie  aus  jener  Zeit  auch  aus  Venedig  ^)  und 
Toskana  zu  verzeichnen  haben,  obgleich  deren  Regierungen 
ebensowenig  von  Verfolgungseifer  erfüllt  waren,  als  Her- 
zog Herkules. 

Gleich  den  meisten  katholischen  Fürsten  der  damaligen 
Zeit  begünstigte  auch  Herzog  Herkules  die  neu  begründete 
Gesellschaft  Jesu  und  wenn  man  die  Briefe,  welche  deren 
Stifter  an  ihn  richtete,  nach  ihrem  Wortlaut  nehmen  dürfte, 
so  könnte    man    ihn    beinahe    als  deren    eigentlichen  Vater 


1)  Ueber  den  Tod  des  Fannius  handeln  Young  Life  and  time  of  Ao- 
nio  Paleario  II,  111  und  Frizzi  IV,  337.  Letzterer  rühmt  den  Eifer 
des  Herzogs  für  die  Erhaltung  der  katholischen  Religion.  Young  be- 
nuzte den  Giulio  di  Milano,  eine  augenscheinlich  mit  panegyrischer  Ten- 
denz verfasste  Schrift;  danach  war  ein  Breve  Julius  III.  die  Veran- 
lassung zur  Hinrichtung;  in  der  That  finden  wir,  dass  in  den  Tage- 
buchaufzeichnungen des  damaligen  päpstlichen  Sekretärs  Massarelli  mehr- 
fach ein  schärferes  Einschreiten  gegen  die  Ketzer  erwähnt  wird,  aber 
freilich  sehen  wir  zugleich,  dass.  mit  Venedig  Streitigkeiten  über 
die  Competenz  der  geistlichen  Gerichtsbarkeit  ausbrachen;  man  wird 
auch  nicht  ohne  Weiteres  annehmen  dürfen,  dass  der  Herzog  von  Fer- 
rara  von  jeder  Einmischung  in  diese  Angelegenheiten  abgesehen  habe. 
Vgl.  Druffel  Beiträge  I,  Nr.  847.  Nach  einem  Briefe  des  Cardinais 
Jaen,  Simancas  877/95,  ist  es  möglich,  dass  es  sich  um  Wiedertaufe  und 
beabsichtigte  Abschaffung  der  Obrigkeit  gehandelt  hatte. 

2)  Vgl.  das  Gutachten  vom  Jahre  1705  bei  Cecchetti,  La  Re- 
publica  di  Venezia  e  la  Corte  di  Roma  I,  S.  11,  wo  das  Resultat  der 
eifrigen  Nachforschungen  nach  früheren  Verurtheilungen  zusammenge- 
stellt ist :  Nei  registri  della  Segreta  ne  altrove  ci  e  riuscito  trovare 
memoria  che  mai  sia  stato  fatto  morire  in  publico  alcun  heretico  o  reo 
di  simili  colpe  ....  Ben  ha  saputo  questo  padre  Inquisitore  trovar 
lui  negli  antichi  registri  del  Sant'  Offizio  una  sentenza  pronunciata 
dairinquisitore  contro  un  tal  pre'  Francisco  Calcagno  di  taglio  della 
lingua  della  testa  e  combustione  del  corpo  eseguita  in  Brescia  del  1550 
e  tre  altre  sentenze  .  .  .  con  affogamento  delli  rei. 

3)  Vgl.  den  Aufsatz  von  Bonaini  im  Giornale  storico  degli  Archivi 
Toscani  VI  über  die  Verhaftung  Domenichi's,  für  den  Renate  Fürbitte 
einlegte. 


V.  Druffel:   Herzog  Herkules  von  Ferrara  etc.  353 

betrachten.  „Es  ist  vielmehr  die  Gesellschaft  Euerer  Ex- 
celleuz,  als  die  meinige''  ist  eine  Wendung,  welche  uns  in 
den  Briefen  des  hl.  Ignaz  an  den  Herzog  begegnet  ^).  Mag 
dies  auch  eine  in  Briefen  au  Andere  ebenso  vorkommende 
Redensart  sein,  so  steht  doch  so  viel  fest,  dass  Herkules 
in  der  That  enge  Beziehungen  zu  den  Jesuiten  unter- 
hielt ^).  Seiner  Vermittlung  schrieb  man  es  zu,  dass  im 
Jahre  1538  bei  der  Curie  der  Widerspruch  gegen  die  päpst- 
liche Bestätigung  der  Gesellschaft  Jesu  beseitigt  wurde.  ,,Ich 
kann  in  Wahrheit  sagen",  schreibt  Tgnaz  v.  Loyola,  ,,kein 
Fürst  oder  Herr  kömmt  ihm  gleich,  Se.  Excellenz  hat  sich  um 
die  ganze  Bildung  des  Gesellschaftskörpers  grössere  Verdienste 
erworben,  als  irgend  Jemand."  So  drückte  sich  Ignaz  in 
einem  Schreiben  an  Jajus^)  aus,  als  er  im  Jahre  1547  dessen 


1)  Vgl.  Cartas  de  San  Ignacio  de  Loyola,  Madrid  1874  fg.,  [bis 
jetzt  3  trefflich  ausgestattete  Bände].  Bd.  11,  S.  458:  questa  minima 
compagnia,  piü  di  Vostra  Excellentia,  che  nostra. 

2)  In  mehreren  Briefen  des  hl.  Ignaz  ist  davon  die  Rede;  dieselben 
finden  sich  zusammengestellt  in  der  Anmerkung  6  zu  S.  8  des  dritten 
Bandes  der  Cartas.  HoflFentlich  bringt  der  vierte  Band  ein  ausführliches 
Register;  dadurch  würde  die  Benutzung  des  wichtigen  Quellenwerkes 
mehr  erleichtert  werden,  als  durch  die  zahlreichen  Verweisungen  in  den 
Anmerkungen,  so  fleissig  sie  auch  immer  angefertigt  sein  mögen.  Auch 
wäre  zu  wünschen,  dass  die  Briefverzeichnisse  am  Schlüsse  jedes  Bandes 
die  Datirungen  der  Originaltexte,  nicht  bloss  die  der  Uebersetz- 
ungen  brächte,  damit  überflüssiges  Hin-  und  Herblättern  vermieden 
werde.  Zu  bedauern  ist,  dass  in  den  Anhängen  Adressen  der  einzelnen 
Briefe  fehlen  und  statt  dessen  bloss  Verweisungen  auf  die  Spanischen 
Uebersetzungen  gegeben  sind. 

3)  Cartas  II,  S.  395:  Sua  Eccellenza,  con  lettere  et  testimonianze 
date  di  noi  tanto  cortesemente  nel  tempo  di  quelle  prime  contradizioui 
che  sostenemmo  qui  in  Roma,  e  poscia  col  raccommandarci  al  Rev""* 
C^^  suo  fratello  e  ad  altri  Grandi  di  questa  corte,  ci  ha  per  mezzo  de' 
lor  caldissimi  ufficj  in  cosi  gran  maniera  ajutati  ad  ottenere  da  questa 
Santa  Sede  la  confermazione  della  Compagnia,  che  con  verita  posso  dire, 
niun  Principe  ne  Signore  essergli  stato  eguale  in  questa  parte,  ne  noi, 
quanto    alla  formazione   di   tutto    il  corpo   della   Compagnia  avere  con 


354  Sitzung  der  histor.  (Jlasse  vom  2.  März  1878. 

Entlassung  von  dem  Bologneser  Concil  erbeten  hatte,  um 
ihn  zum  Herzog  von  Ferrara  nach  dessen  Wunsch  zu  senden. 
In  ungewöhnlich  warmen  Ausdrücken  suchte  er  in  dem  zum 
Gewisseusrath  des  Fürsten  bestimmten  Ordensgenossen  Ver- 
ehrung für  den  Wohlthäter  der  Gesellschaft  zu  erwecken. 
Jajus  blieb  zwei  Jahre  bei  dem  Herzog,  kehrte  dann  nach 
Deutschland  zurück,  wo  zeitweilig  bessere  Aussichten  zu 
winken  schienen  *).  Im  Jahre  1550  suchte  Ignaz,  seinem 
gewöhnlichen  Verfahren  getreu,  den  Herzog  bei  dessen  Rö- 


verun'  altro  obligazione  pari  a  quella,  di  che  siamo  tenuti  Sua  Eccel- 
lenza.    Vgl.  auch  Cartas  I,  70. 

1)  Jajus  hatte  bereits  früher  eine  einflussreiche  Stellung  einge- 
nommen. Ueber  den  Plan  des  Otto  Truchsess,  ihn  nach  Sachsen  zu 
senden,  vgl.  Weiss  Pap.  de  Granvelle  IV,  382;  Ignaz  Loyola  gedachte 
ihn  1545  zur  Wiederaussöhnung  Ochino's  zu  verwenden ;  Cartas  11,218. 

Die  Aeusserung  des  hl.  Ignaz  in  dem  Schreiben  an  Herzog  Wilhelm 
von  Baiem,  Jajus  könne  nur  auf  kürzere  Zeit  nach  Ingolstadt  kommen, 
war  nach  Genelli  S.  343  durch  dessen  Stellung  am  Esteschen  Hofe  ver- 
anlasst: Der  Herzog  habe  ihn  nur  für  kurze  Zeit  entlassen  wollen.  In- 
dessen ist  zu  beachten,  dass  erstlich  Jajus  nicht  nach  Ferrara  zurück- 
kehrte, sondern  nach  Oesterreich  ging,  und  dass  Ignaz  bereits  im  Januar 
1549  den  König  von  Portugal  zu  einer  Bitte  um  Jajus  ermuthigen  liess, 
freilich  ohne  ihm  bestimmte  Aussicht  auf  Gewährung  derselben  zu  er- 
öffnen und  ohne  ihm  zu  verschweigen,  dass  der  wiederholt  ausgesprochene 
Wunsch  des  Cardinais  Truchsess,  sowie  des  Cardinais  Farnese  vergeblich 
gewesen  sei.  Cartas  II,  156,  543.  In  gleicher  Weise  suchte  Ignaz  bei  der 
Sendung  Landini's  nach  Ferrara  sich  eine  Hinterthür  offen  zu  halten ;  er 
schrieb  an  Herkules,  man  verhandle  über  dessen  Sendung  nach  Corsika, 
indessen  sei  noch  kein  ausdrücklicher  Befehl  des  apostolischen  Stuhles 
da,  desshalb  könne  er  einstweilen  dem  Herzog  willfahren.  Ignaz  wusste 
indessen,  dass  ein  solcher  Befehl  von  seinem  eigenen  Wunsche  abhängig 
war.  Was  or  wollte,  war  die  Stiftung  eines  Collegiums  in  Ferrara; 
bewilligte  dies  der  Herzog  nicht,  so  wollte  sich  Ignaz  die  Abberufung 
vorbehalten;  es  ist  dasselbe  Verfahren,  welches  er  Baiern  gegenüber 
befolgte.  Vgl.  D  ruf  fei  Beiträge  zur  Reichsgeschichte  I,  Nr.  446. 
[Der  Text  dieses  Briefes  in  den  Cartas  II,  S.  532  leidet  an  einer  von 
den  Herausgebern  nicht  angedeuteten  Lücke.] 


V.  Druff el:  Herzog  Herkules  von  Ferrara  etc.  355 

mischem  Aufenthalt  zur  Gründung  eines  Collegs  in  Ferrara 
zu  bestimmen ;  im  folgenden  Jahre  kam  ein  solches 
wirklich  zu  Stande,  nachdem  auch  Franz  von  Borja  seinen 
Einfluss  dafür  eingesetzt  hatte.  Voll  Jubel  über  die  Ein- 
gebung Gottes  schrieb  Ignaz  Loyola  dem  Herzog  am  23. 
Mai  1551,  er  sende  einstweilen  2  Priester  und  5 — 6  Scho- 
lastiker; denn  fürstlich  hatte  Herkules  für  das  Colleg  zu 
sorgen  versprochen  und  er  scheint  sein  Wort  gehalten  zu 
haben,  da  Ignaz  v.  Loyola  mehrfach  über  dessen  günstige 
Entwicklung  berichtet  *).  Die  Bitte  des  Herzogs  um  üeber- 
nahme  der  geistlichen  Leitung  eines  von  seiner  Mutter, 
Lukrezia  Borja,  gestifteten  Nonnenklosters  durch  die  Jesuiten 
lehnte  er  indessen  unter  Berufung  auf  die  Ordensregeln  ab  ^). 
Dagegen  entsprach  es  seinen  Wünschen  sicherlich,  dass  der 
Herzog  das  früher  von  Jajus  eingenommene  Amt  eines 
fürstlichen  Beichtvaters  dem  Rektor  des  Collegs  Pelletarius  ^) 
übertrug,  auf  dessen  Thätigkeit  wir  noch  später  zurückkommen 
müssen.  Das  Verhältniss  Loyola's  zu  Herkules  blieb  ohne 
Trübung,  wie  wir  wohl  mit  Sicherheit  aus  einem  Briefe 
des  Ersteren  folgern  dürfen,  durch  welchen  der  Jesuiten- 
general 1555  die  Vermittlung  des  Herzogs  anrief,  um  den 
Widerstand  der  Sorbonne  gegen  die  Jesuiten  zu  besei- 
tigen. Ignaz  zog  dem  öffentlichen  Streite  mit  den  Gegnern 
einen  stilleren  Weg  vor.  Während  er  erklärte,  es  sei  besser 
zu  schweigen,  als  zu  reden,  man  brauche  die  Feder  nicht 
zur  Vertheidigung  zu  ergreifen,  wenn  die  Wahrheit  sich 
von  selbst   geltend  mache,  versuchte    er  durch  den  Herzog 


1)  Cartas  II,  S.  338,  341,  III,  S.  8. 

2)  Am  11.  Juli  1551;  Cartas  II,  362. 

3)  Der  scharfe  Erlass,  welchen  Ignaz  am  23.  Juli  1553  an  Pelle- 
tarius sendete,  hatte  nach  einer  Notiz  Boero's  lediglich  die  Bedeutung, 
denselben  von  der  bisherigen  Vernachlässigung  der  Kranken  abzubringen. 
Läge  diese  Notiz  nicht  vor,  oder  könnte  man  dieselbe  für  unzuverlässig 
halten,  so  würde  man  wohl  an  schlimmere  Dinge  denken. 


356  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2    März  1878. 

von  Ferrara  einen  Druck,  nicht  auf  die  Sorbonne,  sondern 
auf  den  König  von  Frankreich  auszuüben,  dessen  sonst  der 
Gesellschaft  geneigter  Sinn  durch  schiefe  Erzählungen  ab- 
wandt w^orden  sei.  Er  sprach  die  Hoffnung  aus,  dass  diese 
Hindernisse  durch  Gottes  und  des  Herzogs  Hülfe  nur  zu 
ihrem  Besten  ausschlagen  würden,  indem  er  die  Gesellschaft 
dem  Wohlwollen  des  Herzogs  in  den  hingehendsten  Aus- 
drücken empfahl  ^). 

■  Frankreich  war  das  Land,  in  welchem  der  Gesellschaft 
Loyola's  am  längsten  Widerstand  entgegen  gesetzt  wurde, 
und  es  begreift  sich  leicht,  dass  Loyola  sich  mit  demjenigen 
Italienischen  Fürsten  gut  stellte,  von  welchem  er  sich  in 
dieser  Richtung  eine  heilsame  Einwirkung  versprechen  konnte. 
Andererseits  ist  nicht  zu  verwundern,  dass  es  dem  Herzog 
Herkules  erwünscht  war,  wenn  die  Jesuiten,  deren  Stifter 
am  Hofe  des  Papstes  eine  einflussreiche  Rolle  spielte,  auch 
ihm  wohlwollten ;  es  kam  hinzu,  dass  Franz  von  Borja  nahe 
mit  ihm  verwandt  war.  Indessen  fehlen  doch  Anzeichen 
dafür,  dass  die  Jesuiten  in  Ferrara  bedeutenden  Einfluss 
geübt  hätten;  von  einer  ähnlichen  Abhängigkeit  des  Her- 
zogs von  ihnen,  wie  zum  Beispiel  bei  dem  Könige  von  Portu- 
gal, ist  nicht  die  Rede.  Der  Herzog  Herkules  ist  der  einzige 
Italienische    Fürst,  welcher    in  dem   1552  abgefa^gsten  Ent- 


1)  Dieser  Brief  ist  noch  nicht  in  den  Cartas  abgedruckt,  da  die 
ersten  3  Bände  nur  bis  Ende  1553  reichen;  er  steht  bei  (Menchaca) 
Epistolae  Ignatii  ö.  538  und  ist  nach  dem  Original  des  Modeneser 
Archivs  gegeben.  Orlandinis  Erzählung,  XV,  44,  stellt  das  Verfahren  Lo- 
yola's in  ein  durchaus  falsches  Licht.  Die  von  Orlandini  seinem  Heiligen 
in  den  Mund  gelegte  Rede:  „Certis  in  causis  praestat  silere  quam  lo- 
qui;  nee  vindice  opus  est  stylo  ubi  sui  ipsius  vindex  ac  propugnatrix 
est  veritas"  steht  zu  jenem  Schreiben  in  entschiedenem  Gegensatz. 
Genelli  hat  durchaus  recht  gehandelt,  indem  er  das  Schreiben  ver- 
werthete.  Dessen  Aufbewahrungsort  ist  Beweis  genug,  dass  es  nicht 
Concept  geblieben  ist. 


V.  Drußel:  Herzog  Herkules  von  Ferrara  etc.  357 

würfe  über  die  Aufbringung  einer  unter  Führung  des  Kaisers 
zur  Bekämpfung  der  Türken  bestimmten  Armada  mit  Still- 
schweigen übergangen  wird,  während  Ignaz  Venedig  und 
auch  den  Papst  zur  Mitwirkung  zu  bestimmen  gedachte  '). 
x\uch  die  Ansicht,  dass  die  Jesuiten  bei  jenen  oben  erwähnten 
Ketzerhinrichtungen  die  eigentlichen  Anstifter  gewesen  seieu, 
steht  völlig  in  der  Luft  ^) ;  als  ob  die  Dominikaner  das  In- 
quisitionsgeschäft nie  getrieben  hätten  ! 

Eine  ßetheiligung  der  Jesuiten  scheint  man  aber  aller- 
dings bei  dem  Inquisitionsverfahren  annehmen  zu  dürfen  ^), 
welches  das  einzige  war,  bei  dem  nachweisbar  auch  der 
Herzog  persönlich  eifrige  Thätigkeit  entfaltete.  Dasselbe 
wandte  sich  gegen  Niemand  andern,  als  gegen  seine  eigene 
Gemahlin,  die  Herzogin  Renate. 

Im  Jahre  1554  kam  diese  Angelegenheit  zur  Entschei- 
dung. Während  die  religiöse  Stellung  Renatens  bis  dahin, 
so  viel  wir  sehen,  selbst  nach  der  Anwesenheit  Calvins  au 
ihrem  Hofe^)  durch  Herzog  Herkules  keine  Anfeindung  erlitten 
hatte,  klagte  dieser  jetzt,  wie  oben  erwähnt,  am  27.  März 
dem    Könige    und    dem    Connetable     über    Renatens    Ver- 


1)  Vgl.  die  merkwürdigen  Briefe  an  Nadal,  Cartas  III,  98  fg.,  auch 
bei  Genelli  Nr.  31. 

2)  In  der  Schrift  ,, Renata  etc."  Gotha  1869  hdsst  es:  „Schwerlich 
war  der  Jesuitenorden  von  der  Mitschuld  an  dieser  That  freizusprechen.'* 

3)  Die  in  älteren  Darstellungen  vorgetragene  Ansicht,  dass  Loyohi 
die  Bitte  des  Königs  von  Portugal  um  Uebernahme  der  Inquisition  durcli 
den  Orden  entschieden  abgelehnt  habe,  vgl.  Orlandini  XV,  99,  ist  frei- 
lich nach  Genelli  258  nicht  mehr  haltbar.  Es  bedarf  indessen  noch 
einer  eingehenden  Untersuchung,  welche  Haltung  die  Jesuiten  in  der 
ältesten  Zeit  zu  der  Inquisition  einnahmen.  Auch  in  dem  obigen  Falle 
ist  der  Inquisitor  selbst  ein  Dominikaner,  und  zwar,  wie  es  scheint, 
derselbe,  welcher  früher  gegen  den  Stifter  der  Gesellschaft  Jesu  einge- 
schritten war ;  Cartas  I,  69.  ' 

4)  Kampschulte  Calvin  I,  S.  280  hat  wohl  mit  Recht  die  Nach- 
richt bei  Frizzi  nicht  benutzt.    Vgl.  „Renata"  S.  35. 


358  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

stocktheit;  trotz  aller  ihrem  königlichen  Blute  erwiesenen 
Rücksicht  sei  längere  Duldung  nicht  möglich,  denn  sie  sei 
völlig  dem  Lutherthum  ergeben,  verachte  die  Messe,  und 
habe  den  Geistlichen,  welcher  eine  solche  vor  den  jungen  Prin- 
zessinnen zu  lesen  beauftragt  gewesen,  zurückgeschickt.  Auf 
die  Drohung,  dass  man  die  Töchter  von  ihr  entfernen  werde, 
habe  Renate  endlich  in  deren  Beichte  und  Communion  ein- 
gewilligt, dann  aber  über  die  Persönlichkeit  des  Beicht- 
vaters —  Pelletarius  —  aufs  Neue  Anstände  erhoben,  ob- 
schon  derselbe  ein  Franzose  von  Geburt  sei.  Sie  habe  ihn 
nicht  hören  wollen,  weil  derselbe  nicht  bereit  gewesen  sei, 
in  der  von  ihr  gewünschten  Weise  die  Beichte  entgegen 
zu  nehmen ;  sie  schien  ihn,  wie  der  Herzog  sich  ausdrückt, 
für  einen  Teufel  zu  halten.  Aus  diesen  Gründen  bat  der 
Herzog  den  König  um  Hersendung  eines  tüchtigen  Theo- 
logen und  um  briefliche  Einwirkung  auf  die  Herzogin,  da- 
mit er  selbst  die  sonst  vielleicht  im  Interesse  der  Töchter 
nicht  zu  umgehende  Entfernung  derselben  von  ihrer  Mutter 
vermeiden  könne. 

Heinrich  H.  erfüllte  die  beiden  ihm  vorgetragenen 
Bitten ;  der  Connetable  theilte  im  Mai  dem  Gesandten  Fer- 
rara's  mit,  dass  der  König  über  die  Lutherische  *)  Angelegen- 
heit in  durchaus  entsprechender  Weise  der  Herzogin  ge- 
schrieben habe,  und  den  Dominikaner  Oriz  zu  derselben 
absenden  werde;  bald  nachher  reiste  Oriz  wirklich  nach 
Ferrara.  Sein  Erfolg  war  anfänglich  gleich  Null ;  der  Herzog 
schrieb  seinem  Gesandten  in  Frankreich,  er  würde,  nachdem 
der  Weg  der  Milde  ohne  Ergebniss  geblieben,  zur  Strenge 
überzugehen  genöthigt  sein.  In  der  That  wurde  Renate,  als 
sie  die  von  ihr  angeblich   dem  Cardinal  Hippolyt  und  Oriz 


1)  Wenn  hier,  entsprechend  der  Ausdrucksweise  der  Quellen,  der  Be- 
griff Lutherthum  auch  dort  angewandt  wird,  wo  es  sich  um  den  Calvi- 
nismus handelt,  so  wird  dies  wohl  Niemanden  irre  führen. 


V,  Dru/fel:   Herzog  Herkules  von  Ferrara  etc.  359 

ertheilte  Zusage,  der  Messe  beizuwohueu,  wie  man  vermuthete 
auf  das  Zureden  eines  Genfer  Abgesandten  hin,  nicht  er- 
füllte, von  dem  Inquisitor  Oriz  förmlich  für  häretisch  und 
ihrer  Besitzungen  und  Einkünfte  verlustig  erklärt,  und  an 
den  Herzog  die  Aufforderung  gerichtet,  ihr  die  Töchter 
wegzunehmen.  Der  Florentiner  Gesandte  Babbi  berichtete  dies 
am  7.  September  seinem  Herrn,  indem  er  beifügte,  dass  die 
Einkünfte  der  Herzogin  sofort  genommen  worden  seien, 
und  dass  man  erwarte,  ein  gleiches  werde  mit  den  Töchtern 
geschehen,  die  Herzogin  selbst  in  Haft  gelegt  werden.  Schon 
in  einer  Nachschrift  konnte  er  melden,  dass,  seiner  Vermuth- 
ung  entsprechend,  mitten  in  vergangener  Nacht  die  Her- 
zogin verhaftet  worden  sei;  nur  zwei  Gesellschaftsdamen 
waren  ihr  gelassen  worden,  die  Töchter  erhielten  Unter- 
kunft in  einem  Kloster.  Dies  Mittel  führte  schnell  zu  dem 
gewünschten  Ziele:  bereits  am  13.  September  wusste  Babbi, 
dass  die  Fürstin  gebeichtet  hatte  und  der  Messe  beiwohne. 
Der  Inquisitor  war,  weil  seine  Mission  erfüllt  war,  nach 
Frankreich  zurückgekehrt. 

Trotzdem  wurde  noch  nicht  gleich  das  frühere  Verhält- 
niss  zwischen  dem  Fürstenpaare  hergestellt,  obgleich  dies 
Babbi  am  13.  September  für  wahrscheinlich  erklärt  hatte. 
Zwei  Tage  nachher  fand  eine  längere  persönliche  Verhand- 
lung des  Herzogs  mit  Renate  statt.  Dem  Gemahl  war  noch 
nicht  Genüge  geschehen.  Babbi  sprach  jetzt  die  Ansicht  aus, 
vor  ihrer  Befreiung  werde  Renatens  Hofstaat  verändert  und 
ihr  Einkommen,  das  der  Herzog  ihr  am  liebsten  vollständig 
nehmen  wolle,  beschränkt  werden.  Noch  immer  leistete  aber 
Renate  den  Zumuthungen,  welche  ihr  in  religiöser  Hinsicht 
gemacht  wurden,  Widerstand ;  der  Priester,  welcher  die  Messe 
vor  ihr  lesen  sollte,  bekam  sie  nicht  zu  Gesicht,  sie  erklärte 
wiederholt,  zwar  an  die  katholische,  aber  nicht  an  die  Rö- 
mische Kirche  zu  glauben.  Die  Drohung  mit  strengeren 
Massregeln  bestimmte  indessen,  zum  grossen  Bedauern  ihrer 


360  Sitzung  der  histor.  Clause  vom  2.  März  1878. 

Gesinnungsgenossen,  Renate  am  23.  September,  dass  sie  die 
Communion  empfing.  Jetzt  wurde  sie  aus  der  Haft  losge- 
lassen, in  Freiheit  konnte  sie  am  26.  September  ihren  aus 
Frankreich  heimkehrenden  Sohn  Alfbnso  begrüssen  ^). 

Babbi  schrieb  über  die  Communion  der  Herzogin,  man 
müsse  annehmen,  dass  die  Fürstin  sich  mehr  aus  äusseren 
Rücksichten  als  durch  den  eignen  Willen  und  weil  sie  an 
das  Sakrament  glaube,  dazu  habe  bestimmen  lassen.  Es  ist 
ein  missliches  Ding,  in  diese  Geheimnisse  des  menschlichen 
Herzens  eindriugen  zu  wollen,  aber  man  wird  sagen  dürfen, 
dass  die  äusseren  Verhältnisse  Babbis  Ansicht  begreiflich  er- 
scheinen lassen,  und  dass  die  ihrer  bisherigen  Gesinnung 
durchaus  entsprechende  spätere  Haltung  Renatens  dieselbe 
bestätigt  ^). 


1)  Die  obige  Erzählung  stützt  sich  auf  Masi  und  Bonaini.  In 
Englischen  Depeschen  finden  sich  folgende  Stellen :  Masone  schreibt 
1554  Oktober  10.  aus  Brüssel:  Proin  Italy  they  hear  that  the  duke  of 
Ferrara  has  committed  his  wife  to  custody  in  his  own  house  and  having 
sequestered  his  two  daughters  within  an  abbey  in  the  town  has  dis- 
missed  his  wife's  train  and  household.  The  reason  is  supposed  to  be 
long  dissension  on  account  of  religious  opinions,  the  duchess  having  for 
raany  years  been  noted  to  be  a  great  favourer  of  such,  as  name  them- 
selves  gospellers,  whereof  the  pope  has  more  than  once  written  to  the 
duke.  Others  assign  it  to  sorae  proof,  that  she  was  the  raean  of  sen- 
ding  his  son  into  France  for  which  divers  have  long  remained  in  prison ; 
but  as  the  duke  favours  the  French  factiou,  this  is  iraprobable" ;  Turn- 
bull Nr.  271.  Oktober  20.  meldet  er  dann:  „The  dissension  between 
the  duke  and  duchess  of  Ferrara  is  purely  on  religious  grounds  'the 
said  duchess  having  a  good  tinie  kept  her  house  apart  from  her  hus- 
band,  open  to  all  riff  raff,  both  out  of  France  and  from  elsewhere,  re- 
sorting  thither  under  that  pretence;  which  kennel  is  now  broken  and 
dissolved'.  The  prince  of  Ferrara  has  arrived  at  Ferrara  very  well  ac- 
cepted  and  welcomed  of  his  father";  Nr.  275. 

2)  Auf  Orlandini's  überschwängliche  Erzählung,  Renate  habe  „in- 
genti  animi  sensu  inultoque  lacrimarum  imbre,  plaudentibus  ut  in  coelo 
angelis  sie  in  terra  raortalibus"  bei  Pelletarius  gebeichtet,  wird  man 
kein  Gewicht  legen  dürfen.    Wenn  er  dann  weiterhin  berichtet:  „ex  eo 


V.  Druff el:  Herzog  HerhiJcs  von  Ferrnra  etc.  361 

Nach  der  äusserlichen  Unterwerfung  Renatens  unter  die 
Vorschriften  der  Kirche,  stand  Herzog  Herkules  allerdings 
von  weiteren  Zumuthungen  religiöser  Art  ab.  Indessen 
trat  jetzt  ebensowenig  ein  herzliches  Einvernehmen  zwischen 
den  beiden  Gatten  ein ,  als  ein  solches  vor  dem  offenen 
Zerwürfniss  vorhanden  gewesen  war  ^).  Rabelais  erzählt, 
dass  bei  jener  Verhandlung  über  die  dem  Papste  zu  zahlende 
Summe,  Paul  HI.  auf  Renatens  Bitte  50000  Sc.  nachlassen 
wollte,    um  dadurch  die  eheliche  Liebe  des  Herzogs  zu  der- 


tempore  ponere  apud  eumdeni  sua  rite  peccata  per  intervalla  et  ipsa  et 
omnis  eins  domus  instituit,  felix  si  sciret  donum  Dei  aestiinare  et  in 
recte  coeptis  adhibere  constantiain",  so  darf  man  daraufhin  nicht  etwa 
behaupten,  flass  Pelletarius,  um  den  Schein  zu  retten,  wiederholt  Renate 
die  Sakramente  gespendet  habe,  obschon  er  deren  Gesinnung  kannte. 
Orlandini  ist  keine  zuverlässige  Quelle.  Wir  haben  es  lediglich  mit 
einer  grosssprecherischen  Erzählung  zu  thun,  wie  wir  einer  ähnlichen  hin- 
sichtlich der  wahnsinnigen  Johanna  Lei  Cienfuegos  Vida  del  grande 
S.  Francisco  de  Borja  begegnen.  ,,  Confessola  despacio''  schreibt  Cien- 
fuegos, er  schildert,  wie  die  Königin  durch  die  Gebete  Borja's  die 
Vernunft  wieder  erlangt  habe.  Gachard  in  seinem  Aufsatz  „Les  der- 
niers  moments  de  Jeanne  la  folle"  in  den  Bulletins  de  l'Acaderaie 
royale,  1870,  tome  XXIX  SS.  3:j3,  395.  brachte  es  fertig,  ihm  nachzu- 
schreiben, indem  er  bei  der  Wiedergabe  des  Briefes  Karls  V.  an  Ferdi- 
nand vom  10.  Mai  auf  S.  399  gerade  die  entscheidenden  Worte  ,,com- 
bien  que  pour  la  disposition  en  laquelle  eile  estoit  Ton  ne  soit  S9eu 
parvenir  a  ce  qu'elle  feit  particuliere  confession"  übersah.  Diese  Stelle 
findet  sich  an  dem  Platze,  wo  Gachard  eine  Lücke  anzeigt,  Z.  4.  Der 
Text  fährt  nach  „confession"  fort :  „si  sont  este  ses  dernieres  propoz  tels, 
se  recommandant  a  la  fin  ä  nostre  saulveur  et  ä  sa  passion,  que,  oultre 
ce  qu'  il  fault  esperer,  les  passees  pendant  Testat  ouquel  eile  a  este 
quelque  temps  ne  luy  serout  imputees,  que  Dieu  aura  mercy  d'elle  et 
l'auia  appellee  avec  les  bien-heureux ,  dont  je  luy  supplie  de  tres 
bon  coeur.  —  Et  faiz  etc.  Man  darf  nie  vergessen,  dass  eine  von  Je- 
suiten verfasste  Biographie  eines  Heiligen  den  Zweck  hat  der  Erbauung 
zu  dienen,  und  dass  sich  die  historische  Wahrheit  dieser  Tendenz  unter- 
ordnen muss. 

1)  Les  lettres  de  Rabelais  par  Sainte-Marthe,  Brüssell710,S.35. 


362  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

selben  zu  steigern.  Also  Hess  dieselbe  schon  damals  zu 
wünschen  übrig.  Im  Jahre  1539  waren  Misshelligkeiten 
eingetreten,  weil  dem  Herzog  die  Französische  Umgebung 
der  Gemahlin  nicht  behagte.  Damals  war  besonders  der  Haus- 
hofmeister der  Herzogin  Mr.  de  Pons,  welcher  später  in 
der  Bartholomäusnacht  sein  Leben  verlor  ^),  Gegenstand  seiner 
Abneigung;  nach  seiner  Beseitigung  würde  man  auch  den 
Andern  zu  Leibe  gegangen  sein  ^).  Diese  seine  Bestrebungen, 
gegen  welche  Franki-eich  den  früher  stets  erhobenen  Wider- 
stand, sobald  die  Religion  mitspielte,  fallen  gelassen  zu  haben 
schien,  setzte  Herkules  auch  jetzt  fort.  Er  wollte  erstlich 
die  Franzosen  entfernen,  welche  die  Selbständigkeit  der  ge- 
borenen Prinzessin  von  Frankreich  stützten,  und  ferner  die 
Einkünfte  seiner  Gattin  mit  den  seinigen  vereinigen^). 

Aber  jetzt  begegnete  er  wieder  bei  Frankreich,  anstatt  der 
zeitweilig  gefundenen  Unterstützung  heftigem  Widerstände. 
Der  König  wie  der  Connetable*)  nahmen  sich  Renatens  an,  und 


1)  Young  n,  81. 

2)  Vgl.  Ribier  I,  453. 

3)  Für  die  Beurtheilung  des  Verhältnisses  zwischen  den  heiden 
Ehegatten  würde  Kenntniss  des  Ehe  Vertrags  das  noth  wendigste  sein. 
Ribier  hat  davon  das  Originalconcept  gesehen  und  macht  darüber  einige 
Mittheilungen  I,  454.  Ueber  die  Anforderungen  welche  Alfons  von  Fer- 
rara  erhoben  hatte,  besitzen  wir  eine  kurze  Mittheilung  bei  Bonnet, 
Revue  chretienne  S.  306,  welche  von  dem  Modeneser  Archivar  Herrn 
Foucard  stammt.  Danach  hatte  er  die  Grafschaft  Asti  mit  200000  Gold- 
thalern  als  Mitgift  Renatens  gefordert,  sich  selbst  aber  mit  Rücksicht 
auf  den  Brauch  Italiens  für  von  jeder  Ausstattung  des  Sohnes  befreit 
gehalten.  Nach  Muratori  II,  353  übersandte  er  indessen  seiner  Schwieger- 
tochter zur  Hochzeit  für  lOOOOO  Thaler  Juwelen. 

4)  Als  Herkules  jenen  Brief  vom  27.  März  1554  an  Heinrich  II. 
schrieb,  bemühte  er  sich  auch  den  Connetable  für  seine  Ansicht  zu  ge- 
winnen. Er  schrieb  demselben  am  26.  März:  „Apresso  perche  ho  dato 
commissione  al  predetto  mio  oratore  comunicar  con  V.  Ex.  molte  cose, 
et  sin  le  altre  certo  mio  particolare,  del  quäle,  per  importarmi  et  pre- 
mermi  assai,  ne  scrivo  una  longa  lettera  de  mia  mano  a  S.  M*^  prego 
con  tutto  il  core  predetta  r.  Exe.  ad  contentarsi  di  favorir  si  justa  et 


V.  Druffel:  Herzog  Herlcules  von  Ferrara  etc.  363 

betonten  gegenüber  dem  Gesandten  Perrara's  Alvarotti,  dass 
man  die  aus  Französischem  Blute  entsprossene  Fürstin  würdig 
behandeln  müsse.  Der  Herzog  kam  mit  seinen  auf  das 
ungeeignete  Verhalten  Renatens  begründeten  Einwendungen 
nicht  zur  Geltung;  er  wurde  zur  Duldung  ermahnt  mit  der 
allgemeinen  Bemerkung,  dass  die  Frauen  bekanntermassen 
unvollkommener  seien  als  die  Männer,  und  dass  er  um  so 
mehr  Nachgiebigkeit  üben  müsse,  da  die  Fürstin  alt  und 
kränklich  sei  und  schwerlich  noch  lange  leben  werde.  Gegen- 
erinnerungen Alvarotti's  wurden  in  einer  Weise  zurückge- 
wiesen, dass  dieser  es  für  besser  hielt,  dem  Herzoge  selbst 
zum  Einlenken  zu  rathen.  ,,Wenn  ich  Ew.  Excellenz  im 
Vertrauen  meine  Meinung  sagen  soll,  so  bemerke  ich  in 
aller  Ehrfurcht,  dass,  wenn  Sie  der  Fürstin  die  bisher  ge- 
reichten üblichen  Einkünfte  ganz  oder  theilweise  einbehalten, 
und  in  ihre  Umgebung  nur  nach  eignem  Ermessen  Diener 
zulassen  wollen,  Ew.  Excellenz  dieselbe  verlieren  werden; 
wenn  Sie  auch  damit  durchdringen  sollten,  so  würden  Sie 
hier  erheblich  einbüssen.  Die  Tochter  Ew.  Excellenz,  Ma- 
dame von  Guise  hat  mir  mitgetheilt,  dass  der  König,  Ma- 
dame von  Valentinois  [Diana  v.  Poitiers],  Madame  Marga- 
rethe  [Heinrich  H.  Schwester]  und,  kurz  gesagt,  alle  die 
Andern  gegen  Ew.  Excellenz  sehr  erbittert  sind,  und  dass 
der  König  jenes  niemals  dulden  wird ;  denn  er  sagte,  auch  er 
habe  Töchter  zu  verheirathen  und  wolle  nicht,  dass  man 
auf  Renatens  Beispiel  hinweisen  könne,  um  jenen  eine  ähn- 
liche Behandlung  voraus  zu  sagen,  und  endlich  sagt  man 
auch,  dass  Ew.  Excellenz  selbst  bezüglich  der  Religion  aus 
keinem  anderen  Grunde  eingeschritten  sei,  und  man  meint  ^) 


Santa  opera,  la  quäl   oltre  che  sarä  accetta  a  Dio  N.  S*"®  doverä  anche 
essere  di  non  poca  satisfattione  a  tutti  quei  che  amano  l'honor  del  sere- 
nissimo  sangue  di  Francia".    Paris  Bibl.  nat.  Fonds  Fran9ais  1329. 
1)  Ich  lese  „par  loro"  statt  „per  loro**. 


364  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  März  1878. 

und  spricht  es  aus,  dass  Ew.  Excellenz,  die  so  gross  und 
mächtig  ist,  nicht  auf  solche  Dinge  sehen  dürfe,  und  man 
lästert  darüber  so  sehr,  dass  man  wohl  darüber  in  Schrecken 
gerathen  mag  Man  ist  der  Ansicht  und  giebt  sie  kund, 
dass  bei  Ew.  Excellenz  nichts  gilt,  als  der  eigene  Nutzen : 
hätte  Ew.  Excellenz  nur  vor  einigen  Jahren  auf  die  Dinge 
gesehen,  die  ihr  jetzt  so  zu  Herzen  zu  gehen  scheinen !  So 
aber  konnte  geschehen,  wozu  es  sonst  nie  gekommen  wäre.'' 
Sehen  wir,  dass  der  Französische  König  in  dem  Augen- 
blicke, wo  die  Religion  in  Frage  kam,  in  den  Zerwürfnissen 
zwischen  dem  Esteschen  Fürsten  paare  auf  die  Seite  des  Her- 
zogs tritt,  während  er  sonst  vorher  und  nachher  sich  mit 
Eifer  der  geborenen  Französischen  Prinzessin  annahm,  so 
liegt  gewiss  die  Annahme  nahe,  jene  religiösen  Verhältnisse 
seien  für  ihn  bei  seinem  Verhalten  die  eigentlich  bestimmen- 
den gewesen.  Gleichwohl  steht  dem  die  Erwägung  ent- 
gegen ,  dass  es  kaum  begreiflich  wäre ,  wenn  man  am 
Französischen  Hofe  sich  dem  Glauben  an  eine  ernstliche 
Gesinnungsänderung  der  Herzogin  hingegeben  hätte  und 
andererseits  tritt  uns  sonst  am  Hofe  Heinrich  H.  ein  der- 
artiger katholischer  Eifer  keineswegs  entgegen.  Freilich 
wurde  auch  dort  wohl  bei  einer  Frohnleichnamsprozession 
Gott  auf  den  Plätzen  von  Paris  ein  aus  Ketzern  bestehendes 
Brandopfer  dargebracht  ^),  dann  aber  wieder  Hess  der  König 
aus  politischen  Gründen  sein  Kind  von  den  Gesandten  des 
protestantischen  Zürich  zur  Taufe  tragen  und  die  Königin 
Katharina  von  Medici  scherzte  darüber,  ob  so  das  Ketzer- 
gift   nicht    ansteckend    wirken    könne  *).     Bei    der  Unvoll- 


1)  Vgl.  den  Brief  des  Connestable  an  den  Cardinal  Bellay  und  an 
Urfe,  1549  Juli  8..  D  ruf  fei  Beiträge  I,  314. 

2)  Ricasoli  an  Cosimo  bei  Desjardins  III,  223:  de'  quattro  can- 
toni  toccö  a  quel  di  Zürich  che  e  Luterano  a  portar  la  figlia;  sopra  di 
che  feci  ridere  la  regina,  dicendole  che  la  creatura  crescendo  portava 
pericolo  di  pizzicarne   et  che   pregasse  Dio  che  ne  la  guardasse,  perche 


V.  Bvuffel:  Herzog  HerJcules  von  Ferrara  etc.  365 

ständigkeit  unserer  Keuntniss  jener  Epoche  der  Französi- 
schen Geschichte  wird  man  sidi  eines  abschliessenden  Ur- 
theils  begeben  müssen.  Nur  auf  eine  entfernte  Möglichkeit 
hinzuweisen,  möge  ver stattet  sein.  Grade  in  jenem  Sommer 
des  Jahres  1554  weiss  der  Florentiner  Gesandte  am  Este- 
schen Hofe  von  der  warmen  Sympathie  zu  erzählen,  welche 
Renate  sowohl  wie  ihre  Töchter  für  den  mit  Frankreich 
im  Kriege  befindlichen  Herzog  Cosimo  hegten  ^),  ja  er  ver- 
sichert, dass  ihm  eine  der  Letzteren  zu  dem  bei  Marciano 
erfochtenen  Siege  des  Herzogs  über  die  Franzosen  Glück 
gewünscht  habe.  Ist  es  da  nicht  denkbar,  dass  man  unter 
dem  Yorwande  der  Religion  die  Herzogin  von  einer  den 
Französischen  Interessen  widerstrebenden  Politik  hätte  ab- 
bringen wollen?  2) 

Mit  grösserer  Bestimmtheit,  als  bei  Heinrich  II.  wird 
man  bei  dem  Herzog  Herkules  andere  Gründe  für  sein  Ein- 
schreiten gegen  Renate  annehmen  dürfen.  Hier  stimmt 
die  Art,  wie  er  sich  selbst  über  religiöse  Fragen  den  Deutschen 
Protestanten  gegenüber  ausspricht,  trefflich  zu  dem,  was 
wir  über  sein  sonstiges  Verhalten  von  Französischen  wie 
Italienischen  Diplomaten  erfahren.  Freilich  bleibt  auch 
hier   noch   Manches    dunkel ;    nur   wenn   einmal   mehr  von 


si  vede  che  questo  male  e  contagioso.  Garnier  in  den  Genealogischen 
Tabellen  giebt  den  Geburtstag  des  nach  Turnbull  Nr.  122  am  1.  Febr. 
1549  geborenen  Prinzen  Louis  falsch  an. 

1)  Bei  Bonaini  im  Archivio  st.  Italiano  1859  N.  S.  Bd.  10,  S. 
272  Anra.  Bonaini  erklärt  den  Brief  mit  der  damals  oft  für  die  Fürsten 
nothwendigen  Unterdrückung  der  wahren  Gefühle.  Es  ist  indessen  zu 
beachten,  dass  der  Gesandte  hauptsächlich  von  dem  spricht,  was  er 
selbst  erfahren  hatte :  Intendo  che  questa  excellentissima  Madama  etc. 
Bonaini  erwähnt,  dass  zahlreiche  Briefe  Renatens  aus  der  späteren  Zeit 
im  Mediceischen  Archiv  liegen. 

2)  Aus  der  Sendung  des  Grafen  Montecuculo  durch  Herkules  an 
Philipp  von  Spanien  und  Maria  von-  England  wird  man  eine  Spanien 
freundliche  Haltung   des  Herzogs  nicht  folgern  können.    Vgl.  Calendar 

[1878.  I.  Philos.-philol.  bist.  Gl.  4.]  27 


366  Sitzung  der  histor,  Classe  vom  2.  März  1878. 

den  geheimsten  Aktenstücken  des  Esteschen  Archivs  ans 
Licht  gezogen  ist,  wenn  maoi  mehr  von  den  Berichten  der 
Agenten  weiss,  für  welche  der  Herzog  Herkules  mehr  Geld 
ausgegeben  haben  soll,  als  irgend  ein  anderer  Fürst  ^),  wird 
man  zu  einem  klaren  Einblick  in  diese  Politik  gelangen 
können,  an  deren  Durchdringung,  wie  bereits  oben  erwähnt 
wurde,  die  meisten  zeitgenössischen  Diplomaten  und  der 
Kaiser  Karl  V.  beinahe  verzweifelten  2). 


of  State  Papers,  Venetian,  Vol.  V,  Nr.  886,  895,  928,  und  die  Vorrede 
zu  Vol.  VI,  S.  LX;  wir  erhalten  die  tröstliche  Aussiclit,  dass  wie  in 
dem  Appendix  zu  Bd.  4,  Akten  von  1376—1551,  so  in  dem  Nachtrag 
zu  der  zweiten  Abtheiiung  des  6.  Bandes  130  Dokumente  abgedruckt 
werden  sollen,  welche  den  Jahren  1363-1556  angehören,  vermuthlich 
um  die  Orieutirung  für  den  Benutzer  zu  erleichtern !  Wann  werden  die 
Italiener  endlich  den  Engländern,  welche  die  Depeschen  der  Italienischen 
Renaissancezeit  in  ungelenkes  Englisch  umballhornisiren,  Concurrenz 
machen,  und  es  uns  ermöglichen,  statt  in  unerträglicher  Breite,  wie  bei 
Rawdon  Brown,  den  Berichten  der  Venetianer  die  weniger  wichtigen 
in  kurzen  Auszügen  und  dann  die  wichtigeren  Depeschen  im  ursprüng- 
lichen Wortlaut  zu  benutzen.  Oder  könnten  so  hervorragende  Männer, 
wie  Foucard  und  Cecchetti,  es  nicht  wenigstens  bei  ihrer  Unterstützung 
der  Calendars  zur  Bedingung  machen,  dass  die  von  ihnen  selbst  ge- 
lieferten Beiträge  in  der  ursprünglichen  Sprache  erscheinen  ?  Das  würde 
vielleicht  die  Engländer  zur  Erkenntniss  bringen,  dass  sie  sich  auf  einem 
falschen  Wege  befinden.  Nur  bei  Regesten,  welche  den  wesentlichen 
Inhalt  kurz  zusammendrängen,  kann  man  sich  eine  fremde  Sprache  ge- 
fallen lassen,  sobald  dieselben  den  Charakter  von  Uebersetzungen  an- 
nehmen, ist  dies  unerträglich.  Das  Verfahren  der  Engländer  bedeutet 
nichts  anderes,  als  wenn  sie  Goldgefässe  der  Renaissancezeit  in  Sovereigns 
umprägen  wollten,  weil  es  Engländer  gibt,  für  welche  Gold  nur  in 
dieser  Form  Werth  hat. 

1)  Joh.  Heise  schreibt  dies  1553  März  2  an  Kurfürst  Moritz-  So 
konnte  z.  B.  Ferrara's  Gesandter  in  Rom  dem  Papste  1549  als  der  Erste 
die  Verständigung  Oktavio's  mit  Gonzaga  melden.  Brown  Nr.  586, 
vgl.  Nr.  655. 

2)  In  der  Instruktion  für  Philipp  II,  Weiss  III,  282,  heisst  es;  el 
dicho  duque  a  dicho  siempre  e  confessado  en  que  m'es,  todavia  se  a 
entendido  que   con  el  deudo   que  tiene  en  Francia  y  estar  allä  el   oar- 


V.  Druff rl:  Herzog  Herkules  von  Ferrara  etc.  367 

Bis  jetzt  ist  das  Ergebniss  vorzugsweise  negativer  iVrt : 
Man  wird  bestreiten  können,  dass  die  religiöse  Haltung 
Renatens  der  eigentliche  Grund  ihrer  Quälerei  durch  den 
Gatten  war,  uud  ebenso  wird  wohl  auch  den  Jesuiten  die 
Lust  schwinden,  künftig  im  Einklang  mit  ihrem  Stifter  und 
ihren  Geschichtschreibern  den  Namen  Herkules  von  Perrara 
zu  verherrlichen. 


denal  su  hermano  en  favor,  el  es  muy  inclinado  a  quella  parte,  y  ansi 
tenipori9areis  con  el ;  tened  advertencia  d'este  aviso  y  de  sus  andamicn- 
tos.     Vgl.  Fiedler  S.  56. 


27' 


Sitzung  vom  4.  Mai  1878. 

Philosopliisch-philologisclie  Classe. 


Der  Classensecretär  legte  eine  Abhandlung  des  Herrn 

G.  F.  ünger  vor: 

Diodors  Quellen  in    derDiadochengeschiclite. 

Der  grösste  Theil  der  drei  letzten  vollständig  erhal- 
tenen Bücher  Diodors  (XVIII— XX)  ist  der  Diadochenge- 
schichte gewidmet;  als  den  Schriftsteller,  aus  welchem  sie 
der  Compilator  ausgezogen  hat,  bezeichnete  zuerst  Mannert, 
Geschichte  der  Nachfolger  Alexanders  p.  352  den  Lands- 
mann und  Genossen  des  Eumenes,  Hieronymos  von  Kardia, 
und  obgleich  in  der  ersten  Auflage  des  Meisterwerks,  wel- 
ches die  Geschichte  des  Hellenismus  behandelt,  Droysen 
ausserdem  noch  den  Duris,  Diyllos  und  Zenon  als  Quellen 
Diodors  angesehen  wissen  wollte  (Gesch.  d.  Nachf.  Alex.  p.  670), 
so  sprachen  sich  doch  Brückner,  de  vita  et  scriptis  Hiero- 
nymi  Cardiani,  Zeitschr.  f.  Alterthumsw.  1842  p.  252  und 
C.  Müller,  Fragm.  bist.  gr.  II  450  im  Sinne  Mannerts  für 
die  Annahme  aus,  dass  bloss  Hieronymos  der  Diadochen- 
geschichte Diodors  zu  Grande  gelegt  sei.  In  neuen  Fluss 
kam  die  Frage,  als  es  sich  herausstellte,  welches  Werk  in 
den  auf  Agathokles  von  Syrakus  bezüglichen  Stücken  des 
XIX.  und  XX.  Buchs  benützt  ist.  Dass  hier  Duris  Diodors 
Quelle  ist,  kann  keinem  Zweifel  mehr  unterliegen,  s.  Haake, 
de  Duride  Samio  Diodori  fönte.  Dissert.  Bonn  1874;  Roe- 
siger,  de  Duride  Samio  Diodori  Siculi  et  Plutarchi  auctore. 
Dissert.  Göttingen  1874;  ünger  im  Philol.  Anzeiger  7,126; 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte,  369 

Nitsche,  König  Philipps  Brief  au  die  Athener  und  Hiero- 
nymos  von  Kardia.  Progr.  d.  Sophiengymn.  Berlin  1876. 
Jetzt  musste  sich  die  Erwägung  nahe  legen,  ob  nicht  auch 
die  Diadochengeschichte  auf  Duris  zurückgeht,  und  da  ein 
Fragment  dieses  Geschichtschreibers  grosse  Aehnlichkeit  mit 
einer  Stelle  derselben  zeigt,  so  haben  Haake  und  Roesiger 
auch  jene  aus  ihm  abgeleitet.  Dieser  von  mir  a.  a.  0. 
wenigstens  für  einen  Theil  der  Diadochengeschichte  beifällig 
aufgenommenen  Ansicht  setzte  aber  Nitsche  entschiedenen 
Widerspruch  entgegen;  die  von  ihm  entwickelten  Gründe 
billigte  Droysen  im  Hermes  11,464  und  die  neue  Ausgabe 
seines  Werkes  behandelt  demgemäss  Hieronymos  als  den 
Gewährsmann  Diodors  (Geschichte  der  Diadochen  1878) ; 
zu  demselben  Ergebniss  kam  Reuss,  Hieronymos  von  Kar- 
dia. Berlin  1876,  Volqnardsen  in  Bursians  Jahresbericht 
für  1876.  I.  401  ff.  und  Kallenberg,  die  Quellen  der  Nach- 
richten über  die  Diadochenkämpfe  bis  zum  Tode  des  Eume- 
nes  und  derOlympias,  im  Philologus  37,223  ff.  Nur  Rössler, 
de  Duride  Diodori  Hieronymo  Duridis  auctore.  Dissert. 
Göttingen  1876  hat  Haakes  und  Roesigers  Meinung  wieder 
aufgenommen  und  nicht  ohne  Scharfsinn,  jedoch,  wie  Vol- 
qnardsen a.  a.  0.  zeigt,  mit  unzureichenden  Gründen  ver- 
fochten. 

Die  Benützung  des  Hieronymos  durch  Diodor  halte  ich 
auf  Grund  der  angeführten  Darlegungen  für  unumstösslich 
erwiesen,  obwohl  nicht  alle  in  denselben  vorgebrach- 
ten Beweise  für  stichhaltig  gelten  dürfen  und  andere  nicht 
vollständig  zu  ihrem  Recht  gekommen  sind.  Auch  reichen 
dieselben  nicht  aus ,  um  die  Ableitung  der  ganzen  Diado- 
chengeschichte aus  Hieronymos  zu  begründen ;  von  mehreren 
Abschnitten  des  XVHI.  und  XIX.  Buchs  dürfte  sich  viel- 
mehr mit  Evidenz  zeigen  lassen,  dass  sie  anderen  Ursprungs 
sind.  Dies  soll  in  Cap.  IH  der  vorliegenden  Arbeit  unter- 
nommen und  im  Cap.  IV  der  Name  des  anderen  Gewehrs- 


370  Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  4   Mai  1878. 

manns  aufgesuclit  werden ;  zu  diesem  Behuf  ist  es  aber 
nötliig,  vorher  die  Gründe,  welche  für  Hierouymos  als 
Hauptquelle  sprechen,  zusammenzustellen  und,  weil  ich  einen 
Hauptbeweis  für  die  Annahme  von  zwei  Quellen  in  dem 
Vorhandensein  einer  doppelten  Jahrrechnung  finde,  die  des 
Diodoros  und  Hieronymos  nachzuweisen.  Die  Fragmente 
der  späteren  Bücher  habe  ich  nicht  in  den  Kreis  der  Un- 
tersuchung gezogen. 

I. 
Hieronymos. 

Fest  steht,  dass  Diodor  überall  gute  alte  Quellen,  an- 
gesehene Originalwerke  zu  Grunde  gelegt  hat  ,  wie  für 
die  griechische  und  allgemeine  Geschichte  bis  auf  Philippos 
von  Makedonien  den  Ephoros,  für  die  sicilische  und  unter- 
italische Timaios,  über  Alexander  d.  Gr.  Kleitarchos,  bei 
Agathokles  Duris,  endlich  in  der  römischen  Zeit  Polybios 
und  dessen  Nachfolger  Poseidonios.  Solcher  gab  es  für  die 
Diadochengeschichte  drei :  Diyllos  von  Athen ,  den  Fort- 
setzer des  Ephoros  für  die  Zeit  von  341  —  296,  Hieronymos 
den  Geschichtschreiber  der  Diadochen  von  323  bis  minde- 
stens zum  Tod  des  Pyrrhos,  und  Duris,  dessen  allgemeine 
Geschichte  von  370. bis  281  oder  weiter  reichte.  Ferner 
hat  sich  bis  jetzt  keine  Spur  davon  gezeigt,  dass  Diodor 
mehrere  Quellen  ineinander  verarbeitet;  vielmehr  hat  er 
wahrscheinlich  überall  nur  einen  Gewährsmann  zu  Grund 
gelegt  und  darf  mithin  jede  zusammenhängend  dargestellte 
Partie  vollständig  auf  die  Quelle  zurückgeführt  werden, 
welche  an  einer  oder  mehreren  Stellen  derselben  zu  er- 
kennen ist. 

Gleich  den  Anfang  der  diodorischen  Diadochengeschichte 
von  XVIIl  1  bis  21  dürfen  wir  darauf  hin  dem  Hieronymos 
zuweisen:  denn  die  einzelnen  Stücke  dieses  Abschnitts  ver- 
rathen    eine  Quelle,    in    welcher    die    Geschichte  Alexander 


ünger:  Dioäors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.  371 

des  Grossen  nicht  beschrieben  war.  Für  die  Geschichte  des 
kyrenaischen  Krieges  hat  dies  Reuss  p.  116  an  XVIII  19 
gezeigt:  f.israßrjaoi.isS'a  jtQog  rov  sv  rfj  Kvqrivrj  TtoXefxov  %va 
de  f.ir  (xaxqdv  Tolg  xQovoLg  ajtonXavixJixev  to  ovve%eg  rrjg 
^OTOQiag,  avaynaiov  eoti  ßqaxv  Totq  xgovoig  jtQOOavaöqafxeiVy 
07tiog  oaqtsGTegag  7toii^ocof,iev  rag  xard  i-iegog  ngd^eig.  Di5'llos 
und  Duris  hatten  die  Vorgänge,  auf  welche  hier  zurück- 
gegangen wird,  sicher  schon  in  der  Geschichte  Alexanders 
erwähnt,  zumal  da  sie  Athen  mitbetrafen;  sie  würden  sich 
also  jetzt  mit  einer  kurzen  Rückverweisung  begnügt  haben. 
In  noch  höherem  Grade  gilt  dieser  Grund,  wie  wir  glauben, 
von  der  Einleitung  zur  Geschichte  des  lamischen  Krieges 
XVIII,  8 :  Lddrjvaioi  TtQog  ^vxiitatqov  TtoXe^ov  e§r]V£yyiav 
Tov  6po(.iao&evra  ylafxiaKOv.  rovxov  öe  y.al  tag  alrlag  dv- 
ayyiaiov  eori  TCQoeyiS^io&ai  xdqiv  tov  üafpeOTiqag  yereod^ai 
rdg  ev  atra)  ovvreleod^eloag  Trqd^eig.  Ebenso  würde,  worauf 
Brückner  p.  263  aufmerksam  macht,  auch  die  geographische 
Auseinandersetzung  über  die  Satrapien  XVIII  5  —  6  ein 
Anderer  als  Hieronymos  schon  unter  Alexander  angebracht 
haben. 

Zu  drei  Fragmenten  des  Hieronymos  finden  sich 
Parallelstellen  bei  Diodor.  Ueber  den  Tod  des  Ariarathes 
stimmt  XVIII  16  fast  wörtlich  mit  Hieron.  bei  Ps.  Lukianos 
Makrob.  13  überein  und  die  ihm  eigenthümliche  Vorstellung 
über  den  Weg,  welchen  Alexander  durch  Kleinasien  nahm, 
bei  Appianos  Mithrid.  8  findet  sich  XVIII  3  und  16  wieder. 
Dadurch  wird  die  eben  besprochene  Ableitung  des  Anfangs  der 
Diadochengeschichte  Diodors  für  den  asiatischen  Theil  der- 
selben bestätigt.  'Das  dritte  Fragment,  das  Todte  Meer  be- 
treffend, bei  Sotion  33  (Westermann  Paradoxogr.  p,  188), 
stimmt  genau  zu  XIX  98  und  die  ganze  so  ausführliche 
Darstellung  der  verhältnissmässig  geringfügigen  Unternehm- 
ungen  des   Antigonos   gegen   die   Nabataier   XIX    94—100 


372         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Mai  1878, 

begreift  sich  eben  daraus,  dass  Hieronymos  selbst  dabei  be- 
theiligt war. 

Dies  führt  uns  auf  einen  andern,  noch  nicht  genug 
hervorgehobenen  Punkt,  auf  die  wiederholte  Nennung  des 
Hieronymos,  welche  an  allen  vier  Stellen  nur  in  der  Ab- 
stammung derselben  aus  seinem  Werke  eine  genügende  Er- 
klärung findet.  Die  erste  steht  XVIII  42  6  Evi^Uvrjg  rtqog 
tov  ^vTinaTQOv  TtQeoßevrag  ajtlöTuXe  Tteql  tcüv  ofioloyitvi^ 
cüv  r]v  i^yovf.i€vog  "^leqwvv^iog  6  xag  rcov  dLaö6%o)v  lavoQiag 
yeyQa(p(lg.  Für  die  Nachwelt  war  es  gleichgiltig,  wie  der 
Sprecher  der  Gesandtschaft  hiess,  und  bei  anderen  Gesandt- 
schaften legt  unser  Geschichtschreiber  kein  Interesse  für 
den  Namen  ihrer  Träger  an  den  Tag,  z.  B.  XVIII  49 
e^aTteotEiXe  {Kaooavdqog)  Ttqog  nrolsf-imov  lad^qa  JtqE- 
aßevTccg ;  57  e7tef.i\pe  de  xal  Ttqog  Evi.ievrj ;  XIX  57  TtaQ- 
eyevovTO  Ttqeoßeig  jtaqa  re  Urolei^ialov  Kai  ^voifidxov  xal 
KaoaavÖQOv.  Wir  würden  daher  auch  hier  nur  einen  ähn- 
lichen Ausdruck  lesen  wie  in  derselben  Sache  bei  Justinus 
XIV  2,  4  legatos  deinde  ad  Antipatrum  misit,  wenn  der 
Gewährsmann  nicht  ein  sehr  grosses  Interesse  für  die  Per- 
son des  Botschafters  gehabt  hätte,  d.  h.  wenn  er  es  nicht 
eben  selbst  gewesen  wäre.  Ganz  dasselbe  gilt  von  XVIII  50 
^ivTiyovog  '^leqojvvf.iov  (.liv  tov  zog  lazoQiag  ygaipavza  fAer- 
ETtefxipaTOj  g)iXov  ovta  y,al  TtollTrjv  Ev/uevovg  tov  Kaqdiavov 
TOV  ovf-iTtefpevyoTog  elg  NwQa.  tovtov  de  ixeyaXaig  Scogeälg 
TtQoytaXeoafAsvog  e^arteoTeiXe  TtqeaßevTTjV  Ttqog  tov  Ev/xevr]^ 
TtagaKaliov  Trjg  (abv  Tteql  KaTtrcctdoKiav  (Aaynfjg  yevoi^ievr^g 
Ttqog  avTov  hcLlad^ead^ai  etc.  Gegen  Roesiger  p.  59  und 
Roessler  p.  29,  welche  hier  eine  Bestechung,  der  sich  Hiero- 
nymos zugänglich  gezeigt  habe,  und  demgemäss  einen  Be- 
weis gegen  seine  Autorschaft  finden,  hat  das  Nöthige  Droysen 
1,  191  und  Volquardsen  p.  410  bemerkt;  es  war  vielmehr 
ein  Freundschaftsdienst,  denn  Eumenes  wäre  sonst  aus  der 
Einschliessung   nicht   befreit  worden,  und  Hieronymos  gibt 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengesckichte.  373 

zugleich  zu  verstehen,  wie  hoch  seine  eigene  Mitwirkung 
von  Antigonos  augeschlagen  wurde.  Auf  Grund  dieser  zwei 
Stellen  sind  die  Capitel  XVIII  40  -  42  und  50-53  auf 
Hieronymos  zurückzuführen.  —  Noch  weit  weniger,  ausser 
für  Hieronymos  selbst  oder  etwa  einen  Literarhistoriker, 
war  zur  Nennung  desselben  und  überdies  zur  Hervorhebung 
seiner  Lebensumstände  XIX  44  Anlass,  wo  er  in  der 
kläglichen  Stellung  eines  Gefangenen  und  Verwundeten  vor 
allen  seinen  Schicksalsgenossen  herausgehoben  wird :  dvrjxS^rj 
ö^ev  to7g  rqavpiaTiatg  alxf^cclcorog  y,al  6  rag  loToqiag  ovvza- 
^(Xf.ievog  '^IsQOJvvj.iog  6  Kaqdiavogj  og  tov  f^ev  ei^iTtQOod^ev 
XQOvov  VTt  Eifxivovg  TifAcoi^ievog  öieteleöe ,  (-lEza.  de  tov 
i-aelvov  d-ctvarov  vn  !Auziy6vov  IxvyyavE  (fiXavd^QiOJtiag  'Aal 
TtiOTecog ;  im  Munde  des  Hieronymos  selbt  hat  diese  Hervor- 
hebung ebenso  wie  die  andern  den  Zweck,  dem  Leser  be- 
merklich zu  machen,  dass  der  Erzähler  Augenzeuge  und 
Mitwirkender  bei  den  Ereignissen  gewesen  ist.  Ein  grosser 
Theil  des  XIX.  Buchs,  die  ganze  Erzählung  von  dem  mehr- 
jährigen Krieg  zwischen  Eumenes  und  Antigonos  sammt 
dem  Bericht  von  der  Rückkehr  des  letztereu  aus  Hochasieu, 
zeigt  sich  hieran  als  Auszug  aus  Hieronymos.  —  Etwas 
bedeutender  ist  die  Stellung,  welche  Hieronymos  XIX  100 
einnimmt:  die  eines  Verwalters  der  Asphaltgewinnung  aus 
dem  Todten  Meer.  Vergleicht  man  die  grossartigen  Ver- 
hältnisse, in  welchen  die  sonst  in  der  Diadochengeschichte 
gemannten  Personen  auftreten,  so  wird  man  finden,  dass  ein 
anderer  Gewährsmann  als  Hieronymos  selbst  von  dem  Ver- 
walter entweder  gar  nicht  gesprochen  oder  ihn  nur  so  un- 
bestimmt bezeichnet  haben  würde,  wie  dies  z.  B.  XVIII  53 
in  den  Worten  6  TtohoQxcov  tov  Evj.ievrj  mit  dem  Stellver- 
treter des  Antigonos  vor  Nora  geschieht.  Der  Abschnitt 
aber,  dem  unsere  Stelle  angehört,  hat  sich  schon  aus  einem 
andern  Grunde  p.  371  als  Eigenthum  des  Hieronymos  heraus- 
gestellt. 


374         Sitzung  der  philos.-philoL  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

Viele  Eigenthümlichkeiteu  und  Vorzüge  der  diodorischen 
Diadochengeschiclite  sind  treffend  aus  den  Lebensverhält- 
nissen und  Schicksalen  des  Hieronymos  erklärt  worden, 
während  sie  aufDiyllos  und  Duris  keine  Anwendung  finden. 
Den  Militär,  den  Augenzeugen  vieler  Ereignisse,  den  Theil- 
nehmer  mancher  von  den  beschriebeneu  Feldzügen ,  den 
persönlichen  Kenner  der  asiatischen  Gegenden  welche  ge- 
nannt und  geschildert  werden ,  den  Vertrauten  mehrerer 
von  den  bedeutendsten  Machthabern  verrathen  die  einge- 
henden Darstellungen  einzelner  Vorgänge,  die  zahlreichen 
geographischen  Auseinandersetzuagen ,  die  genauen  Orts- 
uud  Zeitangaben,  der  tiefe  Einblick  in  die  Beweggründe  und 
letzten  Absichten  der  handelnden*  Personen,  die  authenti- 
sche Mittheilung  von  Briefen  und  Urkunden,  s.  Reuss  p. 
85  — 113  und  Kallenberg  p.  222  fg.  Noch  weiter  führen 
die  Nachweise  des  letzteren  p.  224  fg. :  wie  Diodor  am  aus- 
führlichsten bei  den  drei  Männern  wird,  in  deren  Dienst  und 
Vertrauen  Hieronymos  nacheinander  gestanden,  beiEumenes 
Antigonos  und  Demetrios,  wie  die  Marschzeiten  und  Weg- 
längen, die  Stärkeverhältnisse  der  Truppen,  die  Schlacht- 
aufstellungen u.  a.  am  meisten  und  genauesten  bei  den  Un- 
ternehmungen und  auf  der  Seite  dieser  drei  Heerführer  zu 
finden  sind. 

Unter  den  Beweisen,  welche  Nitsche  gegen  die  Ableit- 
ung der  Diadochengeschichte  Diodors  aus  Duris  vorbringt, 
ist  der  triftigste  die  durchgängige  Verschiedenheit  der  Aus- 
drücke, in  welchen  einerseits  dort,  andererseits  in  der  Ge- 
schichte des  Agathokles  Diodor  von  der  göttlichen  Welt- 
regierung spricht  (vgl.  Cap.  HI  zu  XIX  \\).  Da  manche 
Stücke  der  ersteren ,  in  welchen  derartige  Ausdrücke  vor- 
kommen, positive  Merkmale  des  Hieronymos  an  sich  tragen, 
so  hat  man  das  Recht,  auch  diejenigen,  in  welchen  nur 
jene,  nicht  aber  diese  sich  finden,   dem  Kardianer  zuzuweisen, 


ünger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.  375 

und  es  wird  dadurch  die  Zahl  der  hieronymischen  Stücke  aber- 
mals vermehrt. 

Doch  reichen  alle  diese  Kriterien,  jedes  an  jeder  Stelle 
auf  die  ganze  in  sich  zusammenhängende  Partie  in  welcher 
es  vorkommt  ausgedehnt,  noch  nicht  hin,  sämmtliche  in  sich 
abgeschlossene  Stücke  auf  Hieronymos  zurückzuführen.  Die 
Möglichkeit,  dass  von  den  übrigbleibenden  wenigstens  eip 
Theil  aus  einer  andern  Quelle  geflossen  ist,  muss  zugegeben 
werden  und  Nitsche  selbst  hat  zwei  Abschnitte  namhaft  ge- 
macht, in  welchen  wir  Benützung  des  Duris  erkennen  sol- 
len: XIX  32,3—34,6  und  44,4-5;  obwohl  freilich  der 
Beweis  ihm  nicht  gelungen  ist.  In  der  erstgenannten  Stelle, 
welche  eine  indische  Wittwenverbrennung  schildert ,  fin- 
det er  die  schriftstellerische  Weise  des  Duris  deutlich 
ausgeprägt:  ein  vager  Grund,  welcher  auf  Volquardsen  kei- 
nen Eindruck  gemacht  hat,  und  welchen  wir  unsererseits 
desswegen  ablehnen  müssen,  weil  wir  weder  von  Hierony- 
mos noch  von  Duris  ein  wörtlich  ausgeschriebenes  Fragment 
von  solcher  Ausführlichkeit  besitzen,  dass  man  über  ihren 
schriftstellerischen  Charakter  so  bestimmt  urtheilen  könnte. 
Die  andere  Stelle  zeigt  starke  Anklänge  an  Fragm.  25  des 
Duris;  sie  ist  daher  von  Haake,  Rosiger  und  mir  (vgl.  auch 
Rössler  p.  53)  als  Ilauptbeweis  für  die  Benützung  desselben 
in  Diodors  Diadochengeschichte  angesehen  worden.  Vol- 
quardsen sucht  diesen  dadurch  zu  entkräften ,  dass  er  Be- 
nützung des  Hieronymos  auch  bei  Duris  annimmt.  In  der 
That  könnte,  da  Duris,  wie  Roesiger  p.  34  zeigt,  den  Timaios 
gelesen  und  dieser  nach  Dionys.  Hai.  antiq.  I  6  später  als 
Hieronymos  geschrieben  hat,  die  Uebereinstimmung  zwischen 
Duris  und  Diodor  sich  aus  gemeinsamer  Benützung  des 
Hieronymos  erklären ;  eine  genauere  Vergleichiing  hat  mich 
aber  zu  der  Ueberzeugung  gebracht,  dass  diese  Ueberein- 
stimmung nicht  so  gross  und  der  gemeinsame  Ursprung 
nur    scheinbar   ist       Das    Fragment   bei   Strabou  13,    19 


376        Sitzung  der  philos.- philo!.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

JoiQig  rag'^Payag^)  Tag  naxa  Mr^diav  cdvojuaG&ai  cprjalv  vird 
oeiOf-icov  Qayelarjg  zrjg  Tteql  rag  Kaorciovg  jvvXag  yYJg^  cuGTS 
avarQarrrjvaL  TtoXeig  ovyvdg  Kai  Kto/itag  /.al  noTa(.iovg  7toi- 
xlkag  (.leraßolag  dt^aaO-ai  ist,  wie  wir  glauben,  anderen  Ur- 
sprungs als  Diod.  XTX  44  elg  xr^v  litaQ^ylav  tyjv  7tQoaayo()ev- 
Ofitvrjv  ^Payag,  i]  Tavrrjv  Tiqv  TtQOOrjyoQiav  eo%ev  and  tcov 
yEvof-dvwv  TTEQi  avTTJv  drvyrji^iaTcov  ev  xdlg  e{.i7tQ0od^Ev  yqovoig^ 
TtXeiorag  ydq  tyoioa  jtoXeig  tcov  ev  e/.eivoig  xolg  xojcoig  xal 
f-iaXiara  evdauiovovoag  Tr]liy,ovtovg  kaye  oeioixovg,  Sgie  xal 
Tag  jcoXeig  Kai  Tovg  evoiKOivrag  anavTag  dfpaviG^tjvai,  Ka&6- 
Xov  de  Ti^p  yoJQav  dXXouod^rjvaL  Kai  fiOTaf^iotg  ccvtI  tcov 
nqovTtaQyovTtov  aXXovg  (favivai  Kai  Xi^vag.  Diodor  lässt 
die  Flüsse  verschwinden  und  ganz  neue  nebst  Seen  zum 
Vorschein  kommen,  bei  Daris  erleidet  bloss  der  Lauf  der 
Flüsse  eine  Abänderung ;  ihm  ist  Rhagai  wie  allen  Schrift- 
stellern der  späteren  Zeit  eine  Stadt,  die  bedeutendste  der  Ge- 
gend welche  in  den  Worten  Tr^g  tteqI  Tag  Kaojtiovg  TttXag  be- 
zeichnet ist :  Diodor  dagegen  nimmt  den  Namen  Rhagai  in 
der  älteren  hier  allein  erhaltenen  Bedeutung  als  Bezeich- 
nung eben  dieser  Gegend  ;  da  nicht  bloss  jene  Stadt  sondern 
wie  Poseidonios  bei  Strabou  XI  9,  1  angibt  2000  Städte 
und  Dörfer  von  dem  Erdbeben  getroffen  worden  sind ,  so 
nannte  man  das  Ganze  die  Gegend  der  Erdstösse.  Darum 
spricht  Diodor  von  dem  Untergang  aller  Städte  und  Wohn- 
ungen, Duris  dagegen  von  dem  vieler. 

Einen   festeren  Halt  wird  die  Frage,    ob  neben  Hiero- 


1)  Die  Hdss.  '■PayaSag,  was  die  Herausgeber  mit  Recht  geändert 
haben.  Der  Narae  Rhagai  kommt  sehr  oft  und  immer  in  dieser  Form 
vor;  eine  Nebenform  ^^Payd^ig  'Payadcu  wäre  aus  dem  Griechischen 
schwer  zu  erklären.  Woraufhin  Nitsche  p.  U  den  Namen  alteinheimisch 
nennt,  weiss  ich  nicht;  die  Makedoner  und  Griechen  kamen  schon  330 
in  die  Gegend  und  Hieronymos ,  mit  dem  auch  Duris  in  der  Ableitung 
aus  dem  Griechischen  übereinstimmt,  war  sicher  in  der  Lage,  das  zu 
wissen. 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  Biadochengeschichte.  377 

nymos  noch  eine  zweite  Quelle  Verwendung  gefunden  hat, 
gewinnen,  wenn  wir  ein  noch  nicht  beachtetes  Merkmal  der 
Zugrundlegung  des  ersteren  ins  Auge  fassen,  nämlich  das 
Vorkommen  der  von  ihm  eingehaltenen  Jahrform. 

IL 

Die  Jahrrechnung  Diodors  und  des  Hieronymos. 

Der  herkömmlichen  und  allgemein  geltenden  Annahme 
zufolge  sind  die  Jahrbeschreibungen  Diodors  auf  sogenannte 
Olyrapiadenjahre  gestellt,  d.  i.  auf  attische,  mit  dem  Neu- 
mond nach  der  Sommersonnwende,  also  um  den  1.  Juli  au- 
fangende  Archonten jähre,  welche  mit  der  Nummer  eines 
von  den  vier  Jahren  der  gerade  treffenden  Olympiade  ver- 
sehen sind,  und  da  die  Qaellenschriftsteller,  welche  er  nach 
und  neben  einander  auszieht,  die  verschiedensten  Jahrformen 
zu  Grunde  gelegt  haben  ,  so  nimmt  man  weiter  an ,  dass 
Diodor  sich  selbst  die  Mühe  genommen  habe ,  dieselbe  in 
seine  eigene  umzusetzen  und  die  Jahrbeschreibungen  der- 
jenigen Geschichtschreiber,  welche  das  Jahr  nicht  mitten 
im  Sommer  aufiengen,  so  zu  zertheilen,  dass  die  der  Som- 
mersonuwende  vorausliegenden  Ereignisse  der  vorausgehen- 
den Jahrbeschreibung  zufielen ;  bei  diesem  Unternehmen  habe 
er  aber  oft  Fehler  begangen,  so  dass  z.  B.  in  der  Diado- 
chengeschichte er  nach  Reuss  und  Volquardsen  fast  lauter 
1/2  — 11/2  Jahre  lange  Abschnitte  erhalten  hätte. 

Die  Annahme,  dass  Diodor  nach  solchen  Olympiaden- 
jahren gerechnet  habe,  ist  weiter  nichts  als  ein  hergebrach- 
tes Vorurtheil.  Diodor  selbst  sagt  nirgends,  dass  er  den 
attischen  Jahranfang  als  Epoche  seiner  Jahrbeschreibungen 
angesehen  wissen  will;  er  spricht  sich  überhaupt  nirgends 
geflissentlich  über  die  von  ihm  beobachtete  Jahrform  aus 
und  was  zu  jener  Annahme  Anlass  gegeben  hat,  ist  ledig- 
lich der  Umstand,  dass  er  jeder  Jahrbeschreibung  den  Na- 


378         Sitzung  der  philos.-philoL  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

men  des  entsprechenden  attischen  Archonten  und  von  vier 
zu  vier  Jahren  die  Nummer  der  gerade  treffenden  Olympien- 
feier vorausschickt.  Schon  diese  zwei  Datirungen  sind  keines- 
wegs, wie  man  gewöhnlich  glaubt,  übereinstimmend  :  denn 
die  Olympien  wurden  erst  in  der  Mitte  des  zweiten  atti- 
schen Monats  Metageitnion  abgehalten^);  noch  schlimmer 
für  jene  Annahme  ist  aber,  dass  Diodor  ausser  den  Archon- 
ten auch  die  römischen  Consuln  vor  jeder  Jahrbeschreibung 
nennt,  deren  Amtsepoche  in  verschiedenen  Zeiträumen  ver- 
schieden,  zuletzt  aber,  seit  153  v.  Gh.,  auf  den  1.  Janaar 
altrömischen  Kalenders  gefallen  ist,  ein  Datum  das  selbst 
wieder  vielen  Abirrungen  ausgesetzt  war  und  zu  Zeiten  so- 
gar in  den  Oktober  oder  September  des  vorhergehenden 
julianischen  Jahres  zu  stehen  kam.  Beide  Datirungen,  die 
attische  und  die  römische,  behandelt  Diodor  ganz  in  gleicher 
Weise,  er  gibt  der  ersten  so  wenig  den  Vorzug,  dass  ein 
hervorragender  Forscher,  wie  wir  sogleich  sehen  werden, 
sich  geradezu  für  die  andere  entscheiden  konnte,  und  wenn 
derselbe  auch  darin  zu  weit  gieng,  so  ist  doch  der  Anfang 
im  Laufe  des  Sommers  diejenige  Epoche,  welche  man  im 
ganzen  Werke  Diodors  am  seltensten  eingehalten,  wohl  aber 
in  sehr  vielen  Fällen  Ereignisse  an  der  Spitze  des  Jahres 
findet,  welche  dem  Frühling  und  überhaupt  der  Zeit  vor  der 
Sommersonnwende  angehören.  So  flüchtig  Diodor  auch  ge- 
arbeitet hat  und  für  so  ungeschickt  er  auch  gilt :  das  ist 
doch  niemals  denkbar,  dass  wenn  er  die  Absicht  hatte,  in 
den  meist  ausführlichen  und  mit  Jahrzeitangaben  verse- 
henen Jahrbeschreibungen  seiner  Quellen  die  Zeit  der  Sora- 
mersonn wende  aufzusuchen,  er  sie  so  oft  mit  dem  Frühlings- 
anfang verwechselt  hätte,  und  ganz  unbegreiflich  bleibt  dabei, 
wie  es  kommt,  dass  wir  in  der  Diadochengeschichte  den 
Jahranfang  überall  an  der  Grenze  des  Winters  finden. 


2)  Unger,  der  Olyrapienmonat.    Philologus  33,  227  ff. 


XJnger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.  379 

Der  einzige,  welcher  sich  frühzeitig  von  jenem  Vorur- 
theil  lossagte,  ist  Droysen,  Gesch.  d.  Nachf.  Alex.  p.  674 : 
er  nimmt  als  Jahrepoche  Diodors  das  römische  Neujahr 
seiner  Zeit,  den  1.  Januar,  und  erklärt  die  vielfachen  Ab- 
weichungen, welche  sich  ihm  aufgedrängt  haben,  für  die  Folge 
von  Irrthum  und  Flüchtigkeit  des  Compilators.  Wie  Dio- 
dor  zur  .Wahl  dieser  Epoche  kam,  gibt  er  nicht  an ;  sie 
entfernt  sich  nicht  weit  von  der  wirklich  in  der  Diadochen- 
geschichte zu  Grunde  gelegten,  entfernt  sich  aber  doch  von 
ihr  und  in  den  andern  Partien  d'es  ganzen  diodorischen 
Werkes  ist  sie  noch  viel  weniger  anwendbar.  In  der  Chrono- 
logie des  Manetho  (1867  p.  293)  stellte  ich  als  Diodors  Jahr- 
epoche den  Anfang  des  Frühlings  auf,  desswegen  weil  die- 
ser in  den  aus  Timaios  und  aus  Hieronymos  gezogenen 
Stücken,  ebenso  in  vielen  aus  der  hellenischen  Geschichte 
wirklich  an  der  Spitze  der  Jahrbeschreibungen  auftritt; 
aber  die  Voraussetzung,  welche  ich  mit  andern  theilte,  dass 
Diodor  sich  der  Arbeit  einer  chronologischen  Umrechnung 
unterzogen  habe,  hat  sich  mir  seitdem  als  trüglich  erwiesen. 
Diodor  behält  überall  dieJahrform  sein  erQuelle 
bei.  Ein  Compilator  wie  Diodor,  der  immer  nur  eine  einzige 
Quelle  auszieht,  anstatt  mehrere  ineinander  zu  arbeiten,  der 
auch  diese  Auszüge  so  flüchtig  macht,  dass  es  ihm  oft  be- 
gegnet Vorgänge  zum  zweiten  Male  zu  erzählen,  die  er  nach 
einer  andern  Quelle  schon  einmal  dargestellt  hatte,  ein  so 
eilfertiger  Scribent  befasst  sich  nicht  mit  der  zeitraubenden 
Mühe,  die  Jahrrechnung  der  verschiedenen  Quellen,  welche 
er  in  der  Universalgeschichte  jedes  Jahres  benützt,  einheit- 
lich umzugestalten ;  in  manchen ,  wie  z.  B.  den  römischen 
fand  er  die  Jahreszeit  oft  gar  nicht  angegeben  und  die  Her- 
stellung des  attischen  Jahranfangs  würde  ihm  wirkliche 
Schwierigkeiten  entgegengesetzt  haben ,  weil  die  meisten 
Schriftsteller  mit  einer  von  den  vier  Jahreszeiten  beginnen, 
jener    aber   mitten    in   den  Lauf  des  Sommers    fällt.     Den 


380  Sitzung  der  philos.'philol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

schlagendsten  Beweis,  dass  Diodor  mit  den  Jahrbeschreib- 
ungen auch  die  Jahrform  seiner  Quellen  angenommen  hat, 
liefern  die  römischen  Abschnitte :  sie  halten  sich  überall 
genau  an  das  Jahr  der  am  Anfang  genannten  Consuln.  Die 
Stücke  aus  Timaios  haben ,  wie  Volquardsen,  Quellen 
des  Diodor  p.  80  zeigt,  die  Prühjahrsepoche;  dieselbe 
wird  sich  unten  in  der  Diadoch engeschichte,  so  weit  sie  auf 
Hieronymos  ruht,  ergeben,  während  andere  Stücke  derselben 
das  Jahr  mit  dem  Winter  anfangen  lassen.  Dass  daneben, 
wenn  die  Quelle  nach  attischen  Archouten  gerechnet  hat, 
auch  diese  den  Jahranfang  bestimmen  können,  habe  ich  an 
der  Geschichte  des  archidamischen  Krieges  gezeigt,  s.  Akad. 
Sitzungsberichte  1875.  II,  13.  Wir  können  daher  dem  Com- 
pilator  für  seine  Flüchtigkeit  noch  dankbar  sein:  die  Be- 
obachtung der  Jahrrechnung  liefert  ein  Merk- 
mal der  jedesmal  von  Diodor  benützten 
Quelle. 

Die  Jahrepoche  der  diodorischen  Diadochengeschichte 
ist  also  die  des  Hieronymos  selbst  und  letztere  lässt  sich, 
da  nach  unsrer  Ansicht  wenigstens  kein  Schriftsteller  jenen 
treuer  wiedergegeben  hat  als- eben  Diodor,^)  nur  aus  die- 
sem gewinnen.  Nach  Reuss  p.  81  hätte  Hieronymos,  da 
er  sein  Leben  unter  Makedonen  ,  zuerst  im  Lager  des  Eu- 
menes,  dann  bei  den  Antigoniden  zubrachte,  nach  makedo- 
nischem Kalender  gerechnet,  also  das  Jahr  um  den  1.  Ok- 
tober begonnen  ;  einen  Beweis  für  diese  Vermuthung  hat 
er  nicht  beigebracht  und  es  Hessen  sich  Beispiele  genug  von 
Geschichtschreibern  beibringen,  welche  sich  nicht  nach  dem 
Kalender    ihres  Wohnorts    gerichtet    haben.     Weit    besser, 


3)  Gemeinhin  sieht  man  Diodor,  Plutarch,  Polyaen,  Appian,  Ne- 
pos  u.  a.  in  gleicher  Weise  als  Ausschreiber  des  Hieronymos  an;  sicher 
ist  die  unmittelbare  Benützung  desselben  für  die  Periode  vor  der  Schlacht 
bei  Ipsos  bloss  in  dem  Eumenes  des  Polyaen. 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte,  381 

wie  schon  bemerkt,  ist  die  von  Droysen  gegebene  Bestim- 
mung ;  da  sie  sich  aber  von  der  wahren  doch  um  zwei 
Monate  entfernt  und  die  auch  in  der  Jahrform  abweichende 
Nebenquelle  dabei  nicht  beachtet  ist,  so  können  wir  Droy- 
sens  Zeitbestimmungen  ebenso  wie  den  von  Reuss  gegebenen 
in  vielen  Fällen  nicht  beipflichten,  werden  aber  hier  und 
in  Cap.  in  auf  diese  Differenzen  nur  insoweit  eingehen, 
als  es  sich  darum  handelt,  Diodors  Chronologie  richtig  zu 
erklären  und  gegen  Angriffe  zu  vertheidigen,  welche  aus 
Verkennuug  derselben  hervorgegangen  sind ;  was  hier  über- 
gangen werden  muss,  lässt  sich  bei  richtigem  Verständniss 
der  Jahrrechnung  Diodors  aus  diesem  selbst  leicht  nach- 
holen. 

1.  Den  Anfang  der  asiatischen  Kriegsgeschichte  von 
Ol.  116,  1.  316  V.  Ch.  bildet  XIX  17  ff.  der  Zug  des  An- 
tigonos  aus  Mesopotamien  nach  Babylonien,  wo  er  mit  Se- 
leukos  und  Python  ein  Bündniss  schloss;  nachdem  er  eine 
Schiffbrücke  über  den  Tigris  geschlagen ,  rückte  er  nach 
Susa ,  ordnete  die  dortigen  Verhältnisse  in  seinem  Sinne 
und  brach  dann  gegen  Eumenes  und  die  Satrapen  des  Os- 
tens auf,  welche  vier  Tagmärsche  hinter  Susa  die  Linie  des 
Pasitigris  besetzt  hatten.  Von  Babylon  bis  Susa  brauchte  er 
nach  XIX  55  zu  schliessen  22  Tage;  andrerseits  hatte  der 
Satrap  von  Persis  bei  Antigonos  Herannahen  auf  Eumenes 
Bitte  nach  anfänglicher  Weigerung  10000  Bogenschützen 
aus  seiner  Satrapie  kommen  lassen,  welche  zum  Theil  30 
Tagreisen  entfernt  wohnten.  Da  Antigonos  an  einem  Zu- 
fluss  des  Pasitigris  zur  Zeit  des  Siriusaufgangs  (Diod.  XIX 
18),  also  um  den  23.  Juli  (Boeckh  Sonnenkreise  p.  211)  an- 
langte, so  lässt  sich  der  Aufbruch  aus  Mesopotamien  spä- 
testens mit  Droysen  1,  264  in  den  Mai  setzen.  Im  Herbst 
dieses  Jahres  spielte  der  Krieg  in  Paraitakane  ;  kurze  Zeit 
nach  der  Wintersonnwende  (XIX  37)  bekam  Antigonos  den 
Eumenes  in  seine  Gewalt.  Nach  einer  kurzen  Winterrast 
[1878  I.  Philös.-philol.-hist.  Cl.  4.]  28 


382  Sitzung  der  pJiilos.-philöl,  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

in  Medien  zog  er  nacli  Persepolis  und  von  da  nach  Susa. 
Hier  endigt  XIX  48  der  asiatische  Theil  der  Jahrbeschreib- 
ung. Der  Aufbruch  von  Susa  nach  Babylon  bildet  XIX 
55  den  Anfang  der  nächsten  Jahresgeschichte  Ol.  116,  2. 
315;  nach  kurzem  Aufenthalt  daselbst  rückte  er  nach  Ki- 
likien  und  erreichte  Mallos  nach  dem  Untergang  des  Orion 
(XIX  56),  d.  i.  nach  dem  24.  April. 

Der  Jahreswechsel  fällt  demnach  in  die  Mitte  zwischen 
Ende  December  und  Ende  April,  d.  i,  auf  den  Anfang  des 
Frühlings,  und  es  findet  sich  auch,  dass  diesen  weder  der 
Eintritt  des  Zephyr  um  den  7.  Februar  noch  die  Nacht- 
gleiche, sondern  der  populäre  Frühlingsanfang  mit  dem 
Spätaufgang  des  Arktur  um  den  25.  Februar 
(Boeckh,  Sonnenkreise  p.  76  &.  211)  bestimmt:  denn  die 
20  Tage  von  Ekbatana  nach  Persepolis  und  etwa  16  Tage 
von  da  nach  Susa  erlauben  nicht  an  den  7.  Februar  zu 
denken ;  andrerseits  führen  die  22  Tage  von  Susa  nach 
Babylon  nebst  wenigstens  7  Tagen  Aufenthalt  in  dieser 
Stadt  und  etwa  5  Wochen  Marsch  nach  Mallos  um  zwei 
volle  Monate  vom  Ende  des  April  zurück.*)  Zur  Bestätig- 
ung s.  Nr.  3  und  7. 

2.  Die  letzten  Jahresereignisse  auf  dem  karischen 
Kriegsschauplatz  Ol.  117,3.314  v.  Ch.  sind  ein  Anschlag 
der  Befehlshaber  Kassanders  gegen  die  Truppen  des  Anti- 
gonos,  welche  soeben  die  Winterquartiere  bezogen  hatteu, 
und  der  Ueberfall ,  mit  welchem  diese  ihnen  zuvorkamen 
(XIX  68).  Ebenso  wird  über  Antigonos  selbst  zuletzt  be- 
richtet, wie  er  in  Phrygien  sein  Heer  in  Winterquartiere 
legte,   dann  die  Flotte   aus  Phoinike   kommen    und   in  das 


4)  Die  Vertheidigung  der  Jahrverth  eilung  Diodors  für  die  Züge  und 
Unternehmungen  des  Antigonos  vom  Herbst  318  bis  zu  den  nemeischen 
Spielen  von  315,  aus  welcher  zugleich  folgt,  dass  der  Spätaufgang  des 
Orion,  nicht  sein  Frühaufgang  um  den  2.  December  gemeint  ist,  gegen 
Droysen  und  Reuss  geben  wir  im  Philologus  37,  328  ff. 


Ünger:  Ulodors  Quellen  in  der  DiadocJiengeschichte.  3S3 

griechische  Tnselmeer  fahren  liess,  wo  sie  eine  Seeschlacht 
gewann  (XIX  69).  In  beiden  Fällen  bildet  der  Winter 
den  Schluss  des  Jahres. 

3.  Die  Kriegsgeschichte  von  Ol.  117,  1.  312  v.  Ch. 
erfordert  eine  längere  Auseinandersetzung.  Zuerst  (XIX  77) 
schickte  Antigonos  ein  Heer  und  eine  Flotte  nach  Hellas, 
um  dieses  von  Kassander s  Herrschaft  zu  befreien.  Sein 
Befehlshaber  Ptolemaios  setzte  sich  an  der  boiotischen  Ost- 
küste fest,  bedrohte  Chalkis  und  nöthigte  dadurch  Kassan- 
der, die  Belagerung  von  Oreos  aufzuheben  und  Chalkis  zu 
schützen.  Jetzt  rief  Antigonos  die  Flotte  zurück,  sammelte 
seine  Truppen  in  Kleiuasieu  und  zog  eilig  an  den  Helle- 
s  p  o  n  t ,  um  entweder  Kassander  zum  Abzug  aus  Hellas  zu 
veranlassen  oder  Makedonien  wegzunehmen.  Kassander 
durchschaute  seinen  Plan:  er  brach  auf,  eroberte  aber  zu- 
nächst Oropos  und  gewann  die  Thebaner  zu  Bundesgenossen ; 
nachdem  er  dann  mit  den  andern  Boiotern  Waffenstillstand 
geschlossen,  zog  er  nach  Makedonien.  Antigonos  aber,  an 
der  Propontis  angelangt,  forderte  die  Byzantiner  zur 
Mitwirkung  auf  und  als  diese  sich  durch  eine  Botschaft  des 
Lysi machos  abschrecken  Hessen,  verlor  er  die  Lust  und  ver- 
theilte ,  zumal  auch  die  Jahreszeit  dazu  rieth  (XIX  77 
a/.ia  ÖS  xat  Trjg  xEif.ieQivrig  wQag  auyiiXeiovGrjg)  die  Soldaten 
von  Stadt  zu  Stadt  in  Winterquartiere. 

Die  griechisch-makedonische  Jahresgeschichte  schliesst 
also  wieder  mit  dem  Winter  und  wenn  in  derselben  Jahr- 
beschreibung auch  später  noch  von  Unternehmungen  des 
Antiochos  die  Rede  ist,  so  geschieht  das  doch  in  der  asia- 
tischen Geschichte  und  können  diese  sehr  wohl  in  die  Zeit 
vor  dem  Winter  312/1  verlegt  werden.  Aber  Droysen  2,  34 
und  Reuss  p.  164.  169  verlegen  alle  soeben  aus  XIX  77 
mitgetheilten  Vorgänge  in  das  vorausgegangene  Jahr  313: 
erstens  desswegen ,  weil  zur  Aufgabe  des  üebergangs  nach 
Europa  sich  Antigonos  nach  Paus.    16,5    auf   die  Nach- 

28* 


384        Sitzung  der  philos.-philolog.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

rieht  von  der  Niederlage  des  Demetrios  bei  Gaza  entschloss 
uüd  diese  Niederlage  sicher  im  Frühling  312  stattgefunden 
hat;  sodann  aber,  weil  die  nach  XIX  78-80  der  Schlacht 
von  Gaza  vorausgegangenen  und  sämmtlich  dort  dem  J.  312 
zugewiesenen  Ereignisse  unmöglich  im  Anfang  des  J.  312 
untergebracht  werden  können  und,  da  sie  den  Raum  einer 
ganzen  Kriegsjahrzeit  ausfüllen,  nothwendig  dem  J.  313 
zugewendet  werden  müssen  ;  es  ist  der  A-bfall  der  Kyreuaier 
von  Ptolemaios,  die  Unterdrückung  desselben,  die  darnach 
erfolgte  Unterwerfung  der  gleichfalls  aufrührerischen  ky pri- 
schen Fürsten ,  worauf  Ptolemaios  in  Kilikien  und  Nord- 
syrien landete  und  Verwüstungen  anrichtete,  endlich  der 
Zug  des  Demetrios  nach  Kilikien  und  zurück.  Demgemäss 
findet  Droysen  2,34,  dass  Diodor  die  Bezeichnung  des  neuen 
Jahres  117,1.312  erst  bei  XIX  81,  nicht  schon  bei  XIX  77 
hätte  anbringen  sollen.^) 

Wir  glauben,  dass  der  Jahreswechsel  ganz  am  rechten 
Orte  steht  und  nur  der  Inhalt  von  c.  78  —  80  (Mitte)  un- 
richtig aus  313  in  312  versetzt  ist;  schieben  wir  den  von 
c.  77  gleichfalls  in  313  zurück,  so  erhalten  wir  denselben 
Fehler,  welcher  an  c.  78—80  zu  bemerken  ist:  die  in 
jenem  Capitel  erzählten  Vorgänge  finden  nach  den  in 
c.  73—75  anerkannt  richtig  unter  313  erzählten  Ereig- 
nissen in  diesem  Jahre  nicht  mehr  Raum,  weil  letztere  schon 
eine  Kriegsjahrzeit  ausfüllen.  Nach  c.  73  verjagten  313  v. 
Ch.  die  Kallatianer  am  Pontos  die  Besatzung  des  Lysima- 
chos,  befreiten  Istros  und  andre  benachbarte  Städte  und 
alle  schlössen  mit  den  angrenzenden  Thrakern  und  Skythen 
ein  Bündniss.     Jetzt  zog  Lysimachos   mit  einem  Heer  über 


5)  Dass  c.  79  der  kyrenaisclie  Aufstand  mit  ins  ^'«^r^f  ^eQsias 
angeschlossen  wird,  kann  für  die  Zeit  des  vorausgehenden,  auf  dem 
europäischen  Schauplatz  sich  bewegenden  Berichts  nichts  beweisen:  denn 
irgendwo  hat  Diodor  hier  falsch  angeknüpft  und  das  ist  nach  unserer 
Ansicht  eben  an  dieser  Stelle  geschehen. 


Unger:   Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.  385 

den  Balkan,  griff  Odessos  an,  welches  sich  bald  ergab  und 
rückte,  nachdem  auch  andere  Städte  zum  Gehorsam  zurück- 
gekehrt waren,  vor  Kallatis ;  als  die  Skythen  und  Thraker 
zum  Entsatz  der  Stadt  herbeikamen ,  vertrug  er  sich  mit 
diesen,  jene  besiegte  er  und  verfolgte  sie  in  ihr  Land;  als 
er  aber  dann  Kallatis  belagerte,  schickte  Antigonos  Schiffe 
und  Truppen  gegen  ihn  aus.  Er  zog  ihnen  entgegen  ;  am 
Balkanübergang  musste  er  dem  Seuthes  eine  Schlacht  liefern, 
die  er  gewann  ;  dann  überraschte  er  das  Heer  des  Antigonos 
bei  Bjzantion  und  nahm  es  gefangen.  Als  Antigonos  diese 
Unternehmung  misslungen  sah,  schickte  er  den  Telesphoros 
mit  Land-  und  Seemacht  nach  Hellas  (XIX  74),  welcher 
zunächst  alle  früher  von  Polysperchons  Sohn  Alexander 
behaupteten  Städte  ausser  Sikyon  und  Korinth  von  ihren 
Besatzungen  befreite  ;  gleichzeitig  machte  Kassanders  Bruder 
Philippos  einen  Angriff  auf  die  Aitoler,  fiel  dann  in  Epeiros 
ein,  wo  er  den  Aiakides  besiegte,  und  als  derselbe  zu  den 
Aitolern  floh ,  zog  er  wieder  gegen  diese  und  schlug  sie  so 
aufs  Haupt,  dass  die  Bewohner  der  offenen  Orte  ins  Gebirg 
flohen. 

Das  zuletzt  erwähnte  Ereigniss  setzt  Droysen  2,  35 
selbst  ans  Ende  des  Sommers  313;  damit  ist  aber  die  Reihe 
der  Vorgänge ,  welche  dem  seiner  Ansicht  zufolge  noch  in 
das  J.  313  fallenden  Inhalt  von  c.  77  vorausgiengen,  noch 
nicht  am  Ende.  In  Karlen  war  unterdessen  Asander  zu 
Antigonos  übergegangen  (XIX  75),  dann  wieder  abgefallen ; 
Antigonos  schickte  gegen  ihn  den  Medios  mit  einer  Flotte 
und  ein  Heer  unter  Dokimos,  welche  die  Burg  von  Miletos 
eroberten ;  er  selbst  erstürmte  Tralles,  dann  gewann  er  die 
Stadt  Kaunos  und  belagerte  ihre  Burg;  Jasos  aber  wurde 
von  seinem  Feldherrn  Ptolemaios  eingenommen.  Wenige 
Tage  darnach  kamen  Gesandte  von  den  Aitolern  und 
Boiotern  —  höchst  wahrscheinlich  nach  den  Niederlagen 
der  ersteren  —  und  gewannen  Antigonos  zum  Verbündeten ; 


386  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

dann  begab  er  sieb  an  den  Hellespont  zu  einer  Friedens- 
verhandlung mit  Kassander.  Der  vergebliche  Ausgang  der- 
selben veranlasste  diesen  zu  einer  Unternehmung  nach 
Hellas:  mit  30  Schiffen  fuhr  er  nach  Oreos  und  begann 
diese  Stadt  heftig  zu  bestürmen;  aber  als  sie  eben  fallen 
sollte,  kam  Telesphoros  mit  80  Schiffen  aus  dem  Peloponnes 

—  dies  geschah  also  nach  den  ersten,  mit  den  Nieder- 
lagen der    Aitoler  gleichzeitigen  Unternehmungen  desselben 

—  und  Medios  aus  Asien  mit  120  Schiffen  zum  Entsatz. 
In  zwei  Seeschlachten  wurde  das  erste  Mal  diesen ,  dann 
aber  Kassander  der  Sieg  zu  Theil.  Damit  schliesst  Dio- 
dor  XIX  75  die  Diadochengeschichte  des  J.  313;  offen- 
bar mit  Recht:  denn  es  ist  schlechterdings  unmöglich,  nach 
den  zwei  Seeschlachten  noch,  wie  Droysen  will,  die  p.  383 
in  der  Kürze  aus  c.  77  angeführten  Ereignisse,  welche  dem 
Heereszug  des  Antigonos  an  den  Hellespont  vorausgiengen, 
noch  im  J.  313  unterzubringen,  und  wir  haben  auch  ein 
deutliches  Anzeichen,  dass  zwischen  jenen  und  diesen  eine 
längere  Ruhezeit,  d.  i.  der  Winter  in  der  Mitte  lag:  in 
c.  77  wird  Medios  von  neuem  mit  noch  viel  grösserer 
Schiffsmacht,  mit  150  Segeln  nach  Hellas  gesandt,  während 
wir  ihn  doch  am  Ende  des  Jahres  313  erst  mit  120  Schiffen 
aus  Asien  ebendahin  abgehen  sahen.  Die  Nichterwähnung 
der  vorher  erfolgten  Rückfahrt  aus  Europa  erklärt  sich  ein- 
fach daraus,  dass  nach  der  zweiten  Seeschlacht  die  Unter- 
nehmungen eingestellt  und  vom  Heer  die  Winterquartiere, 
von  den  Schiffen  aber  die  heimischen  Häfen  aufgesucht 
worden  waren. 

Einen  zweiten  Beweis  gegen  Droysens  und  für  Diodors 
Zeitbestimmung  der  XIX  77  erzählten  Ereignisse  können 
wir  kürzer  und  um  so  bündiger  fassen :  die  Schlacht  von 
Gaza  fand,  wie  Droysen  zuerst  erkannt  und  seitdem  Nie- 
mand bestritten  hat  ,  im  Frühjahre  312  statt;  die  XIX  77 
gemeldete  Einstellung   des   Uebergangs    nach  Europa  aber, 


Unger :  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.  387 

welche  nach  Droysen  durcli  die*  Meldung  von  der  Schlacht 
bei    Gaza    herbeigeführt   wurde,    erfolgte    im  Winter    (trig 
Xeii-ieQLvrjg  coQag  ovyKleiovor^g).     Der  Winter  313/2,  welchen 
Droysen  und  Reuss  hier  annehmen  müssen,  gieng  der  Schlacht 
voraus,  ist  also  unmöglich  und  bliebe   das  auch ,  wenn  wir 
mit  Reuss  aus  dem  unten   p.  390  zu  besprechenden  Grunde, 
welchen  Droysen  aufgestellt,  jetzt  aber  aufgegeben  hat,  die 
Schlacht  bis  ans  Ende  des  Februar  zurückschieben  wollten: 
denn  bis  die  Nachricht  zu  Antigonos  gelangte,  war  die  von 
Hieronymos  vorausgesetzte  Frühlingsepoche  auch  in  diesem 
Fall  schon  eingetreten;  nicht  zu  erwähnen,  dass  die  Angabe, 
der    Winter    habe   die  Einstellung   des    Unternehmens    em- 
pfohlen,   uns    an    den  Anfang,  nicht    an    das    Ende    dieser 
Jahreszeit    denken    heisst.     Aber    auch    der    Winter    312/1 
passt  nicht  zu  der  Angabe  des  Tansanias :    denn  von  einem 
für  ihn  so  wichtigen  Ereigniss    des  Frühlings  erhielt  Anti- 
gonos   sicher    nicht    erst    im  Winter    darnach  Kunde.     Das 
Zeugniss  des  Tansanias  lässt  sich  mit  der  von  Droysen  und 
Reuss   ins  Auge   gefassten  Stelle   Diodors    überhaupt    nicht 
vereinigen  und  eine  genauere  Betrachtang  lehrt  auch,  dass 
beide  Schriftsteller  von  ganz  verschiedenen  Unternehmungen 
sprechen.     Der    erstere    sagt  I  6  ,  5 :    Karaßahei    enl    top 
EXXrjOnovTOv.    Ttqlv    de  rj  KaTaßr^vat    riaXiv  rjyev    otcLgo}  Ti]v 
OTQaTicv  ^rjf,n^TQLOP  dyiovcor  vjio   ntoX£f.iaiov  iLiccxf]  y-eKQavr^- 
oO^ai.  Bei  ihm  also  war  Antigonos  noch  nicht  an  der  Küste 
augelangt,    als    er  sich  zum  Umkehren   entschloss,  dagegen 
bei  Diodor  hatte  er  sie  schon  erreicht  und  während  Pausa- 
nias    den   Ilellespont    als    die    Uebergangsstelle    bezeichnet, 
denkt  jener  an  den  Bosporus:  nicht  am  Hellespont  sondern 
an  der  Propontis  langt  Antigonos  an    (-KaTrjvTi^oev  ertl  xr^v 
TlQOTtovTLÖa)  und  die  Byzantier   sollten  ihn  bei  dem  Unter- 
nehmen unterstützen.    Diodor  sagt  auch  nichts  davon,  dass 
die  Botschaft  von  Gaza  den  Uebergang   bei  Byzantion  ver- 
eitelte, ein  Grund,    welcher   für  Antigonos    weit    schwerer 


388  Sitzung  der  philos.-2)hiloL  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

ins  Gewicht  gefallen  wäre  als  die  Weigerung  der  Byzantier 
mitzuwirken  und  der  Eintritt  des  Winters,  welche  XIX  77 
als  Ursache  angegeben  werden ;  jener  Grund  hätte  dem 
Hieronymos,  Diodors  Gewährsmann,  nicht  unbekannt  blei- 
ben können  und  er  hatte  auch  keinen  Anlass,  ihn  zu  ver- 
schweigen. 

Antigonos  wollte  312  zweimal  nach  Europa 
gehen:   im   Frühling   über    den  Hellespont  und  um  Win- 
ters  Anfang   über    den    Bosporus.     Diodor    erwähnt   beide 
Unternehmungen;    die    erste    XIX    77   in  der  Mitte:  eüd-vg 
rag    öwaf-ieig    avaXaßcov    jcQoijyev    ecp"    '^EXXi^GyrcvTov    y^axä 
raxog  tag  ötaßrjGOf^evog  elg  Mccytedovlav.     Bei   der  Flüchtig- 
keit, mit  welcher  er  seine  Quelle  auszog,  ist  es  ihm,  nach- 
dem    inzwischen    die    Gegenunternehmung    des    Kassander 
seine    Aufmerksamkeit   in    Anspruch  genommen ,    begegnet, 
dass    er    die    zwei  Uebergangsversuche    mit    einander   ver- 
wechselte  und   mit  Uebergehung  aller  in  der  Mitte  liegen- 
den Vorgänge  die  Ankunft    an  der  Propontis  für  den  Ab- 
schluss  des  Zuges    an  den  Hellespont  hielt.     Da  Antigonos 
auf  dem  Wege   keinen  Feind    zu    bekämpfen   hatte,  so  ist, 
wenn  er  an  den  Hellespont  ziehen  wollte,  nicht  ersichtlich, 
was  ihn  anstatt  dessen  au  die  Propontis  bei  Byzantion  ge- 
führt haben  sollte.     Die  Situation   ist  jetzt  auch  eine  ganz 
andere.     Hätte  Antigonos   noch  seine  150  Kriegsschiffe  bei 
sich  gehabt,  welche  er  zum  Zug  über  den  Hellespont  hatte 
aus  Europa  kommen  lassen,   so  konnte  er  der  Beihülfe  von 
Byzantion  entrathen ;    seitdem  ist  aber  der  Krieg  mit  Pto- 
lemaios  um  den  Besitz  Koilesyriens  sammt  Phoinike  geführt 
worden,  welcher  die  Anwesenheit  der  Flotte  an  ihrem  Standort 
Tyros  zum  Schutz  und  zur  Aufsicht  über  die  dortigen  Küsten 
nöthig  machte;  desswegen  braucht  er  im  Spätjahr  die  Hülfe, 
d.  i.    die    Schiffe    der    Byzantier,    welche   ihm    schon  ein- 
mal,  im   J.    318,  einen  glänzenden  Sieg  ermöglicht  hatten 
(XVni  72) ,  und  zieht  daher  diesmal  nicht  dem  Hellespont 


Unger :  Diodors  Quellen  in  der  Diadochenge  schichte.  389 

sondern  dem  Bosporus  zu.  Erst  jetzt  begreift  man,  wie 
die  Weigerung  der  Byzantier  ihn  bestimmen  konnte,  das 
ganze  Unternehmen  aufzugeben :  die  Rücksicht  auf  die 
Jahreszeit  kann  kein  ernstlicher  Abhaltungsgrund  gewesen 
sein ;  diese  kannte  er  ja  schon,  als  er  den  Zug  an  die  Pro- 
pontis  antrat. 

Durch  die  Vermengung  dieser  zwei  Unternehmungen 
ist  ihr  zeitliches  Verhält niss  und  ihr  Zusammenhang  mit 
den  asiatischen  Vorgängen  auch  in  andrer  Weise  verdunkelt 
worden.  Der  letzte  von  diesen  in  der  Beschreibung  der 
Jahresgeschichte  von  Ol.  117,  1.  312  v.  Ch.  ist  XIX  100 
der  Zug  des  Demetrios  nach  Babylonien ;  nach  Wiederge- 
winn dieser  Satrapie  sollte  er  schleunig  (owTo/mog)  ans 
Meer  zurückkehren.  Da  Seleukos  gerade  in  Medien  zu  thun 
hatte,  so  konnte  jener  Babylon  ohne  Schwertstreich  be- 
setzen ;  von  den  zwei  Burgen  der  Stadt  nahm  er  die  eine 
ein,  die  andere  musste  belagert  werden.  Diese  Aufgabe 
übertrug  er  aber  einem  Befehlshaber,  den  er  mit  5000  Mann 
zurückliess;  er  selbst  zog  mit  den  übrigen  14000  Mann 
zurück:  warum?  sagt  c.  100  fov  xqovov  ovvtqlyovtog  ev  dj 
ovvxerayf.dvov  r^v  rrp  aq)odov  auro)  TtoirjaccGd^ai.  Wir 
schliessen  hieraus,  dass  Antigonos  das  Heer  noch  zu  einem 
Zweck  brauchte,  welcher  wichtiger  und  schwieriger  war  als 
der  Gewinn  Babyloniens ,  und  vermuthen,  dass  dies  die 
Heerfahrt  nach  Europa,  der  Angriff  auf  Makedonien  ge- 
wesen ist.  Nach  der  Schlacht  von  Gaza  schickte  Demetrios 
einen  Kurier  an  seinen  Vater  mit  der  Bitte  um  schleunigen 
Zuzug  (XIX  85);  wo  dieser  den  Antigonos  traf  und  was 
die  nächste  Folge  war,  übergeht  Diodor;  wir  erfahren  es 
von  Pausanias.  Eine  zweite  Botschaft,  die  vom  Sieg  des 
Demetrios  über  einen  Heerführer  des  Ptolemaios  in  Ober- 
Syrien,  fand  jenen  in  Kelainai  (XIX  93)  und  veranlasste 
ihn,  über  den  Tauros  nach  Syrien  zu  ziehen,  welches  Pto- 
lemaios   dann   wieder  aufgab.     Die  Unternehmungen  gegen 


390  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

die  Nabataier  und  die  gegen  Babylon  mögen  dann  den 
besten  Theil  des  Jahres  ausgefüllt  haben ;  im  Herbst  brachte 
Demetrios  die  Truppen  zurück  und  Antigouos  vereinigte 
sie  mit  dem  Heer,  das  er  jetzt  beim  Nahen  des  Winters  an 
die  Propontis  führte. 

In  Europa  hatte  Kassander,  wenn  er  nach  der  Schlacht 
bei  Gaza  im  April  oder  Mai  312  aus  Griechenland  zurück- 
kehrte, noch  Zeit  genug  zu  neuen  Unternehmungen,  während 
Antigouos  mit  seinen  besten  Streitkräften  in  Asien  festge- 
halten wurde.  Sein  Befehlshaber  in  Akarnanien  rückte  nach 
Epeiros,  um  den  König  Alketas  zu  verjagen,  und  erlitt  dort 
eine  Niederlage;  er  zog  jetzt  selbst  dahin,  fand  die  Scharte 
schon  ausgewetzt  und  versöhnte  sich  mit  Alketas  (XIX 
88  —  89).  Dann  rückte  er  vor  Apollonia,  ward  aber  von 
den  Einwohnern,  welchen  die  Illyrier  zu  Hülfe  kamen,  ge- 
schlagen und  zog  wegen  der  Unzulänglichkeit  seiner  Streit- 
kräfte und  in  Anbetracht  dass  es  Winter  war  (c.  89  trjv 
X€if.ieQivrjv  lüQav  d-ecoQwv)  wieder  heim ;  dann  verjagten  die  Leu- 
kadier  seine  Besatzung.  Wie  bei  Antigouos,  so  schliesst 
demnach  auch  bei  Kassander  die  Jahresgeschichte  mit  dem 
Winter  ;  dass  der  Frühling  den  Anfang  derselben  bildet, 
lehren  die  Zeitverhältnisse  der  Schlacht  von  Gaza.  Diese 
ereignete  sich,  wie  Droysen  2,  45  bemerkt,  nach  Hekataios 
von  Abdera  bei  Josephos  gegen  Apion  1,  22  im  eilften 
Jahr  nach  Alexanders  Tod ,  also  vor  dem  28.  Thargelion 
(Mai)  116,  4.  312.  Um  Sonnenuntergang  (XIX  84  Tcegt 
rikiov  övöLv)  war  Demetrios  unter  den  Mauern  von  Gaza ; 
um  Mitternacht  (c.  85  Tteqi  (.doag  vvxtag)  hatte  er  die 
270  Stadien  von  da  bis  Asdod  zurückgelegt.  Hieraus  hatte 
Droysen  Gesch.  d.  Nachf.  AI.  p.  373  den  Schluss  gezogen, 
dass  damals  noch  die  Zeit  der  langen  Nächte  und  der 
Sonnenuntergang  um  5  Uhr  eingetreten  war;  Reuss  p.  170 
setzt  daher  die  Schlacht  in  Ende  Februar.  Jetzt  bemerkt 
Droysen  Diad    2,45,  dass  diese   Thatsache  keinen  sicheren 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadnchengescliichte.  391 

Anhalt  gibt,  und  begnügt  sich  damit,  das  Treffen  dem 
Frühling  zuzuweisen;  dafür  spricht,  dass  Demetrios  beim 
Heranrücken  des  Ptolemaios  sein  Heer  erst  aus  den  Win- 
terquartieren ziehen  musste.  Später  als  in  den  April 
dürfen  wir  wegen  der  Angabe  von  dem  nächtlichen  Ritt 
das  Datum  nicht  setzen ;  aber  auch  nicht  viel  früher.  Der 
Frühling  hatte  schon  geraume  Zeit  vorher  begonnen  :  denn 
XIX  77  beginnt  die  Jahrbeschreibung  mit  der  Fahrt  des 
Medios  und  Ptolemaios  nach  Boiotien,  welche  Kassander 
nöthigte  von  Oreos  weg  nach  Chalkis  zu  gehen  ;  um  ihn  von 
dort  zu  entfernen,  unternahm  dann  Antigonos  die  Diversion 
an  den  Hellespout ,  welcher  die  Botschaft  von  Gaza  ein 
Ende  machte.  Hieraus  ergibt  sich,  dass  der  Frühlings-  und 
Jahresanfang  des  Hieronymos  der  Nachtgleiche  vorausgeht; 
der  Spätaufgang  des  Arktur  um  den  25.  Februar  (p.  382) 
zeigt  sich  auch  hier  als  die  passendste  Epoche. 

5.  Am  Ende  der  Jahresgeschichte  von  117,  3.  310 
stehen  XX  20  die  Kriegsrüstungen  des  Polysperchon ;  am 
Anfang  der  nächsten  XX  28  die  Unternehmungen,  welchen 
sie  gegolten  hatten ;  den  Schluss  derselben  bildet  die  Mel- 
dung vom  Bezug  der  Winterquartiere  {ßvtavd^a  Ti\v  naga- 
Xeif^iaaiav  ejtoiiqaaxö).  In  beiden  Jahresbeschreibungen 
steht  also  der  Winter  am  Ende. 

6.  Die  Jahrbeschreibuug  von  118,  2.  307  beginnt  XX 
45  mit  der  Fahrt  des  Demetrios  von  Ephesos  zum  Peiraieus 
wo  er  am  fünftletzten  Thargelion  118,  1  (Plut.  Demetr.  8) 
d.  i.  am  10.  Juni  307  einlief  und  sich  bald  zum  Herrn 
machte.  Munychia  schloss  er  ein  und  landete  dann  mit 
Heeresraacht  in  Megaris;  nach  einem  Abstecher  zu  Krate- 
sipolis,  welche  sich  in  Patrai  aufhielt,  kehrte  er  dahin  zu- 
rück und  eroberte  Megara  (Plut.  Dem.  9),  dann  erstürmte 
er  in  zwei  Tagen  Munychia ,  Diod.  XX  45  ^nl  ovo  rifxiqag 
owe^cog  Trjg  TtoXiogniag,  yevoi-dvrig;  46.  tovtcov  ev  ohyaig 
rlf-dqaig  KaTevrvxr]S^evzcov.  Dies  mochte,  sagt  Droysen  2,  118, 


392  SiUung  der  philos.'phüol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

im  August  oder  September  307  sein ;  wir  scliliessen  aus 
Philochoros  bei  Dionys.  Hai.  de  Dinarcbo  3  tov  ^Ava^r/.qa- 
Tovg  ccQxovTog  evS^vg  (.ibv  tj  tcov  Meyaqtov  noXig  eaXco,  b  6t 
z/rjjnqvQiog  Kazeld-cov  et,  tiov  Bleyogcov  •/.areOT.evaLevo  ro 
nQog  Trjv  Movvvxiav  xal  td  Ter/rj  y^araomilfag  uneötoy.e  TiT) 
S/j/LHl),  dass  beide  Eroberungen  dem  Hekatombaion  118,  2, 
beginnend  mit  14.  Juli  307,  angehören.  Nachdem  Deme- 
trios  dann  in  Athen  eingezogen  und  dort  geblieben  war, 
bis  ein  Befehl  des  Antigonos  ihn  abrief,  fuhr  er  nach  Ky- 
pros  und  besiegte  dort  die  Befehlshaber  des  Ptolemaios  zu 
Land,  dann  diesen  selbst  zur  See  bei  Salamis ;  daraufhin 
nahmen  Antigonos  und  Demetrios  den  Königstitel  an  ;  die 
anderen  grossen  Statthalter  folgten  diesem  Beispiel.  Damit 
schliesst  die  Diadochengeschichte  dieses  Jahres ;  im  nächsten 
erzählt  sie  den  ägyptischen  Krieg.  Diesen  lassen  Droysen 
und  Reuss  im  Herbst  306  beginnen  und  setzen  auch  den 
vorausgegangenen  ky prischen  Krieg  in  die  gute  Zeit  dieses 
Jahres ;  nach  Hieronymos  und  Diodor  gehört  letzterer  noch 
dem  J.  307  an.  Reuss  p.  171  behauptet,  Demetrios  habe 
sich  bis  in  den  April  oder  Mai  306  in  Athen  aufgehalten 
und  Droysen  irre,  Avenn  er  ihn  einige  Monate  früher  ab- 
fahren lasse;  er  sei  noch  dort  gewesen  als  der  Peplos  be- 
gonnen ward  am  letzten  Pyanopsion  ( 8.  November  )  und 
als  die  Dionysien,  nach  ihm  Demetrien  genannt,  am  8. — 13. 
Elaphebolien  (14.  — 19.  März)  gefeiert  wurden.  Die  Zeug- 
nisse sprechen  aber  blos  von  Beschlüssen ,  welche  in  Be- 
zug auf  diese  festlichen  Begehungen  im  Voraus  gefasst 
wurden ;  dass  Demetrios  bei  der  Ausführung  derselben  zu- 
gegen war,  meldet  weder  Plut.  Dem.  8  fF.  noch  Diod.  XX 
46.  Schon  Droysen  geht  zu  weit,  wenn  er  Demetrios  bis 
Anfang  306  in  Athen  verweilen  läs.st  (2,  124.  133);  dass 
Plutarch  aus  der  Zeit  seines  dortigen  Aufenthalts  viel 
zu  erzählen  weiss,  ist  leicht  begreiflich:  es  ist  eben  von 
Athen    die   Rede    und     von    der    inhaltreichen    Zeit    einer 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  DiadochengescMchte.  393 

grossen  Staatsumwälzung;  auch  ist  keiner  der  erzählten 
Vorgänge  von  längerer  Dauer  gewesen.  Gleich  nach  der 
Eroberung  von  Munychia  zog  Demetrios  in  Athen  ein 
(XX  46.  Plut.  D.  10)  und  verkündigte  die  Freiheit  der 
Stadt,  etwa  im  Anfang  August  307;  darauf  fasste  die 
Bürgerschaft  die  ehrenden  Beschlüsse  über  Antigonos  und 
Demetrios  und  schickte  Gesandte,  um  sie  dem  ersteren  zu 
überbringen.  Dieser  dankte  durch  neue  Gunstervveisungen ; 
seinem  Sohn  aber  schrieb  er,  derselbe  solle  die  verbündeten 
Städte  zu  einem  Synedrion  zusammentreten  lassen ,  selbst 
aber  schleunigst  (XX  46  tjJv  zaxlorrjv)  mit  dem  Heere 
nach  Kypros  fahren,  um  die  Befehlshaber  des  Ptolemaios 
zu  bekriegen.  Dass  dieses  Schreiben  erst  mit  der  zurück- 
kehrenden Gesandtschaft  nach  Athen  kam,  wie  Droysen  2, 
123  annimmt,  geht  aus  Diodors  Erzählung  nicht  hervor 
da  der  kyprische  Krieg  Eile  hatte,  die  Gesandten  aber 
sicher  längere  Zeit  brauchten  —  Antigonos  gab  denselben 
150000  Medimnen  Getreide,  Bauholz  für  100  Kriegsschiffe 
und  überlieferte  ihnen  die  Insel  Imbros,  ans  welcher  er 
seine  Besatzung  zog  — ,  so  ist  es  wahrscheinlicher,  dass 
das  Schreiben  lange  vor  ihnen  nach  Athen  abgegangen  ist. 
Es  hindert  nichts  anzunehmen,  dass  Demetrios  das  Schreiben 
Ende  August  erhielt  und  der  kyprische  Krieg  im  Herbst 
307  stattgefunden  hat;  dafür  spricht  Diodors  Jahrrechnung 
und  es  lässt  sich  jetzt  aus  eben  der  Inschrift  erweisen,  in 
welcher  U.  Köhler  im  Hermes  5,350  und  Droysen  2,  124 
die  urkundliche  Bestätigung  der  von  letzterem  aufgestellten 
Zeitbestimmungen  finden. 

Ein  Volksbeschluss  aus  der  5.  Prytanie  und  dem  ersten 
Drittel  des  Poseideon  unter  Archon  Anaxikrates  (Ol.  118,2), 
welches  dem  9.  -  18.  December  307  entspricht,  bei  Köhler 
Inscr.  att.  238,  erwähnt  einer  Gesandtschaft  an  Antigonos 
und  einer  arcoGroXri^  ^™  welche  sich  der  in  dem  Beschluss 
Q.eehrte    verdient   gemacht    habe.     Dies  ist,  wie  Köhler  im 


394  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

Hermes  5,  350  bemerkt  hat,  die  Gesandtschaft  welche  den 
Ehrenbeschluss  für  Antigonos  diesem  überbrachte  und  mit 
den  oben  genannten  Geschenken  heimkehrte;  nach  ihrer 
Heimkehr  ist  das  auf  der  Inschrift  befindliche  Psephisma 
gefasst  worden.  Doch  folgt,  wie  oben  bemerkt  worden  ist, 
aus  Diodor  nicht,  dass  Demetrios  erst  nach  der  Rückkehr 
jener  Gesandtschaft,  im  December  oder  Januar  Athen  ver- 
lassen hat,  und  gerade  diese  Inschrift  lehrt,  dass  er  damals 
bereits  den  berühmten  Seesieg  über  Ptolemaios*  davonge- 
tragen hatte:  denn  Antigonos  führt  darin,  wie  Köhler  zu- 
erst erkannt  hat,  den  Königstitel  den  er  nach  diesem  Siege 
annahm  (Diod.  XX,  53).  Zwar  behauptet  Flut.  Demetr.  10, 
die  Athener  hätten  dem  Antigonos  und  Demetrios  unter 
den  anderh  Ehren,  welche  sie  ihnen  nach  der  Befreiung 
ihrer  Stadt  erwiesen,  auch  den  Königstitel  beigelegt ;  aber 
diese  Behauptung  ist  höchst  verdächtig:  sie  bildet  einen 
integrirenden  Bestandtheil  der  Auslassung,  in  welcher  die 
von  Kirchhoff  im  Hermes  2,161  als  Hirngespinust  erwiesene 
Angabe  vorkommt ,  die  Athener  hätten  jetzt  nicht  mehr 
nach  Archonten  sondern  nach  den  Soteren  Antigonos  und 
Demetrios  datirt.  Plutarch  erklärt,  das  Volk  von  Athen 
habe  sich  den  Demetrios  selbst  zum  Herren  herangezogen 
durch  die  überschwänglichen  Ehren,  welche  es  ihm  erwies, 
und  zählt  nun  die  verschiedenen  Auszeichnungen  auf,  welche 
wir  auch  aus  Diod.  XX,  46,  d.  i.  aus  Hieronymos  und  zwar 
als  Inhalt  eines  einzigen  von  Stratokies  beantragten  Pse- 
phisma kennen.  Diodor  sagt  aber  weder  von  der  neuen 
Datirung  noch  vom  Königstitel  etwas  und  wie  wenig  histo- 
rischer Werth  jener  Behauptung  zukommt,  zeigt  auch  der 
Zusatz,  Antigonos  und  Demetrios  hätten  noch  überall  den 
Titel  abgelehnt  (aXXojg  acpoatovi^evovg  zovvo^a) :  kaum  vier 
Monate  darnach  legten  sie  sich  selbst  denselben  bei  und 
schon  acht  Jahre  vorher  hatte  es  sich  Antigonos  gerne  ge- 
fallen lassen,  dass  Seleukos  ihn  in  Babylon  mit  Geschenken 


ünger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.  395 

empfieDg,  welche  nur  eiüem  König  zukamen  (D.  XIX,  55 
öcoQsaJg  ßaailiTialg).  Vollends  erledigt  wird  die  Frage 
durch  Inschrift  239,  welche  sich  auf  die  Absenduug  jener 
Gesandtschaft  an  Antigonos  bezieht  (Köhler  ,  Hermes  5, 
350  fg.  Droysen  2,  118)  und,  wie  Z.  3  .  . .  a{a)v!dvTiyovov 
(y,)al  ...  beweist,  den  Königstitel  noch  nicht  enthält.^) 

7.  Den  ägyptischen  Krieg,  welcher  den  ganzen  Inhalt 
der  Diadochengeschichte  von  118,  3.  306  bei  Diod.  XX 
73 — 76  bildet,  müssen  Droysen  und  Reuss,  da  sie  den  ky- 
prischen  aus  307  in  den  Sommer  dieses  Jahres  verlegt 
haben,  noch  später  setzen;  sie  beziehen  daher  die  Erwähn- 
ung des  Pleiadenuntergangs  im  Anfang  jenes  Krieges  XX 
74  auf  den  Frühuntergang  des  Gestirns  um  den  11.  No- 
vember und  setzen  den  Rückzug  des  Antigonos  in  den 
Anfang  von  305.  Champollion,  welcher  an  den  Spätauf- 
gang im  Frühling  (um  den  5.  April,  ßoeckh  Sonnenkreise 
p.  211)  gedacht  hatte,  wurde  von  Droysen  Nachf,  Alex, 
p.  467  getadelt,  weil  er  nicht  wisse,  dass  Tileiaöog  övoig  den 
Frühuntergang  bezeichne;  diese  Rüge  ist  in  der  neuen 
Ausgabe  (Diad.  2,  146)  gestrichen,  die  Beziehung  aber  auf 
diese  Phase  als  selbstverständlich  vorausgesetzt.  Wir 
stehen  nicht  an,    auf  ChampoUions  Seite  zu  treten.     Wenn 


6)  Droysen  2,  118;  121  nennt  Inscr.  238  den  Beschluss  der  Send- 
ung des  Milesiers  Aristodemos  an  Antigonos;  die  Inschrift  enthält  aber 
den  Namen  desselben  nicht  und  Droysen  scheint  damit  das  von  Köhler 
im  Hermes  5,  349  zuerst  veröiFentlichte  Fragment  za  Ehren  eines 
Aqiox  .  .  .  verwechselt  zu  haben ,  welches  aus  dem  Archontenjahr  des 
Anaxikrates  datirt  und  von  diesem  mit  Wahrscheinlichkeit  auf  Aristo- 
demos bezogen  wird.  Es  ist  jedenfalls  ein  ähnlicher  Dankbeschluss  wie 
Inscr.  238;  um  aber  von  den  Athenern  als  Gesandter  an  Antigonos  be- 
nutzt zu  werden  —  was  an  sich  ganz  überflüssig  war  —  stand  dieser 
Vertraute  und  Heerführer  des  Antigonos  viel  zu  hoch ;  er  war  dem 
jungen  Demetrios  als  militärischer  und  politischer  Rathgeber  beigegeben 
und  stand  ihm  auch  im  kyprischen  Krieg  zur  Seite  (Droysen  2,  135), 
hat  also  wahrscheinlich  in  Athen  ihn  nicht  verlassen. 


396  Sitzung  der  pJiilos.'philol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

övvsLV  vom  Spätuntergang  gesagt  werden  kann  ,  wie  z.  B. 
von  Ps.-Geminos  Isagoge  16  Evöo^co  7c?^eiadeg  dxgovvxoi 
övvovOL^  so  ist  selbstredend  auch  töiceqLvr]  oder  üKQOvvyog  dvGig 
statthaft  ;  es  findet  sich  nur  seltener  als  das  Verbum,  weil 
die  auf  uns  gekommenen  Parapegmen  überhaupt  gewöhn- 
lich Verba  von  den  Phasen  anwenden.  Dass  das  Adjectiv^ 
bei  Diodor  fehlt,  ist  leicht  erklärlich:  er  d.  i.  Hieronymos 
mochte  bei  einem  See-  und  Landunternehmeu,  welches  er 
im  Anfang  der  Jahrbeschreibung  erzählte  ,  voraussetzen 
dass  Niemand  den  Ausdruck  falsch  verstehen  werde.  In 
derselben  Weise  und  aus  ähnlichem  Grunde  steht  XIX,  56 
l^ETci  dvGiv  ^ügicüvog  vom  Spätuntergaug.  Nach  Dro3^sen 
warnten  die  Seeleute  vor  dem  Aussegeln  in  jener  Zeit, 
weil  das  Meer  dann  stürme  und  unfahrbar  sei  (2,  146); 
von  einem  späteren  Zeitpunkt  bemerkt  er  p.  147,  nicht 
einen  Tag  länger  hätten  es  die  Leute  vor  Durst,  Kälte 
und  Erschöpfung  aushalten  können,  und  p.  150  wird  ausser 
der  Stimmung  des  Heeres  und  dem  Mangel  auch  die  vorge- 
rückte Jahreszeit  als  ein  Beweggrund  zum  Rückzuge  an- 
gegeben. An  den  betreffenden  Stellen  Diodors  steht  von 
diesen  Bezeichnungen  winterlicher  Jahreszeit  kein  Wort;  und 
doch  wäre  ihr  Fehlen  unbegreiflich,  wenn  es  wirklich  Win- 
ter (der  den  Alten  eben  mit  dem  Frühuntergang  der  Pleia- 
den  beginnt)  gewesen  wäre.  Doch  brauchen  wir  uns 
nicht  auf  subjective  Erwägungen  zu  beschränken:  die  Be- 
weise liegen  ganz  offen  vor. 

In  dem  Kriegsrath,  welcher  die  Einstellung  des  Feld- 
zugs beschloss,  tröstete  Antigonos  sich  und  seine  Getreuen 
mit  dem  Vorsatze :  votsqov  xalXiov  7TaQeOKevaO(j.evovg  otqu- 
TEVOai,  xa^'  ov  av  igovov  sXaxiorog  6  Ne7log  elvai  do^rj 
(XX  76);  also  stand  damals  der  Nil  hoch  und  war  die 
Ueberschwemmung  wenigstens  in  der  letzten  Zeit  des  Feld- 
zugs bereits  eingetreten.  Eben  für  diese  Zeit,  kaum  einige 
Tage  früher,   aber   viele   Tage    nach    Beginn    des    Feldzugs 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.  397 

(76  xQ^vov  TtXelovog  yavofXEvov  und  rj^Bqcjv  rßr]  avyywv  öie- 
Irilv&vKJOv)  heisst  es  c.  76  :  rj  vavviy,!^  övvafxig  axQfjOrog  r]v 
avToig  TCqo'/.aTEiXrjfÄjxevov  Ür^lovOLaKOv  Gxo^iatog  vtco  tiov 
nolsfAiwv  t6  T£  7tE(^cv  OTQaxevfxa  ttjV  OQ^xriv  ccTtQaKTOv 
ei%e  TU)  jnsye&EL  tov  7toTa/.iov  diEiQy6f.iEvov.  Gerade  während 
des  Zeitraums,  in  welchem  Droysen  und  Reuss  diesen  Krieg 
vor  sich  gehen  lassen,  während  des  Winters  erreicht  der 
Nil  seinen  niedrigsten  Stand,  Diod.  I  4,1  Slo  xal  rov  Net- 
Xov  EvXoycog  xaTcc  tov  %Ei{x6)va  f.iLKQdv  eivat  xat  üvoxüJkEod'aL^ 
I  40  Ei  ö  Nsllog  dvsßaivE  xard  tov  tov  xEC/^covog  xaLQOVf 
drjXov  vfcrJQYßv  cog  etc.  ETtal  öe  Tovvavxiov  tteqI  to  d^EQog 
TtltjQOvTai,  TTid^avov  Eivat  etc.  Der  Nil  beginnt  zu  steigen 
zur  Zeit  der  Sommersonnwende  und  des  längsten  Tages; 
die  grösste  Höhe  erreicht  er  zur  Herbstnachtgleiche;  von 
da  an  sinkt  er  wieder  bis  zur  Wintersonnweode ,  wo  er 
den  niedrigsten  Stand  erreicht ;  diesen  behält  er  ein  halbes 
Jahr  lang,  vom  kürzesten  bis  zum  längsten  Tag,  s.  Herod. 
n,  19,  Diod.  I,  36 — 41  u.  a.  Die  von  Droysen  und  Reuss 
angenommene  Zeit  würde  demnach  weit  besser  zu  der 
passen,  welche  Antigonos  bei  der  Wiederholung  des  Feld- 
zugs zu  benützen  gedachte ,  und  Champollion  hat  ganz 
richtig  erkannt,  dass  die  andere,  um  den  5.  April  eintre- 
tende Phase  des  Siebengestirns  gemeint  ist ;  nur  hat  er 
sich  von  dem  allgemeinen  Vorurtheil,  dass  Diodor  die 
Rechnung  nach  Olympiaden  und  attischen  Archonten  za 
Grunde  lege,  verführen  lassen,  die  Unternehmung  in  das 
J.  305  zu  setzen.  Zeit  und  Dauer  des  Feldzugs  lässt  sich 
fast  auf  den  Tag  genau  bestimmen. 

Die  Heerfahrt  begann  acht  Tage  vor  dem  Spätunter- 
gang der  Pleiaden,  also  um  den  28.  März  306,  Diod.  XX 
73  TCüv  KvߣQvr]Tcop  olo(XEvcov  öeIv  ccTriÖElv  Trjv  TYjg  TtXEiddog 
dvOLv  doxovoav  EöEGd^au  f,iEd^  rif^iEQag  oxTa,  Die  Seeleute 
meinten  die  Stürme,  welche  man  mit  dieser  Phase  verbun- 
den glaubte,  nicht  den  Winter;  ebendarauf  bezieht  sich 
[1878.    I.  Philos.-philol.  bist.  Cl.  4.]  29 


398  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

der  Bescheid  des  Antigonos:  xovTOLg  /.liv  eTteTifirjOev  cog 
xaTOQQcodovGi  Tovg  KLvövvovg.  Die  Propliezeiung  traf  ein, 
als  die  Flotte  von  Gaza  ausfuhr:  XX  74  Trjg  TcXeioöog 
TieQLXa^ßavovGr^g  avxovg  %ai  TTvev/naTog  S7riyevof,i£vov  ßoQelov 
Gvveßrj  TtoXka  tcov  TeTQ7]QLKW  Gy.acpcüv  vtco  tov  xsifxcovog 
ytaTsvex^rjvaL  TtaQaßoXcog  stcI  ttoIlv  '^Paq)iav.  Damit  vgl. 
Columella  XT  1,  34  octavo  idus  Apriles  vergiliae  vespere 
celantur,  interdum  hiemat  (es  stürmt,  xeiiialvei) ;  Clodius 
Tuscus  bei  Laurentius  Lydus  de  ostentis  zum  1.  April: 
Gvvvecpeia  yiveTai  ex  ßoQQcc  'Aal  ai  Ttkeiaöeg  aQyovzai  etti- 
TsXkEiv  (Yersehen  statt  dvveiv)  xal  £7tiGt]f.iaiveLv;  Pliiiius 
hist.  nat.  XVIII  246  Caesari  significant  (bringen  andere 
Witterung)  kal.  April.  III  non.  April,  in  Attica  vergiliae 
vesperi  occultantur ,  eaedem  postridie  in  Boeotia ,  Caesari 
autem  et  Chaldaeis  nonis.  Die  Berechnung  der  Dauer  hat 
Reuss  p.  172  angebahnt,  ist  aber,  hier  wie  an  andern 
Stellen ,  über  den  schönen  Anfang  nicht  hinausgekommen. 
In  Gaza  musste  jeder  Soldat  auf  10  Tage  Lebensmittel  ein- 
nehmen, ausserdem  liess  Antigonos  noch  130  000  Mediranen 
Getreide  aufladen  (XX  73) ;  bei  der  Berathung  über  die 
Einstellung  des  Feldzugs  fehlte  es  bereits  an  Lebensmitteln, 
c.  76  To  7t£^6v  GTQccrev^a  rrjv  OQfxr^v  aTtgaKTOv  eixs  tcj)  /xe- 
ye&BL  ÖLELQyo^ievov.  to  öe  jj,eyiG'Vov,  rnxeqtjv  r^drj  Gv%viov  öie- 
XrjXv&vliüv  vTtolLTtEiv  tjör]  Gvvißaivs  tov  gItov.  Die  Tages- 
ration betrug  gewöhnlich  eine  Choinix  (Hultsch  Metrologie 
p.  82)  ;  indem  Reuss  das  Heer  auf  100  000  Mann  schätzt, 
findet  er,  da  der  Medimnos  48  Choiniken  hielt,  dass  der 
Proviant  für  62  Tage  gereicht  haben  würde  und,  da  ihm 
der  Feldzug  8  Tage  vor  dem  14.  November  begann,  der 
Rückzug  im  Anfang  des  J.  305  angetreten  wurde.  Er 
übersieht,  dass  die  Lebensmittel  erst  in  Gaza,  nach  Ablauf 
der  acht  Tage  eingenommen  wurden,  vergisst  auch  die 
zehn  Tage,  für  welche  die  Soldaten  selbst  Lebensmittel  mit 
sich  führten,  und  das  Heer  betrug  nicht  ungefähr   100  000 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  BiadochengeschicMe.  399 

sondern  gegen  90  000  Mann,  genau :  über  80  000  Fuss- 
soldaten  und  ungefähr  8000  Reiter.  Die  624  000  Choiuiken, 
welche  Antigonos  mitnalim,  reichten  für  90  000  Mann  auf 
09 Vs  oder  rund  70  Tage,  die  Soldaten  selbst  hatten  für 
10  Tage  Vorrat h  gehabt;  dazu  kommt  aber  noch,  dass 
gleich  nach  der  Landung  die  Soldaten  massenweise  und 
selbst  von  den  Fuhrern  manche  zu  Ptolemaios  übergiengen, 
welcher  jedem  Gemeinen  2  Minen,  dem  Führer  1  Talent 
versprach.  Antigonos  musste  Bogenschützen,  Schleuderer 
und  Geschütze  am  Ufer  aufstellen,  um  die  herankommenden 
Kähne  abzutreiben,  und  mehrere  Ueberläufer,  welche  ein- 
gefangen wurden,  liess  er  zu  einem  abschreckenden  Beispiel 
verstümmeln  (XX  75);  nach  dem  Abzug  des  Antigonos 
meldete  Ptolemaios  seinen  Verbündeten  die  errungenen 
Vortheile  und  besonders  auch  die  Menge  der  zu  ihm 
üebergegangenen  (XX  76).  Dies  hatte  für  Antigonos 
wenigstens  den  Vortheil,  dass  die  Vorräthe  weiter  reichten« 
Schätzen  wir  diesen  Zeitgewinn  auf  10,  die  ganze  Zeit  also 
auf  90  Tage,  so  kommen  wir  vom  5.  April  auf  den  4.  Juli: 
sieben  Tage  vorher,  am  27.  Juni  (Boeckh  Sonnenkreise 
p.  44)  war  die  Sonnwende  und  mit  ihr  die  Nilschwelle  ein- 
getreten. Damit  ist  erwiesen,  dass  die  Jahrbeschreibung 
von  Ol.  118,  3.  306  mit  dem  Frühling  beginnt;  auch  be- 
stätigt es  sich,  dass  der  Frühlingsanfang  an  eine  frühere 
Epoche  als  an  die  Nachtgleiche  (25.  März)  anknüpft:  denn 
die  ersten  wichtigen  Ereignisse,  welche  die  Jahrbeschreib- 
ung XX  73  bei  Antigonos  verzeichnet,  sind  der  Tod  und 
die  fürstliche  Leichenfeier  seines  Sohnes  Phoinix,  die  Her- 
beirufang  des  Demetrios  aus  Kypros  und  die  Ansammlung 
der  Streitkräfte ,  welche  nach  dem  Imperfect  ijd^QOi^s  zu 
schliesseu  längere  Zeit  wegnahm  ;  dann  erst  erfolgte  der 
Aufbruch  um  den  28.  März. 

8.  Die  Beschreibung  von  Ol.   119,  3.  302  lässt  wieder 
deutlich  erkennen,  dass  der  Frühling    den  Anfang  und  der 

29* 


400  Sitzung  der  philos.-philol.  Glasse  vom  4.  Mai  1878. 

Winter  das  Ende  der  Jahresbeschreibung  einnimmt.  Die 
Geschiebte  von  Hellas  beginnt  XX  110  mit  den  Worten 
Kaxa  öe  frjv  '^Ellccda  /lrj(.irjTQioQ  ötaTQißwv  £vl4dr]vaig  eajcevde 
fivr]d^rlvaL  y.al  Karalaßelv  Trjv  sv  ^EXevolvt  TcAeirrjV.  Da  die 
gesetzliche  Festzeit  der  grossen  Eleusinien  viel  später,  in 
den  Boedromion  (September)  fiel,  er  aber  nicht  so  lange 
warten  konnte,  so  wurde  die  Weihe  vor  der  Zeit  gefeiert, 
dann  zog  er  in  den  Krieg  fort.  Aus  Plutarch  Dem.  26  er- 
fahren wir,  dass  der  Aufenthalt  des  Demetrios  in  Athen  dem 
Monat  Manychion  (beginnend  am  21.  April),  also  dem  Früh- 
ling angehört :  Demetrios  schrieb  beim  Antritt  der  Reise 
nach  Athen,  er  wünsche  gleich  nach  seiner  Ankunft  daselbst 
die  Weihen  zu  empfangen;  um  das  Gesetz  wenigstens,  zum 
Schein  zu  wahren ,  nannte  man  den  Munychion  während 
der  kleinen  Eleusinienfeier  Anthesterion  und  während  der 
grossen  Boedromion.  Hieraus  geht  hervor,  dass  er  frühe- 
stens zu  Ende  des  Elaphebolion  nach  Athen  gekommen  ist, 
dass  also  Reuss  p.  173  sich  irrt,  wenn  er  aus  dem  Vortrag 
des  Ithyphallos,  welchen  Duris  bei  Athen.  VI  63  mittheilt, 
den  Schluss  zieht,  die  wahren  Eleusinien  des  Anthesterion 
(Februar)  seien  in  Gegenwart  des  Demetrios  gefeiert  worden. 
Wenn  derselbe  weiter  wegen  Duris  bei  Athen.  XH  50  yivo- 
^evcjv  Tcjv  //Yi^rjTQixav  lAd^rjvrjüiv  eyQag)eTO  ejtl  tov  TtQOGKrj- 
vlov  BTtl  Tilg  olKOvi^evr]g  6%ov{.iEvog  den  Demetrios  auch  an 
den  Dionysien  jenes  Jahres  im  Elaphebolion  (März)  theil- 
nehmen  lässt,  so  ist  zu  erinnern,  dass  von  der  Anwesen- 
heit desselben  dort  nichts  geschrieben  steht,  dass  sie  nicht 
nothwendig  war  und  endlich,  dass  wir  gar  nicht  wissen,  in 
welches  Jahr  der  Vorgang  fällt. 

Dem  Schlüsse  des  Jahres  gehört  der  ganze  Winter  an. 
Lysimachos  entschlüpft  dem  Antigonos,  welcher  ihn  einge- 
schlossen hatte,  während  einer  stürmischen  Nacht  (XX  109 
TrjQijGavreg  vvycTa  %ei^eQiov)  und  bezieht  Winterquartiere. 
Jener  zieht  ihm  nach,  stellt  aber  wegen  der  Schwierigkei- 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.  401 

ten  des  Wegs  und  weil  der  Winter  eintrat  die  Verfolgung 
ein  (c.  109  'vrjv  xeiiueQivi^v  wQav  oqcov  rceQiXa^ßavovoav)  und 
vertheilt  das  Heer  in  Winterquartiere.  Dann  hört  er,  dass 
Seleukos  aus  Hochasien  heranzieht  und  schickt  daher  eine 
Botschaft  an  Demetrios  nach  Thessalien'^),  er  solle  kommen; 
dieser  schliesst  darauf  Frieden  mit  Kassander  (c.  111),  fährt 
nach  Ephesos,  gewinnt  dieses  und  andere  Städte  und  bezieht 
dann  gleichfalls  Winterquartiere.  Lysimachos  hält  unterdes- 
sen in  Herakleia  Hochzeit  (c.  109);  Verstärkungen,  welche 
Kassander  nach  dem  Abgang  des  Demetrios  schickt  ,  kom- 
men nach  verschiedenen  Irrfahrten  stark  vermindert  zu  ihm 
ins  Winterlager  (c.  111);  2800  Soldaten  gehen  zu  Anti- 
gonos  über  (c.  113).  Endlich  kommt  auch  Seleukos  näher 
und  überwintert  in  Kappadokien.  In  der  kommenden  guten 
Jahreszeit  soll  der  Entscheidungskampf  gekämpft  werden 
(c.  113  ytexQLKOTwv  drcavTcov  Kara  rrjv  ifCioioav  d^egelav  öici 
Tcov  OTzXcov  y.qivaL  top  TtoXefiov). 

in. 

stücke  aus  anderer  Quelle. 

Im  Philologus  34,  54  bemerkte  ich,  dass  XIX  35  die 
Geschichte  Makedoniens  im  Jahre  116,  1.  316  ausnahms- 
weise mit  dem  Winter  317/6  anstatt  mit  Frühling  316  be- 
ginnt, erklärte  aber,  befangen  in  dem  Vorurtheil,  dass  Dio- 
dor  sich  selbst  um  die  Feststellung  seiner  Jahranfänge  be- 

7)  Diod.  XX  110  habe  ich  in  den  Blättern  für  das  bayrische  Gym- 
nasialwesen 8,147—150  folgendermassen  verbessert:  f^std  6k  ravt' ^Av- 
ZQWPccg  (vg.  ravTcc  IT()(oyag)  fxht/  xccl  TItsIsov  TTgoarjyayfto,  "Alov  (vg. 
Jlov)  6s  Zeel  ^Oq^oi^spov  fiezoLXi^ovtog  eig  Oijßag  Kaadv6Qov  6'iexojXvas. 
Da  Demetrios  und  Kassander  in  Achaia  Phtbiotis  einander  gegenüber- 
standen, so  ist  nicht  mit  Droysen  2,209  an  das  boiotische  Orchomenos 
und  an  Dion  auf  Euboia  zu  denken ,  sondern  an  phthiotische  Städte; 
unter  diesen  war  auch  ein  in  der  historischen  Zeit  selten,  desto  häufi- 
ger aber  in  der  mythischen  vorkommendes  Orchomenos;  nur  auf  dieses 
sind  wohl  die  Sagen  von  Athamas  zu  beziehen,  der  in  Achaia  Phthiotis 
seine  Heimath  hatte,  dort  Alos  stiftete  und  ein  König  von  Orchomenos 
genannt  wird. 


402  Sitzung  der  philos.-xMlol.   Classe  vom  4.  3Iai  1878. 

müht  habe ,  diese  Abweichung  unrichtig  aus  der  Absicht, 
die  Geschichte  der  Unternehmung  Kassanders  gegen  Olym- 
pias  nicht  auseinander  zu  reissen ;  die  Vertheilung  einer 
zusammenhängenden  Geschichte  über  mehrere  Jahre  meidet 
er  auch  anderwärts  nicht,  z.  ß.  bei  der  Rückkehr  des  An- 
tigonos  aus  Medien,  der  Belagerung  von  Rhodos  u.  a.  Die 
Ursache  liegt  viehnehr  darin ,  dass  dort  eine  andere  Quelle 
als  Hieronymos  benützt  ist;  solcher  Abschnitte  besonderen 
Ursprungs  finden  sich  noch  mehr,  sie  gehen  auf  einen  und 
denselben  Gewährsmann  zurück  und  haben  alle  den  Winter 
am  Anfang,  den  Herbst  am  Ende  des  Jahres.  Dies  soll 
nunmehr  erwiesen  werden. 

1.  XVIII  26-39. 
Dass  im  XVIII.  und  XIX.  Buch  für  die  Diadochenge- 
schichte zwei  Quellen  mit  einander  abwechseln ,  erkennt 
man  an  dem  Vorhandensein  von  Dubletten,  welche  einander 
widersprechen.^)  Den  ersten  Fall  dieser  Art  liefert  die  Dop- 
pelerzählung von  den  kriegerischen  Anordnungen  des  Per- 
dikkas  zu  Ende  Winters  321.  Der  eine  Bericht  steht  XVIII 
25 :  UsQÖlytyiag  Tovg  rs  g)lXovg  Kai  Tovg  rjye/j^ovag  ddqoioag 
Ttqoe&rjKe  ßovh]v^  jtoTeqov  sttl  ti^v  MaKeöovlav  xqtj  orQazev- 
eiv  rj  jtQOxeqov  STtt  tov  nroXei-ialov  orqarevGai .  rtavTcov 
d^ STcevexS^ivTcov  l/tl  ro  TtQoregov  xava/ioXei^iriaai  zov  Hco'Ke- 
[.lalov,  OTtcog  furjöev  ifinoÖLOv  t%coöL  rrjg  xara  xiijv  May.EÖo- 
viav  OQj.irjg  ,  Ev^evrj  f.i€v  e^ircei-ape  (xeta  dwa^etog  d^ioXoyov 
7tQ0öta^ag  eq)£ÖQeveiv  zolg  iceql  %ov  "^EXkriöicovrov  roTtoig  Kai 
trjv  diaßaOLv  KwXveiv.  avrdg  de  dvaXaßcov  sk  trjg  TIiOiÖLK^g 
TTiv  Ttoqeiav  snl  Trjv  ^Yyvmov  stcoluto.  Als  wenn  er  von 
alle  dem  noch  nichts  gesagt  hätte,  schreibt  Diodor  XVIII 
29  UsQdlyiKag  vcpOQwiAevog  avTov  Trjv  av^rjatv  avTog  f.iev  l'- 
yiQive   {A,£Ta.   tcov  ßaoiXecov  t(o  jtXsiovcij    f.itQei    Trjg   övvafxecog 

8)  Die  meisten  Fälle  hat  Kallenberg  Piniol.  37,215  ff.  zwar  be- 
achtet ,  aber  nicht  erkannt  dass  die  Ursache  der  Wiederholung  in  der 
Benützung  einer  zweiten  Quelle  neben  Hieronymos  zu  finden  ist. 


Ünger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.  403 

OTQcczevetv  ercl  zriv  -Al'yvjitov  •  Evjuivr]  ö'£^e7tef.iipev  eTtt  zov 
'E?drj07tovTOv  KwXvGovta  zovg  jieqI  l^vzütaTQOv  Kai  KqaTe- 
Qov  öiaßciLveiv  eig  rrjp  ^^olav  ^  doig  avT(j)  rrjv  dQ(.iotovöav 
Svvaf.uv.  Der  Beschluss  des  Perdikkas  gegen  Ptolemaios 
zu  Feld  zu  ziehen,  wird  hier  als  ein  neuer,  erst  jetzt  ein- 
getretener Vorgang  dargestellt  und  während  in  c.  25  der 
Autbruch  des  Perdikkas  gleichzeitig  mit  dem  des  Eumenes 
vor  sich  geht,  weiss  c.  29  zuerst  nur  von  diesem  ;  der  Ober- 
anführer selbst  zieht  viel  später  ins  Feld,  erst  auf  die  Nach- 
richt vom  Sieg  des  Eumenes ,  c.  33  neqdUKag  di  rrvSo- 
f.iEvog  zr]v  ytaid  tov  Evf.i6V}]  vlxrjv  rvoXXq)  ^qaovTeQog  iyeveto 
TTQog  rrjv  eig  AXyvnTov  oiQareiav.  Nach  c.  29  v(pOQCof.i6vog 
avrov  Ti]v  av^t]Giv  ist  es  bloss  Eifersucht  auf  die  steigende 
Macht  des  Ptolemaios,  die  Furcht  diesen  unabhängig  werden 
und  sich  über  den  Kopf  wachsen  zu  sehen,  welche  den  Per- 
dikkas zum  Feldzug  veranlasst.  Dagegen  c.  25  bezeichnet 
die  Niederwerfung  des  Ptolemaios  nur  als  Mittel  zur  Er- 
reichung eines  höheren  Zwecks,  erst  nach  ihr  kann  Make- 
donien, der  Thron  und  das  ganze  Reich  Alexander  des 
Grossen  in  Angriff  genommen  werden;  einen  ähnlichen 
Unterschied  zwischen  beiden  Quellen  werden  wir  in  Bezug 
auf  Antigonos  vorfinden  (s.  zu  XVIII  73).  Ausser  der 
Dublette  selbst  vgl.  aus  c.  25  livTiyovog  edlöa^ev  avTOvg 
Tieql  irig  oXr^g  eTtißoltjg  tov  UeqöU'/.ov  xal  öiOTi  zriv  Kleo- 
Tiatqav  yajuriGag  euOig  rj^ei  (.leTcc  xr^g  övvd(.iewg  slg  tr^v  Ma- 
ytedovlav  cog  ßaaileug  xal  zr^v  iqye/xovlav  avzcov  neQiaiqriOecai 
und  c.  23  iii6T£7isGe  zdlg  XoyiGf.io7g.  OQeyof-ievog  ydq  ßaGi- 
Xslag  l:G7revdc  rrjv  KleojtdzQav  yrj(.mLy  vofii'Ccüv  öid  zavvrjg 
TTQOTQeipeG&ac  tovg  Blaxedovag  GvyyMTaGxevaCeiv  avtcj)  zr^v 
ziüv  oXcüv  e^ovGiav.  Die  von  Perdikkas  Bedrohten,  Anti- 
pater  und  Krateros,  haben  sich  nach  dieser  Auffassung  bloss 
ihrer  Haut  gewehrt;  dem  von  c.  26  an  zu  Grund  gelegten 
Berichterstatter  sind  sie  Rebellen ,  welche  sich  gegen  den 
Thron  empören,  c.  29  oitwg  zov  Uzolef^ialov  TTQOGlrj^d^ivzog 


404  Sitzung  der  phÜos.'phüol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

elg  ov(.i^iaxiav  dvvaxol  yevcüvtac  neqiyevlod^ai  rcov  ßaoiXiytwv 
dvvaixecov.  Verschieden  ist  aucli  die  Weltanschauung:  c.  25 
kennt  kein  Eingreifen  der  Götter  in  den  Gang  der  mensch- 
lichen Dinge,  c.  28  führen  sie  die  Rettung  des  Ptolemaios 
herbei  (s.  unten  zu  XIX  11). 

Cap.  25  bildet  den  Schluss  eines  c.  22  beginnenden 
zusammenhängenden  Berichtes  über  den  pisidischen  Feldzug 
des  Perdikkas  und  den  aitolischen  des  Antipater  und  zu- 
gleich schliesst  damit  die  Jahrbeschreibung  von  114,  3.  322; 
der  nächste  zusammenhängende  Abschnitt  urafasst  in  c.  26 
bis  39  den  ägyptischen  Krieg  des  Perdikkas  und  den  gleich- 
zeitigen des  Eumenes  in  Kleinasien  sammt  der  Theilung  in 
Triparadeisos.  In  diesem  folgt  der  Beschluss  des  Perdikkas, 
gegen  Ptolemaios  auszuziehen,  auf  den  ersten  grossen  Vor- 
gang der  Jahresgeschichte  von  114,  4.  321,  den  Transport 
der  Leiche  Alexanders  nach  Aegypten ;  dagegen  in  c.  25 
steht  er  am  Schluss  nicht  bloss  der  Jahrbeschreibung  (es 
folgen  nur  noch  die  Worte  ravxa  ixev  ovv  ijtQaxSi]  naza 
TOVTOv  Tov  iviavtov)  sondern  auch  des  Jahres  selbst :  denn 
wenn  die  Eröffnung  des  Feldzuges  (ri^v  TtOQelav  STtl  xriv 
^lyvTttov  Itcolüxo)  diesem  Jahre,  die  Fortsetzung  also  dem 
nächsten  angehört,  so  kann  jene  vom  Jahresschluss  nicht 
durch  einen  ereignisslosen  Zwischenraum  getrennt  sein. 
Vorausgeht  in  c.  25  die  Flucht  des  Antigonos  zu  Antipater 
und  Krateros,  welche  durch  seine  Nachricht  von  den  Ab- 
sichten des  Perdikkas  auf  den  Thron  veranlasst  werden,  so- 
fort den  aitolischen  Krieg  einzustellen;  dieser  aber  spielte 
bereits  im  Winter,  vgl.  c.  25  G\)vavay'A.aQov%tov  rovq  Ttokz- 
fA,lovg  fievsiv  tov  xei^iMva  nal  öiaKaQTSQEiv  ev  xdlg  %iOvoßo- 
XovfxevoiQ  und  avayKalov  rjv  fÄsrovrag  vtv  svöelag  xal  xqviliov 
diag)&aQrlvaL.  Die  erstbenützte  Quelle  also,  die  von  XVIII 
22—25,  schliesst  das  Jahr  mit  dem  Winter;  in  ihr  haben 
wir  Hieronymos  zu  erkennen  und  da  seine  Jahrepoche  auf 
oder  um  den  25.  Februar  fällt  (pag.  382),  den  Kriegsbeschluss 


Ünger :  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.  40  5 

des  Perdikkas  und  den  Aufbruch  aus  Pisidien  in  den  Fe- 
bruar 321  zu  setzen.  Die  andere,  XVIII  26—39  zu  Grund 
gelegte  Quelle^)  nimmt  umgekehrt  den  Winter  als  Anfang 
des  Jahres.  Dem  Unternehmen  des  Perdikkas  gegen  Ptole- 
maios  geht  in  ihrer  Jahresgeschichte  die  Üeberführung  der 
Leiche  Alexanders  nach  Aegypten  voraus,  welche  demnach 
spätestens  im  Januar  oder  Februar  321  stattgefunden  hat, 
nicht  wie  Reuss  will  im  Frühling  darnach.  Das  Richtige 
hat  schon  Droysen   1,   110  erkannt. 

Ueber  die  letzten  Absichten  des  Perdikkas  zeigt  sich 
die  zuerst  (c.  25)  benützte  Quelle  besser  unterrichtet ,  s. 
Droysen  1,15;  100.  Ebenso  über  den  Ort,  wo  er  den  ent- 
scheidenden Kriegsrath  abhielt:  wenigstens  stimmt  Justin 
XIII  6,10  Perdicca  Aridaeum  in  Cappadocia  de  summa  belli 
in  consilium  adhibet  trotz  der  scheinbaren  Abweichung, 
welche  Droysen  1,14  veranlasst,  Pisidien  und  Kappadokien 
miteinander  zu  nennen,  insoferne  mit  Diod.  XVIII  25  überein, 
als  er  die  Berathung  auf  den  Schauplatz  des  zuletzt  ge- 
führten Krieges  verlegt.  Dies  war  der  pisidische ;  ihn  über- 
geht Justinus  oder  vielmehr  er  vermengt  ihn  XIII  6,1  mit 
dem  vorhergegangenen  kappadokischen :  Perdicca  hello  Aria- 
rathi  regi  Cappadocum  inlato  praelio  victor  nihil  praemii 
praeter  vulnera  et  pericula  rettulit:  quippe  hostes  ab  acie 
in  urbem  recepti  occisis  coniugibus  et  liberis  domos  quis- 
que  suas  cum  omnibus  copiis  incenderunt  etc.  ;  diese  her- 
oische Selbstvernichtung  vollzogen  die  Isaurier  im  pisidi- 
schen  Krieg  (Diod.  XVIII  22).  Es  ist  also  nur  eine  Folge 
dieser  Coufusion ,  wenn  Justinus  in  Cappadocia  anstatt  in 
Pisidia  sagt.  Von  da  ist  aber  Perdikkas  weder  sogleich,  wie  es 
nach  XVIII  25  scheinen  kann,  nach  Aegypten  gezogen  noch  hat 

9)  Dass  Hieronymos  den  Leichenwagen  ausführlich  beschrieben  hatte 
(Athen.  V  40),  ist,  wie  Rössler  36  treffend  bemerkt,  kein  Beweis  für  die 
Abstammung  der  XVIII  26—27  stehenden  Schilderung  desselben  aus 
jenem  Historiker. 


406        Sitzung  der  philos.-phÜol,  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

er  wie  die  von  Diodor  XVni29  überdies  missverstandene  Ne- 
beuquelle  angibt^^),  erst  auf  die  Nachriebt  vom  ersten  Siege 
des  Eumenes  den  Zug  dabin  begonnen.  Dieser  Sieg  ging  dem 
zweiten,  welcher  in  Aegypten  zwei  Tage  nach  dem  Tod  des 
Perdikkas  bekannt  wurde  (XVIII  37.  Plut.  Eum.  8),  bloss 
um  zehn  Tage  voraus  (Plut.  Eum.  8);  andrerseits  hielt  sich 
Perdikkas  nach  der  Rückkehr  von  Pisidien  noch  einige  Zeit 
in  Kilikien  auf,  wo  das  eigentliche  Hauptquartier  gewesen 
zu  sein  scheint  (Plut.  Eum.  4),  in  der  Nähe  der  königli- 
chen Schätze  welche  in  Kuinda  lagen.  Dort  glaubten  ihn 
Antipater  und  Krateros :  XVIII  29  ddyvtooav  l4vTi7iaTQ0i> 
jtqoayELv  eirl  KiXiytiag  öiajtolef-irjGovva  7TQdq  IleQSlxxav] 
33  ^vxucatQOQ,  TTQOTJyev  hd  Kihxiav  ortet öcov  ßoi]d-rioai  Tfp» 
nToXeinaui) ;  Plutarch  Eum.  6  KQaieQOs  LlvTiJtaTQOv  elg 
Kdixibcv  arcloTellEv.  Eumenes  ist  jedenfalls  gleich  von  Pi- 
sidien aus  gegen  sie  entsandt  worden ;  ihn  mit  nach  Kili- 
kien ziehen  und  erst  von  da  aus  abgehen  zu  lassen  ,  wäre 
eine  nutzlose  Zeit-  und  Kraftverschwendung  gewesen.  Per- 
dikkas aber  mag  in  Kilikien  dem  Heer  eine  Rast  gegönnt 
haben;  einen  zweiten  Aufenthalt  nahm  er  in  Damaskos ; 
dort  fand  der  eigentliche  Aufbruch  gegen  Aegypten  statt, 
Arrian  success.  28  TtaqayivExai  ccTto  Jaf.iaoy.ov  neQdr/,y.ag 
In  ^lyvTtTov.  Er  wird  auf  Nachricht  von  Eumenes  gewar- 
tet und  als  die  Kunde  von  dessen  Sieg  über  Neoptolemos 
und  dem  Uebertritt  des  von  diesem  geführten  Heeres  eintraf, 
den  Zug  fortgesetzt  haben.  —  Der  Nachricht  der  Neben- 
quelle, dass  Python  und  Arridaios  nach  seinem  Fall  zu 
Reichsverwesern  ernannt  worden  seien  und  nur  aus  Ueberdruss 
diese  Würde  aufgegeben  hätten  (XVIII  37 ;  39),  ist  Droy- 
sen  1,134  trotz  ihrer  von  ihm  selbst  gefühlten  Unwahr- 
scheinlichkeit  gefolgt;  der  in  der  Regel  gut  unterrichtete 
Arrian  sagt  aber  success.  30  avTc  IleQÖUxov  Uld^cov  %al^Q- 

10)  Er  bezieht  auf  den  zweiten  Sieg,  was  vom  ersten  gilt,  s.  Kal- 
lenberg  im  Philologus  36,525. 


Unger:  Dioiors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.  407 

Qidalog  Ev  tu)  Tecog  dveQQri&rjOap.  Sie  übernahmen  also  bloss 
vorläufig  den  Befehl;  dem  entsprechend  erklären  sie  §  31 
avTolg  Hog  av  ^vzlyovog  Kai  ^ivxijtaxQog  naqaytviovzai  fieli^- 
oeiv  tceqI  Ttavxcov  und  wie  selbstverständlich  geht  er  dann 
auf  Antipater  über,  §  32  wi/  7taQayEV0}.dvü)v  eig  Liviiyovov 
ri  dvvaöteia  Tiequotatai. 

Dieselbe  Verschiedenheit  der  Anschauung  über  das  Yer- 
hältniss  von  Gott  und  Welt  wie  sie  zwischen  XVIIT  25 
und  28  besteht,  findet  sich  auch  sonst  zwischen  Hierony- 
mos  und  der  Nebenquelle,  s.  zu  XIX  11;  andere  Abweich- 
ungen von  jenem  zeigt  bei  Vergleichung  mit  XVIII  3  die 
Darstellung  der  Theilung  von  Triparadeisos  c.  39.  Die  Sa- 
trapie  Mesopotamien  und  Arbelitis  heisst  c.  3  bloss  Meso- 
potamien ;  umgekehrt  wird  die  dort  Parthien  und  Hjrkanien 
umfassende  hier  nur  Parthien  genannt.  Ausdrücklich  wird 
die  Beibehaltung  des  früheren  Umfangs  c.  39  bei  der  des 
Antigonos  hervorgehoben :  0Qvyiav  Trjv  i^ieyalrjv  y,al  ylvKiav 
^AvTLyovco  Ka&a7V£Q  jtqoTeqov  t'oxe,  derselbe  aber  c.  3  ^4vtl- 
yova)  T[a{.i(pvXiav  ycal  ^vKiav  %al  zi\v  f.ieyalr]v  y,aXovfxevi]v 
(Dqvyiav  doch  anders  bezeichnete^);  mit  c.  3  stimmt  Appian 
Syr.  53,  der  auch  sonst  aus  Hieronymos  schöpft  (pag.  410). 
Der  Chiliarchentitel  c.  39  wird  von  diesem  wie  es  scheint 
absichtlich  vermieden,  s.  zu  XVIII  48. 
2.  XVIII  43-49. 

Zwischen  den  zwei  p.  372  auf  Hieronymos  zurückgeführ- 
ten Abschnitten  XVIII  40 — 42  (Krieg  zwischen  Antigonos 
und  Eumenes  in  Kappadokien)  und  50  —  53  (Antigonos  ge- 
gen Aridaios  von  Kleinphrygien)  liegen  zwei  geschlossene 
Stücke  :  c.  43  die  Erwerbung  Koilesyriens  durch  Ptolemaios 
und  c  44 — 49  der  Krieg  des  Antigonos  gegen  die  Perdikkaner 
in  Pisidien,  nach  dessen  Beendigung  er  den  Tod  Antipaters 


11)  Vollständig  ist  auch  diese  Bestimmung  nicht;  sie  übergeht Ly- 
kaonien,  s.  Arrian  §  37. 


408        Sitzung  der  philo s.-phüol  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

erfuhr;  der  Bericht  geht  daher  auf  Makedonien  über,  um 
jenes  Ereigniss  und  was  mit  ihm  zusammenhängt  mitzu- 
theilen.  Von  c.  43  wird  zu  c.  73  die  Rede  sein ;  das  grös- 
sere der  zwei  Stücke  liefert  Dubletten  und  Abweichungen 
von  den  aus  Hieronymos  gezogenen  Abschnitten. 

Eine  Wiederholung  aus  anderer  Quelle  als  c  41  tov 
XfOQiOv  (NwQCüv)  TYiV  ixavrjv  cpvlaxijv  ccTroXiTtcov  wg/iirjoev 
BTtl  Tovg  7tOQevof.i£vovg^''^)  i^yef-iovag  rcov  ^rroXE/Lilcov  y.ai  dvva- 
fAEig  exovvag^  ^AXxerav  xe  tov  dSelcpov  tov  TleQÖUxov  xal 
^iTxaXov  TOV  TOV  GToXov  TiavTog  xvQievovTa  scheint  c.  44  zu 
geben  :  ^AvTiyovog  xaTaTte/coXcf.wxcLg  Tovg  Ttegl  tov  Ev(,ievri 
ezQive  OTQaveveiv  87x1  tov  l4XxeTav  %al  ATTaXov.  ovxoi  yaq 
VTCEkuTtovTO  tCjv  Ueodl^iKOv  cplXcov  ytat  oIkclcov  Tjyef-ioveg  fiev 
a^LoXoyoi  OTqaTuoTag  d'e%ovTeg  \'/.avovg  af-i(piGßi]Tfioai  tcov 
7rQayf.iaTCüv.  dvatev^ag  oiv  (.ieto.  Trdorjg  Trjg  SvvdfAECog  ea  Ka/t- 
Ttaöoxiag  Ttqorjyev  htl  Tiijv  IIiGidixriv.  Beide  Stellen  wer- 
den allgemein,  z.  B.  von  Droysen  1,168  auf  eine  und  dieselbe 
Unternehmung  des  Antigonos  bezogen ,  aber  mit  Unrecht. 
Antigonos  ist  zweimal  gegen  die  Perdikkaner 
ausgezogen:  das  erste  Mal  im  Herbst  320,  unmittelbar 
nach  der  Einschliessung  des  Eumenes  in  Nora  (c.  41) ;  dann 
(c.  44)  im  Frühjahr  319'^).  Zwischen  beiden  Feldzügen 
liegt  der  Winter,  den  Antigonos  in  Kappadokien  ,  Alketas 
in  seiner  Nähe,  d.  i.  in  Pisidien  zubrachte,  Polyaen  IV  6,6 


12)  Dies  Wort  gibt  keinen  erträglichen  Sinn.  Bewegungen  ohne 
festes  Ziel  würden  durch  nlcci^iof^Evovg  ausgedrückt  sein.  Vielleicht  ist 
vTiolemofxevovs  zu  schreiben.  Dindorf  hat  ßhodoxnanns  Conjectur 
ininoqevo^evovg  (ingruentes)  in  den  Text  gesetzt;  das  passt  nicht  zu 
SvvcKf^eig  e/oPTccg. 

18)  Reuss  verwechselt  die  Zeit  der  Winterquartiere  mit  der  des  nach 
ihnen  unternommenen  Feldzugs  gegen  Alketas,  wenn  er  p.  162  diesen 
in  den  Winter  320/19  setzt ,  wozu  er  durch  die  unrichtige  Zeitbestim- 
mung von  Antipaters  Tod  und  Eumenes  Entlassung  aus  Nora  (s.  u.)  ge- 
nöthigt  wird. 


ünger:  Diodors  Quellen  in  der  DiadocJiengeschicJite.       409 

l4vTi'/ovog  ttsqI  KaTtTtaSoxlav  exelf^iatev.  mteorrjoav  d''avTOv 
ol  May^edoveg  ovzeg  tqioxiXioi  ,  sdeöolxei  di  (^rj  Ttqood^dlvxo 
To7g  TtoXefxioig  wv  l4l%ixag  r\qyß.  Beim  ersten  Feldzug  ist 
Attalos  noch  im  Besitze  der  Flotte,  c.  41  %aV!ATxa%ov  töv 
Tov  GToXov  TtavTog  KVQievovra  (vgl.  c.  37);  beim  zweiten 
stellt  er  schon  mit  Alketas  im  Binnenland  Pisidien.  Den 
Verlauf  der  ersten  Unternehmung  hat  Diodor  nach  dem  Be- 
richt über  Euraenes  Treiben  in  Nora  nachzubringen  verges- 
sen;  dass  aber  damals  die  Perdikkaner  noch  die  südwest- 
liche Küste  Kleinasiens  besassen,  beweist  Appian  Syr.  52, 
welcher  von  dem  im  Sommer  oder  Herbst  320  aus  Syrien 
entflohenen  Laomedon  sagt :  ^Qog  ^XxeTav  scpvyev  ig  Ka- 
Qiav.  Wir  vermuthen  daher ,  dass  Antigonos  im  Herbst 
320  nach  Karien  zog  und  die  Perdikkaner  zwang,  die  Küsten 
Kleinasiens  zu  räumen  und  sich  nach  Pisidien  zurückzuzie- 
hen, welches  sich  Alketas  schon  lange  zur  Zuflucht  auser- 
sehen hatte;  der  Winter  nöthigte  dann  den  Antigonos,  die 
Verfolgung  vorläufig  einzustellen*^).  Wenn  hienach  c.  44 
auch  keine  Dublette  zu  c.  41  enthält,  so  ist  doch  die  Qaelle 
eine  andere :  die  c.  44  benützte  weiss  nichts  von  dem  frü- 
heren Zug  des  Antigonos  gegen  die  Perdikkaner,  welchen 
wir  ans  c.  41  kennen  lernen.  Auch  hier  zeigt  sich  die 
Nebenquelle  mit  der  Geschichte  der  asiatischen  Vorgänge 
nur  mangelhaft  vertraut. 

Ueber  die  Würde,  welche  Antipaters  Testament  seinem 
Sohne  zudachte,  sagt  XVII I  48  :  Kaooavöqov  {ajvsdeL^e)  xi- 


14)  Droysens  Darstellung  (1,168),  Alketas  habe  eben,  als  Laomedon 
zu  ihm  floh,  aus  Karien  sich  in  die  pisidischen  Berggegenden  geworfen, 
um  dort  den  entscheidenden  Kampf  gegen  Antigonos  zu  beginnen,  stützt 
sich  bloss  auf  den  Textfehler  noQSvo[jiivovg  bei  Diodor  (s.  Anm.  12). 
Asander  war  durch  die  Niederlage  ,  welche  ihm  Attalos  und  Alketas 
beibrachten  ( Arrian  §  41),  verhindert  worden  die  ihm  zugewiesene 
Satrapie  anzutreten;  erst  der  Zug  des  Antigonos,  von  welchem  Diod. 
XVIII  41  spricht,  hat  ihm  also  dieselbe  verschafft. 


410        Sitzimg  der  philos.'pJnlol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

XlaQXOv  y,at  devzsQsvovTa  v.axa  xr^v  i^ovoiav.  ij  ^^  '^ov  %Lki- 
aqxov  rd^ig  xal  TtQoaywyrj  t6  (xev  ytQcovov  vtco  twv  HegGi- 
y,wv  ßaGiXicüv  eig  bvofxa  Kai  öo^av  rCQOYixd^Tq'  /ueva  ös  Tavta 
naXiv  vtt''  IdXe^avÖQOv  (.leyaXrjg  l'ziyev  i^ovolag  yial  TLfxrjg, 
OTs  ycal  Ttov  aXkcov  twv  UeQOixwv  vof,ufxcüv  CrjXwziqg  syeveTOf 
dio  yial  ^vTiJtaxQog  /.axa  xi^v  avTYjv  aycoyqv  tov  viov  Kao- 
oavÖQOv  ccTceöei^e  y/XlaQyov.  Eine  so  ausführliche  Besprech- 
ung gibt  man,  wenn  der  Gegenstand  vorher  noch  nicht  er- 
wähnt oder  wenigstens  nicht  erklärt  worden  war.  Beides 
ist,  aber  in  anderer  Weise  und  mit  anderer  Bezeichnung, 
schon  c.  3  nach  dem  Vorgang  des  Hierouymos  (p.  370  und 
407)  geschehen :  ^elevaov  sra^ev  sTtt  riqv  InnaQxiav  tcov  ezal- 
Qcov  ovoav  eTZKpavEOTarrjv  '  Tavtrjg  yaQ  '^licfaiozicov  nQcoTog 
fi£v  iqyrjGccvo  fiezd  Ss  tovtov  JJeQÖiKKag  TQiTog  ö'o  TtQOSiQtj- 
f.iivog  ^eXevyiog  ^  womit  Appian  Syr.  57  ylyverai  {2fXevKog) 
ei-d^vg^AXe^dvö^ov  ^eTaovdvrog  iqy£fj.a)v  zrjg  iTVTtov  xr^g  exai- 
Qiyirjg,  T^g  Sn^  y.al  '^Hq)aiöxuov  yjyi^Gaxo  l4Xe^dvdQtü  yial  ecp' 
*^I-lq^aioxio)vi  Ileqd Uxag  eine  fast  wörtliche  und  aus  gemein- 
samer Benützung  des  Hieronymos  (vgl.  p.  371  und  407)  zu 
erklärende  Uebereinstimmung  aufzeigt.  In  einem  auffallen- 
den, von  Droysen  1,  15  nicht  berücksichtigten  Widerspruch 
mit  beiden  Quellen  steht  Arrian:  mit  Hieronymos,  insofern 
er  leugnet ,  dass  Alexander  dem  Hephaistion  einen  Nach- 
folger gegeben  hatte  (exped.  Alex.  VII  14,  10)  ;  mit  der 
Nebenquelle  Diodors,  indem  er  die  Chiliarchie  als  die  höchste 
Würde  nach  dem  König,  nicht  als  die  zweite  bezeichnet, 
Arr.  success.  Alex.  §  3  :  JleqdUnav  yiXLaQxuv  xiXiaQXictg  '^g 
rjQXev  '^Hq)aiOTicüv'  x6  öi  TJv  emxQOTCt)  xrjg  nccGyg  ßaGiXeiag. 
Aus  Arr.  exp.  VII  14  10  otSs  dXXov  Xivd  l'xa^ev  ävzVlicpai- 
Gxtcüvog  ;jiA/a^%OJ^  srct  xfj  ^titcco  xrj  sxaiQixij  ^Xe^avöqog^  %va 
fiiri  drtoXoLXO  x6  ovofÄa  xov  '^Hg)aiGxicovog  ex  xrjg  xd^ecog'  dXXd 
'^HcpaLGXicovog  xe  ?J  yjXiaQxia  ixaXelxo  Kai  x6  Grjfxelov  avXTjg 
iqyslxo  e^  '^HgjaLGxlcovog  TtSTtoirji^evov  sieht  man,  dass  Hephai- 
stion, modern  zu  sprechen,    nomineller  Inhaber  des  Garde- 


ünger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.        411 

regiments  zu  Pferd  blieb ;  zum  wirklichen  oder  stellvertre- 
tenden Befehlshaber,  welchen  dasselbe  ja  haben  musste, 
wurde  vermuthlich  Perdikkas  ernannt  und  ihm  ein  Titel 
wie  LTtTtagxog  oder  T^yeficov  Trig  ciCTtov  Trjg  EvaLQLxrjg  gegeben. 
Gemeinhin  wird  man  es  aber  damit  nicht  so  genau  genom- 
men und  ihn  auch  mit  dem  Titel  der  Würde,  die  er  that- 
sächlich  inne  hatte  ,  beehrt  haben.  Die  mit  derselben 
verbundene  Bedeutung  und  Stellung  am  Hof  stand  im  um- 
gekehrten Verhältniss  zur  Kraft  des  Trägers  der  Krone : 
unter  einem  grossen  König  wie  Alexander  blosser  Hofmar- 
schall oder  Generaladjutant  musste  unter  einem  Philippos 
Aridaios  der  Chiliarch  wieder  werden ,  was  er  unter  den 
schwachen  Perserkönigen  gewesen  war:  Grosswessier  oder 
Maiordomus. 

So  war  es  fast  selbstverständlich,  dass  Perdikkas  nach 
dem  Tod  Alexanders  auch  den  Titel  des  Amtes,  das  er 
schon  bekleidete,  annahm  und  mit  ihm  die  Gewalt,  welche 
der  sterbende  König  durch  Einhändigung  des  Rings  ihm 
symbolisch  übertragen  hatte,  und  da  neben  einem  schwach- 
sinnigen und  einem  unmündigen  König  die  Macht  noch  grös- 
ser war  ,  als  sie  selbst  unter  den  Perserkönigen  gewesen,  so 
trennte  Perdikkas  das  eigentliche  Commando,  an  welchem 
das  ganze  Hofamt  erwachsen  war,  von  diesem  ab  und  über- 
trug es  sammt  dem  Titel,  welchen  er  als  Interimsbefehls- 
haber der  Hetairenreiter  geführt  hatte,  dem  Seleukos.  Die 
officielle  Bezeichnung  des  Perdikkas  gibt  Arrian ;  Hierony- 
mos  (XVHI  3)  vermeidet  den  jetzt  zweideutig  und  missver- 
ständlich gewordenen  Titel  Chiliarch  und  gibt  dafür  die 
thatsächliche  Machtstelluug  des  Perdikkas  an  ;  die  Neben- 
quelle Diodors  zeigt  sich  abermals  am  wenigsten  mit  den 
Verhältnissen  in  Asien  bekannt,  sie  hält  sich  an  die  popu- 
läre Benennung.  Wenn  nun  diese  XVHI  39  JiccQSi^ev^e  Tf^J 
lävTtyovM  xi^laQxov  tov  viov  Kaöoavdqov  ^^)  den  Sohn  Anti- 


412  Sitzung  der  philos.-philoL  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

paters  schon  bei  der  Theilung  von  Triparadeisos  zum  Chi- 
liarclien  emporsteigen  lässt,  so  scheint  es,  als  hätte  Kas- 
sander durch  das  Testament  seines  Vaters  gar  keine  Be- 
förderung erfahren  und  in  diesem  Sinne  sagt  Droysen  1, 
117,  seine  Würde  sei  ihm  belassen  worden.  So  weit  jedoch 
gieng  Antipater  in  der  Verleugnung  der  Vaterliebe  nicht ; 
dass  Kassander  eine  höhere  Stellung  erhalten  sollte,  beweist 
der  zweimal  XVIII  48  und  zum  dritten  Mal  in  dem  einzigen 
Zeugniss,  welches  wir  ausserdem  hierüber  besitzen,  bei  Plut. 
Phok.  31  gebrauchte  Ausdruck  Kaoöavdqov  dnedet^B  %LliaQ- 
yov.  Bei  der  Theilung  von  Triparadeisos  war  Kassander 
Chiliarch  des  Oberfeldherrn  in  Asien  Antigonos  geworden; 
jetzt  sollte  er  eine  entsprechende  Stellung  beim  Reichsver- 
weser Polysperchon  selbst  einnehmen.  Schuld  an  der  Un- 
klarheit ist  die  Ungenauigkeit  unsres  Gewährsmannes  (dass 
Plutarch  dieselbe  Quelle  anwendet,  scheint  aus  dem  Vor- 
kommen noch  anderer  Uebereinstimmungen  hervorzugehen, 
s.  zu  XVIII  65) ;  doch  ist  wenigstens  bei  der  ersten  Nen- 
nung zur  Verhütung  von  Missverständniss  zu  %ikiaq%ov  hin- 
zugefügt :  v.al  SevTeQevovza  Kard  rrjv  s^ovoiav.  Da  Seleukos 
bei  der  Theilung  von  Triparadeisos  eine  Satrapie  bekam, 
so  erhielt  seine  bisherige  Stelle  als  Befehlshaber  der  He- 
tairenreiter  Kassander  und  erbte  damit  die  populäre  Be- 
nennung Chiliarch;  er  wurde  dem  Antigonos  unterstellt, 
weil  dieser  als  Oberfeldherr  in  Asien  thatsächlich  an  die 
Stelle  des  Perdikkas  trat  oder  wenigstens  treten  sollte. 

Einen  Abschnitt  für  sich  bilden  c.  54 — 63,  enthaltend 
den  Schluss  der  Jahresgeschichte  von  115,  2.  319  und  den 
Anfang  von  115,  3.  318;  beide  Stücke  hängen  zusammen, 
c.  58  x^^Q^S  "^(^v  TtQoeiQrjfÄSvcov  am  Anfang  des  neuen  Jahres 

15)  Arrian  success.  §  33  KdaaväQov  /iXiccqxv^  r^?  innov,  rrjg 
SivufieoDS  Se  Trjg  n^oad^Bv  vno  JleQÖUxa  Terccyfxiyrjg  ^Avriyovov  riys- 
f^öya  (X7iE^t]P€. 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte,        41  o 

bezieht  sich  auf  den  Inhalt  von  c.  57  zurück.  Das  Ganze 
ist,  gleich  c.  50—53,  aus  Hieronymos  gezogen;  dessen  Welt- 
anschauung gibt  c.  54,  59,  60,  61  (s.  zu  XTX  11),  seine 
Ansicht  über  die  letzten  Ziele  des  Antigonos  c.  58  (s.  zu 
c.  73).  So  steht  denn  auch  c.  63  über  die  Besatzungen 
von  Phoinike  in  Widerspruch  mit  der  Nebenquelle  (s.  zu 
c.  73)  und  liefert  zu  ihren  Berichten  Dubletten,  deren  In- 
halt auf  einen  anderen  Gewährsmann  hinweisen.  Ueber  die 
Stimmung  Kassanders ,  als  er  sich  in  Ansehung  seines 
höchsten  Wunsches  enterbt  sah,  heisst  es  c.  49  :  Ou  i^riv  6 
KaaoavÖQog  ya  Trj  tov  Ttaxqdg  ra^et  ovvevöoxr^S-i]^  öeivov 
"^youf-ievog  el  trjv  tov  ftatQog  i^yef.ioviav  o  ini]  TtQoayjxwv  xata 
yivog  diadt^etai  xal  xavd-^  vlov  dvva^ievov  7tQayf,iaTCüv  r]yei- 
o&ai  -nal  öeSrjXwxoTog  ijör]  TtelQav  aQET^gTexalovÖQetag.  Von 
neuem ,  als  wäre  vorher  darüber  nicht  gesprochen ,  wird 
c.  54  darauf  eingegangen :  KaoaavÖQog  dn-OTetevxcog  Tijg 
Kavd  rrjv  Ma/.eSopiav  ^ysf^wvlag  ovx  emr^^ev  dXX^  sAQivev 
avTtxsod^ai  xavxiqg^  aloxQOv  eivat  diaXaf.ißavcov  rrjv  tov  tt«- 
TQog  ccQyj^v  vcp*  eTeqcov  dioi'/.elod^ai.  Die  Auffassung  ist  nicht 
dieselbe:  Hieronymos  (c.  54)  spricht  von  dem  Muth  Kas- 
sanders, welcher  sich  durch  das  Votum  des  eigenen  Vaters 
nicht  einschüchtern  liess ,  derselbe  denkt  bei  ihm  bloss  an 
seinen  vermeintlichen  Erbanspruch  ohne  Rücksicht  auf  eignes 
Verdienst.  Die  Nebenquelle  (c.  49)  fasst  auch  letzteres  ins 
Auge,  legt  aber  das  Hauptgewicht  auf  die  Stimmung  der 
Unzufriedenheit,  welche  sich  bei  dem  Bewusstsein,  der  Stelle 
würdig  und  gewachsen  zu  sein,  in  seiner  Seele  bildete. 

Die  Neben  quelle  ist  gegen  Kassander  gün- 
stig gesinnt.  Sie  lobt  zwei  Eigenschaften  an  ihm, 
welche  durch  Te  xai  als  wesentlich  verschieden  auseinander 
gehalten  sind :  seine  nirgends  in  Zweifel  gezogene  avdqeia 
(vgl.  c.  43  KaoöavÖQOv  ovra  veov  ccTtsdei^e  xillaQxov)  und 
seine  dgerrj^  eine  Eigenschaft  von  der  andere  Schrift- 
steller kein  Aufhebens  machen.  Gemeint  ist  persönlicher 
[1878  I.  Phüos.-philol.  hist.  Cl.  4.]  30 


414  Sitzung  der  phüos.-philol  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

Werth  und  anerkanntes  Wolil  verhalten  ,  welches  einer  so 
hohen  Stellung  würdig  macht ;  synonym  ist  eTTieixeicc ,  vgl. 
dieselbe  Quelle  über  Ptolemaios  XVIII  28  oi  d-eol  did  xr-v 
aQezrjv  y.al  elg  Ttccvrag  zovg  cpilovg  eTtieUecav  sx  tw)^  (,ie- 
yloTcov  Tiivövvcüv  TtaQaSo^cog  avrdv  dieotooav  und  über  Kas- 
sander selbst  c.  75  htieiALog  (=  ,t(£T'  dger^g)  nQOGcpBQO- 
^evog  TcaOL  nal  Kavd  idg  Tcqa^etg  svsQydg  (  —  dvÖQEwg)  cov. 
An  unserer  Stelle  übergeht  sie,  dass  die  Neigung  des  Volkes 
nicht  auf  seiner  Seite  war  (Hieron.  c.  54  oqwv  Tr]v  rcov 
Maycedovcov  OQ/urjv  y,eyiXii^ivrjV  rcQog  tcv  TloXvajt iq%ovra) ;  wo 
das  der  Fall  ist,  weis^  sie  diesen  Faktor  sehr  Avohl  zu 
schätzen:  c.  75  a.  a.  0.  Tcolloig  elx^v  algeziOTccg  Trjg  avcou 
öwaGTslag ;  XIX  11  twv  KaoGavÖQOv  q)iXcov  rovg  s/ci(pave- 
oiarovg  exarov  Maycedovag ;  50  ^OXvi.irtidg  OQioGa  Tovg  ^rXel- 
OTOvg  fX€TazLd^e^€vovg  TiQog  Kdooavöqov.  Ursache  der  Flucht 
der  Olympias  nach  Epeiros  ist  bei  ihr  XVIII  49  Antipater, 
aber  bei  Hieronymos  c.  57  Kassander ;  ganz  ähulich  spricht 
die  Nebenquelle  bei  der  Hinrichtung  des  Demades  (c.  48 : 
^vTiTTaTQog  ovöey-iav  dovg  aTtoxQioiv  TTagiöcüxe  To7g  htl  xdg 
zifÄCogiag  Terayf-iivoig  avTov  re  tov  Jri^ddrjv  y,al  rov  viov 
^fjf^sav  ovTOi  (xev  ovv  dnaxd^evTng  ug  %i  ÖL-Krjf^a  evxeleg 
eS^avaTw&Tqoav)  und  bei  der  Entdeckung  seines  zweideutigen 
Verhaltens  nur  von  Antipater,  kein  Wort  von  Kassander, 
welcher  nach  der  durch  die  andern  Berichte  herrschend 
gewordenen  Ansicht  sowohl  intellectueller  Urheber  als  phy- 
sischer Thäter  des  Mordes  war.  Letzteren  schildern  Plutarch 
Phok.  30  Kaooavöqog  ovviXaße  xal  TtQWTa  (xev  tov  v\6v 
syyvg  Ttqoöayaycov  TiQOsacpa^ev  wors  Kavaöe^ao^at  Tolg  xoA- 
Ttoig  TOV  TtaTeqa  Kai  yiaTaTrXrjo^rjvai  tov  cpovov '  ^er«  Tavta 
(5'  elg  axccQiGTiav  amov  y.al  Tcqodooiav  noXXd  XoiöoQ'ijoag 
nat  Tia&vßQLOag  drcsKTeLvev;  ähnlich  Plut.  Demosth.  31  und 
Arrian  success.  §  14  Ji](jdSrjg  V7td  Kaöodvdqov  socpdyi]  tov 
TTaiSog  SV  Tolg  KoXTTOig  TtQoartoöq'ayevTog.  Die  würdiger 
gehaltene  Darstellung  der  Nebenquelle  Diodors  hat  Droysen 


Ünger:  Diodors  Qusllen  in  der  Diadochengeschichte.         415 

1,  76  nicht  berücksichtigt;  es  ist  aber  wohl  zu  beachten, 
dass  Plutarch  und  Arrian  hier  einer  gemeinsamen  Quelle 
folgen :  auch  die  Vorgeschichte  des  Mords  ist  bei  beiden 
übereinstimmend  behandelt.  Ob  in  all'  diesen  Fällen  Dio- 
dors zweiter  Gewährsmann  die  Wahrheit  parteiisch  entstellt 
oder  sie  unparteiisch  allein  erhalten  hat,  ist  schwer  zu  sagen ; 
Angesichts  der  bisher  üblichen  Hintansetzung  seiner  eigen - 
thümlicheu  Berichte  über  die  Ursache  des  Entweichens  der 
Olympias ,  über  den  Charakter  Kassanders  und  das  Ende 
des  Demades  muss  erinnert  werden ,  dass  Kassander  unter 
den  Diadochen  der  einzige  ist,  über  welchen  die  alten  Schrift- 
steller verschieden  urtheilen,  aber  auch  derjenige,  bei  welchem 
eine  solche  Ausnahmestellung  am  leichtesten  begreiflich  wird. 
Vor  Mord  und  Hinterlist  haben  sie  alle,  selbst  der  ob  seiuer 
Milde  und  Menschenfreundlichkeit  vielbelobte  Ptolemaios, 
wo  ihr  Interesse  das  zu  erheischen  schien,  nicht  zurückge- 
bebt; aber  unter  den  von  Kassander,  dem  eben  Makedonien 
selbst  und  Hellas  zugefallen  war,  Gemordeten  befanden  sich 
des  grossen  Königs  Mutter  Sohn  und  Wittwe,  unter  seinen 
Feinden  sowohl  die  demokratische  Partei  Athens  und  damit 
die  grosse  Mehrheit  der  für  das  Urtheil  der  Nachwelt  mass- 
gebendsten  Stadtbevölkerung,  als  die  Antigoniden ,  Make- 
doniens spätere  Herrscher,  deren  vertrauter  Freund  zugleich 
die  verbreitetste  und  in  vielen  Beziehungen  beste  Diadochen- 
geschichte geschrieben  hat. 

Die  Doppelerzählung  von  Kassanders .  Verhalten  nach 
dem  Tod  Antipaters  erstreckt  sich  noch  weiter ,  sie  reicht 
bis  zu  den  Vorbereitungen  zu  seiner  Flucht  aus  Makedonien. 
Die  Nebenquelle  geht  hier,  wie  überhaupt  in  den  makedo- 
nisch-griechischen Dingen,  genauer  ein:  nach  ihr  begab  er 
sich  zuerst  mit  seinen  Freunden  auf's  Land  und  besprach 
sich  dort,  wo  Müsse  und  Gelegenheit  genug  dazu  war, 
häufig  über  die  Regentschaft.  Jeden  nahm  er  unter  vier 
Augen  vor,    bat  um  seine  Beihülfe  zum  Gewinn  des  Regi- 

30* 


416  Sitzung  der  philos.'philol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

luents  und  brachte  sie  alle  durcli  glänzende  Versprechungen 
auf  seine  Seite.  An  Ptolemaios  schickte  er  heimlich  Ge- 
sandte mit  der  Bitte  um  Beistand  und  schleunige  Entsen- 
dung einer  Flotte  in  den  Hellespont ;  auch  an  die  andern 
Feldherren  und  Staaten  richtete  er  durch  Botschafter  das 
Gesuch  um  Hülfe ;  er  selbst  hielt  unterdessen  durch  fleis- 
siges  Jagen  allen  Verdacht  ferne.  —  Hieronymos  meldet 
c.  54  nur,  dass  Kassander  sich  mit  seinen  Vertrauten  heim- 
lich besprach  und  sie  dann,  während  er  einen  Landaufent- 
halt nahm  und  durch  Jagen  sich  den  Anschein  der  Gleich- 
gültigkeit gab,  an  den  Hellespont  schickte ;  dass  dies  geschah 
um  dort  alles  für  seiue  Abreise  vorzubereiten,  scheint  aus  dem 
Folgenden  hervorzugehen  {cog  ö'eihQsnij  Tvccvra  r^v  avToj  ta 
^rgog  rrjv  a7toörji.iiav  i'XaO^ev  dvcc^ev^ag  sk  Trjg  Maxedoviag, 
yiavavrrioag  d'elg  rrjv  XeQQovrjOov  Kccvrev&ev  dva^ev^ag  TtaQrjl- 
d^ev  elg  ''ElXrjOTrovTov).  Die  Aussendung  der  Botschafter  ist 
dem  Hieronymos  zufolge  wahrscheinlich  erst  nach  der  Ab- 
reise erfolgt ;  chronologische  Abweichungen  zeigen  sich  auch 
in  anderen  Punkten :  so  in  Betreff  des  Landaufenthaltes, 
welchen  Kassander  bei  Hieronymos  erst  nach  den  Bespre- 
chungen mit  den  Freunden  nimmt ;  daher  dauert  derselbe 
bei  ihm  auch  nicht  so  lauge,  vgl.  c.  54  ecp'  ^/u^QagTivdg  öyoXd- 
oag  £7tl  Tf^g  x(x)qag  y.al  Kvvrjyia  GLViGva^evog  mit  c.  49 
Tivvrjyiav  enl  noXkdg  rj/^tigag  GvoTTjOaf-tevog. 

Aehnliche  Abweichungen  zeigt  ein  anderes  Dubletten- 
paar. Die  Nebenquelle  erwähnt  aus  der  Geschichte  Make- 
doniens im  J.  319  nur  noch  die  Einladung  an  Olympias,  c. 
49  UoXvOTciqxcov  de  7caqaXaßu)v  xiqv  rwv  ßaaiXecov  erCL^ieXeLav 
y,at  ovveÖQEvGag  fierd  xwv  (pllwv  ^OXtf^iyciaöa  jxsv  gvv  tfj 
Tiüv  GvvtÖQiov  yvcüjurj  fxeTeTCsiiTteto  ,  naqaxaXcov  t^v  eTtifxe- 
Xeiav  TOv  lAXe^avöqov  v\ov  TtaiSog  ovzog  /cagalaßelv  xal  öia- 
TQißsiv  6v  MaKsSovla  Trjv  ßaGiXiKi^v  ejovGav  7TQ0GxaGiav.  ^ 
^'  ^OXvfiTtidg  SV  Tolg  STcdvco  xqovotg  Irvyxavev  elg  ^'HrcecQOv 
Ttsqpevyvla  öid  Ty\v  TVQog  IdvrinaTQOv  dXXozQiorrjTa.     Dieselbe 


ünger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.         417 

Einladung  erzählt  Hieronymos  c.  57  eyQa^'e  de  xal  rcqog  Tiqv 
^OXv^imada  rrjv  ^4Xe^avd()0v  firjzeQa  ötaTQißovöav  ev  ^HiteiQco 
dia  Triv  TTQog  KdaoavÖQOv  eyßqav,  iva  xrjv  TayJoTi^v  elg  Ma- 
'/.edoviav  xazapT^orj  Kai  TtaqaXaßovGa  to  AXe^avöqov  Ttaidlov 
s/rifÄsleiav  avvov  TtoirJTai,  l-dyQig  gv  elg  rjlrAiav  eA^?y  xal  xrrv 
Ttarqajav  ßaaiXelav  7Taqa'kaßrj.  Die  Nebenquelle  zeigt  sich  in 
Sachen  Makedoniens  und  Griechenlands  genauer  und  besser 
bewandert  als  Hieronymos,  das  entgegengesetzte  Verhältniss 
hat  sich  in  Betreif  der  asiatischen  Vorgänge  herausgestellt. 
So  schweigt  hier  Hieronymos  von  der  in  c.  49  hervorge- 
hobenen berathenden  Sitzung,  während  umgekehrt  die  vor 
dem  aegyptischen  Feldzug  von  Perdikkas  gehaltene  in  der 
Nebeuquelle  fehlt,  vgl.  XVHl  29  mit  25.  Diese  gibt  einen 
nicht  unwesentlichen  Zusatz,  in  dem  sie  bemerklich  macht, 
dass  Olympias  die  eigentliche  Reichsregentschaft  erhalten 
solP^),  die  sie  nachher  so  weit  es  ihr  möglich  war,  d.i.  in 
Makedonien  auch  wirklich  führte;  für  den  Geschichtschrei- 
ber war  dieser  Punkt  wichtig,  weil  die  Athener  sich  durch 
ihn  zu  voreiligen  Schritten  bestimmen  Hessen,  vgl.  XVHI 
65  Ol  ^d-r]vaioL  vo^iLOavtsg  Tag  f.iev  Tavvrjd6doyf.i6vagTij.idg 
ovTtog  ysyovlvai,  T^qv  öi  dTTohjipiv  Tr^g  avTovofilag  öid  Tav- 
Tr^g  aKivdvvcog  soead-aL  etc.  Bezeichnend  ist,  wie  oben  be- 
merkt wurde ,  die  Verschiedenheit  der  Angaben  über  den 
Feind,  vor  welchem  Olympias  nach  Epeiros  floh  :  nach  Hie- 
ronymos ist  es  Kassauder,  der  Nebenqixelle  zufolge  Antipa- 
ter.  Mit  Antipater  war  Olympias  bekanntlich  schon  vor  Ale- 
xanders Tod  entzweit  und  Antheil  an  der  Regierungsgewalt 
in  Makedonien  bekam  Kassander  erst  in  den  letzten  Zeiten 
Antipaters  (Droysen  1,316).  Man  könnte  daran  erinnern, 
dass  Olympias  nur  das  Grab  des  Jollas,  nicht  auch  das  seines 

16)  Dass  unter  ßccnbltxri  nqodiaaia  nicht  ein  blosser  Titel  zu  ver- 
stehen ist,  zeigt  Droysen  1,  13.  189  gegen  Wesseling;  vgl.  auch  XIX  11 
(aus  der  Nebenquelle)  Tlo'kvaTie^j^oijp  xazriyuytp  'Olvfuntuö'a  ml  Trjp 
ßuoiltLay. 


418  Sitzung  der  plnlos.-philol.  Classe    vom  4.  Mai  1878. 

Vaters  Antipater  zerstörte  (XIX  11.  Plnt.  Alex.  77);  aber 
nur  jener  war  an  der  angeblichen  Vergiftung  Alexanders 
unmittelbar  betheiligt  gewesen.  Als  chronologische  Abwei- 
chung endlich  ist  zu  erwähnen ,  dass  c.  49  die  Einladung 
an  Olympias  noch  vor  der  Flucht  des  Kassandros  ergeht 
und  als  erste  neunenswerthe  Regier ungshandluug  Polysper- 
chons  auftritt,  während  Hierouymos  sie  erst  nach  dem  Be- 
kanntwerden der  Flucht  und  nach  der  Freierklärung  von 
Hellas  anbringt. 

Der  Parallelbericht  der  Nebenquelle  über  Kassanders 
Verhalten  nach  dem  Tode  Antipaters  bricht  zwischen  den 
Vorbereitungen  zu  seiner  Flucht  und  diesem  Ereigniss  selbst 
ab,  der  des  Hieronymos  erzählt  noch  dieses  und  die  Mass- 
regeln, welche  Polysperchon  auf  die  Kunde  davon  ergriflp. 
Die  letzte  derselben  ist  Absendung  einer  Botschaft  an  Eu- 
menes,  welche  diesen  wieder  einsetzte  und  zur  Bekämpfung 
des  Antigonos  aufforderte;  der  Empfang  derselben  bildet 
XVIIl  58  den  Anfang  der  Jahresgeschichte  von  Ol.  115,3. 
318.  Der  oben  ermittelten  Jahrrechnung  zufolge  fällt  die- 
ser in  den  Frühling  (März  oder  April)  318.  Der  plötzliche 
Abbruch  der  Geschichte  Kassanders  in  der  Nebenquelle  er- 
klärt sich  nur  daraus,  dass  das  Jahr  dort  zu  Ende  ist,  und 
da  wir  p.  404  fg.  gesehen  haben,  dass  dieser  andere  Gewährs- 
mann in  der  Jahrrechnung  nicht  mit  Hieronymos  überein- 
stimmt und  den  Winter,  mit  welchem  jener  die  Jahrbe- 
schreibung endigt,  vielmehr  am  Anfang  der  seinigen  hat, 
so  ergibt  sich  daraus,  dass  wir  die  Vorbereitungen  Kassan- 
ders in  den  Herbst ,  seine  Flucht  in  den  Anfang  des  Win- 
ers  319  setzen  müssen;  das  hellenische  Freiheitsdekret  und 
die  Einladungen  an  Olympias  und  Eumenes  bei  Hieronymos 
gehören  dann  dem  Laufe  des  Winters  319/8  an. 

Diese  Setzungen  stimmen  mit  allen  Daten  und  Anga- 
ben der  Zeugnisse  überein,  nur  nicht  mit  einem  und  zwar 
gerade  dem,  welches   von  Droysen   u.   ^.    der    Chronologie 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte,        419 

dieser  Jahre  zu  Gruud  gelegt  worden  ist.  Nach  NeposEum. 
6  war  Eumenes  den  Winter  hindurch  in  Nora  eingeschlos- 
sen. Seine  Niederlage  war  in  der  guten  Zeit  des  J.  320 
erfolgt,  einige  Zeit  später  warf  er  sich  nach  Nora  und  der 
Beginn  der  Einschliessung  wird  daher  mit  Recht  in  den 
Herbst  320  gesetzt.  Während  nun  aber  Diodor  XYIII  53 
nach  Hieronymos  dieselbe  ein  volles  Jahr  dauern  lässt 
{eviavOLOv  xqovov^  vgl.  XX  100),  endet  sie  bei  Nepos  schon 
um  Frühlings  Anfang  (ver,  appropinquabat)  und  da  man 
einer  so  bestimmt  auftretenden  Angabe  —  im  Allgemeinen 
gewiss  mit  Recht  —  sich  schwer  entschliesst  den  Glauben 
zu  versagen,  so  setzt  Droysen  1,192  die  Entlassung  des 
Eumenes  aus  Nora  in  den  Frühlingsanfang  319;  weil  aber 
die  Entlassung  von  Antigonos  in  Folge  der  Nachricht  vom 
Tode  Antipaters  beschlossen  wurde,  so  muss  er  diesen  (1, 
177)  in  den  Januar  319  verlegen.  Dass  das  viel  zu  früh 
ist,  geht  aus  dem  Freiheitsdekret  Polysperchons  hervor.  Reuss 
p.  180  setzt  dieses  Ende  März,  weil  der  makedonische  Mo- 
nat Xanthikos,  dessen  letzter  Tag  in  demselben  (XVIII  56) 
erwähnt  wird,  dem  Daisios  (Thargelion,  Mai)  um  zwei  Stel- 
len vorausgieng  und  mithin  dem  Elaphebolion  und  (ohnge- 
fähr)  unserem  März  entsprach ;  übersieht  aber,  dass  der  30. 
Xanthikos  a.  a.  0.  nicht  das  Datum  des  Dekrets  sondern 
der  Termin  ist,  bis  zu  welchem  die  in  demselben  angeord- 
nete WiedereinsetzuDg  der  Verbannten  in  den  griechischer» 
Städten  vollzogen  sein  soll.  Die  Durchführung  einer  so 
umfassenden  und  verwickelten  Massregel  konnte,  wenn  man 
bedenkt,  dass  die  Verbannten  zum  Theil  in  weiter  Ferne 
wohnten,  sicher  nicht  in  ein  paar  Tagen  oder  Wochen  abge- 
wickelt werden  ;  mindestens  zwei  Mouate  Frist  musste  Po- 
lysperchon  den  Hellenen  geben.  Andrerseits  ist  der  Erlass 
jenes  Dekrets,  wie  aus  Diodor  feststeht,  nicht  gleich  nach 
Antipaters  Tod  erfolgt  ,  sondern  erst  nachdem  Kassander, 
welcher  ,, viele  Tage"  nach  dem  Tod  seines  Vaters  noch   in 


420         Sitzung  der  philos. -philo!.  Olasse  vom  4.  Mai  1878, 

Makedonien  zubraclite,  zu  Antigonos  geflohen  war.  Der 
Freiheitsbrief  ist  also  spätestens  im  Januar  erlassen  worden 
und  der  Tod  Antipaters  muss  nocli  um  mindestens  zwei 
Monate  früher,  also  spätestens  im  November  erfolgt  sein. 
Aber  in  den  November  320,  in  welchem  die  Einschliessung 
des  Eumenes  kaum  begonnen  hatte,  oder  gar  in  eine  noch 
frühere  Zeit  und  überhaupt  in  das  Jahr  320  kann  Droysen 
und  Reuss  das  Todesereigniss  aus  anderen  Gründen  nicht 
setzen.  Schon  hieraus  erhellt  die  Unhaltbarkeit  der  von 
Nepos  für  die  Entlassung  des  Eumenes  angegebenen  Jah- 
reszeit. 

Das  Datum  des  (sogenannten)  Nepos  ist  eine  Erfind- 
ung, welche  den  integrirenden  Bestandtheil  eines  Phantasie- 
stückes bildet.  Der  Panegyrikus,  welchen  dieser  unzuver- 
lässige Schriftsteller  von  Eumenes  ähnlich  wie  von  seinen 
andern  Feldherren  entwirft,  stellt  jenen  als  einen  Roman- 
helden dar,  der  alle  Gefahren  und  Bedrängnisse  mit  spie- 
lender Hand  überwindet.  In  Nora  lässt  er  sich  nur  ein- 
schliessen,  um  eine  Probe  seines  Zaubertalentes  zu  geben. 
Er  blieb  daselbst,  nicht  etwa  weil,  wie  wir  aus  Diodor 
XVIII  41.  53  und  Plutarch  Eum.  11.  12,  d.  i.  aus  Hiero- 
nymos  wissen,  ein  doppelter  Mauerring  ihn  unerbittlich  bis 
zum  Ende  festhielt,  sondern  aus  eigenem  freien  Belieben: 
tenuit  se  uno  loco  sagt  Nepos,  ein  Ausdruck  welcher  an- 
zeigt, dass  er  seinen  Aufenthalt  hätte  ändern  können,  wenn 
er  gewollt  hätte.  Nepos  gibt  auch  den  Grund  an  ,  warum 
es  Eumenes  beliebte,  sich  in  Nora  belagern  zu  lassen :  tenuit 
se  uno  loco,  quamdiu  hiems  fuit,  quod  castra  sub  divo  habere 
non  poterat.  Also  beileibe  nicht,  weil  er  von  der  Aussen- 
welt  hermetisch  abgeschlossen  war,  sondern  weil  es  im  Win- 
ter schöner  war,  am  warmen  Ofen  zu  sitzen.  Er  hätte 
jeden  Augenblick  diesen  Aufenthalt  aufgeben  können  und 
bewies  das  auch,  wie  Nepos  augiebt :  quotiescunque  voluit 
apparatum  et  munitiones  Antigoni  alias   incendit  alias   dis^ 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.      ^  421 

iecit !  Da  man  im  Frühling  wieder  im  Freien  carapiren 
konnte,  so  muss  unser  Roraanschreiber  seineu  Helden  natür- 
lich beim  Ausgang  des  Winters  wieder  aus  Nora  abziehen 
lassen  und  man  erkennt,  dass  es  für  sein  Epos  nothwendig 
Avar,  diese  Zeitbestimmung  aufzustellen.  In  seiner  Naive- 
tät  behält  er  dann  doch  die  nach  dem  Vorausgegangenen 
unbegreifliche  aber  nicht  gut  zu  beseitigende  Thatsache  bei, 
dass  Eumenes  erst  von  Antigonos  entlassen  worden  ist  — 
als  Eumenes  schon  an  seiner  Rettung  verzweifelte ,  sagt 
Hieronymos  ,  der  das  wissen  konnte  (  Diod.  XVIII  56)  — 
und  tröstet  sich  über  diese  Inconsequenz  wenigstens  damit, 
dass  der  grosse  Taschenspieler  doch  die  Befehlshaber  des 
Antigonos  dabei  recht  über  das  Ohr  gehauen  hat  (praefec- 
tis  Antigoni  imposuit). 

Lassen  wir  dieses  Scheinzeugniss  eines  kindlichen  Kin- 
derschriftstellers und  halten  wir  uns  an  Diodor,  so  finden 
wir  zunächst,  dass  dessen  Angabe  von  der  Jahresdauer  der 
EinSchliessung  in  Nora,  die  ohnehin  bestimmt  genug  lautet, 
keinem  Missverständniss  entsprungen  sein  kann :  er  setzt 
den  Beginn  derselben  in  Ol.  115,  1.  320,  ihr  Ende  115,2. 
319  und  den  Empfang  des  königlichen  Schreibens,  welches 
bald  nach  der  Befreiung  eintraf,  in  den  Anfang  von  Ol.  115, 
3.  318.  Dies  alles  stimmt  genau  zusammen:  die  Belager- 
ung begann  im  Herbst  320,  endigte  im  Herbst  319,  im  Win- 
ter 319/8  wurde  Polysperchons  Schreiben  abgesandt;  bis  es 
den  vor  Antigonos  flüchtig  hin-  und  herziehenden  im  öst- 
lichen Kleinasien  erreichte,  kam  der  Frühliug  318  herbei. 
Antipater  ist  vor  dem  Winter  319/8,  auch  vor  dem  Herbst 
319  gestorben,  aber  nicht  schon  im  Januar  sondern  im  Som- 
mer 319.  Antigonos  erhielt  die  Nachricht  davon ,  als  er 
nach  Besiegung  der  E^erdikkaner  aus  Pisidien  nach  Phrygien 
zurückzog  (XVIII  47).  Diesen  Feldzug  hat  er  im  Frühling 
319  eröffnet;  im  Herbst  320  hatte  er  den  Eumenes  einge- 
schlossen, dann  Winterquartiere  in   Kappadokien    gehalten 


422  Sitzung  der  philos.-jphilol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

(oben  p.  408);  der  Feldzug  dauerte  wie  es  scheint  nicht 
lange;  in  der  Mitte  des  Jahres  319  mag  Antipater  gestor- 
ben sein.  Wäre  dies  Ereigniss  schon  im  Januar  319  einge- 
treten ,  so  müssten  wir  den  ganzen  pisidischen  Feldzug, 
dessen  Geschichte  kein  Anzeichen  der  rauhen  Jahreszeit 
enthalt,  in  den  Winter  320/19  verlegen. 

Gleich  naeh  dem  Tode  Antipaters,  noch  ehe  das  Er- 
eigniss in  Hellas  bekannt  sein  konnte,  schickte  Kassander 
den  Nikanor  nach  Munychia,  am  den  Menyllos  als  Befehls- 
haber abzulösen;  als  dann  die  Todesnachricht  kam  ,  wurde 
das  Volk  von  Athen  auf  Pbokion,  der  darum  gewusst  zu 
haben  schien,  unwillig.  Phokion  beredete  daher  den  Nika- 
nor, sich  freundlich  zu  zeigen  ,  und  dieser  brachte  sogar 
Geldopfer,  um  sich  beliebt  zu  machen,  indem  er  eine  Ago- 
nothesie  übernahm  (Flut.  Pbok.  31).  Droj^sen  1,215  bezieht 
diese  auf  die  Dionysien  im  März  319;  zu  der  Zeit  war  aber 
nach  obiger  Auseinandersetzung  Antipater  noch  am  Leben. 
Wir  denken  an  den  Agon  der  kleinen  Panathenaien  zu 
Ende  des  Hekatombaion  (Juli) ,  vgl.  Hermann  Gottesd.  Al- 
terth.  54,  20  und  Schoemann  Gr.  Alterth.  II  449 ;  hie- 
nach  lässt  sich  Antipaters  Tod  etwa  in  den  Juni  d.  J.  319 
setzen. 

3.  XVIII  64—75. 

Der  Schluss  des  XVIII.  Buchs  gibt  die  Fortsetzung 
und  den  Schluss  der  Jahresgeschichte  von  115,  3.  318:  zu- 
erst die  griechisch-makedonischen  Ereignisse  und  zwar  nach 
einander  die  Bemühungen  des  Kassandros  und  des  Polysper- 
chon  um  Athen,  dann  die  Belagerung  von  Megalopolis  und 
den  Seekrieg  im  Bo.'^porus  (c.  64 — 72) ;  darauf  gabelt  sich 
die  Darstellung  und  gibt  zuerst  den  Zug  des  Antigonos 
gegen  Eumenes  in  Asien  und  das  Zurückweichen  des  Letz- 
teren nach  Osten  (c.  73),  dann  kehrt  sie  auf  den  helleni- 
schen Scbauplatz  zurück    (74 — 75).      Alles  dies  ist  zusanj- 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  DiadochengeschicJite.        423 

meühängencl,  also  nach  einem  einzigen  Gewährsmann  er- 
zählt. 

Das  erste  Anzeichen,  dass  die  Nebenquelle  ausgeschrie- 
ben ist,  liefert  die  Angabe  von  der  hohen  Stellung,  welche 
der  Olympias  zugedacht  ist,  c.  65  Nikccvcoq  cckovcov  oti  {.leX- 
lovGiv  Ol  ßaaikelg  Karaysiv  elg  BlaKsöoviav  tr^v  OlvfÄTtiada 
y,at  Tov  re  Ttaiölov  Tiijv  sfiifjiXeiav  sxelvrj  rcaqadidovai  xat 
zrjv  TtqovTvaQxovoav  djvodoxrjv  vmI  Tijxtjv  l^Xe^avÖQOu  CcovTog 
diToyia&iaravai  OXvjiiTTiaöi,  welche  zu  c.  49,  nicht  aber  zu 
Hieronymos  c.  57  stimmt,  s.  oben  p.  417. 

Nach  c.  65  0co/,uov  6  67t'  ^vtiTtctTQOv  rrjv  tcov  olcov 
dq%y]v  eöxrjXCüQ  hat  Phokion  unter  Antipater  eine  ähnliche 
Stellung  in  Athen  eingenommen,  wie  nach  ihm  Demetrios 
von  Phaleron  unter  Kassander.  Damit  stimmt  Plutarch 
Phok.  29  e7CL(.iel6}.ievog  rtov  Kazd  xr^v  jtoXiv  jtQacog  ymI  vo- 
(xi(.icüg  Toug  i^iiv  dovelovg  xal  xaQtevvag  ev  taig  agy^alg  dei  övveix^, 
Tovg  de  7toXvrtQdy/.iovag  xal  vecoieQtardg  avru)  reo  firj  aqxeiv 
/.itiSi  doQvßeiv  cc/rof-iaQaLvofievovg  eölöa^e  (piXoywqeiv  y,at  dya- 
7cav  yecüQyovvrag ;  wie  denn  auch  über  die  dem  Kassander 
von  Antipater  zugedachte  Würde  die  Nebenquelle  XVIII  48 
mit  Plut.  Phok.  31  übereinstimmt;  eine  andere  Berührung 
zeigt  Droysen  1,220,1  auf.  Hieronymos  weiss  von  jener 
Stellung  Phokions  nichts:  XVIII  18  wird  dieser  nur  als 
Gesandter  erwähnt  und  die  Regierung  kommt  nicht  an  ihn 
sondern  an  die  aristokratische  Partei :  (l4vTi7taTQog)  rrjv  Tto- 
Xireiav  /xeTioTijöev  ex  Trjg  drjf^oy.QaTeLag  Kai  7CQ0oeTa^ev  ccTto 
zi(,iYiGecog  elvai  to  TtoXlrevjxa  y,al  tovg  7,eKTrjf.ievovg  icXeuo 
dqaxiiicov  SloxiXuov  y.vglovg  eivai  tov  7toXiTehf-tarog.  Auch 
Strabon  IX  1,  20  Plutarch  Demetr.  10  und  Pausanias  I 
25,  welche  von  der  Herrschaft  des  Phalereiers  über  Athen 
sprechen  ,  wissen  nichts  von  einer  ähnlichen  Gewalt 
Phokions. 

lieber  die  notvrj  zvx^j  spricht  sich  die  Nebenquelle 
XIX  1 1  (s.  u.)  ähnlich  wie  XVIII  66  aus ;  andrerseits  ver- 


424         Sitzung  der  phüos.-phihl.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

räth  XVIII  69  (TIoh'OTiiQywv)  E^i7Tef.til>E  TiQog  tag  TioXeig 
TtQeoßevTocg  TtqooTCiiTiov  xovg  j^ev  di  !AviLrcavqov  y,a&eOTa- 
/.levovg  (XQxovtag  hrl  rijg  oXiyaqxiccg  O^avarcooai  tdlg  de  dy\(,ioig 
ajtoöovvai  rrjv  auTovOf.iiav  einen  andern  Gewälirsmann  als 
Hieronymos,  nach  welchem  Polysperchon  dies  nicht  erst  im 
Sommer  318  bei  seinem  Aufenthalt  im  Peloponnes,  sondern 
schon  im  Winter  319/8  in  Makedonien  that  ,  c.  57  syQaipe 
TiQog  re  zr^v  LiqyEUov  noXiv  %al  xag  XoiTtag  Ttqoötaxriov 
roig  dffrjyrjoaf^ievovg  eji  !AvriTrccTQOv  Ttov  7CoXiTEV{.ia%iov  (pvya- 
öevaai,  tivcov  Ss  Kai  d-avaxov  Karayvcovai  Kai  ör]f.ievoat  Tag 
ohlag.  Beide  Meldungen  schliessen  einander  nicht  aus; 
aber  bei  gleicher  Quelle  würde  c.  69  angegeben  sein  ,  dass 
die  erste  Auifordernng,  wie  wir  von  Athen  das  aus  Plut 
Phok.   32  bestimmt  wissen,  nicht  befolgt  worden  war. 

Als  Ziel  des  Antigonos  wird  XVIII  73  der  unum- 
schränkte Besitz  von  Asien  bezeichnet:  d^alarroKqaT^oai 
tanevöe  Kai  rrjv  Trjg^olag  i]ye(-iovLav  aörjQiTOv  Tteqijcotr^oa- 
G&ai,  ähnlich  wie  in  der  Nebenquelle  c.  47  öievoeno  rüv 
Kazd  TTjv  y^olav  txeod^ai  7Tqay(.idTcov  Kalv^gKaz  avirjv^ye- 
f.ioviag  f-iTjöevl  TcaqaxcoQeiv ,  wo  die  Entstehung  dieses  Plans 
mit  der  Nachricht  vom  Tode  Antipaters  in  Zusammenhang 
gebracht  wird.  Bei  Hieronymos  dagegen  —  der  Unterschied 
ist  ein  ähnlicher  wie  in  Betreff  des  Perdikkas  (oben  p.  405) 
—  steckt  er  sich  bei  Antipaters  Tod  ein  höheres  Ziel:  den 
Thron  Alexanders  und  das  ganze  Weltreich  welches  dieser 
hinterlassen  hatte:  XVIII  50  «t'^ig  tiov  cplXiov  ovvayaywv 
ovvidqiov  Kai  jteql  T^g  tcov  olcov  s/cißoXrjg  KOivcooaf,ievog'y 
58  LivTiyovcü  ehöia^oi^dvco  Tr^v  ßaodelav;  Plut.  Eum.  12 
re&vrjKevai  7rvS-6/.ievog  ^^vzutazqov  t^  yv<^0[.(rj  zi^v  oXr^v  Tteqt- 
ßaXXofxevog  i^yef.iovlav.  Dass  zd  oXa  das  ganze  Weltreich 
bezeichnet,  lehrt  XVIII  3  TleqÖLKKag  TiaqaXaßwv  zriv  zcov 
oXtov  iqyef-ioviav ;  36  TIvdcüvt  Kai  ^^Qqidalco  ovyKazsOKevaoe 
zrjv  zwv  oXwv  riyefxoviav  und  47  '/]  zwv  oXiov  r^ye^ovia  fie- 
za7t€7tzcoKev  elg  UoXvoTreqxovza,     Den  unumschränkten  Be- 


Unger  :  Diodors  Quellen  in  der  Diadochen geschickte.        425 

sitz  Asiens  hatte  er  sich  schon  im  J.  320  nach  dem  Sieg 
über  Eiimenes  vorgesetzt:  XVIII  41  fieiuovcov  wQeyeTO  Ttga- 
yiÄarcov.  ov^tTt  yaq  ovdelg  tcov  -/.axa  Trjv  ^olav  riy£(.wvcüv 
d^io/uaxov  elx£  öivai^iLV  öiaywvioaodai  avTOj  neql  tcov  TtQO)- 
Tsicov^  6id  SisyvcoKEi  i.itjTe  ttqoosx^lv  To7g  ßaoiXevGi  firire  ^4v- 
TiTtaTQco;  Plnt.  Eum.  3.  Jetzt  ist  der  Besitz  Asiens  für 
ihn  nur  noch  das  Mittel  zu  jenem  höchsten  Zweck:  XVIII 
50  Tteqißa'kofÄevog  ralg  ^Xtclol  xr^v  rcov  oXojv  iqyef^ovlav  eyvto 
f-iifj  TCQOGsx^iv  ^Tjte  tolg  ßaailevoi  fir^ze  TÖlg  S7ti/.ielr]Talg  av- 
Tcov.  VTteXaf-ißave  yccQ  avcov  xgeiTTO)  dvvaf.iiv  t%ovia  twv  xaid 
TTJv  Liolav  d^TjoavQCüv  yiVQiov  l'osodai.  Offenbar  war  Hiero- 
nyraos,  der  Vertraute  des  Antigonos  und  Demetrios,  in  der 
Lage,  die  Tragweite  ihrer  Plane  genau  zu  kennen 

In  c.  73  befindet  sich  wieder  eine  Dublette,  die  um- 
fangreichste von  allen.  Sie  beginnt  mit  den  Worten  Ev- 
fievTjg  ETteßdXezo  fisv  Trjv  (DoiviKtjv  dvaKTaod^ai  rolg  ßaai- 
Xevot  y.aTeiXr](Äj.itvy]v  döixwg  vno  nToXej.ialoi\  '/.araTa%ovf.ie- 
vog  ö'vrcd  rcov  KaiQCJv  dvit^ev^ev  ex  xr^g  (Doivr/,Y]g  -aat  did  rtjg 
xolXr^g  ^vQiag  nqoiiye.  Den  Zug  des  Eumenes  nach  Phoinike  hat 
schon  Hieronymos  XVIII  63  gemeldet:  JTQOijyev  l/il  (Doi- 
vlxrjg  Ofievöcüv  xag  vavg  s'§  dnaocZv  tcov  7toXecov  dd^Qoloai 
Kai  GToXov  d^LoXoyov  y,aTaoy.evdaai,  o/rcog  rioXvaTveQxcov  f.iev 
7iQOGXaß6(.i€vog  rag  «x  rrjg  0OLviyii]g  vavg  ^aXaTTOKQar^ 
Kai  övvrjTai  diaßißdCeiv  docpaXcog  oxav  ßovXrjzaL  rag 
r^n  Trig  MaxeSovlag  dvvaf.ieig  elg  t)]v  ^Giav  hi''  ^vziyovov. 
ovTog  fAev  ovv  sv  Woivim^  diergiße  '/.araGY.evaQoiAEvog  ti]v  vav- 
Tiytr]v  dvva^iv.  Die  von  Reuss  p.  167  geäusserte  Meinung, 
Eumenes  habe  Phoinike  zweimal  besucht,  erweist  sich  schon 
daran  als  unhaltbar,  dass  Eumenes,  wenn  er  das  erste  Mai 
in  Phoinike  ohne  Schwertstreich  einziehen  konnte,  das  zweite 
Mal  es  nicht  mehr  nöthig  gehabt  haben  würde,  das  Land 
dem  Ptolemaios  mit  Waffengewalt  zu  entreissen.  Es  sind 
vielmehr  zwei  einander  widersprechende  Darstellungen  eines 
und  desselben  Vorgangs.     Nach  Droysen    1,257   hätte    Eu- 


426  Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

menes  den  von  Ptolemaios  in  das  Land  gelegten  Besatz- 
ungen eine  Stadt  nacli  der  andern  mit  leichter  Mühe  ent- 
rissen. Davon  weiss  Diodor  nichts.  Die  nÖthige  AnfkläruDg 
gibt,  wie  uns  scheint,  die  Unternehmung  des  Antigouos  im 
J.  315.  Nach  Diod.  XIX  58  fand  er  dort  auf  der  ganzen 
Küste  keinen  Widerstand,  die  grössten  Städte  waren  von 
Fürsten  beherscht,  welche  seinen  Befehlen  willig  Folge  lei- 
steten;  nur  Tyros  hatte  eine  aegyptische  Besatzung  uad 
musste  belagert  werden.  Dies  war  aber  Inseltyros.  Das 
phoinildsche  Festland  hatte  also  gar  keine  Besatzung ;  da 
es  nur  aus  einem  schmalen,  7^ — 2  Stunden  breiten  Küsten- 
streifen bestand  und  die  grossen  Städte  des  Hinterlandes 
Besatzungen  hatten,  so  war  es,  weil  Tyros  durch  Heer  und 
Flotte  die  ganze  Küste  beherrschte,  vollständig  unnöthig 
auch  die  andern  Seestädte  zu  besetzen.  Die  Nebenquelle 
zeigt  sich  also  wieder  schlecht  unterrichtet ,  wenn  sie  von 
Eroberung  des  ganzen  Küstenlaudes  spricht  und  da  sich 
XVni  43  Toig  Kaza  (DoivUrjv  Ttoleig  TTQOOrjyayero  {UcoXe- 
fj-oiog)  y,at  Tionjoag  eiuq)^ovQovg  snavijX&ev  elg  tt^v  ^YyuTt- 
Tov  dieselbe  irrige  Voraussetzung  zeigt  ,  wie  in  c.  73  ,  so 
ergiebt  sich  hieraus,  dass  c.  43  de/  Nebenquelle  angehört. 
Diese  hat  auf  die  phoinikischen  Städte  mitbezogen,  was  — 
von  Tyros  abgesehen  --  nur  von  den  syrischen  Städten 
gilt,  dort  aber  (c.  43)  bei  diesen  übergangen  ist*^). 

Nachdem  XVHI  73  weiter  erzählt  ist,  wie  Eumenes  vor 
Antigonos  zurückweichend  über  Koilesyrien  die  östlichen 
Satrapien  zu  erreichen  suchte ,  wobei  er    am    Tigris    durch 


17)  Appian,  welcher  den  Hieronymos  viel  benützt  hat ,  stellt  die 
Erwerbung  Syriens  (d.  i.  Koilesyriens  sammt  Phoinike)  wesentlich  an- 
ders dar  als  Diod.  XVIIl  43;  über  die  Besatzungen  sagt  er  kurz  aber 
passend:  IJtoXffxuiog  ^(j/^  Ivqlus  xal  (pqovQug  eV  Tcctg  noXeat  xata'kt,- 
Ttioy  eg  J^yvntoi'  ansTlfn.  Die  Hyparchen  Syriens,  welche  Diod.  XIX 
58  neben  den  phoinikischen  Stadtfürsten  genannt  werden,  sind  auf  Ober- 
syrien zu  beziehen,  welches  Ptolemaios  nie  besass. 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.  427 

einen  nächtlichen  Ueberfall  der  Eiugebornen  Verluste  er- 
litt, heisst  es:  TtaQanliqaiojg  öe  y,ai  Kard  xi]v  Baßvlcoviav 
tTvid^efxevov  rov  ^eXevy.ov  Ttaqd  zdv  EvcpQarrjv  TC0Ta{.itv  eAiv- 
dvvevöE  (.isv  airaoav  dnoßaXelv  Ti]v  övvafjiv  öiwQvyog  Tivog 
QayeiGijg  Kai  zrjQ  orQavoTtedsiag  o'Arjg  ovyKXvöd^elorjg.  Hiero- 
nymos  erzählt  XIX  12,  wie  Eumenes  in  Ostbabylonien  an 
der  Strasse  nach  Ekbatana  Winterquartier  nahm  und  dann, 
als  dies  Land  ausgesogen  war,  an  den  Tigris  rückte,  da 
wo  er  Babylon  und  dem  Euphrat  am  nächsten  floss:  jraqa- 
yEvr^^elg  eitl  %ov  Tlyqiv  noxa^ov  yiaTeoTQaLOTctöevoe  zrjg  Ba- 
ßuXwvog  mitx'^v  Gtaölovg  TQiay.ooLOvg.  Hieraus  hat  die 
Nebenquelle  XVIII  73,  der  Geographie  Asiens  unkundig, 
einen  Aufenthalt  am  Euphrat  selbst  gemacht.  Dann  folgt 
XIX  13  eine  neue  Dublette  zu  dieser  Stelle :  oi  /veqi  ^eXev- 
xop  7tQ0GTcXevGavTeg  TTQog  riva  diwQvya  7TaXaidv  dvtQQTj^av 
Ti^v  aQxr}v  avTrjg  V7c6  xov  xqovov  GvyKeywGuevrjv.  7TeQiytXvG- 
&eiGr]g  ös  zrlg  rtov  Maxedoviov  GTQaiOTiedeiag  xal  7Ldvrr] 
Tov  Gvve%ovg  to7tov  Xif-ivccGaviog  tKivdvvevGev  aVrav  txTtoXl- 
Gd^ai  zo  GTqaT07redov  VTto  rrjg  7iXriixrjg.  Offenbar  ist  auch 
hier  die  Nebenquelle  schlechter  unterrichtet  ,  wenn  sie  den 
Canal  sich  von  selbst  öffnen  lässt.  Dasselbe  ist  zu  urthei- 
len  über  die  verschiedene  Darstellung  in  XVIII  73  oiiwg  de 
öia  zrjg  lölag  GZQazr^yiag  eTtl  zc  x^^/^^  y.azag)vya)v  y.al  zriv 
duoQvya  7iaXLV  djxoGZQeipag  Öugcügev  aviov  ze  xal  zrjv  Suva- 
f^iv  und  XIX  13  EiGrjyrjGaf.i£vov  ös  zivog  zcov  ayxcoQUüv  E7Xe- 
ßaXEZO  ZLva  zottov  dvaKaS^aiQEiv ,  öd  ov  q(jcdiov  rjv  (XTVOGZQf- 
ipai  zrjv  öicüQvya  Kai  ßaGif-iov  KazaGKEvaGat  ZTqv  ywQav. 
Ganz  unrichtig  heisst  es  dann  XVIII  73  Ttagaöo^cog  öe  zag 
zov  2eXev7,ov  XEiqag  öiaq)vycüv  öirivvGEv  slg  zrjv  IlEQalöa^  als 
wäre  Eumenes  dem  Seleukos  entronnen,  während  in  Wirk- 
lichkeit nach  XIX  13  Seleukos,  der  bloss  Reiter  zur  Ver- 
fügung hatte,  gar  nicht  wartete,  bis  Eumenes  den  Canal 
abgeleitet    hatte,    sondern    eilig    um    Waffenstillstand    bat, 


428  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

den  Uebergaug  gestattete  und  froli  war  ,  als  dann  Eu- 
menes  mit  seinem  grossen  Heer  nach  Susiana  abzog. 

Susiana  wird  in  der  Nebenquelle  Persis  genannt,  eine 
üngenauigkeit,  welche  in  der  Gesctichtserzäblung  des  Hie- 
ronymos  nicbt  vorkommt,  aber  den  Griechen,  die  Susa  als 
Residenz  des  Grosskönigs  kannten  und  eine  grosse  Zahl 
Perser  in  Snsiana  angesiedelt  wussten,  wohl  von  Alters  her 
geläufig  war,  vgl.  XVIII  6  TIsQolg  iv  iß  zrjv  ^ovaiavr^v  xal 
2iTTa7.r]vi^v  -/.ELGOat  ovi.ißtßr]Y,ev  und  Strabon  XV  3,  2  oxe- 
öov  öe  TL  Kai  ri  ^ovotg  fitQog  yeyivrjzai  ttjq  IleQGiöog  {.lera- 
^v  avTijg  y^Einevri  -/.al  Tijg  Baßulcovlag.  Zuletzt  meldet  c.  73 
dass  Eumenes  in  Persis  (d.  i.  Susiana)  angelangt  an  die 
östlichen  Satrapen  und  Heerführer  ein  Gesuch  um  Mann- 
schaft und  Geld  richtete ;  nach  XIX  13  dagegen  verlangte 
er,  dass  sie  sämmtlich  selbst  mit  ihren  Streitkräften  zu  ihm 
stossen  sollten.  Die  Nebenquelle  hat  vielleicht  ein  frü- 
heres Gesuch  ,  welches  XIX  13  erwähnt  wird  ,  damit  ver- 
wechselt. 

In  dem  Auszug  aus  dieser  ist,  wohl  durch  Diodors 
Schuld,  der  Winteraufenthalt  in  Mesopotamien  übersprungen 
und  in  Folge  dessen,  was  bei  Diodor  öfter  vorkommt  ,  die 
Geschichte  des  nächsten  Jahres  dem  laufenden  angehängt, 
vgl.  p.  384  den  Fall  aus  XIX  79,  wo  im  umgekehrten  Ver- 
hältniss  zu  unserer  Stelle  das  vorausgegangene  mit  demsel- 
ben zusammengeworfen  wird.  Die  mesopotamischen  Winter- 
quartiere bezog  Eumenes  am  Anfang  des  Jahres  (XIX  12), 
also  gegen  Ende  Februar  317;  der  Zug  von  Koilesyrien 
dahin  hatte  also  im  Winter  318/7  stattgefunden.  Nachdem 
Eintreffen  des  Eumenes  in  Susiana  lässt  die  Nebenquelle 
den  Jahreswechsel  eintreten :  XVIII  73  xal  ra  f,isv  Kaza 
TYjV  Idöiav  i^exQt  tovtcov  itQoißrj  "naTcc  tovtov  tov  eviavTOv. 
Hieronjmos  führt  die  Jahrbeschreibung  wiederum  etwas 
weiter  fort :  bei  ihm  ziehen  noch  die  Satrapen  von  der 
medisch-parthischen  Grenze   her  in  Susiana    ein   (XIX  15) 


Unger:   Diodors  Quellen  in   der  Diadochengeschichte.       429 

Dies  erklärt  sich  daraus ,  dass  der  Winter ,  mit  welchem 
dieser  das  Jahr  schliesst,  in  der  Nebenquelle  den  Anfang 
desselben  bildet;  dem  entsprechend  habe  ich  im  Philologus 
37,534  das  Eintreffen  des  Eumenes  in  Susiana  dem  Herbst 
317,  das  der  Satrapen  aber  dem  Winter  317/6  zuge- 
wiesen. 

Den  Anfang  der  makedonisch-hellenischen  Geschichte 
des  Jahres  115,  3.  318  bildet  XVIII  64  der  Bericht  von 
den  Bemühungen  Nikanors  um  die  Freundschaft  der  Athe- 
ner, als  er  hörte,  dass  Kassander  zu  Antigonos  geflohen 
und  das  Erscheinen  Poljsperchons  in  Hellas  zu  erwarten 
sei.  Die  Flucht  Kassanders  fällt  in  den  Anfang  des  Win- 
ters 319  (p.  418),  von  dem  Plane  Poljsperchons  nach  Hellas 
zu  gehen  ist  XVIII  54  —  57  nichts  gemeldet,  obgleich  man 
es  erwarten  müsste ;  das  Fehlen  erklärt  sich  aus  der  ver- 
schiedenen Abstammung  jenes  Stücks.  Jedenfalls  konnte  er, 
da  das  Freiheitsdecret  dem  December  319  oder  Januar  318 
angehört,  erst  im  Frühjahr  zu  kommen  beabsichtigen,  nach 
dem  30.  Xanthikos  bis  zu  welchem  die  Verbannten  zurück- 
geführt sein  sollten.  Die  obengenannten  Bemühungen  Ni- 
kanors  fallen  also  in  den  Januar  oder  Februar  318  und  da 
die  einige  Zeit  darnach  erfolgte  Hinrichtung  Poljsperchons  (c. 
67)nach  Plutarch  Phok.  37  am  19.  Munychion  (7.  Mai  318) 
stattgefunden  hat,  so  bestätigt  es  sich,  dass  die  Nebenquelle 
das  Jahr  mit  dem  Winter  anfängt.  Dem  Herbst  318  ge- 
hört also  der  letzte  Vorgang  des  Jahres  auf  dem  europäi- 
schen Schauplatz  an,  der  Einfall  Kassanders  in  Makedonien 
(c.  75),  und  da  der  selbe  erst  nach  dem  Seesiegdes  Antigo- 
nos vor  sich  gegangen  ist,  so  ist  dieser  nicht,  wie  ich  Phi- 
lologus 37,528  mitDroysen  gethan  habe,  in  den  Spätherbst 
(um  Ende  Oktober)  sondern  in  den  Anfang  des  Herbstes, 
die  zweite  Hälfte  des  September  318  zu  setzen. 
4.  XIX  11.35  —  36.  49—54. 
Die  Capitel  11;  35—36  und  49-54  des  XIX.  Buchs 
[1878.  I.  Philos.-philol.  bist.  Cl.  4.]  31 


430       Sitzung  der  philos.-phüöl.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

hängen  mit  einander  zusammen :  sie  erzählen  die  Geschichte 
Makedoniens  aus  Ol.  115,  4.  317  und  116,  1.  316,  und 
zwar  XIX  11  die  aus  115,  4.  317  (üebergang  Makedoniens 
in  die  Gewalt  der  Olympias),  XIX  35-36  den  Anfang  von 
116,  1.  316  (Kassanders  Zug  nach  Makedonien),  c.  49 — 54 
die  Fortsetzung  und  den  Schluss  (Sturz  der  Olympias ,  Re- 
gierungsanfang Kassanders).  Sie  aus  der  Nebenquelle  abzu- 
leiten nöthigt  die  Jahrform.  Am  Schlüsse  von  115,4.317 
steht  XIX  11  die  Hinrichtung  des  Philippos  Arridaios,  des 
Nikanor  und  der  100  angesehensten  Anhänger  Kassanders; 
am  Anfang  von  116,  1.  316  der  Aufbruch  Kassanders  von 
Tegea  auf  die  Kunde  von  jenen  Unthaten  der  Olympias  (c. 
35)  und  ihre  Einschliessung  in  Pydna  (c.  36).  Die  Belager- 
ung der  Stadt  findet  im  Winter  statt  (c.  49) ;  sie  wird  am 
Anfang  des  Frühlings  (c.  50)  übergeben ;  dann  folgen  noch 
verschiedene  andere  Unternehmungen  Kassanders.  Der  Früh- 
ling, für  Hieronymos  Jahresanfang  ,  fällt  hier  in  den  Ver- 
lauf des  Jahres;  den  Anfang  desselben  bildet,  wie  in  den 
vorausgegangenen  Stücken  der  Nebenquelle  ,  der  Winter, 
dessen  Epoche  bei  den  Alten  überall  an  den  Frühunter- 
gang der  Pleiadeu  um  den  11.  November  geknüpft  ist.  Zur 
Bestätigung  dienen  in  unserem  Falle  die  Data  über  den  Tod 
des  Arridaios,  welcher  kurze  Zeit  vor  dem  Jahresschlüsse 
stattfand. 

Arridaios  war  6  Jahre  4  Monate  König  (XIX  1  \) ;  sein 
Tod  fällt  nach  dem  astronomischen  Königskanon  zwischen 
11.  November  317  und  10.  November  316;  wenn  seine  Er- 
nennung zum  König  am  Anfang  Juli  323  geschah,  so  ist  sein 
Tod,  wie  Droysen  1,241  bemerkt,  Ende  Oktober  oder  Anfang 
November  317  erfolgt.  Alexander  war  zu  Ende  des  vor- 
letzten Monats  von  Ol.  114,  1  gestorben,  einige  Tage  dar- 
nach Arridaios  von  der  Phalanx  eigenmächtig  zum  König 
ausgerufen  und  wieder  etwas  später,  also  um  den  Wechsel 
des  Archontenjahres  allgemein  anerkannt  worden ;  die  alten 


Unger:  Biodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.        431 

Chronograplien  rechnen  seine  Zeit  vom  ersten  Monat  Ol. 
114,2,  vgl.  Eusebios  Chron.  I  159.  169.  229.  241.  247  und 
besonders  245.  Sein  Tod  fällt  also  in  den  vierten  oder, 
wenn  man  mit  Droysen  die  4  Monate  voll  nimmt ,  in  den 
fünften  Monat  115,  4,  von  welchen  letzterer  in  Athen  ain 
30.  Oktober  317  seinen  Anfang  nahm.  Anch  wenn  Arri- 
daios  schon  im  vierten  Monat  starb ,  war  doch  der  Herbst 
(mit  Arkturs  Frühaufgang  um  15.  September  beginnend) 
schon  etwa  zur  Hälfte  abgelaufen  und  da  dieses  Ereigniss 
nicht  das  allerletzte  der  Jahresgeschichte  ist,  so  können  wir 
den  Jahreswechsel  der  Nebenquelle  mit  Sicherheit  auf  Win- 
ters Anfang  um  den  11.  November  bestimmen:  es  gab  keine 
andere  Epoche  des  Himmelskalenders  zwischen  der  Herbst- 
nachtgleiche und  dem  kürzesten  Tage  als  jenen.  Damit 
stimmt  die  nächste  Jahrbeschreibung  überein :  der  Herbst 
und  zwar  der  ganze  steht  an  ihrem  Schluss.  Der  Wieder- 
aufbau der  Mauern  Thebens  geschah  nach  XIX  54  im  20. 
Jahr  seit  ihrer  Schleifung,  welche  zur  Zeit  des  20.  Boedro- 
mion  111  ,  2.  335  stattgefunden  hatte  (Arrian  Alex.  I,  10,4. 
Plutarch  Alex.  13).  Er  begann  also  nach  dem  20.  Boedro- 
mion  116,  1  =:  10.  Oktober  316;  Kassander  machte  dann 
noch  einen  Zug  in  den  Peloponnes;  mit  seiner  Rückkehr 
von  da  nach  Makedonien  schliesst  die  Jahresgeschichte. 

Die  Weltanschauung  gibt  sich  XIX  11  als  dieselbe 
wie  in  den  anderen  Abschnitten  zu  erkennen ,  welche  oben 
dem  Hieronymos  abgesprochen  worden  sind,  und  als  ver- 
schieden von  der  dieses  Geschichtschreibers.  Nitsche  p.  32 
hat  zuerst  bemerkt,  dass  Diodoros  in  der  Diadochenge- 
schichte über  die  göttliche  Weltregierung  anders  spricht 
als  in  den  Abschnitten,  welche  dem  Agathokles  gewidmet 
sind.  Dort  ist  blos  von  dem  Walten  des  Schicksals  die  Rede, 
hier  bald  von  diesem  bald  von  dem  Eingreifen  der  Gott- 
heit, welche  mit  verschiedenen  Ausdrücken  bezeichnet  wird ; 
Rössler  p.  46  führt  des  Genaueren  aus,  dass  diese  Ausdrücke 

31* 


432  Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  mm  4.  Mai  1878, 

mit  einander  und  mit  dem  Schicksal  gleichbedeutend  sind. 
Der  Unterschied  zwischen  Hieronymos  und  Duris  geht  aber 
tiefer.  Bei  diesem  wird  die  Welt  von  der  göttlichen  Vor- 
sehung durch  das  Schicksal  regiert  und  den  Menschen  ihr 
Geschick  nach  den  Geboten  der  Gerechtigkeit  als  Lohn  oder 
Strafe  ihrer  Thaten  zugemessen,  vgl.  z.  B.  die  ausführlichen 
Stellen  XX  13  und  70.  Hieronymos  kennt  nur  das  willkür- 
liche oder  unbegreifliche  Schalten  eines  blinden  Schicksals, 
das  mit  Wohl  und  Weh  der  Menschen  ein  tolles  Spiel 
treibt.  Die  Götter  spielen  bei  ihm  eine  ganz  passive  Rolle, 
sie  stehen  unthätig  im  Hintergrund :  er  leugnet  ihr  Dasein 
nicht,  aber  an  eine  Einwirkung  auf  die  Welt  glaubt  er 
nicht;  zu  oft  sah  er  den  Guten  leiden,  den  Schlechten 
triumphiren  ;  darüber  ist  ihm  der  lebendige  Glaube  an  die 
göttliche  Regierung  und  Vorsehung  abhanden  gekommen. 
Nur  in  einem  oder  dem  andern  besonderen  Falle  überkommt 
ihn  das  Gefühl,  als  stehe  doch  ein  höherer  Geist  am  Steuer 
des  Weltschiffs,  der  mit  dem  Menschen  Erbarmen  habe; 
dann  drängt  sich  ihm  der  Gedanke  an  die  Götter  auf ,  von 
welchen  die  Dichter  aus  alten  Tagen  singen,  zu  denen  noch 
das  Volk  in  den  Tempeln  betet ,  aber  er  schlägt  sich  ihn 
sofort  wieder  aus  dem  Kopf:  XVHI  25  r^dr^  amtov  (rwv 
-^4lT0)X(ßv)  d/ToyivcüOiiOvrojv  ti^v  otoxi^QLav  avTOfÄavog  Tig  Iv- 
Gig  Ttüv  KaKcov  £g)avrj,  k  ad^a/ceQ  S^ewv  t  iv  og  eXeovvrog  av- 
Twv  Trjv  evxpv%Lav;  59  o  %OLvdg  ßlog  Sottsq  vno  &bojv  t i- 
vo  g  olaiiL^ö/xevog  svalld^  dyad-ölg  ze  Kai  KaKolg  nvK'ku'cai 
navTa  tov  alcova. 

Ganz  anders  der  zweite  Gewährsmann  der  Diadochen- 
geschichte. Ihm  walten  und  herrschen  noch  die  alten  Göt- 
ter, sie  belohnen  gute  und  bestrafen  böse  Thaten:  XVHI  28 
(JltoXefiaiog)  ov  Tta^  dv&QcoTtcov  fxovov  dXkd  -aal  Ttaqd  S^eiov 
-aaXdg  dfj.OLßdg  elaßev  *  ol  ^iv  yccQ  dvd-qwicoL  yiivdvvo)v  TtQO- 
dr^Xcov  "nat  fisydlcov  ovtcov  oficog  ccTtavTeg  xr^v  tovtov  ocjvtj- 
Qiav  Toig  löioig  xivövvoig    enovalcog    TteQiertoirioavTO^    ol    de 


Ünger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte,        433 

d-eol  öid  triv  aQerrji^  xal  elg  Tvavvag  rovg  cptlovg  eTtieUeiav 
ix  twv    (.leyiotiov    y.ivdvvcov    naQaöo^wg    avzov    dieatooav.^^) 
Eiitsprecliend  der    von  Nitsche  citirteB  Bemerkung  Prellers 
(Mytliol.  I  421),  dass  die  Glücksgöttin  erst  dann  eine  wich- 
tige   und    allmählich   immer   mehr  hervortretende   Gottheit 
wurde,  als  der  Glaube  an  die  Götter  und  an  einen  persön- 
lichen Gott  verschwand,    finden  wir    bei    Hieronymos    das 
Wort  Tv%rj  anders  behandelt   als  in   der    Nebenquelle.     Bei 
jenem  hat  es  immer  persönliche   Bedeutung:    XVIII  8  xai- 
Qov  svdsTOv  Tj  Tixq  avTolg  TcaQeoytevaoe ;  13  »/  t^vxj]  ro  rca- 
qado^ov  aTtereiiAev  evxlrjQi^/^a;  53  "vrjg  Tvxrjg  avTio  övveqyoh- 
orjg;  20  rj  Tvyrj  ha/TelvtooEV  atzcv ;  XX   99  -trjv   aXcoOLv   ey, 
TWV  xeiQMv  avzov  zi]v  zvxfjv    acprjQrjod^at ;    XIX  42  ei^ai  r^ 
zvxj].     Auch  wo  die  unpersönliche  Auffassung  an  sich  eben- 
so statthaft  wäre,  ist  wegen  der  benachbarten    Parallelstel- 
len die  andere  anzunehmen:    vgl.  XVIII  4^1  rrjv  Tvx'f]^  o^kog 
^lezaßaXkovoav  mit  42    zi^v   zvyjjv    o^eiag    Ttoiovixivrjv    (d.  i. 
veranstaltend)  ^.lexaßoXag  und  59  z^qv  zrjg  zvxr^g   ncc'kiqqoiav 
mit  60  zriv  zrjg  zvyj]g  xaLvozof^ilav.     Dagegen  in  der  Neben- 
quelle hat  das  Wort  die  ältere,  passive  Bedeutung:  bei  der 
Verurtheilung  Phokions    zum  Tod  XVIII    66    dozazov    Kai 
KOivrjg    aitaac  zrig    zvx^jg    ovarjg  tcoXXoI  Kai  zcov    örjfiOZiKWv 
Kai   iciKqwg   öiaKEiiiivcov   TCqog    avzov     eXoidoqovv    und    von 
Olympias,  als  sie    den    Befehl   gab    Eurydike    hinzurichten, 
XIX  1 1   ovze  zo  Ttqoysyevrjfxivov  d^uof^ia  zrjg  7taqavof.iovf.dvrjg 
eKzqa7ieloa  zo  Ttaqditav  ovze  z'^g  KOtv^g    zyyi^g    elg    oIkzov 
eld^ovaa.     Was  an  diesen  zwei  Stellen  ^  koivi]  zvyrj  heisst, 
das  allgemeine  Menschenloos,  welches  verbietet  den  Tag  vor 
dem  Abend  zu  preisen,  wird    von  Hieronymos  XVIII  59  o 


18)  Auch  Hieronymos  spricht  von  den  Erfolgen,  welche  Ptolemaios 
seiner  Liebenswürdigkeit  verdankte  ,  übergeht  aber  die  Gunst  der  Göt- 
ter XIX  86  T^v  xcc9-^  v7iF(jßoX^fETiieixrjg  xcd  avyypujfxoyixog  i'ti  6'  (vt(}- 
yerixog'  oneQ  xccl  fA,<xli(JTa  avtov  ri'^Cvoae  [äh^oviov  rjv'^rjae  re  xcci  nok- 
Xovg  eTCoCijasy    enid-vfisip  xowvji-riacii  t^g  cpiliag. 


434  Sitzung  der  philos.-phüol.  Glasige  vom  4.  Mai  1878. 

ytoivog  ßlog  genannt.  Aucli  Olympias  musste  das  erfahren 
und  Diodor,  d,  i.  sein  Gewährsmann  erinnert  dabei  an  das 
Walten  der  göttlichen  Nemesis:  roLyaqovv  Trjg  6f,ioiag  f.ie~ 
TaßoXrjg  zvxovoa  Trjg  tüi.wrrjrog  a^iav  eoxe  ttjv  tov  ßlov  xa- 
taOTQoq)rjv.     Mehr  hierüber  im  folgenden   Capitel.^^j 

IV. 
Diyllos. 

Als  Gewährsmann  Diodors  in  den  nicht  aus  Hierony- 
mos  gezogenen  Abschnitten  ist  man  versucht  Duris  anzu- 
nehmen, welcher  von  Diodor  auch  in  der  Geschichte  des 
Agathokles  benützt  worden  ist  und  mit  jenen  Abschnitten 
darin  übereinstimmt,  dass  er  nicht  wie  Hieronymos  die 
Gottheit  ausserhalb  der  Welt  stellt,  sondern  sie  in  den 
Gang  derselben  eingreifen  lässt.  Weiter  geht  jedoch  die 
Ueberein Stimmung  nicht;  vom  alten  Volksglauben,  welchen 
die  Nebenquelle  XVIII  28  durch  Anwendung  des  Plurals 
in  ^aqa  d^ewv  und  ol  d-eol  bekundet,  ist  Duris  so  gut  ab- 
gefallen wie  Hieronymos,  nur  in  anderer  Weise;  Götter 
kennt  er  nicht  mehr,  nur  die  Gottheit:  to  ^elovXXb.  11. 
70;  To  daifioviov  XIX  103.  XX  13.  14.  30.  70.  101;  ij 
d^eia  TtQOvoia  XX  70,  und  in  dem  einzigen  Fall,  wo  er 
bei  Darlegung  seiner  eigenen  Weltanschauung  das  Wort 
d^eog  selbst  anwendet,  steht  der  Singular:  XX  70  6 
'd-eog  cdoTtSQ  dyad-og  vofÄoO-hrjg  öitvItjv  i'Xaße  7t aq'  amov 
T'^v  ytoXaOiv.  Duris  ist  durch  die  Schule  der  Philosophen 
gegangen  und  hat  sich  deren  Monotheismus  angeeignet,  er 


19)  Eine  Dublette  zu  XIX  36  rriy  noliynBQisxaQccKOiKjevex  d-alcctirig 
€ig  S-ciT^cctrcci^  findet  Kallenberg  in  c.  40  ne.oiarQccToTisösvaccg  r»yV  no- 
"kiv  xcci  /a^ax«  ßcclofxivog  and  S-aXdaarjg  im  ddluaaau^  i'n  öe  ifpoQ- 
fjLbiv  TW  "kifjiivi  näpxa  ßovko^ivov  imxovQriacKi  6iix(6Xv&,  aber  die  Partici- 
pia  geben  nur  die  Mittel  an  ,  durch  welche  die  vollständige  Abschlies- 
sung  herbeigeführt  wurde;  neu  ist  blos  diese  und  sie  war  erst  jetzt 
durch  den  Hinzutritt  der  Seeblokade  möglich  geworden.  ^ 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.         435 

ist  (um  den  Unterschied  in  moderner  Terminologie  auszu- 
drücken) Tbeist,  Hieronymos  Deist,  dem  Polytheismus  hul- 
digt der  andere  Gewährsmann  der  Diadochengeschichte. 
Während  dieser  von  der  rvxr]  in  der  althergebrachten  appel- 
lativen  Weise  redet,  stimmt  Duris  mit  Hieronymos  vollkom- 
men in  der  persönlichen  Auffassung  überein  und  die  Stellen, 
an  welchen  er  sie  erwähnt,  sind  den  p.  433  aus  Hieronymos 
augeführten  zum  Theil  täuschend  ähnlich  :  XX  13  ij  Tv^r] 
Tovg  V7teQe%ovraq  eTaTtelvcoGsv ;  4  o  rt  Ttoz^  dv  doKrj  r^  tv- 
Xj] ;  13  1^  T^v^i]  evaXld^  rd  7rQoreqii]f.iaTa  rölg  8XaTTcof.iaoiv 
hceiodyovaa;  70  ri^g  Tv^r^g  cooneQ  STtkrjöeg  €7tiÖ£iKvv(Äevi]g 
trjv  iötav  övraf-iiv ;  54  i^vxtjg  eTtrjqeao^og ;  30  trjv  dvcofiaXlav 
rrjg  Tvxrjg. 

Mit  der  Anerkennung,  welche  XVHI  74  riQx^^  eigrjvi' 
Kcog  xat  TtQog  rovg  Ttolixag  cpiXavd^Qw/tcog  der  Staatsver- 
waltung des  Demetrios  von  Phaleron  zu  Theil  wird,  will, 
wie  Nitsche  p.  31  in  einer  andern  Absicht  bemerkt,  das 
wegwerfende  Urtheil  des  Duris  bei  Athenaios  XH  60  nicht 
gut  stimmen :  yjXuov  y,al  dia^oölcov  TaXavTcov  xar'  eviavTOv 
Y.vqiog  yEvo{.ievog  /,al  dico  tovtiov  ßqax^cc  öa/ravwv  eig  TOvg 
GTQaTuoTag  xal  Tr^v  zrjg  jtoXeiog  dioUr^oiv  rd  Xomd  ndvra 
elg  TTjv  e(.iq)VTOv  d/,Qaalav  rjcfdrite.  Mit  dem  Weiberkrieg  bei 
Athen.  XHT  10  JovQLg  6  ld(.uog  Kai  Ttqwzov  yevsod^at  reo- 
Xefiov  g)t]OL  ovo  yvvaiKcov  'OXii^iTTiddog  Aal  EvQvdUrjg,  ev  m 
Tiiiv  i^iiv  ßa/,xiy.(OTeQOv  (.lerd  tv/.i7tdvco%'  jiQoeXd^eiv  ttjv  ö'Evqv- 
dUi]v  BlaKedovtKwg  y.ad^iOTcXiO(.dvriv  zeigen  die  XIX  11  nach 
der  Nebenquelle  erzählten  Vorgänge  nicht  die  mindeste 
Aehnlichkeit ;  dort  spielt  Olympias  eine  ganz  passive  Rolle, 
Polysperchon  befehligt  das  Heer  und  bewerkvstelligt  ihren 
Einzug :  TIoXvöTtlQxcov  dvva(.iiv  7]&Qoioe  aal  xarrjyayev  ^OXvfx- 
mada  s/cl  tkjV  ßaocXelav '  dxoicov  oiv  EvqvÖlktjv  ev  Eviotg 
ovoav  ü)Qf.ir^oev  etc  avzr^v  ottevÖcov  f.iia  i^dxj]  KQlvai  xd  jtqdy- 
fiara  etc.  Ganz  entschieden  spricht  endlich  gegen  Duris 
die  Beschaffenheit  der  Nachrichteu,  welche  Diodor    aus  der 


436  Sitzung  der  phüos.-phüol.  Clashe  vom  4,  Mai  1878. 

Nebenquelle  über  die  Ereignisse,  die  handelnden  Personen 
und  die  örtlichen  Verhältnisse  des  asiatischen  Kriegsschau- 
platzes bringt.  Sie  sind  so  mangelhaft  und  unzulänglich, 
dass  Duris,  welcher,  wie  p.  375  bemerkt  wurde,  nach  Hiero- 
njraos  schrieb  und  bei  seiner  ausgebreiteten  Literaturkennt- 
niss  diesen  schwerlich  übersehen  hat,  nicht  wohl  für  ihren 
Urheber  angesehen  werden  kann. 

Die  Nebenquelle  weiss  nichts  von  den  eigentlichen 
Zielen  des  Perdikkas  und  des  Antigonos ;  nichts  von  den 
schlauen  Absichten ,  mit  welchen  Ptolemaios  sich  der 
Leiche  Alexanders  bemächtigte,  ja  sie  fasst  die  ehrenvolle 
Wegführung  und  Beisetzung  derselben  naiver  Weise  als 
einen  Akt  hoher  Pietät  auf,  für  welchen  ihn  die  Götter 
mit  Rettung  aus  der  von  Perdikkas  drohenden  Gefahr  be- 
lohnten ;  den  Abzug  des  Eumenes  mit  seinem  starken  Heer 
aus  Babylonien  erklärt  sie  für  glückliche  Rettung  aus  der 
Hand  des  Seleukos,  der  mit  seiner  Handvoll  Reiter  in  Wahr- 
heit sich  glücklich  pries  denselben  vom  Halse  zu  bekommen. 
Sie  weiss  nichts  davon,  dass  der  Tigris  von  Babylon  nicht 
weit  entfernt  ist,  und  denkt  sich  Phoinike  irrig  mit  Besatz- 
ungen des  Ptolemaios  erfüllt.  Ueberall,  wo  sie  mit  Hiero- 
nymos  in  der  Geschichte  des  Ostens  verglichen  werden  kann, 
zeigt  sie  sich  so  dürftig  unterrichtet,  dass  man  nur  annehmen 
kann,  ihr  Verfasser  sei  den  Ereignissen  ganz  fern  gestan- 
den und  habe  lange  vor  Hieronymos  in  einer  Zeit  geschrie- 
ben, als  die  Nachrichten  über  die  asiatischen  Diadochen- 
kämpfe  noch  spärlich  flössen;  sie  macht  den  Eindruck  der 
ältesten  literarischen  Veröffentlichung  über  dieselben.  Aus- 
ser Hieronymos  und  Duris  hat  nur  noch  ein  Zeitgenosse 
der  Diadochengeschichte  dieselbe  beschrieben,  nämlich  Diyl- 
los  von  Athen,  und  er  wird  allgemein  für  älter  als  jene 
gehalten,  vgl.  z.  B.  Müller  Fragm.  bist,  gr.  H  360  und 
Schäfer  in  Sybels  Zeitschr.  XVHI  173.     Es   geschieht  dies 


Vnger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte.        437 

wegen  der  offenbar  chronologisch  geordneten  Reihenfolge 
bei  Plutarch  de  gloria  Athen.  1 ,  wo  er  nach  Thukydides, 
Xenophon  und  dem  ältesten  Atthidographen  Kleidemos, 
aber  vor  Philochoros  und  Phylarchos  aufgeführt  wird :  Phi- 
lochoros  war  306  Beamter  und  wurde  um  260  auf  Befehl 
des  Antigonos  Gonatas  getödtet;  seine  Atthis  soll  bis  261 
gegangen  sein.  Diyllos  führte  seine  allgemeine  Geschichte 
bis  zum  Tode  des  Philippos  IV  von  Makedonien  im  J.  296 
und  da  dies  kein  epochemachendes  Ereigniss  war,  so  muss 
man  annehmen,  dass  er  wie  Thukydides  und  Ephoros ,  den 
er  fortsetzte,  über  seiner  Arbeit,  also  auch  nicht  lauge  nach 
jenem  Jahr  gestorben  ist;^^)  Hieronymos  erzählte  noch  den 
Tod  des  Pyrrhos  im  J.  272. 

Daraus  dass  Diyllos  ein  Athener  war  und  wahrschein- 
lich auch  in  Athen  schrieb,  erklärt  sich  die  ungleich  bes- 
sere Beschaffenheit  seiner  Nachrichten  über  Hellas  und 
Makedonien,  welche  hie  und  da  auch  genauer  sind  als  die 
des  Hieronymos ;  Diodor,  welchem  es,  wie  z.  B.  aus  seinem 
Vorwort  über  die  Geschichte  des  Agathokles  hervorgeht, 
überall  um  die  besten  Quellen  zu  thun  war,  hat  sicher  nicht 
aus  Zufall  ihn  gerade  für  den  westlichen  Schauplatz  der 
Diadochengeschichte  vorzugsweise  zu  Rathe  gezogen.  Den 
Athener  scheint  die  Rücksichtnahme  auf  die  hohe  Stellung, 
welche  der  Olympias  von  Polysperchon  versprochen  war  (p. 
417),  zu  verratheu. 

Unter  den  wenigen  von  Diyllos  vorhandenen  Frag- 
menten ist  nur  eines,  welches  mit  Diodors  Nebenquelle  ver- 
glichen werden  kann;  es  steht  bei  Athenaios  TV  41:  JivX- 


20)  Aus  XIX  35  Jr]tSdfj.eiay  Uvqqov  rov  ngog  ^PMUca'ovg  vöxeqov 
iioleiAriaavTog  (x6e'k(f^v  will  Nitsche  p.  19  auf  das  Zeitalter  der  dort 
benützten  Quelle  schliessen ;  damals  war  aber  Rom  für  die  Griechen 
noch  nicht  so  wichtig,  dass  ein  Schriftsteller  den  ßömerkrieg  zu  einer 
näheren  Bestimmung  des  Pyrrhos  verwendet  haben  würde.  Der  Zusatz 
igt  von  Diodor  selbst. 


438  Sitzung  der  philos.-phüol.  Olasse  vom  i.  Mai  1878. 

log  6  Lid^rjvaXog  ev  xfi  evdzrj  twv  Iotoqlwv  (pr]Otv ,  wg  Kaa- 
aavÖQog  ez  Bouorlag  hcavuov  xal  d^aipag  rov  ßaoikia  y.al 
Tr^v  ßaolXiGoav  ev  ^ilyaig  Aal  /.ist  avxwv  trjv  Kvvvav  Tr]v 
EiQvöiKTjg  fxrjTSQa  ytal  rdlg  aXkoig  ti/irjoag  oig  TTQOGiyAei  Kai 
lj,ovofiaxlag  aywva  sd^tjKev,  elg  ov  Kacißr^aav  TtGoageg  twv 
öxqaTuoTiov.  Müller  Fragm.  bist.  II  360  hält  diese  Stelle 
für  die  Quelle  von  XIX  52 :  EvqvöUtjv  [xev  yial  0ih7t7tov 
Tovg  ßaailsig  tn  ös  Kvvvav^  riv  aveiXev  ^AX^ltag,  ed-axpev 
EV  ^lyalg  Kad^arreq  eS^og  'qv  roig  ßaailevot,  VifÄrjaag  ös  rovg 
TEtelevTTjxoTag  eraTacpioig  dycoai  Kaviyqa^e  xiov  Ma^edoviov 
etc.  Droysen  1,  249  und  Reuss  p.  118  sind  anderer  An- 
sicht, weil  bei  Diodor  die  Gründung  von  Kassandreia  und 
die  Gefangeusetzung  der  Roxane  und  ihres  Sohnes  der 
Leichenfeier  vorausgeht,  während  Diyllos  diese  auf  die  Heim- 
kehr aus  Boiotien  folgen  lässt;  sie  denken  dabei  an  den 
Wiederaufbau  von  Theben,  welchen  bei  Diod.  XIX  53  Kas- 
sander erst  nach  der  Feier  veranstaltete.  Dieser  Beziehung, 
der  einzigen  welche  sich  den  Worten  ey.  Boiwriag  htavuov 
geben  lässt ,  stehen  indess  erhebliche  Bedenken  gegenüber  : 
die  Wiederherstellung  Thebens  war  bloss  ein  Nebenzweck 
des  Zuges,  welchen  Kassander  nach  der  Feier  unternahm. 
Derselbe  galt  dem  Peloponnes,  vgl  XIX  52 :  nazeyqarps  tcuv 
MayteSoviüv  rovg  ev&sTovg  SieyvojKcog  roiv  Maxedovcov  elg  Tle- 
XoTtovvrjOov  otqatEVEiv  und  53  dviKsv^EV  ek  Trjg  MaxEÖoviag 
öTtEvöcov  IdM^avöqov  xov  rioXv07tiQ%oviog  eyißaXelv  sa  xrig 
IlEXoTtovvrioov ;  auf  dem  Hinweg  wurde  sie  ins  Werk  ge- 
setzt, auf  dem  Rückweg  aber  hielt  er  sich  in  Boiotien  nicht 
auf,  c.  53  aTtokiTtcov  htl  xov  ^lod^/iov  Fsgaviag  oxqaxLtoxag 
diaxiXlovg  ytal  Gxqaxr^yov  MoXvkov  ETtavrjXd^Ev  slg  Manedoviav, 
Wir  halten  daher  diese  Abweichung  nur  für  die  Folge 
eines  Textfehlers  und  vermutheu,  dass  Diyllos  l>t  Boxxiaiag 
EJtavuov  2^)  geschrieben  hat.    Die  Einschliessung  der  Roxane 

21)  Justin  VII  1,  3  baben  die  Hdss.  Boetia  oder  Boeotia  und  letz- 
teres  batten  die  Ausgaben,  bis  Niebubr  Bottia  besserte. 


Unger:  Dioäors  Quellen  in  der  Diadochengeschichte»        439 

und  ihres  Sohnes  hatte  Kassander,  wie  man  sich  denken 
kann,  nicht  persönlich  in  Amphipolis  geleitet,  sondern  in 
der  Ferne  angeordnet,  und  Justin  XIY  6,  13  filium  Alexandri 
cum  matre  in  arceni  Amphipolitanam  custodiendo?  mittit 
gibt  dies  auch  deutlich  zu  verstehen;  nach  Aigai  kam  er 
also  aus  der  Gegend  von  Kassandreia,  welches  er  an  der 
Stelle  des  alten  Potidaia  auf  dem  Isthmos  der  Halbinsel 
Pallene  angelegt  hatte.  Die  festländische  Gegend ,  w  eiche 
durch  den  Isthmos  mit  Pallene  in  Verbindung  steht,  war 
eben  Bottiaia,  vgl.  Philochoros  bei  Dionys.  Hai.  ad  Amm. 
1,  9 :  rilO^ev  etg  te  ITaXlrjvrjv  xal  rrjv  Bottialav  ;  von  ihren 
zwei  Städten  Olj^nthos  und  Spartolos  war  die  erste  im 
Perserkrieg  den  Chalkidiern  von  Torone  zu  Theil  geworden 
(Herodot  VHI  127),  das  Land  blieb  aber  immer  noch  be- 
deutend genug,  um  sich  als  ein  selbständiges  Gebiet  südlich 
von  Makedonien  und  westlich  von  den  Chalkidiern  zu  er- 
halten, vgl.  Thukyd.  H  65  i^ieTa  r^g  IloTtdaiag  ti^v  ccjiorel- 
XiGLV  0OQf-iuov  Ttjv  XalKiSiKi^v  Kai  BoTTiKrjv  iSrjov ;  101  ^i- 
taXytrjg  ti]v  te  XalxtdiKr^v  Kai  BoTTiKr^v  Kai  31aKEÖoviav 
af^ia  STtexiov. 

Kassander  schlug  zum  Gebiete  der  neuen  Stadt  sowohl 
ganz  Pallene  als  das  nördlich  angrenzende  Land,  Diod.  XIX 
52  :  KaGoavÖQEtav^  eIq  riv  rag  te  eirl  ri^g  xEqaovriaov  TtolEig 
GvvioKLOE  Kai  Ti^v  TloTidaiav  ^  k'ti  de  rtov  ovvEyyvg  x<^qIojv 
ovK  oUya'  KartoKiGE  (5'  Exg  avrrjv  Kai  rcov  'Olvvd-uov  rovg 
diaacotof.i6vovg  ;  unter  den  avvEyyvg  y^gla  können  aber  nur 
die  Orte  der  Bottiaia  verstanden  werden.  ^^)     Dort  in  dem 


22)  Bedenkt  man  ,  dass  Aineia  und  die  Küstenlandschaft  Krusis 
dem  neugegründeten  Thessalonike  einverleibt  wurden  (Strab.  VII  exe. 
21),  80  findet  sich ,  dass  die  ganze  Ostküste  des  Busens  von  Saloniki 
den  zwei  von  Kassander  gestifteten  Städten  gehörte;  die  Grenze  zwi- 
schen beiden  ist  offenbar  dieselbe,  welche  vor  Philipp  und  Alexander 
zwischen  Makedonien  und  Bottiaia  bestanden  hatte. 


440         Sitzung  der  phüos.-philöl.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

nördlichsten  Theil  des  neuen  Stadtgebiets  hielt  er  sich  zu- 
letzt auf,  um  die  für  die  Einverleibung  nöthigen  Anord- 
nungen zu  treffen;  dann  zog  er  nach  Aigai.  Stellen  wir 
BoTTialag  her,  so  ist  die  Uebereinstimmung  zwischen  Dio- 
dor  und  Athenaios  so  gross,  wie  man  sie  zwischen  zwei 
nicht  wörtlich  ausgeschriebenen  sondern  (was  bei  Athenaios 
die  Part,  cug  anzeigt)  nur  dem  Sinn  und  Hauptinhalt  nach 
ausgezogenen  Stellen  eben  verlangen  kann,  und  es  darf  die- 
selbe als  Beweis  der  Benützung  des  Diyllos  bei  üiodor  an- 
gesehen werden. 

Diyllos  hat  sich  uns  bereits  in  Sachen  des  Glaubens 
als  ein  conservativer  Mann  gezeigt ;  er  war  es  auch  in  der 
Politik.  Demetrios  von  Phaleron,  Kassanders  Statthalter, 
hat  die  Stadt  nach  seiner  Ansicht  sehr  gut  verwaltet; 
ebenso  wird  über  Phokion,  der  vor  diesem  eine  ähnliche 
Stellung  unter  Antipater  eingenommen  hatte,  mit  Theil- 
nahme  und  Lob  gesprochen  (XVIII  67).  Er  gehörte  also 
zu  der  aristokratischen  Partei,  welche  durch  Antipater  mit 
Phokion  ans  Ruder  des  Staates  gekommen  war;  den  Aristo- 
kraten verräth  XVIII  67  GvvrjxoXovd^ovv  {rolg  tteqI  (DcoaI- 
lova)  TtoXXol  Tcov  OTtovöalcov  dvÖQCov  6dvQO[xe.voi  nal  ovfx- 
jtaöyovveg  ercl  xu)  fueyeO^et  tcov  dtvxrjf^K^Tcov '  to  ydq  TtQOj- 
TEVovTag  avdgag  ralg  öo^aig  y.al  rdlg  evy ev ela ig  ttoXIcc 
ntBTtqayoTag  ev  rcT}  ^rjv  (pildvd-gcoTta  (xrixe  Xoyov  jurjxe  kqI- 
oswg  öi^aiag  Tvyxdveiv  rcoXkovg  rjyev  elg  STViGraoiv  öiavotag 
Kai  cpoßov '  TJoXkol  xal  tcov  drj j.iot i-naiv  y,ai  TtiKQCug  dia- 
KBiixivcov  TtQog  avTov  iXoiöoQOvv  dvrjXewg  und  66  o  oyXog 
Kazeßoa  *  ro  yccQ  TtXvS^og  rwv  dr^^oriKwv  TnxQfog  SiSTieito 
7CQog  rovg  d(p7^Qr]ixevovg  zrjv  TtoXirelav^^).  Es  ist  das  die 
Partei,    welche  sich  längst  in  die  Abhängigkeit  von  Make- 


23)  Auch  XVIII  74  äuetoXfitios  ng  xwv  in  «lvov  fie  viav  nokt- 
T(üi^  €171  tiy  ip  ixx}.t]<Tiq  6 ton  avfxcpsqeL  tiqos  Kuooccv^qov  SiccXvffaffO-ai 
lässt  diesen  Parteistandpuukt  erkennen. 


Unger:  Diodors  Quellen  in  der  Diadocheugeschichte,         441 

donieu  gefunden  hatte ;  wie  unser  Gewährsmann  von 
Alexander  dachte,  verräth  XVIII  28 ,  wo  die  Rettung  des 
Ptolemaios  vor  dem  Angriff  des  Perdikkas  naiver  Weise  als 
Gotteslohn  für  die  ehrenvolle  Bestattung  der  Leiche  des 
grossen  Königs  in  Aegypten  erklärt  wird.  Dies  selbst  ge- 
schieht nicht  etwa  aus  einseitiger  Parteinahme  für  Ptole- 
maios :  er  stellt  den  Eumenes,  zu  dessen  Gegnern  jener  ge- 
hörte, so  hoch  wie  nur  irgend  ein  Schriftsteller  und  nennt 
die  Besitznahme  Phoinikes  durch  den  Ptolemaios  XVIII  73 
eine  ungerechte  Handlung.  Das  Merkwürdigste  ist  seine 
Eingenommenheit  für  Kassauder;  der  Umstand,  dass  Anti- 
pater  bei  ihm  schlechter  wegkommt  und  Kassander  zur  Zeit 
der  Abfassung  seines  Werkes  schon  todt  war,  lässt  ver- 
muthen,  dass  sich  dieser  unserem  Historiker  persönlich  in 
irgend  einer  Weise  gnädig  gezeigt  hatte.  Wenn  somit  das 
erste  und  einzige  attische  Geschichtswerk,  welches  die  Dia- 
dochenzeit  behandelte,  einen  entschieden  makedonischen 
Standpunkt  einnahm,  so  ist  es  nicht  zu  verwundern,  dass 
die  jungathenische  Partei,  deren  Ideal  die  Zeit  der  Perser- 
kriege und  die  attische  Hegemonie  war ,  das  Bedürfnias 
empfand,  eine  ihren  Ansichten  entsprechende  Darstellung 
der  jüngsten  Schicksale  Athens  zu  besitzen  :  der  es  unter- 
nahm, einen  Phokion  und  Demetrios  von  Phaleron  von 
einem  anderen  Gesichtspunkt  aus  zu  beurtheilen,  war  kein 
anderer  als  Demochares,  der  Neffe  des  Demosthenes,  der 
Erbe  und  Träger  seiner  Politik  und  ihrer  Ideale. 


Sitzung  vom  4.  Mai  1878. 


Herr  Brunn  trug  vor: 

•    „Die  Sculpturen  von  Olympia.*' 

II. 

Die  Fortsetzung  der  Ausgrabungen  am  Tempel  des  Zeus 
zu  Olympia  während  des  Winters  1876/77  liat  nicht  nur 
sehr  wesentliche  Stücke  zur  Ergänzung  der  Gruppe  des 
Ostgiebels,  sondern  auch  bedeutende  Reste  der  Sculpturen 
des  Westgiebels  ans  Licht  gefördert.  Eine  Reihe  von  Pro- 
blemen über  die  Ergänzung  einzelner  Figuren,  über  ihre 
Vertheilung  im  Räume,  über  die  Composition  des  Ganzen 
u.  A.  drängt  sich  dem  Betrachter  auf.  Doch  wird  deren 
Erledigung  besser  bis  zu  dem  Zeitpunkte  verschoben ,  wo 
durch  Beendigung  der  Ausgrabungen  jede  Aussicht  auf  eine 
weitere  Ausfüllung  der  noch  vorhandenen  Lücken  verschwun- 
den sein  wird.  Weniger  abhängig  von  solchen  Ergänzungen 
erscheint  die  kunstgeschichtliche  Hauptfrage,  die  sich  kurz 
dahin  zusammenfassen  lässt:  wie  verhält  sich  der  künst- 
lerische Charakter  der  Westgruppe  zu  dem  der  Ostgruppe? 
Entspricht  derselbe  den  Vorstellungen ,  die  wir  uns  bisher 
von  der  Kunst  des  Alkamenes  gemacht  haben,  und  wenn 
nicht,    wie  haben    wir   uns  diese  Erscheinung  zu  erklären? 

Zur  Erörterung  dieser  Frage  liegt  mir  die  zweite  Serie 
der  photographischen  Publication  vor.     Ausserdem  hatte  ich 


443        Sitzung  der  philos.-philoL  Classe  vom  4.  Mai  1878, 

kürzlich  Gelegenheit,  in  Berlin  die  Gypsabgüsse  einer 
wiederholten  Betrachtung  zu  unterwerfen,  wenn  auch  nicht 
unter  den  günstigsten  Umständen.  Wohl  bin  ich  mir  dabei 
bewusst,  dass  gerade  neuen  und  fremdartigen  Eindrücken 
gegenüber  das  Auge  einer  längeren  Gewöhnung  bedarf  und 
dass  wir  daher  manche  feinere  Eigenthümlichkeiten  nicht 
sofort  nach  allen  Seiten  zu  würdigen  im  Stande  sind.  Doch 
werden  dadurch  die  Hauptresultate  vielleicht  im  Einzelnen 
berichtigt,  aber  doch  nicht  wesentlich  beeinträchtigt  werden 
können.  —  Der  Gang  der  Untersuchung  wird  kein  anderer 
sein ,  als  der  in  meinem  vorjährigen  Vortrage  über  die 
Sculpturen  des  Paeonios  eingeschlagene,  nemlich  der  einer 
formalen  Analyse  der  Werke  selbst,  diesmal  natürlich  unter 
fortwährender  Vergleichung  der  beiden  Gruppen. 

Wie  damals  beginnen  wir  mit  der  Betrachtung  der 
GewanduDg.  Den  beiden  Flussgöttern  des  Ostgiebels  ent- 
sprechen im  Westgiebel  zwei  weibliche  am  Boden  lagernde 
halbbekleidete  Gestalten ,  Ortsgottheiten  oder  Nymphen. 
Die  eine  (Taf.  XI)  ist  bis  auf  die  Arme  und  die  Beine,  vom 
Knie  abwärts,  erhalten;  von  der  andern  ist  nur  die  untere 
Hälfte  auf  Taf.  XH  abgebildet ;  der  obere,  später  gefundene 
Theil  stützt  sich  mit  dem  EUnbogen  auf  den  Boden.  Der 
erste  Blick  auf  dieselben  zwingt  uns  zu  dem  Bekenntniss, 
dass  zwischen  dem  Styl  der  beiden  Gruppen  ein  principieller 
Gegensatz  nicht  existirt.  Vielmehr  macht  sich  sofort  eine 
sehr  weit  gehende  Verwandtschaft  bemerkbar.  Wie  um  diese 
recht  absichtlich  zu  zeigen,  sind  die  Gewänder  so  geordnet, 
dass  sie  dem  Rücken  folgend  Brust  und  Arme  freilassen  und 
dann  in  scharf  gebrochenem  Winkel  von  der  Hüftgegend 
an  über  die  Schenkel  fallen ,  gerade  wie  am  Alpheios  und 
Kladeos.  Die  Aehnlichkeit  erstreckt  sich  bis  auf  die  Form 
der  Falte  an  dem  gebrochenen  Winkel.  Aber  auch  im 
Uebrigen  gilt  hier  wörtlich  dasselbe,  was  dort  (S.  9)  be- 
merkt  wurde:     die    Gewandung   fällt   nicht,    wie    sie  nach 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  444 

einem  bestimmten  Stylpriucipe  fallen  sollte,  sondern  sie 
liegt  regellos  cla,  wie  sie  der  Zufall  geworfen  liat,  keines- 
wegs unnatürlicli,  aber  doch  nur  die  äussere  zufällige  Er- 
scheinung wiedergebend.  Nur  die  ausführende  Hand  ist 
eine  andere  und  von  einem  andern  Empfinden  geleitet:  im 
Ostgiebel  sind  die  Falten  rundlich  und  weichlich,  wie  von 
einem  etwas  dicken,  wenn  auch  nicht  gerade  schweren  Stoffe, 
der  nicht  in  zahlreichen  Falten  bricht;  im  Westgiebel  ist 
die  einzelne  Falte  feiner,  schärfer,  nach  dem  griechischen 
Ausdrucke  elg  Xejvtoteqov  £^€iQyaa/.ihrj.  Die  Gewandungen 
der  beiden  Giebel  verhalten  sich  etwa,  wie  zwei  Zeichnungen, 
von  denen  die  eine  mit  weicher  Kreide,  die  andere  mit  härterem 
Bleistift  ausgeführt  ist. 

Bei  der  Gewandung  der  „knieenden  Frau"  (X)  liegt 
eine  Vergleichung  mit  dem  an  der  Ostseite  gefundenen 
„hockenden  Mädchen"  (Serie  II,  Taf.  VII)  nahe,  wenn  nicht 
vielleicht  zu  nahe,  indem  es  sich  hier  vielmehr  um  Gleich- 
heit, als  um  blosse  Verwandtschaft  des  Styls  zu  handeln 
scheint.  Es  darf  daher  wohl  die  Frage  aufgeworfen  werden, 
ob  die  letztere  wirklich  zum  Ostgiebel  gehört.  Pausanias 
nemlich  erwähnt  bei  der  Beschreibung  desselben  diese  Figur 
gar  nicht,  und  man  hat  ihn  deshalb  ohne  Weiteres  einer 
Nachlässigkeit  in  der  Aufzählung  oder  eines  Misverständ- 
nisses  in  der  Deutung  beschuldigen  wollen.  Die  Beurfchei- 
lung  der  Zuverlässigkeit  des  Pausanias,  den  I.  C.  Scaliger 
omnium  Graeculorum  mendacissimum  nannte,  hat  sich  sehr 
zu  seinen  Gunsten  gewendet,  seitdem  zahlreiche  wissen- 
schaftliche Reisende  ihm  die  Anerkennung  nicht  zu  versagen 
vermochten,  dass  sein  Werk  durch  die  Genauigkeit  in  der 
Angabe  der  Oertlichkeiten  sich  noch  heute  als  ein  treffliches 
Reisehandbuch  bewähre.  Die  Archäologie  hat  bei  systema- 
tischen Untersuchungen,  wie  z.  B.  über  die  polygnotischen 
Gemälde,  über  den  Kypseloskasten,  den  amykläischen  Thron 
dieses  Urtheil  nur  bestätigen  können,  indem  sie  zu  der  lieber- 


Brunn:  Die  Sculpturcn  von  Olympia.  445 

Zeugung  gelangte,  dass  Pausanias  überall  da,  wo  er  beschreibt, 
was  er  selbst  vor  Augen  hat,  sich  als  ein  treuer  und  sorg- 
fältiger Berichterstatter  erweist,  wenn  auch  zu  beklagen  bleibt, 
dass  er  sich  namentlich  im  Anfange  seines  Werkes  meist 
kürzer  fasst,  als  für  uns  zu  wünschen  wäre.  Weun  man 
ihn  also  jetzt  nicht  nur  anklagt,  eine  Figur  übergangen  zu 
haben,  sondern  je  nach  Bedarf  ihm  auch  eine  Vertauschung 
des  Kladeos  und  Alpheios,  sowie  eine  Verwechselung  des 
Peirithoos  mit  Apollo  zutrauen  möchte,  so  dürfte  so  ge- 
häuften .Vorwürfen  gegenüber  doch  wohl  eine  Mahnung  zu 
grösserer  Vorsicht  in  der  Kritik  am  Platze  sein.  Kleinere 
Nachlässigkeiten  können  und  sollen  natürlich  nicht  abge- 
leugnet werden ;  und  wenn  wir  schon  vor  Beginn  der  Aus- 
grabungen von  Olympia  eine  Lücke  in  der  Aufzählung  der 
Metopen  annehmen  mussten,  so  waren  wir  dazu  berechtigt 
durch  die  materiell  gegebene  Zwölfzahl  der  Metopen  und 
durch  die  in  der  Tradition  eben  so  gegebene  Zwölfzahl  der 
Thaten  des  Herakles.  Zudem  ist  gerade  bei  Aufzählung  so 
bekannter  längerer  Reihen,  wie  diese,  eine  Unterlassungs- 
sünde am  leichtesten  erklärbar  und  entschuldbar,  wie  viel- 
leicht so  mancher,  der  sich  selbst  prüft,  aus  eigener  Er- 
fahrung zu  bestätigen  in  der  Lage  wäre.  Die  Reihe  der 
Figuren  des  Ostgiebels  bei  Pausanias  ist  dagegen  eine  streng 
in  sich  abgeschlossene,  in  der  sich  zu  beiden  Seiten  des  Cen- 
trums Figur  für  Figur  genau  entspricht;  ja  Pausanias  be- 
schreibt hier  offenbar  im  klaren  Bewusstsein  dieser  Ent- 
sprechung ,  indem  in  den  Artikeln  o  Ileloip  ...  o  re  ^vlo- 
xog  .  .  .,  in  xal  ovtoi  und  avd^ig  eine  bestimmte  Hinwei- 
sung auf  die  Reihenfolge  der  Gegenseite  gegeben  ist.  Sollen 
wir  also  das  hockende  Mädchen  in  die  Composition  auf- 
nehmen, so  sind  wir  zu  der  Annahme  gezwungen,  dass  Pau- 
sanias nicht  nur  diese,  sondern  noch  eine  zweite  entsprechende 
Figur  auf  der  anderen  Seite  übergangen,  von  der  bis  jetzt 
keine  Reste  zum  Vorschein  gekommen  sind ,  oder  dass  er, 
[1878  I.  Philos.-philol.-hist.  Gl.  4.]  32 


446        Sitzung  der  phüos.'philol.  Classe  vomTli.  Mai  1878. 

was  gewiss  wenig  wahrscheinlich ,  das  Mädchen  für  einen 
Stallknecht  angesehen  habe.  Diesen  Bedenken  gegenüber 
fällt  allerdings  der  Fundort  an  der  Ostseite  schwer  ins  Ge- 
wicht. Indessen  ist  derselbe  nicht  mit  der  Stelle  identisch, 
auf  welche  die  Figur  ursprünglich  aus  dem  Giebel  herab- 
gestürzt sein  müsste.  Mag  nun  auch  für  eine  Verschleppung 
von  der  anderen  Seite  des  Tempels  sich  bis  jetzt  kein 
äusserer  Grund  anführen  lassen,  so  wird  doch  die  Möglichkeit 
einer  solchen  sich  nicht  absolut  verneinen  lassen.  Bei  dieser 
Sachlage,  die  eine  Vertagung  der  Entscheidung  bis  zu  völligem 
Abschluss  der  Ausgrabungen  räthlich  erscheinen  lässt,  möchte 
daher  eine  gewisse  Zurückhaltung  in  der  Vergleichung  dieser 
Figur  mit  der  knieenden  Frau  des  Westgiebels  wenigstens 
ihre  vorläufige  Berechtigung  haben. 

Jedenfalls  werden  wir  sicherer  gehen,  wenn  wir  für 
unsere  Erörterungen  eine  andere  Figur  des  Ostgiebels,  etwa 
den  „knieenden  Wagenlenker"  (XX)  heranziehen.  Hier  haben 
wir  wieder,  wie  bei  den  Eckfiguren,  die  allgemeine  Ueber- 
einstimmung  in  der  Disposition  der  Gewandung  neben  der 
Verschiedenheit  in  der  Ausführung  des  Einzelnen.  Die 
laxe  Weichheit  des  Paeonios  weicht  in  der  knieenden 
Frau  einer  strengeren  und  schärferen  Bezeichnung  der  ein- 
zelnen Falten.  Eine  Tendenz  zu  mehr  plastischer  Stylisirung 
macht  sich  namentlich  in  dem  ruhig  herabfallenden  oberen 
Gewandstücke  mit  gutem  Erfolge  geltend,  ist  aber  noch 
nicht  stark  genug,  um  den  Mangel  an  Verständniss  der 
Körperformen  und  ihres  Zusammenhanges  mit  der  Bekleidung, 
so  wie  klarer  Durchbildung  der  einzelnen  Falten  bei  weniger 
einfachen  Lagen  zu  überwinden.  Besonders  in  der  Umgebung 
des  Knies  tritt  das  Aeusserliche  der  Auffassung  in  der  Figur 
des  einen  Giebels  nicht  minder,  wie  in  der  des  andern 
hervor. 

Aehnliche  Tendenzen  lassen  sich  jetzt  auch  an  andern 
Frauengewändern    (auf  Taf.  XIV,   XIX,   XXIII)   verfolgen. 


Brunn :  Die  Sculpturen  von  Olympia.  447 

Einzelnes  ist  mitunter  sogar  über  Erwarten  gelungen,  so 
dass  man  au  Ausführung  durch  verschiedene  Künstler  (nicht 
Arbeiter)  denken  könnte ,  wenn  sich  die  stylistischen  Ver- 
schiedenheiten nicht  auch  an  einer  und  derselben  Figur 
vereinigt  fänden.  So  tritt  uns  an  der  „Deidamia"  in  den 
Begrenzungen  der  anliegenden  und  übereinander  gelegten 
Falten  unterhalb  der  umfassenden  Hand  des  Kentauren  eine 
feine  Zeichnung  entgegen,  während  unmittelbar  darunter 
die  nach  dem  Schenkel  herunterlaufenden  Falten  von  rund- 
lichem, wulstigem  Charakter  sind,  darüber  aber  die  von  der 
Schulter  herabfallenden  sich  mehr  in  die  Breite  auseinander- 
zulegen streben.  In  einem  ähnlichen,  aber  noch  schärferen 
Gegensatz  stehen  an  der  „geraubten  Jungfrau"  (XIV)  die 
rundlichen,  den  linken  Schenkel  umhüllenden  zu  den  breiten, 
über  den  rechten  herabfallenden  Falten.  Es  verräth  sich 
darin  das  Streben,  gewisse  Beobachtungen  über  verschieden- 
artige Stylisirungeu,  so  zu  sagen  ,  zu  classificiren  und  etwa 
zusammengeschobene,  rundliche  und  auseinandergelegte  breite 
Falten  bestimmt  zu  unterscheiden.  Freilich  stehen  sie  sich 
gegenüber  fast  wie  lamben  und  Trochäen ,  während  sich 
grössere  Einheit  und  Harmonie  hätte  erzielen  lassen,  wenn 
die  rundlichen  etwa  in  den  Styl  der  die  Brust  bedeckenden 
übertragen  worden  wären.  Andere  Einzelnheiten ,  wie  die 
feingefältelten  Aermel  des  Weibes  (XXV)  erinnern  daran, 
dass  der  Künstler  auch  auf  die  Unterscheidung  der  ver- 
schiedenen Stoffe  der  Gewänder  grösseren  Werth  als  früher 
zu  legen  begann ,  freilich  auch  hier  ohne  ein  klares  und 
durchgreifendes  Verständniss.  Im  Ganzen  dürfen  wir  also 
wohl  sagen,  dass  der  Künstler  von  der  durch  Paeonios  re- 
präsentirten  Kunstweise  ausgeht,  aber  versucht,  die  Grenzen 
derselben  nach  verschiedenen  Seiten  zu  überschreiten ,  ohne 
jedoch  im  Stande  zu  sein,  diese  Neuerungen  einheitlich  und 
harmonisch  zu  verarbeiten. 

Auch   in  der  Behandlung  der  Körperformen  lässt  sich 

32* 


448         Sitzung  der  philos .-phüol  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

hie   und   da   ein  Fortschritt  im  Einzelnen  nicht  verkennen: 
man    beachte    namentlich    die    Füsse    und    Hände    an    der 
Kentaurengruppe  XIV,  wo  die  Falten  an  den  Fingergelenken, 
die  Adern   und    Sehnen    eine   eingehende    Berücksichtigung 
gefunden  haben.     Ebenso  verrathen  die  Falten  am  Menschen- 
leibe des  Kentauren,  wie  die  ganze  Anlage  des  Brustkastens 
und  die  Angabe   der  Brustmuskeln    eine    feinere  Hand  und 
ein  besseres  Verständniss,    und  ein   ähnliches  Lob  verdient 
der  Pferdeleib  des  Kentauren  XXV.     Wenden  wir  aber  den 
Blick  auf  die  Torsen    der    in    lebhafter  Action  begriffenen 
Gestalten  des  Theseus  (XVI)  und  des  einen  Lapithen  (XVIIl), 
so  werden  wir  wieder  auf  die  enge  Verwandtschaft  mit  dem 
Ostgiebel  zurückgewiesen,  indem  wir  hier  wie  dort  die  strenge 
Schulung,    die    energische   Zucht    gymnastisch  -  athletischer 
Körperbildung  vermissen.     Wir    finden   eine  wenig  bewegte 
Oberfläche   mit   weichen  Uebergängeu ,    wo    wir   energische 
Schwellung   und    Spannung    der  Muskeln    und   scharfe    Be- 
grenzungen   erwarten   sollten.     Es   soll  dabei  keineswegs  in 
Abrede  gestellt  werden,  dass  solche  Körper  bei  einer  hohen 
Aufstellung,  wie  sie  in  Berlin  versucht  ist,  günstiger  wirken, 
als   bei   der  Betrachtung   in   der  Nähe.     Doch   müssen  wir 
dabei    einen   sehr   bestimmten   Unterschied   festhalten :    der 
günstigere  Eindruck  hier  wie  im  Ostgiebel  ist  ausschliesslich 
auf  Rechnung  der  malerischen  Wirkung  der  Oberfläche 
in  ihrer  äusseren  Erscheinung  zu  setzen,  während  die  Mängel 
mehr  unter  der  Oberfläche,  in  dem  nicht  genügenden  inneren 
Verständniss  zu  suchen  sind.     So  erscheint  in  dem  Lapithen- 
torso  der  in  seinem  Ausatz  erhaltene  rechte  Arm  wie  aus- 
gerenkt   und   lässt    ans  das   richtige   Verständniss   des  Zu- 
sammenhanges  der  Theile  ebenso  vermissen,    wie  z.  B.  am 
Ostgiebel  der  linke  Schenkel  des  kauernden  Jünglings  Ser.  II, 
Taf.  VII.     Fast  noch  unangenehmer  wirkt  trotz  der  Frische 
des  Gedankens  der  Composition  der  Mangel   an  Richtigkeit 
der   Proportionen   in  der   von  einem  Kentauren   geraubten 


Brunn:  Die  Seulpturen  von  Olympia.  449 

Jungfrau  (XIV),  der  verbunden  mit  einer  gewissen  Unklar- 
heit in  der  Disposition  der  Gewänder  uns  sogar  schwer  zum 
Verständniss  des  Ganzen  dieser  Figur  gelangen  lässt. 

Ohne  uns  bei  den  augenfälligen  Schwächen  in  der 
Körperbildung  der  gelagerten  Ortsgottheiten  aufzuhalten, 
lassen  wir  uns  durch  dieselben  auf  eine  weitere  Verwandt- 
schaft der  beiden  Giebel  in  Stellung  und  Motivirung  der 
Gestalten  hinleiten  Sie  liegen  lang  ausgestreckt,  so  dass 
das  eine  Bein  unter  dem  andern  fast  verschwindet  und  dass 
ohne  stärkere  Biegung  des  Kniees  der  Körper  nicht  in 
scharfer  Silhouette  hervortritt,  wie  es  doch,  um  vom  Par- 
thenon zu  schweigen,  die  Künstler  der  äginetischen  Giebel- 
gruppen nicht  ohne  Geschick  anzuordnen  verstanden  hatten. 
Ein  wenig  bewegter,  flauer  und  weichlicher  Contour  bildet 
die  obere  Begrenzung,  während  die  andere,  allerdings  wohl 
durch  den  Rand  des  Giebelfeldes  für  den  Beschauer  fast 
ganz  verdeckt,  völlig  vernachlässigt  ist.  Bei  dem  fragmen- 
tirten  Zustande  der  Gruppen  ist  es  wenigstens  jetzt  noch 
nicht  möglich,  über  die  Linienführung  im  Allgemeinen  und 
über  die  Einfügung  der  Figuren  und  Gruppen  in  den  Rahmen 
des  Giebels  bestimmter  zu  urtheilen.  Nach  den  erhaltenen 
Theilen  scheint  der  Künstler  dabei  ziemlich  unbefangen  zu 
Werke  gegangen  zu  sein.  Die  Gruppe  XIV  z.  B.  ist,  wie 
bemerkt,  lebendig,  aber  ziemlich  derb  erfunden,  und  die 
sattelförmige  Einbiegung  des  Pferderückens ,  die  in  einem 
Fragment  der  entsprechenden  Gruppe  der  Gegenseite  wieder- 
kehrt, dürfte  vom  ästhetischen  Standpunkte  aus  manchen 
Bedenken  unterliegen,  die  in  den  Anforderungen  des  Raumes 
nur  eine  sehr  theilweise  Entschuldigung  finden.  Sonst  gilt 
von  dieser  Gruppe,  wie  von  andern  Figuren  wohl  wörtlich 
dasselbe,  was  über  den  Ostgiebel  (S.  8)  bemerkt  wurde: 
„Die  Motive  sind  aus  der  Natur  herübergenommen,  wie  sie 
der  Zufall  bot,  ohne  dass  viel  gefragt  wurde,  ob  sie  ge- 
wöhnlich,  gemein    oder   edel  .  .  .     Die   Natürlichkeit,   die 


450  Sitzung  der  philos.-philoL  Classe  vom  4.  Mai  1878, 

uns  hier  entgegentritt,  ist  also  nicht  eine  geläuterte,  ideale, 
sondern  ein  Abbild  der  ungeschminkten  Wirklichkeit/' 
Dass  auch  diese  zuweilen  eines  hohen  Reizes  nicht  entbehrt, 
kann  uns  in  besonders  einleuchtender  Weise  der  noch  nicht 
publicirte  obere  Theil  der  einen  Ortsnjmphe  lehren. 

Wie  bei  den  Gestalten  auf  die  Gewandung,   so  richten 
wir   bei    den   Köpfen    unsern   Blick  zuerst   auf  Haupt-  und 
Barthaar.     Hier  kann  uns  ein  entschiedener  Mangel  an  Ein- 
heit des  Styls  nicht  entgehen,  der  einen  besonderen  Grund 
haben  muss.      Bei   der  Zusammensetzung    der    Massen    aus 
unzählbaren  einzelnen,  schlichten  oder  gewellten  Haaren,  die 
sich  an  den  Schädel  anlegen  oder  von  ihm  loslösen,  ist  eine 
Nachahmung  der  äusseren  Erscheinung  des  Haares  in  der  Plastik 
besonderen   Schwierigkeiten    unterworfen.     Die   Wiedergabe 
verlangt  eine  gewisse  Abstraction    oder    nach  der  Termino- 
logie der  Kunstsprache  eine  bestimmte  Stylisirung.     Selbst 
in  der  Malerei  bildet  namentlich  das  anliegende  Frauenhaar 
leicht  einen  Flecken,  eine  zu  einförmige  Fläche,  die  gebrochen 
oder  unterbrochen  werden  muss.  Auf  dieses  Bedürfniss  möchte 
es  zurückzuführen  sein,  dass  Poljgnot  ,,die  Köpfe  der  Frauen 
mit  bunten  Binden  bedeckte, '*    um  hier  eine  reichere  Man- 
nigfaltigkeit in  Zeichnung,  wie  in  Farbe  zu  erzielen.     Wenn 
nun  gerade  an  nordgriechischen  Werken,  an  dem  Relief  von 
Pharsalos    die    beiden  Mädchen    mit    sorgfältig    geordneten 
Kopfbinden  geschmückt  sind,  wenn  auch  der  Kopf  der  Philis 
in    dem  Relief  von  Thasos   einen    ähnlichen  Schmuck  auf- 
weist, so  wird  es  kaum  als  ein  Zufall  zu  erachten  sein,  dass 
ebenso  an  mehreren  Frauenköpfen  des  Ostgiebels  von  Olympia 
das  Haar  mehr  oder  weniger,  einmal  fast  ganz  bedeckt  ist. 
So  war  wenigstens  ein  Theil  der  Schwierigkeiten  überwunden 
und  es  fiel  weniger  auf,    wenn    der   noch    übrig   bleibende 
sichtbare  Rest    des  Haares   nur  in  allgemeinen  Massen  an- 
gelegt und  weiter  nur  durch  die  Farbe  hervorgehoben  war. 
Poch   nicht    überall   und   namentlich   an    den   Köpfen   der 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  451 

Männer  konnte  dieses  Auskunftsmittel  genijgen  :  hier  war 
es  nöthig  zu  bestimmter  Stylisirung  vorzuschreiten.  Am 
ersten  gelang  dies  noch  an  den  Barten,  die  von  Natur  eine 
etwas  straffere  Coraplexion  haben  und  in  ihrem  Wachsthum 
eine  bestimmtere  Beziehung  zur  Form  des  Kinns  und  der 
Kinnladen  bewahren  (wie  z.  B.  an  dem  sterbenden  Aegineten, 
an  der  Tux'schen  Bronze ,  an  dem  behelmten  münchener 
Kopfe  Nr.  40).  So  begegnen  wir  zunächst  einem  eigen- 
thümlichen  Uebergangsstadium  an  dem  Kentaurenkopfe  XXV, 
wo  die  oberen  Ansätze  des  Bartes  als  einheitliche  Masse 
behandelt  sind,  die  sich  erst  nach  unten  in  einzelne  Par- 
tien zerlegt.  Weiter  fortgeschritten  ist  diese  Theilung  am 
Barte  des  Kentauren  XIV,  wo  sogar  mit  einem  gewissen 
Raffinement,  wenn  auch  stjlistisch  nicht  ganz  einheitlich, 
der  Schuurbart  sich  in  feinen  Linien  über  den  Kinubart 
legt.  Weniger  scheint  der  Künstler  am  Haupthaar  aus 
eigener  Kraft  neue  Wege  einzuschlagen  gewagt  zu  haben. 
Am  ,, Apollokopf"  und  ähnlich  an  der  gestürzten  Alten 
(XX — XXII)  erinnern  die  fadenartigen  Haare  und  schnecken- 
förmigen Löckchen  au  die  archaische  Stylisirung  der  pelo- 
ponnesischen  und  äginetischen  Schulen,  und  an  deniLapithen- 
kopf  (XV)  treten  die  hart  und  scharf  geschnittenen  kurzen 
und  flachen  Locken  sogar  in  einen  bestimmten  Gegensatz 
zu  den  weichen  Formen  des  Fleisches.  Hier  scheint  also 
der  Künstler  in  dem  Gefühl,  dass  seine  ganze  Kunstrichtung 
ihn  zu  plastischer  Stylisirung  weniger  befähigte,  es  für  ge- 
rathener  gehalten  zu  haben,  sich  an  fremde  Vorbilder  an- 
zuschliessen.  Wir  werden  das  um  so  begreiflicher  finden, 
als  es  gerade  in  Olympia  bei  der  Masse  der  dort  aufge- 
stellten Kunstwerke  schwer  sein  mochte,  sich  den  Einflüssen 
dieser  Umgebung  zu  entziehen. 

Gehen  wir  jetzt  zu  den  Köpfen  über,  so  ist  aus  dem 
Ostgiebel  bisher  nur  einer,  der  des  bärtigen  Alten,  in  guter 
Erhaltung  aufgefunden  worden,  mit  dem  sich  aus  dem  West- 


452         Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  4,  BLii  1878. 

giebel  zunächst  der  des  Kentauren  XXV  vergleichen  lässt. 
In  seinen  Formen  zeigt  er  eine  ähnliche  Verfeinerung,  wie 
sie  sich  bei  der  Vergleichung  der  Gewandung  an  den  Orts- 
nymphen  mit  den  Flussgöttern  herausgestellt  hat.  Das 
Sichtbarwerden  der  Zähne,  das  an  dem  sterbenden  Aegineten, 
an  einem  Giganten  der  mittleren  und  schon  etwas  lebendiger 
an  einer  Amazone  und  au  dem  Zeus  der  jüngeren  Metopen 
von  Selinunt  zur  Andeutung  des  Schmerzes  wie  der  Lust 
verwendet  ist,  erscheint  hier  wieder  um  eine  Stufe  weiter 
entwickelt.  Lenken  wir  jedoch  den  Blick  auf  die  Kentauren- 
köpfe der  Parthenonsmetopen,  an  denen  wir  uns  den  Stand 
der  attischen  Kunst  in  Arbeiten  gleichzeitig  lebender  älterer 
und  jüngerer  Künstler  vergegenwärtigen  können,  so  möchte 
es  schwer  sein,  dem  olympischen  Kopfe  in  dieser  Reihe  seine 
Stelle  anzuweisen.  Er  geht  über  die  archaische  Herbigkeit 
in  der  formalen  Auffassung  der  älteren  weit  hinaus,  aber 
ohne  zu  der  Durchgeistigung  der  jüngeren  zu  gelangen, 
und  doch  auch  wieder  ohne  die  derbe  natürliche  Frische  zu 
bewahren,  wie  sie  z.  B.  dem  Kopfe  des  myronischen  Marsyas 
eigen  ist.  Nicht  also  an  eine  Vergleichung  mit  attischen 
Werken  dürfen  wir  denken.  Wenden  wir  uns  jetzt  zu  den 
übrigen  Köpfen  dieses  Giebels,  von  denen  mehrere  in  vor- 
trefflicher Erhaltung  auf  uns  gekommen  sind,  so  tritt  uns 
an  ihnen  überall  eine  gewisse  Breite  und  Fülle  in  der  künst- 
lerischen Anlage  entgegen.  Doch  dürfen  wir  auch  diese 
wiederum  nicht  mit  der  Vollsaftigkeit  verwechseln,  welche 
z.  B.  an  einem  alten  noch  nicht  publicirten  Athenekopfe 
von  der  Akropolis,  wie  auch  an  den  ältesten  attischen 
Tetradrachmen  als  charakteristisches  Kennzeichen  alt-attischer 
Kunst  auffällt.  Richtiger  werden  wir,  wie  bei  dem  Relief- 
kopf von  Abdera  (1876,  S.  327),  von  einem  breiten,  pastosen 
Vortrage  sprechen  dürfen.  Ausserdem  aber  werden  wir,  was 
die  ganze  geistige  Temperatur  der  Auffassung  anlangt, 
wohl    an    kein  Werk  mehr  erinnert,   als  an  das  Relief  der 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia,  453 

beiden  Mädchen  von  Pharsalos.  Allerdings  weist  bei  diesen 
die  Bildung  der  Augen  auf  eine  ältere  Stylperiode  hin : 
an  den  Köpfen  der  Giebelstatuen  ist  das  Auge  richtiger, 
d.  h.  schon  für  eine  richtige  Profilansicht  gestaltet;  doch 
ist  der  Augapfel  noch  flach  rundlich  und  durch  die  Lider 
noch  zu  gleichmässig  dick  umrändert,  so  dass  es  zwar  nicht 
an  einem  allgemeinen  Gesauamtausdruck  fehlt ,  wohl  aber 
an  den  feineren  Nüancirungen  desselben,  die  nicht  durch 
eine  oberflächliche  Nachbildung  der  Natur,  sondern  durch 
eine  scheinbare  Abweichung  von  derselben  und  eine  auf  den 
Ausdruck  berechnete  Umbildung  oder  Stylisirung  des  Auges 
erreicht  werden.  Wir  werden  uns  darüber  noch  klarer  werden 
durch  einen  Blick  auf  die  Bildung  des  Mundes.  In  Werken 
der  vollendetsten  Kunst  wird  fast  immer  der  Ausdruck  des 
Auges  im  Munde  seine  Ergänzung,  eine  weitere  Entwicke- 
lung,  oft  eine  Verstärkung  nach  der  Seite  der  Milde,  des 
Ernstes  u.  s.  w.  finden ,  wenn  er  auch  nicht  in  so  hohem 
Maase,  wie  das  Auge,  der  eigentliche  Träger  des  Ausdrucks 
zu  sein  vermag.  Anderer  Seits,  ja  vielleicht  gerade  aus 
diesem  letzteren  Grunde,  lässt  sich  in  der  Bildung  des  Mundes 
schon  ein  hoher  Grad  von  ,, Wahrheit"  durch  eine  aufmerk- 
same Beobachtung  und  Nachahmung  der  Wirklichkeit  er- 
zielen. Dies  ist  in  der  That  der  Fall  an  den  Köpfen  des 
Westgiebels  und  hier  in  besonders  hohem  Maase  an  dem 
sogenannten  Apollokopfe.  Und  doch  wirkt  dieser  Kopf 
mehr  als  alle  andern  auf  uns  wie  ein  Werk  archaischer 
Kunst:  der  fast  üppigen  physischen  Frische  des  Mundes 
entspricht  nicht  eine  gleiche  geistige  Frische  des  Auges: 
allerdings  auch  nicht  eine  durchgeistigte  Stirn ;  doch  würde 
einer  andern  Bildung  des  Auges  auch  diese  ohne  Zweifel 
gefolgt  sein. 

Auch  andere  Einzelnheiten,  wie  die  Stirnfalten  an  einem 
Lapithen-  und  einem  Frauenkopfe  (XV  und  IX)  werden  wir 
daher  nicht  mehr  auf  einen  besondern  Grad  innerer  geistiger 


454         Sitzung  der  philos.-phüol  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

Erregung,  ja  nicht  einmal  körperlicher  Anstrengung  beziehen 
wollen.  Wir  erkennen  darin  zunächst  nur  eine  einfache 
Beobachtung  der  Natur ,  die  wir  weiter  in  Zusammenhang 
bringen  dürfen  mit  einem  Streben  nach  äusserer  Charakteristik, 
wie  sie  uns  entgegentritt  am  Kopfe  der  gestürzten  Alten 
(XTX  —  XX).  An  ihrer  Stirn,  am  Munde  und  Halse  zeigt 
sich  allerdings  eine  grössere  Zahl  von  Falten ;  aber  in  seiner 
gesammten  Anlage  unterscheidet  sich  der  Kopf  wenig  von 
den  andern.  Jene  Einzeln heiten  sind  fast  nur  in  die  Ober- 
fläche des  Marmors  eingezeichnet,  ohne  dass  dadurch  der 
Gesammtorganisraus  tiefer  berührt  wurde.  Anders  scheint 
dies  freilich  bei  einem  Kopffragment  (XVII) ,  in  dem  man 
sogar  einen  ausgesprochenen  semitischen  Typus  wiederfinden 
möchte.  Wir  brauchen  dieser  Ansicht  nicht  gerade  zu 
widersprechen;  aber  niemand  wird  dieses  Fragment  etwa 
mit  den  Racebildungen  der  pergamenischen  Schule  auf  eine 
Linie  stellen  wollen;  denn  die  Charakteristik  bleibt  immer 
eine  äussere,  für  welche  die  Beobachtung  der  Wirklichkeit 
nach  ihrer  äusseren  Erscheinung  ausreicht. 

Wie  dem  auch  sei,  so  wird  die  Betrachtung  dieser 
Köpfe  uns  wenigstens  vor  einem  Irrthum  bewahren  können, 
der  auch  nach  der  Entdeckung  der  Sculpturen  des  West- 
giebels von  Neuem  auftauchen  zu  wollen  scheint,  dass  nem- 
lich  den  Meistern,  welchen  das  Alterthum  diese  Werke  bei- 
legt, nur  etwa  die  Erfindung,  die  Ausführung  dagegen  nur 
untergeordneten  Hülfsarbeitern  beigelegt  werden  dürfe. 
Wir  müssen  hier  sehr  bestimmt  das  geistige  (oder  poetische) 
Wollen  und  das  künstlerische  Können  oder  Vollbringen 
unterscheiden.  Wir  mögen  das  feinere  poetische  Empfinden 
vermissen;  wir  mögen  uns  dadurch  sogar  hie  und  da  un- 
angenehm berührt  finden:  der  Kopf  des  Lapithen  z.  B. 
hat  in  seinem  ganzen  Wesen,  ich  scheue  das  Wort  nicht, 
etwas  Brutales;  aber  dennoch  ist  er  nicht  etwa  das  Werk 
eines  gewöhnlichen  Steinmetzen.     Der  Künstler  wollte,  oder 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  455 

oder  er  glaubte  wenigstens,  er  müsse  die  Energie  eines  jugend- 
lichen Helden  als  materiell  wuchtige,  rohe  Naturkraft  zur 
Anschauung  bringen.  Darin  irrte  er  vielleicht  noch  mehr 
als  Canova,  der  in  dem  Gegner  des  Kreugas,  Damoxenos, 
die  Brutalität  der  Gesinnung  auch  künstlerisch  derb  und 
ungeschminkt  darstellen  zu  müssen  meinte.  Aber  jene  Kraft 
hat  wirklich  in  einer  den  Absichten  des  Künstlers  entsprechen- 
den Form  ihren  Ausdruck  gefunden.  Wir  mögen  ferner 
an  diesem  und  an  den  andern  Köpfen  die  Strenge  specifisch 
plastischer  Stylisirung  vermissen.  Aber  wurde  diese  vom 
Künstler  erstrebt?  und  nicht  vielmehr  eine  malerische 
Wirkung,  die  er  auch  erreichte?  Die  äussere  Erscheinung 
der  Form ,  die  Stellung  der  Flächen  gegen  einander ,  das 
Abrunden,  Abtönen  derselben  sind  mit  einem  Verständniss 
und  einer  Weichheit  wiedergegeben ,  die  nichts  von  dem 
Ungeschick  oder  der  Unselbständigkeit  eines  blossen  Ar- 
beiters verrathen,  sondern  ein  sehr  bestimmtes  Bewusstsein 
des  Künstlers  voraussetzen.  Sind  wir  aber  einmal  über  dem 
besonderen  künstlerischen  Charakter  der  Köpfe  zur  Klarheit 
gelangt,  so  werden  wir  uns  leicht  davon  überzeugen,  dass 
derselbe  mit  dem  Charakter  der  Gestalten  im  besten  Ein- 
klänge steht  und  dass  auch  in  diesen  ein  bestimmtes  Wollen 
die  Hand  gelenkt  hat.  Nur  sollen  wir  nicht  Forderungen 
stellen,  die  zu  erfüllen  der  Künstler  selbst  entweder  nicht 
beabsichtigte  oder  noch  gar  nicht  in  der  Lage  war. 

Ueberhaupt  stellen  wir  uns  wohl  auf  einen  falschen 
Standpunkt,  wenn  wir  bei  der  Werthschätzung  dieser  Ar- 
beiten zu  ausschliesslich  die  streng  und  systematisch  geschulte 
Kunst  des  eigentlichen  Hellas  ins  Auge  fassen,  die  gerade 
iu  der  Plastik  ihre  höchsten  Triumphe  feierte.  Um  gerechter 
zu  urtheilen,  blicken  wir  einmal  nach  einer  gerade  entgegen- 
gesetzten Richtung.  Vielleicht  das  hervorragendste  Werk 
von  specifisch  etruscischem  Charakter  ist  der  cäretaner 
Teracottasarkophag  mit  der  lebensgrossen  Gruppe  eines  auf 


456         Sitzung  der  philos^-philol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

dem  Bett  gelagerten  Ehepaares  (Mon.  dell'  Inst.  VI,  59). 
Er  gehört  einer  streng  archaischen  Kuustperiode  an,  und 
doch  übt  er  eine  bis  zur  Illusion  gehende  Wirkung  auf 
den  Beschauer  aus.  Als  er  noch  im  Museum  Campana  in 
einem  als  Grabkammer  hergerichteten  Räume  aufgestellt 
war,  konnte  ich  es  öfter  beobachten,  wie  der  Besucher  beim 
Eintreten  stutzte,  als  solle  er  erst  um  Erlaubniss  bitten, 
den  häuslichen  Frieden  des  im  Hintergrunde  ruhenden  Ehe- 
paars durch  seine  Gegenwart  stören  zu  dürfen.  Diese 
Wirkung  beruht  auf  einem  ausgesprochenen  Sinne  des  Künst- 
lers für  Beobachtung  der  individuellen  Züge  des  Lebens. 
Wir  glauben  etwas  Wirkliches  in  voller  Natürlichkeit  vor 
uns  zu  sehen  und  vergessen  darüber ,  dass  in  dem  vollen- 
deten Kunstwerke  noch  manche  andere  specifisch  künstlerisch- 
stylistische  Forderung  Befriedigung  erheischt.  Es  stört  uns 
nicht,  dass  wir  uns  z.  B.  von  dem  Körper  der  Frau,  soweit 
er  durch  das  Gewand  bedeckt  ist,  kaum  einen  klaren  Be- 
griff zn  machen  vermögen:  ist  dies  doch  oft  genug  auch 
in  der  Wirklichkeit  der  Fall !  Dass  wir  es  aber  hier  nicht 
mit  einer  bloss  individuellen  Leistung  zu  thun  haben,  können 
uns  später  etruscische  Arbeiten  lehren,  wie  z.  B.  die  Gruppen 
von  Ehepaaren  auf  zwei  vulcentischen  Sarkophagen  (Mon. 
deir  Inst.  VIII,  20).  Sie  sind  von  geringerer  Arbeit,  aber 
aus  demselben  Geiste  nüchterner  Naturbetrachtung  erwachsen. 
Nichts  verräth  hier  einen  höheren  idealeren  Schwung ;  und 
doch  entbehren  selbst  diese  Gruppen  nicht  eines  gewissen 
poetischen  Reizes,  in  so  weit  wenigstens,  als  überhaupt  von 
einer  Poesie  des  Philisteriums  zu  reden  gestattet  sein  möchte. 
Fassen  wir  diesen  besonderen  Charakter  der  etruscischen 
Kunst  scharf  ins  Auge,  so  werden  wir  uns  der  Wahrneh- 
mung nicht  entziehen  können,  dass  manche  Eigenthümlich- 
keit  der  olympischen  Sculpturen  in  verwandten  Grundan- 
schauungen ihre  Erklärung  findet.  Für  die  Gestalten  der 
Ortsgottheiten   giebt   es    im   Hinblick    auf  den  Mangel   an 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  457 

Verständniss  und  Stylisirung  der  Körperformen  und  Ge- 
wandung, wie  auf  die  künstlerisch  unentwickelte  Natürlich- 
keit der  ganzen  Lage  kaum  eine  passendere  Parallele,  als 
die  Gestalten  der  caeretaner  Gruppe.  Aher  auch  in  den 
Köpfen  begegnen  wir  trotz  der  Verschiedenheit  in  der  Stufe 
der  stylistischen  Entwickelung  dem  gleichen  Streben  nach 
individueller  Lebendigkeit  ohne  tieferes  Eingehen  auf  geistigen 
Ausdruck.  Natürlich  wird  niemand  verkennen,  dass  neben 
dieser  Verwandtschaft  den  olympischen  Sculpturen  noch  ein 
Stück  griechischen  Geistes  innewohnt,  welches  den  Etruskern 
stets  fremd  geblieben  ist  Letztere  verharrten  in  ihrer 
Einseitigkeit ;  in  Griechenland  war  diese  besondere  Richtung 
nur  eine  unter  mehreren,  und  was  in  ihr  von  gesunden 
und  brauchbaren  Elementen  vorhanden  war ,  brauchte  sich 
nur  der  strenger  schulmässig  durchgebildeten  Plastik  zu 
assimiliren  ,  um  diese  selbst  wieder  auf  eine  höhere  Stufe 
der  Vollkommenheit  zu  erheben. 

Werfen  wir  nach  diesen  Betrachtungen  noch  einen 
Blick  auf  die  Gesammtcomposition  der  beiden  Giebeldarstell- 
ung, so  tritt  hier  allerdings  ein  bestimmter  Gegensatz 
hervor,  der  indessen  in  erster  Linie  durchaus  von  dem  Be- 
lieben der  beiden  Künstler  unabhängig  und  mehr  principieller 
als  individueller  Natur  ist.  Auch  in  neuerer  Zeit,  an  der 
Walhalla  bei  Regensburg,  hat  man  schwerlich  auf  Grund 
historisch-theoretischer  Erwägungen,  sondern  geleitet  von 
einem  innerlichen,  tief  im  Menschen  begründeten  Kunstge- 
fühl den  vorderen  Giebel  mit  einer  ruhigen  Huldigungs- 
scene,  den  hinteren  mit  einer  lebendig  bewegten  Schlachten- 
gruppe geschmückt.  Bei  dem  gleichen  Gegensatze  in  Olympia 
verlangte  natürlich  der  Kentaurenkampf  eine  andere  Be- 
handlung als  die  Vorbereitung  zum  Wagenrennen.  Ziehen 
wir  also  dasjenige  ab,  was  durch  die  Besonderheit  der  den 
beiden  Künstlern  gegebenen  Aufgaben  bedingt  war,  so  werden 
die    noch    übrig   bleibenden   Verschiedenheiten    im    Ganzen 


458         Sitzung  der  philos.-philol.  CJasse  vom  4.  Mai  1878. 

wie  im  Besonderen  uns  nicht  nötliigen ,  einen  principiellen 
Gegensatz  der  Künstler  oder  ihrer  Schule  anzunehmen; 
es  genügt  vielmehr  zu  ihrer  Erklärung  die  Verschiedenheit 
der  Individualität.  Mag  der  Künstler  der  Westgruppe  mit 
frischerem ,  lebendigerem  Geiste  begabt  gewesen  sein  ,  mag 
er  uns  zuweilen  durch  die  Kühnheit  seiner  Conceptionen 
überraschen,  so  weisen  doch  diese  keineswegs  auf  ein  wesent- 
lich tieferes  künstlerisches  Verständniss  hin  :  wie  schon  oben 
angedeutet,  glauben  wir  der  Gruppe  XIV  anzufühlen,  dass 
ihre  Composition  weniger  aus  einer  gegenseitigen  geistigen 
Durchdringung  der  Forderungen  des  Gegenstandes  und  des 
gegebenen  Raumes,  als  unter  dem  Drucke  der  letzteren 
entstanden  ist.  Auch  sonst  ist  in  der  Linienführung  jene 
unbefangene  ,, Natürlichkeit'^  der  Motive  keineswegs  einem 
bewussten  Systeme  der  Eurythmie  untergeordnet,  welches 
doch  die  weit  strengeren  und  herberen  Aegineten  bereits 
beherrscht.  Haben  wir  nun  auch  im  Einzelnen  eine  Reihe 
von  Fortschritten  und  Verfeinerungen  nachgewiesen,  so  ge- 
nügen diese  doch  nur,  um  ein  Verhältniss  zu  constatiren, 
welches  dem  der  beiden  äginetischen  Giebelgruppen  durch- 
aus analog  ist.  Dort  lassen  sich  zwei  Individualitäten  unter- 
scheiden, von  denen  die  eine  in  sich  fertiger  und  abge- 
rundeter erscheint,  die  andere  augenscheinlich  jüngere  prin- 
cipiell  weiter  fortgeschritten ,  aber  noch  nicht  zu  eben  so 
harmonischer  Verarbeitung  aller  neuen  Elemente  gelangt 
ist.  Gerade  eben  so  begegneten  wir  im  Westgiebel  von 
Olympia  allerlei  Neuerungen,  welche  über  die  Vortragsweise 
des  Ostgiebels  hinausgehen,  ohne  jedoch  dieselbe  von  Grund 
aus  umzugestalten  und  ohne  in  sich  einen  bestimmten  Ab- 
schluss  gefunden  zu  haben.  Auch  hier  werden  wir  auf  einen 
Künstler  in  jüngeren  Jahren  schliessen  dürfen,  der  bei  allem 
fortschrittlichen  Streben  sich  doch  noch  nicht  aus  den  Banden 
der  Anschauungen  zu  befreien  vermag,  in  denen  er  ursprüng- 
lich aufgewachsen  war. 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  459 

Wie  stellt  sich  jetzt  das  Bild  des  Künstlers,  das  wir 
aus  seinen  Werken  gewonnen  haben,  zu  demjenigen,  welches 
wir  uns  früher  aus  anderweitigen  Quellen  von  ihm  ent- 
worfen hatten  ?  Wir  waren  gewohnt ,  den  Alkamen  es  als 
den  bedeutendsten  unter  den  Schülern  des  Phidias  zu  be- 
trachten ;  und  wurde  es  auch  nicht  ausdrücklich  ausgesprochen, 
so  lebte  man  wohl  ziemlich  allgemein  in  der  Vorstellung, 
dass  an  den  Sculpturen  des  Parthenon ,  die  wegen  ihres 
Umfanges  nicht  sämmtlich  von  der  Hand  des  Meisters,  sondern 
nur  unter  seiner  Leitung  ausgeführt  sein  konnten,  gerade 
Alkamenes  besonders  betheiligt  gewesen  sein  möge.  Man 
musste  also  erwarten,  dass  die  Sculpturen  des  Westgiebels 
in  Olympia,  von  denen  man  annahm,  dass  sie  später  als  der 
Parthenon  und  ebenfalls  unter  der  Aufsicht  des  Phidias 
entstanden  seien ,  gerade  mit  den  Giebelgruppen  des  Par- 
thenon die  nächste  Verwandtschaft  zeigen  würden.  Diese 
Erwartung  ist  gründlich  getäuscht  worden.  Die  Sculpturen 
des  Alkamenes  entfernen  sich  in  demselben  Maasse,  in  welchem 
sie  sich  denen  des  Paeonios  als  verwandt  erweisen,  von  einer 
Verwandtschaft  mit  den  Giebelstatuen  des  Parthenon.  Hoffent- 
lich wird  die  Zeit  nicht  entfernt  sein,  in  welcher  jeder  Ar- 
chäologe hiervon  eben  so  überzeugt  sein  wird,  wie  der  Phi- 
lologe etwa  davon,  dass  Herodot  nicht  nach  Thukydides 
und  nicht  als  dessen  Schüler  geschrieben  hat.  Aber  wie 
ist  ein  solcher  Widerspruch  zwischen  unsern  neuen  A.n- 
scbauuugen  und  unsern  bisherigen  Ansichten  zu  lösen? 

unser  Wissen,  und  nicht  am  wenigsten  unser  Wissen 
auf  dem  Gebiete  der  griechischen  Kunstgeschichte  ist  Stück- 
werk. Trotzdem  versuchen  wir,  und  wir  haben  nicht  nur 
das  Recht,  sondern  die  Pflicht  zu  versuchen,  aus  diesem 
Stückwerk  ein  Ganzes  herzustellen.  Nur  sollen  wir  uns 
dabei  stets  gegenwärtig  halten,  dass  alle  unsere  Combina- 
tionen  überhaupt  nur  auf  so  lange  Geltung  beanspruchen 
dürfen,  als  das  Material,  mit  dem  wir  operiren,  das  gleiche 


460         Sitzung  der  philos.-philol.  Ölasse  vom  4.  Mai  1878. 

bleibt.  Treten  neue,  bisher  ungekannte  Factoren  hinzu, 
so  bedarf  es  erneuter  Prüfung  des  gesammten  Materials. 
Hierbei  wird  es  sich  zuweilen  herausstellen ,  dass  das  Neue 
unser  bisheriges  Wissen  nur  bestätigt  oder  erweitert.  Dies 
war  z.  B.  der  Fall  bei  den  Scnlpturen  des  Paeonios,  die 
mir  nur  eine  Bestätigung  und  eine  vollere  Anschauung  dessen 
boten ,  .was  ich  für  mich  in  den  Grundlagen  bereits  aus 
andern  Quellen  über  den  Charakter  der  nordgriechischen 
Kunst  festgestellt  hatte.  Anders  verhielt  es  sich  mit  den 
Scnlpturen  des  Alkamenes:  hier  gestehe  ich  offen,  dass  ich 
Anfaugs  ihnen  rathlos  gegenüber  stand;  und  wenn  bisher 
eigentlich  vou  keiner  Seite  ein  bestimmtes  Urtheil  über 
ihren  Styl  ausgesprochen  w^orden  ist,  so  darf  wohl  daraus 
geschlossen  werden,  dass  diese  Rathlosigkeit  bis  jetzt  eine 
ziemlich  allgemeine  ist.  Hier  gilt  es  also,  zunächst  einmal 
alles,  was  wir  bisher  über  Alkamenes  zu  wissen  geglaubt 
haben,  völlig  zu  vergessen  und  die  Untersuchung  unserer 
Quellen  ganz  von  vorn  anzufangen.  Wie  schwer  es  aber 
ist ,  mit  alten  Vorurtheilen  völlig  zu  brechen ,  kann  ein 
Beispiel  lehren ,  das  mit  unserer  Hauptfrage  zwar  nicht 
ganz  direct  zusammenhängt ,  aber  doch  dienen  kann ,  uns 
den  Boden  zu  bereiten,  auf  dem  sich  die  Untersuchung  über 
Alkamenes  im  weiteren  Umfange  zu  bewegen  hat. 

Noch  durch  die  neueste  Literatur  schleicht  der  Irr- 
thum  (ich  bekenne  selbst,  dass  ich  mich  von  demselben 
nicht  frei  erhalten  habe),  dass  Phidias  Ol.  87,1  gestorben 
sei,  obwohl  Sauppe  bereits  vor  elf  Jahren  (Nachrichten  der 
götting.  Ges.  1867,  S.  173  ff.)  in  überzeugendster  Weise 
nachgewiesen  hat ,  dass  diese  Annahme  auf  einem  Missver- 
ständnisse, einer  falschen  luterpunction  beruht.  In  dem 
bekannten  Scholion  zu  Aristophanes  ^)   liegen  nemlich   zwei 


1)    Frieden    605:     (PC^o/ogog     inl     öeoöoj^ov    a^/oytos     ravxu 
(prioi'  Kai  xo  uyukfjici  x6  /(jvaovp  xrjg  'Ad-ripag  earä^ij  fis  xov  viMV  xov 


Brunn:  Die  Scutpturen  von  Olympia.  461 

Excerpte  des  Philoclioros  vor:  das  eiüe  sttI  Qsoöcoqov 
agXOVTog  (Ol.  85,3  =^  438  a.  C.)  handelt  von  der  Parthenos 
und  von  des  Pbidias  Schicksal  bis  zu  seinem  Tode  und 
schliesst  mit  den  Worten  ccTiodaveiv  vtco  Hlelcov,  während 
das  zweite  sttI  Ilvd^odcoQOv^  og  sotiv  arco  rovxov  fßdoi.wg 
(Ol.  87,1^:^431  a.  C.)  von  den  Verhältnissen  in  Megara 
spricht,  die  mit  dem  Beginne  des  peloponnesischen  Krieges 
zusammenhängen.  Aeussere  Umstände,  wie  z.  B.  dass 
Overbeck  in  den  Schriftquellen  (620),  obwohl  er  Sauppe 
citirt,  doch  das  Scholion  nach  der  älteren  fehlerhaften  Inter- 
punction  (nach  f'ßöo(.iog)  und  nicht  vollständig  abdruckt, 
mögen  der  allgemeineren  Verbreitung  der  richtigen  Auf- 
fassung hinderlich  gewesen  sein,  vielleicht  aber  auch  der 
Umstand ,  dass  Sauppe  selbst  aus  seiner  Entdeckung  nicht 
alle  die  Consequenzen  gezogen  hat,  die  er  nach  meiner  An- 
sicht hätte  ziehen  sollen  ,  und  dass  dadurch  bis  heute  eine 
grosse  Unklarheit  in  der  Beurtheilung  des  weiteren  Zusammen- 
hanges der  in  dem  Scholion  berührten  Thatsachen  geblieben 
ist.  Es  scheint  nicht  überflüssig ,  hier  näher  auf  das  Ein- 
zelne einzugehen. 

Was  zuerst  Philochoros  anlangt,  so  will  Curtius  (Arch. 
Zeit.  1877,  S.  134  ff.)  behaupten,  dass  nur  die  Worte  über 
die  Aufstellung  der  Parthenos  bis  Oeidiov  de  noLiqoavTog 
aus  diesem  Autor  wörtlich  entlehnt  seien.    Die  ganze  Fassung 


fAiyay ,  i'/oy  /Qvaiov  GTaSfj,6y  takuvxwv  fjiS',  TISQixlsovg  iitiaTUTovv' 
zog,  ^€i6iov  6k  icon^accvzog*  xccl  ^stäiag  d  noirjaccg ,  So'^ag  naga^oyi- 
^ta^cct  Toy  iXecpctvTa  roy  eig  tag  cpoXiSccg ,  eXQi^rj '  kuI  <pvy(oy  eig 
'^HXip  BQyoXaß^acci  ro  uya^/ua  rov  Aiog  rov  iv  ^Oh\unicc  "kEyerai,  tovto 
6k  s'^eQyuadfA.svog  anod-upsTv  vn6^H}.ei(x}v  (•)  enl  T1vS-o6i6qov ,  og  sativ 
ttito  tovtov  eß6o(Jiog  [  •  ]  itiQi  MeyuQiiov  finiov,  oxi  xcci  avrol  xate- 
ßotop  'Ad-tjpcciiop  naqä  Aaxt&cci^oyiocg ,  tx6ixü)g  Xiyoytfg  eiQyea^at 
ityoQag  xcci  Xifiiyioy  rujy  nc((j  ^A^rjyaioig'  oi  yccQ  'J^rjycciov  ravrcc  sipij- 
(fiauyxo  Jle^ixXeovg  ilnoyzog ,  rrjy  y^y  avtovg  cclticJfxeyoi  ji^y  legay 
tolg  d^soig  i-jieQycc^ea&ccc. 

[1878  I.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  4.]  33 


462        Sitzung  der  philos.-phüol  Classe  vom  4.  Mai  1878, 

der  angehängten  Lebensnotizen  über  Phidias  sei  „der  Art, 
dass  wir  aus  dem  knappen  Urkundenstil  des  Annalisten 
auf  einmal  in  eine  andere  laxere  Art  literarischer  Mitthei- 
lung, in  den  Ton  der  Randglossen  hineingerathen.  —  Die 
deutliche  Fuge  zwischen  beiden  Stylarten  erkenne  ich  dort, 
wo  es  nach  Tl.  iTtLOvaTOvvTog  j  0.  ds  TCOLiqoavTog  weiter 
heisst :  0.  de  6  Ttonqoag,  öo^ag  u.  s.  w  Die  matte  Wieder- 
holung des  TtOLTjGag  wäre,  wenn  ein  attischer  Autor  das 
Ganze  geschrieben  hätte,  unerträglich."  So  weit  sich  nach 
den  wenigen  wörtlichen  Citateu  aus  Philochoros  urtheilen 
lässt,  möchte  man  im  Gegentheil  behaupten,  dass  sie  echt 
philochoreisch  sei  und  gfenz  dem  notariell  beurkundenden 
Styl  entspreche,  durch  den  Philochoros  bei  seinen  Aufzeich- 
nungen jedes  Missverständniss  möglichst  auszuschliessen  be- 
strebt ist.  So  z.  B.  fr.  144  Muell.:  ^'Ygtsqov  de  elgr^yyiX- 
^rjaav  noXXot  jroXituiv  j  ev  OLg  y,al  Jrj^riiqiog  6  QaXrjQevg, 
Tiov  öi  eigayyekd^evTcov  rovg  fiiv  ,  .  .  tovg  Se  dne- 
Xvoav  ,  .  .;  fr.  159:  ytal  Totg  yoqolg  eloLOvaiv  evi%eov 
nivuvj  y,al  dirjyioviOfievoig  oV  e^BTtoQsvovto ,  evexbov  nd- 
Xiv  .  .  .  . ;  fr.  79^  :  TvqoyßiqoTOVEL  ^lev  6  örjfAOg  7t qo  T'^g 
rj  TTQVTaveiag  ei  So-ael  id  oGTQaxov  elo(f€Qeiv '  ore  de 
öoyiel  .  .  .;  vgl.  158;  135  sb.  fin. ,  so  wie  das  dreifache 
lid^iqvaioiv  .  .  .  naq'  ^d-tjvaloig  .  .  .  ^d^rjvaioi  in  unserem 
Scholion.  Ja  vielleicht  Icönnen  wir  uns  von  einer  grossen 
Verlegenheit  befreien,  wenn  wir  im  weiteren  Wortlaute 
eine  ähnliche  Wiederholung  erst  wieder  einführen.  Es  heisst 
jetzt:  xat  cpvywv  elg  ^HXiv  eQyoXaßrjoai  to  ayaXfia  .  .  . 
Xeyexai'  tomo  de  e^eqyaodfxevog  dnod^avelv  v7td^HXeio)v. 
Hier  sind  bekanntlich  die  letzten  beiden  Worte  den  schwersten 
Bedenken  unterworfen.  Wie  nun,  wenn  das  Wort  ^HXelwv 
durch  Versetzung  an  eine  falsche  Stelle  gerathen  und  bei 
diesem  Anlass  mit  einer  falschen  Präposition  verbunden 
worden  wäre?  Danach  wäre  es  vielleicht  nicht  zu  gewagt 
anzunehmen,  dass  (unter  Streichung  der  beiden  letzten  Worte) 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  463 

Philochoros  geschrieben  habe:  ycai  (fvycov  elg  HXiv  eq- 
yolaßrJGai  Ttagd  rcov^HXelwv  to  ayaX^a  .  .  .  .,  wie  in 
der  theilweisen  Wiederholung  und  Umschreibung  des  Citates 
in  dem  zweiten  aus  verschiedenen  Notizen  zusammenge- 
schweissten  Scholion  wirklich  geschrieben  steht. 

Weiter  findet  Curtius  „die  Formulirung  des  dem  Meister 
vorgeworfenen  Verbrechens  und  des  Prozessganges  für  einen 
Autor  wie  Philochoros  viel  zu  ungenau  und  oberflächlich." 
Wenn  aber  der  Prozess  selbst  etwas  Unklares  hatte,  wenn 
er  durch  die  Flucht  des  Phidias  unterbrochen  oder  durch 
eine  Art  Contumacial verfahren  zu  Ende  geführt  und  dabei 
eine  Schuld  wenigstens  moralisch  nicht  begründet  wurde, 
können  wir  uns  da  wundern,  wenn  in  einer  kurzen  summari- 
schen Erwähnung  nicht  volle  Klarheit  herrscht?  Am  aller- 
anstössigsten  aber  soll  der  Ausdruck  XiyBTai  bei  Gelegenheit 
der  Thätigkeit  in  Olympia  sein,  die  doch  allgemein  und 
genau  bekannt  gewesen  sei.  Grammatisch  iudessen  gehört 
Xkytxai  nicht  nur  zu  eqyolaßrjoai ,  sondern  auch  zu  den 
folgenden  Worten:  tovto  Se  E^egyaoa/Lievog  ccTrod^aveiVj  und 
dem  Sinne  nach  vielleicht  noch  enger  zu  diesen,  als  zu  den 
vorhergehenden ,  so  dass  wir  nicht  streng  wörtlich ,  aber 
dem  Sinne  entsprechend  etwa  übersetzen  dürfen :  ,,er  floh 
nach  Elis  und  (dort)  soll  er  (bald)  nach  Vollendung  der 
von  ihm  in  Accord  genommenen  Zeusstatue  gestorben  sein." 
Nach  dieser  Auffassung  also  dem  Philochoros  den  ganzen 
Passus  abzusprechen,  liegt  gewiss  kein  Grund  vor. 

Durch  die  Erwähnung  des  Todes  des  Phidias  ist  es 
nun  aber  klar,  dass  Philochoros  bei  seinem  Bericht  sich  nicht 
auf  das  Jahr  des  Archontats  des  Theodoros  beschränkt,  son- 
dern in  der  Erzählung  vorgreift.  Er  benutzt  nur  den  An- 
lass  der  Aufstellung  des  glänzendsten  Götterbildes  in  Athen, 
um  über  die  Schicksale  des  Künstlers  desselben  kurze  Nach- 
richt zu  geben,  wozu  sich  ihm  später  keine  passende  Ge- 
legenheit geboten  hätte.     Hiernach  ist  aber  auch  nicht  mehr 

33* 


464         Sitzung  der  philos,-pküol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

nothwendig  anzunehmen,  dass  Philochoros  sagen  wolle,  der 
Prozess  gegen  Phidias  sei  unmittelbar  nach  der  Aufstellung 
der  Statue  eingeleitet  worden.  Wenigstens  spricht  er  dies 
nicht  ausdrücklich  aus ;  nur  der  Scholiast  nimmt  es  an,  um 
darauf  hin  seine  Kritik  an  Aristophanes  zu  üben,  dass,  dieser 
ein  sieben  Jahre  zurückliegendes  Ereigniss  mit  dem  Beginne 
des  peloponnesischen  Krieges  in  directen  ursächlichen  Zu- 
sammenhang bringe.  An  sich  ist  es  ohne  Zweifel  weniger 
wahrscheinlich,  dass  man  sofort  nach  der  Aufstellung  eines 
gewiss  in  der  ersten  Zeit  enthusiastisch  gefeierten  Werkes 
den  Künstler  mit  hämischem  Neide  verfolgt  habe,  als  dass 
dieses  nach  einiger  Zeit  der  Abkühlung  und ,  was  hier 
noch  wichtiger  ist,  nach  inzwischen  eingetretener  Verschie- 
bung der  politischen  Parteiverhältnisse  geschehen  sei.  Darauf 
deutet  auch  die  Verbindung  mit  ähnlichen  Erzählungen 
über  Aspasia  und  Anaxagoras.  Man  mag  das  alles  Stadt- 
klatsch nennen.  Aber  wir  haben  hier  gar  nicht  zu  unter- 
suchen, ob  derselbe  mehr  oder  weniger  Glauben  verdiene, 
als  etwa  die  Erzählungen  über  Weiberintriguen,  welche  den 
Krieg  von  1870  veranlasst  haben  sollen:  genug,  dass  ein 
solcher  Klatsch  existirte;  und  für  die  Existenz  desselben, 
für  nichts  mehr  dürfen  wir  wohl  Aristophanes  als  voll- 
gültigen Zeugen  anerkennen.  Wenn  dieser  aber  den  Prozess 
mit  dem  megarischen  Psephisma  in  eine,  sei  es  nun  falsche 
oder  richtige  Verbindung  brachte,  so  wird  derselbe  eben 
nicht  lange  vor  dem  letzteren'stattgefunden  haben.  Phidias 
hatte  demnach  erst  gegen  Ol.  87,1,  die  angebliche  Zeit  seines 
Todes,  Athen  verlassen  und  konnte  von  da  an  noch  recht 
wohl  6  — 10  Jahre  gelebt  haben,  so  lange  als  zur  Aus- 
führung des  Zeusbildes  nöthig  war.  Jedenfalls  bleibt,  nach- 
dem Ol.  87,1  als  Todesjahr  beseitigt  ist,  für  die  Ausdehnung 
seines  Lebens  ein  weiterer  Spielraum. 

Nach  dieser  Abschweifung  haben  wir  jetzt  das  Verhält- 
niss   des  Phidias,   welcher  das  Tempelbild  in  Olympia  ver- 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  465 

fertigte,  zu  Paeonios  und  Alkamenes,  den  Künstlern  der 
Giebelgruppen,  zu  untersuchen.  Ueber  Paeonios  habe  ich 
nichts  Neues  zu  bemerken :  wer  fortfahren  will,  ihn  Schüler 
des  Phidias  zu  nennen,  mag  dies  vor  seinem  philologischen 
Gewissen  verantworten;  in  den  Nachrichten  der  Alten  steht 
davon  kein  Wort.  Aber  auch ,  dass  Alkamenes  auf  Ver- 
wendung oder  ge Wissermassen  im  Auftrage  des  Phidias  die 
Gruppe  des  Westgiebels  ausgeführt  habe,  ist  eine  durchaus 
nicht  positiv  zu  begründende  Annahme.  Philochoros  sagt 
von  Phidias  nur:  €QyoXaßrJGaL  zo  ayalfia  zov  Jtog, 
nichts  weiter,  nichts  was  etwa  an  die  Schilderung  Plutarchs 
(Pericl.  13)  von  der  Thätigkeit  des  Phidias  in  Athen  erinnerte: 
Ttdvxa  de  öteirce  xal  Ttavrcov  e7tio%07vog  riv  avtqi  (IleQiKlet) 
Oudlaq  x.  r.  X.  Und  während  wir  hören,  dass  Panaenos 
oweqyoXaßog  des  Phidias  (Strabo  VIII,  353),  dass  Kolotes 
sein  Gehülfe  bei  Ausführung  des  Zeusbildes  war  (Plin.  34, 
87 ;  35,  54) ,  nennt  Pausanias  die  Westgruppe  ein  Werk 
u4ly.a/.iavovg  dvÖQog  r^liyilav  xe  Tiara  Oeiöiav  y,al  devzeqela 
evey^afxevov  oocplag  eg  ttoltjoiv  dyaXfxazwv,  Würde  sich 
Pausanias  in  dieser  Weise  ausgedrückt  haben,  wenn  er  Kennt- 
niss  gehabt  hätte,  dass  Alkamenes  bei  dieser  Arbeit  in  be- 
stimmter Beziehung  zu  Phidias  gestanden?  Würde  er  diese 
Ausdrücke  auch  nur  gewählt  haben,  wenn  er  der  Ansicht 
gewesen  wäre,  die  wir  heute  mit  dogmatischer  Zuversicht 
auszusprechen  pflegen,  dass  nemlich  Alkamenes  der  hervor- 
ragendste Schüler  des  Phidias  gewesen  ?  Nirgends,  weder 
hier,  noch  an  einer  andern  Stelle,  nennt  Pausanias  den 
Alkamenes  Schüler  des  Phidias.  Seine  Worte  deuten  weit 
eher  auf  eine  Art  Nebenbuhlerschaft  hin;  und  wirklich 
führt  Plinius  an  der  einen  Stelle  (34,  49)  den  Alkamenes 
geradezu  unter  den  aemuli  des  Phidias  an.  Tzetzes  aber 
(Chil.VIII,  340  sqq.)  berichtet  von  einem  förmlichen  Wettstreite 
der  beiden  Künstler,  in  welchem  Alkamenes  wegen  Nicht- 
beachtung optischer   Gesetze   unterlag.     Sollten  ihm   diese 


466         Sitzung  der  philos.'philol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

so  ganz  unbekannt  geblieben  sein,  wenn  er  vor  der  Zeit 
des  Wettstreites  die  Schule  des  Phidias  durchgemacht  hätte? 
Allerdings  wird  er  von  Plinius  zweimal  (34,  72 ;  36,  16) 
Schüler  des  Phidias  genannt.  Es  soll  dieser  Angabe  nicht 
widersprochen  werden;  ihre  Erklärung  wird  sie  später 
finden. 

Derselbe  Plinius  ist  auch  der  einzige,  welcher  den  Al- 
kamenes  einmal  ausdrücklich  Athener  nennt  und  bei  Ge- 
legenheit eines  Wettstreites  zwischen  Alkamenes  und  Ago- 
rakritos  den  ersteren  als  einheimischen  Künstler  dem  frem- 
den Parier  gegenüberstellt.  Das  lautet  sehr  bestimmt. 
Aber  auch  Mikon,  der  Maler  und  Bildhauer,  ist  als  Athener 
bestimmt  beglaubigt,  und  doch  bedient  er  sich  in  der  In- 
schrift der  olympischen  Statue  des  Kallias,  welcher  Ol.  77 
siegte,  des  ionischen  Alphabets.  Darüber  bemerkt  Schubring 
(Arch.  Zeit.  1877,  p.  69):  „Auch  Fränkel  sieht  sich  zu  der 
Annahme  genöthigt,  dass  Mikon  von  Geburt  ein  lonier 
war  und  erst  später  in  Athen  ansässig  geworden  ist.  Mikon 
erlangte  also  das  athenische  Bürgerrecht  und  bewahrte  doch 
die  Buchstaben  seiner  Jugend."  Wahrscheinlich  noch  etwas 
mehr :  als  eng  mit  Polygnot  verbundener  Künstler  wird  er 
nicht  nur  die  Buchstaben,  sondern  die  ganze  Kunstweise 
aus  seiner  Heimath,  etwa  einer  athenischen  Kolonie  im 
Norden,  mit  nach  Athen  gebracht  haben.  Wie  nun,  wenn 
sich  etwas  Aehnliches  für  Alkamenes  nachweisen  Hesse? 
Nach  Tzetzes  war  Alkamenes  yivec  vrjouorrjg,  und  bei  Suidas 
lesen  wir,  wenn  auch  Alkamenes  nicht  ausdrücklich  als  der 
bekannte  Künstler,  doch  als  ein  bekannter  Mann  bezeichnet 
wird :  ^lyta/^evr^g '  ovoi^a  kvqwv  *  6  ylrjfxvwg.  Das  ist  keine 
neue  und  etwa  dadurch  verdächtige  Weisheit:  um  nicht 
meine  eigene  Künstlergeschichte  zu  citiren ,  so  lesen  wir 
schon  in  0.  Müllers  Handbuch  (§.112):  „Alkamenes  von 
Athen ,  Kleruch  in  Lemnos",  wofür  jetzt  wohl  auch  gesagt 
werdeu  darf;  attischer  Kleruch  a,us  Lemnos, 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  467 

Nach  dieser  kritischen  Prüfung  der  einzelnen  Angaben 
versuchen  wir  jetzt  ein  Gesammtbild  von  dem  Lebensgange 
des  Alkamenes  zu  entwerfen,  welches  natürlich  nur  nach 
Maasgabe  der  vorhandenen  Quellen  auf  Wahrscheinlichkeit 
Anspruch  machen  kann:  Alkamenes  war  Lemnier  von  Ge- 
burt, aber  wahrscheinlich  Athener  von  Geblüt.  Seine  Jugend 
mag  er  in  den  Kunstauschauungen  seiner  (im  weiteren  Sinne) 
nordgriechischen  Heimath  zugebracht  haben  und  noch  jung, 
aber  doch  schon  als  selbständiger  Künstler  etwa  gleich- 
zeitig mit  Paeonios  nach  Olympia  gegangen  sein,  wo  er 
die  Westgiebelgruppe  um  Ol.  84  —  85  ausführte:  an  eine 
frühere  Zeit  ist  nicht  wohl  zu  denken,  da  er  noch  Ol.  94,2 
(302  V.  C.)  am  Leben  und  thätig  war.  Erst  von  dort  scheint 
er  sich  in  sein  Stamraland  Attika  begeben  und  im  Wettstreit 
mit  Phidias  erfahren  zu  haben,  wie  sehr  sich  in  der  letzten 
Zeit  und  durch  den  persönlichen  Einfluss  des  Phidias  die 
attische  Kunst  über  die  aller  andern  Schulen  erhoben  hatte. 
Besiegt,  aber  in  richtiger  Erkenntniss  der  geistigen  üeber- 
legenheit  des  Siegers  beugte  er  sich  der  Autorität  desselben 
und  wurde  nochmals  Schüler,  aber  Schüler  eines  Phidias. 
So  eilte  im  Anfang  des  XVL  Jahrhunderts  eine  Reihe  von 
Künstlern,  die  nach  heutiger  Ausdrucksweise  ihre  akademischen 
Studien  schon  kürzere  oder  längere  Zeit  hinter  sich  hatten, 
zu  Raphael  nach  Rom :  da  kamen  aus  der  bologneser  Schule 
Timoteo  della  Vite,  Bagnacavallo,  Innocenzo  da  Imola,  aus 
der  ferrareser  Garofalo,  aus  der  mailänder  Cesare  da  Sesto 
und  Gaudenzio  Ferrari,  ja  aus  Deutschland  und  den  Nieder- 
landen -G.  Pens  und  Cocxie.  Raphael  selbst  aber  überragte 
bereits  alle  seine  Genossen  in  der  umbrischen  Schule,  ehe 
er  noch  in  Florenz  durch  die  Anschauungen  der  Werke 
eines  Leonardo  und  Michelangelo  diejenigen  Anregungen 
erhielt,  welche  ihn  auch  über  diese  Nebenbuhler  erheben 
sollten.  Für  die  besondere  Art  der  Entwickelung  des  Al- 
kamenes   endlich    bietet   vielleicht    eine    noch   schlagendere 


468         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

Parallele  das  Beispiel  des  Sebastian  del  Piombo :  seine  Fresken 
in  den  Lunetten  eines  Saales  der  Farnesina  zu  Rom  zeigen 
bei  ausgezeichneter  coloristischer  Begabung  so  entschiedene 
Mängel  künstlerischer  Durchbildung  in  Zeichnung  und  Compo- 
sition,  dass  wir  dadurch  lebhaft  an  die  verschiedenen  Schwächen 
der  malerischen  Plastik  des  Alkamenes  erinnert  werden. 
Wie  sich  nun  Sebastian  durch  den  Einfluss  des  Michelangelo 
zu  hoher  Vortrefflichkeit  entwickelte,  so  erhielt  Alkamenes 
erst  durch  Phidias  diejenige  gründliche  künstlerische  Durch- 
bildung, welche  ihm  bei  der  Nachwelt  den  Ruhm  der  ersten 
Stellung  nächst  seinem  Meister  eintrug.  Athen  scheint  von 
da  an  sein  Wohnsitz  geblieben  zu  sein,  etwa  mit  Ausnahme 
der  Zeit  der  dreissig  Tyrannen ,  an  deren  Vertreibung  sich 
die  letzte  Erwähnung  eines  seiner  Werke  knüpft.  Seine 
Stellung  aber  musste  sich  um  so  mehr  zu  einer  einfluss- 
reichen gestalten,  als  wenige  Jahre  nach  seiner  Ankunft 
Phidias  aus  Athen  zu  fliehen  genöthigt  wurde.  Diese  Flucht, 
durch  welche  sich  den  Eleern  die  Möglichkeit  eröffnete, 
den  Künstler  für  sich  zu  gewinnen,  hat  wahrscheinlich  bei 
ihnen  erst  den  Gedanken  angeregt,  den  im  üebrigen  bereits 
vollendeten  Tempel  mit  einer  chryselephantinen  Statue  zu 
schmücken,  welche  den  Ruhm  der  Parthenos  nicht  nur  er- 
reichen, sondern  übertreffen  sollte. 

Bei  diesen  Aufstellungen  ist  keines  der  Zeugnisse  des 
Allerthums  verworfen  oder  bei  Seite  gesetzt  worden.  Alle 
haben  sich  ungezwungen  in  den  Zusammenhang  einreihen 
lassen.  Mit  den  Ergebnissen  der  literarischen  Forschung  aber 
stehen  die  Resultate  der  künstlerischen  Analyse  im  besten  Ein- 
klänge. Wir  dürfen  jetzt  von  einer  Vergleichung  mit  den  Sculp- 
turen  des  Parthenon  vollkommen  absehen.  Alkamenes  ent- 
stammt derselben  Kunstprovinz  wie  Paeonios ;  nur  ist  er  der 
jüngere  und  geistig  begabtere,  dem  nach  diesen  Arbeiten  seiner 
Jugend  noch  eine  bedeutendere  Zukunft  bevorstand. 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia»  469 

Von  den  Metopen  sind  im  verflossenen  Jahre  nur  zwei 
grössere  Bruchstücke  gefunden  worden :  ein  männlicher  Torso 
(lolaos  ?)  von  der  hinteren  und  eine  Athene  von  der  vorderen 
Seite  des  Tempels.  Wenn  nicht  bloss  der  Zufall  die  Pho- 
tographien derselben  auf  einer  Tafel  (XXVI)  vereinigt  hat, 
so  bekenne  ich  dem  Veranstalter  dieser  Zusammenstellung 
zu  besonderem  Danke  verpflichtet  zu  sein.  Formal-stylistische 
Analysen  eines  Kunstwerkes,  bei  denen  man  sich  nicht  auf 
Grammatik  und  Lexicon  berufen  kann,  lassen  sich  allerdings 
leicht  als  auf  subjectiver  Anschauung  beruhend  verdächtigen 
und  damit  abweisen.  Dem  Objectiv  des  photographischen 
Apparates  wird  indessen  niemand  den  Vorwurf  der  Subjectivität 
machen  dürfen.  Und  so  vermag  ich  mich  für  die  von  mir 
behauptete  Stylverschiedenheit  zwischen  den  Metopen  der 
Vorder-  und  der  Rückseite  auf  kein  besseres  Zeugniss  zu 
berufen,  als  auf  die  unmittelbare  Nebeneinanderstellung 
dieser  beiden  Fragmente.  Nur  um  weiteren  Missverständ- 
nissen vorzubeugen,  habe  ich  eine  kurze  Bemerkung  hinzu- 
zufügen. Ich  glaubte  die  Metopen  der  Westseite  dem  Pae- 
onios  beilegen  zu  müssen,  so  lange  ich  ihn  allein  als  Nord- 
griechen am  Tempel  beschäftigt  erachtete.  Seitdem  auch 
Alkamenes  als  ein  solcher  erkannt  ist,  sind  natürlich  auch 
von  seiner  Seite  Ansprüche  auf  eine  Betheiligung  an  den 
Metopen  nicht  ausgeschlossen.  Ob  sich  bestimmte  Gründe 
dafür  beibringen  lassen,  mag  für  jetzt  unerörtert  bleiben. 
Vorläufig  mögen  wir  uns  begnügen,  die  Westmetopen  der 
nordgriechischen  Kunstart  im  Allgemeinen  zuzuweisen. 


Schliesslich  mag  es  gestattet  sein,  noch  einmal  auf 
Paeonios  zurückzukommen.  Der  Annahme,  dass  er  die  Giebel- 
gruppe etwa  gleichzeitig  mit  Alkamenes  gearbeitet,  steht 
durchaus  nichts  entgegen.  Dass  wir  aber  auch  volle  Frei- 
heit haben,   die  Nike  ihrem  Kunststyle  entsprechend  später 


470         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  4.  Mai  1878. 

anzusetzen,  wird  eine  nochmalige  Betrachtung  ihrer  Inschrift 
lehren,  deren  erste  Hälfte  bekanntlich  so  lautet: 
Msooaviot  y,al  NavTtaxxioi  ove^ev  Jd 
OkvfXTtup  öeTidrav  cltio  rwv  rtoXeixitov. 
Wenn  Pausanias  die  Behauptung  der  Messenier,  es  seien 
unter  den  ungenannten  Feinden  die  bei  Sphakteria  gefangenen 
Lakedämonier  zu  verstehen,  in  Zweifel  zog,  so  musste  er 
dafür  bestimmte  Gründe  haben.  Ihre  Erzählung ,  dass  sie 
aus  Furcht  vor  den  Lakedämoniern  nicht  gewagt,  deren 
Namen  in  die  Inschrift  zu  setzen ,  lautet  ganz  so,  als  ob 
sie  in  Ermangelung  genauerer  Kunde  dem  Fehlen  des  Namens 
ihren  Ursprung  verdanke.  Haben  sich  doch  in  eiper  min- 
destens nicht  jüngeren  Zeit,  in  der  Zeit  der  Höhe  spartanischer 
Macht,  die  Bewohner  der  kleinen  argi  vischen  Ortschaft  Methana 
nicht  gescheut,  auf  eine  nach  Olympia  geweihte  Speerspitze 
die  Inschrift  zu  setzen:  MeO^avioi  cctto  ^axeöaijuovuov. 
Freilich  nennt  E.  Curtius  (Arch.  Zeit.  1876,  S.  182)  diese 
Inschrift  „ein  merkwürdiges  Denkmal  aus  dem  Mikrokosmos 
peloponnesischer  Stadtgeschichten,  das  Denkmal  eines  WafFen- 
erfolges,  in  Folge  dessen  auch  die  Kleinstädter  von  Methana 
sich  berechtigt  glaubten,  ein  Zeugniss  ihrer  Existenz  und 
ihrer  Thaten  in  Olympia  zu  deponiren  ,  das  zu  klein  und 
bescheiden  war,  um  die  Eifersucht  Spartas  zu  reizen.'^  Sind 
die  letzten  Worte  nicht  geradezu  das  Gegenbild  zu  der  Er- 
zählung der  Messenier ,  wie  ausdrücklich  geschrieben ,  um 
zu  zeigen,  auf  welche  Weise  von  Alters  her  bis  auf  unsere 
Tage  derartige  Sagen  entstehen  ?  uemlich  um  gewisse  wirk- 
liche oder  vermeintliche  Schwierigkeiten  zu  beseitigen.  Das 
Fehlen  des  Namens  der  Feinde  in  der  Inschrift  der  Messe- 
nier lässt  eine  weit  einfachere  Erklärung  zu.  Es  sind  nem- 
lich  gerade  von  denen,  welche  dasselbe  ungewöhnlich  nennen, 
mehrere  Beispiele  für  eine  solche  Auslassung  nachgewiesen 
worden.  Hier  genügt  ein  einziges :  Pausanias  (V,  23,  7)  theilt 
die  Inschrift  eines  Weihgeschenkes  der  Kleitorier,  eines  kolos- 


Brunn:  Die  Sculpturen  van  Olympia.  471 

salen  Zeusbildes,  mit: 

KleiTOQiot,  Tod'  ayaXfxa  d^e<^  SeKctrav  dred^t]Kav 
TCo'kXäv  €x  Ttollwv  /c^cJt  ßiaödfxevoi. 

Im  Gegensatz  zu  Weihgeschenken,  die  wegen  eines  ein- 
zigen glänzenden  Erfolges  aufgestellt  worden,  handelt  es 
sich  hier  um  ein  Collectivweihgeschenk  für  eine  grössere 
Zahl  kleinerer  Erfolge.  Dem  itoXkav  €x  noXuov  entspricht 
in  der  Inschrift  der  Messenier  das  a/ro  %v)\x  ftoXef.uojv.  Die 
Messenier  waren  während  der  Zeit  ihres  Exils  in  mannig- 
fache Fehden  verwickelt.  Eine  ganze  Reihe  hat  Schubring 
(Arch.  Zeit.  1877,  S.  59)  angeführt.  Manche  unbedeutendere, 
die  ausser  Zusammenhang  mit  allgemeineren  politischen  Ver- 
hältnissen standen,  mögen  uns  unbekannt  geblieben  sein. 
Man  sammelte  den  Zehnten  auf,  um  nicht  wie  die  Methanier 
eine  einzelne  Lanzenspitze  oder  dergleichen  zu  weihen,  sondern 
um  durch  ein  in  die  Augen  fallendes  Kunstwerk,  so  zu  sagen, 
seine  Existenz  in  glänzender  Weise  zu  documentiren.  Wollte 
man  nun  in  der  Inschrift  nicht  eine  Reihe  von  Namen  ohne 
Zusammenhang  anführen,  so  blieb  bloss  die  allgemeine  Be- 
zeichnung als  Kriegsbeute  übrig.  Damit  aber  war  den 
späteren  Geschlechtern  ein  Feld  für  ihre  Vermuthungen 
eröffnet.  Wir  jedoch  brauchen  weder  den  Messeuiern,  noch 
dem  Tansanias  Glauben  zu  schenken :  beide  mögen  theilweise 
Recht  haben,  aber  erschöpfen  nicht  die  ganze  Wahrheit. 
Allerdings  müssen  wir  darauf  verzichten,  die  Inschrift  für 
eine  genauere  Zeitbestimmung  zu  verwerthen ,  was  aber 
auch  bei  dem  Widerspruch  des  Pausanias  gegen  die  An- 
gabe der  Messenier  bisher  nicht  möglich  war. 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom  4   Mai  1878. 
Herr  H  e  i  g  e  1  hielt  einen  Vortrag : 
Die  Handhabung  der  Büchercensur  in  Oberbayern. 


472  Einsendungen  von  Druckschriften. 


Verzeichniss  der  eingelaufenen  Büchergeschenke 


Von  der  k.  Gesellschaß  der  Wissenschaften  in  Göttingen: 
Abhandlungen.  Bd.  XXII.  v.  J.   1877.   1877.  8^ 

Von  der  Allgemeinen  geschichtforschenden  Gesellschaft  der  Schweiz 

in  Bern: 

Jahrbuch  für  Schweizerische  Geschichte.  Bd.  II.  Zürich  1877.  8^ 

Von  der  k.   Universität  in  Tübingen: 

a)  XXIII.  Zuwachsverzeichniss  der  k.  Universität  zu  Tübingen 
1875-76.   1877.  4». 

b)  Urkunden  zur  Geschichte  der  Universität  Tübingen  aus 
dem  J.   1476-1550.   1877.   8^ 

c)  Zur  IV.  Säcularfeier  der  Universität  Tübingen  im  Sommer 
1877.  Festprogramm  der  katholisch-theolog.,  der  evangelisch- 
theol.,  der  philosoph.  und  Jurist.  Fakultät.   1877.  8*^. 

Vom  histor.   Verein  für  Niedersachsen  in  Hannover: 
Zeitschrift.  Jahrg.   1877'^   1878.  8^. 

Vom  histor,  Verein  für  den  Begierimgsbezirk  Marienwerder  in 
Marienwerder : 

Zeitschrift.  Heft  2.  1877.  8^. 

Vom  histor.  Filial- Verein  in  Neuburg  a,  D.; 
CoUectaneen-Blatt.  41.  Jahrg.  1877.  1877.  8^ 


Einsendungen  von  Druckschriften  473 

Von  der  k.  preussischen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin  : 
Monatsbericht.  Januar.   1878.  8". 

Vom  Verein  für  hessische  Geschichte  und  Landeskunde  eu  Kassel : 

a)  Zeitschrift.  Bd.  6  u.  7.    1877.  8^. 

b)  Mittheilungen  an  die  Mitglieder  des  Vereins.  Jahrg.   1876 
u.  77.   1876-77.  8^ 

c)  Statuten  des  Vereins.   1875.  8^. 

d)  Verzeichniss  der  Btichersammlung    des  Vereins.   1877.  8®. 

Von  der  Äcademie  des  Sciences^   arts  et  helles -lettr es  in  Dijon: 
Mämoires.   3.  Särie.  Tom.  4.  Annäe  1877.  8^ 

Von  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Amsterdam: 

a)  Jaarbock  voor  1876.  8^. 

b)  Pastor  bonus.  Elegia  Petri  Esseiva.   1877.  8". 

Von  dtr  Academia  Reale  delle  seiende  in  Turin: 
Annuario.  Anno  I.   1877—1878.   1877.  8<*. 

Von  der  Aslor  Library  in  New- York: 

29.  annual  Report   of  the  Trustees    of   the   Aslor  Library    for 
the  year  1877.   1878.  8^ 

Von   der  Section  historique    de  VInstitut  Royal  Grand-Ducal  in 
Luxemhourg: 

Publications.  Vol.  XXXII.   1878.  8^. 

Von  der  Societe  des  etudes  historiques  in  Paris: 
L'Investigateur.   1878.  8^. 

Von     der    Genootschap    tot    verdediging    van    den   christelyken 
Godsdienst  im  Haag: 

Werken.  XI.  Deel.  Leiden  1878.  8°. 


474  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  h.   ungarischen  Academie   der  Wissenschaften  in  Pest: 

a)  Magyar  orszäggytiläsi  emlökek.   1776 — 77.  8®. 

b)  Erdölyi  orszäggyülösi  emlökek.   1877.  8^. 

c)  Archivum  Räköczianum.   1877.  8^ 

d)  Literarische  Berichte  aus  Ungarn  hsg.  von  Paul  Hunfalvy. 
Bd.  I.   1877.  8^ 

e)  Monumenta    Hungariae    historica.     Acta    extera.     Mätyäs 
kiräly  koraböi.    1876  -77.  8«. 

f)  Principis    Francisci    II.    Räköczi    Confessiones.    Budapestini 
1876.  8^ 

g)  Archaeologiai    Közlemänyek.    Bd.     X    und    XI.    Budapest 
1875-77.  fol. 

h)  Kortan.  Irta  Knauz  Nändor.  Budapest   1877.  4^. 

Von    der  Historical   Society    of  Pennsylvania    in  Philadelphia: 

a)  The   Pennsylvania    Magazine    of   History    and    Biography. 

Vol.  I.   1877.  8". 
b)  The  Pennsylvania  Magazine.  Vol.  I.   1877.  8^ 

Vmn   Verein  für  Hansische  Geschichte  in  Lühech: 
Hansische  Geschichtsblätter.  Bd.  II.  Leipzig   1878.  8*^. 

Vom  Mährischen  Landes- Ausschuss  in  Brunn: 
Mährens  allgemeine  Geschichte  v.  B.  Dudök.  Bd.  VIII.  1878.  8^. 

Von  der  k.  höhmischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Prag : 
Sitzungsberichte.  Jahrg.   1877.   1878.  8". 

Von    der  historischen   und  antiquarischen  Gesellschaß  in  Basel: 

Mittheilungen.  Neue  Folge  I.  Die  Deckengemälde  in  der  Krypta 
des  Münsters  zu  Basel,  von  A.  BernouUi  mit  7  Taff.  in 
Fol.   1878.  4^ 

Vom  Karl'Friedrichs-Gymnasium  in  Eisenach: 

Jahresbericht  f.  1877/78  mit  Abhandlung  über  Empedocles 
Agrigentinus  von  R.  Schlaeger.   1878.  4°. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  475 

Von  der  Teylers  Godgeleerd  Genootschap  in  Hartem: 
Verhandelingen.  Nieuwe  Serie.   1877.  8^. 

Von  der  Genootschap  van  Kimsten  en  Wetenschappen  in  Batavia : 

a)  Tweede    Vervolg  -  Catalogus    der   Bibliotheek   van  het  Ba- 
taviaasch*  Genootschap.   1877.  8^. 

b)  Notulen    van    de    Algemeene    en    Bestuurs  -  Vergaderingen. 
Deel  XV.   1877.   1877.  8^ 

Von  der  Universität  in  Kasan: 
Iswestija   1877.  Nr.   1-  6.   1877.  8^ 

Von  der  Academie  Imperiale  des  sciences  in  S.  Petersburg: 
Mömoires.  Tom.  XXIV.  u.  XXV.   1877.  4^. 

Von  der  Historisch  Genootschap  in   Utrecht: 
Bydragen  en  Mededeelingen.  Deel  I.   1878.  8**. 

Von  der  Societe  d'histoire  de  la  Suisse  Momande  in  Lausanne 
Mämoires  et  Documents.  Tom.   31.   1878.  8<*. 

Von  der  Universite  catholique  de  Louvain: 

a)  Annuaire.  41.   annäe   1877.  8^. 

b)  Choix    de  mämoires   de  la  sociätö  littöraire  de  l'universitö 
catholique  de  Louvain.  XII.    1877.   8^. 

c)  H.  Eggers,    De    ordine    et  figuris  verborura,    quibus  Ho- 
ratius  in  carminibus  usus  est.    1877.   8*. 


Vom  Herrn  Albert  Jahn  in  Bern: 

Die  Kunde    und   Benutzung    der   Bongarsischen    Handschriften 
und  Büchersammlung  der  Stadtbibliothek  in  Bern.  1878-  8°. 


476  Einsendungen  mn  Bruckschriften, 

Vom  Herrn  Eduard  Winkelmann  in  Heidelberg: 
Bibliotheca  Livoniae  historica.  2.  Ausgabe.  Berlin   1878.  8^. 

Vom  Herrn  Onno  Klopp  in  Penzing: 

Zur  Ehrenrettung   von  Leibniz.     Sendschreiben  an  die  k.  Aka- 
demie der  Wissenschaften  zu  Berlin.  Berlin  \878.  8^. 

Vom  Herrn  Franz  Wieser  in  Innsbruck: 
Der  Portulan  des  Königs  Philipp  IL  von  Spanien.  Wien  1876.  8^'. 

Vom  Herrn  Manuel  Modriguez  de  Berlanga  in  Malaga: 
Los  Nuevos  Bronces  de  Osuna.   1876.  8". 

Vom  Herrn  P.   Willems  in  Louvain: 
La  Sönat  de  la  Räpublique  Romaine.   1878.  8^. 

Vom  Herrn  Vincente  G.  Quesada  in  Buenos-Äires : 

Las   Bibliotecas     Europeas    y    algunas    de    la   America    latina. 

1877.  8^. 

Vom  Herrn  W.  Schlötel  in  Heidelberg : 

Nachtrag  zu  meinem  vorjährigen  Circulare ;  zugleich  (III  a~c) 
Circular   an   Heidelberg's    Grundeigenthümer   und    Bürger. 

1878.  8°. 

Vom  Herrn  Constantin  Carapanos  in  Paris: 
Dodone  et  ses  ruines.    Texte  et  Planches.  2  vols.   1878.  4^. 

Vom  Herrn  Dr.  Legrand  in  Paris: 

La   nouvelle    sociätö  Indo  -  chinoise   fondee    par  M.    le  Marquis 
de  Croizier  et  son  ouvrage  l'art  Khmer.   1878.  8*. 


Sach-Eegister. 


Altnorwegisches  Recht  betr.  der  Freigelassenen  21. 
x-Vmman,  Kupferstecher  u.  Formschneider  138. 

Bayerische  Kriegsgeschichte  im   18.  Jahrh.   107. 
Bonifacius'  VIII.  Gefangennehmung  und  Tod  101. 
Bonifatius  Winfried,  ein  Gedicht  des  1. 
Büchercensur  in  Oberbayern  471. 
Busiris  20. 


Cypern,  Kämpfe  Kaiser  Friedrich  II    auf  101. 
,,       die  Venezianer  auf  143. 


Diodor's  Quellen  in  der  Diadochengeschichte  3G8. 

Freigelassenen  die,  nach  altnorwegischem  Recht  21. 
Friedrich  II.  (Kaiser)  auf  Cypern  101. 


Herkules  von  Ferrara  u.  seine  Beziehungen    zu  Jloriz  v.  Sachsen   u.  d. 
Jesuiten  317. 


Kriegsgeschichte,  bayerische  im  18.  Jahrh.  107. 

Moriz  von  Sachsen  und  Herkules  v.  Ferrara  317. 
Mufassal,  zur  Erklärung  des  197. 

34 


478  Sach-Reg  ister. 

Oberbayern,  Büchercensur  in  471- 
Olympia,  Sculpturen  von  442. 
Osymandyas  20. 

Sculpturen  von  Olympia  442. 

Thukydides,  zum  Kalender  des  89 

Töpfer'sche  Materialien  z.  bayer    Kriegsgesch.  107. 

Venezianer  auf  Cypern  143. 

Winfried  Bonifatius,  ein  Gedicht  des   1. 
Würzburger  Handschriften  1. 


Namen-Register. 


Brunn  442. 

Carvalho  Alex.  Herculano  de  (Nekrolog)  158. 

V.  DöUinger  101,  158. 
V.  Druffel  142,  317. 

Estorff,  Frhr.  v.  (Nekrolog)  192. 

V.  Giesebrecht  194. 

Heigel  471. 

Laubmann  1. 
Lauth  20. 
V.  Löher  101. 

V.  Maurer  21. 


480  Namen-Eegiste.r. 

V.  Prantl  186. 

Ryrlquist  (Nekrolog)  186. 
Roulez  (Nekrolog)  189. 

Stumpf  (Nekrolog)  194. 

Thomas  143. 
Trurapp  197. 

ünger  89,  368. 

Würdinger  107. 


Sitzungsberichte 

der 

philosophisch-philologischen  und 
historischen  Classe 

der 

k.  b.  Akademie  der  Wissenschaften 

zu  IVrimchen. 


Jahrgang   1878. 


Zojüeiter  Band* 


München, 

Akademische  Buchdruckerei  vod  F.  Straub. 

1878. 

In  Ooramission  bei   G.  Franz« 


Uebersicht  des  Inhalts. 


Die  mit  *  bezeichneten  Vorträge  sind  ohne  Auszug. 

Oeff entliehe  Sitzung  siir  Vorfeier  des  Geburts-  und  Namens- 

festes  Seiner  Majestät  des  Königs  Ludwig  IL 

am.  25.  Juli  1878. 

Seite 

Neuwahlen 151 


Philosophisch-philologische   Classe. 

Sitzung  vom  L  Juni  1878. 

Bursian:    Die  wissenschaftlichen    Ergebnisse   der   Ausgrabungen 

in  Dodona 1 

Bursian:    Ein  ungedruckter  Cento  Vergilianus 29 

*Trumpp:    Der  Taufritus  der  äthiopischen  Kirche 37 

Sitzung  vom  6.  Juli  1878. 

Ethe:  Die  Rubais  des  Abu  Sa'^ld  bin  Abul-Khair  (zweite  Sammlung)  38 

Laubmann:    Mittheilungen  aus  Würzburger  Handschriften     .     .  71 

Lauth:    Aegyptisch-aramäische  Inschriften 97 

*Meyer:   Vita  Adae  et  Evae       150 

Sitzung  vom  2,  November  1878. 

V.  Prantl:    Ueber  Petrus  ßamus .  157 

Weck  lein:     lieber  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides      .     .  170 
Bursian:     Die  wissenschaftlichen  Ergebnisse   der  Ausgrabungen 

in  Dodona.    Nachträge 224 

*Trumpp:    üeber  das  äthiopische  Adamsbuch 224 


IV 

Sitzung  vom  7.  Decemher  1878. 

Seit© 

U  n  g  e  r  :     Der  Eridanos  in  Venetien 261 

Lauth:    Die  ägyptische  Tetraeteris       305 

Historische   Classe. 

Sitzung  vom  1.  Juni  1878. 

*Preger :  Der  Tractat  des  David  von  Augsburg  über  die  Waldesier      87 

Sitzung  vom  6.  Juli  1878. 

*Rockinger:  Ueber  die  im  k.  Haus-  und  Staats- Archive  befindlichen 

Werke  zur  älteren  bayerischen  und  pfälzischen  Geschichte  .     150 

*Föringer:  Vorläufige  Mittheilungen  über  Annalen  von  Weihen- 
stephan      150 

Sitzung  vom  2.  November  1878. 

Kottmanner:     Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I.  für 

den  Hofmeister  Ferdinand  Maria's  vom  Jahre  1646    .     .     .     225 

♦Cornelius:  Ueber  den  angeblichen  politischen  Charakter  des  Pro- 

cesses  gegen  Michael  Servet  in  Genf  im  Jahre  1553  .     .     .     260 

Sitzung  vom  7.  Decemher  1878. 

*Gregorovius:    Die   Stellung  Papst  ürban's  VIII.   zu  Spanien 

und  zum  Kaiser 364 

*v.  Bezold:  Die  letzten  Jahre  der  Pfalzgräfin  Elisabeth,  Ge- 
mahlin Johann  Casimir's 364 

Friedrich:    Augsburger   Relationen   bei    der   Visitatio   liminum 

apostolorum 365 

Einsendungen  von  Druckschriften 153,  412 


Sitzungsberichte 


der 


königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften, 


Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  vom  1.  Juni  1878. 


Herr  Bursian  trug  vor: 

„Die   wissenschaftlicheu  Ergebnisse   der 
Ausgrabungen  in  Dodona. 

Nachdem  Herr  Konstantinos  Karapanos  die  Resultate 
seiner  Ausgrabungen  auf  der  Stätte  des  Dodonäischen  Heilig- 
tbums,  über  welche  er  uns  im  vorigen  Jahre  einen  vorläufigen 
Bericht  zukommen  Hess  ^),  kürzlich  in  einem  glänzend  aus- 
gestatteten Werke ,  dessen  Zusendung  wir  seiner  Liberalität 
verdanken  ^) ,  eingehend  dargelegt  hat ,  dürfte  es  wohl  für 
die  Mitglieder  unserer  Classe  wie  auch  für  weitere  Kreise 
nicht  ohne  Interesse  sein,  eine  Uebersicht  über  den  Gewinn 
zu    erhalten ,    welcher    für    die    verschiedenen    Gebiete    der 


1)  Sitzungsberichte  der  philosophisch-philologischen  und  historischen 
Classe  1877,  S.  163-^174. 

2)  Dodone   et  ses  ruines  par  Constantin  Karapanos.     Texte.  (VII, 
242  S.  4).     Planches  (63  Tafeln.  4).  Paris,  Hachette  et  Cie.  1878. 

[1878. 1  Philos.-philolog.-hist.  Cl.  Bd.  II.  1.]  1 


2  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  1.  Juni  1878. 

griechischen  Alterthumswissenschaft  aus  den  Entdeckungen 
des  Herrn  Karapanos  erwächst. 

Wohl  das  wichtigste  Ergebniss  ist  die  definitive  Lösung 
der  vielbesprochenen  Frage  nach  der  Lage  des  alten  Heilig- 
thums.  Es  ist  nunmehr  ausser  Zweifel  gestellt,  dass  die 
mit  vielen  Saatfeldern  und  schönen  Wiesen  prangende,  an 
Schaafen  und  Rindern  reiche,  von  zahlreichen  Menschen 
bewohnte  Landschaft  Hello  pia  ,  an  deren  Rande  {soxazid) 
nach  einem  bekannten  Fragmente  des  Hesiodos  *)  Dodone, 
die  Orakelstätte  des  Zeus,  gegründet  war,  nicht,  wie  bisher 
fast  allgemein  angenommen  wurde,  der  jetzt  zu  einem 
grossen  Theil  mit  Wasser  bedeckte  Thalkessel  von  Jannina 
ist  ^),  sondern  das  am  östlichen  Fusse  des  bis  zu  einer  Höhe 
von  etwa  2000  Meter  über  der  Meeresfläche  sich  erhebenden 
Olytsikagebirges  (dem  also  der  antike  Name  Tomaros 
oder  Tmar  OS  zukommt)  in  einer  Länge  von  etwa  12  Kilo- 
meter und  einer  Breite  von  300 — 1800  Meter  sich  hin- 
ziehende Thal,  an  dessen  westlichem  Rande  in  der  Richtung 
von  Nordwesten  nach  Südosten  die  fünf  im  Ganzen  von 
etwa  250  griechischen  Familien  bewohnten  Dörfer  Plessa, 
Drameschus,  Tscharakovista,  Alpochori  und  Melingus  liegen. 
Die  zahlreichen  Quellen,  welche  am  Fusse  des  Tomaros 
entspringen,  vereinigen  ihr  Wasser  in  zwei  grösseren  Rinn- 
salen, die  nach  entgegengesetzter  Richtung  das  Thal  durch- 
fliessen:    durch    die  nördlichere  Hälfte  des  Thaies  führt  ein 


1)  Frgt.  LXXX  ed.  Göttling;  Frgt.  LVIII  bei  Flach  (Diehesiodi- 
schen  Gedichte.  Berlin  1874). 

2)  Diese  auch  von  mir  in  meiner  Geographie  von  Griechenland 
Bd.  I,  S.  20f.  vertretene  Ansicht  ist  noch  kürzlich  von  Forbiger  (Handbuch 
der  alten  Geographie  von  Europa,  2.  Auflage,  Hamburg  1«77,  S.  588) 
wiederholt  worden,  während  Kiepert  in  seinem  Neuen  Atlas  von  Hellas 
und  den  Hellenischen  Colonien  Bl.  VII  (vgl.  dazu  den  Vorbericht  S.  4 
oder  S.  14  des  Separatabdrucks),  gestützt  auf  Andeutungen  in  H.  Barth's 
Tagebuch  über  seine  letzte  Reise,  durch  Verrauthung  das  Richtige  ge- 
funden hatte. 


Bursian :  Diewissenschaftl.  Ergebnisse d. Ausgrabungen i.  Doclona.      3 

Bach  in  nord westlicher  Richtung  das  Wasser  dem  Flusse 
Thyamis  zu ;  die  Gewässer  der  südlicheren  Hälfte  dagegen 
finden  durch  einen  Erdspalt  (eine  sogenannte  Katabothra 
oder,  wie  man  in  Epirus  sagt,  eine  x^j^etV^a)  am  Fusse 
der  Hügel  von  Maniolassa,  des  südlicheren  Theiles  der 
das  Thal  gegen  Osten  begränzenden  Hügelkette,  ihren  Ab- 
fluss.  Aus  dem  nördlicheren  Theile  dieser  Hügelkette,  den 
Hügeln  von  Kosmira,  tritt  ungefähr  in  der  Mitte  der 
Längenausdehnung  des  Thaies  ein  Vorsprung  in  südwest- 
licher Richtung  vor,  dessen  etwa  30  Meter  über  den  Thal- 
boden erhöhte  Oberfläche  die  Ruinen  einer  durch  Mauern 
und  Thürme  befestigten  Akropolis  trägt :  das  ist  die  soxarid^ 
auf  welcher  nach  Hesiod's  Ausdruck  z/wöcovrj  Tiercohorai. 
Die  Ruinen  dieser  Akropolis,  so  wie  des  am  Südwestabhange 
des  Hügels  gerade  unterhalb  der  Südwestecke  der  Akropolis 
gelegenen  Theaters  waren  schon  längst  unter  dem  Namen 
des  Paläokastron  von  Drameschus  bekannt ;  unbekannt  aber 
war  bisher,  dass  sich  gerade  östlich  vom  Theater,  am  Süd- 
ostabhange  des  Hügels  und  bis  in  die  Thalebene  hinab, 
ein  geräumiger  von  Mauern  in  Gestalt  eines  sehr  unregel- 
mässigen Vierecks  umschlossener  Bezirk  hinzieht ,  welcher 
durch  Karapanos'  Ausgrabungen  als  die  Stätte  des  xqrjOTrjQiov 
erwiesen  worden  ist.  ^)  Der  Haupteingang  in  dieses  ge- 
räumige Temenos  befand  sich  an  der  Südwestecke;  derselbe 
war  durch  zwei  UM.  80  C.  im  Lichten  von  einander  ab- 
stehende viereckige  Thürme  geschützt,  zwischen  denen  zwei 
schmucklose  Säulen  von  Tuffstein  —  wahrscheinlich  Träger 
einer  Art  von  Attika  ~  standen; 2)  von  den  Thürmen  zogen 


1)  Vgl.  dazu  den  Plan  in  dem  Atlas  zu  Karapanos'  Werk.  pl.  III. 

2)  Karapanos  S.  25  äussert  die  Verrauthung,  die  beiden  Säulen 
hätten  die  von  Polemon  (bei  Stepli.  Byz.  u.  Jio&coyt],  p.  249^  11  ss.  ed. 
Meineke)  und  Strabon  (VII  p.  329  fr.  3)  beschriebene  Vorrichtung  für  man- 
tische  Zwecke  —  die  Erzstatue  eines  Knaben  mit  einer  Peitsche  in  der 
Rechten  und  ein  ehernes  Becken  —  getragen :   allein  diese  Vorrichtung 

1* 


4  Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  7.  Juni  1878. 

sich  zwei  nicht  parallele,  sondern  etwas  convergirende  Mauern 
nach  dem  Innern  des  Temenos ,  welche  durch  viereckige 
Pfeiler  abgeschlossen  wurden  ,  deren  11  M.  50  C.  weiter, 
mit  grossen  Steinplatten  gepflasterter  Zwischenraum  den 
inneren  Eingang  bildete:  die  ganze  Anlage  kann  nur  als 
ein  einfaches,  hinter  dem  Reichthum  der  analogen  attischen 
Anlagen  (Athen,  P]leusis,  Sunion)  freilich  weit  zurückstehendes 
Propylon  oder  Propyläon  angesehen  werden.  Ein  anderer 
ebenfalls  eine  Thorgasse  bildender ,  aber ,  wie  es  scheint, 
schmuckloser  Eingang  befand  sich  an  der  Nordwestseite  in 
unmittelbarer  Nähe  des  Theaters :  er  scheint  die  Verbindung 
des  Temenos  mit  den  für  die  Feier  der  Pestspiele  Naia 
bestimmten  Anlagen,  dem  Theater  und  dem  wahrschein- 
lich südlich  von  diesem ,  westlich  vom  Temenos  gelegenen 
Stadion,  gebildet  zu  haben.  Ein  dritter  weit  schmälerer 
Eingang  findet  sich  endlich  ungefähr  in  der  Mitte  der  Ost- 
seite. 

Von  den  im  Innern  des  Temenos  entdeckten  Baulich- 
keiten kann  nur  eine  in  Hinsicht  ihrer  Anlage  und  ihres 
Zweckes  mit  Sicherheit  bestimmt  werden  :  der  orjxog  (Diodor. 
XXVI,  fr.  10  t.  IV,  p.  50  ed.  I.  Bekker)  oder  die  Ugd 
olnia  (Polyb,  IV,  67),  die  eigentliche  Cultstätte  des  Zeus 
Naios  und  seiner  Cultgenossin  (ovvvaog  Strabon  VII,  p,  329) 
üione.  Das  im  nordöstlichsten  Theile  des  Temenos  in  der 
Nähe  des  Einganges  an  der  Ostseite  gelegene  Bauwerk, 
welches  später  durch  Anfügung  dreier  Apsiden  an  der  Ost- 
seite in  eine  christliche  Kirche  verwandelt  worden  ist, 
bildete,  so  weit  man  den  Grundplan  noch  erkennen  kann, 
ein  40  Meter  langes,  20  ^2  Meter  breites,  rings  von  Mauern 
umschlossenes    Viereck    ohne    Säulenstellung   nach    Aussen 


war  gewiss  an  einer  Stelle,  welche  dem  Winde  vollen  Zugang  gewährte, 
also  im  Freien  innerhalb  des  Temenos,  nicht  am  Eingang  zwischen 
Thürmen  angebracht. 


Bursian :  Diewissenschaftl.  Ergehnisse  d.  Ausgrabungen  i.  Dodona.     5 

(analog  dem  (Ävotmog  orjKog  zu  Eleusis ,  bei  welchem  be- 
kanntlich die  dorische  Säulenhalle  an  der  Front  erst  zur 
Zeit  des  Demetrios  von  Phaleros  durch  den  Architekten 
Philon  angefügt  worden  ist);  das  Innere  war  durch  zwei 
Quermauern  in  drei  Abtheilungen  —  Pronaos,  Naos  im 
engeren  Sinne  und  Opisthodomos  —  geschieden.  Im  Innern 
der  Cella  ziehen  sich,  den  Seiteuwänden  derselben  parallel, 
zwei  10  M.  80  C.  weit  von  einander  abstehende  nie- 
drige Parallelmauern  hin,  auf  welchen  noch  8  Säulentrommeln 
aus  Tuffstein ,  deren  Umfang  theils  2  M.  40  Cent. ,  theils 
2  M.  65  C.  beträgt,  stehen  ^).  Offenbar  war  also  die  Cella 
mit  einer  doppelten  Reihe  von  wahrscheinlich  je  sechs  Säulen 
geschmückt,  die  entweder  direct  oder  vermittels  einer  zweiten 
oberen  Säulenstellung  die  dann  jedenfalls  in  der  Mitte  ge- 
öffnete Decke  stützten ;  welcher  Ordnung  diese  Säulen  an- 
gehörten ,  ist  leider  wegen  der  schlechten  Erhaltung  der 
noch  vorhandenen  Säulentroncs  und  wegen  des  gänzlichen 
Mangels  von  sonstigen  ornamentalen  architektonischen  Resten 
nicht  zu  bestimmen.  Im  Innern  der  Tempelruine  sind  zahl- 
reiche Weihgeschenke  aus  Bronze,  insbesondere  die  auf  den 
Tafeln  IX  bis  XII  des  Atlas  abgebildeten  Bronzestatuetten 
—  unter  denen  sich  auch  eine  archaisir ende  Statuette  des  blitz- 
schleudernden Zeus  (Tfl.  XII,  4)  befindet,  welche  ganz  der 
Darstellung  des  Zeus  Polieus  auf  athenischen  Münzen  ent- 
spricht ^)  — ,  die  Mehrzahl  der  mit  Inschriften  versehenen 
Bronze-  und  Bleiplatten  und  eine  umfänglichere  Inschrift 
auf  Kalkstein,  ein  Proxeniedecret  der  Apeirotai  für  Gaios 
Dazupos  Rennios  aus  Brundusium,  gefunden  worden. 

1)  Dass  Leake  bei  seiner  Beschreibung  der  Tempelruine  (Travels 
in  Northern  Greece  I,  p.  267)  irriger  Weise  diese  innere  Säulenstellung 
für  eine  äussere  angesehen  hat ,  ist  von  Karapanos  p.  19  n.  1  bemerkt 
worden. 

2)  Vgl.  0.  Jahn  Giove  Polieo  in  Atene  (Estratto  dalle  meraorie 
deir  instituto  di  corrispondenza  archeologica  Vol.  II.  Leipzig  1865)  Tfl.  2 
n.  1  und  2. 


6  Sitzung  der  phüos.-philoJ.  Classe  vom  1.  Juni  1878, 

Ausser  dem  Tempel  sind  im  nördlicheren  Theile  des 
Temen  OS  noch  zwei  Bauwerke  aus  hellenischer  Zeit  erkenn- 
bar, beide  von  viereckter  Grundform  und  rings  von  Mauern 
umschlossen.  Das  eine,  etwa  10  M.  südwestlich  vom  Tempel 
gelegen,  fast  quadratisch  (19  72^«  lang  and  18  M.  breit), 
wird  im  Innern  durch  vier  Zwischenmauern  in  verschiedene 
Räume  (zwei  rechtwinklige  Gemächer  und  drei  Corridors) 
getheilt.  Da  im  Innern  desselben  ausser  Bruchstücken 
verschiedener  Bronzegegenstände  auch  eine  grosse  Anzahl 
von  Bronzemünzen  gefunden  worden  ist,  so  kann  man  das- 
selbe vielleicht  für  ein  Schatzhaus  (Thesauros)  halten.  Das 
zweite,  48  M.  westlich  von  diesem,  an  der  Nordseite  des 
westlichen  Eingangs  des  Temen os  gelegen,  ein  trapezoid- 
förmiger  Bau  von  42  V2  M.  zu  30  M. ,  hat  an  der  Aussen- 
seite  seiner  Ostmauer  sieben  um  90  Centim.  aus  der  Mauer- 
linie vorspringende  Strebepfeiler.  In  dem  ganz  mit  grossen 
Steinen  ausgefüllten  Inneren  findet  sich  keine  Spur  einer 
Zwischenmauer;  die  Nachgrabungen  des  Herrn  Karapanos 
haben  nur  vier  Stufen  von  einer  an  die  Nordostmauer  sich 
anlehnenden  Treppe  zum  Vorschein  gebracht.  Leake,  der 
hier  einige  Säulenreste  bemerkte  (Travels  in  Northern 
Greece  I,  p.  267),  hielt  die  Ruine  für  den  Ueberrest  eines 
zweiten  Tempels ;  ich  möchte  wegen  der  Lage  in  der  Nähe 
des  Theaters  und  wegen  des  weiten  ungetheilten  Raumes 
im  Inneren  am  ehesten  ein  mit  der  Feier  der  Naia  zusammen- 
hängendes Gebäude  darin  erkennen:  etwa  ein  Gymnasion 
zum  Behuf  der  Vorübungen  und  Prüfungen  für  diejenigen, 
welche  in  den  gymnischen  Agonen  der  Naia  als  Kämpfer 
auftreten  wollten;  ich  erinnere  daran,  dass  auch  in  Olympia, 
wenn  auch  nicht  innerhalb,  so  doch  unmittelbar  neben  der 
Altis  ein  Gymnasion  bestand  (Paus.  V,  15,  8;  VI,  21,  2). 

Dem  eben  beschriebenen  Gebäude  gerade  gegenüber, 
an  der  Südseite  des  westlichen  Eingangs  zum  Temenos, 
finden  sich  die  Reste  eines  anderen    grossen  Gebäudes   von 


Bursian :  Die  wissenschaftl.  Ergebnisse  d.  Ausgrabungen  i.  Dodona.     7 

unregelmässiger  polygonaler  Grundform,  das  von  der  West- 
mauer des  Temenos  um  25  M.  30  C.  gegen  Westen  vor- 
springt; an  der  Westseite  ist  in  dasselbe  ein  kleineres  Ge- 
bäude von  fast  quadratischer  Form  (12  M.  20  C.  auf  12  M.) 
hineingebaut.  Ich  mochte  auch  diese  Anlag«  mit  der  Feier 
der  Naia  in  Verbindung  bringen  und  darin  wiederum  nach 
Analogie  der  Altis  von  Olympia  ein  Prytaneion  nebst  einem 
sOTiaTOQLOVy  einem  Speisesaal  zur  Bewirthuug  der  Sieger  in 
den  Festspielen  (vgl.  Paus.  V,  15,  8  und  12),  vermuthen; 
der  Raum  mag  zugleich  auch  als  Sitzungslocal  für  die  mit 
der  Veranstaltung  und  Leitung  der  Naia  betraute  Commission 
gedient  haben ,  als  deren  Vorsitzender  jedenfalls  der  in 
mehreren  Inschriften  erv^ähnte  dycovo^hrig  ^)  zu  betrachten 
ist,  während  der  nur  einmal  in  einer  Urkunde  über  den 
Verkauf  eines  Sklaven  (Tfl.  XXIX,  3)  vorkommende  Naiaq- 
%og  offenbar  nichts  mit  den  Festspielen  speciell  zu  thun  hat, 
sondern  die  Oberleitung  des  ganzen  Heiligthums  und  aller 
darin  vorzunehmenden  Cultusacte  führt.  —  Bei  Gelegenheit 
dieser  nach  unserer  Vermuthung  für  die  Feier  der  Naia  be- 
stimmten Baulichkeiten  wollen  wir  bemerken,  dass  zu  den 
musischen  Agonen,  deren  Existenz  in  Dodona  schon  durch 
das  Vorhandensein  des  Theaters  bezeugt  ist,  wahrscheinlich 
auch  Wettkämpfe  von  Rhapsoden  gehörten :  Zeugniss  dafür 
giebt  der  bei  den  Ausgrabungen  entdeckte  bronzene  mit 
drei  Löwenfüssen  gezierte  Untersatz  eines  grossen  Gefässes, 
welcher  laut  der  Inschrift  TegipLKl^g  zip  J.l  Nau^)  qaxpixjödg 
dvsd^i]Ke    (Tfl.  XXIII,  2  und  2^i")    zu    einem  Weihgeschenk 


1)  'Eni  ayoivod-sta  Ma/ara  auf  dem  Rande  der  Mündung  zweier 
grosser  Bronzegefässe  Tfl.  XXV,  2  und  2*er;  uyaoroS-e  .  .  .  auf  einer 
fragmentirten  Bronzeplatte  Tfl.  XXXII,  3.  Ein  ayo^yoS-strig  Jiog 
Nccov  xccl  Jitovrig  P.  Memmius  Leon,  zugleich  legsig  ZeßaaxMP  und 
ayoiivod-Exrig  fieyccXojv  ^Axtiaiv  KatffccQrju)!/  in  der  68.  Aktias  (240  n.  Chr.) 
wird  in  einer  von  Cyriacus  von  Ancona  in  Jannina  abgeschriebenen 
Inschrift  (Karapanos  p.  158,  Anra.)  erwähnt. 


8  Sitzung  der  philos.-philoL  Classe  vom  1.  Juni  1878. 

eines  ßhapsoden  Terpsikles  an  Zens  Naios  gehörte,  als  dessen 
Veranlassung  doch  am  ehesten  ein  Sieg  in  den  Naia  zu 
denken  ist. 

An  das  von  mir  als  Prytaneion  erklärte  Gebäude  schliesst 
sich  gegen  Südosten  ein  etwa  70  M.  langer,  10  M.  60  C. 
breiter  Corridor  an,  welcher  durch  die  westliche  Mauer  des 
Temenos  und  eine  zweite  dieser  parallel  laufende  Mauer  ge- 
bildet ist ;  der  südlichste  Theil  desselben  war  ein  auf  allen  vier 
Seiten  von  Wänden  umschlossener  26  M.  langer  Raum, 
in  dessen  Mitte  Karapanos  eine  kreisrunde  Basis  aus  drei  je 
20  Cent,  hohen  Lagen,  deren  Umfang  nach  oben  zu  immer 
geringer  wird  (der  Umfang  der  untersten,  die  aus  zwei 
halbkreisförmigen  Steinen  besteht ,  beträgt  5  M. ,  der  der 
zweiten,  die  durch  einen  einzigen  Stein  gebildet  wird,  4  M. 
10  C,  der  der  dritten  3  M.  33  C),  entdeckt  hat^);  in  der 
Nähe  derselben  fand  er  neben  anderen  Gegenständen  ^)  ein 
kleines  Rad  aus  Bronze  von  11  C.  Durchmesser,  welches 
auf  seinem  Rande  die  Inschrift  trägt:  ^^(peXitov  !dq)qodita 
aj^£^»;z£(Tfl.XXVI,  1).  Daraus  schliesst  Karapanos,  dass  die 
runde  Basis  ein  Altar  der  Aphrodite,  der  Raum,  in  dessen  Mitte 
er  stand,  ein  Heiligthum  dieser  Göttin  gewesen  sei.  Dieser 
Schluss  aus  einem  durchaus  vereinzelt  stehenden  Weihge- 
schenk scheint  mir  unberechtigt,  die  Stelle  des  Servius  (ad 
Verg.  Aen.  III,  466),  welche  Karapanos  (p.  156)  als  Zeug- 
niss  für  die  Existenz  eines  Tempels  der  Aphrodite  in  Dodona 
anführt :  ,haec  autem  regio  (sc.  Dodona)  in  fiuibus  Aetolorum 
est,  ubi   lovi  et  Veneri  templum  a  ueteribus  fuerat  conse- 


1)  Vgl.  die  Abbildung  auf  Tfl.  VII,  17. 

2)  Besonders  interessant  sind  darunter  zwei  offenbar  zum  Einsetzen 
in  die  Augenhöhlen  einer  überlebensgrossen  Statue  (wohl  einer  Bronze- 
statue, nicht,  wie  Karapanos  meint,  einer  Statue  aus  Holz)  bestimmte 
grosse  Augen  aus  Kalkstein,  in  deren  Pupille  je  ein  kreisförmiges  Stück- 
chen Bergkrystall  eingefügt  ist :  s.  Tfl.  LX,  6  und  dazu  die  sachkundigen 
Bemerkungen  von  L.  Heuzey  im  Annexe  C  zu  Karapanos'  Werk  p.  218  s. 


Bursian :  Die  wissenschaftl.  Ergebnisse  d.  Ausgrabungen  i.  Dodona.     9 

cratum'  oline  Beweiskraft,  da  hier,  wie  schon  der  Gebrauch 
des  Singulars  templum  zeigt,  Venus  offenbar  dem  grie- 
chischen Namen  Jiwva  entspricht.  Ich  betrachte  sowohl  den 
fraglichen  Raum  als  den  ganzen  Corridor  als  bestimmt  zur 
Aufbewahrung  von  Weihgeschenken ,  welche  man  den  Ein- 
flüssen der  Witterung  ,  besonders  des  in  Dodona  ziemlich 
strengen  Wiuters,  nicht  aussetzen  wollte ;  dass  sich  darunter 
auch  ein  Weihgeschenk  für  Aphrodite  befand,  ist  bei  der 
bekannten  Auffassung  dieser  Göttin  als  Tochter  des  Zeus 
und  der  Diona  nicht  auffällig. 

Ebenfalls  zur  Aufbewahrung  derartiger  Weihgeschenke 
diente  wohl  ein  zweiter  6  V2  M.  breiter  Corridor,  welcher 
durch  die  östliche  Umfassungsmauer  des  Temenos  und  eine 
dieser  parallel  laufende  innere  Mauer  gebildet  wurde.  Die- 
jenigen Weihgeschenke  aber,  welche  eine  Aufstellung  im 
Freien  ertrugen,  standen  in  langen  Reihen  vor  den  dem 
Innern  des  Temenos  zugewandten  Fa^aden  der  beiden  Corri- 
dore  '),  wie  die  zahlreichen  theils  viereckten,  theils  halb- 
kreisförmigen oder  ein  Kreissegment  bildenden  Basen  und 
Unterbauten  beweisen,  welche  Karapanos  an  diesen  Stellen 
entdeckt  hat  (s.  die  Tafeln  VI  und  VII). 

Soviel  über  die  Oertlichkeit  und  die  baulichen  Anlagen 
des  Heiligthums.  Für  unsere  Kenntniss  des  Verfahrens 
bei  der  Orakelertheilung  sind  besonders  werthvoll 
die  bei  der  Ausgrabung  entdeckten  1  bis  3  Millimeter  dicken 
Bleiplättchen  mit  flüchtig  eingeritzten  Inschriften,  welche, 
soweit  die  ausserordentlich  schwierige  Aufgabe  der  Entzif- 
ferung^) den  vereinten  Bemühungen  der  Herren  Karapanos 


1)  Ich  erkenne  in  diesen  die  von  Polyb.  IV,  67  erwähnten  GtoaC: 
dass  nämlich  die  Griechen  mit  dem  Worte  atod  keineswegs  immer  den 
Begriff  einer  durch  Säulen  gestützten  Halle  verbanden,  zeigen  Stellen 
wie  Aristoph.  eccles.  14,  wo  Vorrathskammern  für  Getreide  und  Wein 
als  oroaL  bezeichnet  werden. 

2)  Eine   Vorstellung   von   den  Schwierigkeiten,    welche  dabei    zu 


10  Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  1.  Juni  1878. 

und  P.  Foucart  gelungen  ist,  mit  einer  einzigen  Ausnahme 
(Tfl.  XXXVIII,  5)  ^)  Anfragen  theils  von  Gemeinden,  theils 
von  Privatpersonen  beim  Orakel  enthalten  (Tfl.  XXXIV  bis 
XXXIX).  Daraus  ergiebt  sich  zunächst  im  Allgemeinen, 
dass  jeder,  der  ein  Orakel  zu  erhalten  wünschte,  seine  An- 
frage schriftlich  einreichen  musste,  ein  Verfahren,  für  welches 
wir  bisher  nur  in  einer  Stelle  des  Cicero  (de  divinatione 
I,  34,  76)  eine  nicht  völlig  klare  Andeutung  besassen. 
Die  Stelle  lautet:  *^ Maximum  uero  illud  portentum  iisdem 
Spartiatis  fuit  quod  cum  oraculum  ab  Joue  Dodonaeo  petiuis- 
sent  de  uictoria  sciscitantes  legatique  illud  in  quo  inerant 
sortes  collocauissent,  simia  quam  rex  Molossorum  in  deliciis 
habebat  et  sortes  ipsas  et  caetera  quae  erant  ad  sortem 
parata  disturbauit  et  aliud  alio  dissipauit.  Tum  ea  quae 
praeposita  erat  oraculo  sacerdos  dixisse  dicitur,  de  salute 
Lacedaemoniis  esse,  non  de  uictoria  cogitandum'.  Unter 
den  sortes  sind  hier  offenbar  die  Bleitäfelchen,  aufweichen 
die  Anfragen  geschrieben  waren,  zu  verstehen ;  unsere  Stelle 
lehrt  uns,    dass   dieselben   in   ein  Gefäss   gelegt   und  dieses 


überwinden  waren,  kann  man  sich  nach  den  auf  Tfl.  XL  gegebenen 
photolithographischen  Nachbildungen  von  vier  solchen  Täfelchen  machen. 
1)  Die  deutlich  lesbaren  Worte:  ro  [j,avtri[i\ov  iyiti  XQV^  können 
nur  als  Antwort  des  Orakels  aufgefasst  werden,  wobei  freilich  der  Jonis- 
mus auffällig  ist.  Von  den  übrigen  Stücken,  die  Karapanos  (p.  69  n.  1) 
ausserdem  als  Antworten  des  Orakels  betrachtet,  kann  ich  keine  als 
solche  anerkennen:  die  Inschrift  Tfl.  XXXVIII,  6 

EAAAAN  MAZTEIEI 
lese  ich  r?  «AXar  fxaateui  (für  (j.aazev€i)  ,oder  (ob  er)  eine  andere  suchen 
soll'  und  erkenne  darin  den  Schluss  einer  an  das  Orakel  gerichteten 
Anfrage.  Die  Schreibung  EAAAAN  findet  sich  auch  Tfl.  XXXVI,  4,  wo 
Z.  2.  der  Rückseite  zu  lesen  ist:  ^  ciXKav  oUria\ccg  oder  -aviss].  — 
Uebrigens  darf  es  uns  nicht  Wunder  nehmen,  dass  so  gut  wie  keine 
Antworten  des  Orakels  gefunden  worden  sind,  da  solche  natürlich  von 
denjenigen,  welchen  sie  ertheilt  worden  waren,  nicht  im  Helligthum  zu- 
rückgelassen, sondern  mit  nach  Hause  genommen  wurden. 


Bursian :  Die  wissenschaftL  Ergebnisse  d.  Ausgräbungen  L  Bodona.  1 1 

im  Heiligthum  hingestellt  wurde,  damit  die  Orakel  ertheilende 
Priesterin  davon  Kenntniss  nehme. 

Was  die  Form  der  Anfragen  betrifft,  so  beginnen  die- 
selben nicht  selten  mit  der  unserem  'in  Gottes  Namen'  ent- 
sprechenden Formel  dsog  (oder  d^eol)  xvyav  dyad-av  oder 
rvxq  dyad^a :  doch  fehlt  dieselbe  in  nicht  wenigen  Fällen, 
auch  wenn  die  Anfrage  vollständig  erhalten  ist.  Dann  folgt 
der  Name  des  oder  der  Anfragenden  mit  der  Formel  eTteqtoTa 
(eTtEQtoTwvTt)  Tov  Jla  Tov  Ncciov  ytal  tclv  Juovav  oder 
eTviKOivrjtai  (auch  eTti-aoivärai^  Plural  eTtiKOivwvrai)  reo  z/u 
T(^  Nalo)  %al  xq  Jiwvq.  Dieses  ETTtKOivao&aL  ist  offenbar 
dialektische  Nebenform  für  STrrAOivovo&at  (wie  wir  auch  für 
eTte^iorq  die  Schreibungen  ETiegcoTel  Tfl.  36,  1 ;  37,  8, 
eQtorrj  Tfl.  36,  2  und  eTtegcorrj  Tfl.  39 ,  1  finden) ;  £7tr/,oi- 
vovo^ai  Tivi  TtEQi  rivog  kennen  wir  aus  der  attischen  Sprache 
(vgl.  Piaton  Protagor.  p.  313«)  in  der  Bedeutung 'jemanden 
über  etwas  um  Rath  fi*agen' ;  es  kann  uns  also  die  Ver- 
wendung dieses  Ausdruckes  für  die  Befragung  einer  Gott- 
heit durchaus  nicht  auffallen.  Daneben  kommen  vereinzelt 
auch  andere  Formeln  vor,  wie  Tfl.  38,  1  (der  Name  des 
Anfragenden  fehlt)  eQOvxai  nXeomai  tov  Jla  Kai  tclv 
Jicovar;  ebd.  ^.  4=^^  loToqel  NixoKQaTrjg;  oder  Gebetsformeln, 
theils  allein,  theils  in  Verbindung  mit  der  Anfrage;  vgl. 
Tfl.  38,  3:  ^yal^^"^  Tvxij]'^^07coxa  dva^  Zev  JSdie  -aal  zJiwvr] 
nal  Jojöovaioi  aiTsl  v(xäg  Kai  lAerevSL  JioyvrjTog  läQioro- 
fir^dov  ^&rjvalog  dovvai  iwrty  ycal  TÖlg  eavTOv  evvoig  ajtaoiv 
yiat  T^  (geschrieben  Tel)  (.itjtqI  Kleagszi^  (-xei)  y,al  .  .  . ; 
ferner  ebds.  N.  7    Zev  Naie  ....  iKsrevei  .  .  . ,    ebds.  N.  4 

.  .  .    '^Hqayi'keidag    ahel  tov    \Jia'] Tvyriv   dyaS^i^Vy 

worauf  dann  noch  eine  Anfrage  TtsQl  yeiverjg  (d.  i.  yeveag) 
folgt. 

Der  Inhalt  der  Anfragen,  soweit  er  sich  noch  aus  den 
oft  sehr  fragmentirten  Täfelchen  erkennen  lässt,  ist  natür- 
lich  ein   sehr    mannigfaltiger.     Da   begegnen  wir  zunächst 


12  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  J.  Juni  1878. 

Anfragen  von  Städten  und  Gemeinwesen:  die  Tarantiner 
(Tfl.  34,  1)  fragen  (negl)  Ttavzvyjag  —  ein  Wort,  das  zwar 
sonst  nicht  bekannt,  aber  dem  bekannten  navcoXex^Qia  ganz 
analog  ist  ^)  —  ;  die  Korkyräer  wollen  wissen,  welchem  Gott  oder 
Heros  sie  Opfer  und  Gebete  darbringen  sollen ,  um  des 
Segens  der  Eintracht  theilhaftig  zu  werden  (Tfl.  34,  4; 
ähnlich  N.  5) ;  eine  Gemeinde ,  deren  Namen  verloren  ge- 
gangen ist  (to  KOivdv  rcov  .  .  .  .)  fragt,  ob  es  räthlich  für 
sie  sei,  in  politische  Verbindung  {ov/LiTtohreia)  mit  den  Mo- 
lossern  zu  treten  (Tfl.  34,  2) ;  ein  Gemeinwesen  endlich, 
dessen  nicht  vollständig  erhaltener  Name  uns  gänzlich  un- 
bekannt ist,  Mov  .  .  d(^)iatav  x6  xotvov,  stellt  eine  An- 
frage, deren  Sinn  wir  nicht  mehr  enträthseln  können  (Tfl. 
34,  3^'^)  ^).  Von  Privatleuten  fragt  Eubandros  (ein  Mann, 
dessen  heimischer  Dialect  anlautendes  ^  in  g)  verwandelt, 
denn  er  schreibt  g)ecüv  und  q)vovTeg  für  d^Ewv  und  d^vovTsg) 
und  seine  Frau,  zu  welchem  Gotte  oder  Heros  oder  Dämon 
zu  beten  und  zu  opfern  ihnen  und  ihrem  ganzen  Hause 
für  jetzt  und  immerdar  erspriesslich  sein  werde  {Xioiov  Kai 
a(.ieiv6v  yia  TtQccaooiEv :  Tfl.  34,  3),  und  eine  ganz  ähnliche 
Frage,  welche  Götter  er  sich  in  Hinsicht  auf  seine  Gesund- 
heit und  sein  Vermögen  günstig  stimmen  solle,  thut  mit 
derselben  Formel  Xo)lov  ytal  ccfxeivov  nqaoooL  ^)  ein  Bewohner 
von  Ambrakia  (^f.ißQayiiaTrjg)^  dessen  Name  nicht  erhalten 
ist;  ein  gewisser  Sokrates  erkundigt  sich,  welches  Geschäft 

1)  Aus  dieser  Inschrift  lernen  wir  ra  als  tarantinische  Form  des 
Femin.  sing,  des  Artikels  kennen ;  denn  die  Buchstaben  Z.  2  All  TA 
TS2NTAPAN  können  nur  gelesen  und  ergänzt  werden  td  no^lug  rn  xtov 
TccQCCp[tiyci)y. 

2)  Verständlicb  ist  Z.  1  'EnLXOLyarac  Mov  .  .  Siaxccy  to  xoivov 
AI  N(i(o  xal  Ji(üv(^  (diese  vier  Worte  sind  über  der  Zeile  nachgetragen) 
n(Q  toy,  und  Z.  3  zi  xcci  ßsKriov  ^  {ei)  xixQrifxey:  in  Z.  2  ist  nur  ein- 
zelnes, wie  d-efÄiazoi  und  sorl  rd  S^efxt  .  .  lesbar. 

8)  Dass  diess  eine  stehende  Formel  bei  Befragung  des  Orakels 
war,  zeigt  auch  Xenoph.  de  redit.  6,  1. 


Bursian:  Die  ivissenschaftl.  Ergebnisse  d.  Ausgrabungen  i.Dodona.  13 

zu  treiben  für  ihn  selbst  und  sein  Geschlecht  vortheilhaft 
sei  (tI  xa  egya^of-ievog  Icoiov  y.al  af^ieirov  ttqccoooc  Tfl.  35,  2). 
Speciellerer  und  bestimmterer  Art  sind  folgende  Anfragen : 
ein  Ungenannter  will  wissen,  ob  er  sich  um  das  Bürgerrecht 
in  irgend  einer  Stadt  bewerben  soll  (Tfl.  35,  3),  ein  anderer, 
ob  es  vortheilhaft  und  sehr  nutzbringend  für  ihn  sei ,  sein 
Haus  in  der  Stadt  und  sein  Grundstück  (rdv  sttoXl  oi- 
xiav  Kai  ToxcoQiov^  wobei  die  Schreibung  ItcoXl  für  ev  tcoXl 
zu  bemerken  ist)  im  eigenen  Besitz  zu  behalten  (Tfl.  37,  1); 
Agis  fragt  wegen  der  ihm  verloren  gegangenen  Matratzen 
und  Kissen  {0TQ(x)(.iaTa  xat  TcqoQKecpaXaia)  ^  ob  sie  ihm  ein 
Auswärtiger  {twv  l'^co&sv  rig)  gestohlen  habe  (Tfl.  36,  1) ; 
Lysanias,  ob  etwa  das  Kind ,  welches  Annyla  ^)  unter  dem 
Herzen  trage,  nicht  von  ihm  sei  (Tfl.  36,  2);  ein  Unge- 
nannter, ob  die  Handelsgeschäfte,  welche  er  neben  seinem 
Handwerke  (a/na  ca  Ttyya  xQevfj.evog)  zu  treiben  beabsichtigt, 
erfolgreich  sein  werden  (Tfl.  37,  4);  ein  anderer,  ob  es  für 
ihn  vortheilhaft  sein  werde,  Schafzucht  zutreiben  (Tfl.  38,  1); 
Herakleidas  erkundigt  sich  in  Betreff  weiterer  Nachkommen- 
schaft (Tfl.  38,  4) ;  Amyntas  stellt  eine  nicht  mehr  verständ- 
liche Frage  in  Betreff  seines  Sohnes  (Tfl.  37,  8).  Um  das 
Verhältniss  zu  einer  Frau  handelt  es  sich  auf  einem  zu 
wiederholten  Malen  beschriebenen  Plättchen,  auf  welchem 
nur  wenige  Worte  sicher  zu  entziffern  sind  (Tfl.  37,  4  ^'^ 
wo  ich  Z.  2  f.  lese :  .  .  ti  aya&ov  zag  yvvaiKog  xavxag 
7taQaf^o[vL]jnov  .  .)  ;  um  eine  Schreibtafel  (jcivaKWv)  ,  welche 
beschrieben  und  versiegelt  werden  soll  {yqacpd^rif^iev  v.al  oa/navS^rj- 
l^ev)  auf  einem  andern,  von  welchem  nur  die  rechte  Hälfte 


1)  Karapanos  liest  Z.  5  f.  t6  ncaSaQiov  o  «v  NvXa  xvsi:  allein 
die  Partikel  äy  ist  in  diesem  Zusammenhange  ganz  unpassend  und  ein 
Name  Nv}.a  sehr  unwahrscheinlich;  ich  lese  also  o  'Ai^^vla  zvti*)  und 
halte  '^pi^vXcc  für  Diminutivform  des  fremdländischen  Namens  'Aypcc : 
eine  illyrische  Sklavin  "^ya  erscheint  auf  einer  delphischen  Inschrift  bei 
Wescher  u.  Foucart  Inscriptions  recueillies  ä  Delphes  n.  439. 

[*)  So  jetzt  auch  F.  Bücheier  im  Index  schol.  Bonn.  1878/79  p.  3.] 


14  Sitzung  der  philos.-philöl.  Classe  vom  1.  Juni  1878. 

erhalten  ist  (Tfl.  38,  2).  Im  Grossen  und  Ganzen  können 
wir  uns  nach  diesen  Proben  keine  hohe  Vorstellung  machen 
von  der  Wichtigkeit  der  Angelegenheiten,  für  welche  von 
Privatleuten  die  Dienste  des  Orakels  in  Anspruch  genommen 
wurden. 

Unsere  Kenntniss  der  Verfassungsverhältnisse 
von  Epirus  wird  erweitert  durch  eine  Anzahl  bei  der 
Ausgrabung  gefundenef  Inschriften  auf  Bronzetafeln,  welche 
theils  Ehrendecrete  (Verleihung  von  Proxenie,  Atelie  u.  dgl.) 
für  Einzelne  oder  eine  ganze  Gemeinde  (laut  der  Inschrift 
Tfl.  XXVIII,  2  wird  von  den  Molossern  den  Akragantinern 
auf  ihren  durch  drei  persönlich  erschienene  Abgeordnete, 
Hipposthenes,  Teich  er  mon  und  Selinis,  gestellten  Antrag  die 
Proxenie  verliehen),  theils  Urkunden  über  Freilassung  oder 
Verkauf  von  Sclaven  enthalten.  Wir  sehen  daraus,  dass 
Epirus  seit  dem  vierten  Jahrhundert  v.  Chr.  einen  Bundes- 
staat, eine  avfxinaxla  bildete,  an  deren  Spitze  die  Molosser 
standen.  So  lange  diese  von  Königen  beherrscht  wurden, 
wird  in  den  Urkunden  der  Name  des  Königs,  neben  dem- 
selben der  des  TtQooxaTag  der  Molosser  —  jedenfalls  eines 
jährlich  wechselnden  Beamten,  dessen  Namen  zur  Jahres- 
bezeichnung diente  —  und  bisweilen  noch  der  eines  ygafi/xa- 
T£vg  genannt.  So  verleihen  laut  der  Urkunde  Tfl.  XXVII,  1 
o\  oviAfxaxoL  Tiov  ^^TTEiQcoTav  dem  Kleomachos  vom  Stamme 
der  Atintanes  (die  also  nicht  zum  epeirotischen  Bunde  ge- 
hörten) die  drslsia  und,  wie  am  Schlüsse  der  Urkunde  noch 
nachgetragen  ist ,    die  evTsXeia  ^)    snl  ßaodeog  NeoTtrolsfxov 


1)  Die  Bedeutung  dieses  Ausdruckes,  der  auch  in  dem  Ehrendecret 
für  G.  Dazupos  Rennios  (Karapanos  p.  114)  Z.  11  neben  ari^fia,  aacpd- 
Xficc  !toXE(A,ov  xal  siQayag  und  yccg  xccl  ohiuq  eyxTaaig  wiederkehrt, 
ist  unklar:  E.  Egger  im  Annexe  B  zu  Karapanos'  Werk  p.  200  ver- 
muthet,  dass  er  die  Fähigkeit  zur  Bekleidung  obrigkeitlicher  Aemter 
bezeichne.  Ich  glaube ,  dass  cheXeicc  und  ivri'keia  zusammen  etwa  den 
Begriff  der  attischen  laorsXeicc  ausdrücken :  Freiheit  von  den  Abgaben 
und  Lasten ,  welche  die  Fremden ,  Verpflichtung  zu  denen ,  welche  die 
Bürger  zu  tragen  haben. 


Burdan .  Die  ivissenschaftl.  Ergebnisse  d.  Ausgrabungen  i.  Dodona.  1 5 

^AXe^dvÖQOv  (wahrscheinlicli ,  wie  schon  Karapanos  p.  49 
bemerkt  hat,  des  von  Pyrrhos  im  Jahre  295  v.  Chr.  ge- 
tödteten  Neoptolemos) ,  enl  nqooxa  (sie,  statt  nqoGraTa) 
Mqyia  MoXoGöcov.  Die  Urkunde,  durch  welche  einem  ge- 
wissen Kteson  als  etsQyhag  das  Bürgerrecht  {TtolsLTela) 
verliehen  wird  (Tfl.  XXVII,  3),  beginnt  mit  der  Formel: 
[ßaGiXevovIzog  [^^Xje^avÖQOv  ^)  87i;\_l  TtqooTaTa  M]o'ko\öö(x)v^ 
^Qio[To]fiaxov  ^Oi^cpa[Xeog  ^)  S7tl  yQa/,i]fxaTeo\_g  d]e  Meve- 
ddfxov  .  .  .  [sS]o^£  T[ä]L  8Kh]0ia  [sie]  ^cov  [MoIogöcüvI. 
In  den  jüngeren  Inschriften  erscheint  dann  an  der  Spitze 
der  Molosser  regelmässig  der  TVQOGTazag ,  an  der  Spitze  der 
von  der  Gesammtheit  der  Epeiroten  erlassenen  Decrete  oder 
auch  der  Privatnrkunden  der  Gxqa%ayog  der  Apeirotä  (Formel 
GTQaxayovvTog  ^.jvELQtoTav) ;  neben  diesem  erscheint  in  der 
einzigen  vollständig  erhaltenen  öffentlichen  Urkunde  der 
Apeiroten,  die  wir  besitzen,  dem  schon  erwähnten  Ehren- 
decret  für  Gaios  Dazupos  Rennios  aus  Brundusium  (Karapanos 
p.  114),  das  trotz  der  runden  Formen  der  Buchstaben  6 
und  C  wegen  des  aus  Polybius  (XXVII,  13  und  XXX,  7) 
und  Livius  (XLV,  26)  als  Zeitgenoss  des  Königs  Perses  von 
Makedonien  bekannten  Strategen  xintinoos  dem  ersten  Drittel 


1)  Karapanos  p.  51  hält  diesen  Alexander,  dessen  Name  in  einer 
verstümmelten  Inschrift  (Tfl.  XXXII,  5)  wiederkehrt,  für  Alexander  II , 
den  Sohn  des  Pyrrhos  und  der  Lanassa,  weil  er  unsere  Inschrift  als 
jünger  ansieht,  als  die  des  Neoptolemos,  Sohnes  des  Alexandros  (Tfl.  XXVII, 
1):  doch  scheint  mir  die  relative  Altersbestimmung  der  beiden  Inschriften 
schon  wegen  der  verschiedenen  Technik  (N.  1  ist  punktirt,  N.  3  ein- 
gravirt)  sehr  zweifelhaft. 

2)  So,  nicht  'O^qpaXoj;  mit  Karapanos,  schreibe  ich,  indem  ich  das 
Wort  für  ein  Ethnikon  halte,  wegen  des  OM^JytEI  {0^(fC('keig)  in  der 
Inschrift  Tfl.  XXXI,  2:  eine  epeirotische  Ortschaft  'O/u^ahoy  führt 
Ptolem.  III,  14,  7  auf,  allerdings  unter  den  Ortschaften  der  Xdoyeg, 
aber  da  er  dieselbe  ausdrücklich  zu  den  noXtcg  /xecoyeioi  rechnet  und 
die  Molosser  überhaupt  nicht  mehr  kennt,  kann  die  Ortschaft  recht 
wohl  ursprünglich  molossisch  gewesen  sein. 


16  Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  1.  Juni  1878. 

des  zweiten  Jahrhunderts  vor  unserer  Zeitrechnung  (um 
170  V.  Chr.)  angehören  rauss,  der  Sekretär  des  Bundesrathes, 
der  ovveÖQOi.  Die  Formel  lautet  dort  vollständig  so :  l4yad^a 
ivia.  ^TQaTayovvTog  ^TtEiqioTav  l4vTiv6ov  KXad^LCctov  ^), 
yQajUf^aTEvovzog  öe  awsSgoig  Jo'/.i^ov  rov  Keg)aXLvov  To- 
QvSalov  2),  FafiiXlov  sjußovvlfiaig  s/,tl  Kai  sly,ddL :  in  den 
letzten  Worten  ist  offenbar  das  Datum  nach  dem  Monats- 
tage enthalten;  FaiiiXiov  ist  verschrieben  für  raf.irjXlov 
(wodurch  wir  aus  dem  bisher  ganz  unbekannten  epeirotischen 
Kalender  wenigstens  einen  Monat,  den  ra(.ir^XLog .,  dessen 
Name  dem  attischen  TaiiriKidiv  analog  ist,  kennen  lernen) 
wie  gleich  t^xi  für  c'xti^:  das  zwischen  dem  Monatsnamen 
und  den  Zahlwörtern  stehende  siußovvlfAaig  kann  kaum 
etwas  anderes  sein ,  als  eine  dialektische  Nebenform  für 
siißoXi^OLg  (sc.  iqfisQaig).  Auf  das  Monatsdatum  folgt  in 
der  Inschrift  der  Name  yivwv  EvqojTtiog  ^)  mit  vorausgehen- 
dem y^,  was  sonst  aus  Inschriften  als  Sigle  für  fcqeoßvg 
oder  TtQeaßvTEQog  bekannt  ist,  hier  aber  von  Karapanos 
gewiss  richtig  als  Sigle  für  7tQ0GTaTi]g  (TtQOGTccTag)  auf- 
gefasst  wird.  Ganz  ähnlich  sind  der  Strateg  der  Epeiroten 
und  der  Prostates  der  Molosser  neben  einander  aufgeführt 
in  der  einleitenden  Formel  einer  Freilassungsurkunde 
(Tfl.  XXX,  5):  l4ya&a  Tvya  .  ^TQarayovvtog  l4/t£iQ(x)Täv 
ylvoavia  KagcoTtov  TtqoooTarEvovTog  (sie)  MoXooocov  £/£- 
Aao[t;]  UaQCüQOv.  Der  hier  als  Strateg  genannte  Lysanias 
ist  wohl  identisch  mit  demjenigen,  der  in  dem  Ehrendecret 

1)  Das  ist  wohl  nicht  der  Name  des  Vaters  des  Antinoos,  sondern 
ein  Ethnikon  von  einer  epeirotischen  Ortschaft  KkaSla. 

2)  ToQvScclos  kann  hier  nur  als  Ethnikon  aufgefasst  werden  : 
ist  vielleicht  ToQv^ri  eine  Nebenform  des  bekannten  epeirotischen  Orts- 
namens Togvpt}?  (vgl.  meine  Geographie  von  Griechenland  I,  S.  28.) 

3)  Auch  dies  kann  ich  nur  für  ein  Ethnikon  von  einer  sonst  un- 
bekannten epeirotischen  Ortschaft  EvQwiog  halten  ,  das  auch  in  einer 
fragmentirten  Freilassungsurkunde  (Tfl.  31,  1,  Z.  9)  als  EvQ(j67ii\og\ 
wiederkehrt. 


Bursian :  Die  wissenschaftl.  l^rgebnisse  d.  Ausgrabungen  i.  Dodona.   1 7 

für  G.  Dazupos  Rennios  als  Antragsteller  auftritt.  Wir 
lesen  nämlich  dort  Z.  5  f. :  Ttod-oöcüf-ia  yqaxpafxevov  Avoa- 
^ia  Tov  NiKoXaov  KagicoTtov  Tteql  TTQO^evlag  u.  s.  w.,  wobei 
das  Epitheton  KaQiujtoq  oder  KagcoTcog  wohl  ebenso, 
wie  das  dem  Echelaos  gegebene  ndQcoQog  (vgl.  IlaQajQaia 
als  Name  eines  epeirotischen  Districts  in  der  Nähe  des 
Tymphegebirges  bei  Strabon  VII  p.  325)  als  Ethnikon 
aufzufassen  ist.  Die  Ehreninschrift  für  G.  Dazupos  Rennios^) 
liefert  uns  endlich  auch  ausser  dem  schon  oben  S.  14,  Anm.  1 
besprochenen  Worte  evieXeia  ein  zweites  bisher  unbekanntes 
Wort :  Ttod^odwfiaf  dorisch  für  TtQogoöco^a ,  im  Sinne  von 
"^Antrag'  (eigentlich  'Auftreten  vor  einer  Versammlung  um 
einen  Antrag  zu  stellen') ,  also  dem  gemeingriechischen 
7i:Qogodog^  dorisch  Ttod^oöog^  entsprechend :  noS^odcofxa  yqaxpao- 
^ai  ist  offenbar  die  epeirotische  Form  für  das  aus  Schrift- 
stellern und  Inschriften  bekannte  tcqoooSov  {jtod^oöov)  yqaipaö- 
d^ai  oder  TVOieiod^ai  (vgl.  W.  Vischer,  Epigraphische  und 
archäologische  Beiträge  aus  Griechenland  S.  13  f.).  Dieselbe 
Formel  ist  mit  Sicherheit  herzustellen  in  der  fragmentirten 
Inschrift  Tfl.  XXIX,  2,  welche  ein  unter  demselben  Strategen 
Antinoos  ^)  erlassenes  Dekret  der  Epeiroten  in  Betreff  der 
Verleihung  des  Bürgerrechts  an  einen  Achäer  Damarchos, 
Sohn  des  Dameas ,  enthält:  [^Tq\aTayo\yvTog  liTt^i^o) 
\Täv  l4^vTivoo\y  Kla&id]  tov  Aa  ....  OTtw  ,  [-^  TlaQ- 
f.ie]vioyiog    Js^üvö^qov    Jlo&oö^cofxa^)     yQaipa[ix£vov     no\€i 

1)  Der  römische  Gentilnaine  dieses  Mannes  erinnert  an  C.  Renius, 
der  als  Münzmeister  auf  einem  der  Emission  um  550  —  600  d.  St.  an- 
gehörigen  römischen  Denar  (N.  95  des  Mommsen'schen  Verzeichnisses) 
erscheint.  Das  dem  Gentilnaraen  seltsamer  Weise  vorausgehende  Co- 
gnomen  Ju^ovnog  scheint  auf  illyrischen  Ursprung  hinzuweisen:  vgl. 
Jä^iog  auf  einer  Münze  von  Dyrrachion  bei  Mionnet  Supplement  III,  334. 

2)  Derselbe  Mann  scheint  auch  unter  den  Zeugen  in  einer  frag- 
mentirten Freilassungsurkunde  vorzukommen,  Tfl.  33, 14,  wo  noch  i^ccqtv- 
(i£g  .  .  .  'Apxivov x'keiTog  lesbar  sind. 

3)  &LX(xi(ofj,cc  ergänzt  Karapanos  p.  53,  gewiss  irrig. 
[1878  I.  Philos.-philol.-hist.  Gl.  Bd.  II.  1.]  2 


18  Sitzung  der  pkilos -philol.  Classe  vom  1.  Juni  187 S. 

Tccv  exicXlrjoliav  \_/Ja^ccQx}ov  tov  Jai.it\a\  l4%ai[ov  y.al  al] 
toviäIvov  7toXLT£\_lav  £(5o]^£  To7g  l47veiQioTaig  [7toXlTa]v  ei- 
(.lev  lJ]dfxaQxov  J\aiiea  ^4xccid]v   Kall]    OfAOiov   roTg   [aXloig 

Die  Freilassungsurkunden  (Tfl.  XXX  ff.)  geben  in  der 
Regel  nach  Nennung  des  jtQOGrdtag  Molooawv  oder  des 
GTQatayog  ^47reiQcoTav  die  Namen  der  freigelassenen  Sclaven 
und  des  Freilassers  oder  der  Freilasser  mit  der  Formel 
dq)LrjTi  (a^ijfxc,  dcpievti)  eXevSEQOv  [sXsv^eqav^  sXevd'eQOvg)^ 
bisweilen  mit  dem  ausdrücklichen  Zusatz,  dass  dies  auch 
für  die  Nachkommen  der  Freigelassenen  gelten  solle  (vgl. 
Tfl.  30,  2;  Tfl.  31,  3),  sodann  die  Namen  mehrerer  Zeugen 
(fxccQTvQeg).  Ebenso  sind  eine  Anzahl  Zeugen  aufgeführt 
in  der  Urkunde  über  den  durch  eine  Frau  Matydika  für 
eine  Mine  Silbers  vollzogenen  Kauf  {l^enQiaTÖ)  des  Sklaven 
Polyxenos  von  der  Damoxena  (Tfl.  29,  3),  sowie  in  einer 
Urkunde,  welche  sich  auf  die  Freilassung  eines  gewissen 
Trypon  durch  gerichtlichen  Spruch  zu  beziehen  scheint 
(Tfl.  27,  2)^).  Den  Namen  dieser  Zeugen  sind  öfter  die 
Namen  der  Städte  oder  Gemeinden,  denen  sie  angehören, 
beigeschrieben,  so  dass  wir  aus  diesen  wie  auch  aus  mehreren 
der  früher  besprochenen  Inschriften  Bereicherungen  unserer 
Kenntnisse  epeirotischer  Ortsnamen  (mehr  ist  bei  dem  tiefen 
Dunkel,  das  noch  über  der  Topographie  des  grössten  Theiles 
von  Epeiros  ruht,  nicht  za  sagen)  gewinnen.  Wir  wollen 
im  Folgenden  diesen  topographischen  Gewinn  übersicht- 
lich zusammenstellen. 

In  derUrkuüde  für  Trypon,  Tfl.  27,  2,  wird  unter  den 
jua^rt'^cgMoAoaawj' neben  sechs  Dodonäern  ein  siebenter  Namens 


1)  Vgl.  die  eingehende  Erörterung  dieser  Urkunde  durch  E.  Egger 
im  Annexe  B  S.  201  flf.,  die  freilich  noch  vieles  zweifelhafte  übrig 
lässt.  Ich  bemerke  nur  zu  dem  von  Egger  Z.  1  f.  ergänzten  ^api[xa 
XQ\iasi,  dass  auf  der  Inschrift  Tfl.  32  n.  4  die  Buchstaben  SENIKMAYUI 
jedenfalls  ievix^  Ivai  zu  lesen  und  Tfl.  32,  n.  1  die  Buchstaben  lAYIEl 
zu  der  gleichen  Formel  (^«vtx^  "kvaei)  zu  ergänzen  sind. 


Bursian :  Die  ivissenschäftl.  Ergebnisse  d.  Ausgrabungen  i.  Dodona,     1 9 

Kqaivvg  genannt ,  welchem  das  Ethnikon  0oivaTog  beige- 
schrieben ist  und  dasselbe  Ethnikon  kehrt  im  Plural  Ooivaroi 
wieder  am  Schluss  der  Urkunde  über  den  Verkauf  des  Poly- 
xenos  (Tfl.  29,  3),  jedenfalls  als  nachträgliche  Angabe  der 
Gemeindeangehörigkeit  der  darin  genannten  Zeugen :  es  gab 
also  im  Gebiete  der  Molosser  eine  Ortschaft  (Gemeinde) 
OoLvcLTOL.  Nach  den  Molossern  werden  dann  in  der  Urkunde 
für  Trypon  eine  Anzahl  Thesprotier  {QPE^R^TQN  Tfl.  27, 
2,  Z.  8,  aber  in  einem  Bruchstück  einer  jüngeren  Inschrift 
Tfl.  32,  3,  Z.  3,  findet  sich  die  gewöhnliche  Schreibung 
06CTTP(jl)T  .  .)  ebenfalls  mit  Beifügung  ihrer  Heimaths- 
gemeinden  genannt:  ein  ^aQioalog^  also  Bürger  eines  bis- 
her völlig  unbekannten  thesprotischen  Larisa,  ein^EXeolog 
d.  h.  aus  der  am  jetzigen  Hafen  Phanari  gelegenen  Stadt 
Ble'a^),  und  zwei  Tiaioi  aus  einer  bisher  unbekannten 
thesprotischen  Ortschaft  Tia.  Ein  unzweifelhaftes  Ethni- 
kon haben  wir  ferner  in  der  Freilassungsurkunde  Tfl.  30,  4, 
wo  der  Freilasser  Nikandros,  der  Sohn  des  Aneroitas  als 
Talaiav^  die  vier  zuerst  genannten  Zeugen  als  TaXaiaveg 
bezeichnet  werden :  ob  wir  in  dem  Namen,  der  denen  der 
^TivTccvegy  Lid^a^avegy  ^IvLccveg,  EvQvräveg  und  anderer, 
die  Meineke  ad  Stephan.  Byz.  p.  669,  15  zusammengestellt 
hat,  ganz  analog  gebildet  ist,  die  einheimische  Benennung 
des  von  Strabon  IX,  p.  434  als  MoIottikov  cpvlov  bezeich- 
neten Stammes  der  TdlaQsg  zu  erkennen  haben,  wie  Kara- 
panos  p.  59  vermuthet,  muss  ich  dahin  gestellt  sein  lassen. 
Der  in  derselben  Urkunde  an  letzter  Stelle  aufgeführte 
Zeuge  Boiskos,  der  Sohn  des  Nikandros,  trägt  das  gänzlich 
unbekannte  und  auch  seiner  Bildung  nach  sehr  zweifelhafte 
Ethnikon  ^Oftovog ,  das  auf  einen  dem  lokrischen  Opus  ähn- 

1)  Vgl.  meine  Geographie  von  Griechenland  Bd.  I,  S.  28  f.  und 
Julius  Friedländer  'Elea  in  Epirus'  in  den  Berliner  Blättern  für  Münz-, 
Siegel-  und  Wappenkunde  IV,  S.  36  f.  Der  Name,  welchen  dieser 
Eleäer  führt,  ist  gewiss  nicht  mit  Karapanos  p.  50  nenxva(Jos,  sondern 
neiafS^os  (für  TlEiaav&Qog)  zu  lesen. 


20  Sitzung  der  philos.-philoh  Classe  i^om  1.  Juni  1878. 

liehen  Ortsnamen  hinweist.  Die  vier  Zeugen  der  Preilassungs- 
urkunde  des  Andromeues  (Tfl  30,  5)  sind  als  KoItioIol^ 
Bewohner  einer  Ortschaft  KoXnaL  oder  RoXrcrj  (vgl.  ^'OXTiai 
oder  ^'Oln:if]  im  Gebiet  der  Amphilocher),  der  Freilasser  An- 
tibolos ,  Sohn  des  Nikanor  (der  zur  Motivirung  der  Frei- 
lassung ausdrücklich  bemerkt,  dass  er  kinderlos  sei,  arey.vog 
wV),  als  JoeaoTog  (vgl.  die  makedonischen  Stammnamen 
JieOTai  und  ^Ogiorai)  bezeichnet.  In  der  Urkunde  Tfl.  31,  2 
erscheinen  neben  den  schon  oben  S.  15,  Anm.  2  besprochenen 
^O/AipaXelg  auch  Xi^wlioi^  Bewohner  einer  Ortschaft  Xl/.ia)Xog. 
Der  iu  mehreren  Urkunden  (Tfl.  30, 1 ;  Tfl.  32, 1;  Tfl.  33,  1) 
vorkommende  Name  KiXaid^og  (einmal  Tfl.  33,  1,  Z.  5 
KlXai&og  geschrieben)  ist  durch  Stephanos  Byz.  u.  KeXaiO^oi 
aus  Rhianos  als  Name  eines  an  der  thessalischen  Gränze 
wohnenden  thesprotischeu  Stammes  bekannt.  Auch  das  in 
der  Urkunde  Tfl.  30, 1  neben  zwei  Personennamen  erscheinende 
'^On'kaivog  ist  wohl  als  Ethnikon,  nicht  als  Genetiv  eines 
Personennamens  aufzufassen  (vgl.  die  epeirotischen  Stamm- 
namen liQyvqivot  und  JwveTTlvoi  bei  Steph.  Byz.  s.  vv.), 
die  ebendaselbst,  Z.  9,  neben  dem  Namen  ^Ealoyoqog  (d.  i. 
^Eod^ldyoQog:  vgl.  die  Schreibung  ealog  für  io&Xog  in  der 
Inschrift  aus  Olympia,  Archäol.  Zeitung  1876,  Tfl.  6,  N.  2, 
Z.  3)  stehenden  Buchstaben  BATE^^l  sind  vielleicht 
Barealog  (von  der  kassopischen  Ortschaft  Barlai :  Strab. 
VII,  p.  324)  zu  lesen.  Von  den  Ethnika  EvQCJTtiog^ 
KXad^idrrjg ,  KaQlio/iog ,  üaQWQog  und  ToQvdaiog  ist  schon 
oben  S.  16  f.  gelegentlich  die  Rede  gewesen.  Endlich  kommt, 
um  nichts  in  das  geographische  Gebiet  gehöriges  zu  über- 
gehen, in  einer  auf  zwei  Füsse  eines  Dreifusses  vertheilten 
Weihinschrift  (Tfl.  23,  ^  und  4)  eine  gänzlich  unbekannte 
Stadt  der  L  e  c  h  o  i  e  r  {jtoXeg  ^excoliov)^  in  einer  fragmen- 
tirten  Anfrage  an  das  Orakel  (Tfl.  35,   1)  : 

rj  eig  ^Ellvav  neqieXo  .  .  . 

rj  eig  L4vay.T6qiov  .... 

rl   7l(x)X0VVTEg    TOV    ,    .    . 


Bursian :  Die  wissenschaftl.  Ergebnisse  d.  Ausgrabungen  i.  Dodona.     2 1 

neben  der  bekannten  akarnanischen  Stadt  Anaktorion  eine 
Ortschaft  Elina  vor,  die  wir  als  den  Wohnsitz  des  von 
Steph.  Byz.  u.  ^'EXivoi  aus  Rhianos'  Thessalika  bezeugten 
thesprotischen  Stammes  der  Eliner  zu  betrachten  haben. 

Unter  den  Weihinschriften  nimmt  die  zum  Anheften 
an  ein  von  dem  Zakynthier  Agathon,  dem  Sohne  des  Eche- 
pliylos  und  seiner  Sippe  gestiftetes  Weihgeschenk  bestimmte, 
oben  am  Giebel  und  den  Giebelecken  mit  drei  Akroterien 
bekrönte,  unten  mit  einem  Phallos  als  Amulet  zum  Schutze 
des  Weihgeschenkes  *)  versehene  Bronzetafel  (Tfl.  XXVIf) 
nach  Inhalt  und  Form  ein  besonderes  Interesse  in  Anspruch. 
Die  Form  der  Weihinschrift  ist,  wie  zuerst  mein  College 
Christ  bemerkt  hat,  wenigstens  zum  grösseren  Theil  metrisch: 
nach  der  einleitenden  Formel  Qeog  Tv^a  finden  wir  zwei 
anapästische  Dimeter,  eine  anapästische  Tripodie  und  einen 
Versus  ithyphallicus : 

Ztv  Jwd(jüvr]g  fxediwv  2),  toöe  001 

dwQOv  /cifÄTtco  Ttag'  €f.iov  !Ayccd^o)v 

^ExBffvXov  y,al  yeveaj 

Tcqo^evoi  Molooowv^ 
das  Folgende  hat  zwar  auch  durchaus  rhythmischen  Klang, 
fügt  sich  aber  nicht  in  eine  bestimmte  metrische  Form: 
Y,al  ovfXjLidxcov,  iv  TQiaKOvza  yevealg  £z  Tqcoiag  Kaooavögag 
yereccy  ZaKvvd-ioi.  Die  letzteren  Worte  kann  ich  nur  so 
auffassen ,  dass  Agathon  sich  und  die  Seinigen  als  Nach- 
kommen der  troischen  Kassandra  im  30.  Gliede  —  inner- 
halb eines  Zeitraumes  von  30  yeveal  —  bezeichnet.  Dies 
giebt  nach  der  gewöhnlichen  griechischen  Ansetzung  von 
drei  Menschenaltern  als  gleich  einem  Jahrhundert  *)  einen 
Zeitraum  von  1000  Jahren :  da  wir  aber  nicht  wissen  können, 
welchem    von    den    verschiedenen  Ansätzen   der   Zerstörung 


1)  Vgl.  0.  Jahn   über  den  Aberglauben  des   bösen  Blicks  bei  den 
Alten  in  den  Berichten  der  k.  sächs.  Ges.  d.  Wiss.  1855,  S.  68  ff. 

2)  Aus  II.  n  233  f. 

3)  Herod.  II,    142:  yey^ai  yccQ  tgelg  ät^Sgooy  ixaxov   heä   eatiy. 


22  Sitzung  der  philos.-philol.  ülasse  vom  1.  Juni  1878. 

Troia's  ^ )  der  Verfasser  unserer  Inschrift  gefolgt  ist,  so  lässt 
sich  auch  das  Datum  dieser  nicht  mit  Sicherheit  bestimmen, 
sondern  schwankt  zwischen  334  und  184  v.  Chr.  —  Dass 
Kassandra  dem  Agamemnon,  dem  sie  bei  der  Vertheilung 
der  troischen  Beute  zugefallen  ,  Zwillingssöhne ,  Teledamos 
und  Pelops  mit  Namen  ,  geboren  habe ,  ist  als  argivische 
Ueberlieferung  aus  Paus.  II,  16,  6  bekannt,  aber  mit  dem 
Zusätze,  dass  Aegisthos  diese  Zwillige  im  Kindesalter  er- 
mordet habe ;  aus  unserer  Inschrift  ergiebt  sich ,  dass  es 
auch  eine  andere  Tradition  gab,  nach  welcher  ein  Sohn  der 
Kassandra  das  Geschlecht  derselben  fortgepflanzt  haben 
sollte:  dass  gerade  eine  zakynthische  Familie  sich  der  Ab- 
stammung von  Kassandra  rühmt,  hängt  wohl  mit  der  Ueber- 
lieferung von  einer  Colonisation  der  Insel  Zakynthos  durch 
peloponnesische    Achäer    (Thukyd.  II,    66)    zusammen. 

Zu  einem  Weihgeschenke  für  einen  leider  nicht  näher  zu 
bestimmenden  Seesieg  gehörte  das  Bruchstück  einer  in  voreu- 
klideischen  Buchstaben  geschriebenen  Inschrift  (Tfl.  26,  2) : 
eoiov.  vavi^axlcc':  viKT^Gavteg:  a[v€d^rj/,av :  die  Buchstaben 
eoiov  sind  vielleicht  ein  Rest  von  artd  IleXoTtovvrjGlojv ;  über 
den  Namen  der  Sieger  wage  ich  keine  Vermuthung  ^). 

Als  sonstige  Dedicatoren  finden  wir,  ausser  den  schon 

Egger,  der  im  Annexe  B  zu  Karapanos'  Werk  p.  196  ss.  über  diese  In- 
schrift gehandelt  hat,  rechnet  die  yii^fcc  nur  zu  30  Jahren,  kommt  also 
auf  900  Jahr  und  indem  er  als  'date  classique'  für  die  Einnahme  Troia's 
1270  V.  Chr.  annimmt,  auf  das  Jahr  370  v.  Chr.,  ein  Ansatz  der  nach 
meiner  Ansicht  etwa  100  Jahre  zu  früh  ist. 

1)  Vgl.  über  dieselben  C.  Müller  in  den  Fragraenta  historicorum 
Graecorum  I,  p.  571  s. 

2)  Nachträglich  ersehe  ich  aus  einer  Mittheilung  von  A.  R.  Rfangabis) 
in  der  athenischen  Zeitschrift  na(jvccffa6g  T.  II,  Heft  5  S.  399  f.,  dass 
das  Berliner  Museum  einen  angeblich  aus  Dodona  stammenden  Bronze- 
streifen besitzt,  welcher  in  denen  unserer  Inschrift  genau  entsprechenden 
Buchstaben  die  Worte  ^Adrivaloi  ix  TleXonov...  enthält,  also  jedenfalls 
den  Anfang  unserer  Inschrift  (welche  R.  auf  den  Seesieg  bei  Kekryphaleia 
Ol.  80,  3  bezieht)  bildet. 


Bursian :  Die  ivissenschaftl.  Ergebnisse  d.  Altsgrabungen  i.  Dodona       23 

gelegentlich  erwähnten  (der  Stadt  der  Lechoier,  dem  Rha- 
psoden Terpsikles  und  dem  Ophelion),  die  Tlaleig  (Tfl.  24,  6), 
d.  i.  die  Bewohner  der  Stadt  Pale  auf  Kephallenia  (vgl. 
meine  Geographie  von  Griechenland  Bd.  II,  S.  377),  einen 
Leukadier  Philokleidas  (Tfl.  23,  1)  *),  einen  Athener  Philinos 
(Tfl.  24,  3) ;  ferner  folgende  Männer,  deren  Heimath  nicht 
angegeben  ist :  Sotäros  {^wraiqog  Tfl.  23,  5,  wohl  abgekürzte 
Form  für  ^ScoohaiQog) ;  Dorobios,  welcher  das  von  Diopeithes 
(JwTte^rjg)  Gelobte  darbringt  (Tfl.  23,  6);  Autagathidas 
und  Autokratidas ,  welche  gemeinschaftlich  dem  Zeus  eine 
kleine  Bronzeschale  geweiht  haben  (Tfl.  24,  4) ;  Bemäos,  der 
Sohn  des  Phylleus  (Brji^ialog  (DvlUog  Tfl.  24,  b^'f) ;  Glaukon 
(Tfl.  25,  3);  endlich  eine  Dame,  Polyxena,  welche  in  der 
Inschrift  ihres  Weihgeschenkes,  eines  Bronzespiegels  (Tfl.  25, 1), 
ausdrücklich  bemerkt,  dass  sie  auch  Geld  dargebracht  habe  ^). 
Was  endlich  die  Ausbeute  an  Erzeugnissen  der  plasti- 
schen Kunst  und  des  Kunsthandwerkes  betrifft,  so  ist  zu- 
nächst zu  bemerken,  dass  sich  bei  den  Ausgrabungen  gar 
keine  Bruchstücke  von  bemalten  Vasen  gefunden  zu  haben 
scheinen :  unter  den  abgebildeten  Stücken  haben  wir  neben 
einer  kleinen  Herme  des  bärtigen  Dionysos  (Tfl.  61  n.  4) 
und  zwei  hübschen  Köpfchen  von  Statuetten  aus  Terracotta 
(ebds.  n.  7  und  9)  nur  eine  Thonlampe  mit  einem  Silens- 
kopfe   in   Relief  (ebds.  n.   1)    und    einige  Bruchstücke    von 


1)  Die  um  den  Hals  einer  Bronzevase  herumlaufende  Inschrift 
4>1A0KAEJA0JAM0^1A0Y  AEYKAJIOI/flNAlOl  lese  ich  ^doxXt[i]- 
<5«[f]  0   JccfÄO<fi^ov  Aevxadios  Je  Nccuo. 

2)  Die  Inschrift  lautet:  JloXv'^iycc  TAVEN  avtld-riii  rw  [ro<]  Ji 
xcci  x(jiijfM,aTa.  Karapanos ,  p.  45,  fasst  TALEN  als  tdye  mit  euphoni- 
schem v,  was  mir  einfach  unmöglich  scheint;  er  fügt  selbst  hinzu: 
On  pourrait  pourtant  y  lire  tayev  pour  rayiqy  ==  xaxd  StaTayrji', 
comrae  evxw  pour  xar'  evxijp\  Ich  fasse  TayiP'  als  Neutrum  Participii 
Aoristi  Passivi  und  ergänze  dazu  die  Benennung  des  Weihgeschenkes 
To  xdtonxQov:  Polyxena  weiht  dem  Zeus  (diesen  Spiegel)  als  ein  ihr 
vorgeschriebenes  (Weihgeschenk). 


24  Sitzung  der  phüos.-pliilol.  Classe  vom  L  Juni  1878. 

mit  Relief  verzierten  Thongefässen  (ebds.  n.  3,  5  und  8) 
bemerkt;  im  Text  erwähnt  Karapanos  (p.  112)  vier  kleine 
Lekythen  von  verschiedener  Grösse  von  gewöhnlicher  Arbeit, 
zahlreiche  Stücke  gemeiner  Thonwaare  (de  poterie  ordiuaire) 
und  mehrere  Fragmente  von  werthvolleren  Stücken  (de  pieces 
plus  precieuses) ,  die  aber  so  klein  gewesen  seien ,  dass  es 
ihm  nicht  gelungen  sei,  mehrere  zu  einem  Gefäss  von  irgend 
einer  bestimmten  Form  zu  vereinigen.  Einen  willkommenen 
Ersatz  für  diesen  Mangel  geben  die  zahlreichen  Bronze- 
gefässe  und  Bro  n  zegeräthschaften,  über  deren  Formen 
und  Bestimmung  ich  auf  die  sachkundigen  Bemerkungen 
des  Herrn  Leon  Heuzey  im  Annexe  C  zu  Karapanos'  Werke 
(p.  215  SS.)  verweise.  Auch  auf  die  in  künstlerischer  Hin- 
sicht noch  weit  werthvolleren  Bronzestatuetten  und 
Brouzereliefs,  welche  auf  den  Tafeln  IX  —  XX  abge- 
bildet sind,  brauche  ich  nicht  näher  einzugehen,  da  sie  von 
einem  so  trefflichen  Kenner  wie  J.  de  Witte  im  Annexe  A 
(p.  177  SS.  des  Werkes  von  Karapanos)  in  eingehender 
Weise  behandelt  worden  sind ;  ich  begnüge  mich  daher, 
einige  in  Hinsicht  des  Stils  oder  des  dargestellten  Gegen- 
standes besonders  interessante  Stücke  kurz  zu  erwähnen. 
Unter  den  Werken  der  acht  archaischen  Kunst  sind  hervor- 
zuheben :  die  20  Centim.  hohe  Statuette  eines  bärtigen 
Satyrs  mit  Pferdefüssen  und  Pferdeschweif,  welcher  die 
rechte  Hand  an  die  Hüfte  legend,  die  liuke  erhebend,  den 
Kopf  etwas  nach  links  neigend  tanzt  (Tfl.  IX,  schon  früher 
publicirt  von  de  Witte  in  der  Gazette  archeologique  1877, 
pl.  20).  —  12  Centim.  hohe  Statuette  einer  Flötenspielerin, 
die  mit  enganliegendem,  die  Oberarme  und  die  Füsse  bis 
über  die  Knöchel  herab  bedeckendem,  unter  der  Brust  ge- 
gürtetem Gewände  bekleidet,  mit  vorgestreckten  Händen 
die  Doppelflöte  spielt :  um  den  Mund  trägt  sie  die  im  Nacken 
unter  den  langhinabfallenden  durch  ein  Band  zusammenge- 
haltenen  Haaren    gebundene,    durch    ein   über  den  Scheitel 


Bursian :  Die  wissenschaftl.  Ergebnisse  d.  Ausgrabungen  i.  Dodona.     25 

hinweggehendes  Band  befestigte  Mundbinde  (cpoQßela) ;  über 
ihre  linke  Schulter  hängt  an  einem  Bande  das  aus  Holz 
oder  starkem  Leder  gearbeitete  Flöten futteral  (avßrjvrjy 
avXodoxTj),  wie  wir  dasselbe  aus  zahlreichen  Darstellungen 
auf  Vasenbildern  kenuen  »)  (Tfl.  X,  1  und  l^i^).  —  12  Centira. 
hohe  Statuette  einer  im  schnellen  Lauf  begriffenen,  mit  dem 
linken  Pusse  vorschreitende  Frau  (Atalante),  welche  mit 
einem  bis  zur  Mitte  der  Schenkel  reichenden,  um  die  Taille 
gegürteten  engen  Gewände  bekleidet  ist,  dessen  Zipfel  sie 
mit  der  linken  Hand  hält,  während  sie  den  rechten  Arm 
nach  rückwärts  ausstreckt  (Tfl.  XI,  1).  —  Kleines  nur 
6  Centim  hohes  Figur chen ,  welches  einen  hockenden  ge- 
flügelten Androsphinx  darstellt  (Tfl.  XX,  1),  ursprünglich 
wohl  Griff  am  Deckel  eines  Bronzegefässes.  —  Bronzerelief 
(sehr  zerstört)  mit  der  Darstellung  einer  von  vorn  gesehenen 
Quadriga,  auf  welcher  zwei  geharnischte  Männer  stehen: 
rechts  und  links  fliegt  in  der  Höhe  ein  Vogel  als  Augurium 
(Tfl.  XIX,  1):  die  Darstellung  erinnert  deutlich  an  die  der 
3.  Metope  des  ältesten  selinuntischen  Tempels  (0.  Benndorf, 
Die  Metopen  von  Selinunt,  Berlin  1873,  Tfl.  III,  S.  47  f.), 
aber  die  Ausführung,  besonders  der  Rosse,  ist  noch  weit 
primitiver  und  roher  als  dort.  Einen  fortgeschritteneren 
Stil  zeigen  die  Bruchstücke  zweier  ähnlicher  Reliefs  (Tfl.  XIX, 
n.  2  und  4) ,  welche  ebenfalls  Viergespanne  von  vorn  ge- 
sehen ,  von  einer  geflügelten  Figur  (Nike  oder  Eos)  gelenkt, 
darstellen;  doch  ist  auch  hier  die  Bildung  der  Rosse  noch 
ziemlich  unvollkommen.  —  Einen  leisen  aber  offenbar  nicht 
naiven ,  sondern  erkünstelten  Archaismus  zeigt  das  Relief 
einer  nach  unten  abgerundeten,  an  den  Rändern  mit  zahl- 
reichen Löchern  zum  Aufnieten  auf  eine  Unterlage  ver- 
sehenen Bronzeplatte,  welche  den  bekanntlich  so  häufig  in 

1)  S.  Stephan!  Compte-rendu  de  la  commission  imperiale  archeo- 
logique  pour  l'annee  1869  p.  221  ss.;  dazu  die  Schale  des  Duris  mit 
Scenen  des  musischen  Unterrichts:     Archäolog.  Zeitung  1873,  Tfl.  I. 


26  Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  J.  Juni  1878. 

hieratisclier  Manier  behandelten  Streit  des  Äpollon  und 
Herakles  um  den  delphischen  üreifuss  darstellt  (Tfl.  XVI,  1). 
Unter  den  Werken  aus  der  Blüthezeit  der  Kunst  nimmt  in 
stilistischer  Hinsicht  entschieden  den  ersten  Rang  ein  das 
17  Centim.  hohe  Backenstück  von  einem  offenbar  als  Weih- 
geschenk dargebrachten  Helm,  auf  welchem  der  Zweikampf 
zweier  nur  mit  der  Chlamys,  die  den  grössten  Theil  des 
Körpers  unbedeckt  lässt,  bekleideter  Jünglinge  (Polydeukes 
und  Lynkeus  nach  de  Witte)  in  Relief  dargestellt  ist  (Tfl.  XV). 
Der  Ausgang  des  Kampfes  ist  bereits  entschieden,  denn  der 
eine  der  beiden  Kämpfer  ist  auf  den  Rücken  niedergeworfen  ; 
er  lässt  den  rechten  Arm ,  dessen  Hand  noch  den  Schwert- 
griff umklammert  hält,  ermattet  sinken  und  macht  nur  mit 
dem  linken  noch  einen  schwachen  Versuch  der  Abwehr, 
während  er  mit  ängstlichem  Blick  zu  dem  Sieger  empor- 
schaut, der  auf  dem  Haupte  eine  oben  spitz  zulaufende 
Kappe,  am  linken  Arme  einen  runden  Schild  tragend  (der 
rechte  Arm  ist  abgebrochen),  eben  im  Begriff  ist,  dem  ge- 
fallenen Gegner  das  rechte  Knie  auf  die  Brust  zu  setzen. 
De  Witte  bemerkt  ausdrücklich,  dass  die  Abbildung,  obgleich 
mit  der  grössten  Sorgfalt  ausgeführt,  nur  eine  unvollkommene 
Vorstellung  von  der  Modellirung  der  nackten  Partien  und 
der  Eleganz  der  Gewandung  gebe  und  dass  das  Original  in 
künstlerischer  Hinsicht  den  unter  dem  Namen  der  Bronzen 
von  Siris  bekannten  herrlichen  Bronzereliefs  des  britischen 
Museums  vielleicht  noch  überlegen  sei.  Da  der  eigentliche 
Fundort  dieser  zuerst  im  neapolitanischen  Kunsthandel  auf- 
getauchten Bronzereliefs,  welche  die  Schulterblätter  eines 
reichverzierten  Panzers  schmückten,  unbekannt  ist,  so  ist 
wohl  die  Vermuthung  nicht  allzukühn,  dass  auch  sie  ur- 
sprünglich aus  dem  dodonäischen  Heiligthum  stammen. 
Dieselbe  Vermuthung  hege  ich  in  Betreff  einer  Anzahl  von 
Bronzestatuen  und  des  jetzt  im  britischen  Museum  befind- 
lichen Bronzereliefs  mit  der  Darstellung  der  Aphrodite  und 
des  Anchises  (Millingen  Ancient  uned.  nion.  ser.  II,  pl.  XII), 


Burbian :  Die  loissenschaftl.  Ergehnisse  d.  Ausgrabungen  i.  Dodona.     27 

welche  zusammen  im  Jahre  1792  in  Paramythia  in  Epirus 
gefunden  worden  sein  sollen  *) :  da  die  ungefähr  4  d.  Meilen 
südwestlich  von  der  Stelle  Dodona's  gelegene  Ortschaft 
Paramythia  durchaus  keine  antiken  Reste  aufzuweisen  hat, 
so  ist  die  Annahme  gewiss  wahrscheinlich ,  dass  ein  Be- 
wohner dieses  Ortes  bei  heimlichen  Nachforschungen  auf 
der  Stätte  des  alten  Heiligthums  jene  Kunstwerke  entdeckt 
und,  um  sein  Geheimniss  nicht  zu  verrathen,  den  wahren 
Fundort  verschwiegen  hat. 

Kehren  wir  noch  für  einen  Moment  zu  den  von  Kara- 
panos  entdeckten  und  abgebildeten  Bronzewerken  zurück, 
so  erwähne  ich  zunächst  noch  wegen  ihres  Kunstwerthes 
das  Fragment  eines  Zeuskopfes  mit  grossartig-ernstem  Aus- 
druck (Tfl.  XVII,  2),  einen  trefflich  erhaltenen  Frauenkopf, 
wahrscheinlich  Diona  (ebds.  n.  11)  und  die  10  Centira. 
hohe  Statuette  einer  mit  langem,  die  linke  Brust  freilassen- 
dem Chiton  und  unter  der  Brust  gegürteter  Nebris  bekleideten 
Mänade,  die  das  rechte  Knie  gebogen,  den  Kopf  mit  ver- 
störtem Gesichtsausdruck  nach  dem  Boden  gewendet  hat 
(Tfl.  XIV,  1):  offenbar  ist  sie  in  dem  Moment  dargestellt, 
wo  sie,  im  hastigen  Lauf  stürzend,  das  rechte  Knie  auf  einen 
erhöhten  Gegenstand  (der  nicht  erhalten  ist)  aufstemmt: 
mit  der  abgebrochenen  Rechten  stützte  sie  wahrscheinlich 
den  Thyrsos  auf  den  Boden,  die  halbgeschlossene  Linke  mag, 
wie  de  V^itte  vermuthet,  eine  Schlange  gehalten  haben.  Mit 
Rücksicht  auf  das  Interesse  des  dargestellten  Gegenstandes 
hebe  ich  endlich  noch  hervor  das  Relief  mit  der  Darstellung 
der  über  den  Meereswogen  schwebenden,  im  linken  Arme 
ein  Ruder  haltenden  Skylla,  welche  bis  zu  den  Hüften  als 
jugendliches  Weib  gebildet,  anstatt  des  Unterkörpers  nach 
vorn  die  Vorderkörper  zweier  bellender  Hunde,  nach  hinten 
zwei  mit  Schuppen  und  Flossen  bedeckte  mächtige  Drachen- 
schwänze  hat    (Tfl.  XVIII,  1),    und  die   bis   auf  das   linke 


1)  Vgl.  Stephani  Apollon  Boedromios  (Petersburg  1860)  S.  6. 


28  Sitzung  der  p/ii1os.-philoL  CUisse  vom  1    Juni  1878. 

Bein  wohl  erhalteue,  in  Hinsicht  der  Maske,  des  Costüms 
und  der  Bewegung  sehr  charakteristisch  ausgeführte  Statuette 
eines  Schauspielers  der  alten  Komödie  (Tfl.  XIII,  5):  derselbe 
trägt  ein  üntergewand  mit  bis  zur  Handwurzel  reichenden, 
vorn  ausgefranzten  Aermeln,  ebensolche  Hosen,  welche  bis 
zu  den  mit  derben  Schuhen  bedeckten  Füssen  herabreichen, 
darüber  ein  ärmelloses ,  unter  der  Brust  durch  einen  Leib- 
gurt zusammengehaltenes  Wamms  von  dickem  Stoff,  an  welchem 
der  Phallos  angebracht  ist.  Dem  zornigen  Ausdruck  der 
mit  weiter  Mundöffnung,  hohem  Haaraufsatz,  mächtigen 
gerunzelten  Augenbrauen  und  tiefen  Furchen  auf  der  Stirn 
versehenen  Maske  entsprechend ,  streckt  er  beide  Hände 
über  den  Kopf  empor  und  erhebt  den  rechten  Fuss,  als  ob 
er  Jemanden  einen  Fusstritt  geben  wollte. 

An  Marmorwerken  haben  die  Ausgrabungen  des  Herrn 
Karapanos  nichts  geliefert  als  eine  19  Centim.  hohe  weib- 
liche Gewandstatue  ohne  Kopf,  Arme  und  Füsse  (Tfl.  LXI,  2),  und 
ein  kleines  Bruchstück  von  einer  anderen  ebenfalls  weiblichen 
Statue :  eine  rechte  Hand,  welche  eine  Patera  hält  (ebds.  n.  6), 
und  zwei  nicht  abgebildete  Bruchstücke  von  Armen.  Merk- 
würdiger ist  ein  kleines  (4  Centim.  langes)  ionisches  Capital 
aus  Elfenbein,  das  etwa  zum  Schmuck  eines  Kastens  gedient 
haben  mag  (Tfl.  L,  n.  15).  Von  den  662  Münzen  endlich, 
welche  Karapanos  bei  seinen  Nachgrabungen  gefunden  hat, 
hat  er  52  Stück  (2  Silbermünzen,  50  Kupfermünzen)  auf 
den  beiden  letzten  Tafeln  seines  Atlas  (Tfl.  LXII  f.)  abbilden 
lassen  und  im  Text  p.  116  ss.  kurz  erläutert,  worauf 
ich  einfach  verweise. 

Ich  schliesse  mit  dem  Wunsche  nach  baldiger  Fortsetzung 
der  Ausgrabungen,  da  der  Boden  der  alten  Orakelstätte 
offenbar  noch  lange  nicht  erschöpft  ist,  sondern  noch 
manche  für  unsere  Erkenntniss  griechischen  Lebens  und 
griechischer  Kunst  werthvolle  Fundstücke  liefern  kann. 


Herr  Bursiaii  trug  ferner  vor: 
Ein  ungedruckter  Cento  Vergilianus. 

Der  freundlichen  Mittheilung  des  Herrn  Professor  Dr. 
E.  Dümmler  in  Halle  verdanke  ich  die  von  Herrn  Dr.  A. 
Mau  in  Rom  angefertigte  Abschrift  eines  hexametrischen 
Gedichtes  christlichen  Inhaltes ,  welches  seiner  Form  nach 
zu  der  in  der  heidnischen  wie  christlichen  Literatur  des 
vierten  und  fünften  Jahrhunderts  sehr  beliebten  Classe  der 
Centones  Vergiliani  *)  gehört.  Dasselbe  findet  sich  in  dem 
von  A.  Reifferscheid  in  seiner  Bibliotheca  patrum  latinorum 
italica  Bd.  I  (Wien  1865)  S.  307  f.  ausführlich  beschriebenen 
Cod.  Vaticano  —  Palatinus  N.  1753,  wo  es  sich  Pol.  69  —  70  v. 
unmittelbar  an  den  bekannten  Cento  Vergilianus  der  Proba 
Faltonia  ^)  anschliesst.  Unser  Gedicht  hat  in  seiner  ganzen 
Coraposition  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  dem  zuerst  von 
Marlene  und  Durand  (Collectio  amplissima  IX  p.  125  ss.), 
fälschlich  unter  dem  Namen  des  Sedulius,  herausgegebenen, 
in  Migne's  Patrologiae  cursus  completus  T.  XIX,  p.  773  ss. 
und  in  A.  Riese's  Anthologia  latina  N.  719  wiederholten 
Cento  Vergilianus  de  verbi  incarnatione :  in  beiden  finden 
sich   mehrfach    fehlerhafte    Hiaten   oder    sonst    unmetrische 


1)  Die  neuere  Literatur  über  diese  ist  zusammengestellt  bei  D. 
Comparetti,  Virgil  im  Mittelalter,  aus  dem  Italienischen  übersetzt  von 
H.  Dütschke  (Leipzig  1875)  S.  50. 

2)  Vgl.  über  diesen  jetzt  A,  Ebert,  Geschichte  der  christlich-la- 
teinischen Literatur  von  ihren  Anfängen  bis  zum  Zeitalter  Karl  des 
Grossen  (Leipzig  1874)  S.  120  f. 


30  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe    vom  1.  Juni    1878. 

Verse,  welche  durch  Ungeschicklichkeit  oder  Unachtsamkeit 
des  Centonisten  beim  Zusammenleimen  der  vergilischen  Vers- 
bruchstücke entstanden  sind  *) ;  in  beiden  sehen  wir  gegen 
die  von  Ausonius  in  der  Praefatio  zu  seinem  Cento  nuptialis 
(edyll.  XITI)  für  die  Anfertigung  von  Centonen  aufgestellte 
Regel  2)  bisweilen  zwei  ganze  Verse  VergiFs  in  derselben 
Ordnung,  wie  sie  bei  diesem  sich  finden,  verwendet;  in 
beiden  endlich  ist  der  vom  Verfasser  beabsichtigte  Sinn 
und  Zusammenhang  manchmal  ganz  unklar  und  verworren. 
Dass  unser  Gedicht  am  Ende  unvollständig  ist,  ergiebt  sich 
auf  den  ersten  Blick  (die  mit  V.  125  unseres  Gedichtes  begin- 
nende Seite  Fol.  70  v.  des  Codex  ist  zum  grössten  Theile  leer) : 
fraglich  aber  ist  es,  ob  diese UnvoUständigkeit  dem  Abschreiber, 
beziehungsweise  einer  durch  Zufall  bewirkten  Verstümmelung 
seiner  Vorlage,  oder  dem  Verfertiger  des  Gedichtes  selbst 
zur  Last  fällt.  Für  die  letztere  Annahme  scheint  mir  der 
Umstand  zu  sprechen,  dass  unser  Gedicht  mit  demselben 
Worte  (Omnipotens)  schliesst ,  mit  welchem  der  Cento 
de  incarnatione  beginnt;  da  nun  dieser  auch  seinem  Inhalte 
nach  sich  nicht  unpassend  an  unser  Gedicht  anschliesst,  so 
möchte  ich  vermuthen,  dass  der  Verfasser  des  letzteren  jenen 
Cento  gekannt  und  den  seinigen  in  der  Absicht,  eine  Art 
Vorspiel  oder  Einleitung  zu  jenem  zu  liefern,  fabricirt  hat. 
Auch  über  den  Namen  dieses  Fabrikanten  möchte  ich  eine 
Vermuthung  aussprechen.  In  einer  bekannten  Stelle  des 
Isidorus  (Orig.  I,  c,  39,  25  s.)  wird  nach  Erwähnung  des 
Cento  der  *Proba  uxor  Adelphi'  ein  gewisser  Pomponius 
genannt,     der    'ex    eodem    poeta    (Vergilio)    inter    caetera 


1)  Vgl.  in  unserem  Gedicht  die  Verse  34.  55.  74.  79.  89.  104. 
112.  126. 

2)  'Variis  delocis  sensibusque  diuersis  quaedara  carminis  structura 
solidatur,  in  unum  uersura  ut  coeant  aut  caesi  duo  aut  unus  et  sequena 
cum  medio.  Nam  duos  iunctim  locare  ineptum  est,  et  tres  una  serie, 
merae  nugae'. 


Bursian:  Ein  ungedruckter  Cento   Vergüianus.  31 

styli  sui  otia  T  i  t  y  r  u  m  in  Christi  honorem  composuit*.  Dieser 
Titel  Tityr US  passt  vortrefflich  für  unser  Gedicht,  welches 
in  die  Form  eines  Zwiegesprächs  zwischem  Meliboeus  und 
Tityrus  eingekleidet  ist,  worin  der  letztere  den  ersteren 
über  die  christlichen  Heilswahrheiten  belehrt.  Ist  diese 
meine  Vermuthung  richtig,  so  ist  dadurch  auch  ein  Terminus 
ante  quem  für  die  Abfassungszeit  unseres  Gedichtes  gegeben : 
es  ist  jedenfalls  vor  dem  Beginn  des  7.,  wahrscheinlich 
noch  in  der  ersten  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts  unserer  Zeit- 
rechnung entstanden. 

Ich   lasse  nun  den  Text  unseres  Cento  mit  den  Nach- 
weisungen der  Stellen  der  vergilschen  Gedichte  (A=Aeneide, 
E  ^Eklogen,  G  =  Georgica),  aus  denen  die  einzelnen  Verse  oder 
Verstheile  desselben  entnommen  sind,  folgen :  die  von  Vergil 
abweichenden  Worte  sind  cursiv  gedruckt. 
Versus  ad  gratiam  domini.    Inducit  duas  personas  Meliboeum 
et  Tityr  um. 
Mel,  Tityre,  tu  patulae  recubans  sub  tegmine  fagi,  ^-  ^'  ^• 
nescio  qua  praeter  solitum  dulcedine  laetws,  ^-  ^'  '^'2- 
fortunate  senex!  hie  iuter  flumina  nota      )  r.  t  -o       i  ^rr  r  . 

I  hj.  I,  o2  s.    -f-  VI,  5  4" 

et  fontis  sacros  deductos  dicere  uersus       j  ^'  ^• 
5  et  cantare  pares  diuino  carmine,  pastor,      e.  vii,  5+vi,  67. 
formonsi  pecoris  custos,  formonsior  ipse.      ^  ^'  ^^• 
TU,  Non  incerta  cauo  uatum  praedicta  priorum.  ^-  ^"^'  49+iv,  464. 
An  quicquam  nobis  tali  sit  munere  maius?    ^-  ^'  ^^• 
0  Meliboee,  deus  haec  nobis  otia  fecit ; 

■  E.  I,  6  8.  +A.  I,  65. 


\ 


10  namque    erit  ille    mihi   semper   deus  atquej 

hominum  rex, 
omnipotens  genitor,  rerum  cui  summa  po-  ^'  ■^'  ßß^  +  x»  loo- 

testas ; 
quem  qui  scire  uelit,  diuinum  aspiret  amorem.  ^-  "'  i03+ a.  viii,  373 


V.  4  diductus  coc2.    5pams?^  öpecori  cod.  1  in  margine  cod.  de  pro- 
phetis  et  Tyt  [sie  ubique) 


32  Sitzung  der  philos,-philol.  Glosse  vom  1.  Juni  1878. 

Haud  ignota  loquor  totumque    sparsa   per  a.  ii,  9i+i,  602. 

orbem. 
Ipsi  laetitia  uoces  ad  sidera  iactant 
15  intonsi  montes,  ipsae  iam  carmina  rupes, 

ipsa    sonant    arbusta;    deum    namque    ireJ^-^'-^j^  E'^v'gX;  ""^^ 

per  omnes 
terrasque  tractusque  maris  caelumque  pro- 
fund um 
nedubita,  nam  uera  uides,  qui  foedere  certo  a.  iii,  sie+i,  62. 
aeternis  regit  imperiis  et  temperat  iras.       a.  i,  230+1,  57. 
20  Ni  faciat,  maria  ac  terras  nox  incubat  atra.  a.  i,  58+ i,  89. 
Mel.  Felix,  qui  potuit  rerum  cognoscere  causas !  g.  ii,  490. 

Namque,  fatebor  enim,  genus  a  quo  principe  a  iv,20(cf.Catai.xi,  in 

nostrum 
audierat  Stimicon,  laudauit  carmina  nobis.  a.  i,  20  +  e.  v.  55. 
Sis  felix!    nam  te  maioribus  ire  per  altuml^  j    33^^   im,  374  s 
25  auspiciis  manifesta  fides  pro  laudibus  istis.J    +  ^'  ^^^ 
Tit,  Accipe  daque    fidem ;    neque    est    ignobile  a.viii,  150+E.  ix,  38. 

Carmen : 
maior    agit    deug   atque    opera    ad    maiora  a.  xii,  429. 

remittit, 
unus  qui  nobis  cunctando  restitu«7  rem,       a.  vi,  846. 
ille    operum     custos  ,    bominum    rerumque  g.iv,  215+A.  xii,829. 
repertor, 
30  ^wo  sine  nil  altum  mens  incboat,  ipse  uolutat  G.iii,42+A.vi,i85(cf. 
quae  sint,  quae  fuerint,  quae  mox  uentura  g.  iv,  393.  ' 

trabantur. 
His  etenim  signis  atque  haec  exempla  secuti 
esse  animas  partem  diuinae  mentis  et  baustus 
aetbereos  dixere,  quia  sit  diuinitus  Ulis 
35  ingenium,  quamuis  angusti  termiuus  aeui 


IV,  219  SS.  +  I,   415 
+  .IV,  206. 


V.  20  incu.bat  {meras.)  cod.  21  in  marg.  cod.  De  doraino  dicit. 
23  stimi  conlaudabit  cod.  26  nee  qui  est  cod.  82  in  margine  cod.  De 
hominibus  dicit     33  austua  cod. 


Bursian:  Ein  ungedruckter  Cento  Vergüianus.  33 

terrenique    hebetant    artus     moribundaque  a.  vi,  732. 

raembra. 
At  genus  inmortale  manet ;  ne  quaere  doceri.  g.  iv,  208+ a.  vi,  eu. 
Igneus  est  ollis  uigor  et  caelestis  origo,       a.  vi,  730. 
et  cum  frigida  mors  animas  eduxerit  artus,  a.  iv,  335. 
40  has  omnis,  ubi  mille  rotam  uoluere  per  annos,  a.  vi,  743. 

tempora    dinumerans    deus    euocat    agmine  a.  vi,  69i  4-  vi,  749. 

magno. 
Reddunt    se   totidem   facies   terraeque    de-  a.  ix,  ]22+g.  i,  479. 

hiscunt ; 
sed  reuocare  gradum  superasque  euadere  ad  a.  vi,  128. 

auras, 
hoc  uirtutis  opus,  terras  temptare  repostas,  a.  x,  469+111, 364. 
45  sideream  in  sedem  atque  alto  succedere  caelo.  a.  x,  s-j-g.  iv,  227. 
Mel.  Tityre^   tamne   aliquas  ad  caelum  hinc  ire 

putandum  est 

sublimis  animas  iterumque  ad  tarda  reuerti 

Corpora  ?  nos  alia  ex  aliis  in  fata  uocamur  ? 

inmortalis  ego?  pertemptant  gaudia  pectus;  ^-  ^^^-  882-fi,  502. 

50  si  modo  quod   memoras  factum  contingere  ^-  ^^'  109+1,  418. 

-possit ! 
Tit.  Ne  dubita  nulla  fati  quod  lege  tenetur ;       a.  iii,  316+xii,  319. 
crede  deo,  nam  uerauides,  sine  posseparentem.  ^•^'  ^^^  +  "i'  ^le  + 
*Quam  minime  re*  fato  prudentia  maior.     ^-  ^'  ^^ß- 
Mel.  Credo  equidem,   nee  uana  fides:  quis  taliaj 

demens  l^.  iv,  12  +  iv,  107  s. 

55  abnuat?  et  me  uictusque  uolensque  remitto.) 

Stultusegoparuiscomponeremagnasolebam;  e*  i»  21+1,  23. 


A.  VI,  719  ss.  +  in,  494. 


38  in  margine  cod.    De  inferis  dicit     44  in  marg.  cod.    De  superis 

47  De  resurrectione  cod.  in  marg.    53  Quam   minime  refato   {tum  spa- 

tium  4  circiter  Uterarum  in  cod.)  prudentia  maior :  fort,  scrih.  Quod  mi- 

t 
nime  reris  ex  Aen.  VI,  97.    55  remito  cod.    56  magno  cod. 

[1878  I.  Philos.-philoL-hist.  Cl.  Bd.  II.  1.]  3 


34    Sitzung    der  phüos.-philol.  Classe  vom  1.  Juni  1878, 

nee  mea  iam  mutata   loco   sententia   cedit,  a.  ix,  220. 
ünumoro:  doceas  iter  et  sacrahostiapaudas,  a.  vi,  106  +  V1,  109. 
quidue  sequens  tantos  possim  superare  labores.  a.  iii,  ses. 
60  \_Tit.}   Dicam   equidem   nee   te  suspensum,  a.  vi,  722. 

nate,  tenebo, 
et  quo  quemque  modo    fugiasque    ferasque  a.  iii,  459. 

laborem. 
Aude,  hospes,  eontempnere  opes:  uia  prima  a.  viii,  364 +vi,  96. 

salutis ; 
in  temer  ata  fides  et  mens  sibi  conscia  rectil 

.      ,.  «  «  Ja.  II,  4 13  +  1,604  8.  + XI, 

praemia  digna  ferwnt ;  freti  pietate  per  ignemj    '87. 
65  inuenere  uiam;    reqnies  ea   certa  laborum.  a.  vii,  297+111,  393. 

Innitant  croeeis  halantes  floribus  horti         g.  iv,  109. 

fortunatorum    nemorum  sedesque  beatae       a.  vi,  639. 

sempererunt;  quorummelior  sententia  menti,  e.  v,  74  (?)  +  a.  ii,  35. 

Ms  loeus  urbis  erit  diuini  gloria  ruris.         a.  iii,  393  +  G.  i,  les. 
'^^  Nam  qui  diuitiis  soli  ineubuere  repertis,      a.  vi,  eio. 

distulit  in  seram  commissa  piacula  mortem,  a.  vi,  509. 

ausi  omnes    inmane  nefas    auroque    potiti,  a.  vi,  624. 

urgenturpoenis;  quam  uellent  aetbere  in  alto  a.  vi,  561  +  vi,  436. 

omnia,   et  superas  caeli  uenisse  sub  auras.  g.i,318(?)+a.vii,768. 
75  Mel.  Quaetibi,  quaetali  reddamproearmine  e.  v,  si. 

dona? 

Non  opis  est  nostrae;   nomen   tollemus  ad  a.  i,  60i+e.  v,  51. 
astra, 

Tityre;  discussaeumbrae  et  lux  reddita  menti.  e.  ix,  23+A.  xii,  669. 
Tit.  Non  haec  humanis  opibus,  non  arte  magistra] 

.        ,  .,         i       .  •    .         >A.XII,  427s.  +  E.IV,27. 

proueniunt;  quaesitpoteris  cognoscereuirtus.l 


57  caedit  cod,    60  Tit.  om.  cod.;  de   bona  conuersatione  in  saeculo 

ne 

in  marg.  (U  quocumque  cod.  62  contempore  cot?.  QQ  De  paradiso  dicit 
cod.  in  niary.  —  alantes  cod.  70  de  gehenna  dicit  cod.  in  marg.  — 
reperte  cod.  77  Tyt  antehunc  uertum  habet  cod.,  omittit  ante  w.  78. 


Bursian:  Ein  ungedruckter  Cento  Vergilianus.  35 

80  Nirefugis,  prima  repetens  ab  originepergam.  g.  i,  177 +a.  i,  372. 
Mel.  Tmmo  ageeta  prima  die,  hosp es,  originenobis;  a.  i,  753. 

accipio  agnoscoque  libens  ut  aerba  parentis.  a.  viii,  155. 
TU,  Accipe:  prisca  fides  facto,  sed  fama  perennis.  ^'i^ vi  ^TssiVa  1x^79^ 
Nunc  canere  incipiam,  quoniam  conuenimus  g.  i,  5  +  e.  v,  1. 
ambo 
85  montibus  in  nostris ;  referunt  ad  sidera  ualles.  e.  v,  8+ vi,  84. 
Magnus  ab  integro  saeclorum  nascitur  ordo ;  e.  iv,  5. 
maius  opus  moueo :  laudes  et  facta  parentis.  a.  vn,  45+E.  iv,  26. 
Nam  neque  erant  astrorum  ignes  nee  lucidusj 

aetbra  }  a.  iii,  535  s.  -|- 1 v,  46i 

siderea  polus,  et  nox  obscura  tenebat.        J  * 

90  Tum  pateromnipotens  rebus iamluce  retectis  g.  ii,  325+A.  ix,  46i. 
aera  dimouit  tenebrosum  et  dispulit  umbras.  a.  v,  839. 
Principio  caelum  e^  terras  solemque  cadentem  a.  vi,  724 +iv,  480. 
lucentemque  globum   lunae    camposque    li-  a.  vi,  725+724. 

♦  quentes, 

noctis  iter,  stellis  numeros  et  nomina  fecit;  a.  x,  162+G.  i,  137. 
95  inde  bominum  pecudumque  genus  uitaeque 

uolantum 
et  quae  marmoreo  fert  monstra  sub  aequore  ^'  ^'  '^®  "' 

pontus ; 
et  medium    luci  atque    umbris  iam  diuidit  g.  i,  209. 

orbem 
temporibusque     parem     diuersis     quattuor  g.  i,  258. 

annum. 
Nee  torpere  graui  passus  sua  regna  ueterno  g.  i,  124. 
löO  mouit   agros    curis   aeuens  mortalia  corda,  g.  i,  123. 
ut  uarias  usus  meditando  extunderet  artes.  g.  i,  133. 


83  facta  cod.  STmaris  cod.  88  aether  cod.  90  De  deo  dicit  cod. 
in  marg.  —  luce  rectis  cod.  92  De  principio  dicit  cod.  in  marg. 
95  unde  cod. 

3* 


36       Sitzung  der  philos.-philol  Classe  vom  1.  Juni  1878, 
Nec  genus  indocile  ac  dispersum  montibusj 

altis  fA.  VIII,  321  s.+I,  622. 

composuit  legemque  dedit,  dicione  tenebat.l 

Hinc  populum  late  regem  aeuoqne  superbunil 

105  uenturum  excidio  docuit  post  exitus  ingensj 

uictor  ab  Aurorae  populis  et  littore  riibro.  a  viii,  686. 
Tnwc    iiictu   reuocant  uires  caelestia  dona,  a.  i,  214+G.  iv,  1. 
deterior    donec   paulatim   ac  decolor   aetas^ 
et  belli   rabies  et    amor  successit  habendi.]^*  ^"^'  ^^^  * 
110   Regnorum    inmemores     turpique    cupidine  a.  iv,  194. 

cap^* ; 
ixmc  uariae  inludiint  pestes,  malus  abstulit  g.  i,  i8i  +  e.  viii,  41. 

error 
Aegyptum    uiresque  Orientis,    miranda  ui-  a.  viii,  es?  4-1,  494. 

dentur 
omnigenumque    deum   monstra   et  latrator  a.  viii,  698. 

Anubis. 
Quid    delubra    iuuant     simulacraque     luce  a.  iv,  66 +g.  iv,  472. 

carentum  ? 
115  Non  tali  auxilio  nec  defensoribus  istis        1 

tempus  eget;    cum  uestra  dies  uoluentibusfA.  11,  521  s.  +  xi,  687 

annis  f 

uerba  redarguerit ,    poena  commissa  luetis.  a.  xi,  688+1,  i36. 
Quinpotiuspacemaeternam^^jettantimuneris*  a.  iv,  99  +  ? 
cuncti  obtestemur?  haec  ara  tuebitur  omnis.  a.  xi,  358-fii,  523. 
120  His  actis  aliud  genitor  secum  ipse  uolutat,  a.  xii,  843. 
quo  uitam  dedit  aeternam,  quo  mortis  ademptal 

est  I A.  XII,  879  s.  +  V,  727. 

condicio,  et  caelo  tandem  miseratus  ab  alto  est.' 

Respicit  humanos  pietas  antiqua  labores       a.  v,  689+688. 


V.  102  fort,  scr,  Hinc.  113  monstrat et coc?.  IIS post muneris spatium 
trium  quattuorue  litterarum  in  cod. ,  tum  sequitur  cuncti.  1 19  «tue- 
l>imur   cod. 


Bursian:  Ein  ungedruckter  Cento  Vergilianus.  37 

exitiis  positura  modum ;  responsa  dabunturlA.vii,  129+11,  376s. + 
125  iida  satis;    maniiesta  ndes  secreta  parentisj    299. 

Ipse  haec  —  manifesta  fides  —  celeris  man-  a.  iv,  270. 

data  per  auras 
interpres    *moDitum    spirantumque    adfore  a.  iv,  378  +  ?  +  a.  x, 

werhis 
seraque  terrifici  cecinerunt  omina  uates ;       a.  v,  524. 
namque     fore     inlustrem     dictis    factisque  a.  vii,  79. 

canebant. 
130  0  quam  te  memorem,    uirgo?  cui  mentem  a.  i,  327+ vi,  11. 

aniraumque 
semine  ab  aetherio  saperis  concessit  ab  oris  a.  vii,  281  +  11, 91. 
omnipotens.  a.  x,  eis. 


128  omnia co<?.    129  canebat  coc!.    130  de  maria  dicit  cod.  in  marg. 


Herr  T  r  u  m  p  p  hielt  einen  Vortrag  : 

Der  Taufritus  der  äthiopischen  Kirche. 
Derselbe  wird  in  den  „Abhandlungen"  veröffentlicht  werden. 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom  1.  Juni  1878. 
Herr  Preger  hielt  einen  Vortrag:  : 

Der   Tractat  des  David  von  Augsburg  über  die  Waldesier. 
Derselbe  wird  in  den  „Abhandlungen"  veröffentlicht  werden. 


Sitzung  vom  6.  Juli. 


Herr  Trumpp  legte  vor: 

„Die  Rubä'is  des  Abu  Sa*^id  bin  Abulkliair^) 
(Zweite  Sammlung)  von  Prof.  Dr.  Hermann  Ethe." 

31)  Khulä9.  Wälih.    Ind.  Off.  2415  u.  1265.  Ell.  292. 


1)  Im  Anschluss  an  die  30  von  mir  in  diesen  Blättern  vor  drei  Jahren 
(Sitzungsberichte,  philosophisch-philologische  Classe,  1875  pg.  145 — 168) 
publicirten  Vierzeilen  des  Altmeisters  des  persischen  Rubä'I,  Abu  Sa'id 
bin  Abulkhair  {-j-  440),  erlaube  ich  mir  hier  eine  neue  Sammlung,  62 
weitere  Gedichte  desselben  Verfassers  enthaltend,  in  Text  und  metrischer 
Uebersetzung  zu  veröffentlichen.  Die  Quellen  derselben  sind  ausser  den- 
selben neun  Originalwerken,  welche  den  Stoff  zu  der  ersten  Sammlung 
geliefert  (siehe  die  Anmerkung  am  oben  angegebenen  Orte) ,  drei  neue 
Handschriften,  nämlich  die  Tadhkirah  des  Yusuf 'Allkhän,  vollendet  1184 
(Cod.  Sprenger  337,  siehe  Sprenger's  Cat.  Oudh.  p.  192),  eine  persische 
Anthologie  der  Münchener  Hof-  und  Staatsbibliothek  (Cod.  pers.  6  f. 
48  a)  und  eine  ähnliche  der  India  Office  Library  zu  London  (Nr.  1265). 

2)  Wälih :  ^\^    vLü  . 

3)  Wälih,  1265  und  2415 :    v:iojo0\  . 

4)  2415  :    ou^fcXCsJ  .    Ell.  292: 


EtM:  Die  BubäHs  des  Abu  Sa'id  hin  Äbulhhair.  39 

Uebersetzung: 
„Die  Hand ,    die  oft  mit  deinen  Locken    den  Krieg  geführt 

voll  Lustbehagen, 
Das  Aiig',  das  oft  im  Anschaun  deiner  den  Rost  vom  Herzen 

fortgetragen, 
Seit  du  geschieden,  hat  das  eine  in  Blut  getaucht  mein  ganz 

Gesicht  mir, 
Seit  du  geschieden,  hat  die  andre  mit  Steinen  mir  die  Brust 

zerschlagen." 

32)  Makhz.  Wälih.  Ell.  292.  Ind.  Off.   1265. 

uebersetzung: 

„Zu  dem  Antlitz  dort,  Brahmane,  das  wie  Tulpen  ganz,  — 

doch  bete! 

Zu    des    vierzehnjährigen    Liebchens    holdem    Wangenkranz 

doch  bete ! 

Ist  kein  Auge  dir  beschieden,  das  die  Gottheit  schaut,  für- 
wahr denn 

Lieber  als  zum  Kalb  zu  beten,    zu    der  Sonne  Glanz   doch 

bete!" 

33)  Makhz.  Sprenger  337.  Cod.  pers.  6.  Ind.  Off.  1265. 

tu 


40  Sitzung  der  phüos.-phüol.  Glasse  vom  6.  Juli  1878. 

Uebersetzung: 

„0  Gott,  wenn  icli  um  Hülfe  rufe,  zu  mir  Verlassenem  komm 

geschwind. 

Genug,  wenn  deine  Huld  und  Güte  mir  Armem  treu  ver- 
bündet sind! 

Wohl   jeder    kann   sich    eines  Freundes,    sich    eines    hohen 

Gönners  rühmen. 

Doch  einzig  dich  allein,  o  Hoher,  hab'  ich  verwaistes  Men- 
schenkind!" 

34)  Makhz.  Walih.  Ind.  Off.   1265.  Ell.  292  u.  294. 

Uebersetzung: 

„Man  schenkt  Jedwedem  eine  Seele  in  deinem  Hage,  suche 

nur! 
Nur  eine  Seele?  nein,  von  Seelen  ein  ganz  Gelage"^),  suche 

nur! 
Die   ganze   Welt    wiegt's    auf,    ein    Korn   nur    von    deinen 

Reizen  zu  geniessen^), 
Drum  eine  Welt,  gefüllt  mit  Leuten  von  u  n  s  r  e  m  Schlage, 

suche  nur!'' 


5)  jEll.   292:    J^    &ä.    IoLs.  . 

6)  Ell.   292:    C>y^    ^L^   ^ys^   UjLo  yS   \l . 

7)  Wörtlich:  „eine  Karawane." 

8)  Nach  Ell.  292  lautet  dieser  Yers: 

„Ein  Kömchen  nur  von  dir,  o  Liebchen,  wiegt  schier  an 

Werth  auf  eine  Seele." 


EtM:  Die  BubdHs  des  Abu  SaHd  hin  ÄhulJchair,  41 

35)  Makhz.  Walih.  Ind.  Off.  1265.  Ell.  294. 

^Ui     icU^     ^    )L^     ^yJ    yi    L     ^^Ä. 

'^Ls?  ä1»^  ^  )L»3  f*^  y  ^  ^y=>. 

üebersetzung: 

„Seit  dein  Antlitz  ich  gesehen,  Leuchte  du,  taräzentsprossen, 

Blieb  dem  Fasten,  dem  Gebet  ich,  jeder  Thätigkeit  ver- 
schlossen ; 

Bist  d  u  bei  mir,  ganz  dann  löst  sich  in  Gebet  mir  die  Ver- 
zückung — 

Bist   d  u   fern,   bleibt  all   mein  Beten  in  Verzückung   ganz 

zerflossen!" 

36)  Ind.  Off.  2415.  Ell.  294.  Cod.  pers.  6. 

u^  ^Ipb  l^  y  ^^^')  r;^^ 
'lA?^  ;y=^  ;'^  ^^  (5^^  ^r=^  ;y=^  ;^  y^ 

üebersetzung: 
„Ach,  ich  sündigte  viel  öfter,  als  der  Regen  Tropfen  zählt, 
Und  ich  sank  gebeugten  Hauptes  nieder  drum,  —  von  Schaam 

gequält ; 

9)  Ell.  294  und  Wälih :  J   »JuO. 

10)  Ell.   294:     ^. 

11)  2415  u.  Cod.  pers.  6:   \\   }sj^ , 

12)  Ell.    294:    r» y?-)^  . 


42  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

Da   von   oben  riefs:    gemach   doch,    Derwisch!    ganz   nach 

eig'nem  Gusto 

Handle    ich  ja   selbst    und  diesen  Grundsatz   hast   du  auch 

erwählt." 

37)  Ell.  294.  Ind.  Off.   1265. 

I^^mJ^      yXii^      S4>      5UO      /-A*aJ      (^jf     Jo 

Uebersetzung: 
„Ach  so  oft  und  viel  mein  Herz   auch   in    der  Liebe  Buch 

studirt, 
Stets  der  Liebe  Sonn'  entstrahlte  deine  Wange,  reizgeziert; 
Drum  so  lang'  auf  Schönheit  Schönheit  häuft  dein  Antlitz 

—  ist's  auch  einzig 
Lieb'  und  immer  neue  Liebe,  die  mein  krankes  Herz  gebiert." 

38)  Ell.   294. 

o.Awl    \J^y^    ^^rtyri    ^  (•tXi*    v^  y^   ^'^ 

Uebersetzung: 
„Dein  Pfad  ist,  ob  man  ihn  auch  walle  in  dem,  —  in  jenem 

Gleise,  schön! 

13)  1265:  (^Xwx    ^.Ä.   s4>    «s    ^-^   ^,^^    (0^5)    y^ ' 

14)  1265:   »Juv^. 


Ethe:  Die  Bubais  des  Abu  Said  bin  AbuTkhair.  43 

Dein  Huldgenuss  ist,   ob   erstrebt  auch  in  mannichfachster 

Weise,  schön  ! 

Von  gleicher  Schönheit  ist  dein  Antlitz,  mit  welchem  Auge 

man  dich  schaue, 

Dein  Lobpreis  ist,  in  welcher  Sprache  man  immer  auch  dich 

preise,  schön  !** 


39)  Cod.  pers.  6. 

jV^^nÄ.     y      l^rh'^     (•'-^     A*-^     U*^  )' 

üebersetzung: 

„Vor  Zeitengram    sind   wir    geborgen  —  und   wohlgemuth 

sind  wir; 
Uns    quält  kein  Abendbrot   am  Morgen,   und   wohlgemuth 

sind  wir. 
Wir  brauchen,    liefert   uns    die  Küche   nur   stets  gekochte 

Trauben, 
Durchaus   für  rohe   nicht   zu   sorgen    —    und  wohlgemuth 

sind  wir  !'* 


40)  Cod.  pers.  6.  Sprenger  337. 


JüJ    so   ^O    lyo    Joyot    2üL^    L 


44  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

Ueb  ersetzung: 

„Du  mein  Gott  voll  hehrer  Grösse,  du  mein  Weltenschöpf- 
ungshort, 

0  wie  lang'  von  Thür  zu  Thür  noch  soll  ich  gehn  —  von 

Ort  zu  Ort? 

Schliess  mein  Hoffnuugshaus  für  immer  oder  ziehe  von  der 

Truhe 

Meines  angstvoll  ernsten   Strebens  endlich    nun  den  Riegel 

fort!" 

41)  Makhz.  Ind.  Off.   1265. 

yiÜ    ^V^     \J^*^   ^^4^0     W     ^i>-8-^     tX^5^^ 

üebersetzung: 
„Fahnd'  auf  Herzen,   willst  von  Gott  du,   dass  vertraut  er 

mit  dir  spricht, 
Gutes  rede  von  den  Leuten,    ob  sie's  hören  just,  ob  nicht! 
Willst  du  wahrhaft  sein  und  truglos  gleich  dem  ächten  Licht 

des  Morgens, 
Zeige  nach  der  Sonne  Weise  allen  stets  ein  gleich  Gesicht." 

42)  Khuläg.  Ell.  294. 


15)  Ell.  294:   jU^y:i^JUJö    vÄi  ^    jüjU   L. 

16)  Ell.  294:   5^  Jül . 

17)  Ell.  294;   Q. 


Ethe:  Die  Rubais  des  Abu  SaHd  bin  Abulkhair.  45 

lieber  Setzung: 

,,Dir  dank'  ich's,    dass    um   mich  nicht  länger  ein  trauter 

Freundeskreis  sich  schaart, 

Durch  dich  bin  ich  mit  Schmerz  und  Trübsal,  durch  dich 

mit  Gramesleid  gepaart; 

Das  ist  die  höchste  Günstlingsstufe   an  deinem  Thor,   doch 

wissen  möcht'  ich, 

Zu  welcher  Art  von  Dienst  denn  hast  du  mich  umgewan- 
delt solcher  Art?'' 

43)  Ell.  294.  Ind.  Off.   1265. 

v:>.iw5^  «j    i^y^  y.c>    |vJt>    Lyo    4>L    vi 

oL    i\J   ^    ^na5>    J^JJ\    ^JySU^) 

Uebersetzung: 

„Als  kaum  es  deinen  Duft  gespürt,  der  mit  dem  Ostwind 

hergeflogen, 

Hat  mir  Valet  gesagt  mein  Herz,  ist  dich  zu  suchen  aus- 
gezogen ; 

Vergessen  hat  es  längst  nun  schon  den  Leib,  der  einst  ihm 

Wohnstatt  war. 

Es  hat  zugleich  mit  deinem  Duft  dein  ganzes  Wesen  ein- 
gesogen." 

44)  Cod.  pers.  6. 

[vJjLftXXJ     4>*M^     «OuuiV     sLiiV     V«3s      Ü 


18)  Ind.  1265:    oL    O^t    ^    2ülww^   ^\    (J^^' 


46  Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

^jLüN   s»>xft  (JLß)   f>^<y^  iS*^^ 

üebersetzung: 
„Herr,  zerstört  hat  meiner  Sünden  Schmach  mir  meine  Le- 
bensbahn, 
Schaam  erregt  mir  all  das  Böse,  das  gesagt  ich  und  gethan; 
0  aus  jener  Welt  lass  strömen  einen  Hulderguss  in's  Herz  mir, 
Dass  vom  Herzen  weggetilgt  mir  werde  jeder  nicht'ge  Wahn!" 

45)  Ell.  294.  Cod.  pers.  6. 


iSjQ 


^   .J 


^yt^    yi     VCl^lJ     C>.^^     \Ö    (^f 


fc^i>  y^   ^   \sm4  y   («J'-X.**'  y^  v:>-Lfc 

»tXj     •      ^ÜLuO     (jio«-Ä.     I^^^QJL^    yS     "^y      L> 

üebersetzung: 

,0  du,  in  dessen  Wesens  Deutung  die  Denkkraft  Gross  und 

Klein  versiegt, 

Dess  Vorhofdienst   an  Werth   unendlich  die  beiden  Welten 

überwiegt. 

Die  Krankheit  nimmst  von  uns  hinweg  du  und  giebst  dafür 

uns  Heilungsmittel, 

0  nimm  und  gieb  nur,  Herr,  wie's  immer  in  deinem  Huld- 
ermessen liegt." 


46)  Ell.  294. 


jjfjJ»'  Y^^y^   *ääLo\   ^\    L) 

^Ö>^     wAM     }iX^yiM     ^^yjO     V^Laam! 


Ethe :  Die  Rubais  des  Abu  Sa^td  hin  AbulJchair.  47 

lieber  Setzung: 
„Selbstzufriedenen  Sinnes  Schätze,  Gott,  gieb  in  die  Hände 

du  mir! 
In  mein  Herz    das  Licht   der  sich'ren  Ueberzeugung   sende 

du  mir ! 
Führe,  ohne  Staubgebor'nen  mich  zum  Danke  zu  verpflichten, 
Was  ich  heisser  Tollkopf  treibe,  all  zum  guten  Ende  du  mir!'' 


47)  Ell.  292. 

Uebersetzung: 
„Uns   ist  kein  Herz  beschieden,    drin  Freud'  und  Frohsinn 

schalten, 
Und  nie  kann  laut  Ergötzen    in  unser m  Umkreis  walten; 
Muss  jede  Erdenlust  doch,  die  uns  sich  zugewendet, 
An  unsres  Gaues  Grenzen  zu  Gram  sich  umgestalten." 

48)  Khulä9.  Makhz.    Walih.    Ell.  292.    Ind    Off.   1265. 

^b  ^U.  y   üf  1^   ^Jo  ;i)bi9) 


19)  Makhz.,  Wälih  und  1265:    J\    \j   anstatt  ;t)b  . 


4:8  Sitzung  der  philos.-philol.  Glasse  vom  6.  Juli  1878. 

üeberse  tzung: 

,,0b  rings  du  im  Bazar  des  Herzens,   das  Seele  erst  durch 

dich  empfangen, 

Das  Lieb'  auch  bist,  nach  dem  sie  alle  so  offen  wie  geheim 

verlangen. 

Mir  bangt  vor  einem  doch  —  du  könntest  durch  Herzbe- 
drückung ganz  das  Herz  mir 

In  Blut  verkehren,    und    du    selber    —    du    bliebest  mitten 

drin  gefangen!'' 

49)  Ell.  292. 

(JW.Jß      \       \S^yMJ       iUwO        ^yM^       ^       *.J 

Uebersetzung': 
„So  lange   sich    von   ird'schen  Banden    nicht   gänzlich   frei 

die  Herzen  ringen, 
Wird    auch    in    unsres    Daseins    Muschel    die    wahre   Perle 

nimmer  dringen. 
Es  füllt  durch  irdische  Begierde  des  Kopfes  Becher  nie  mit 

Wein  sich; 
Du    stellst   ja    auf   den  Kopf  den  Becher,   wie  kannst  du 

ihn  zum  Vollsein  bringen?" 

50)  Cod.  pers.  6. 

v::a.4Ww4j    ^yj^^   *^^^-6^   V^'^^   V)    ^ 


Ethe:  Die  BuhäHs  des  Abu  SaHd  bin  ÄbuWiair.  49 

Ueber  setzung: 
„Sende,  Gott,  des  Lebens  Nahrung  allen,  die  da  Leben  Laben, 
Send'  uns  von    der  Güte  Tafel    mannichfacbe   Liebesgaben; 
Sende  um  der  durst'gen  Lippen  all  der  Pflanzenkinder  willen 
Milch  des  Regens  aus  der  Wolke   Brust,  dass  sie  sich  froh 

dran  laben!" 

51)  Ell.  292.  Ind.  OiF.   1265. 

iüLcwlvl   ^üoLsi   J«^    ysdJd   JS 

U  ebersetzung: 
„Wozu  in  Staub  dein  Antlitz  neigen,  wenn  doch  dein  Herz 

voll  Unverstand? 
Wenn  Gift  dir  schon  in's  Herz  gedrungen,    was    frommt's, 

ob  Gegengift    zur   Hand? 
Ob  du  mit  Kleidern  noch  so  sehr  auch  dir  aufgeputzt  den 

äusseren  Menschen, 
Wenn  doch  voll  Schmutz  das  Herz  da  drinnen ,    was  nützt 

dir  da  ein  rein  Gewand  ?" 

52)  Ell.  294. 


20)  1265:    c>-uOw5". 
[1878.  I.  Philos.-phil.-hist.CL  Bd.  II.  1.] 


50  Sitzung  der  pliilos-phüol  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

Ue  bersetzung: 
„Einen    Huldblick    schenke,    Herr,  mir,    —   bin  im  Kopf 

ganz  wirbeltoll ! 
Bin  gebrochen,  irr !  —  o  gönne  mir  der  Güte  kärgsten  Zoll ! 
Thu  mit  mir  nicht,   wie  ich  selber   es  verdient  —  o  nein! 

dein  Handeln 
Sei,  ein  Ausfluss  deiner  Güte,  gnadenreich  und  hochsinnsvoll !" 


53)  Cod.  pers.  6. 

^   J4>   (^^7^   U'^   jV^^tXJ   Ji>     .yi 

^    Jt>    ^\y^    ^^Xj    ^d^    J4>   yi 

lieber  setzun  g: 

,, Füllt  dein  Ringelhaar  auch   ewig    mir  das  Herz  mit  Weh 

und  Ach, 

Löst  doch  stets  dein  Mundrubin  mir  all  mein  Herzensun- 
gemach ! 

Dir   zu    Liebe  schenk'    ich    nimmer    einem    Andren    drum 

mein  Herz  auch, 

Mir  zu  Liebe  hängt  das  deine  keinem  Andren  jemals  nach!'' 

54)  Ell.  294. 

v:>Kwf    slw^.;^    ItX^    o   ^    <:^^ö^    \    ^y^^ 


Ethe:  Die  Rubd%s  des  Abu  SaHd  bin  Äbulkhair.  51 

U  e  b  e  r  s  e  t  z  u  n  g : 

„Wer  gelöst  als  Eingeweihter  der  Erkenntniss  tiefste  Fragen, 
Hat,    zu  Gott  gesellt,    für  immer   sich  des  eig'nen  Seins 

entschlagen ; 
Drum  denn  —  Gottes  Sein  bejahe,    und    dein  eigen  Selbst 

negire ! 
Das  allein  ja   will   die  Phrase:    „Ausser  Gott   kein  Gott!" 

besagen.'* 

55)  Ell.  292. 

^b  Ä4^  (5^  y^  Oyj  xj!^  it^jö  ^  y 

lieber  Setzung: 
„Ich  weilte  bei  dem  Götzen  gestern ,    der  voll  von  sanftem 

Mitleidsdrang, 
Er  übte  nichts  als  Schelmereien,  und  ich,  ich  flehte  zärtlich 

bang ; 
Die  Nacht   verstrich,    und    unser  Plaudern    war   noch    zum 

Ende  nicht  gekommen, 
Ist  drob  die  kurze  Nacht  zu  tadeln  ?  o  nein !  wir  plauderten 

zu  lang !" 

56)  Makhz. 


O^AA^id 


>  jj>  (j^  y  ai^  jvA^  (ji  y  wX£^Li 


21)  Im  Text  steht:    (ji/««^  «  statt   •  iß^^i^  • 

4* 


52  Sitzung  der  philos.-philol  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

Uebersetzung: 
„Mehr  und  mehr  hat  stets  dein  Herz   sich  trotzig  von  mir 

abgekehrt, 
Leer  von  mir  nun  ist's,  dess  Ernte  längst  vom  Feuer  schon 

verzehrt ; 
Doch  wenn  Wort  mir  hält  das  Leben,    will    von    dir  mein 

eigen  Herz  ich 
Mehr    noch  leeren,   als  du  selber   schon  von  mir  dein  Herz 

geleert." 

57)  Ell.  292.  Ind.  Off.  1265. 

^^^>^*l     cXJjJ     v,^Lä.\     p»^a«I 

Uebersetzung: 
„Wohl  möglich  wär's,    dass  selbst  die  Wangen  des  Sheichs 

vom   Weine  Feuer  fingen, 
Ich  könnte    mit    dem  Haufen  Stunden    wohl    in    der   Ka'^ba 

selbst  verbringen ; 
Ja  denkbar  war'  es,    zum  Bekenntniss   des  Islam    Franken 

gar  zu  zwingen, 
Doch  ganz  und  völlig  dich  zu  fassen,  nur  das  allein  wird 

nie  gelingen!" 

58)  Ell.  294. 


22)  Ell.  292  hat  gegen  das  Metrum,  aber  treffend  dem  Sinne  nach 


Ethe\  Die  Bubais  des  Abu  Said  bin  Abulkhair.  53 

O^AJ   yi^  *Jö   ».f  iuX'J   (jXo   ^^Jh}   yj 
Sj  J"b   (j^Ä.   st>^  60 S  ^Ä.   St>^5'b 

Uebersetzung : 
„Wenn  Gutes  du  nocli  nie  gethan,  wenn  stets  du  Schleclites 

nur  ersonnen, 
Und  wähnst ,    du  seist  gerettet  nun ,    du    seiest    allem    frei 

entronnen, 
0  bau  auf  Gottes  Huld  dann  nicht  —  denn   nimmer  wird 

zu  Nichts  Vollbrachtes, 
Und  nimmer  zu  Vollbrachtem  wird,    was    du  noch   nie   zu 

thun  begonnen  !"^^) 

59)  Ind.  Off.   1265  und  2415. 


23)  Dies  rubä'i  ist  augenscheinlich  eine  Antwort  auf  eine  von 
Avicenna's  persischen  Vierzeilen,  die  ich  in  den  „Nachrichten  der  Göt- 
tinger Akademie",  1875  ns.  21  p.  555  ff.  veröffentlicht  habe,  und  zwar 
auf  die  erste  dort  gegebene: 

„Wir  haben  nun  durch  Gottes  Huld  den  Stand  der  Heiligen  gewonnen, 
Dem  Guten  sind,  dem  Bösen  wir,  das  uns  in  Banden  hielt,  entronnen; 
Denn  da,  wo  deine  Gnade  wirkt,  vergeht  in  nichts,  was  wir  vollbrachten; 
Und  dennoch  zum  Vollbrachten  wird,  was  wir  noch  nie  za  thun  begonnen." 
Unser  Dichter  hat  absichtlich  denselben  Reim  beibehalten,  den 
Avicenna  gebraucht,  und  das  ist  auch  in  der  Uebersetzung  nachgeahmt 
worden. 

24)  1265  :    Lxfc  . 


54  Sitzung  der  phüos.-philol.  Glasse  vom  6.  Juli  1878. 

üebersetzung: 

„Weh,    dass  man  in  diesem  Zeitlanf,   voll    von  Schmerzen, 

voll  von  Harm, 

Ach,    dass   man   in    diesem    Kreislauf,    nie    an  Gram   und 

Kummer  arm. 

Jeden  Tag  von  einem  Freund  sich  trennen  muss,    und  jede 

Stunde 

Ew'ges  Lebewohl  muss  sagen  einem  Bruder  treu  und  warm!" 

60)  Cod.  pers.  6. 


^LuhX^   U.J   wdlaJ    \ö   J>   ^yrt 


üebersetzung: 

„0  du,  der  alles  führt  zum  Glück,  o  du,  der  gänzlich  ohne 

Gleichen, 
Kein    Einz'ger    herrscht    mit    solchem    Glanz    wie    du    in 

solchen  weiten  Reichen! 
Verschlossen  sind  die  Pforten  all,   in    Schlummer  liegt  die 

ganze  Welt, 
Nun  öffne  deiner  Güte  Thor,   lass  heimlich,    Herr,   zu  dir 

mich  schleichen!" 


25)  2415:    öS  statt     Jo;> . 


Ethe:  Die  Bubais  des  Abu  SaHd  bin  Abulkhair.  55 

61)  Ell.  292. 

üebersetzung: 

„Noch  nie  war  ich  von  dir  getrennt,  seit  ich  von  dir  mein 

Sein  empfangen, 

Das  zeigt  mir,  welch  beglückt  Gestirn  auf  meinem  Pfad  mir 

aufgegangen  ! 

Dein  eig'nes  Wesen  hüllt  mich  ein,  muss  ich  im  Nicht- 
sein trostlos   bangen, 

Aus  deinem  Lichte  strahl'   ich  auf,   lässt   du   in's  Dasein 

mich  gelangen!" 

62)  Cod.  pers.  6. 

üebersetzung: 
,,Mein    geheimstes  Sinnen   fiüstr'    ich   stets    beim  Frühlicht 

dir  in's  Ohr, 
Leg'  in    deiner  Hofburg   immer   meines  Flehens  Bittschrift 

vor; 
Knechten  unverpflichtet  führe  du,  der  Knechte  selbst  empor 
Huldvoll  zieht,    mein  Werk  für    mich  aus,    der  ich  ganz 

den  Kopf  verlor!'^ 


56  Sitzung  der  phüos.-philol.  Glosse  vom  6.  Juli  1878. 

63)  Ell.  294. 

;JtXxio    ^xA:?d.j>t   «    JLä.   ^t♦;ö   ,>j|   L 

Uebersetzung: 

„Es  fiel  durch  dich  mein  Herz  zur  Beute  dem  Schmerzeus- 
drange —  frage  nicht! 

Mein  Herz    ward   um    der  Seele   willen    so  eng'  und  bange 

—  frage  nicht! 

Und  dennoch  hat  zu  dir  die  Liebe  trotz  aller  meiner  Her- 
zensenge 

In  meinem  Herzen  Platz  gegriffen    ach    schon  so  lange  — 

frage  nicht!" 

64)  Ell.  294. 

Uebersetzung: 

„Gramerfüllt    um    dich    im    Herzen    hundert   Kümmernisse 

trag'  ich  — 

Fern  von  deinem  Mundrubine  stets  mich  nur  mit  Schmerzen 

plag'  ich;  — 

Ueberdrüssig  dieses  Lebens  bin  ich  ganz,  ich  armer  Fremd- 
ling, 

In  des  Nichtseins  Gau  allein  nur  ew'ger  Ruhe  Ziel  erjag'  ich!" 


Ethe:  Die  Bubd'is  des  Abu  SaHd  bin  Äbulkhair.  57 

65)  Cod.  pers.  6. 

üebersetzung: 

,,Es    sei   dem  Riswän  Glanz  beschieden,    es  sei  den  Engeln 

Preis  und  Heil! 

In's    Paradies   geh'    ein    der  Gute  —  zum  Höllenpfuhl   der 

Böse  eil' ! 

Es  sei  den  Königen  und  Kaisern,  den  Fürsten  all  die  Erde 

feil! 

Nur  werde  meine  Seel'  dem  Liebchen  und  mir  das  Lieb- 
chen selbst  zu  theil!'^ 

66)  Ell.  294. 

jvaXj    <:^,y    O^io    ^>ös    r^-o    vi 

jvlxi    «wO*.;:^    •    v:>.av.:^    I^«^^    i^Xx^c    V« 

^JXJJ    (V^^io    ^L>   vi   ^    r^OJ^    ^ 

jv^Xi  <^rt)))^   *^  jvjly^   ^1 

üebersetzung: 
„Ich  will  aus  Furcht  vor  dem  Rivalen   nicht  länger  deinen 

Gau  Umschweifen, 
Dem  Seh  mahn  der  Leute  zu  entgehen,  auf  deiner  Spur  nicht 

länger  streifen; 
Die   Lippe  schliess'   ich,   niedersitz'    ich    —    doch    nimmer 

kann  ich  der  Begierde 
Nach  dir  es  wehren,   stets  auf's  neue  mit  Sehnsuchtsdrang 

mich  zu  ergreifen/' 


58  Sitzung  der  phüos.-philol.  Olasse  vom  6.  Juli  1878, 

67)  Ell.  292. 

Uebersetzung: 
„0  Kibla  aller,  die  beglückt  in  deinem  Gau  geborgen, 
Die    Herzen    aller  schaun    zu    dir,    die    kühn    entsagt   den 

ird'schen  Sorgen! 
Mit  welchem  Antlitz  aber  schaut,    wer  heut   von  dir  hie- 

nieden 
Sein   Antlitz   kehrt,    da    droben  wohl   dein   eig'nes  Antlitz 

morgen?" 

68)  Wälih.  Ind.  Off.  1265. 

^:>.A*o\    <XjLj    (^4^    (*-^rf    (5^  y    (3"«^^  ^^ 
o.-wfc-^\   I^J-^Äuft   ^^^1   4XJL4J   (^)-'^    rX^    y 

uebersetzung: 

„Ganz    zur   Thräne    ward   mein    Auge    —    ausgeweint  nun 

ist's  und  leer ; 

Blind  muss  ich  hinfort  geniessen  deiner  Liebe  Huldverkehr ; 

Wozu  frommt  solch  Lieben?  Spuren  giebt  von  mir  es  nir- 
gends mehr; 

Leiden  ganz  nur  muss  ich  Liebe  —  wer  denn  wirkt  und 

übt  sie  —  wer?'' 


Ethe:  Die  BuhdHs  des  Abu  Said  hin  Äbulkhair.  59 

69)  Ell.  294. 

cA*-^  (J^^    ^f^    (5V    ^'^>^  )'^ 
2U    s^    >7^^=*>    *c>.AvJ   JLo*    iXyol 

*(jiUA5"  ,j^^  i^-v^  ^i)jö  ^  ^  y 

Uebersetzung: 
„Deine    Wohnstatt  ist  mein  Herz   nun  —  tränken    würd' 

ich's  sonst  mit  Blut; 
Du  nur  füllst  mein  Auge  —  füllen    würd'    ich's   sonst   mit 

Thränenfluth! 
Dir  in  Liebe  sich  zu  einen  hofft    allein  noch  meine  Seele; 
Aus  dem  Leib  mit  tausend  Listen  riss'  ich  sonst  sie  wohi- 

gemuth !'' 

70)  Ell.  292. 

•Ufi      iUj^jO      Ö\Ö      Ä^    d^.y       (3^Lft 

Uebersetzung: 

„Es  spricht  der  Fürst:  „mein  Schatz  allein  nur  ist  Kapital, 

das  Zinsen  trägt;" 

Der  Qüfi  spricht:  „die  Kutte  ist  es,  die  hären  um  den  Leib 

sich  legt;" 

Verliebte  sprechen:  „nein!   der  Gram  ist's,  der  täglich  neu 

in  uns  sich  regt;" 

Doch  was  es  wirklich  ist,  weiss  ich  nur :  was  tief  mein  In- 
nerstes bewegt." 


60  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

71)  Cod.  pers.  6. 

lyOx       ^JsjI      üJuyJ       (3-Lä.      O*.^      ^ 

üebersetzung: 
„Um  deine  Klause,  Freund,  den  Umlauf,  den  heil'gen,  halten 

möclit'  ich  wohl ! 
Auf  dein«^r  Schwelle  meine  Lippen  zum  Kusse  falten  möcht' 

ich  wohl! 
Zum  Dank  den  Leuten   mich    verpflichten,    das    möcht'  ich 

nicht,    doch  Wegkost  haben 
Aus  jenem  Schatz,  den  deine  Hände  allein  verwalten,  möcht' 

ich  wohl!" 

72)  Ell.  292. 

'^7^  u>;  )^  ;r'  *;'^  ;-^  <>-^-*i;^^ 

Üebersetzung  : 
,,Dir   allein  hat    ihrer  Schönheit  Strahl    die  Ros'  im  Hain 

entführt, 
Seinen  Glanz  des  Herzens  Spiegel  deiuer  Wang'  allein  ent- 
führt. 


26)  Der  Text  hat  ein  unpassendes    .     vor  ^t> 


Ethe:  Die  RubäHs  des  Abu  Said  bin  Abulkhair.  61 

Durch  das  Fenster  jedes  Hauses,  drin  dein  Antlitz  aufge- 
leuchtet, 

Hat's   als    winzig  Stäubchen  Lichtes   all    der  Sonne    Schein 

entführt." 

73)  Cod.  pers.  6. 

^y^  uy-^^  ^"^  y  u'-Cr^  l*-^  ;^  v5^ 

Uebersetzung: 
,,In    deines  Haares    Schlägelkrümmung    ist   ganz   dem    Ball 

mein  Herz  vergleichbar; 
Kein  Haarbreit  weicht  von  deines  Wunsches  Geheiss  es  ab, 

das  unausweichbar ! 
Mein  Aeuss'res  hab'  ich  rein  gewaschen,  das  ganz  in  meine 

Hand  gegeben; 
0  wasche  du  nun  rein  mein  Inn'res,  das  deiner  Hand  allein 

erreichbar." 

74)  Ell    294. 

Uebersetzung: 
„Wenn    ihn   nur   mit  Schelmenblicken   erst   dein  Aug'   be- 
rückt aufs  Neue, 
Glaub',  dass  deinem  Kranken  leicht  dann  Liebesschmachten 
•  glückt  auf's  Neue! 


62  Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

Wirft  auch  auf  den  Eingeweihten  einen  Strahl  nur  deine 

Schönheit, 
Dem  Alltäglichen   entsagt    er  flugs  und    ist   verzückt  aufs 

Neue !" 

75)  Cod.  pers.  6. 

jjLa«^     ^L    ^L     I^XI     ^     ^j^     l^^l 

Uebersetzung: 

„Lass  mich,  Herr,  den  Freund  doch  finden,  der  in  Ein- 
tracht mit  mir  wallt. 

Hilf,  dass  zu  dem  Gleichgestimmten  meines  Herzens  Stimme 

schallt ! 

Eine  ihm  mich  wieder ,    gieb   mich  i  h  m  zurück ,    um  des- 

sentwillen, 

Seit  er  schied,  von  Gramesseufzern  all'  mein  Inn'res  wie- 
derhallt/' 

76)  Ell.  294. 

vil^   xiaÄJ   i^y^   ^b:^  ä-«j^Lä.    >j 

Uebersetzung. 
„Ist  unser  Mangel  an  Erkenntniss   des  eig'nen  Thuns  auch 

noch  so  gross, 
Doch   wallen    durch   den    ßosenhain   wir    nicht    ganz  von 

höh'rer  Einsicht  bloss, 


EtJie:  Die  RubäHs  des  Abu  Said  hin  Ahulkhair.  63 

Und  wie  am  Rande  eines  Buches  ein  deutevolles  Frage- 
zeichen, 

So,  ob  auch  nicht  in  Werken  thätig,  sind  doch  auch  wir 

nicht  wirkungslos!'* 

77)  Ell.  294.  Sprenger  337. 

Öy4^      ^jJ^     t>j.ik      \«»     yS>.      (wIä.      ioJLä. 

üebersetznng: 
,,Dein  Wuchs  hat  meinen  Wuchs   gekrümmt    durch  all  die 

Last  vou  Gram  und  Sehnen; 
Es   hat   dein    Auge   quellengleich    das    meine   angefüllt  mit 

Thränen ; 
Auf  einmal  hat  dein  Schönheitsmaal  mich  selbst  und  deinen 

Glanz  verdunkelt, 
Dein  Haar  Verwirrung  meinem  Thun  gebracht  und  deinen 

Lockensträhnen." 

78)  Ell.  294. 

^L^    v:i*««Jö    Ä-Lö    \^:^mj,'q.a    ä>    (c^5"^* 


27)  Ell.  294  hat    4>^    .1^  statt  0*.^.    sU. 

28)  ww   ist   nicht  in  der  Handschrift;    ds 
und  Sinn  unerlässlich  ist,  habe  ich  es  eingefügt. 


28)    yjM   ist   nicht  in  der  Handschrift;    da   es   aber  für  Metrum 


64  Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

Uebersetzung: 
„Lass  dein  Haupt,    so  lang  ein  Haupt  dir,    stets    in  ireuer 

Diensteshaft 
Derer,  die  zur  Gottheit  beten  mit  der  Inbrunst  Segenskraft! 
Reicht  doch  allen,  die  das  Schicksal  Gifttrank  kosten   liess 

hienieden, 
Ein  untrüglich  Gegenmittel  einzig  ihre  Brüderschaft." 

79)  Ell.  292. 

Uebersetzung:  -*- 

„Stets  beim  Wein  und  weinestrunken ,    schau ,    wie    fromm 

wir  Gott  verehren  ! 

Wie  nach  Irdischem  wir  strebend  doch  nach  Ewigem  be- 
gehren ! 

Aber  lassen  sich  die  beiden,  Erdenlust  und  Glauben,  einen? 

Einfach  so,    dass   nie    um  Glauben   noch    um  Ird'sches    wir 

uns  scheeren  !" 

80)  Ell.  292.  294. 

*t>N^I   ^^)lX-^^  V5•r^  ^t^  '^y^  ^y^ 


29)  Ell.  294  hat  an   allen  drei  Stellen    *-}c>)^l 

30)  Ell.  294:    ^Oy)^i    ^^  . 

31)  Ell.  'lU:    ^iöyi  ^    ^Lori. 


EtM:  Die  Bubais  des  Abu  SaHd  bin  Abulkhair.  6  5 

Ueberse  tzung: 

„Da  ich  keine  Laute  hatte,  bracht'  ich  flugs  ein  Weiden- 
rohr, 

Reckte  recht  mein  weisses  Haar  noch    und  mein  schwarzes 

Antlitz  vor; 

Und  da  selber  du  geboten,  dass  es  gottlos,  nicht  zu  hoffen, 

Lieh  ich,  deinem  Worte  folgend ,    auch  der  Hoffnung  noch 

mein  Ohr!" 

81)  Ell.  294. 

Uy4>«.J|     ^y^^     if^iySb^     {J*^i     i^Lt^ 

üebersetzung: 
„Schlug  dir  deiner  Seele  Ader,  Herz,  des  Liebchens  Scheiden 

wund. 
Keinem  andren  Auge  zeige  je  dein  Kleid  von  Blut  so  bunt! 
Geh  in  Jammer  auf,  doch  nimmer  lass  die  Welt  dein  Klagen 

hören, 
Steh   in  Flammen  ganz,    doch   nimmer   thu's   durch  Rauch 

den  Menschen  kund!" 

82)  Ell.  292. 

tXjf  so\  Lx>  o  «j  (^Aä  ^s  Lo  ^ 

Ueberset  zu  n  g : 
„Lange  ruht'  ich,  eh'  entworfen  noch  der  höchste  Sphären- 

bogen, 
^[1878.  I.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  Bd.II.  1.]  5 


66  Sitzung  der  philos.'phüol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

Lange,  eh'  der  bläulich  helle  Himraelshof  kreis  noch  gezogen, 
Sanft  im  Ewigkeitennichts  schon ,    und    in  mir  geschrieben 

sah  ich 
Deine  Liebe,  eh'  ich  je  noch  Lebensodem  eingesogen!" 

83)  Ell.  294. 

«•yAJ    '>:i/joj^M/.^    lO^^    y^i-f*4>^    o«AM<^    \* 

Uebersetzung : 
,, Deiner  Pforte  Staub  entreissen  kann  ich  nimmer  meine  Habe, 
Nie  dem  Gram  um  dich  die  Seele,  dass  Gesundheit  neu  sie  labe  ! 
Drum  der  Wange  Schleier  lüfte,    lass    mich  schauen    deine 

Schönheit, 
Dass   ich    bis    zum   jüngsten    Tag  nicht    bang    danach    zu 

seufzen  habe!" 

84)  Cod.  pers.  6. 

uebersetzung: 
,,Der  du  rings  den  Kreis  der  Sphären    dicht  umhüllst   mit 

Wolkenmassen, 
Der  du  selbst  den  Glaubenslosen  ohne  Huldblick  nie  gelassen. 
Der  Verwüstung  fiel  zum  Raube  alles  was  an  Häusern  dein  — 
0  wie  lang  noch.  Hausberaubter,    willst  du  in  Geduld  dich 

fassen?" 


JEthe:  Die  Rubd^is  den  Abu  Said  hin  Abiilkhair.  67 

85)  Ell.  294. 

^•-XJ     Juol     J-^     «^     j^^\     xiu     JwO 

Ueb  ersetzung: 

„Seit  grüne  Hyacinthen  rings  aus  deinen  Rosen  all  ent- 
sprangen, 

Sind  hundert  Klagetöne  mir,  wie  sonst  der  Nachtigall  ent- 
sprungen  — 

Dass  Rosen  spriessen  aus  dem  Grün,  alltäglich  ist's  -    doch 

einzig  hier  nur 

Ist  aus  den  Rosen  selbst  das  Grün   —  o  unerhörter  Fall!  — 

entsprungen!'*^^) 

86)  Ell.  294. 

<S^   C)U^   ;    \J^^   ^   ^^  ^^  )W 

üebersetz  ung: 

,,Kehr  zurück  und  meine  Treue  schau,  mein  brünstig  Flehn 

und  Bangen, 

Schau,  wie  schlaflos  ich  durchwache  all  die  Nächte,  all  die 

langen  1 

Aber  nein!    —  im  Irrthum   bin    ich  —    wohlerwünscht  ist 

mir  dein  Fernsein! 

Würde  nicht  in  deines  Auges  Strahle  flugs  mich  Tod  um- 
fangen ?'' 

32)  Die   grünen  Hyacinthen  sind  der  sprossende   Flaum   auf  der 

rosigen  Wange  des  Freundes. 

5* 


68  Sitzung  der  phüos.-pTiüol.  Classe  vom  6.  Juli  1878, 

87)  Ell.  292. 

ÄÄiK-cio    yj^   ^L^    ^^5^  1*^   (^1 

Uebersetzung: 

„Du  hast,  o  Gram,  der  du  mir  laugst  den  Schleier  der  Ge- 
duld zerstückt, 

Ob  du  mich  gleich  entkräftet  sahst,    auf  mich    mit  ganzer 

Kraft  gedrückt. 

Die  Nacht  ist  finster,  fern  von  mir  der  Freund,  und  nir- 
gends ein  Vertrauter; 

Drum  tödte   ganz   mich,    Trennungsschmerz,    da  ganz  der 

Hülfe  ich  entrückt." 

88)  Ell.  294. 

Uebersetzung: 
,, Deine  Pforte  briugt  Gewährung,  wird  im  Herzen  wach  der 

Welt 
Je  ein  Wunsch  —  und  deine  Güte  stillt  das  Ungemach  der 

Welt. 
Möchte  doch,  so  lang'  es  frommt  uns,  stets  durch  göttliche 

Ergiessung 
Deiner    Weisheit   Sonn'    hernieder    flammen    auf  das    Dach 

der  Welt!" 


Ethe:  Die  BuhdHs  des  Abu  SaHd  hin  ÄhulJchair,  69 

89)  Ell.    294. 

üebersetzung: 
„Es   hat   mein   Herz   sein    Wort    verpfändet   und   wird   es 

halten  sonder  Scheu ; 
Nach  dir  nur  schmachtet    meine  Seele,    und    dies   Geschäft 

ist  täglich  neu; 
Geschieden  ist  aus  meinem  Herzen  der  Eifer  ganz  für  beide 

Welten, 
Nur  einzig  Gram  um  dich  belebt  es,    und    der  bleibt  stets 

sich  selber  treu!" 

90)  Ell.  294. 

tN.jL4J  *  LN.jt>  (j^  (5*^*^  ^"^^  ^^)y"^  )'^ 

üebersetzung: 

„Der  bleibt  stecken,  dem  das  Herz  sich  je  an  schöne  Lieb- 
chen band, 

Der  den  Weg,  von  holden  Götzen  sich  zu  scheiden,  niemals 

fand! 

Geist'gen  Inhalt  sah  in  ird'scher  Form  er  —  seines  Her- 
zens Fuss  drum 

Haftet  bis  zum  jüngsten  Tag  auch  ewig  fest  im  ird'schen  Tand." 


33)  In  der  Handschrift  steht   o^^Uä.  . 


70  Sitzung  der  pfiilos.-philol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

91)  EU.  294. 

Uebersetzung:  ' 

„Im  Gau  der  Magier    labt   mein  Freund    sich  am  Wein  — 

o  Jammer   und  Verdruss! 
Und  weder   Ruf  noch  Anerkennung  verschafft   ihm  all  der 

Weingen  uss! 
Selbst,  dass  er  ganz  sich  barg,  verborgen  blieb  das  ver- 
borgner Weisheit  Jüngern, 
So  trefflich  wusst'    er  auszuführen    den  Weltvergessenheits- 

entschluss !" 

92)  Ell.  294. 

!;r^  7^^  ^;  "^W^  ^7^  7^ 

L^XjO     ^s     i^Ä.    jJ^tXj     d^^y^^ 

üeb  er setzu  ng: 
„Traun!  den  Kamm  zog  jener  Mond  dort  durch  sein  Haar, 

das  ringelgleiche, 
Senkt'  es  nieder    dann  aufs  Antlitz,    all  das  ambraduftend 

weiche; 
Um  erkennbar  dem  Vertrauten  nur  zu  sein  —   mit  list'gem 

Streiche 
Hielt    er  so   sich    drum  die  Wange  ganz    verhüllt,   die  an- 

muthreiche!" 


Herr  Bursian  legte  vor: 

,,Mitt  hei  langen     aus     Würzburger     Hand- 
schriften" von  Herrn  Laubmann. 

II. 

Cassiodor's  Ins  tit  utiones  saecularium  litterarum 

(oder  humanarum  rerum)  in  der  Würzburger  und 

Bamberger  Handschrift. 

Im  verflossenen  Sommer  liatte  ich  aus  anderem  Anlass 
die  Würzburger  und  Bamberger  Handschrift  des  Cassiodor, 
aus  denen  C.  Halm,  Rhetores  latini  p.  495 — 500  das  cassio- 
dorische  Capitel  de  rhetorica  herausgab ,  untersucht  und 
war  erstaunt,  zu  finden,  dass  die  in  dem  genannten  Ab- 
schnitt so  ähnlichen  Codices  vorher  und  nachher  in  vielen 
Punkten  auseinandergehen  und,  zum  Theil  wenigstens,  ganz 
verschiedene  Redactionen  enthalten.  War  es  an  sich  schon 
meine  Absicht ,  darüber  eine  kurze  Mittheilung  zu  geben, 
so  wurde  ich  darin  noch  bestärkt  durch  Herm.  Usener's 
Anecdoton  Holderi.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  Roms  in 
ostgothischer  Zeit.  „Festschrift  zur  Begrüssung  der  XXXII, 
Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulmänner  zu 
Wiesbaden."     Leipzig  1877.  8^. 

In  diesem  Cabinetsstück  einer  literarhistorischen  Unter- 
suchung theil t  Usener  die  Handschriften  von  Cassiodors 
institutiones  humanarum  rerum  in  2  Gruppen  „durch 
welche  so  abweichende  Redactionen,  dass  man  sie  verschie- 
dene Werke  nennen  darf,  bezeugt  werden."  Hauptver- 
treter der    1.  Gruppe   („ältere  und  kürzere  Redaction,    die 


72  Sitzung  der  philos,-p7ulol.  Classe  vom  6.  Juli  1878, 

offenbar  von  der  eignen  Hand  des  Cassiodorius  herrührt") 
ist  der  cod.  Barabergensis  saec.  VIII.  „ausserdem  ^)  liegt 
sie  vor  in  einer  Würzburger  Handschrift  fast  gleichen  Alters, 
einer  St.  Galler  ^)  (Stiftsbibl.  855)  des  IX.  und  einer  Carls- 
ruher')  (Augiensis  n.  241)  des  X.  Jahrh." 

Zur  2.  Gruppe  gehören  nach  Usener  2  Bern  er  Hand- 
schriften saec.  X  (n.  212  und  234),  eine  St.  Galler  (n.  199, 
saec.  X)  und  eine  Carlsruher  (Augiensis  n.  106),  welch' 
letztere  das  von  ihm  publicirte  anecdoton  Holderi  enthält. 
Diese  2.  Gruppe  ist  durch  eine  Reihe  gemeinsamer  (aus  den 
Handschriftenkatalogen  von  St.  Gallen  und  Bern  leicht  er- 
sichtlicher) Anhänge  kenntlich. 

Im  grossen  Ganzen  wird  diese  Scheidung  unanfechtbar 
sein:  nur  bei  der  Würzburger  Handschrift*),  die  Usener  wohl 
bloss  aus  der  Beschreibung  in  Halm's  Rhetores  kennt ,  hat 
er  fälschlich  aus  der  in  dem  betreffenden  Capitel  zu  Tage 
tretenden  Aehnlichkeit  auch  für  den  übrigen  Inhalt  auf 
Uebereinstimmuug  mit  dem  cod.  Bambergensis  geschlossen. 
Aber  in  Wirklichkeit  gehört  dieselbe  weder  zur  ersten  noch 
zur  zweiten  Gruppe,  bildet  vielmehr  wie  es  scheint  eine 
Uebergangsstufe :  und  da  auch  über  den  im  cod.  Bamb.  über- 
lieferten Text,  abgesehen  von  trefflichen  Bemerkungen  Leonh. 
SpengePs  und  Fr.  Haase's,  noch  nie  eice  vollständige  Mit- 


1)  So  heisst  es  bei  Usener  p.  2. 

2)  stimmt  auch  hinsichtlich  des  übrigen  Inhaltes  sehr  genau  mit 
dem  Bambergensis.  Ausführliche  Mittheilungen  über  die  beiden  St.  Gallener 
Codices  erhielt  ich  (bevor  Usener's  Schrift  erschien)  von  dem  dortigen 
Stiftsbibliothekar,  Herrn  P.  Idtenson. 

3)  Die  Auskunft,  dass  diese  Handschrift  nur  das  zweite  Buch  der 
Institutiones  enthält,   verdanke  ich  der  Freundlichkeit  Dr.  A.  Holders. 

4)  Unter  „Würzb.  Handschrift"  ist  im  Folgenden  immer  der 
Mpm.  f.  5t  signirte  Codex  verstanden;  eine  andere  Würzb.  Handschrift, 
Mpth.  f.  29,  die  das  erste  Buch  der  Institutiones  und  vom  zweiten  das 
Capitel  de  grammatica  enthält,  wurde  Sitzungsberichte  1878,  Bd.  I,  S.  2 
und  3  beschrieben. 


Laubmann:  Mittheilungen  aus  Würzhurger  Handschriften.      73 

theilung  ^)  gegeben  wurde ,  so  will  ich ,  auf  Grundlage  der 
Ausgabe  von  Garetius,  Venet.  1729^),  kurz  über  das  Ver- 
bältniss  beider  Handschriften  ^),  über  ihre  Zusätze  und  Aus- 
lassungen, berichten. 

B  —  codex  Bambergensis,    signirt  HJ.  IV  15,  membr.  in  2^, 
saec.  Vni,    103  Blätter,    in  lan  gobardi  scher  ^)    Schrift, 
enthält^)  :  f.  1^  —  67^  Cassiodori  Senator  is  Institution  um 
diiiinarum  et  humanarum  rerum  libri  duo. 
f.  68^  —  75^  Mallius  Theodorus  de  metris.    f,  75^  —  82^ 
Gregorius  Turonensis  de  cursu  stellar  am.    f.  82^  —  102^ 
Tsidorus  de  natura  rerum.  f.  102^  —  103^  :    Ein  Gedicht 
de  eclipsi  lunae,  öfter  herausgegeben,  zuletzt  bei  Riese 
anth.lat.  n.  483. 
W=  codex  Wirceburgensis,  Mpm.f.  5^,  membr.  40  Bl.  in  2 ^ 
saec.Vni/IX,  enthält  ß): 

1)  Während  der  Correctur  dieser  Zeilen  erhalte  ich  den  soeben  er- 
schienenen ersten  Halbband  von  H.  Keil's  Gramraatici  latt.  vol.  VII, 
der  p.  213—216  die  praefatio  des  2.  Buches  und  das  Capitel  de  gram- 
matica  enthält  mit  Keil's  einleitenden  Bemerkungen  p.  140 — 142,  wozu 
derselbe  die  brieflich  Ende  1877  ihm  mitgetheilten  Resultate  der  fol- 
genden Untersuchung  benützen  konnte  und  theilweise  benützt  hat. 

2)  Cassiodorii  Opera  omnia  ad  fidem  MSS.  emendata  .  .  opera  et 
studio  J.  Garetii,  Venetiis  1729  in  folio.  Die  Institutiones  stehen  Tora.  II 
pag.  508  —  560 :  ich  lasse  bei  Citaten  die  Bandbezeichnung  weg. 

3)  Um  die  Angabe  der  Wortvarianten  also  handelt  es  sich  im 
Folgenden  nicht. 

4)  cf.  Wattenbach  Anl.  z.  lat.  Pal.  (1.  Aufl.)  S.  8. 

5)  Ausführlich  beschrieben  von  Friedr.  Haase  in  2  Programmen: 
„Gregorii  Turonensis  episcopi  liber  de  cursu  stellarum  nunc  primum  editus" 
Vratisl.  1853  (mit  Schriftprobe)  und  „de  latinorum  codd,  mss.  subscri- 
ptionibus  commentatio'*  ibid.  1860,  sowie  von  Halm  Ehetores  p.  XII  sq. 
Vergl.  Leonh.  Spengel  ,;,Die  subscriptio  der  institutiones  des  Cassiodorus 
im  Bamberger  codex",  Philol.XVII,  555  —  557,  und  A.  Eeifferscheid,  de 
latinorum  codicura  subscriptionibus  (Ind.  schol.  von  Breslau  1872/1873) 
Seite  5. 

6)  In  Jos.  Ant.  Oegg's  Versuch  einer  Korographie  von  Würzburg 
(1808)  I,  472  —  474  noch  als  Isidorus  bezeichnet;  Näheres  bei  Halm 
Rhett,  p.  X. 


74  Sitzung  der  philos-phüol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

f.   1^  —  30^,     31^  —  32^    Cassiodors     institutioues     liu- 
manarum  rerum  (ohne  irgendwelche  solche  Bezeichnung). 

f.  30^  —  31^  (Eiusdem)  computus  pascalis. 

f.    32^  —  36^    Julii    Seueriani   Praecepta  artis   rhetoricae 
(Halm  Rhett.lat.  p.  355  —  370). 

f.  37^  —  40*  Topik  eines  unbekannten  Verfassers,  meist 
Excerpte  aus  Boetius  enthaltend.  Anfang :  Do  dialecti- 
cis  locis  brebi  aliqua  dicenda  sunt  ex  quibus  argumenta 
sumi  possunt.  Locus  igitur  est  argumenti  sedis  qui 
partem  in  maxima  propositione  partem  in  maximae 
propositioüis  differentia  intellegitur.  Nam  cum  sint 
propositiones  quae  per  se  notae  sint  ut  nihil  indigeant 
quo  demonstrentur  hae  maxime  et  principales  uocantur 
etc.  Schluss:  omnis  dialectici  loci  ex  quibus  argumenta 
trauntur  ad  ornnia  quae  in  quaestiouibus  uenire  possunt 
in  Omnibus  causis  uel  rebus  expleti  esse  noscuutur.  us- 
que  huc  scribendum  ^). 
Die  nun  folgende^)  subscriptio ^) 

PMNKC-   ABBPR-   FKNFM  •   HB:    BFT  • 

PRFMK   XM-    FKXC-    NPN  •    HB-    BFT  ••    finem; 

DÖ  CR<\TIAC:-    d^MEN  ''   €00  SUPER:  — 

ist,  wie  ich  auf  den  ersten  Blick  sah ,  nur  die  Verwendung 
jener  Geheimschrift,  die  statt  eines  Vocales  den  folgenden 
Consonanten  setzt*),  und  heisst  also : 


1)  Diese  drei  Worte  von  späterer  Hand  (Schreiberan Weisung). 

2)  In  der  Hdschr.  in  zwei  Zeilen  geschrieben ,  beim  Druck  aber 
aus  Gründen  des  Raumes  anders  getrennt. 

8)  Oegg  I,  474  not.  hat  folgendes  herausgelesen:  „Pia 
Manus  Abonis  Venerabilis  Presbiteri  fecit  hunc  finera  —  habebit  pre- 
mium  in  eternum.  Eusidorus  hispalensis  habet  finem.  Deo  gratias 
amen"  und  über  diesen  erfundenen  Priester  Abo,  pag.  580, 
eine  Art  Biographie  geschrieben! 

4)  Wattenbach  Schriftw.  im  MA.  (2.  Aufl.)  S.  273  not.  4. 


Laubmann:  Mittheilungen  aus  Würzburger  Handschriften.    75 

Omuis  labor  finem  habet  .  premium  eius 

non  habet  finem;  Deo  gratias.  amen,  ego  super ^):  — 


B  34^  (=  Gar.  527)  schliesst  das  1.  Buch  mit  dem  Wort 
supplicemus ;  ich  gebe  hier  die  darnach  folgende  subscriptio, 
sowie  den  Anfang  des  zweiten  Buches  (mit  Auflösung  der 
Abbreviaturen). 

CASSIODORI  SENATORIS  INSTITV 
TIONÜM  DIÜINARUM  LITTERARUM  EXPLICIT 
fol.  35^  LIBER  PRIMVS  .  INCIPIT  EIUSDEM  SECU 
LARIUM  LITTERARUi\I  LIBER  SECÜN 
DÜS  DEO  GRATIAS  .     prefatio  libri  .  II 
Superior   über   domino  prestante    conpletus   bis  zu  den 
Worten  (Bamb.  fol.  35^  lin.  18)  Modo  iam  secundi  uolumi- 
nis   intremus    [initia]     quae   paulum^)    diligentius   audiamus 
(=  G.  528^,   18).     Diese  ganze  erste  Hiilfte  der  Einleitung 
Cassiodor's  zum  2.  Buch  fand  Garetius  nicht  in  einer  Hand- 
schrift, sonflern  er  entnahm  sie  aus  Alcuin,  mit  dem,    wie 
er  in  seiner  praefatio    nachweist,    der   ganze  Inhalt   nichts 
zu  thun  hat.    Nach  audiamus  fährt  Garetius  fort^):  Intentus 
nobis  est ;  mit  diesen  Worten  beginnt  die  Würzburger  Hand- 
schrift, die  von  B  stark  abweicht. 


ß  35^ 

diligentius  audiamus ,  sunt 
enim  etoemoligiis*)  deusa 
et  difinitionum  plena  tractan- 


W   1^ 
(Ohneinscriptio)Inteutus  nobis 
est    de    arte  grammatica  siue 
retorica  uel  de  disciplinis  ali- 
qua  brebiter  uelle  conscribere 


1)  Diese  Schlussworte  (die  Hdschr.  ist  damit  deutlich  zu  Ende  und 
kann  also  nichts  fehlen)  sollen  wohl  heissen :  Ich  bin  fertig,  ich  bin  zu  Ende? 

2)  statt  quae  hat  die  Hdschr.  que,  das  folgende  Wort  scheint  zuerst 
pauluf  gewesen  zu  sein,  woraus  man.  1  paulü,  man.  2paululum  corrigirte. 

3)  Mit  der  Randbemerkung :  ,,Hic  incipiunt  MSS.  codd." 

4)  so  die  1.  Hand,  welche  gegenüber  den  Correcturen  von  man.  2 
allein  maassgebend  ist. 


76  Sitzung  der  philos.-philol.  Ölasse  vom  6.  Juli  1878. 


B  35" 

tibus.  In  quo  libro  pri- 
mum  nobis  dicendum  est 
de  arte  gramatica,  quae  est 
uidilicet  origo  et  funda- 
mentum  liberalium  litterar  um. 
Liber  autem  dictus  est  a  libro 
id  est  arboris  cortice  dempto 
adque  liberato  ubi  ante 
inuentionem  cartarum  anti- 
qui  carmina  cZescribebant. 
Ideoque  licentia  est  nunc 
et  breues  libros  facere  et 
prolixiores  extendere.  Quo- 
niam  sicut  cortex  et  uirgulta 
complectitur,  et  uastas  arbores 
claudit,  ita  pro  rerum  qua- 
litate  permissum  est  modum 
libris  inponere.  Scire  autem 
debemus  etc. 


W  1" 

quarum  rerum  principia  ne- 
cesse  nobis  est  incoare 
dicendumque  prius  est 
de  arte  grammatica  quae  est 
uidelicet  origo  et  funda- 
mentum  liberarium  litterarum. 
Liber  autem  dictus  est  a  libro 
id  est  arboris  cortice  dempto 
atque  liberato  ubi  ante 
copiam  chartarum  antiqui 
carmina  c?iscribebant.  ^) 


Scire  autem 


debemus  etc. 


Von  da  an  stimmen  ^)  B  und  W  ziemlich  lange  überein 
bis  zu  den  Worten  ut  poeta  dictus 


B  36^  med. 
intellegitur  apud  graecos  ho- 
merus ,  apud  latinos  uer- 
gilius ,  orator  enuntiatus  apud 
grecos  demosthenes ,  apud 
latinos       cicero      declaratur. 

o 

Quamuis  multi  et  petae  et  ora- 
tores  in  utraque  lingua  esse  do- 
ceantur.  Mathematica  uero  etc. 


W  1^  (=G.  528^) 
intelligitur  uirgilius ,  orator 
enuntiatus  aduertitur  cicero 
quamuis  multi  et  poetae 
et  oratores  in  latina  lingua 
esse  doceantur  quod  etiam  de 

omero  adque  demosthene  grae- 
cia   facunda^)   concelebrat. 
Mathematica  uero  etc. 


1)  In  W  fehlen  also  die  Worte  Ideoque  —  inponere. 

2)  Abgesehen  von  4  unwesentlichen  Wortvarianten. 

8)  so  deutlich  von  erster  Hand;  erst  der  späte  Corrector  machte, 
indem  er  ein  i  aufsetzte,  facundia  daraus,  ohne  aber  gleichzeitig  graecia 
n  graeca  zu  verwandeln. 


Laubmann:  Mittheilungen  aus  Würzhur ger  Handschriften.       77 


Im  Folgenden  stimmen  B  und  W  wieder  bis  zum  ScWuss 
der  praefatio ;  ich  gebe  die  subscriptio  etc. 


W  2^ 

dicta  percipiat. 

EXPLICIT  PRAEFATIO. 

INCIPIT   INSTITVTIO   DE 

ARTE  GRAMMATICA 


B 

fol.  36^  dicta  percipiant. 
fol.  36^  CASSIODORII  • 

SENATORIS. 

EXPLICIT  SECUNDI 

LIBRI  PREPATIO 

Incipit   tituli  eiusdem 
libri  deo  gratias 
I  De  grammatica. 
II  De  rethorica. 
III  De  dialectica. 
IUI  De  aritbmetica. 
V  De  musica. 
VI  De  geometrica. 
VII  De  astronomia. 

EXPLiciunt  TITüLI 
SECULARIÜM  LIT- 
TERARUM  LIBRI 
SECÜNDI;  INCIPIT 
EIUSDEM  LIBER 
SECÜNDI  DEO  GRA- 
TIAS 0 

Grammatica  a  litteris   Grammatica  a  litteris  nomen 

nomen  accepit  etc.         accepit  etc. 

Wir  sehen  hieraus  deutlich,    dass  es  sich  bei  W  nicht 

um    ein   zweites  Buch   von    Cassiodor,    sondern   nur  um 

seine  institutiones  saecularium   litterarum    als  Specialschrift 

handelt. 


1)  Incipit  bis  gratias  vom  Schreiber  aus  Versehen  über  das  Ex- 
pliciunt  gesetzt,  und  später  unten  an  richtiger  Stelle  als  Incipit  eiusdem 
Über  secundus  ergänzt. 


78 


Sitzung  der  philos  -philol.  Olasse  vom  6.  Juli  1878. 


Kaum  6  Zeilen  weiter  treffen   wir  auf  die  zwar  kurze. 


aber  docli  nicht  zu  übergehende  Variante: 


B  36^ 

de  quarum  positionibus  ad- 
que  uirtutibus  graece  elle- 
nus ,  latine  priscianus  sup- 
pliciter  (corrigirt  in :  sufii- 
cienter ;  es  muss  heissen : 
suptiliter)  tractauerunt. 


W  2^  med.  [^  G.  529^  med.] 
de  quarum  formulis  at- 
que  uirtutibus  helenus  et 
priscianus  suptiliter  attico 
sermone  locuti  sunt. 


Bald  darauf  hat  B  einen  in  W  fehlenden  Zusatz,  der- 
gleichen wir  in  der  Folge  noch  mehreren  begegnen  werden  ; 
in  der  Ausgabe  von  G  stehen  einige  davon,  andere  fehlen. 
Nämlich  nach  den  Worten :  Cuius  [i.  e.  Donati]  gemina 
commenta  reliquimus,  ut  supra  quod  ipse  planus  (latinus  W) 
est,  fiat  clarior  dupliciter  geht  es  weiter : 


B  37*  (=-  G.  529*  med.) 
explanatus.  Sed  et  sanetum 
augustinum  propter  simplici- 
tatem  fratrum  breuiter  in- 
struendam  aliqua  de  eodem 
titulo  scripsisse  reperimus, 
quae  uobis  lectitanda  reli- 
quimus :  ne  quid  rudibus 
deesse  uideatur,  qui  ad  tantae 
scientiae  culmina  praeparan- 
tur.     Donatus  igitur  etc 


W  2*  med 
explanatus 


Donatus  igitur  etc. 


In  den  aus  Donatus  genommenen  Definitionen  stimmen 
beide  Handschriften  überein ;  sogleich  nach  Schluss  derselben 
geht  die  Verschiedenheit    wieder   an    und   zwar    in  grossem 


Laubinann:  Mittheilungen  aus  Würzburger  Handschriften.     79 


W  2^   r=  ^'   529^] 
Ortographia      est      rectitudo 
scribendi  nuUo    [o  aus  u  cor- 
rigirt]  errore  uitiata 

quae  manum  componit 
et  linguam.  Haec  bre- 
uiter  dicta  sufficiant, 

ceterum  qui  ea  uoluerit  la- 
tius  pleniusque  cognuscere 
cum  praefatione  sua  codicem 
legat,  quem  nostra  curiosiotate 
formauimus  id  est  artem  do- 
nati  cui  de  ortbograpbia  li- 
brum  et  alium  de  etymologiis 
iuseruimus,  quartum  quoque  de 
schematibus  sacerdotis  adiun- 
ximus,  quatenus  diligens  lector 
in  uno  codice  reperire  possit, 
quod  arti  grammaticae  depu- 
tatum  esse  cognuscit.  Sed 
quia  continentia  magis  artis 
grammaticae  dicta  est,  curaui- 
mus  aliqua  de  nominis  uerbi- 
que  regulis  pro  parte  subicere 

qnas  recte  tantum  arestothelis 
orationis  partes  adseruit. 
Graeca  [=  Garet.  530^]  no- 
mina  que  apud  nos  in  as 
exeunt  tres  species  habent ; 
prima  est  ut  olympias  py- 
thias   und  nun  folgen  in 

1)  Diese  2  Worte  zum  grössten  Theil  abgerissen. 

2)  conscribi  hat  auch  cod.  St.  Gall.  855,  der  überhaupt  von  Ceterum 
qui  bis  unten:  De  rhetorica  mit  B  stimmt. 


B  37^ 

Ortbograpbia  est  rectitudo 
scribendi  nullo  errore  uitiata 
quae  manum  componit  et 
linguam.  Haec  breuiter  de 
[de]finitionibus  tantummodo 
[fol.  38*]  dicta  sufficiant. 
Ceterum  qui  ea  uoluerit  la- 
tius  pleniusque  cognoscere '), 
cum  prefatione  sua  codicem 
legat ,  quem  de  grammatica 
feci    arte    con- 


scripsi  (richtig  corrigirt  in: 
conscribi^),  quatenus  diligens 
lector         inuenire  possit , 

quod  illi  proposito  depu- 
tatum  esse  cognoscit. 


80 


Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 


Nunc  ad  artis  rhe- 
toricae  diuisiones  definitio- 
nesque  ueniamus,  quae  sicut 
extensa  adque  copiosa  est,  ita 
multis  et  claris  scriptoribus 
tractata  dilatatur. 

De  rethorica  (roth) 
Rhethorica    dicitur    apo    tur 
hetoreuin  etc. 


WM.  3%  Z.4-f.  4-  Z.  12 
2*M  Seiten,  die  in  der 
Ausgabe  von  Garetius 
fehlen,  bis  zudenWor- 
ten:  s  littera  praece- 
dente  u  duae  species 
sunt,  prima  quae  in  i 
genetiuum  agit  et  plu- 
ralem  non  habet,  ut 
uulgus,  pelagus,  uirus. 
Mit  diesen  Worten  tritt  Ga- 
retius p.  530^  wieder  ein, 
wenn  auch  sehr  oft  mit  er- 
bärmlichem Text,  und  stimmt 
mit  W,  bis  es  bei  Garetius 
p.  531^  heisst :  manente 
productione.  Caetera 
desiderantur  in  MSS. 
Aber  W  geht  fol.  5^  Z.  18 
noch  3V2  Seiten  weiter, 
und  schliesst  fol.  7^Z.l: 
fungor  haue  remet  illa  re. 
Haec  satis  ad  exempla 
analogiae  dixisse  suf- 
ficiat,  nunc  ad  artis  rhe- 
toricae  deuisiones  definitio- 
nesque  ueniamus  quae  sicut 
extensa  adque  copiosa  est  ita 
multis  et  claris  scriptoribus 
tracta  dilatatur. 

DE  RHETORICA  (roth) 
RHETORICA    dicitur    apotu 
rethoreuin  etc. 


Eswäreaber  eine  vergebliche  Freude,  ^y^enn 


Laubmann:  Mittheilungen  aus  Würzhurger  Handschriften.     81 

man  glauben  wollte,  durch  diese  6  Seiten  Plus 
im  cod.  Wirceb.  ein  Plus  für  den  Cassiodoriscben 
Text  erhalten  zu  haben.  Das  ganze  Stück,  von 
Graeca  nomina  que  apiid  nos  in  as  exeunt  b  i  s  acZ  exempla 
analogiae  dixisse  sufficiat ,  ist  mit  wenigen  Auslass- 
ungen aus  Martianus  Capella  abgeschrieben 
=  ed.  Eyssenh.  pg.  82,6  —  95,33,  mit  geringen  Abweich- 
ungen in  einzeluen  Worten,  die  bald  in  Eyssenhardt's  Aus- 
gabe, bald  in  unserm  Cassiodorcodex  richtiger  sein  mögen. 
Jetzt  versteht  man  auch,  wie  es  nach  den  Worten:  quas 
recte  tantum  aristoteles  orationis  partes  adseruit  im  cod. 
Bernensis  212  (cf.  Halm  rhett.  latt.  p.  XII)  und  im  codex 
St.  Gallensis  199  heissen  kann:  Reliqua  qui  uoluerit  in 
alio  quaerat  uolumine.  Nam  ego  descriptor  ad  potiora 
discurrens  reliquorum  oblitus  sum  aut  fors  neglexi,  ein  Zu- 
satz, den  sogar  in  W  eine  spätere  Hand,  die  nach  einem 
anderen  Exemplar  den  Text  durchcorrigirte,  an  den  oberen 
Rand  der  betreffenden  Seite  setzte  und  durch  ein  Zeichen 
als  nach  adseruit  gehörig  andeutete. 

Von  alledem  konnte  selbstverständlich  B  nichts  ent- 
halten, da  Cassiodor  in  diesem  Texte  nur  in  Kürze  die 
Definitionen  der  in  der  Grammatik  vorkommenden  termini 
geben  wollte,  diejenigen  aber,  welche  die  Sache  gründlicher 
studiren  wollen,  auf  das  für  die  Bibliothek  des  Klosters  zu- 
sammengeschriebene Corpus  grammaticorum  verweist. 

Den  Abschnitt  über  die  Rhetorik,  dessen  Anfang  wir 
oben  noch  anführten,  können  wir  füglich  übergeheu,  nach- 
dem Halm  in  seinen  Rhetores  latini  pag.  495 — 500  cf.  p.  XII 
sq.  das  betreffende  Capitel  aus  B  und  W  herausgab  und 
alle  hier  einschlagenden  Fragen  genau  erörterte.  Nach 
dem  bei  Halm  letzten  Worte  occupetur  geht  es  in  B  und 
W  (=:  G.   536^)  ziemlich  übereinstimmend  weiter: 

Nunc  ad  logicam,  quae  et  dialectica  dicitur,  sequenti 
ordine^ueniamus:  quam  quidam  disciplinam,  quidam  artem 
[1878.  I.  Philos.-philol.-hist.  Gl.  Bd.  II.  1.]  6 


82 


Sitzung  der  philos,-philol.  Olasse  vom  6.  Juli  1878. 


appellare  maluerunt,  clicentes:  quando  apodicticis  id  est 
propabilibus  (ueris  B)  disputationibus  aliquid  disserit ,  dis- 
ciplina  debeat  nuucupari ;  quando  uero  aliquid  (quando 
autem  quid  [aliquid  man.  5ec.]  J5,  quando  enim  aliquid  W) 
uerisimile  (uerisimile  adque  opinauile  B)  tractat,  ut  sunt 
syllogismi  sopbistici  {diese  vier  Worte  fehlen  in  B)^  noraen 
artis  accipiat.  Ita  utrumque*)  uocabulum  pro  (dies  Wort  fehlt 
mit  Recht  in  B  und   W)   argumentationis   suae  qualitate 


B  43^ 
promeretur.  Nam^)  et  pater 
augustinus.  bac  credo  ratione 
commonitus  grammaticam  ad- 
que retoricam  disciplinae  no- 
mine uocitauit,  uarronem  se- 
cutus;  felix  etiam  capella  ope- 
ri  suo  de  Septem  disciplinis 
titulum  dedit;  disciplina  enim 
dicta  est  quia  discitur  plena 
quae  merito  tali  nomine  nun- 
cupatur;  quoniam  incommu- 
tabilis  illis  semper  regula 
ueritatis  obsequitur. 

JDe  diülectica  (rotb !) 
Dialecticam   primi  pbilosopbi 
in    suis    quidem    dictionibus 
babuerunt,  non  tamen  etc. 


W   10^  (=:  G.   536^) 
promeretur. 


De  dialectica. 
Dialecticam   primi  pbilosopbi 
in  dictionum   suarum  quidem 
argumentationibus  babuerunt, 
non  tamen  etc. 


Das  jetzt  folgende  Capitel  de  dialectica  nimmt  in  der 
Ausgabe  von  Garetius  ebensoviel  Raum  ein  als  die  6  andern 
Disciplinen  zusammen.  Es  ist  scbwer,  das  Verbältniss  von 
B  und  W   zu  einander   und   zu  G  kurz  darzustellen:    doch 


1)  disciplinara — utrumque  von  1.  Hand  auf  Rasur. 

2)  cf.  Spengel,  Philologus  XVII,  557. 


Laubmann:  Mittheilungen  aus  Würzburger  Handschriften.      83 

will  ich  es  versuchen.     W  hat  Alles ,    was  in  der  Ausgabe 
steht,  B  kaum  mehr  als  den  dritten  Theil  davon. 


B 

enthält  f.  43^  —  50* med.,  was 
bei  Gar.  536^  med.  —  540''Z.  18 
V.  u.  steht; 

dann  fehlen  in  B  13  Spalten 
des    Garet'schen    Textes. 

f.  50"  med.  —  52"  Z.  8  = 
G.  547"  Z.  5  V.  u.  -  548" 
Z.  18  V.  u. 
(jedoch  diese  2  Blätter  in  von 
G.  abweichender,  mit  Isidorus 
übereinstimmenderRedaction) , 
also : 

B43"  — 52"Z.  8:  Dialec- 
ticam  primi  philosophi 
(wie  oben)  —  etnonnuUis 
(G.  540  Z.  21  V.  u.)  locis 
commemorantur  in  topi- 
cis.  Nunc  ad  topica  ue- 
niamus  quae  sunt  argu- 
mentorum  sedes,  fontes 
sensuum  et  origines  (f.  50" 
med.  =G.  540^ Z.  18 v.u.) 
dictionum.  JDiuisio  topi- 
corum  sine  locortim  ex 
quihus  argumenta  du- 
cuntur  (roth  =  G.  547" 
Z.  5,  von  jetzt  an  wört- 
lich bei  Isidor  etjm.  II,  30, 
1 — 16)  —  uelle  mentiri. 
Dann  lässt  B  alles  aus,    was 


W 


stimmt  f.  10"—  19'^  Z.  5  mit 
Gar.  p.  536^  —  547"  Z.  10  v. 
u.,  also :  Dialecticam  (siehe 
oben)  —  -'  et  nonnuUis  locis 
commemorantur  in  topicis. 
Incipiendum.  Nunc  ad  to- 
picam 'ueniamus,  quae  sunt 
argumentorum  sedes ,  fontes 
sensuum,  [f.  13^]  origines 
dictionum,  de  quibus  breuiter 
aliqua  dicenda  sunt,  ut  et 
dialecticos  etc.  bis  (f.  19^  Z.  5 
=  G.  547"  Z.  10  V.  u.) 
differentiae  esse  dicuntur. 
Themestii  expUdunt  loci  dia- 
lectici  nunc  ad  retoricus  iw 
niamus  (roth).  Rhetorica 
oratio  habet  partes  sex  etc. 
(=1  G.  549^  Z.  5  V.  u).  Was 
in  G.  547"  Z.  9  v.  u.  —  549»» 
Z.  7  V.  u.  dazwischen  liegt, 
ist  in  W  nachgetragen  und 
zwar  (hinter  der  Astrouomia) 
f.  27"  med.  —  28"  med. 
Item  incipiendum.  Item  de 
topicis. 

Topica     sunt    argumentorum 
sedis,  fontes  sensuum,  originis 
6* 


84 


Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe    vom  6.  Juli  1878. 


G.  548*  Z.  17  V.  u.  — 
552''  p.  m.  steht,  fährt 
vielmehr  nach  dem  Wort 
mentiri  fort :  ea  uero  quae 
tractantur  in  tempore, 
quia  suis  nomiuibus  plana 
sunt ,    definitione  non   in- 


digent.  Memoriae 

quoque  condendum  est 


dictionum.  Itaque  licet  defi- 
nire  —  bis  (Gar.  548*  Z.  1 8  V.  u.) 
uelle  mentiri ;  dann  sogleich 
die  Worte  (G.  552^  med.)  me- 
moriae quoque  condendum  — 
cadat  ingenium,  und  nun  erst, 
f.  28*—  30^  31^  med.  -  32*, 
was  G.  548  Z.  17  v.  u.  - 
549'^  Z.  7  7.  u.  steht:  De 
syllogismis.  Prima  figura  — 
non  plato  non  iustus  non  est. 
Von  da  kehren  wir  zu  den 
schon  oben  angeführten  Wor- 
ten (f.  19^  Z.  7)  Rhetorica 
oratio  zurück,  und  es  stimmt 
W  bis  fol.  22*  Z.  12  mit  Gar. 
552^  med.,  wo  es  heisst:  hie 
ex  contrario.  Memoriae 
quoque    condendum    est 


in  welch'  letzteren  Worten  beide  Handschriften  wieder  zu- 
sammentreffen, aber  kaum  länger  als  15  Zeilen,  bis  huma- 
num  cadat  ingenium. 

Ich  habe  trotz  der  grossen  Verschiedenheiten  in  B  und 
W  nur  die  Hauptpunkte  hervorgehoben,  da  W  mit  wenigen 
Wortvarianten  in  G  zu  finden  ist,  während  B  f.  43^  —  46* 
sprungweise,  f.  46*  med.  —  52*  p.  m.  aber  (de  nomine,  de 
uerbo  —  —  cadat  ingenium)  nahezu  wörtlich  mit  Isidor 
(etym.  H,  24,9  —  27,1  resp.  27,4  —  30,18)  übereinstimmt. 
Noch  ist  —  wiewohl  ich  diesen  Punkt  nicht  eigentlich  zum 
Gegenstand  meiner  Untersuchungen  gemacht  habe  —  zu 
bemerken,  dass  die  in  B  fehlenden,  aber  in  W  vorhandenen 
Abschnitte:  G.  540^  Z.  13  v.  u.  — 547*,  Z.  10  v.  u.  (Pro- 
positio  est  oratio  rerum  —  differentiae  dicuntur) 
und    G.  549^    Z.  5    v.  u.  —  552''  p.  m.    (rhetorica 


Laubmann:  Mittheilungen  aus  Würzhurger  Handschriften.       85 

oratio  —  ex  contrario)  aus  JBoetius  de  different.  topicis 
p.  857  med.  —  872  Z.  15  und  p.  881  p.  m.  —  887  Z.  13 
abgeschrieben  sind.  ^) 

Nach  den  oben  erwähnten  Worten  cadat  ingenium 
heisst  es  in  BWG  weiter:  Illud  autem  competens  iudicaui- 
mus  recapitulare  breuiter,  quorum  labore  in  latinum  eloquium 
res  istae  perueuerint,  ut  nee  auctoribus  gloria  sua  pereat  et 
nobis  plenissime  rei  ueritas 

B  52"  unten 
innotescat.  Isagogen  trans- 
tulit  uictorinus  orator,  com- 
memtum  eius  quinque  libris  uir 
magnificus  boethius  edidit ; 
chategorias  idem  transtulit 
uictorinus ;  idem  (ausradirt) 
[f.    52^]     cuius    commentum 


W  22"  med.  (=  G.  552^^  unten) 
innotescat.  Isagogen  trans- 
tulit patricius  boetius  com- 
mentaquae  eius  gemina 
derelinquens.  categorias 

idem  transtulit  patricius 
boetius        cuius        commenta 


1)  Dies  hat,  wie  ich  nachträglich  sehe,  schon  Prantl,  Gesch.  der 
Logik  I,  723  bemerkt,  der  überhaupt  1. 1.  722  —  724  das  Cassiodorische 
Capitel  de  dialectica  ausführlich  und  erschöpfend  analysirte.  Die  dort 
Anm.  180  und  170  gegebenen,  bei  der  bisherigen  Textbeschaffenheit 
vollkommen  berechtigten  Andeutungen  über  gedankenlose  Abschreiberei 
des  Cassiodor  werden  natürlich  gegenstandslos,  wenn  meine  Unter- 
suchungen über  die  handschriftliche  Ueberlieferung  des  Cassiodor  sich  als 
stichhaltig  erweisen;  und  Herr  Professor  Prantl  erklärt,  dass  er  unter 
diesen  Umständen  und  Voraussetzungen  gerne  seine  Darstellung  modificire 
und  den  Cassiodor  nicht  weiter  für  Dinge  verantwortlich  mache,  die  nicht 
von  demselben  geschrieben  sind,  z.  B.  das  Capitel  de  paralogismis  u.  A. 
Noch  ist  zur  Ergänzung  von  Prantl  1. 1.  Anm.  178  und  2  zu  bemerken, 
dass  in  der  Bamberger  Handschrift  f.  49  (=  Gar.  540)  abweichend  von 
der  Ausgabe  es  heisst: 

quinta  species  definitiouis  est  quam  graece  cata  antilexin ;  Latine  aduerbium 
dicimus  (Gar.  xatä  Ie^lv  :  Latine  ad  uerbum) ; 

undecima quam  graeci  catellipes.olo  cleru  hu- 

mogenus.  Latini  per  indigentiam  pleni  ex  eodem  genere  uocant  (Gar. 
statt  der  durchschossenen  Worte:  -Kaxa.  xr\v  ll'ki.niipiv \  es  ist  zu  lesen: 
■Kax'  ilhnes  nlriQovs  o^oiov  ykvovs). 


86  Sitzung  der  philos.-philol,  Classe  vom  6.  Juli  1878. 


octo  libris  ipse  quoque  for- 
mauit;  perihermenias  supra- 
memoratus  uictorinus  trans- 
tulit  in  latinum,  cuius  com- 
mentum  sex  libris  patricius 
boethius  minutissima  dispu- 
tatione  tractauit;  apuleius 
uero  madaurensis^)  in  (add.  2. 
man.)  sjllogismis  hypotlieticis 
dixit,  quindecim  quoque  species 
esse  definitionum.  Idem  ma- 
rius  uictorinus  diligenter  edo- 
cuit;  topica  aristotelis  cicero 
transtulit  in  latinum,  cuius 
commenta  prospector  adque 
amator  latinorum  uictorinus 
quattuor  libris  exposuit ;  auc- 
toritatem  uero  eorum  libro- 
rum  in  unum  codicem  non  in- 
competenter  fortasse  collegi, 
ut  quidquid  ad  dialecticam 
pertinet  in  una  congestione 
codicis  clauderetur.  Exposi- 
tiones  itaque  diuersorum  li- 
brorum  quoniam  erant  mul- 
tiplices,  sequestratim  in  codi- 
cibus  fecimus  scribi  quos  in 
una  uobis  bibliotheca  a 
(durchstr.)  domino  prestante 
dereliqui.        De       liberalibus 


tribus  libris  ipse  quoque  for- 
mauit  perihermenias  suprame- 
moratus  patricius  boetius  trans- 
tulit in  latino  cuius  com- 
menta ipse  duplicia 
minutissima  disputatione  trac- 
tauit. Apuleus  uero  madau- 
rensis  Syllogismus  cathegoricus 
[corrigendum :  —  os]  breuiter 
enodauit.  Supramemoratus 
uero  patricius  boetius  de  sjl- 
logismis hypotheticis  lucidis- 
sime  pertractauit.  Topica 
aristotelis  uno  libro  cicero 
transtulit  in  latinum  cuius 
commenta  prospector  atque 
amator  latinorum  patricius 
boetius  octo  libris  exposuit. 
Nam  et  praedictus  boetius  pa- 
tricius eadem  topica  aristotelis 
octo  libris  in  latinum  uertit 
eloqui- 


1)  üsener  p.  QQ  füllt  die  hier  erkannte  Lücke  so  aus: 
Apuleius   uero  Madaurensis  [syllogismos   categoricos  Lreuiter  eno- 
dauit.    Victorinus  de]    syllogismis  hypotheticis  dixit-  quindecim  quoque 
species  esse  definitionum  idem  marius  uictorinus  diligenter  edocuit. 


Laubmann:  Mittheilungen  aus  Würzburger  Handschriften.      87 


B  52^  med. 
igitur  artibns  quantum  rudi- 
bus  iudicauimus  expedire  for- 
tasse  decursa  sunt ,  ut  quasi 
quibusdam  ianuis  apertis  ad 
iugressum  disciplinarum  desi- 
deranter  accedere  debeatis. 
Nam  etsi  per  quasdam  diffi- 
cultates  intrentur  adque  dis- 
cantur.  tamdiu  habent  rudi- 
mentorum  laborera,  donec 
quae  sit  earum  suauitas  in- 
dagetur.  Cum  uero  studiosus 
(corr.  in  studiosius  und  (rich- 
tiger) studiosos)  fuerit  per- 
fectio  subsecuta,  tunc  unus- 
quisque  delectabiles  habet  su- 
doris  sui  pertulisse  molestias. 
Tempus  est  ut  similiter  ad 
earum  diuisiones  opinatissi- 
mas  accedamus,  unde  graecia 
latinae  linguae  non  inmerito 
putatur  antistere  (corrigirt  in 
antestare)  quas  (aus  quasi) 
simili  breuitate  non  tam  ex- 
plicare  quam  indicare  temp- 
tabimus.  Cur  enim  quasi  no- 
biliter  latius  disseratur,  quod 
distincte  adque  planissime 
apud  proprios  reperitur  auc- 
tores?  Considerandum  etc. 


W  22"^  p.m. 


um.     Considerandum  etc. 


In  den  nun  folgenden  Worten  Considerandum  est  autem 
etc.  stimmen  B  und  W  (G.  553*)  nahezu  wörtlich  über  ein, 
bis  sie  am  Schluss  des  Capitels  wieder  auseinandergehen ; 
disciplina  uero  est,  quae  de  his  agit,  quae  aliter  euenire  non 


88 


Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  6,  Juli  1878, 


W  22^  (—  G.  553*) 
possunt.  *)    Nunc  ergo 


B  fol.  53* 
possunt.  Set  hoc  de  mundanis  di- 
xisse  praesumptum  est,  quando  solae 
litterae  diuinae  nesciunt  fallere 
(fallare  B^)  quoniam  habent  inmo- 
bilem ueritatis  auctorem.  audiuimus 
etiam  felicem  capellam  aliqua  de 
disciplinis  scripsisse  deflorata,  ne 
talibus  litteris  fratrum  simplicitas 
linqueretur  ignara  quae  tamen  ad 
manus  nostras  adhuc  minime  perue- 
nire  potuerunt.  Set  melius  est  ut 
nee  illa  uobis  quandoque  pereant  et 
ista   quamuis   exigua   desiderantibus 

celeriter  offerantur.     Nunc  ergo  ad  ad  mathematicae  uenia- 
matbematicae  ueniamus   initia.  mus  initium. 

Be  mathemaüca  (roth).  DE  MATHEMATICA. 

Mathematica  quam  latine.  Matbematica 

quam  latine 

Von  da  an  stimmen  B  und  W  überein ,  derart ,  dass 
aus  ihnen  sich  der  bisherige  Text  des  Cassiodor  an  vielen 
Stellen  trefflich  verbessern  lässt,  besonders  in  dem  Capitel 
de  arithmetica,  an  dessen  Ende  aber  die  Verschiedenheit 
wieder  beginnt.  Numerus  est  qui  cuncta  disponit;  per  ip- 
sum  discimus,  quid  primo,  quid  secundo  facere 


debeamus. 


B  58*  med. 

Et    sie    causam    tantae 


rei   suptili    prescrutatione  discatias 

nee    miracula    domini    ad  uirtutem 

numeri   redduntur    aliena.  primus 

ad    unum    pertinet    deum  sicut    in 


W  25*  (=:   G.  556*) 
debeamus. 


1)  Hier  steht  am  Rande  von  W:  finiendum,  was  sich  wohl  auf 
die  oben  erwähnten  Ausdrücke:  Incipiendura  und  Item  incipiendum 
bezieht. 


Laübmann:  Mittheilungen  aus  Würzburger  Handschriften.        89 


B  58* 
pentateucho  ^)  (Deuteron.  VI,  4)  le- 
gitur:  audi  israhe«!  dominus 
deus  tuus  dominus  unus  est; 
secundus  ad  duo  pertinet  testamenta, 
quod  ait  in  regum  (III.  Reg.  VI,  23) : 
et  fecit  in  dabir  duo  cheru- 
byn  decem  cubitorum  mag- 
nitudine.  postrenio  totius  spei 
nostrae  suauissimus  fructus  in  sancta 
trinitate  repositus  est,  non  quod 
ipsa  sub  numero  sit,  set  illa  numeri 
utilitatem  potentiae  suae  maiestatis 
ostendit,  iuerentia  (i.  e.  inbaerentia) 
siquidem  diuinitatis  monas  iutelle- 
gitur,  in  personis  uero  trinitas  com- 
probatur.  Legitur  enim  in  epistula 
Jobannis  (1  Job.  V,  8):  tria  sunt 
qui  testimonium  peribent, 
aqua  s  a  n  g  n  i  s  et  Spiritus. 
de  quattuor  euuangeliis  etiam  in 
ezecbiel  (Ezecb.  I,  5)  legitur  :  e  t 
ex  medio  eorum  similitudo 
quattuor  animalium;  quintus 
numerus  ad  quinque  libros  (f.  58^) 
moses  noscitur  pertinere,  sicut  in 
apostolo  (1  Cor.  XIV,  19)  legitur: 
in  ecclesia  uolo  quinque 
uerba  sensu  eloqui;  sexto  uero 
die  dominus  bominem  fecit  ad  ima- 
ginem  et  similit  udinem   suam;    nam 


1)  Ueber  den  Bibeltext,  nach  dem  Cassiodor  citirt,  vergl.  A.  Franz, 
M.  Aurelius  Cassiodorius  Senator.    Breslau  1872,  S,  63—65. 


90  Sitzung  der  philos.-philöl,  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

B  58'  W  25' 

et  ipsum  spiritum  sanctum  dicimus 
et  credimus  septiformem  et  ut  res 
summe  (?  corrigirt  aus  resumet)  ad- 
que  omnipotentissime  intellegantur 
numerus  uobis  necessarius  inuenitur; 
nunc  ueniamus  ad  musicam  quae  ipso 
nomine  et  propria  uirtute  suauis  est. 

De  musica  (roth). 
Gaudentius  quidam  etc. 


Nunc  ueniamus  ad  mu- 


sica quae  ipso  nomine 
et  propria  uirtute  suauis 
est.  Gaudentius  quidam 
etc. 

In  diesem  Abschnitt  de  musica  finden  sich,  abgesehen 
von  Wortvarianten ,  keine  eigentlichen  Verschiedenheiten, 
wie  die  vorausgehenden  Capitel  sie  uns  boten ;  auch  das 
Ende  ist  gleich,  beide  Handschriften  haben  (B  62%  W  26" 
med.  zir.  G.  557')  den  Schlusssatz :  Fertur  etiam  latino 
sermone  et  apuleium  madaurensem  (madurensem  W)  insti- 
tuta  huius  operis  eftecisse;  scripsit  etiam  et  pater  augustinus 
de  musica  sex  libros  —  -  — .  Censorinus  quoque  de  accen- 
tibus  —  —  suptiliter  disputauit  —  — ,  quem  uobis  inter 
ceteros  trän sscrip tum  reliqui  (relinqui  W).  Nunc  ad  geo- 
metriam  (— icam   W)  ueniamus  quae  est  etc. 

Auch  in  dem  nun  folgenden  Capitel  de  geometria 
vsreichen  die  beiden  Handschriften  nur  in  einzelnen  Worten  und 
Verbindungen  unter  sich  und  von  der  Ausgabe  ab,  deren  Text 
aus  jenen  sich  trefflich  verbessern  lässt^).  Am  Schluss  des 
Capitels  heisst  es  (G.  558'  oben)  in  BW:  cognoscetur. 
Astronomia  superest  quam.  Hier  hat  die  Ausgabe  von 
Garetius  zwischen  cognoscetur  und  dem  Anfang  der  Astro- 
nomia einen  2  Spalten  langen  Abschnitt  „Principia  Geometricae 
Disciplinae.  Punctum  est,  cui  pars  nulla  est.  Linea  vero 
—  mediis  intermissis",  der  nach  den  vorausgehenden 

1)  Eine  Conjectur  Ritschis  (de  M.  Varronis  disciplinarum  libris 
§  18  =  Opusc.  philol  III  p.  3S7)  verliert  jetzt  durch  den  Text  von  B 
ihre  bisherige  Wahrscheinlichkeit. 


Lauhmann:  Mittheilungen  aus  Würzburger  Handschriften.        91 

klaren  Worten  des  Cassiodor,  welcher  sich  kurz  fassen  will, 
gar  nicht  hieher  gehören  kann.  Er  ist  in  seiner  ersten 
grösseren  Hälfte  aus  Boetius  de  geometria  (ed.  Friedlein 
p.  374,1 — 378,7)  abgeschrieben  ;  woher  die  zweite  Hälfte 
ist,  weiss  ich  nicht,  Garetius  sucht  vergeblich  (in  seiner 
praefatio  auf  der  drittletzten  Seite)  diesen  wie  er  berichtet 
in  einem  codex  Sangermanensis  überlieferten  Zusatz  als 
cassiodorisch  zu  erweisen. 

Das  siebente  und  letzte  Capitel,  de  astronomia,  bietet 
mehr.     Zuerst  will  ich  wenigstens  einige  Stelleu  geben  ,  in 
denen  die  Trefflichkeit  von  B  und  in  absteigender  Linie  die 
von  W  gegen  G  sich  erweist. 
Nam  mundus  ipse,    ut  quidam  dicunt,    sphaerica  fertur  ro- 

tunditate  col- 
lectus,  ut  diuersus  rerum  formarumque  ambitus  sui  circuitione 

concluderetur.  ünde  etc.  heisstes  hei  G65d^ med. 
ä 
ut  diuersas     rerum    formarum    bitus    sui    circuitione 

concluderetur  de   W 
ut    diuersas    rerum    formas    ambitus    sui    circuitione 
concluderet,  unde  JB. 
Augenfällig   bietet  B  fehlerlos    das  Richtige,    während 
W  und  ö^  uns  das  Portschreiten  der  Verderbniss  erkennen 
lassen. 

Wenige  Zeilen  später  spricht  Cassiodor  von  dem  un- 
wandelbaren Laufe  der  astra,  die  aber  in  der  heiligen  Ge- 
schichte durch  Gottes  Befehl  oft  aufgehalten  wurden,  wofür 
er  3  Beispiele  gibt. 

(1)  sicut  Jesus  Naue  (Josua  Sohn  des  Nun  oder  Nave) 

tribus   horis   soli  in   Gabaon   ut   staret,    legitur 
imperasse  GW. 
sicut  iesus  naue    ut   sol   in  gabaon  staret,    legitur 
impetrasse  JB; 

(2)  et  temporibus  Ezechiae  regis  (cf  IV  Regg,  XX,  10) 

retrorsum  decem  gradibus  reversum  fuisse  G. 


92  Sitzung  der  philos.-phüoL  Ciasse  vom  6.  Juli  1878. 

Dieser  zweite  Satz  fehlt  in  BW,  welche  dafür  haben: 
et  ostensam  magis  stellam  quae  mundo  (stillam  quem  mundo 
B)  salutarem  aduentum  domini  nuntiauit  (nuntiaret  W) ; 
in  passione  etc. 

(3)  Der   letzte  Satz   in   passione  quoque  domiui  christi 
tribus    horis    sol   tenebrosus    effectus    est   lautet 
auch  in  BW  so. 
Eine  der  interessantesten  Stellen  ist  die  zweite  der  astro- 
nomischen Definitionen,    die  bei  Garetius   (p.  560^)    lautet: 
sphaericus  motus  est,  per    quem    sphaerae     rite 
moventnr. 
W:     spherichus  motus  est    per   quem  spheras  ferite  ^) 

monuewtur  (n  sehr  unsicher) 
B :     sphericus     motus  est    per    quem    sphera    sperice 

mouetur. 
Selbstverständlich    ist    dies    (per   quem  sphera  spherice 
mouetur)  allein  richtig. 

G  560^  post  med.  heisst  es :    Unde  doctissimus  quoque 
pater  ßasilius   lege  homilia    b.    circa    medium, 
libro  sexto  quem  appellauit  Hexameron  .  . 
W  27*  med.  hat:  unde  doctissimus  quoque  pater  basilius 

in  libro  sexto  quos  appellauit  exameron. 

Dieses  quos  erklärt  sich  erst  aus   der   richtigen  Lesart 

in  B  65*  med.  unde  doctissimus  quoque  pater  basilius 

in   libro  sexto  eorum  quos  appellauit  exemeron. 

Endlich  (10  Zeilen  später)  noch  eine  Stelle,  über  die  sich, 

wenn    wir    eine    vollständige    Sammlung    der    Varrouischen 

Fragmente  hätten,  leichter  urtheilen  Hesse. 

Mundi  quoque  figuram  curiosissimus  Varro  longae  ro- 
tunditati  in  Geometriae  volumine  comparavit,  formam  ipsius 
ad  ovi  similitudinem  trahens,  heisst  es  in  G; 

W  hat:  uarro  sulonge  rutunditatio  in;  B:  uarro  sub- 
longe  rotunditati  in ;  also  wird  wohl  sublongae  rotunditati  das 

1)  mit  ferite  beginnt  eine  neue  Zeile. 


Laubmann:  Mittheilungen  aus  Würzburger  Handschriften.       93 

Richtige  sein,  wenn  das  Wort  sublongus,  so  viel  ich  sehe, 
auch  sonst  nicht  vorkommt;  der  ganze  Ausdruck^)  entspricht 
trefflich  unserem  ,, länglich  rund''. 

Mit  den  darauf  folgenden  Worten:     Sed   nobis  sufficit 

diuinam  noscimur  habere  doctrinam  schliesst  Garetius 

p.  560^  und  W  2T  med.  (in  dem  nun  das  oben  erwähnte 
Stück  der  Dialektik  nachgetragen  ist).  Anders  \n  B,  wo 
65* — 67^  nach  habere  doctrinam  der  in  W  und  G  fehlende 
Schluss,  den  Cassiodor  seinen  beiden  Büchern  anfügte,  er- 
halten ist,  welchen  A.  Mai,  Class.  auct.  III,  350  —  357  aus 
einem  codex  Vaticanus  membr.  saec.  XIII  im  Jahre  1831 
herausgegeben  hat  ^).  Trotz  ziemlich  genauer  Uebereinstim- 
mung  von  B  und  Vaticanus  ist  an  einer  Anzahl  von  Stellen 
der  Text  aus  J3  zu  eraendiren;  ich  habe  dieselben  für  mich 
zusammengestellt,  will  aber  dem  künftigen  Editor  hier  nicht 
vorgreifen. 

Nach   longiores   hatte   der   Schreiber   seine    begonnene 
Zeile  fertig  geschrieben ,    die   betreffenden  Worte  aber  aus- 
radirt  und    so   für   uns  unleserlich  gemacht,    so    dass  jetzt 
hinter  longiores  die  berühmte  subscriptio  folgt: 
CASSIODORI    SENATORIS    INSTITUTIONUM    DIUI 
NARÜM  ET  HUMANARUM  RERUM  LtBRI  DUO  EX 
PLICUERUNT  FELICITER ; 

CODEX  ARCHETYPUS  AD 

CVIVS  EXEMPLARIA  SVNT 

RELIQVI  CORRIGENDi: 

Das  folgende  Blatt  (68*)  beginnt  mit  den  Worten :  Com- 

plexis  quantum  ego  arbitror  diligenterque  tractatis  institutio- 

num  duobus  libris  qui  breuiter  diuinas  et  humanas  litteras  com 


1)  über  diesen  Gegenstand  handelt  M.  Cantor,  Mathein.  Beiträge 
zum  Kulturleben  der  Völker  (Halle  1863)  S.  170  und  not.  344. 

2)  His    igitur   breuiter quos   prius   estimauimus  longiores. 

In  der  Ausgabe  des  Cassiodor  von  Migne,    Cursus   patr.  Band   69,   die 
im  J.  1848  erschien,  ist  dieser  Schluss  natürlich  nicht  zu  finden. 


94  Sitzung  der  philos.-phüoL  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

prehendunt  tempus  est  ut  nunc  edificatrices  ueterum  regulas 
id  est  codicem  introductorium  legere  debemus  qui  ad  sacras 
litteras  nobiliter  ac  salubriter  introducunt  und  nun  folgt 
(weiter  gebend  mit  den  Worten:  Dubitare  nemine  arbitror 
tbeodori   fili)    die  Schrift  des  Mallius  Theodorus    de  metris. 

Dass  die  Worte  complexis— introducunt  nicht  auf  Mallius 
Theodorus  gehen  können,  sondern  vielmehr  sich  auf  eine 
Schrift  des  Cassiodor  beziehen  müssen,  ist  klar:  auf  welche 
aber,  weiss  ich  nicht;  kaum  (weil  der  Inhalt  nicht  passt) 
auf  das  Buch  de  orthographia,  von  dem  Haase,  1860,  pag.  8 
(nach  G.  509^  med.  und  525''  med.)  annahm,  es  hätte  einen 
Anhang  zu  den  Institutiones  gebildet. 

Ich  darf  jetzt  auch  wohl  sagen,  dass  die  B  67^  nach 
longiores  ausradirten  W^orte  keine  anderen  gewesen  sein 
werden,  als  complexis  quantum  ego  arbitror  etc.,  die  selbst- 
verständlich erst  nach  der  subscriptio  folgen  durften. 

Ueberblicken  wir  zum  Schluss,  was  sich  aus  dieser  Ge- 
genüberstellung von  B  und  W  ergibt,  so  scheint  es  klar, 
dass  in  B  die  ursprüngliche  und  erste  Redactiou  des  2.  Buches 
der  Institutiones  von  Cassiodor's  Hand  erhalten  ist  und  es 
war  nöthig,  zu  diesem  Zweck  einmal  das  ganze  Plus  in  JB 
und  seine  Verschiedenheiten  von  W  (und  G)  gewissermassen 
uno  conspectu  zu  geben.  Irgendwelche  Auseinandersetzungen 
über  das  Verhältniss  von  B  zu  den  anderen  Codices  und 
Handschriften classen  kann  ich  schon  deswegen  nicht  geben,  da 
mir  das  nöthige  Material  fehlt,  welches  üsener  wie  es  scheint 
ziemlich  vollständig  zusammengebracht  hat.  Dass  aber  die 
in  B  mehr  vorhandenen  Stücke  nicht  Interpolationen  sind, 
sondern  vielmehr  von  Cassiodor  bei  der  späteren  Redaction 
gestrichen  wurden,  scheint  sicher. 

Ich  will  dazu  noch  einige  Erläuterungen  geben. 

Den  in  B  erhaltenen  Wortlaut  der  langen  literar-histori-^ 
sehen  Notiz  in  dem  Capitel  de  dialectica,  beginnend  Isagogen 
transtulit  uictorinus  orator,  hat  üsener  p.  65  —  66  als  cas- 
siodorisch  und  echt  erwiesen. 


Laubmann:  Mittheilungen  aus   Würzhurger  Handschriften.        95 

Die  oben  ausgeschriebene  Differenz  am  Schliiss  der  Gram- 
matik :  codicem  legat,  quem  de  grammatica  feci  arte  conscribi, 
wofür  W  (mit  der  Ausgabe)  etwas  ganz  anderes  hat,  ist 
insofern  instructiv,  als  der  Text  in  B  sich  auf  die  Samm- 
lung der  grammatici  bezieht,  welche  Cassiodor  (cf.  Garet, 
p.  509''  med.  und  525''  sub  fin.)  für  das  Kloster  zusammen- 
schreiben Hess,  während  die  Worte  in  W  von  einem  erst 
nach  Vollendung  der  beiden  Bücher  der  Institutiones  abge- 
fassten  Werk  des  Cassiodor  sprechen,  wie  die  Einleitung 
zu  de  orthographia  ^) ,  worin  er  seine  früheren  Schriften 
chronologisch  aufführt,  leicht  ersehen  lässt:  so  dass  also 
der  Text  in  W  die  üeberarbeitung  von  Cassiodor's^)  Hand 
bietet. 

Auch  die  Stellen  in  B^  welche  von  Martianus  Capella 
handeln,  sind  sehr  interessant  und  ergänzen,  was  Eyssenhardt 
praef.  p.  XIX  sq.  über  die  Benützung  dieses  Schriftstellers 
im  6.  Jahrh.  anführt.  In  der  Ausgabe  von  Garetius  kommt 
sein  Name  in  den  beiden  Büchern  der  Institutiones  (und 
wie  es  scheint,  auch  sonst)  nicht  vor;  er  tritt  erst  durch 
B  ein.  Das  einemal,  am  Schluss  der  rhetorica,  sagt  Cassiodor 
gelegentlich  der  Untersuchung  über  den  Begriff  artes  und 
disciplinae,  dass  Felix  Capella  sein  Werk  betitelt  habe  ,,de 
Septem  disciplinis'';  bei  der  zweiten  Erwähnung  (am  Ende  der 
Dialektik)  heisst  es,  er  habe  gehört,  dass  Felix  Capella  einiges 
de  disciplinis  geschrieben  habe,  quae  tarnen  ad  manus  nostras 
adhuc  minime  per uenire  potuerun t.  In  W  fehlen  beide  N otizen, 
sowie  überhaupt  jede  Erwähnung  des  Felix  Capella:  ganz 
natürlich,  da  Cassiodor,  als  er  diese  zweite  Redaction  vornahm, 
den  Felix  Capella    unterdessen    sich    verschafft   und  kennen 


1)  (von  Cassiodor  in  seinem  93.  Lebensjahr  verfasst.) 

2)  Uebrigens  kommt  es  hier  nicht  darauf  an,  ob  die  Redaction  in 
W  von  Cassiodor  selbst  ist;  es  sollte  bloss  sachlich  die  tief  gehende 
Umarbeitung  dargethan  werden,  die  auch  von  einem  späteren  Anonymus 
herrühren  kann. 


96  Sitzung  der  philos.-phüol.  Glasse  vom  6.  Juli  1878. 

gelernt  hatte,  und  —  ein  grosses  Stück,  ohne  Nennung  des 
Namens,  aus  ihm  für  sein  Capitel  de  grammatica  (siehe 
oben)  ausschrieb.  So  konnte  er  selbstverständlich  nicht 
mehr  sagen  ,  er  habe  die  Schrift  noch  nicht  gesehen  und 
vorsorglich  unterliess  er  jetzt  jede  Erwähnung  des  ausge- 
schriebenen Autors. 

Die  Zusammenstellung  der  in  B  zahlreicheren  Beziehungen 
Cassiodor's  auf  seine  Mönche  und  auf  die  Bibliothek  seines 
Klosters  mag  in  ähnlicher  Weise  lehrreich  sein;  der  von 
Franz  p.  80  —  92  sorgfältig  bearbeitete  Katalog  der  dem 
Cassiodor  im  Yivarium  zur  Hand  gewesenen  Schriftsteller 
wird  durch  die  betreffenden  Zusätze  in  B  nicht  unwesent- 
lich vermehrt. 

Die  lange  Auseinandersetzung  aber,  welche  B  über  die 
Zahlen  eins — sieben  erhalten  hat,  ist  sicherlich  acht:  denn 
die  Zahlensymbolik  bildet  ein  Lieblingsthema  des  Cassiodorius. 


Lauth:  Äegyptisch-a/ramäische  Inschriften.  97 


Herr  Lauth  hielt  einen  Vortrag  über: 

„Aegyptisch-aranräische  Inschrifte n." 
(Mit  einer  Tafel.) 

I. 

Die  „Zeitschrift  für  Aegyptische  Sprache  und  Alter- 
thumskunde"  brachte  jüngst  in  ihrem  vierten  Hefte  des 
Jahres  1877  einen  höchst  interessanten  Artikel  des  H. 
Lepsius  über  eine  „Aegyp tisch- Aramäische  Stele'^  welche 
das  Berliner  Museum  aus  Saqqavah  erworben  hat.  Den 
Schwerpunkt  der  darauf  befindlichen  aramäischen  Inschrift 
bezeichnet  der  Verfasser  des  Artikels  trejßPend  mit  den 
Schluss Worten  :  ,,Von  besonderer  Wichtigkeit  aber  ist  das 
von  Euting  gefundene  Datum  vom  Monat  Mechir  des 
4.  Jahres  unter  der  Regierung  des  Xerxes,  welches  dem 
Mai-Juni  des  Julianischen  Jahres  482  vor  Chr.  entspricht. 
Die  Inschrift  dürfte  hienach  den  ersten  Platz  unter  den 
nickt  eben  zahlreichen  bisher  aufgefundenen  aramäischen 
Stein-  und  Papyrus-Inschriften  einnehmen,  von  denen  keine 
über  die  Ptolemäerzeit  zurückzugehen  scheint". 

An  diesem  Hauptresultate  rütteln  zu  wollen,  wäre  An- 
gesichts der  deutlichen  Legende  eine  kaum  zu  rechtfertigende 
Verwegenheit.  Da  indess  einige  der  andern  Zeichen  durch 
Beschädigung  undeutlich  geworden  und  desshalb  in  der 
Transscription  Euting's  mit  ?  versehen  sind,  so  muss  sich 
die  Forschung  vorerst  auf  diese  Punkte  richten,  um  aus 
[1878. 1  Philos.-philol.-hist.  Cl.  Bd.  II.  1.]  7 


98 


Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 


dieser  werthvollen  weil  datirten  Bilinguis  möglichst  grossen 
Gewinn  für  Sprache  und  Paläographie  zu  ziehen.  Ich  werde 
weiterhin  einige  darauf  hinzielende  Versuche  anstellen,  ob- 
schon  ich  mit  Lepsius  bekennen  muss,  dass  mir  die  nöthige 
Kenntniss  der  semitischen  Sprachen  fehlt,  ura  den  sach- 
kundigen Erklärungen  und  Bemerkungen  Euting's  etwas 
(Wesentliches  mit  Zuversicht)  hinzuzufügen  oder  abzunehmen. 
Nur  die  Aufzeigung  des  zweitenDatums  (lin.  4)  welches 
zur  Bestätigung  und  Controle  des  ersten  (1.  3)  dient  — 
ein  wirkliches  Novum,  vielleicht  Unicum  sowie  die  Ent- 
räthselung  des  Schlusses  der  1.  Zeile  nebst  den  zwischen 
den  Figuren  befindlichen  Beischriften  nehme  ich  als  wesent- 
liche Zugaben  in  Anspruch. 

Meine  Berechtigung  zu  diesem  gleichwohl  schüchternen 
Versuche  entspringt  aus  der  Zergliederung  des  hiero- 
glyphischen Textes,  den  ich  anders  auffasse,  als  Lepsius, 
obschon  seine  lichtvolle  Darstellung  anfänglich  in  mir,  wie 
wohl  auch  bei  andern  Lesern,  den  Eindruck  machte,  als  ob 
der  Text  nicht  leicht  etwas  Anderes  besagen  könne.  Allein 
bei  genauerer  Erwägung  kam  als  hinkender  Bote  der  Ein- 
wurf, dass  dieses  Ergebniss  nur  durch  die  missliche  An- 
bringung zahlreicher  Correcturen  —  es  sind  deren  nicht 
weniger  als  zehn !  —  erzielt  worden  ist.  Welche  Verlässig- 
keit  besässe  denn  dieses  Denkmal,  wenn  der  Schreiber  des 
Textes  ein  „unwissender"  war,  wie  Lepsius  annimmt,  wel- 
cher auch  die  künstlerische  Behandlung  der  Figuren  als 
,, wenig  sorgfältig"  bezeichnet? 

Um  uns  von  dem  gegenth eiligen  Verhalte  zu  über- 
zeugen, dazu  genügt  ein  Blick  auf  die  durchaus  symmetrische 
Darstellung :  das  Giebelfeld  zeigt  in  der  Mitte  die  beschwingte 
Sonnenscheibe,  darunter  als  Centralfigur  den  Osiris,  den 
Beherrscher  und  Richter  der  Unterwelt  auf  seinem  Throne; 
zu  seiner  Rechten  Isis  und  Nephthys ;  vor  ihm  in  Anbetung 
ein  Ehepaar    mit   asiatischer    Haartracht.     Die    zweite    Ab- 


Lauth:  Äegyptisch-aramäische  Inschriften,  99 

theilung  enthält  das  nämliche  Ehepaar,  aber  in  Gestalt  von 
Mumien,  die  auf  jenen  üblichen  Löwenbahren  liegen,  von  je 
einem  Anubis  (-Priester?)  mit  einer  Vase  in  der  Hand  ge- 
segnet. Zu  Häupten  steht  rechts  und  links  mit  längerem 
Gewände  bekleidet,  ein  Sohn  in  der  Geberde  der  Todten- 
klage;  die  Mitte  bildet  ein  mit  dem  kürzeren  Schurze  ver- 
sehener Asiate,  welcher  die  Löwenschwänze  der  beiden 
Bahren  mit  seinen  ausgestreckten  Armen  erfasst  und  sym- 
bolisch die  Zusammengehörigkeit  der  beiden  Mumien  an- 
deutet. 

Der  interessanteste  Theil  dieser  Scene  besteht  in  den 
unter  den  Bahren  aufgestellten  Gefässen  fremdländischen 
Gepräges :  sie  laufen  nach  unten  spitz  zu  und  sind  desshalb 
in  Ständer  eingelassen.  Der  aramäische  Text  bezeichnet 
sie,  wie  Lepsius  richtig  vermuthet  hat,  als  1 1  ^^  „zwei  Ge- 
fässe''.  Die  Henkelpaare  sind  halbkreisrund  gestaltet,  während 
die  muthmasslichen  Deckel  eckig  geformt  sind.  Auf  dem 
Bauche  dieser  Gefässe  nun  befindet  sich  die  Marke  A,  die 
man  für  einen  Zehner  der  hieratisch-demotischen  Schriftart 
Aegyptens  ansehen  und  auf  das  darin  enthaltene  Maass  von 
Flüssigkeit  beziehen  könnte.  Dagegen  spricht  aber  der 
Umstand,  dass  dieser  Abtheilung  nur  aramäische  Schrift- 
zeichen eignen,  und  dass  die  Form  der  Gefässe  selbst  un- 
ägyptisch d.  h.  asiatisch  ist.  Dazu  kommt  weiterhin  in 
dem  dreifach  beglaubigten  Namen  der  Frau  Achthabu 
einmal  die  Variante    A    für  n  :  DdAn.     Wir   sind  also  ge- 

nöthigt,  in  der  Marke  A  ein  mit  n  beginnendes  Wort  zu 
erkennen.  Glücklicherweise  enthebt  uns  das  vorletzte  Wort 
der  1.  Zeile  (Abth.  4)  jeglicher  Ungewissheit :  es  lautet 
deutlich  non,  gehört  durch  n  verbunden  grammatisch 
zu  1 1  ^D  und  kann  desshalb  mit  Wahrscheinlichkeit  auf  die 
Pietät  der  Angeredeten  (Eltern)  bezogen  werden,  deren 
Pronomen   GD    angehängt   ist.     Die   Wahl    der   Variante  A 


100         Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

statt  n  als  Marke  auf  den  Gefässen  erklärt  sich  auch  recht 
gut  vom  künstlerischen  Standpunkte  aus,  da  dieses  Zeichen 

zu  der  Fussspitze  der  Gefässe  in  Symmetrie  steht:  () 

Ausserdem  treffen  wir  aber  in  der  nämlichen  Ab- 
theilung eine  grössere  aramäische  Legende  unmittelbar  vor 
dem  fremdländischen  Gefässe  rechter  Hand:  NJ^n.  Da  ich 
dasselbe  Wort  als  Anfang  des  Opfersteines  vom  Serapeum 
und  als  Gegensatz  oder  Parallele  zu  Aj^n  „Speiseopfer "auf- 
zeigen werde,  welch  letzteres  auf  der  Tafel  von  Carpentras 
in  der  ebenfalls  augmentirfcen  Form  NPI^Qn  auftritt,  so  wird 
uns  jetzt  schon  der  Gedanke  nahe  gelegt,  dass  es  „Guss- 
opfer" oder  „Libation"  bedeutet.  Es  ist  also  kein  Eigen- 
name, wie  Lepsius  annimmt  und  mit  dem  ägyptischen 
Hakena  belegt,  wobei  er  den  bedenklichen  Umstand  nicht 
verschweigt,  dass  diese  nur  einer  weiblichen  Person 
eignende  Legende  vor  der  Figur  eines  Mannes  angebracht 
ist.  Ich  kann  ebenfalls  ein  ägyptisches  hakan  ^)  mit  der 
Variante  hanaJc^  deterrainirt  durch  Vase  in  der  Hand  oder 

Libationsstein,    8^^^-^(t^\^)    aufführen  und  beweisen, 

dass  die  Semiten  dieselbe  Doppelgestalt  des  Wortes  in  dem 
eben  besprochenen  NJDn  und  dem  bekannteren  r\3}n  be- 
sassen. 

Nunmehr  begreift  man  auch  das  gerade  unter  dem 
NiDn  in  der  nächsten  Abtheilung  stehende  D:  es  ist  die 
Initiale  des  aus  der  Bibel  wohl  erinnerlichen  nn^p,  das  wir 
oben  in  seiner  erweiterten  Form  schon  erwähnt  haben.  Es 
ist  die  noth wendige  Ergänzung  zu  dem  Gussopfer  ^?J^^,  da 

ja  auch  das  entsprechende  ägyptische  ti-hotep  suten   I  A  ^g 
,.das    rechtgläubige     Opfer"     aus    Speisen    und    Getränken 


1)  Vorgl.  Todtenb.  Cap.  134,  9;  145,  27.  ^  — w 


Lauth:  Äegyptisch-aramäische  Inschriften.  101 

bestand.  Dass  nur  die  Initiale  D  beliebt  wurde,  erklärt 
sich  aus  der  Beschränktheit  des  Raumes  und  weil  es  als 
formelhafte  Ergänzung  zu  NJDn  beim  Leser  vorausgesetzt 
werden  durfte.  Aehnlich  haben  wir  ja  auch  A  auf  den  Ge- 
fässen  als  Abbreviatur  von  DOn  getroffen;  will  Jemand 
darin  die  Initiale  von  ^^JIDH  erkennen,  so  hätte  ich  nichts 
dagegen  einzuwenden,  als  dass  dann  die  mir  nothwendig 
erscheinende  Beziehung  dieser  Marke  A  auf  die  „zwei  Ge- 
fässe  der  Pietät' '  des  Textes  wegfallen  würde. 

Ebenso  symmetrisch  wie  die  zwei  besprochenen  oberen 
Abtheilungen  ist  auch  die  dritte  gestaltet:  vier  Töchter 
theils  kauernd,  theils  stehend,  mit  der  analog  wechselnden 
Geberde  der  Todtenklage,  bilden  die  Mitte.  Wenn  man 
auch  nur  ihre  Busenbildung  erwägt,  die  einen  genauen 
Gradmesser  ihrer  Altersstufen  abgibt,  besonders  im  Hinblicke 
auf  die  mehr  hängende  Brust  der  Mutter  (Abth.  1),  so  ge- 
wahrt man  unschwer,  dass  hier  das  Werk  eines  wirklichen 
Künstlers  und  nicht  das  eines  rohen  Handwerkerstjis  vor- 
liegt. Wir  müssen  desshalb  auch  die  übrigen  Besonderheiten 
der  Figuren  beachten. 

Der  links  abschliessende  junge  Mann  trägt  die  Kriegs- 
haube, mit  einem  Ansätze,  wie  er  oft  bei  ausländischen 
Soldaten  getroffen  wird.  Es  war  also  dieser  Träger  der 
Pickelhaube  ein  Militär ;  er  behauptet  die  rechte  Seite  der 
Darstellung  (vom  Denkmale  aus  betrachtet),  weil  er  der  be- 
vorzugte ältere  Sohn  (Abseli?)  ist,  während  der  jüngere 
Bruder  links  ein  längeres  Gewand  trägt  und  nichts  als  jenes 
schon  besprochene  [nn:]  D  vor  sich  hat.  Seine  Geberde 
ist  minder  ausdrucksvoll  als  die  seiner  Geschwister,  aber 
nur  in  Folge  des  beschränkteren  Raumes,  was  ihn  wieder 
zum  Jüngsten  stempelt. 

Hat  sich  also  die  künstlerische  Darstellung  in  allen 
ihren  Theilen   als   eine   durchaus   planmässige   erwiesen,   so 


102         Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

wird  aucli  der  ins clirift liehe  Theil  unser  Vertrauen 
beanspruchen  dürfen.  Ich  lese  demnach  den  hieroglyphischen 
Text,  der  jedenfalls  nach  Ausarbeitung  der  Bilder  in  die 
freien  Spatien  eingeschrieben  worden  ist,  in  continuo  fort, 
ohne  Correcturen  anzubringen  oder  Versetzungen  vorzu- 
nehmen. Nachdem  der  Schreiber  die  zur  Osirisfigur  ge- 
hörende Legende  richtig  abwärts  geführt  hat,  macht  er  bei 
den  Knieen  des  Gottes  die  erste  aber  nothwendige  Aus^ 
biegung  nach  rechts,  setzt  alsdann,  immer  den  zur  Ver- 
fügung stehenden  Raum  benützend,  seinen  Text  zwischen 
Mann  und  Frau  als  zweite  Columne  fort  und  ist  desshalb 
genöthigt,  da  auf  dieser  Seite  kein  weiterer  Raum  übrig 
blieb,  auf  die  entgegengesetzte  Seite  hinter  Osiris  überzu- 
springen, ohne  indess  die  Schriftrichtung  zu  wechseln. 
Die  Legende  erweist  sich  sonach  als  ein  zusammenhängendes 
Ganzes,  das  man  nicht  willkürlich  zerreissen  und  verschlimm- 
bessern darf;  dieselbe  besagt: 

„Rechtgläubige  Opfergabe  an  Osiris,  den  Vorstand  der 
Setmati  (Amenti),  den  grossen  Gott,  den  Herrn  von  Abydos, 
(damit)  er  gewähre  ein  schönes  Begräbniss  in  der  heiligen 
Unterwelt,  einen  guten  Namen  auf  der  weiten  Erde,  dem 
Anhänglichen  (BVommen)  an  den  grossen  Gott:  Abu  (und) 
der  Herrin  des  Hauses:  Achthabu." 

Wegen  ^^suten  rechtgläubig"  vergl.  man  einstweilen 
das   Kopt.  eT-coTTCon  oQd-oöo^oq  ^). 

Ungeachtet  der  Kürze  dieses  Textes,  der  noch  dazu 
ein  formelhafter  ist,  wird  man  zwischen  der  Uebersetzung 
des  H.  Lepsius  und  der  meinigen  einige  Unterschiede  wahr- 
nehmen, die  zum  Theile  sogar  von  principieller  Wichtigkeit 
sind.     Anstatt   jedoch    die    Ansichten    dieses    Gelehrten    zu 


2)  H.  Lepsius  sagt  in  einer  Anmerkung,  dass  der  Sinn  der  Gruppe 
suten-ti-hotep  noch  nicht  sicher  ermittelt  seij  meine  Auffassung  ergibt 
wenigstens  einen  überall  zutreffenden  Sinn. 


Lauth:  Äegyptisch-aramäische  Inschriften.  103 

kritisireu,  der  sicli  durch  die  Acquisition  und  Publication 
dieses  werthvollen  Denkmals  ein  neues  Verdienst  um  die 
Wissenschaft  erworben  hat,  ziehe  ich  vor,  meine  eigne  Auf- 
fassung zu  rechtfertigen,  dem  Leser  es  überlassend,  sich 
durch  Vergleichung  beider  selbst  ein  Urtheil  zu  bilden. 
Nur  diese  Bemerkung  muss  ich  vorausschicken,  dass  ich 
die  Abweichungen  des  Textes  von  der  gewöhnlichen  Schreibung 
nicht  aus  der  Unwissenheit,  sondern  aus  der  Künstelei  des 
Schreibers  ableite. 

Die  Legende:  „Rechtgläubige  Opfergabe"  bis  „den 
grossen  Gott",  ist  in  ein  länglichtes  Rechteck  eingeschlossen, 
nicht  „ohne  Grund",  sondern  weil  der  sonst  übliche  Cippus 
mit  Opfern  vor  dem  Gotte  fehlt  und  folglich  dieses  Recht- 
eck die  Dedicatiou  oder  die  Oberfläche  des  Opfertisches 
darzustellen  hat.  —  Auf  dem  Münchner  Exemplare  des 
Todtenbuches  zeigt  die  Vignette  zu  cap.  16  zwei  solcher  Ein- 
fassungen: die  eine  länglicht  viereckig,  wie  diese  hier,  mit 
der  Legende  des  Sokaris,  die  andre  mit  dem  Passus 
„Suten-ti-hoiep  Osiri  bis  Abdu"  nebst  „7s^5  Nephthys 
dU'Senu^\  letztere  Einfassung  ist  in  Form  einer  oben  runden 
Stele,  beide  werden  von  je  einem  Arme  gehalten  und  prä- 
sentirt.  —  Das  erste  ernstliche  Bedenken  erregt  die  Hiero- 
glyphe ,,er  gewähre".    Statt  der  spitzen  Gabe  auf  der  Hand 

4 ü   erscheint  hier  ein  gekrümmtes  Instrument  in  der  Faust. 

Sieht  man  aber  etwas  genauer  zu,  so  erblickt  man  in  der 
Linken  des  Osiris  ein  Pedum  ganz  gleicher  Form,  und  der- 
selbe Haken  begegnet  uns  weiterhin  auf  dem  Knie  des 
Deutbildes  unter  dem  Mannesnamen  Abu.  Ist  nun  aber, 
weil  unmittelbar  über  diesem  Haken  in  der  Faust  die 
kreisförmige  Hieroglyphe  ®  steht,  —  zunächst  als  Stadt- 
zeichen zu  Abdu  (Abydos)  —  und  weil  derselbe  Kreis  phone- 
tisch chu  lautet  izi  ®,  mit  der  Bedeutung  „schützen",  so- 
fort die  Uebersetzung  ,,er  schütze"  anstatt  „er  gewähre" 
zu  wagen?     Keineswegs,  da  du-f   „er  gewähre"   eine  stän- 


104         Sitzung  der  philos.-pMlol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

dige  Formel  an  dieser  Stelle  ist,  von  der  unter  keinen  Um- 
ständen abgegangen  werden  darf.  Betrachtet  man  ferner 
das  Flagellum  in  der  Rechten  des  Osiris  und  bedenkt,  dass 
dieses  das  beständige  Determinativ  zu  dem  eben  erwähnten 
chu  ,, schützen"  ist  (^  „)  so  gewinnt  man  die  Ueberzeugung, 
dass  der  Schreiber  nicht  aus  Unkenntniss  Fehler  gemacht, 
sondern  absichtlich  Anspielungen  auf  die  Attribute  des 
Osiris  eingeschmuggelt,  also  den  Text  gekünstelt  hat. 

Das  Zeichen  hinter  nefevt  „schönes'*  ist  nicht  die  Pa- 
pyrusrolle, sondern  die  erforderliche  Präposition  m  / (bei 

Chaeremon  OTtri  genannt)  mit  der  sicheren  Bedeutung  ,,in^^ 
—  Was  ferner  die  deutlich  geschriebene  Legende  set-nuter 
„die  göttliche  Unterwelt"  betrifft,  so  wäre  allerdings  chert- 
nuter  das  Gewöhnlichere ;  allein  der  Schreiber  wollte  gerade 
zeigen,  dass  er  den  Begriff  des  set  (cf.  cht  infra)  recht 
wohl  kenne;  in  der  That  bringt  er  weiterhin  den  Gegen- 
satz her-tep  (ta)  =  g^iTne  supra.  Man  darf  also  unter  keiner 
Bedingung  die  fragliche  Gruppe  corrigiren,  wie  Lepsius 
thut,  um   selbst   nach   der  Veränderung   des  Gotteszeichens 

in  den   Auslandspfahl    ]   zu    bekennen,     dass    dieses   sonst 

nur  als  Determinativ  hinter  Fremdnamen  gebräuchliche  De- 
terminativ hier  als  selbstständige  Gruppe  gefasst  werden 
müsste.  —  Man  beachte  doch  auch  den  passenden  Parallelis- 
mus: ,, schönes  Begräbniss  in  der  heiligen  Unterwelt"  — 
„guten  Namen  auf  der  weiten  Erde." 

Damit  zerfallt  der  angeblich  ägyptische  Name  ^ .  Her^ 
fep  in  Nichts;  hingegen  werde  ich  den  in  Lepsius'  Auf- 
fassung fehlenden  Namen  Abu,  der  wegen  des  riDN  der 
aramäischen  Legende  im  hierogl.  Texte  vorkommen  muss, 
weiterhin  bestimmt  nachweisen.  —  Der  Ausdruck  ta  vu 
^^  „die  weite  Erde"  ist  eine  häufige  Var.  für  ta  ter-f 
(e^o-THpq)  „das  ganze  Land^^  worunter  gewöhnlichAegypten 


Lauth:  Äegyptisch-aramäisehe  Inschriften.  105 

gemeint  ist.  —  Was  zunächst  sicli  anschliesst,  ist  die  ge- 
radlinig geformte  Wellenlinie  w,  um  den  Dativ  anzukündigen. 
In  der  That  folgt  unmittelbar  das  Wort  amch(u)pius  mit 
eher  nuter-ao  also  „pio  erga  Deum  magnum^'.  Der  Schreiber 
hat  sich  hiebei  erlaubt,  das  kreisförmige  Zeichen  Q  zugleich 
als  Schluss  von  amch  und  als  Anfang  der  Präposition  eher 
erga  zu  verwenden.  Dies  konnte  er  thun,  weil  häufig  dieses 
Zeichen  aus  zwei  concentrischen  Kreisen  besteht^)  und  weil 
im  aramäischen  Texte  das  diesem  ameh  pius  entsprechende 
Wort  non  analog  aus  rnon  assimilirt  ist. 

Nunmehr  muss  der  Name  des  Mannes  sich  anschliessen ; 

es  steht   aber   scheinbar  nur   hu    J  yJ^i  während   doch  der 

aramäische  Text  zweimal  HDN  bietet.  Obschon  es  sich  nur 
um  ein  einziges  Lautelement  handelt,  so  läge  in  diesem 
Mangel  dennoch  eine  unbesiegbare  Schwierigkeit,  wenn  wir 
uns  nicht  gegenwärtig  hielten,  dass  der  Schreiber  bei  seinem 
Hierogljphentexte  auf  die  Göttertignren  Rücksicht  nimmt, 
und  eine  Art  Amalgame  daraus  bildet.  Nun  steht  aber 
das    unvollständige    hu    unmittelbar    unter    dem   fälschlich 

sogenannten  Nilschlüssel  •¥• ,  welchen  die  Isis  in  ihrer  Rech- 
ten hält.  Der  unter  ihrer  Faust  hervorstehende  Theil  des 
Lebenszeichens  anch   ist  —  man   vergl.    das   Sylbenzeichen 

tK  ah   im  Namen   der   Stadt  Ähdu   (Abjdos)   gegenüber  — 

hier  offenbar  als  ah  aufgefasst  und,  in  Folge  der  bekannten 
Mischbildung,  mit  den  beiden  phonetischen  Zeichen  hu  zu 
einem  Ganzen:  dem  Namen  Abu  vereinigt.  Jetzt  passt 
das  unmittelbar  darunter  befindliche  Deutbild  dazu:  es  ist 
ein  bärtiger  Mann,  der  das  gekrümmte  Instrument  (pedum) 


3)  Z.  B.    auf  Philae   in   dem  Namen   des   Gottes  Har-m-achu  = 
"AQficcxtg  (Young  hierogl,  II  71), 


106  Sitzung  der  pMlos.-philol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 


auf  den  Knieen  hat.    Er  wird  dadurch  als  sau  j^  „Wächter" 

charakterisirt,  und  mag  sich  seine  dessfalsige  Thätigkeit 
auf  das  Serapeum  selbst  beziehen.  Gegen  Lepsius'  Ansicht, 
der  diese  Gruppe  hu  mit  Deteruiinativ  zu  dem  weiblichen 
Namen  Ächthabu  zieht,  erhebt  sich  in  dem  Deutbilde  der 
bärtigen  männlichen  Person  unter  bu  eine  unbesiegbare 
Schwierigkeit.  —  Dahinter  folgt  der  Halbkreis  o,  bekannt- 
lich das  Zeichen  des  Feminins  im  Aegypt.  mit  dem  Laut- 
werthe  t  und  oft  als  Artikel  ta  gebraucht.  Das  dazu  ge- 
hörige Substantiv  ist  neb-pe  „Herrin  des  Hauses".  Es  fehlt 
also  dieses  Kennzeichen  des  weiblichen  Geschlechtes  keines- 
wegs, wie  Lepsius  glaubt.  Aber  darin  muss  ich  ihm  bei- 
stimmen, wenn  er  sagt,  dass  statt  des  Himmels  (in  der 
conventioneilen  Form  p==q  unseres  Trag himmels)  offenbar  der 
Haus  plan  ""i"*  zu  setzen  war.  Allerdings  verhält  es  sich 
so ;  allein  beide  Wörter  hatten  die  gleiche  Aussprache  n€, 
wie  aus  ^^.-Ai-ne  hircus  domesticus  zu  schliessen  ist,  im 
Vergleiche  mit  g^OT-M-ne  aqua  coeli  =  pluvia.  In 
früherer  Zeit  hatte  der  Hausplan  die  Aussprache  per^  par 
z.  B.  im  Titel  des  Königs  Phar-ao  n;?'lD,  ohog  ixeyag 
beim  Horapollon.  Das  n  ist  paragogisch  wie  in  n'W'O  = 
Mesu  und  vielleicht  in  unserem  HDN  =  Abu, 

„Die  Herrin  des  Hauses"  ein  constanter  Titel  der  ägyp- 
tischen Ehefrau  und  in  bilinguen  Texten  daher  oft  mit 
g^iAie  mulier  identisch,  ist  hier  absichtlich  mit  der  Hiero- 
glyphe des  Himmels  statt  mit  der  des  Hausplanes  geschrie- 
ben, weil  eben  der  Schreiber  zugleich  auf  die  dicht  dabei 
stehende  Herrin  des  Himmels:  die  Nephthys,  anspielen 
wollte,  welche  ihr  Namenssymbol  Nebt-hut  „Herrin  des 
Hauses"  auf  dem  Haupte  trägt.  Auch  hält  sie  in  der  Lin- 
ken exceptioneller  Weise  das  Scepter  der  männlichen  Gott- 
heiten  I  während  die  Isis   vor   ihr  das  übliche  Scepter  \ 


Lauth:  Äegyptisch-aramäische  Inschriften.  107 

der  Göttinen  (mit  Pflanzenschaft)  in  der  Linken  führt. 
Diese  Ausnahme  von  der  Regel  mnss  hier  einer  bestimmten 
Absicht  entsprungen  sein :  es  ist  eben  eine  weitere  Künstelei 
des  Schreibers,  welcher  die  ÄchtJiahti  als  wirkliche  Gebieterin 
im  Hause  des  Ähu  aufgefasst  wissen  wollte.  Darauf  deutet 
auch  die  Bevorzugung,  welche  der  Mumie  dieser  Achthabu 
zu  Theil  geworden  ist:  sie  liegt  auf  der  rechten  Seite  (vom 
Denkmal  aus  betrachtet)  und  diese  nimmt  sie  auch  oben 
neben  ihrem  Mann  stehend  ein,  wenn  man  sich  die  gehörige 
Perspective  herstellt.  Es  fehlt  nicht  an  ähnlichen  Ausnahmen. 
Die  Münchner  Glyptothek  besitzt  eine  sehr  schön  und  fein 
gearbeitete  Sitzgruppe:  die  Frau  sitzt  rechts  und  hat  sogar 
die  rothe  Hautfarbe  der  Männer,  während  der  Ehegemahl 
mit  der  gelblichweissen  Hautfarbe  der  Frauen  abgebildet  ist 
und  die  linke  Seite  einnimmt. 

Wir  haben  aber  im  Rest  der  ganzen  Hieroglyphen- 
legende nur  die  drei  Lautelemente  Achth^  ^^ci.  ^i®  ^®^" 

führerisch  an  n*in{<  ,,Schwester''  gemahnen.  Aber  wo  steckt 
die  Ergänzung  dieses  Torso  zu  Achth-abu^  welchen  Namen 
die  zweimalige  1Dn^^<  des  aramäischen  Textes  gebieterisch 
erheischt?  Man  erinnere  sich  an  das  über  die  Schreibung 
des   Namens   Alu   mittels   des  diakritischen   Lebenszeichens 

=  tK   Gesagte  und  man  wird  keinen  Augenblick  zögern, 

das  noch  fehlende  abu  in  dem  identischen  Zeichen  (Rechte 
der  Nephthys)  zu  finden. 

Jetzt  besitzen  wir  ein  zusammenhängendes  Ganzes, 
ohne  dem  Originale  irgend  wie  oder  wo  Gewalt  angethan 
zu  haben.  Da  aber  aus  dieser  Deduction,  die  nothwendiger- 
weise  in's  Einzelne  eingehen  musste,  sich  das  Planmässige 
und  Absichtliche  in  der  Künstelei  des  Schreibers  ergeben 
haben  dürfte,  so  steht  zu  vermuthen,  dass  er  auch  bei  der 
partiellen  Benützung  des  in  den  Händen  des  Schwesterpaares 


f 


108         Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

der  Göttinen  befindlichen  Lebenszeichens  einen  bestimmten 
Zweck  verfolgte.  In  der  That  liegt  die  Erklärung  ziemlich 
nahe;  das  Streben  der  Aegypter  war,  nach  dem  Todten- 
buche  zu  urtheilen,  vorab  dahin  gerichtet,  dass  ihre  Seele 
in  Gemeinschaft  mit  den  Göttern  lebe.  H.  Lepsius  hat 
einer  ähnlichen  Anschauung  zu  Gunsten  seiner  Erklärung 
Ausdruck  gegeben  mit  den  Worten :  „  .  .  .  man  begnügte 
sich,  die  heiligen  Zeichen  (der  Hieroglyphik)  nur  in  der 
obersten  Abtheilung  zu  gebrauchen,  wo  man  es  den  Göttern, 
zu  denen  auch  die  Verstorbenen  gehörten,  schul- 
dig zu  sein  glaubte."  Nun  besehe  man  sich  die  Vertheilung 
unseres  hieroglyphischen  Textes :  Vor  Osiris,  dem  Herrn 
der  Unterwelt  und  des  Todtengerichts,  läuft  die  auf  „das 
schöne  Begräbniss"  bezügliche  Legende ;  „der  gute  Namen" 
auf  Erden  steht  zwischen  Mann  und  Frau  —  es  entspricht 
im  aramäischen  Texte  wohl  "»Dn^  —  endlich  die  Anspielung 
auf  das  ewige  Leben  bei  den  Göttern  steht  zwischen  Isis 
und  Nephthys.  Weit  entfernt  also,  dass  ,,die  Mangelhaftig- 
keit der  hieroglyphischen  Kenntniss  des  Schreibers  hinreichend 
nachgewiesen"  wäre,  wie  Lepsius  behauptet,  zeigt  vielmehr 
die  geschickte  Vertheilung  des  Textes,  die  ganz  und  gar 
mit  der  acht  ägyptischen  Dreitheilung  in  Himmel  —  Erde 
—  Unterwelt  übereinstimmt,  dass  der  Schreiber  mit  Kennt- 
niss und  Bewusstsein  verfährt.  Es  ist  sogar  noch  ein 
weiterer  Schritt  erlaubt,  nämlich  zu  vermuthen,  was  die 
Onomatothesie  ohnehin  nahe  legt,  dass  die  Participation 
der  beiden  Eheleute  A b u  und  Achthabu  an  dem  Lebens- 
zeichen des  Schwesternpaares  Isis  und  Nephthys,  auf 
ein  geschwisterliches  Verhältniss  der  beiden  Gatten 
hinweist.  Im  Lande  der  Geschwister  eben  hat  dies  nichts 
Auffallendes;  ja  ich  gehe  noch  einen  Schritt  weiter  und 
vermuthe  sogar  ein  Zwillings  verhältniss  des  Paares  Abu- 
Achthabu.  Selbst  in  einer  Gegend  Deutschlands  (Oberpfalz, 
nach  H.  v.  Schönwerth)  soll  die  Zwillingsehe  ein  Gebot  der 


LautJi:  Aegyptisch-aramäische  Inschriften.  109 

Sitte  sein  —  um  wie  viel  mehr  in  Aegypten,  wo  die  reli- 
giöse Tradition  das  Paar  Isis  -  Osiris  sich  sogar  schon  im 
Mutterleibe  verlieben  lässt!  Genau  so,  wie  diese  Namen 
Äs .  t  und  As-iri  etymologisch  sich  verhalten,  nämlich  als 
demselben  Stamme  as  entsprungen,  haben  wir  hier  in  dem 
Paare  Abu-Achthabu  dasselbe  Etymon  abu  velle  cupere 
=  ^D^<.     Indess  gelte  dies  nur  als  Hypothese. 

Um  dem  eben  geäusserten  Gedanken  gerecht  zu  werden, 
muss  man  sich  gegenwärtig  halten,  dass  der  Vater  des 
Abu-Abuh  ein  Aegypter  war  mit  dem  ebenfalls  zur  Isis- 
Osiris-Mythe  gehörigen  Namen  Hor(us)  *)in,  eine  Form,  die 
ich  schon  früher  aus  dem  keilschriftlichen  Namen  Pi-sun- 
churi  =*  Pe-son-Hor  6  cideXq)6g  "^qov  erschlossen  und  auf 
den  Namen  des  Königs  ^OooxcoQ  der  XXL  Dyn.  =  Uza- 
Hor  ,,oculus  Hori"  angewendet  habe.  Ueber  den  Namen 
der  Mutter  von  Achthabu,  der  im  aram.  Texte  nny  Arij- 
jah  lautet,  werde  ich  weiterhin  einige  Bemerkungen  an- 
knüpfen.    Die  Lesung   nny  wäre  ebenso  statthaft. 

Nach  dem  Namen  des  ältesten  Sohnes  Äbseli^)  zu 
schliessen,   der  sicher  ein  rein  semitischer  ist,    überwog  das 


4)  Als  Vergleichungsmaterial  setze  ich  die  sechs  syrischen  Namen 
her,  die  im  Pap.  Bononiensis  vorkommen  (vergl.  meinen  Aeg.  „Reisebrief** 
in  Nr.  2  der  Beilage  zur  Allg,  Zeitung  1873):  das  Elternpaar  heisst 
Salaraz  (H^^D?)  und  Qeti  (nf?  oder  VpX  der  Sohn  Naqadi  cf. 
^<"|•ip3  Nehemia  VII  50.  Er  flieht,  weil  Sclave  Syrus  (=  Pa-Chari), 
zu  einem  Landsmanne,  dem  Schiffsobersten  Kanur  {><")"j^D  cf.  S'IttHpd^ 
cithara  und  Kiyvgag.  Die  Heimat  dieser  Syrer  war  Aradus;  der 
Horizont  die  Zeit  des  Exodus.  In  dem  ebenfalls  so  alten  Pap.  Anastasi 
IV,  besonders  aber  in  dem  dazu  gehörigen  Papyrus  der  Koller'schen 
Sammlung  im  Museum  zu  Berlin  finden  sich  wenigstens  zwei  Dutzend 
altsyrischer  Ausdrücke,  die  sich  durch  ein  näheres  Studium  werden 
erklären  lassen.  Sobald  ich  ein  bestimmtes  Resultat  erreicht  habe,  ge- 
denke ich  diese  Aktenstücke  eingehender  zu  behandeln. 


110         Sitzung  der  jphilos.-phüol.  Classe  vom  6.  Juli  1878» 

semitische  Element  in  dieser  Familie,  was  schon  aus  der 
von  allen  10  Figuren  beibehaltenen  asiatischen  Haar- 
tracht sich  ergibt  —  nur  bei  dem  militärischen  Sohne  ist 
das  Haar  durch  die  Pickelhaube  verdeckt.  —  Abseli  ist 
allein  im  aram.  Texte  als  sprechender  eingeführt,  wie  es 
sich  nicht  anders  erwarten  lässt  und  aus  dem  "^D^f  ]D  sie 
dixit  bestimmt  hervorgeht.  Hiemit  ist  jedoch  die  am 
Schlüsse  der  1.  Zeile  stehende  Verbalform  N^pip.  „wir  haben 
dargebracht"  sehr  wohl  vereinbar,  da  ja  Abseli  als  nun- 
mehriges Oberhaupt  der  Familie  zugleich  im  Namen  seiner 
jüngeren  Geschwister  spricht.  Auch  wird  man  nicht  fehl- 
greifen, wenn  man  aus  dem  emphatischen  ,,sic  dixit"  die  Schluss- 
folgerung ableitet,  dass  in  dem  Vorhergehenden  eine  Apo- 
strophe z.  B.  an  das  verstorbene  Elternpaar  vorkommen 
und  demgemäss  ein  Pronomen  2.  plur.  statthaben  könne. 

Nach  diesen  unerlässlichen  Vorbemerkungen  sei  es  mir 
gestattet,  zur  Transscription  und  Uebersetzung  des  aramäi- 
schen Textes  (Abtheilung  4)  überzugehen,  was  keine  zu 
grosse  Waghalsigkeit  involvirt,  nachdem  Euting  schon  so 
manche  Schwierigkeit  hinweggeräumt   hat. 

m:iip  DDDDn  n  II^d  n'^iv niD  iDnn.si  -nn  "id  hdx  ^d'^ij    i 
idhA«  VD^<  HD«  in  ''bDD^?  xn^x  nD^^<  [nlDip   n 

llllD::[n]  -^D^n  iv 

(1)  Gepriesen  sei,  Abuh,  Sohn  des  Hör,  undAchthabu, 
Tochter  der  Arijjah!  Zwei  Gefässe  von  eurer  Frömmig- 
keit haben  wir  dargebracht  (2)  vor  Osiris  dem  Gotte.  A  b- 
seli,  Sohn  des  Abuh,  dessen  Mutter  (ist)  Achthabu,  (3) 
sprach  also  im  Jahre  IV  Monat  Mechir  des  Chschiarsch, 
Königs  der  Könige  (4),  in  den  „Tagen-Hachaman's  HI." 

Das  erste  Wort  ist  durch  den .  identischen  Anfang  der 
Inschrift  des  Denkmals  in  Carpentras  gesichert,  wie  Euting 


Lauth:  Aegyptisch- aramäische  Inschriften.  111 

richtig  gesehen  hat.  Dass  ich  von  seiner  Lesung:  yy2 
in  etwas  abweiche,  ist  im  Originale  selbst  begründet,  welches 
neben  dem  D  noch  einen  Strich  mit  oberer  Krümmung, 
also  ■»  (Jod)  oder  ein  1  aufweist,  wie  es  weiterhin  als  End- 
zeichen von  "^^QX  ,, seine  Mutter"  erscheint.  Dazu  kommt, 
dass  der  Sinn  selbst  die  Singular- Form  ''D''"15  rechtfertigt, 
da  die  zwei  Personen  einzeln  angeredet  werden.  —  Was  diese 
Namen  betrifft,  so  ist  oben  bereits  Einiges  darüber  gesagt; 
hier  sei  nur  noch  bemerkt,  dass  man  den  'A  b  u  h  als 
Uod-eivcg  und  die  Achthabu  als  aÖ£lq)rj  JJod-ecvov  auf- 
fassen darf.  Nimmt  man  ferner  mit  mir  an  —  was  indess 
für  den  Sinn  des  Ganzen  unwesentlich  ist  —  dass  sie  ein 
Zwillings-  und  zugleich  ein  Ehepaar,  jedenfalls  Geschwister 
waren,  so  erhielte  der  Passus  einen  poetischen  Anstrich : 
,,Abuh,  Sohn  des  Hör  -^  Achthabu,  Tochter  der  Arijjah". 
Letzterer  Name  gehört  ebenso  wie  A  b  u  h,  beiden  Sprachen 
an,  da  äri  OTpsT,  ^^peg^  custos  im  Aegyptischen  ganz  und 
gar  in  der  Bedeutung  sich  mit  "1iy  vigil  (-are)  deckt;  die 
Benennung  mag  sich  wie  oben  das  Deutbild  beim  Namen 
Abu,  auf  den  Wächterberuf  der  Familie  bezogen  haben. 
Ich  ziehe  desshalb  auch  die  Lesung  n''"iy  der  ebenfalls  er- 
laubten nny  vor.  —  Dass  das  Ajn  hier  mit  der  dem  y  der 
Quadratschrift  fast  identischen  Form  auftritt,  während  die 
Inschrift  von  Carpentras  dafür  ^  bietet,  darf  nicht  befrem- 
den, da  der  Schreiber  sich  nach  dem  Beispiele  seiner  ägyp- 
tischen Collegen  gerne  der  Varianten  befleissigt,  wie  schon 
die  stets  wechselnde  Gestalt  des  Jod  —  nicht  weniger  als 
9  Mal  variirt  es  hier!  —  zur  Genüge  darthut.  Ich  werde 
ausserdem  in  dem  Schlusszeichen  des  Wortes  cJieseth-chem 
ein  Mem  aufweisen,  welches  als  Variante  des  sonstigen  D 
nur  noch  des  in  der  Quadratschrift  zugefügten  Grundstriches 
bedarf,  um  ganz  wie  G  auszusehen. 

Grössere  Schwierigkeit  erhebt  das  hinter  \\b^  folgende 


112         Sitzung  der  johilos.-philöl.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

Zeichen:  ich  fasse  es  als  Ligatur  von  n,  die  Möglichkeit 
offen  lassend,  dass  es  aus  "»D,  schwerlich  aber  aus  ^T  amal- 
girt  ist.  —  Meine  Lesung  des  zunächst  sich  anschliessen- 
den Wortes  DDriDH  ist  an  und  für  sich,  so  wie  durch  den 
Sinn  der  Stelle  gerechtfertigt;  auch  dürfte  es  kaum  einer 
Beanstandung  unterliegen,  dass  non  aus  mon  cf.  HTPH 
pia  (ciconia)  assimilirt  ist  und  die  pietas  bedeutet,  da  man 
ja  derartige  Verschmelzungen  wie  z.  B.  n;;;  aus  Dlj;,  rb 
aus  ni^  schon  kennt  und  uns  weiterhin  (unter  II)  eine 
ähnliche  Assimilation  in  Tli^DJ  aus  TU^yD^  aufstossen  wird. 
—  Das  Schlusswort  hat  Euting  dubitativ  XJDlp.  „haben  (wir?) 
dargebracht"  übersetzt.  Allein  sowohl  dieses,  als  die  über 
den  beiden  Schlussbuchstaben  von  ihm  gesetzten  Frage- 
zeichen dürfen  wir  unbedenklich  beseitigen.  Denn  die  ver- 
zogene Gestalt  des  J,  so  wie  die  des  vorangehenden  2  er- 
klärt sich  aus  der  Beschränktheit  des  Raumes,  die  den 
Schreiber  nöthigte,  diese  Buchstaben  schief  zu  stellen,  um 
das  ganze  Wort  noch  in  der  ersten  Zeile  unterzubringen. 
Aus  demselben  Grunde  wählte  er  für  K  die  weniger  um- 
fangreiche Variante,  welche  übrigens  im  Texte  von  Carpen- 
tras  die  einzige  Form  des  X  ist.  Allein  Euting's  Beziehung 
dieser  1.  pers.  plur.  auf  Abseli  und  Achthabu  ist  unhaltbar, 
da,  wie  auch  Lepsius  richtig  erkannt  hat,  in  der  zweiten 
Zeile  zu  übersetzen  ist:  „Abseli,  Sohn  des  ^D^<,  dessen 
Mutter  i^nAx  ist'*.  Wenn  aber  dieser  Gelehrte  in  vor- 
liegendem Worte  eine  Singularform  erwartet,  am  Schlüsse 
ein  1  sieht  und  das  sich  zurückbeziehende  Objectiv-Pronomen 
Jiu  vermuthet,  so  kann  ich  ihm  nicht  beistimmen.  Denn 
die  1.  pers.  plur.  ist  sogar  erforderlich,  damit  die  Ge- 
schwister des  Abseli  doch  auch  zu  Worte  kommen,  wäre 
es  auch  nur  durch  den  Mund  ihres  ältesten  Bruders  und 
Oberhauptes,  also  in  höchst  bescheidener  Weise.  Man  kann 
übrigens  nicht  umhin,  bei  diesem  qerabna  an  das  bekannte 
biblische  noQßäv  (Marc.  VII  11)   =  öwqov  zu  denken. 


Lauth:  AegyptUcli-aramäische  Inschriften.  113 

Die  zweite  Zeile  bietet  nur  eine  einzige  Unsicherheit, 
nämlich  am  Schlüsse  des  ersten  Wortes  Cip;  die  Spuren 
der  verwischten  Stelle  so  wie  der  unterhalb  noch  sichtbare 
Strich  führen  auf  die  Ergänzung  np")p..  Das  durch  den 
Sinn  geforderte  ]''QJ<  „seine  Mutter"  wird  auch  durch  die 
palaeographischen  Züge  der  zwei  letzten  Buchstaben  ge- 
rechtfertigt, die  nur  zusammengeflossen  sind. 

Der  Anfang  der  dritten  Zeile:  10J<"]5  sie  dixit,  welche 
üebersetzung  Euting  nur  parenthetisch  neben  ,,war  ÄMR"" 
gegeben  und  mit  ?  versehen  hat,  ist  jetzt  etwas  verständ- 
licher, nachdem  meine  Analyse  dargethan  hat,  dass  der 
Sohn  Abseli  in  seinem  und  seiner  Geschwister  Namen  au 
die  Eltern  eine  Apostrophe  richtet.  —  Die  Legende  des 
Datums:  ,, im  Jahre  IV,  Monat  Me eh  ir,  des  Chschiarsch 
(Xerxes  I),  des  Königs  der  Könige'*  ist  sogar  im  letzten 
Wortpaare,  welches  fast  ganz  verwischt  ist,  völlig  gesichert 
und  Euting's  Lesung  unanfechtbar.  Nur  in  Betreff  seines 
ny,  muss  ich  bemerken,  dass  zwischen  dem  vorletzten  und 
dem  letzten  Buchstaben  noch  ein  Strich  steht,  welcher,  da 
er  nicht  T  (Sajn)  sein  kann,  noth wendig  )  (Vav)  sein  muss. 
Es  erinnert  mich  diese  vollständigere  Form  n)y  an  das 
Wort  '0^0^ wxa,  welches  nach  Berosus  ^)  eine  Frau  be- 
deutete, die  über  die  Thiere  der  assyrisch-babylonischen 
Mythologie  (Sphäre?)  herrschte  und  auf  Chaldäisch  QaXaT&, 
Griechisch  dccXaGGa{\)  Kard  de  lo6\pr](pov,  ziz  aeXrivf]  sei. 
Offenbar  steckt  die  Bezeichnung  jeroach  darin  und  auch 
die  yvvrj  wird  eruirt,  wenn  man  als  ersten  Bestandtheil 
n'i<  mater  ansieht,  welches  Wort  meines  Wissens  in  solchen 
Compositis  arabisch  ähnlich  Um  lautet. 

Bei   der   letzten  Zeile    fällt   Einem    unwillkürlich    der 
Spruch  ein:    „in  cauda  venenum",    da   sich   hier    trotz  der 


5)  Vergl.  Syncellus  chronogr.  p.  52  edit,  Dindorf. 
[1878. 1  Phüos.-phil.-hist.  Cl.  Bd.  II  l.J 


114         Sitzung  der  pliilos. -philo!.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

Beschränktheit  der  Zeichenzahl  mehrere  ernstliche  Schwierig- 
keiten drohend  erheben.  Zwar  das  erste  Zeichen  ist  ein 
sicheres  D,  das  zweite  wahrscheinlich  eine  Variante  des 
Jod,  das  dritte,  freilich  nicht  mehr  so  sicher,  ein  ö,  da 
nach  links  noch  ein  kleiner  Seitenstrich  sichtbar  ist.  Dess- 
ungeachtet  glaube  ich,  dass  Euting  mit  seiner  Lesung 
D"*?  der  Wahrheit  sehr  nahe  gekommen  ist.  Dagegen  konnte 
mich  seine  AaffassuDg  des  letzten  Wortes  |l|]DDn  „der 
Weisen''  (=  )"'P"'3n)  nicht  befriedigen,  da  der  zerstörte 
Anfang  in  seinen  Spuren  nicht  auf  ein  n  sondern  auf  ein 
n  hinführt,  und  die  deutliche  Zahl  1 1 1  dahinter  doch  nicht 
allenfalls  eine  Anspielung  auf  die  drei  Weisen  des  Morgen- 
landes enthalten  zu  können  scheint.  Dagegen  ist  zu  billigen, 
dass  er  in  dieser  Gruppe  „eine  Fortsetzung  oder  Detailirung 
der  vorausgegangenen  Zeitbestimmung"  vermuthet.  In  der 
That  entspricht  die  Einleitung  mit  3  und  der  Abschluss 
mit  der  Zahl  III  ganz  und  gar  dem  ll||n^^2}  vor  der  Le- 
gende des  Xerxes. 

Nach  längerer  Erwägung  gerieth  ich  auf  den  Gedanken, 
dass  hierin  das  Datum  einer  Satrapie  stecken  müsse 
und  hiemit  enthüllte  sich  mit  einem  Schlage  die  Lesung 
III  l^nn'"»)?^?  ,,in  den  „Tagen  des  Hachaman''  IIL"  Damit 
man  jedoch  nicht  meine,  hiemit  sei  Achaemenes  III  ge- 
meint —  obwohl  diese  Bezifferung  sich  aus  der  Geschichte 
seines  Hauses  nothdürftig  erweisen  Hesse  —  citire  ich  in 
extenso,  was  Herodot  VII  7,  über  ihn  meldet:  *12g  de 
dveyvoJO^rj  SsQ^t^g  orgareveG^ai  s/rl  Trjv  'ElXaöay  evd^avxa 
devT£Qcp  fiev  stsl  jueTcc  tov  d-av ax ov  J aQeiov ^ 
TtQOJTa  OTQaTrjirjv  Tcoieerai  eirl  rovg  a^ieoTEWTag.  Tovtovg 
f4,€v  VW  yiaTaOTQSipaiuevog,  ytal  ^XyvTtrov  Tiäoav  nokXov 
öovXoT£Q7]v  TtoiriGag,  tj  stcl  Jageiov  ^v^  e7titqi7tBL!/ä%aL- 
jiisvel,    dÖ6Xg)e(^    ^ev    ecovrov,  /taqeiov    de  fcaidl.    u4%ai' 


Laufh:  Aegyptisch-avamäische  Inschriften.  115 

/iievsa  (.UV  vvvj  etvlt qoTtevowa  ^iyv/tTOv.,  xqovto 
(lerineLTa  ecpovevoe  Ivaqcog  o   Wa!Af.iiTlxov,  aviiQ  ^ißvg. 

Das  zweite  Jahr  nach  des  Darius  Tode  ist  484  v.  Chr., 
das  vierte  des  Xerxes  482  v.  Chr.,  folglich  dieses  zu- 
gleich das  dritte  Jahr  derEpitropie  oderSa- 
trapie  des  Achaemenes.  Wer  sich  daran  stossen  wollte, 
dass  das  Zahlzeichen  III  hinter  dem  Namen  Ha  ch  am  an  ^) 
und  nicht  unmittelbar  hinter  ^D2  steht,  der  bedenke,  dass 
der  Pluralis  constr.  —  den  wir  hier  allenfalls  „das  Getage'' 
übersetzen  könnten  —  mit  dem  Namen  Hachaman  um  dess- 
willen  so  eng  verbunden  ist,  weil  III CO^^  eben  nur  „drei 
Tage"  bedeuten  würde,  wobei  es  noch  fraglich  ist,  ob  man 
alsdann  nicht  vielmehr  das  Zahlwort  ,,drei"  gebraucht 
haben  würde.  Dazu  kommt,  dass  auch  im  Ebraeischen 
G"'P%Tn3T  ein  „jährliches''  oder  „Jahres"-Opfer  be- 
zeichnet. 

Es  ist  demnach  die  Stele  des  Berliner  Museums  nicht 
bloss  als  datirteBilinguis  werthvoll,  sondern  das  eben 
aufgezeigte  controlirende  zweite  Datum  mittels  der 
Sat'rapie  d  es  Achaemenes  erhebt  sie  zu  einem  Denk- 
male ersten  Ranges  in  chronologisch-historischer  Beziehung, 
abgesehen  von  Sprache  und  Palaeographie,  die  dadurch  be- 
reichert werden. 

II. 

Die  aramäische  Inschrift  des  Steines  von  Carpentras 
ist,  seitdem  Barthelemy,  der  Vater  der  semitischen  Palaeo- 
graphie, sie  zuerst  wissenschaftlich  behandelt  hat,  wiederholt 


6)  Die  Bildung  dieses  Evf^tyrjg  bedeutenden  Namens  geraahnt  an 
den  auf  dem  Denkmale  des  Ptolemaeus  Lagi  zu  Cairo  befindlichen  Titel 
(hierogl.)  chschatrapa(va)n  =  auzganrig  eigentl.  '^cczQäntjg  cf. 
chschiarsch  =  ISiQ'^rjs  —  und  wirklich  ist  Ptol.  Lagi  bei  Curtius 
„Satrapes  Aegypti"  genannt. 

8* 


116  Sitzung  der  philos.-2Mlol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

in  Angriff  genommen  worden,  ohne  dass  diesen  Bestrebungen 
der  gewünschte  Erfolg  entsprochen  hätte.  Die  Haupt- 
nrsache  dieses  Misslingens  liegt  in  der  Nichtbeachtung  der 
oberhalb  befindlichen  ägyptischen  uüd  nicht  bloss  ägypti- 
sirenden  Darstellung^),  so  wie  in  der  Nichtberücksichtigung 
des  Todtenbuches,  welches  als  Prototyp  derartiger  Scenen 
den  Vortheil  bietet,  dass  darin  die  Begleittexte  nicht  fehlen. 
Ich  werde  desshalb,  wie  ich  unter  I.  gethan,  auch  hier 
zuerst  die  Erklärung  der  Bilder  geben,  um  hernach  mit 
einiger  Aussicht  auf  Erfolg  zu  dem  unterhalb  angeschrie- 
benen aramäischen  Texte  überzugehen. 

Barthelemy  war  von  guten  Grundsätzen  der  Kritik  ge- 
leitet, als  er  den  oberhalb  der  Bruchstelle  befindlichen  Theil, 
weil  auch  dessen  Farbe  vom  unteren  ächten  Theile  ver- 
schieden sei,  für  eine  moderne  Restauration  erklärte.  Allein, 
wenn  er  sagt :  la  pierre  n'  etait  pas  entiere  quand  eile  tomba 
entre  les  mains  de  M.  Rigord  (copie  de  1704)  et  que  cet 
Antiquaire  la  fit  mettre  dans  1'  etat  ou  eile  est  ä  present : 
la  restitution  etait  assez  aisee  etc.  so  muss  ich  doch  zu 
bedenken  geben,  dass  Rigord  unter  dieser  Voraussetzung 
ganz  gewiss  seine  Restauration  des  Monuments  nach  dem 
Muster  der  oben  abgerundeten  Stelen  gemacht  haben 
würde,  wie  uns  Nr.  I  dieser  Abhandlung  eine  vor  Augen 
stellt.  Es  zeigt  sich  aber,  dass  das  Prototyp  des  Todten- 
buchs,  woher  die  bildliche  Darstellung  stammt,  in  der  That 
ein  Distylon  ist,  wie  Rigord  restituirt  hat,  ohne  indess 
den  oben  abschliessenden  Fries  mit  Palmcapitäl-Ausladung 
hinzuzufügen.  Es  ist  desshalb  wahrscheinlich,  dass  Rigord 
nach  dem  abgebrochenen  aber  sehr  stark  degradirten  Theile 
seine  Restauration  getroffen  hat;  denn  dass  eine  solche 
vorliegt,  das  beweist  schon  die  Vernachlässigung  der  Palmen- 
ringe am   oberen  d.  h.    modernen  Theile  der  Schäfte.     Ich 


7)  Wie  z.  B.  die  Z.  DMG  XXX  132   besprochene  Stele   des  Jehav- 
melek  Königs  von  Gebal  eine  ist. 


Lcmth:  Aegyptisch-aramäisclie  Inscliriften.  117 

glaube  daher  nicht  so  fast  an  eine  Fälschung,  als  an  eine 
Nachbildung. 

Ein  weiteres  Symptom  eines  solchen  Verfahrens  liegt 
in  dem  Mangel  des  linken  Armes  der  hinter  Osiris  ^)  stehen- 
den weiblichen  Gestalt.  Im  Todtenbuche  ist  derselbe  vor- 
handen und  zwar  in  der  Art,  dass  er  dicht  unter  dem 
Kinne  dieser  Figur  quer  hervorkommt,  hinter  dem  Rücken 
des  Osiris  unsichtbar  fortläuft  und  an  seiner  linken  Schulter 
mit  eingekrümmten  Fingern  wieder  hervortritt.  Ich  ver- 
mnthe  nun,  da  das  Ganze  ein  Bas-relief  ist,  dass  gerade 
diese  Lage  des  linken  Armes  den  Bruch  des  Steines  ver- 
anlasst und  dass  Rigord  bei  seiner  Restauration  wegen 
Schwäche  der  Spuren  diesen  Körpertheil  der  weiblichen 
Figur  ausser  Acht  gelassen  hat. 

Welche  Persönlichkeit  darunter  zu  verstehen  sei,  das 
musste  meinen  Vorgängern  verborgen  bleiben,  weil  sie  eben 
nicht  auf  das  Todtenbuch  als  Quelle  recurrirten.  Barthe- 
ieray dachte  unwillkürlich  an  die  Isis  und  das  mochte 
auch  Tychsen  adoptiren,  da  er  in  dem  zweimaligen  M)^'^  der 
Inschrift  mit  aller  GcAvalt  diese  Göttin  erkennen  wollte. 
Nun,  was  die  Isis  anbelangt,  so  fehlt  sie  auf  unsrer  Dar- 
stellung keineswegs ;  aber  sie  befindet  sich  in  der  mittleren 
Abtheilung  zu  Häupten  der  Mumie,  während  ihre  Schwester 
Nephthys  zu  Füssen  derselben  kniet.  Beide  tragen  dieselben 
Embleme  auf  dem  Kopfe  wie  in  Nr.  I. 

um  mich  kurz  zu  fassen,  will  ich  gleich  das  Original 
vorführen :  die  Darstellung  des  Todtenbuches  zu  cap.  148. 
Man  sieht  dort  über  den  Textcolumnen  23 — 37  ein  Disty- 
lon  mit  Palmenschäfteu  und  Fries,  wonach  unser  Denkmal 


8)  Meraoires  do  Tacad.  dos  inscripptt.  XXXI F,  736.  Die  jüngste 
Besprechung  in  der  Zts.  DMG  1878,  I  hat  das  Verständniss  nur  in 
soweit  gefördert,  dass  der  Verfasser:  Herr  Schlottinaun,  eine  poetische 
Diction  dabei  erkennt,  was  mit  meiner  Ansicht  ziemlich  übereinstimmt, 
wenn  auch  die  Auffassung  im  Einzelnen  abweicht. 


118  Sitzung  der  philos.-plülol.  Clasnc  vom  6.  Juli  1878. 

stylgemäss  nach  oben  ergänzt  werden  könnte.  Den  Mittelpunkt 
der  Scene  bildet  ein  Cippus  mit  Opfergaben,  ganz  ähnlich  dem, 
welcher  sich  auf  unserem  Denkmal  vorfindet,  nur  dass  er 
hier  in  vier  Etagen  gegliedert  ist,  um  recht  viele  Opfer- 
gaben aufzunehmen.  Dadurch  fällt  schon  ein  Schlaglicht 
auf  den  Ausdruck  NHiDn  des  Textes,  da,  wie  wir  aus  Nr.  I 
gelernt  haben  und  aus  Nr.  III  definitiv  erfahren  werden, 
hiemit  das  Trockenopfer  bezeichnet  wird.  Die  vorkommen- 
den Vasen  sind  damit  nicht  im  Wiederspruch,  da  sie  nicht 
Flüssigkeiten  sondern  Aromata  wie  Kyphi  und  dergl.  ent- 
hielten. 

Dieser  Cippus  bildet  recht  eigentlich  die  Mitte  der 
oberen  Abtheilung.  Zu  seiner  Rechten  (vom  Denkmal  aus 
betrachtet)  sitzt  Osiris  und  hinter  ihm  steht  die  oben  be- 
schriebene weibliche  Persönlichkeit  (deren  Wesen  uns  des 
Todtenbuch  enthüllen  wird)  indem  sie  ihre  Rechte  an  den 
Körper  des  Osiris  anlehnt.  Sie  bildet  mithin  dieser  Geberde 
zufolge,  besonders  wenn  man  sich  den  linken  Arm  in  der 
oben  erörterten  Lage  hinzudenkt,  mit  dem  Gotte  eine  un- 
zertrennliche Einheit.  Die  Spur  der  asiatischen  Haar- 
tracht, welche  am  Ende  des  jedenfalls  ächten  Stückes  noch 
sichtbar  ist,  legt  den  Gedanken  nahe,  dass  hier  eines  der 
beliebten  Amalgame  vorliegt,  wonach  Menschen  mit  Göttern 
identificirt  werden.  Ich  werde  in  der  That  zeigen,  dass 
hier  unter  der  Gestalt  der  personificirten  Amenti  (West- 
gegend) die  früher  verstorbene  Mutter  vorgeführt  wird, 
deren  Namen  im  Texte  ^inn  lautet.  —  Dieser  einheitlichen 
Gruppe  symmetrisch  gegenüber  steht  eine  andre  Asiatin 
mit  entsprechender  Haartracht,  mit  ebenfalls  langem  aber 
vorn  wie  ein  Flügelkleid  offenen  Gewände,  Blumen  oder 
Sistra  in  den  zur  Anbetung  emporgehobenen  Händen  haltend. 
Es  ist  die  Tochter  der  vorigen,  inschriftlich  XDfl  genannt.^) 


9)  Die  Bildung   mit   dem  Präfix   ^,    die    uns   eben   in   den  beiden 


Lauth:  Äegyptisch-aramäisehe  Inschriften.  119 

Die  Begleittexte  des  Todtenbuches  zu  der  identischen 
Scene  des  cap.  148  wo  ein  Ehepaar:  Aufanch  mit  Gattin, 
dem  göttlichen  Duo  Osiris-Amenti  gegenüber  steht,  lassen 
über  die  Bedeutung  der  Darstellung  keinen  Zweifel.  Col.  27, 
auf  Osiris  bezüglich,  der  als  Sokaris  (Patron  und  Eponymos 
von  Saqqarah  !)  aufgefasst  ist,  lautet  folgendermassen:  „Osiris, 
Herr  der  Ewigkeit,  königlicher  Gebieter  der  Fortdauer, 
grosser  Gott,  welcher  beherrscht  die  Unterwelt;  (Col.  28) 
Setmati,  die  gütige,  bietet  ihre  Arme  dar,  um  dich  aufzu- 
nehmen."    Letztere  Col.   steht   über    der   weiblichen    Figur, 

welche  das  Symbol  der  Westgegend  mit  dem  Ti-Vogel  ^^ 

—  ein  bekanntes  Sinnbild  des  Duals  —  auf  dem  Haupte  trägt 
und  den  Osiris-Sokaris  in  der  oben  geschilderten  Weise 
umfängt. 

Dem  menschlichen  Paare  auf  der  Gegenseite  wird  der 
Hymnus  in  den  Mund  gelegt  (coli.  26— 24a):  „Preis  dir, 
Stier  (Gemahl)  der  Setma-ti^  königlicher,  Herr  der  Fort- 
dauer, grosser  Gott,  welcher  beherrscht  die  Unterwelt ! 
Nimm  du  auf  den  Osirianer  Aufanch  den  Seligen  (Gerecht- 
fertigten) zu  der  gütigen  Setmati  im  Frieden  !'*  Daran 
schliesst  sich  unmittelbar  die  Antwort  des  Gottes  (col.  24  a 
bis  23)  ,,die  Seti  (Setmati)  bietet  ihre  beiden  Arme  dar, 
um  dich  aufzunehmen  nebst  deiner  Hausherrin  {—  Gattin; 
man  bemerke  dieses  Beispiel!  — );  denn  nicht  bist  du 
schuldig  (mangelhaft)  befunden." 

Der  letztere  Ausdruck  wird  durch  cap.  I  col.  15/16 
näher  erläutert:  ,,Der  Osirianer  Aufanch,  Sohn  der  Tsenhmin, 
wandert  zur  Setmati    im  Frieden ;    nicht   ward    er    schuldig 


Namen  Thaba  und  Thachui  begegnete,  ist  jedenfalls  eine  feminine. 
Abgesehen  von  meiner  Vermuthung  in  Betreff  des  Sinnes  von  ''inn> 
scheint  mir  dieselbe  Verbalwurzel  in  dem  identischen  l*inn  der  Bjblensis 
vorzuliegen  „und  möge  sie  ihn  kund  machen  (linn)  '^^^  möge  sie  aus- 
dehnen (n^i^n)  seine  Tage  und  Jahre  über  Gebäl!" 


120  Sitzung  der  phüos.-pJiilol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

(oTti  debitor)  befunden  auf  der  Wage."  Wir  besitzen 
auch  die  demot.  Version  zu  der  Göttergruppe  von  cap.  148 
in  dem  von  Brugsch  ^^)  zu  Paris  entdeckten  Exemplare  des 
Todtenbuches ;  sie  lautet:  „Ein  Standbild,  ein  festliches, 
von  Sokar-Osiri  mit  dem  Gesichte  eines  Sperbers,  welchen 
die  göttliche  (Set-)  Mati  schützend  umfängt  (chui) ;  es  be- 
findet sich  ein  Schlangendiadem  auf  seinem  Haupte:  es  ist 
die  (Set-)  Mati  erfassend  (is.AiÄ.g^T€  prehendere)  den  Menschen 
(welcher)  vor  ihm  (erscheint)." 

Was  ferner  die  Wage  und  die  Psychostasie  selbst  be- 
trifft, so  begnüge  ich  mich  aus  der  ausführlichen  Beschreibung 
des  cap.  125  die  Hauptlegenden  vorzuführen.  Der  dem 
Anubis  geltende  Text  besagt :  „Es  spricht  der  Gott  des 
heiligen  Einbalsamirungsgewölbes :  „das  Herz  ist  genau  in 
seinem  Gleichgewichte ;  die  Wage  ist  erfüllt  (ausgeglichen) 
vom  Osirianer  Aufanch  etc."  Der  schakalköpfige  Anubis 
hält  hiebei  die  eine  Wagschale  prüfend  in  der  Hand.  Als 
Gegenstück  erscheint  Horus  mit  Sperberkopf,  seinen  rechten 
Arm  zu  dem  Ausschlagsgewichte  (techu  „Mitte"  cf.  "in 
cor  und  ^jln  „mitten")  emporhaltend,  offenbar  zu  demselben 
Zwecke  der  Prüfung.  Dieser  wird  übrigens  auch  noch 
durch  den  auf  der  Mitte  der  Wage  sitzenden  xvvoKefpaXog 
verdeutlicht,  dem  ja  die  Bedeutung  der  Gleichheit  ( =  loqfxsQLa 
bei  Horapollon)  eignete,  und  ausserdem  sieht  man,  wie  der 
Verstorbene  selbst  sein  Herz  in  der  einen  Wagschale  in 
gleicher  Höhe  mit  der  der  Mät  (T*Md.i  t'mhi  justitia, 
veritas)  auf  der  Gegenseite  erblickt.  Man  sieht,  wie  sich 
jetzt  die  der  Mumie  derThaba  zur  Seite  stehenden  Götter 
Horus  and  Anubis  genügend  erklären.  Denn  dass  die 
in  der  zweiten  Abtheilung  auf  dem  Löwen  ruhende  Mumie 
wieder  die  verstorbene  T  ha  ba  vorstellen  soll,  würde  schon 


10)  Sammlung  demotischer  Urkunden,  pl.  VII  col.  3,  1. 


LaiitJi:  Aegyptisch-aramäisclie  Inschriften.  121 

aus  der  Analogie  mit  der  unter  Nr.  I  besprochenen  Dar- 
stellung sich  darthun,  wenn  nicht  auch  der  Mangel  des 
Bartes  auf  eine  weibliche  Person  hindeutete.  Dass  Isis  und 
Nephthys  in  der  Geberde  der  Todtenklage  zu  Häupten  und 
zu  Füssen  ihrer  Mumie  knieen,  das  verdankt  Thaba  ihrem 
Titel  „Osiri'S  den  alle  selig  Verstorbenen  erhalten. 

Für  die  vier  Götter  Horus,  Anubis,  Isis,  Nephthys  sind 
länglichte  Columnen  zur  Aufnahme  der  Legenden  reservirt, 
die  aber  nicht  wirklich  hineingeschrieben  worden  sind,  so 
wenig  als  irgend  eine  andre  hieroglyphische  Legende  auf 
dem  Denkmal  erscheint.  Dies  rührt  nicht  gerade  von  der 
Beschränktheit  des  Raumes,  als  davon  her,  dass  diese  Texte, 
weil  formelhafter  Natur,  als  bekannt  vorausgesetzt  wurden. 

In  der  That  bestätigt  es  sich  mit  jedem  weiteren 
Schritte,  dass  der  Wortlaut  des  Todtenbuches  zu  Grunde 
liegt.  Denn  die  vier  Canopen  unter  der  Löwenbahre  sind 
offenbar  identisch  mit  den  4  Genien  Amseth,  Hapi,  Tuau- 
rauthef,  Qebhsonuf,  welche  im  TodtenbucH  hinter  den  um 
Nahrung  angeflehten  7  hl.  Kühen  (nebst  ihrem  Bullen 
„Besamer  der  Weiber'^  genannt)  so  wie  hinter  den  4  Rudern 
der  4  Weltgegenden  als  stehende  Mumien  mit  Posaunen  in 
der  Hand  erscheinen.  Ihre  Funktion  beim  Regierungsantritt 
eines  Königs  in  Vogelgestalt  mit  den  Masken :  Menschen-, 
Hundskopfaffen-,  Schakal-  und  Sperberkopf  nach  den 
4  Weltgegenden  auszufliegen,  um  der  ganzen  Welt  das 
Ereigniss  zu  verkünden,  ist  allgemein  bekannt.  Ihre  nähere 
Bestimmung  hat  uns  der  bilingue  Papyrus  Rhind  gelehrt, 
da  darin  den  4  Genien  der  hieratischen  Schriftart  demotisch 
die  Viertheilung  der  Eingeweide  entspricht.  Diese  wurden 
bei  der  Mumificirung  durch  den  an  der  linken  Hüfte  ange- 
brachten Einschnitt  herausgenommen  und  in  den  4  Krügen, 
mit  den  Köpfen  jener  4  Genien  als  Deckeln,  gereinigt  bei- 
gesetzt. 


122         Sitzung  der  pliüos.-pliüol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

Hiebei  ist  zu  berücksichtigen,  dass  die  viertheilige 
Canopengruppe  im  Todtenbuche  sich  noch  innerhalb  des 
Distylons  befindet,  genau  so  wie  auf  unserer  Darstellung. 
Ferner  erklärt  sich  die  Geberde  des  Schutzes,  welche  hier 
der  Göttervierheit  Horus,  Anubis,  Isis,  Nephthys  zukommt, 
ebenfalls  aus  dem  Todtenbuche.  Denn  in  der  bildlichen 
Darstellung  zu  cap.  151  knieen  Isis  und  Nephthys  genau 
so  bei  einer  Mumie,  nur  dass  sie  ihre  Hände  nicht  klagend 
erheben,  sondern  auf  den  Siegelring,  das  Symbol  des  My- 
steriums, niederstrecken.  Demgemäss  nennt  der  Begleittext 
den  Horus  mit  einem  geheimnissvollen  Namen  ^,^!-«Jw^' 
,, Sand  wer  fer",  der  verborgene  Rächer  (TWüifie  ulcisci), 
welcher  zurückweist  eines  Menschen  Arm  und  ihn  zum 
Feuer  verdammt  mit  den  Worten;  „Nicht  beschädige  das 
Grab!  Ich  bin  gekommen  den  Weg,  damit  ich  da  sei  als 
Feiung  des  Osirianers  Aufanch  etc. ;  ich  habe  (darum)  ver- 
wirrt den  Zugang." 

Analog  führt  Anubis  den  mysteriösen  Namen  Tape-du-f 
„der  auf  seinem  Berge**  ^^)  neben  seinem  gewöhnlichen;  er 
liegt  als  Schakal  auf  einem  pylonartigen  Gestelle  als  Wäch- 
ter der  Grabgegend;  seine  Titel  „der  im  PJinbalsamirungs- 
gewölbe"  und  „der  Rechtfertiger''  charakterisiren  ihn  hin- 
länglich. Er  spricht :  „Gethan  habe  ich  meine  beiden  Arme 
(schützend)  auf  dich,  Osirianer  Aufanch  etc.  wegen  det 
Tugend,  die  du  im  Leben  geübt  hast." 

Isis  spricht:    „Gezogen  bin   ich  daher  durch  die  Luft, 

gekommen  bin  ich,    damit   ich  da  sei  als  Feiung   dein    und 

damit  ich  gewähre  den  Odem  deiner  Nase,  den  Windhauch, 

welcher  hervorkommt  von  Atum^^),    o  Osirianer  Aufanch." 

Nephthys  spricht :  „Aufgewacht,  o  Osirianer  Aufanch  etc. !" 


11)  In  dem  Namen  des  Pap.  Casati  TuTii6v<pog  wohl  vorhanden. 

12)  Da  Ätum  die  Abendsonne  ist,  so  scheint  der  sanfte  Zephyr  ge- 
meint zu  sein 


Lauth:  Aegyptisch-aramäische  Inschriften.  123 

Nachdem  so  alle  Figuren  der  bildlichen  Darstellung 
von  Carpentras  erläutert  sind,  will  ich  nunmehr  zur  Trans- 
scription und  Uebersetzung  des  aramäischen  Textes  schreiten, 
den  ich  nach  Barthelemy's  Copie  mittheile.  Es  versteht 
sich  von  selbst,  dass  wir  nicht  eine  getreue  Wiedergabe 
der  angeführten  Originaltexte,  aber  dennoch  eine  Ueber- 
einstimmung  mit  den  leitenden  Ideen  derselben  zu  erwarten 
haben  ;  ist  uns  ja  unter  I  dasselbe  Phänomen  begegnet ! 

^rh^  noix  ^t  ^<mon  ^inn  rra  ^<Dn  r^^-^^^      i 

i<np  ]^D  noiN  c"ip  \ö  ^v\  T\2^'^'2  noi^  mp    ni 
G^ii^"  ^in^  .Ton  pi  ^nyo:  nn^i  ^in    iv 

(1)  Gepriesen  sei  Thaba,  Tochter  der  Thachui,  die  Be- 
schenkerin  von  Osiris,  dem  Gotte!  (2)  Aus  Erzitterung  vor 
einem  Manne  hat  sie  nicht  gehandelt  und  nach  dem  Wohl- 
gefallen eines  Mannes  (Jemandes)  hat  sie  nicht  gesprochen. 
Die  Bewährte  (3)  vor  (dem  Richterstuhle  des)  Osiris  sei 
gepriesen  !  Aber  den ,  der  verworfen  ward  vor  (dem 
Richterstuhle  des)  Osiris,  nennt  Niemand.  (4)  Der  Hin- 
fälligeamd die  Frische  wird  gering  gemacht  und  ,,Ohne 
Erbarmen  in's  (zum)  Verderben  (Wehe!)''  ist  (lautet)  der 
Gruss.'' 

Die  erste  Zeile  ist  schon  von  Barthelemy  in  ihrem 
Sinne  richtig  erfasst  worden,  nur  dass  er  Nn^OD  chargee 
des  ofPrandes  (pour  le  dieu  Osiris)  als  eine  priesterliche 
Function  der  Thaba  auffasste,  was  nicht  in  dem  Worte 
liegt,  da  ja  alle  Aegypter  mit  solchen  Opfergaben  der 
Gläubigkeit  {ti  hotep  suten)  vor  den  Göttern  und  besonders 
vor  Osiris  auftreten.  Ich  fasse  die  Bildung  des  Wortes 
NnjDn  (wegen  Nr.  III  insbesondere)  als  Gegensatz  zu 
Ni^n  oder  r\3^n  =  Libation,  also  als  Speiseopfer, 
Avie  das  "niip,  und  offenbar  etymologisch    durch    das  n  der 


124  Sitzung  der  phüos.-philol:  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

Abstraction  daraus  gebildet.  Da  aber  Abstracta  CoUectiva 
und  Feminina  im  Semitischen  zusammenfliessen,  so  erkläre 
ich  mir  auch  die  beiden  Eigennamen  unsres  Denkmals 
{<Dn  *')    und   "»inn   aus    den    Wurzeln    N3  und  Hin  mit  der 

''  T  T  T 

Bedeutung  „Adventrix"  und  ,,Annunziata".  —  lieber  ^in  wird 
uns  Nr.  III  eine  Entscheidung  ermöglichen.  —  Uebrigens 
war  den  ägyptischen  Aramäern  auch  die  einfache  Form 
T^riyo  wohl  bekannt.  Denn  nicht  nur  hat  in  Nr.  I  die 
Initiale  D  unter  ^^DR  dies  angedeutet,  sondern  ich  habe 
auch  in  einem  demot.  Papyrus  des  Louvre  mit  zwiefachem 
Datum  die  Eingangsformel  fnenacha't  statt  ti'-hotep-suten 
getroffen,  wobei  zwischen  Stamm  und  Femininendung  't 
das  Zeichen  der  Heiligkeit  steht:  „Menacha't  des  Haus- 
meiers der  Wohnung  des  Osiri-Hapu  (=3  Serapis)  welcher 
spricht"  ^*).  Dieses  aramäisch-demotische  menacha't  ent- 
spricht ganz  und  gar  dem  stat.  construct.  nnjD.  —  Das 
hinter  Thamnacha  folgende  ''T  ist  sicher  in  Lesung  und  Be- 
deutung ;  ich  betrachte  es  als  ein  lautlich  gesunkenes  n 
der  vorigen  Inschrift  —  cf.  d  und  5  im  Neugriechischen 
und  Dänischen  —  so  dass  schon  hieraus  auf  ein  jüngeres 
Alter  geschlossen  werden  dürfte.  In  Z.  DMG  XXII  696 
ist  Merx  der  entgegengesetzten  Ansicht;  freilich  war  ihm 
der  unter  Nr.  I  besprochene  Stein  mit  dem  Datum  J.  4 
des  Xerxes  etc.  worin  wenigstens  einmal  sicher  n  vorkommt, 
wie   aller    Welt,    unbekannt.    —    Barthelemy   glaubte   auch 


13)  Barthelemy  schrieb  Thebe,  vielleicht  durch  Lyd.  de  mens.  4,  46 
verführt:  'H(jax'kT^g  IV  Jiog  (Ammon)  xai  Otjßijg  trjs  Aiyvnrictg.  Es 
ist  dies  aber  nur  eine  Personification  der  btadt  ©rjßai,  aeg.  Ta-vabu 
„Land  der  Kukuphascepter "  (oo  terra,  Sib<\  upupa),  wo  Chonsu  = 
'^H{)ctx'kr,g  mit  dem  widderköpfigen  A  m  o  n  und  der  M  u  t  h  die  hl.  Triade 
bildete.  Eher  liesse  sich  aus  Corp.  inser.  4965:  f^nr^og  Tßi]  hieher 
ziehen. 

14)  Vergl.  die  Legende  Tafel  c. 


Lauth:  Aegyptisch- aramäische  Inschriften.  125 

in   der   Mitte  der   zweiten  Zeile   das    Sajn    in   dem   Worte 
^IJ'13'1  zu  erkennen,    das   er    fälschlich   abtheilte    und  "»T  "»DDI 
las.     Kopp  *  ^)   verbesserte   diesen  Doppelfehler ;    aber   seine 
Erklärung  der  Gruppe,  wozu  er  eine  unberechtigte  Gleichung 
y^'\>  beizog,    wird  wohl  aufzugeben  sein.     Ebenso  die  will- 
kürliche Aenderung    des   sicheren  "»KIDI  in   DHD,    wie  Merx 
1.  1.  sie  vermuthet  hat.  —  Meine  eigne  Auffassung  will  ich 
nicht  weitläufig  begründen,    da    der  offenkundige  Parallelis- 
mus  und   der  Sinn  dafür  spricht.     Denn  der  Text  will  be- 
sagen :    „Die  Verstorbene  (Thaba)   hat  nicht  aus  Menschen- 
furcht,   sondern    aus    Gottesfurcht    gehandelt,    nicht    nach 
dem  Wohlgefallen    der  Menschen,    sondern    nur  Gottes    ge- 
sprochen."   Auch  sprachlich  lässt  sich  "»iilD  secundum  bene 
placita  recht  gut  erklären,   da  in  dem  Stamme  p"l  die  ein- 
fachere Form    des   Ampliativs    ]l2i"]    vorliegt.     Auch    ergibt 
sich  sofort  daraus  das  Corollar:  nzon,  welches  alle  Erklärer 
mit    dem    arabisch-ebraeischen    Reduplicativ    GDH  perfecta, 
integra  (fuit)  zusammengebracht  haben.     In  der   That   ver- 
langt der  sofort  zu  besprechende  Gegensatz  "»in,   dass  durch 
riDn   die    gepriesene    Eigenschaft    der  Thaba  ausgedrückt 
sein    muss    und   das   ist  die  Unsträflichkeit  vor  (dem 
Richterstuhle  des)  Osiris.  —  *>T\  fasse  ich  als   Gegensatz   zu 
riDn  sowohl   in   Beziehung   auf  den  Sinn,    als  rücksichtlich 
des    Geschlechts.     Es    will    mir    nämlich  scheinen,    dass  es 
von  njn  ,, fallen,  stürzen'*  gerade  so  adjectivisch  gebildet  ist, 
wie  ^n  (statt  "''»ri)  ,,der  Lebende"  von  njn  vivere.     Nun  be- 
sitzen  mehrere   Sprachen   ähnliche   Ausdrücke:    q)evyeLv  =2 
diwxEGd^ai,  exsul  =  ejectus,  wo  also  ein  intransitives  Verbum 
statt  des  Passivs,  gleichsam  als  mildere  Form,  gewählt  wird. 
Wenden  wir   dies  auf  unser    'in    an,    so    erhalten    wir    den 
Begriff  „der  Fallende,    der  Gestürzt  werdende",    wofür   wir 


15)  Bilder  und  Schriften  II  231. 


126         Sitzung  der  phihs.-phüot  Classe  com  6.  Juli  1878. 

ja  auch  intrans.  „der  Stürzende"  sagen  können.  Darum, 
weil  diesem  Intrans.  ein  passiver  Sinn  innewohnt,  gebraucht 
der  Text  den  Ausdruck  Dlp  ]D  e  conspectu  (Osiridis)  re- 
jectus,  also  --  reprobatus  im  Gegensatze  zur  Thaba  proba(-ta). 
In  activer  Bedeutung  „Verderben"  erzeugt  derselbe  Stamm 
die  Interjection  ^IH  „Wehe".  Wirklich  hat  der  Schreiber 
auch  diese  Bedeutung  wortspielend  angewendet,  da  nämlich 
die  Ergänzung  des  Schlusses  zu  übu/  ^iH*?  H^pn  ]'^2)  wirklich 
auf  dem  Originale  angedeutet  ist.  Denn  dann  kann  man 
übersetzen  „und  ohne  Erbarmen  in's  ,,Wehe"  (Verderben)!'* 
lautet  der  Gruss." 

Um  die  Antithesis,  in  der  wir  uns  befinden,  etwas  be- 
greiflicher zu  machen,  muss  ich  auf  die  Dual  form  der  Göttin 
der  Gerechtigkeit  und  Wahrheit  (t'mhi,  T'Mivi)  hinweisen. 
Das  Exemplar  des  Todtenbuches,  welches  ich  hier  in  München 
entdeckt  habe,  zeigt  in  der  Scene  der  Psychostasie  den 
Verstorbenen  zwischen  zwei  Göttinen  mit  der  Straussfeder 
auf  dem  Haupte,  welches  Symbol  schon  aus  Horapollon  = 
naoiv  I'gcüq  t6  öUaiov  artovtneiv  bekannt  ist.  Die  vor 
ihm  stehende  Ma '  t  bevvillkommt  ihn  freundlich,  lädt  ihn 
zum  Kommen  in  die  heilige  Unterwelt  ein  und  sichert 
seinem  Wesen  daselbst  einen  ständigen  Aufenthalt  zu  („ewige 
Ruhe").  Etwas  Aehnliches  dachten  sich  die  Alten  unter 
der  wohlwollenden  Qsfiig  z.  B.  in  der  Stelle  bei  Ovid,  wo 
das  Ehepaar  Deucalion-Pyrrha  aus  ihrem  Heiligthume  das 
Orakel  erbittet. 

Hinter  dem  Verstorbenen  steht  eine  andre  Ma*t,  ohne 
Kopf,  so  dass  die  Straussfeder  auf  ihrem  Rumpfe  steckt:  es 
ist  die  a'/,t(palog  jUrj.  W^ir  werden  kaum  irren,  wenn 
wir  diese  Doppelgestalt  auf  unsren  Text  beziehen:  die  vor 
Osiris  bestehende  (HDn)  Thaba  ist  von  der  Qsfiig  begrüsst 
und  wird  gepriesen  (H^^^ID);  ihr  Gegensatz,  der  vor  dem 
Richterstuhle  des  Osiris    nicht    bestehende    also  verurtheilte 


Lauth:  Äegyptisch-aramäische  Inschriften.  127 

Mensch  wird  von  der  rücksiclitslosen  JUi]  ewiger  Vergessen- 
heit überantwortet.  Welcher  Gott  besorgt  aber  das  Ge- 
schäft der  Eintragung  in  das  Buch  des  Lebens?  Es  ist 
dies  Thot  {Te(c)Jiuti  Qcovd)^  dessen  Namenssymbol :  der 
Vogel  techu  ('rilji  grus)  auf  dem  Gerüste  gewöhnlich  die 
Straussfeder  der  Mäit  bei  sich  führt  und  so  den  componir- 
ten  Namen  QoTOf-iavq  erläutert.  Bei  der  Seelen  wägung 
spricht  dieser  ibisköpfige  „Tehuti,  der  Herr  von  UJMOint 
(Achtstadt  =  ""EqiioiToXig  rj  jiieyaXrj) ,  der  Urheber  der  hl. 
Sprache  und  Schrift,  der  grosse  Gott  von  Hisoris :  ,,Es  soll 
ihm  gethan  werden  sein  Herz  auf  seinen  Platz,  dem  Osirianer 
Aufanch  etc.!"  Noch  deutlicher  spricht  seine  Geberde: 
seine  Linke  hält  die  Schreibtafel,  die  Rechte  den  Calamus, 
um  das  Ergebniss  der  Seelenwägung  aufzuzeichnen,  d.  h. 
den  N.  N.  in  das  Buch  des  Lebens  einzutragen.  Im  Pap. 
Senkowski  Col.  XXIII  wird  gesagt:  ,,der  Osiris  Neshmin 
(=  Z[uvLq\  Sohn  des  Anch-hapu,  erscheint  tanzend  (hüpfend 
schwebend)  gen  Himmel  aufden  beidenFlügelpaaren 

des  Gottes  Tehuti''.     Es  steht     '^.^  nezen\\  — II 

l''JJJ  dualis  nebst  Numerale  H.  Sollte  dies  eine  Entlehnung 
des  Mercurius  alatus  sein?  Der  Anlaut  von  Tehuti 
'^^^  9  V  wl  ^^^  ^^^^  ^^^  Schlange,  welche  sonst  paläo- 
graphisch  und  lautlich  dem  li  entspricht.  Jedenfalls  dient 
dieses  hieratische  nezain  II  zur  Enträthselung  der  schwie- 
rigen und  darum  bisher  unentzifferten  Citiens.  XXIX,  die 
sicherlich  den  Namen  der  Mondgöttin  OaXazd-  enthält, 
wodurch  H.  Ed.  Meyer's  Z.  DMG  XXX  720  gar  zu  zuver- 
sichtlich gebotene  Thanath  über  den  Haufen  geworfen 
wird.  Ein  erst  dieser  Tage  in  unser  Antiquarium  ver- 
brachtes Köpfchen  (aus  Kleinasien)  zeigt  oben  ein  Flügel- 
paar —  sollte  die  Thalath  damit  vorgestellt  sein? 

Vielleicht  fällt  hiedurch  einiges  Licht  auf  die  schwierigste 


128         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

Gruppe,  die  letzte  der  zweiten  Zeile.  Von  der  Unmöglich- 
keit überzeugt,  den  Anfang  als  pD  species  genus  zu  fassen, 
gerieth  ich  endlich  auf  den  Gedanken,  dass  das  negierende 
]^p  =  ]*NP  prorsus  nihil  hier  vorliege,  wie  wir  in  der 
nächsten  Zeile  ^2  =  )\N5  „ohne"  treffen  werden.  Den 
Sinn  anlangend,  erhalten  wir  dadurch  einen  passenden 
Gegensatz  zu  dem  ,, gepriesen"  des  vorangehenden  Halbver- 
ses,  wenn  wir  uns  nur  entschliessen,  den  ersten  Theil  des 
zweiten  Halbverses :  nDlX  Dlp  ]D  "»In  als  Accusativ  zu  fassen. 
Denn  alsdann  ergibt  sich  die  Uebersetzung :  cadentem 
(=  reprobatum,  rejectum)  e  conspectu  Osiridis  prorsus  nil 
(=  nemo)  v^ocavit,  wie  ja  auch  im  Lateinischen  nil  illo 
inconstantius  =  nemo  il.  ine.  gesagt  wird.  Daraus  folgt, 
dass  wir  das  letzte  Wort  in  Nip?  vocavit  zu  ergänzen  haben, 
dessen  N  nur  in  einer  Spur  vorhanden  ist. 

Der  Schwerpunkt  dieses  Verses  liegt  in  dem  richtigen 
Verständnisse  des  Wortes  ^^H,  wie  ich  ihn  oben  erläutert 
habe.  Dass  damit  ein  intransitiver  Begriff  im  Sinne  eines 
Passivs  gegeben  ist,  dürfte  jetzt  keinem  Bedenken  mehr 
unterliegen,  nachdem  sein  Gegensatz  nDD  integra  =  pro- 
bata,  hinlänglich  erläutert  worden  ist.  Auch  wird  ein 
solcher  Begriff  durch  die  Construction  "»"iDIkX  Dlp  ]D  e  con- 
spectu Osiridis  geradezu  gefordert,  und  dass  wir  unter 
dieser  „Gegenwart  des  Osiris"  seinen  Richterstuhl  in  der 
Araenti  zu  begreifen  haben,  lehren  sowohl  die  beigebrachten 
Texte  als  die  Attribute  und  das  Bild  des  Gottes  selbst.  — 
Sollte  Jemand  vorziehen,  als  vorletzten  Buchstaben  1  Daleth, 
anstatt  "i  Resch  zu  lesen,  was  die  Züge  gestatten,  so  würde 
der  gleich  zulässige  Sinn  entstehen:  ^^ip  :;d  ecquis  enotatus 
est?     Aber   die   Kluft   zwischen  1   und  p  bliebe   unerklärt. 

Die  dritte  Zeile  beginnt  mit  demselben  Worte  ^in, 
welches  ich  oben  als  cadens  =  reprobatus,  rejectus  aufge- 
fasst  habe.     Hier  tritt  eine  Begriffschattirung  ein,    da   der 


Lanth:  Aegyjpiiscli-aramäischc  Inschriften.  129 

Text  nunmehr  zu  den  Folgen  der  Verwerfung  übergeht. 
Zugleich  begegnet  uns  in  der  Gruppirung  nn?!  "»in  caducus 
et  fresca  (florida)  eine  nochmalige  Synallage  generis,  wie 
sie  oben  in  nDnD'HDn  mit  N~)p  pp  —  "»in  vorgekommen  ist. 
Bartheieray  hat  passend  auf  Deuteron.  XXXIV  7  verwiesen, 
wo  gesagt  ist  „Und  Moses  war  120  J.  alt  bei  seinem  Tode, 
aber  nicht  war  verdunkelt  sein  Auge  —  die  Vulgata  fährt 
fort:  nee  dentes  illius  moti  sunt  On*;!)  —  wogegen  er 
übersetzt  ,,sa  fraicheur  s'etait  conservee,  was  zweideutig  ist, 
da  das  Pron.  „sa"  sich  ebensowohl  auf  „Mo seh"  als  auf 
das  unmittelbar  vorangehende  l^^y  ^^)  „sein  Auge"  beziehen 
kann.  Ich  wähle  daher  den  Ausdruck  „Sehkraft"  und 
übersetze  ,,aber  nicht  war  seine  Sehkraft  geschwächt,  noch 
die  Frische  derselben  entwichen",  also  nicht  n'n^,  sondern 
nn^.  ,,ihre  Frischheit."  Hier  verlangt  der  Sinn  nn^  „die 
frische,  jugendliche*'  (Frau)  als  Gegenstück  zu  ^in  der  hin- 
fällige (Mann).  —  Was  geschieht  nun  mit  beiden?  Der 
Text  gibt  die  Antwort  durch  Tl^DJ,  welches  mit  dem  un- 
mittelbar vorausgegangenen  Femininum  harmonirt  d.  h. 
weibliche  Niphalform  singul.  ist.  Ich  ziehe  zur  Erklärung 
den  Stamm  lOij^p  bei  =  parum.  Vergleicht  man  die  Qal- 
formen  DIDy  und  n"1DJ<,  so  macht  nur  noch  das  Schluss-^' 
eine  Schwierigkeit,  die  jedoch  durch  den  gleichen  Ausgang 
von  On:D  (I)  erheblich  vermindert  wird.  Der  Stamm  selbst 
erweist  sich  im  Hinblicke  auf  Numm.  XVI,  4,  9,  13,  wo 
lOyp   als  Gegentheil  von  Dl  satis  (superque)  auftritt,  als  ein 


16)  Der  Pap.  Anastasi  I  1,  6  legt  seinem  Helden,  dem  Mohär 
iriD  Mesu  das  Prädicat  der  Schönheit  bei:  an  =  py,  determinirt 
durch  das  Auge,  und  in  den  Coraposs.  p-d».n  placere  tl-ivtie  pulcher 
erhalten.  Es  ist  auch  an  und  für  sich  natürlich,  dass  Orientalen,  die 
durch  künstliche  Mittel:  Schminken,  Collyrium,  axifi^t  etc.  den  Glanz 
des  Auges  zu  erhöhen  suchten,  die  S  c  h  ö  n  h  e  i  t  hauptsächlich  in's  Auge 
verlegten.    Vergl.  unser  „Gesicht"  von  „Sehen". 

[1878. 1  Philos.-phil.-his.  Gl.  Bd  II  l.J  9 


130  Sitzung  der  phÜos.-phüol.  Classe  vom  6.  Juli  187 S. 

verbaler,  vergl.  Exod.  XII,  4  die  Futuralform  tpyprci«^ 
„und  wenn  zu  gering  sein  wird  das  Haus  (die  Familie)  etc." 
also  analog  wie  DDl  multum  esse,  also  =:  parum  oder  par- 
vum  esse.  Das  Niphal  würde  unter  dieser  Voraussetzung 
bedeuten  deprimi,  minui  „erniedrigt  werden."  Dass 
^nV^^  aus  einem  ursprünglichen  "^niOyD^  assimilirt  ist, 
kann  beim  Hinblicke  auf  das  non  =  mon  von  Nr.  I 
nicht  mehr  befremden.  Zum  Verständnisse  dieser  Stelle 
trägt  es  vielleicht  bei,  wenn  man  sich  der  Darstellung  ^^) 
erinnert,  wo  ein  vor  dem  Richterstuhle  des  Osiris  Ver- 
worfener in  die  Gestalt  des  verabscheuten  Schweines 
verwandelt  und  von  Kynokephalen  fortgetrieben  wird. 
Wohin?  Darauf  antworten  die  Texte  nicht,  aber  sie  zeigen, 
dass  die  Verdammten  —  äg.  ,,die  doppelt  Todten"  —  als 
unreine  Dämonen  unstet  wanderten  und  die  Menschen  plagten. 

Die  Ergänzung  liefert  der  letzte  Halbvers  des  Textes : 
uhxü  ^^^h  n^on  J^DT  „und  „Ohne  Erbarmen  in's  Verderben 
(Wehe)" !  lautet  (ist)  der  Gruss".  Nach  dem,  was  ich 
oben  über  die  drei  aus  einander  entspringenden  Begriffe  des 
■»"in  gesagt  habe,  kommt  das  „Verderben"  oder  „Wehe" 
nicht  uugemeldet;  ich  hoffe,  dass  es  auch  dem  Sinne  und 
Zusammenhange  conform  befunden  werde.  —  Wer  sich  mit 
meiner  Auffassung  des  1"'D  als  ==  )^"<^^  ^^sine,  in  deficientia", 
,,ohne"  nicht  befreunden  mag,  der  versuche,  ob  er  mit 
]'»5  ,,klug"  oder  y^  „zwischen"  zu  einem  besseren  Ergebniss 
gelange. 

Ich  bin  mir  der  Schwäche  und  Lückenhaftigkeit 
meiner  Beweise  wohl  bewusst.  Aber  trotzdem  glaube  ich, 
Niemand  werde  das  Hauptergebniss,  dass  hier  ein  poetisch 
gedachtes  und  gegliedertes  Schriftwerk  vorliegt,  in  Zweifel 
ziehen.  Wenn  man  nun  auch  noch  den  Styl  der  Arbeit 
in  Betracht  zieht,  so  kommt   man    nothgedrungener    Weise 


17)  Reinisch :  die  ägypt.  Denkmäler  von  Miramar  S.  15. 


Lauth:  Aegyptisch-aramäkche  Inschriften.  131 

zu  der  üeberzeugung,  dass  der  Stein  von  Carpentras  in 
den  Anfang  der  Ptolemäerzeit  ^ ^)  fallen  müsse.  Denn  ge- 
rade beim  ersten  Contacte  mit  den  Griechen  strebten  die 
Aegypter  von  den  rigiden  Formen  ihrer  Kunst  loszukommen 
und  sich  mehr  und  mehr  die  runde  Modellirung  oder  Bos- 
sirung  bei  ihren  plastischen  Gestaltungen  anzueignen,  ohne 
dass  sie  freilich  die  Naturwahrheit  und  Grazie  des  helleni- 
schen Meisseis  erreichten.  Auch  die  volle  Ausgestaltung 
des  Löwen,  der  lebende  Vogel  auf  dem  Opfertische  etc.  ist 
ein  Symptom  dieser  Zeit.  Dadurch  ergab  sich  die  schwer- 
fällige, ja  plumpe  Mischgattuug,  die  unser  Denkmal  zeigt. 
Aber  der  Mann,  welcher  den  Text  verfasste,  war  vom 
Geiste  Thot's  beseelt  und  man  möchte  ihn  gerne  zum  Zeit- 
genossen der  siebzig  Dolmetscher  machen,  die  im  Museum 
von  Alexandria  ihr  Werk  zu  Stande  brachten.  Jedenfalls 
war  ihm  eine  der  alttestamentlichen  ähnliche  Literatur  be- 
kannt. 

III. 

Die  dritte  Inschrift,  auf  einem  von  Mariette  entdeckten 
Libations-  oder  Opfersteine  des  Serapeums  von  Saqqarah 
angebracht,  wird  uns  verhältnissmässig  geringe  Mühe  ver- 
ursachen, da  sie  in  alleu  ihren  Zeichen  vollständig  erhalten 
und  auf  Grund  unserer  durch  I  und  II  erzielten  Resultate 
überall  sicher  zu  übersetzen  ist. 

Der  Stein  ^^)  selbst,  ein  länglichter  Würfel  von  be- 
scheidenen Dimensionen,  zeigt  auf  seiner  Oberseite  drei 
Abtheiiungen,  deren  mittlere  zur  Aufnahme  des  Speise- 
opfers bestimmt  war,  und  desshalb  eben  gehalten  ist, 
während  die  symmetrisch  zu  beiden  Seiten  davon  vertieften 


18)  Ich  sehe  aus  Z.  DMG  Bd.  XXII,  698,   dass  H.  Marx    derselben 
Ansicht  huldigt. 

19)  Vergl.  Tafel  a. 

9* 


132  Sitzung  der  pMlos.-phüol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

Quadrate  offenbar  eine  Li  bat  ion  aufnebmen  oder  entbalten 
sollten. 

Die  Inscbrift,  wieder  aus  3^2  Zeilen  bestehend  wie  I 
und  II,  ist  rings  von  einer  Linie  eiugerabmt,  welche  sich 
sogar  der  Einbuchtung  am  Schlüsse  der  letzten  Halbzeile 
anschmiegt.  Um  so  auffallender  ist  die  rechts,  wo  der 
Text  beginnt,  hervorragende  Ausbiegung,  fast  wie  eine 
Nase  gestaltet,  wodurch  die  ganze  Inschrift  das  Ansehen 
eines  Kopfes  erhält.  Sollte  darin  eine  Andeutung  auf  die 
Bitte  des  Widmenden  gegeben  sein?  ^^) 

Der  Text  endlich,  obschon,  wie  die  Kunstarbeit  selbst, 
nachlässig  behandelt,  ist  dessungeachtet  und  trotz  der  Ver- 
meidung von  Spatien  zwischen  den  einzelnen  Wörtern, 
überall  sofort  deutlich.  Man  hat  desshalb  auch  bald  nach 
seiner  Verbringuug  in's  Louvre  üebersetzungen  versucht. 
Eine  derselben  vom  J.  1862,  will  ich  ihrer  Eigenthümlich- 
keit  wegen  hiehersetzen.  Schon  die  üeberschrift :  Inscrip- 
tion  phenicienne  —  Traduction  du  chaldeen  gibt  uns 
einen  Vorgeschmack  dessen,  was  wir  zu  erwarten  haben. 
Sie  lautet: 

Dispersit  se  scaturigo,  quando  mensura  in  tradendo  desiit  — 
Quando  erumpit  casus  prae  dolore  repudii  in  fletum    — 
In  extendendo  se  repente  densus  ut  excelsus  desiit  — 
Festum  cum  erupit,  liberat.*' 

Es  ist,  wie  man  sieht,  nicht  einmal  der  Name  des  Osiris 
erkannt,  sondern  die  beiden  Male,  wo  er  vorkommt  (1.  I 
und  III  als  letzte  Gruppe)  ist  der  Bestandtheil  DIN  in  DDN 
transscribirt   und    durch    ,, desiit" ,    wenigstens    consequent. 


20)  Das  äg.  Wort  "^g^O  precatio  bedeutet  wörtlich  praebere  faciem, 
und  das  Wort  tap  caput,  später  oft  dab  geschrieben,  könnte  auf 
Toa£iO  supplicatio  anspielen,  obschon  dieses  einem  anderen  Etymon  zu 
entspringen  scheint. 


Lauth:  Aegyptisch-aramäische  Inschriften.  133 

übersetzt.  Wie  gegen  diese,  so  muss  ich  micli  auch  gegen 
die  Auffassung  und  Erklärung  ablehnend  verhalten,  welche 
in  der  DMG-Zeitschrift  ^  ^)  erschienen  ist,  obgleich  letztere  doch 
zwei  Namen:  Osiri  und  Abi  tob  richtig  herausgestellt 
hat.  Ohne  weitere  Polemik,  wozu  ich  mich  nicht  aufgelegt 
fühle,  transscribire  und  übersetze  ich: 
,,Libation  für  die  Eingeweide, 
Speiseopfer   für   Osiri,    ver-  0)t<b  A^on  -^yb  ^^:3:D^      I 

kündigend    die    Religiosität  "^=i  ^^'^^  "^^V  ^IH  n     H 

des  Abi  tob,  des  Sohnes  von  0)^  Dip  12V  'übni2  m 

Barth  olemai,  welcher  dienet  ^^^  ^-)^|-^    iv 

vor  Osiridem  Barmherzigen". 

Zur  Rechtfertigung  dieser  üebersetzung  folgende  Be- 
merkungen. 

Den  Parallelismus  oder  die  Antithesis  zwischen  NJDn 
und  A:)Dn  „Libation"  und  „Speiseopfer"  will  ich  nicht 
weiter  besprechen,  da  ich  im  Vorausgehenden  zum  öftern 
gerade  auf  diese  Stelle  unserer  Inschrift  verwiesen  habe. 
Wer  sich  Angesichts  dieses  Opfersteines  mit  dieser  Legende 
meiner  Ansicht  nicht  zuneigt,  den  könnte  ich  auch  durch 
weitere  Beweise  nicht  zu  überzeugen  hoffen. 

Es  muss  nun  aber  zwischen  21p  und  "»"IDIi^,  welche 
beide  durch  7  eingeleitet  sind,  ein  ähnliches  Verhältniss 
obwalten,  wie  zwischen  den  zwei  Hauptformeu  der  Opfer- 
gaben. In  der  That  bedeutet  21p,  intestina  „Eingeweide" 
und  kann  sich  nur  auf  den  oben  besprochenen  Inhalt  der 
vier  Canopen  beziehen,  welcher  dem  Körper  entnommen 
und  eigens  in  den  vier  Krügen  beigesetzt  wurde.  Im  Pap. 
Rhind  werden  desshalb  diese  Eingeweide  als  redend  einge- 
führt ,,wir  trinken  (die   speciell    erwähnten  Flüssigkeiten)". 


21)  XXII  693  flgd.  von  Merx.  Warum  er  das  Denkmal  die  „Sera- 
peumsvase"  nennt,  ist  mir  nicht  erfindlich.  Auch  H.  Levi  hatte  es  so 
bezeichnet. 


134         Sitzung  der  iMlos.-philol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

0  s  i  r  i  s  als  Prototyp  aller  Mumien  bildet  dazu  einen 
Gegensatz,  der  zu  natürlich  ist,  als  dass  ich  ihn  weiter  zu 
begründen  verpflichtet  wäre. 

Soweit  stehen  wir  auf  dem  sicheren  Boden  der  ägyp- 
tischen Gebräuche  und  Lehren.  Aber  was  fangen  wir  mit 
dem  nächstfolgenden  Worte  "»in  an?  Ich  habe  oben  aus 
Anlass  des  Namens  "»inn  bereits  darauf  verwiesen  und  da- 
selbst die  Bedeutung  nuntiare  antecipirt.  Damit  sind  wir 
indess  nicht  gefördert,  obschon  diese  Form  wie  ^n  und  *>yr\ 
sich   analog   aus   dem  Verbum  mn    Piel  Hin    =    'VT^  indi- 

"  T   1  T  • 

care,  nuntiare,  ostendere  muss  ableiten  lassen  (als  Parti- 
cipial-  oder  Adjectivform).  Kopp  (II  238),  obschon  er  "»in 
mit  diesem  ^T[  fälschlich  identificirt,  zeigt  doch  ein  richtigeres 
Gefühl  als  Tychsen,  der  "»"in  überall  mit  ''''n  zusammenwirft. 
So  z.  B.  in  der  von  ihm  citirten  Legende  aus  dem  zabischen 
Exorcismus  bei  der  Taufe.  ^^)  Es  werden  darin  vier  Wesen 
erwähnt,  welche  den  Johannes  bei  der  Hand  nehmen,  zur 
Wohnung  der  Wahrheit  führen  und  in  der  Todesstunde  an- 
zurufen sind.  Ihre  allgemeine  Benennung  ist  ^?''"lni<  ;;D"1J< 
„die  vier  Führer,  i^lin:)  D''^^  Söhne(?)23j  des  Lichtes.'' 
Sie  heissen  mit  ihren  Eigennamen  also  :  "löIV  UWj  j''^.  Ü)rn 
und  jeder  hat  ^in  als  Adjectiv  oder  Apposition  bei  sich. 
Kopp  vermuthete  nun  richtig,  dass  das  mittlere  Paar  offen- 
kundig auf  die  Sinne  des  Auges  und  des  Ohres  hin- 
weise und  billigt  darum  die  Auffassung  Schindler's,  welcher 
das  viermalige  ''in  mit  sensus  übersetzt,  indem  er  der 
Wahrheit  noch  näher  rückt  und  in  die  ans,  patefaciens 
beifügt.  Die  zwei  andern  Namen  konnte  weder  er  noch 
ein  Anderer  genügend  erklären,  aus  dem  einfachen  Grunde, 
weil  hier  wieder  eine  sehr  alte  Ueberlieferung  Aegyptens 
vorliegt,    ohne   deren    Beachtung   das  Räthsel   unlösbar  ist. 


22)  Stäudhn  III  42. 

28)    „Welche    bauen   "^3  d.  h.  bilden  (build)  das  Licht"? 


Lauth :  Aegyptisch- aramäische  Inschriften.  135 

Das  Exemplar  des  Todtenbuclies,  welches  ich  hier  in 
München  entdeckt  und  aufgerollt  habe,  enthält  eine  wichtige 
Darstellung ,  die  dem  Turiner  ^*)  abgeht.  Es  sind  vier 
männliche  Personen,  welche  durch  ihre  Namenssymbole  auf 
den  Köpfen  als  Hu,  Auge,  Ohr  und  Sa  charakterisirt 
werden.  Sie  sind  übrigens  auch  von  einzelnen  Monumenten 
her  bekannt  und  schon  von  Champollion,  was  die  zwei 
mittleren  betrifft,  richtig  gedeutet  worden.  Auge  und  Ohr; 
•<2:^  und  ^  bedürfen  keiner  weiteren  Erläuterung;  nur  so 
viel  sei  bemerkt,  dass  auch  im  Aegyptiscben  einer  der 
Namen  des  Auges  an  i  =^\''V  war,  und  dass  die  Hieroglyphe  des 
Ochseuobres  sem  in  cmh  auditus,  CMd^i  rnmores  gerade 
so  nachklingt,    wie    in  dem  zabischen  UW  =  VO^  audire. 

Tn  Betreff  der  zwei  andern,  die  den  Anfang  und  das 
Ende  der  Reihe  vorstellen ,  habe  ich  schon  in  meinem 
,,Manetho"  S.  112  ^^)  die  öfter  wiederkehrende  Legende 
citirt:  ,, Es  ist  J3«^  in  meinem  Munde,  Sa  in  meinem  Herzen." 
Halten  wir  uns  zunächst  an  den  Letztgenannten,  so  er- 
scheint er  häufig  als  Attribut  oder  Vertreter  des  Tehuti, 
dessen  Namen  ja  selbst  auf  das  Herz  in  =  3^,  Ißig  = 
xaQÖla  hinweist.  Das  Symbol  auf  dem  Kopfe  des  S  a  ist 
die  GVQiy^  ^jttd,  nach  Horapollon  =:  cpQOvrjGig  und  im 
Kopt.  COT  scire  deutlich  erhalten.  Es  muss  also  das  "ID? 
der  zabischen  Legende  diesem  S  a  entsprechen.  In  der 
That  setzt  das  Fiel  löT  ,, singen,  kuud-thun,  wissen  machen**, 
als  die  ursprüngliche  Bedeutung  der  Qilform  „wissen'^ 
voraus.  Freilich  fühlt  man  sich  versucht,  GOT  „denken, 
sinnen''  oder  IDT  „gedenken*'  an  Stelle  des  ")DT  zu  setzen: 
allein  ich  halte  mich  zu  einer  Aenderung  nicht  befugt. 

Ich    komme    zum    Erstgenannten  Dinn.     Dass    er   dem 


24)  Publicirt  von  Lepsius  1842. 

25)  Aus  Pap.  Leydens.  I  347,  col.  12,  1. 


136  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

ägyptischeu  Hu:  ^=»=  entsprecben  müsse,  dürfte  jetzt 
schon  eine  ausgemaclite  Sache  sein.  Um  die  philologische 
Vermittlung  herzustellen,  erinnere  ich  zuerst  an  sein  Em- 
blem: die  Zunge;  damit  ist  schon  ein  Hinweis  auf  die  zu 
erwartende  Bedeutung  des  Wortführers  oder  Sprechers  ge- 
geben. Es  besitzt  aber  das  Aegyptische  den  Stamm  h  e  m 
redupl.  g^eAig^eM  rugire  =i  i^?"?  strepere,  wovon  ]*iDn  und 
nj'pn  strepitus,  auch  in  den  Composs.  r-liem^  du-hem^  na- 
hem —  facere,  edere,  adducere  strepitum.  Im  Kopt.  TOiOM, 
eoig^eM,  TÄ^^CM,  edwg^eAi  vocare  erkennt  man  deutlich 
das  antike  du-hem,  sowie  in  DHJ  „knurren",  DXi  aussprechen 
die  Composition  na-hem  vorliegt.  Das  zabische  Cin*l  bedarf 
also  nur  der  einfachen  Correctur  in  Cini ,  um  dem  Compos. 
r-hem  zu  entsprechen.  Auf  jeden  Fall  befinden  wir  uns 
auf  sicherer  Fährte,  geleitet  von  den  phonetischen  Emblemen 
und  können  desshalb  mit  einiger  Zuversicht  aussprechen, 
dass  „die  vier  Führer  zur  Wahrheit,  die  Söhne  (?)  des 
Lichtes"  aus  altägyptischer  Quelle  stammen  und  uns  die 
vier  Begriffe:  Sprache,  Sehen,  Hören  und  Empfin- 
den oder  Wissen  versinnlichen.  Ja  es  erklärt  sich 
jetzt  aus  dem  Namen  des  an  der  Spitze  der  Reihe  schreiten- 
den Hu,  warum  jeder  der  vier  „Verkündiger"  das  Epi- 
theton "»in  führt.  Denn  das  äg.  h  u  kopt.  g^iOTi  strepere 
hat  noch  die  ursprüngliche  der  Zunge  eignende  Bedeutung 
bewahrt. 

Nachdem  nun  diese  crux  interpretum  sc.  Orientalistarum 
mit  Hülfe  der  Aegyptologie  beseitigt  ist,  wollen  wir  die 
weiteren  Bemerkungen  zu  unserem  Texte  anfügen. 

Bei  dem  Objecte  dieses  verbalen  "»in,  nämlich  "ID^ 
brauche  ich  mich  nicht  aufzuhalten,  da  schon  der  Eigen- 
name 1DX""IDI^  in  Melitens.  I  für  meine  Auffassung  zeugt, 
welcher  griechisch  durch  JiovvaLog  gegeben  ist.   Die  Gleichung 


Lauth:  Äegyptisch-aramäische  Inschriften.  137 

Osiris'Jiovvaog  hat  aber  schon  Herodot.  Ob  das  nächste 
Mal  das  nämlicbe  12V  wieder  Subst.-cultus  religiosus,  also 
eine  emphatische  Wiederholung  ist,  oder  participial  IDj; 
zu  fassen,  wie  ich  gethan,  überlasse  ich  Andern  zur  Ent- 
scheidung; am  Sinne  wird  dadurch  Nichts  geändert. 

Die  Namen  A  b  i  t  o  b  (acht  semitisch !)  und  B  a  r- 
tholemai  (hybrid)  sind  sicher,  obgleich  in  letzterem  das 
7  umgewendet  und  die  Striche  des  ü  umgestülpt  erscheinen. 
Unser  Stein  zeigt  noch  mehrere  solcher  graphischen  Eigen- 
thümlichkeiten,  die  übrigens  nach  den  Varr.  von  Nr.  I 
und  II  nicht  mehr  befremden  oder  ernstliche  Hindernisse 
für  die  Entzifferung  bereiten.  Sehr  willkommen  ist  das  ü 
in  Abitob,  weil  es  so  selten  auftritt.  —  Der  Name  Bar- 
th dem  ai,  ein  sehr  altes  Seitenstück  zu  dem  des  verehr- 
ten Barthelemy,  wird  weiterhin  auch  chronologisch  ver- 
werthet  werden.  —  Die  Gruppe  G"lp  12V  cultu  fungi  coram 
lässt  den  Namen  Osiri  erwarten.  Wirklich  folgt  noch  in 
derselben  Zeile  der  Anfang  seiner  Legende  D1i< ;  aber  anstatt 
dass  die  nächste  Zeile  die  Fortsetzung  unmittelbar  brächte, 
wie  1.  2  den  identischen  Anfang  des  Namens  in  der  1.  1 
zu  Osi-ri  ergänzt,  steht  ein  deutliches  n  d.  h.  der  Stein- 
metz hat  das  hinter  Osiri  folgende  Prädicat  Din  antecipirt, 
sodann  aber,  als  er  seines  Fehlers  gewahr  wurde,  das  1 
wieder  ausgemeisselt  und  endlich  das  vermisste  n  folgen 
lassen.  Es  ist  diese  Selbstverbesserung  ein  sehr  interessan- 
tes Factum,  worauf  ich  einiges  Gewicht  lege,  weil  hiedurch 
auch  manche  andre  Hypothese  oder  Textveränderung  in  etwas 
empfohlen  wird. 

Der  Name  ''D^n'"ID  Bar-tholemai  Baq&olofxaiog, 
aus  Bar-ptoleraai(os)  wegen  der  schweren  Aussprache  der  zwei 
Labiales  erleichtert,  bildet  ein  kostbares  chronologisches 
Kennzeichen.  Denn  in  Aegypten,  wo  man  sich  von  Seite 
der  Privaten  mit  Vorliebe  dynastischer  Namen  bediente, 


138  Sitzung  der  philos.-pliilöl.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

konnte  diese  Hybride  erst  seit  der  Ptoleraäerherrschaft 
aufkommen.  Dass  sie  sich  weiter  verbreitet  hat,  wissen 
wir  aus  dem  Neuen  Testamente.  —  Die  Poläographie  des 
Denkmals,  verglichen  mit  der  des  Steines  von  Carpentras, 
den  ich  ebenfalls  aus  dem  Serapeum  herleite,  so  wie  die 
Kunstarbeit,  besonders  die  Einrahmung  des  ganzen  Textes, 
bestimmen  mich,  diesen  Opferstein  Mariette's  dem  Ende  der 
Ptolemäerzeit  zuzuweisen.  Leider!  sind  gar  keine  Hiero- 
glyphen oder  ein  Datum  vorhanden,  wodurch  sich  diese 
Ansicht  fest  begründen  Hesse.  Ich  will  desshalb,  um  diesem 
empfindlichen  Mangel  in  Etwas  abzuhelfen,  ein  ganz  be- 
stimmt unter  die  Regierung  des  Augustus  fallendes  Denk- 
mal als  IV  des  Kleeblattes  beifügen,  damit  man  ein  grösseres 
Material  zur  Vergleichung  habe.  Aus  der  Combination 
solcher  Denkmäler  dürfte  sich  allmälig  eine  sichere  Reihen- 
folge ergeben. 

IV. 

H.  Dr.  Brugsch,  dem  die  Aegyptologie  so  manchen 
Fortschritt,  namentlich  im  Demotischen  verdankt,  hat  ^^)  die 
Oberseite  eines  Opfer-  oder  Libationssteines  (aus  dem  Ber- 
liner Museum)  mitgetheilt,  welcher  sofort  an  den  eben  be- 
sprochenen aus  dem  Serapeum  erinnert.  Wenn  er  in  seiner 
Besprechung  der  hieroglyphischen  Legende,  die  er  übrigens 
gar  nicht  übersetzt  hat,  die  Localbezeichnung  Hut-nub  auf 
Kavwßog  =  xqvoovv  €Öag)og  (beim  Rhetor  Aristides)  bezieht, 
so  dürfte  er  mittlerweile  von  dieser  Ansicht  zurückgekommen 
sein.  Denn  die  Lautirung  Kavwßog  lässt  ein  ägyptisches 
Kii-noT^i  (allenfalls  von  k*^  ponere)  als  hl.  Namen  er- 
warten; der  profane  Name  lautet  in  der  auf  Kanobus 
bezüglichen    Tanitica    Pegoth.      Vielleicht    hat    auch  das 


26)    Sammlung    demott.    Urkunden    Taf.    IV.    —    Vergl.    unsere 
Tafel  III  b. 


Lauth:  Aegyptisch-aramäisclie  Inschriften.  139 

von  Letronne  zuerst  gedeutete  Goldblecli  aus  dem  Grund- 
steine des  Tempels  von  Kavcoßog^  mit  der  Legende  des 
Königs  Ptolemaios  Euergetes  I  und  seiner  Gattin  Berenike, 
sowie  die  Widmung  OCIP6I,  auf  die  AnsicLt  Brugscli's 
bestimmend  eingewirkt.  Sie  ist  aber  angesichts  der  hierogl. 
Legende  des  Opfersteines  nicht  mehr  haltbar,  da  die  Er- 
wähnung der  Apis -Mutter  auf  das  Serapeum  hinweist, 
wie  dies  aus  meiner  Zergliederung  des  Textes  erhellen  wird. 
Auch  ist  Hut-nub  als  Bezeichnung  des  Sarkophagsaales  aus 
dem  Grabplane  des  Ramses  IV  sicher  erhärtet. 

Bei  der  Lesung  der  Hieroglyphen  geräth  man  in 
grosse  Verlegenheit,  wo  man  beginnen  soll.  Ich  nehme 
den  Standpunkt  ein,  den  die  Oberseite  gebieterisch  erheischt, 
wenn  man  die  Legende  soll  lesen  und  vollständig  überblicken 
können.  Demgemäss  beginne  ich  an  der  rechten  Seite,  un- 
mittelbar neben  der  Ausflussrinne,  unter  diesem  Gesichts- 
punkte lautet  ^Qv  Text:  „Der  griechische  Sprössling  oo1|Im$^ 
pü3T  germen)  spricht:  Osiri-Qobt  im  Goldsaale,  der  er- 
habene, welcher  von  seinem  Inhalte  (Nil)  überströmt,  der 
du  angefüllt  hast  (sie!)  den  Pharao,  den  Sohn  des  Gottes, 
mit  Wein  und  den  reinen  Getränken  des  Ra-Harmachis  -^ 
es  gebe  mir  (sie!)  Osiri-Qobt  im  Goldsaale  von  seinem 
Wasser,  von  seinem  Biere,  von  seinem  Weine!'' 

Die  symmetrisch  gegenüber  befindliche  andre  Hälfte 
des  Textes  lautet :  ,,Es  strömt  über  {bähu)  Osiri-Qobt  im 
Goldsaale  von  weisser  Milch,  welche  herabtrieft  (buch)  aus 
dem  Inhalte  der  beiden  Brüste  (Euter)  der  hl.  Kuh  „Gött- 
liche Mehrerin."  Es  ist  befriedigt  der  Gott  mit  dem  ihm 
Dargebrachten:  er  gewährt  dir  Kühe,  Bullen,  deine  Ge- 
bühren und  dass  dir  ein  Sohn  das  Leben  besinge." 

Bedeutsam  ist  die  Wendung,  welche  in  der  Schriftrichtung  ^  ^) 

27}  Ich  habe  durch  zwei    kleine  Pfeile  dieses  hernerklich   gemacht 
(Taf.  III  b). 


140  Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

eintritt,  sobald  die  Legende  Se-cha-nuter  mit  dem  Deutbilde 
der  Kuh  erwähnt  wird.  Da  solcher  Wechsel  nur  beliebt 
wird,  wenn  ein  göttlicher  Name  einzuführen  ist  —  so  un- 
endlich oft  beim  Namen  der  Hathor  in  Denderah  —  so 
muss  die  Kuh  Se-cha-nuter  „machend  (cot  facere)  viel 
(igw  multus,  auch  mille)  die  Göttliche  iiotttc)''  eine  hl. 
Hapistier-Mutter  sein.  Ich  werde  diesen  Punkt  noch 
eigens  besprechen  und  sicher  stellen. 

Den  Namen  des  Widmers,  der  hier  vor  lauter  Bombast 
oder  aus  Respect  für  den  Gott  (Serapis)  die  hl.  Kuh  (Secha- 
nuter)  und  den  König  (Pharao)  unterblieben  ist,  liefert  der 
von  Brugsch  fast  vollständig  entzifferte  demot.  Text  auf 
der  Vorderseite,  der  sich  übrigens  viel  kürzer  fasst  als  der 
hieroglyphische;  er  lautet:  ,,Osiri-Qobt  im  Goldsaale  ver- 
leihe Leben  dem  P  a  -  h  m  i  n ,  dem  Sohne  des  P .  s  e  -  n  -  o  siri, 
nebst  seinen  kleinen  Kindern  bis  in  Ewigkeit." 

Noch  kürzer  ist  der  darunter  angebrachte  griechische 
Text: 

2aQ(X7t cd i  d-eco  ^eyaXo)  navlaxog  JSaQaTtlcovog 

^'Etovq  LI] ,  JJaxwv  zf . 

„Dem  Sarapis,  dem  grossen  Gotte,  (widmet  diesen  Libations- 

stein)    Paniskos    Sohn     des    Sarapion.      Im    Jahre    18, 

(Monat)  Pachoü(s),  Tag  27." 

Zuvörderst  ergeben  sich  daraus  die  Gleichungen  Pa- 
hmin  —  IlavloKog  and  Psenosiri  ^n  2aQa7tla)v.  Dass 
der  Gott  ^aq-ara-g  nichts  Anderes  ist  als  Osar-hapi, 
ist  längst  ausgemacht  und  unser  Denkmal  beweist  es  in- 
direct  dadurch,  dass  es  denOsiris  als  Sohn  einer  hl.  Kuh, 
folglich  als  Hapu- Stier  gefasst  wissen  will. 

Warum  aber  Osiris  hier  den  Beinamen  Qobt  von  der 
Stadt  Qobt  (KoTtrw)  in  Oberägypten  erhalten  hat,  das  wird 
durch  den  Namen  des  Widmers  IlavioKog  „der  kleine  Pan" 
erläutert.      Dieser    entspricht    dem  ägypt.  Pa-hmin    „der 


Lauth:  Aegyptisch-aramäische  Insclwiften.  141 

(Sohn)  des  Hmin"  (abgeschwächte  Form  aus  Chemem  = 
Xe/.i/nig),  jenes  ithyphallischen  Gottes  von  Panopolis  = 
Xefifiig.  Auf  einer  1.  1.  von  Brugsch  (unter  D  1,  2,  3 
und  C)  citirten  Legende  einer  hölzernen  Lade  des  Berliner 
Museums  erscheint  derselbe  Name  Pa-hmin  hierogl.  hier, 
demot.  und  griechisch:  Wa/xivig^  die  Mutter  heisst  abwech- 
selnd Ta-lol,  Ta-ffwrif^,  Tsenpensau,  '^Hgaiiileico.  ^^) 
Nun  lese  man  die  Stelle  Plutarch.  de  Is.  et  Osir.  cap.  14: 
IIqcütov  de  rwv  tov  TtsQi  Xe  f^iJ,iv  oIkovvtwv  tottojv  Ilaviüv 

y,al  2aTVQC0v TiaviKccg  .   .  .    loiv  .   .  .    KoTtrcüj 

welches  Capitel  sich  auf  die  Osir  ismythe  bezieht,  und  man 
wird  einräumen,  dass  der  TlaviGnog  mythologische,  mit 
seinem  nom.  propr.  zusammenhängende  Gründe  hatte,  um 
den  Osiris  als  Qobt  anzurufen. 

Was  die  zweite  Gleichung  anbelangt,  so  ist  Pse-n- 
osiri  „der  Sohn  des  Osiris"  =:  ^agaTticov.  Ja  der  ver- 
griechte  Name  ^agaTvlcov  ist  hier  besser  berechtigt  als  auf 
der  Melitens.  I,  wo  er  dem  "1DI2;"1D^<  Osiris  servavit  (eum) 
entspricht.  Auch  lag  diese  Namenbildung  bei  einem  Denk- 
male, das  für  das  Serapeum  oder  den  Goldsaal  des  Sara- 
pis  bestimmt  war,  um  so  näher. 

Am  wichtigsten  ist  das  Datum  am  Ende  der  griechischen 
Weihinschrift.  Leider  ist  der  Monarch  nicht  angegeben ; 
nur  so  viel  dürfte  klar  sein,  dass  er  mit    dem   im  hierogl. 

Texte    vorkommenden   ( []*>-=•  1  "^^^s.  '   „Pharao,    dem 

Sohne  des  Gottes"  identisch  sein  müsse.  Da  nun  der  Titel 
Pharao  hauptsächlich  in   der  römischen   Zeit   Aegyptens 


28)  Der  Name  des  Vaters  ist,  wie  gewöhnlich,  nicht  aufgeführt. 
So  z.  B.  wird  auf  der  1.  1.  der  demot,  Urk.  Samml.  H  7  der  Verstorbene 
Nebanch  Sohn  des  Basilikogrammaten  Fsametik  und  der  Hausherrin 
Ta-rot  genannt;  in  der  demot.  Beischrift  steht  aber  nur  „Nebanch, 
Mutter  sein  Tarot."     Man  vergl.  oben  unter  I  IDriPiX  VDi<- 


142         Sitzung  der  iMIos-philöl.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

auftritt,  und  ,,der  Gott",  dessen  Solin  dieser  Pharao  ge- 
nannt ist,  Niemand  Anderen  meint  als  Jul.  Caesar,  so 
baben  wir  ein  Datum  des  Augustus  vor  uns. 

In  einer  demot.  Inschrift  vom  Jahre  6  der  Kleopatra 
VI  ^^)  (die  Jahr  zahl  6  ist  noch  eigens  durch  sechs  Sterne 
oberhalb  bezeichnet)  wird  der  juuge  Caesarion  genannt  ,,der 
göttliche,  das  Kind  des  grossen  Gottes,  welcher  macht  alle 
Menschen  leben,  des  ^vtokqcctcoq  Kalaaqog  (sie!)".  Es 
handelt  sich  im  Contexte  um  einen  Hapis,  sowie  in  dem 
ebendaselbst  befindlichen  demot.  Texte  vom  Jahre  19  der 
Kleopatra  (wieder  19  Sterne!).  —  Auf  einer  Felseninschrift  ^^) 
vom  35.  Jahre  des  Augustus  Kaloaqog^  ist  dieser  „der 
(Sohn)  des  Gottes"  genannt  und  ebenso  in  dem  griech. 
Pylon-  und  Listeltext  von  Denderah:  deov  vlog.  Hiemit 
dürfte  eine  solide  Basis  für  das  Datum  des  Libationssteines 
gewonnen  sein. 

Ich  beruhigte  mich  hiebei  übrigens  nicht,  sondern 
suchte  dem  hl.  Hapisstier  und  seiner  Mutter,  der  Kuh 
Sechanuter  auch  von  andrer  Seite  her  auf  die  Spur  zu 
kommen.  Glücklicherweise  verrieth  mir  das  Excerpt  eines 
demot.  Textes,  das  ich  1864  im  Louvre  zu  Paris  gemacht 
hatte,  alles  in  dieser  Beziehung  Wünschenswerthe. 

unter  dem  gekrümmten  Zeichen  des  Himmels,  welcher 
mit  22  Sternen^ ^)  versehen  ist,  steht  ein  längerer  demot. 
Text.  In  der  drittletzten  Zeile  erscheint  das  Datum  „Jahr 
XXIl"  und  etwas  weiter  noch  einmal  unter  der  Form ,, Jahr 
des  Ereignisses  XXII,  Monat  Mechir,  Tag  19  des  Königs 
Papamahte".  Es  ist  dies  der  chronologische  Beinamen 
des  Augustus,  den  die  Kopten  als  nÄ.-n-&.MÄ>gTG  „der  der 


29)  Young:  Hierogl.  II  74. 

30)  Lepsius :  Denkm.  XI,  VI  42,  32. 

31)  Vergl.  Tafel  d. 


Lauth:  Äegyptisch-aramäische  Inschriften.  143 

Ergänzung"    (wegen    der    Kalenderreform    25  v.  Chr.)    für 
Augustus  überliefert  haben.  ^^) 

Sodann  folgt  das  zweite  Datum:  „Jahr  6  der  gött- 
lichen Mutter  des  Hapis-Osiri,  des  grossen  Gottes,  des 
Geschöpfes  seiner  Mutter,  der  Se-cha-nuter".  Diese 
Zeile  ist  mit  schwarzer  Farbe  über  einen  eingemeisselten 
Text  gelagert,  welcher,  wie  die  Fortsetzung  in  der  nächsten 
Zeile  zeigt,  dem  Datum  des  Hapis-Osiri  oder  Serapis  selbst 
gewidmet  war.  Zum  Glücke  hat  sich  der  Schreiber  selbst 
verbessert  und  dieses  dritte  Datum  darunter  noch  ein- 
mal voll  gesetzt  mit  den  Worten:  „Jahr  fünf  des  Hapis- 
Osiri  „Armstark",  des  Zöglings  der  Sechanuter 
(=)  Jahr  sechs  seiner  Mutter  Sechanuter,  der  Herrin 
des  Vorrathes  (Aufwandes  <3^oq  sumptus)  an  göttlicher 
Nahrung  (£>pH  cibus) ;  es  versehe  (coir  facere  'st^o 
possidere)  dich  (den  Widmer)  die  Nährerin  (sched)  Secha- 
nuter, seine  Mutter!" 

Wir  besitzen  also  Material  genug,  um  die  chronologische 
Frage  in  Betreff  des  ägypt.-griech.  Libationssteines  zu  ent- 
scheiden, lieber  die  „mere  d'Apis"  hat  H.  Mariette  ein 
gutes  Büchlein  geschrieben;  auch  vermuthete  er  bei  seiner 
hiesigen  Anwesenheit  1872,  dass  die  Thiermumie  unseres 
Antiquariums  eine  solche  ,,mere  d'Apis"  vorstelle.  —  Hier 
entspricht  ihr  6.  Jahr  dem  22.  des  Augustus;  hatte  sie  in 
dessen  17.  Jahre  geboren,  so  konnte  der  junge  Zögling 
Hap-(Osiri)  im  J.  18  inthronisirt  werden,  und  folglich  sein 
5.  Jahr  ebenfalls  dem  22.  Jahre  des  Augustus  entsprechen. 
Man  ersieht  hieraus,  dass  ich  gute  Gründe  habe,  cTOvg  ltj 
Ttaxiov  xj'  auf  den  18.  Mai  des  J.  12  v.  Chr.  zu  be- 
stimmen. 


32)  Vergl.  meine  acad.  Abhdl.  „die  Schalttage  des  Euergetes  I  und 
des  Augustus*  und  „Augustus-Harmaiis". 


144         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

V. 

Die  oben  unter  II  angekündigte  demotische  Urkunde 
des  Louvre  (von  mir  1864  copirt)  ist  in  mehrfacher  Hin- 
sicht beachtenswerth.  Obgleich  ihr  halbzerstörter  Zustand 
nicht  gestattet,  den  ganzen  Inhalt  zu  ermitteln,  so  ist  doch 
die  Eingangsformel,  die  Widmung  eines  Naos  für  das  Sera- 
peum,  sowie  das  Doppeldatum  am  Schlüsse  von  genügender 
Deutlichkeit,  um  mehrere  Folgerungen  von  einiger  Wichtig- 
keit daraus  abzuleiten. 

Was  nun  zunächst  die  Eingangsformel  ^^)  betrifft,  so 
würde  sie  sich  mit  voller  Sicherheit  hieroglyphisch  so  dar- 

^  ^'/^  ^    "t-=;N     ^^Darbringung  eines  Sitzhauses  von  Seite  des 

Hausintendanten  des  Osiri-hapu  ;  (er  ist  es)  welcher  spricht.'^ 
Man  ersieht  hieraus,  dass  das  Wort  menacha't^  welches 
wir  bisher  öfter  als  semitische  Bezeichnung  des  Opfers 
kennen  zu  lernen  Gelegenheit  gehabt  haben,  hier  genau 
dieselbe  Stelle  an  der  Spitze  des   ganzen  Textes    einnimmt, 

welche    sonst    durch    das    ägyptische    lA^^  besetzt  ist. 

Das    Götterzeichen      |  ist  vor  der  femininen  Endung  -o  =  n 

angebracht,  weil  eben  ein  dem  1,^^  (^'^ ")  coTTion 
oQd^oöo^og  adaequater  Begriff  auszudrücken  war. 

Der  Gegenstand  des  Opfers  besteht  in  einem  Naos 
„Haus  des  Sitzes"  genannt  und  in  der  That  ähnelt  die  im 
Texte  selbst  vorkommende  Darstellung  den  Tragtempelchen, 
die  in  der  Inschrift  von  Rosette    erwähnt   sind;    unser  Ty- 


parium  verfügt  nur  über  die  annähernde  Form  {vaog) 


M 


33)  Vergl.  Tafel  c,  1. 


LaiUh:  Äefjyptisch-aramni'^che  Inschriften.  145 

Den  wichtigsten  Bestandtheil  bildet  das  Doppel- 
datura^*)  am  Ende;  dasselbe  stellt  sich  folgenderraassen  dar: 

fk{  lLllMe=  „Geschrieben  Jahr  II  Monat  Thot  (erster 
der  Schat-Jahreszeit)  Tag  3/^  Diese  Angabe  nützt  uns 
nichts,  wenn  die  Regierung  eines  bestimmten  Herrschers 
fehlt.     Glücklicherweise    folgt    dieselbe    unmittelbar    hinter 

obigem  Datum,   durch    l^^^^-y|Y"J  M  eiiigeleitet:  ,,des  Königs, 

der  heil  und  gesund  leben  möge!"  Allein  7on  seiner  Namens- 
legende ist  leider !  nur  ein  deutliches  l  oder  r  „^^  erhalten, 
welche  schwache  Spur  vor  der  Hand  nicht  weiter  hilft. 
Verfolgt  man  indess  die  erhaltenen  Schriftzüge  des  Schlusses 
der   Zeile   etwas   genauer,    so    entpuppt   sich    die    Legende: 

^r- J.^xSM'^1'^1^  "^°  Germanien«  sein 
Vater*'  d.  h  ,, dessen  Vater  Germanicus  ist."  Es  kann 
also  der  in  der  zerstörten  Stelle  unleserlich  gewordene 
Name  nur  dem  Kaiser  Gajus  Caesar  mit  dem  Beinamen 
Caligula   eignen,    und   zufolge    der    Stellung   des    erhaltenen 

_g^    ist    zu   ergänzen    a\  J^3S^  ö  ü  <^  ^^  (Jvj      „Caligula, 

(Fremder)." 

Dieser  dem  Gajus  Caesar  im  Lager  seines  Vaters  Ger- 
manicus, von  den  Soldaten  beigelegte  Spitzname  (caligae^^) 
Caligula  ,,das  Soldatenstiefelchen"  erscheint  hier  zum  ersten 
Male  in  ägyptischer  Schreibung.  Ein  solches  Unicum  be- 
darf jedoch  einer  kräftigeren  Stütze,  als  diese  aus  so 
schwachen  Spuren  erschlossene  Legende  darbietet.    Ich  finde 


34)  Vergl.  Tafel  c  1,  2. 

35)  Tacitus  Annal.  1  41  Jam  infans  (Germanici)  in  casfcris  genitus, 
in  contubernio  legionum  eductus,  quem  militari  vocabulo  Caligulam 
appellabant,  quia  plerumque  ad  concilianda  vulgi  studia  eo  tegmine 
pedum  induebatur. 

[1878. 1  Philos.-phil.-hist.  Cl.  Bd.  II  l.J  10 


146  Sitzung  der  phüos. -philo!.  Ciasse  vom  6.  Juli  1S78. 

dieselbe  in  dem  zweiten  unterhalb  angebrachten  Datum  ^^), 
welches    nur  auf  den  Tod  des  Caligula  sich  beziehen  kann. 

Dasselbe  präsentirt  sich  in  folgender  exceptioneller 
Gestalt:  ^^^n  TlT^  Inj^^^  "dieses  Jahr  IV, 
Monat  Phamenot  (dritter  der  Pert-Jahreszeit),  Tag  8,  ge- 
storben." Den  Ausdruck  nert  habe  ich  in  einer  früheren 
Abhandlung  ^^)  aus  Horapollon  I  3  erklärt:  ^Ev lavzov  de 
ßovX6(j.evoi  drjXiooai^  ^loiv^  TOvreoTi  yv  valxa,  ^wyqacpovOLv 
.  .  .  loLg  de  TcaQ  amdlq  ioxlv  doxriQ,  ^lyvicTiOTL  xalovf^evog 
2 CO d^ ig.     Vergl.  I  11    yvif.)  =  sviavrog.     In  der   That   ist 

AAA/WA  ^f\ 

der    Geier    <g>  ^   das  Symbol  der  Isis  und  diese  =  Sothis. 

Wir  hätten  also  hier  zum  ersten  Male  ein  Datum 
nach  dem  fixen  Sothisjahrezu  begrüssen,  welches 
bekanntlich  mit  dem  20.  Juli  anhebt.  Macht  man  nun  die 
Rechnung,  so  ergeben  sich,  da  Phamenot  der  siebente 
Monat  ist,  6  X  30  =  180  +  8  =  188  Tage,  deren  letzter 
dem  23.  Januar  des  Jahres  41  nach  Chr.  entspricht.  Ist 
Caligula  wirklich  an  diesem  Tage  ermordet  worden? 

Die  Antwort  lautet  entschieden  bejahend.  Denn  nach 
Tacitus  Annal.  VI  50  starb  Tiberius  am  16.  März  des 
Jahres  37  n.  Chr.:  XVII  Kai.  Apriles,  interclusa  anima, 
creditus  est  mortalitatem  explevisse.  Da  nun  die  Regierungs- 
dauer seines  unmittelbaren  Nachfolgers  G.  Caesar  Caligula 
auf  3  Jahre,  10  Monate,  8  Tage  feststeht,  so  gelangt  man 
für  den  Todestag  desselben  auf  313  Tage  nach  dem  16. 
März,  und  wenn  man  davon  die  Differenz  zwischen  diesem 
Datum  und  dem  20.  Juli:  125  Tage,  abzieht,  unfehlbar  auf 
die  identische  Summe  188  und  damit  auch  auf  den  23.  Januar 
des  Jahres  41  n.  Chr.  Suetonius  vit.  Calig.  c.  58  gibt  zwar 


36)  Cf.  Tafel  c  2. 

37)  „Horapollon"  in  den  .Sitzungsberichten"  1876,  Januarheft. 


LaiitJi:  Aegyptiscli-aramäisclie  Inschriften.  147 

Nono  Kalendas  Februarias  als  Todestag  des  Caligula  au; 
allein  dieses  dem  24.  Januar  entsprechende  Datum  lässt 
sich  mit  dem  23.  Januar  vereinigen,  wenn  man  annimmt^ 
dass  in  seiner  Rechnung  der  Schalttag  des  J.  40  n.  Chr. 
eigens  hinzugezählt  wurde,  oder  dass  der  Gewährsmann  des 
Aegypters  die  am  Vorabend  stattgefundene  Feier  (c.  57): 
Parabatur  et  in  noctem  spectaculum,  quo  argumenta  in- 
ferorum  per  Aegyptios  et  Aethiopas  explicarentur  — 
für  die  Todesscene  selbst  ansah. 

Nachdem  so  die  Legende  des  Caligula  auf  Grund  des 
Doppeldatums  rechnerisch  erhärtet  ist,  bleibt  noch  die 
Frage  zu  beantworten,  warum  der  Schreiber  unseres  de- 
motischen Papyrus  einerseits  die  Legende  des  Caligula  nach- 
träglich auslöschte  —  die  Zerstörung  ist  augenscheinlich 
eine  absichtliche  —  andererseits  den  Namen  seines  Vaters 
Germanicus  erwähnte.  Ersteres  erledigt  sich  im  Hinblicke 
auf  den  Senatsbeschluss :  delendum  nomen  et  titulum  Cali- 
gulae,  den  also  der  ägyptische  Schreiber  ebenfalls  respec- 
tiren  zu  müssen  glaubte.  Letzteres  wird  uns  erklärlich, 
wenn  wir  berücksichtigen,  dass  Germanicus  bei  Gelegenheit 
seiner  ägyptischen  Reise  auch  das  Serapeum  besuchte.  Als 
er  dem  Apis  Futter  hinhielt,  wollte  es  derselbe  nicht  fressen 
und  dieses  omen  ward  auf  den  baldigen  und  gewaltsamen 
Tod  des  Germanicus  (durch  das  Verbrechen  der  Plancina 
und  des  Piso)  gedeutet.  Hatte  ihm  ja  doch  auch  das 
Orakel  des  Apollo  Clarius  zu  Kolophon  maturum  exitium^^) 
geweissagt  ! 

Es  trägt  also  die  Erwähnung  des  unglücklichen  Ger- 
manicus in  unserm  Pap3Tus  gewissermasseu  Localfarbe,  da 
„der  Hausintendant  des  Osiri-hapu  (Serapis)''  doch  offenbar 
im  Serapeum  wohnte  und  vielleicht  selbst  den  Germanicus 
gesehen  hatte.  —  Auf  jeden  Fall  beweist   die  Beibehaltung 


38)  Tacit.  Ännal.  II  54. 

10' 


148         Sitzung  der  liliilos.-pliüol.  Classe  vom  6.  Juli  1878. 

des  semit.  Ausdruckes  nienachat  für  den  dortigen  Aufenthalt 
von  A  r  a  m  ä  e  r  n. 


Rückblick. 

Im  Vorstellenden  habe  ich  versucht,  einen  brauchbaren 
Rahmen  für  ägyptisch-aramäische  Inschriften  herzustellen, 
welcher  mit  Hinzunahme  des  unter  Nr.  IV  hinzugefügten 
ägyptisch  griechischen  Libationssteines  genau  die  Summe 
von  470  Jahren  umfasst.  Nicht  als  ob  ich  damit  chrono- 
logische Schlagbäume  aufstellen  wollte  —  so  doctrinär  ist 
weder  meine  Ansicht  noch  meine  Absicht  — ;  ich  lebe  so- 
gar der  Hoffnung,  dass  noch  ältere  Monumente  dieser  Art, 
die  Stele  vom  J.  IV  des  Xerxes  (—  J.  III  der  Satrapie  des 
Achaemenes)  unter  Nr.  I,  nämlich  vorerst  aus  der  Zeit  des 
Darius  I  und  des  Kambyses  sich  in  Aegypten,  speciell  im 
Serapeum,  auffinden  lassen  werden.  Nach  der  andern  Seite 
hin  hat  die  von  mir  citirte  demot.  Legende  aus  den  Tagen 
des  Caligula  wegen  des  aramäischen  Ausdruckes  menacha't 
=  ti  hotep  suten  sicherlich  die  Gränze  weiter  nach  unten  ver- 
legt, auf  den  16.  August  des  J.  39  nach  Chr.  =  J.  2, 
Monat  Thot,  Tag  3  des  Caligula.  Sollte  wieder  das  Sothis- 
jahr  gemeint  sein,  so  würde  der  22.  Juli  entsprechen. 
Auf  die  Ermittelung  sicherer  Daten  habe  ich  um  dess- 
willen  so  grosses  Gewicht  gelegt,  weil  mir  ohne  diese 
chronologische  Grundlage  das  ganze  Gebäude  der  Pa- 
laeographie  unstet  in  der  Luft  zu  schweben  scheint. 
Die  trotz  des  geringen  Umfanges  der  vorgeführten  aramäi- 
schen Texte  so  zahlreichen  Varianten  werden  voraussichtlich 
für  andere  Inschriften  gute  Dienste  leisten. 

Vom  Standpunkte  des  Religiösen  betrachtet,  drängen 
diese  spärlichen  Reste  altsemitischer  Literatur  die  Wahr- 
nehaiung  auf,  dass  die  Aramäer  des  Serapeums,  obwohl  sie 


Laiith:  Äegyptisch-aramäische  Inschriften,  149 

sich  in  den  Darstellungen  dem  ägyptischen  Pantheon 
anbequemen,  dennoch  in  ihrer  Legende  nur  den  Osiris 
erwähnen,  der  als  i<r\^i<  in  stark  monotheistischer 
Färbung  auftritt.  Nimmt  man  noch  das  Epitheton  DIPI 
von  Nr.  III  hinzu,  so  glaubt  man  bereits  den  ÄUah  kerim 
des  späteren  arabischen  Credo  angekündigt  zu  hören.  — 
Die  untergeordneteren  Gestalten  z.  B.  die  Göttinen  und 
Genien,  selbst  Horus  und  Anubis,  werden  durch  Amal- 
gamation  in  die  menschliche  Sphäre   herabgezogen. 

Noch  einige  Worte  zur  Rechtfertigung  meiner  Be- 
zeichnung. Ich  hatte  ursprünglich  den  Ausdruck  ,, Klee- 
blatt aeg.-aram.  Inschr."  gewählt  und  wollte  damit  aus- 
drücken, dass  ich  die  vier  aramäisch-ägyptischen  Darstellungen 
nebst  Texten  als  zusammengehörig  betrachte.  Der  gleiche 
Schriftcharakter,  die  identische  Sprache,  besonders  aber  der 
gemeinsame  Fundort  derselben  beweisen,  dass  ich  damit 
nicht  zu  viel  behauptete.  Rechnet  mau  noch  dazu,  dass 
die  Präsumption  sogar  für  eine  aramäische  Ansiedelung 
beim  Serapeum  spricht,  so  entsteht  die  Vermuthung, 
dass  eine  solche  Familie  sich  daselbst  niedergelassen  hat. 
Es  wird  nicht  not  big  sein,  für  den  Zweck  der  Erklärung 
des  Fundmaterials  die  Wanderung  eines  Stammes,  oder  gar 
der  ganzen  Nation  der  Aramäer  nach  Aegypten  anzunehmen. 
Dass  diese  Ansiedelung  vor  Ptolemäus  I  Lagi  ^^)  fallen 
müsse,  lehrt  Nr.  I.  —  Um  so  mehr  ist  die  Zähigkeit 
zu  bewundern,  mit  der  sie  ihre  aram.  Sprache  und  Schrift 
festgehalten  hat. 

Sollten  mir  noch  andre  Funde  der  Art  aufstossen  — 
das  Serapeum  wird  sicherlich  noch  mehr  Zwischenglieder 
liefern  —  so  werde  ich  sie  (in  schäa  'Uäh)  ebenfalls  vor 
das  Forum  der  kgl.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  bringen 
mir  erlauben. 


39)  H.  Merx  hat  1.  1.  Z.  DMG  XXII  698  die  Nachricht  des  Joseph, 
c.  Äp.  I  22  citirt,  um  diese  Zeit  wahrscheinlich  zu  machen. 


Herr  Wilh.  Meyer  hielt  einen  literar.-   und  text-ge- 
schichtliclien  Vortrag  über  die 

„Vita  Adae  et  Evae'', 

deren  Text    nebst    Erläuterungen    in    den    „Abhandlungen" 
veröffentlicht  werden  wird. 


Historische  Classe. 


Sitzung  vom  6.  Juni  1878. 


Herr  Rockinger  hielt  einen  Vortrag  über  die  im  k. 
Haus-  und  Staats- Archive  befindlichen  Werke  zur 
älteren  bayerischen  und  pfälzischen  Ge- 
schichte. —  Derselbe  wird  in  den  „Abhandlungen" 
veröffentlicht  werden. 

Herr  Föringer  machte  vorläufige  Mittheilungen  über 
Annalen  von  Weihen  Stephan. 


151 


Oeffentliche  Sitzung 

zur   Vorfeier    des   Geburt  s-    und    Namens  festes 
Seiner  Majestät   des    Königs  Ludwig   IL 

am  25.  Juli  1878. 

Wahlen. 

Die  in  der  allgemeinen  Sitzung  vom  22.  Juni  vorge- 
nommene Wahl  neuer  Mitglieder  erhielt  die  Allerhöchste 
Bestätigung,  und  zwar: 

A.     Als    ordentliches    Mitglied: 

Der  historischen  Classe: 

Joseph  Würdinger,  k.  Major  a.  D.  dahier  (bisher  ausser- 
ordentliches Mitglied. 

B.     Als  ausserordentliche  Mitglieder: 

Der  philosophisch-philologischen  Classe: 

Dr.  Ernst  Kuhn,    Professor   an    der    hiesigen   Universität. 

Der  historischen  Classe: 
Dr.  Felix  Stieve,  Privatdocent  an  der  hiesigen  Universität. 

C.     Als   auswärtige  Mitglieder:  ' 

Der  philosophisch-philologischen  Classe: 

1)  Dr.  Alexander  Conze,  Director  der  Sculpturen-Abthei- 
lung  des  Museums  zu  Berlin. 


152  Oeff entliche  Sitzung  vom  ^5.  Juli  1878. 

2)  Dr.  Ludolph  Krehl,  Professor  an  der  Universität  zu 
Leipzig. 

3)  Dr.  Mathias  L  e  x  e  r ,  Professor  an  der  Universität  zu 
Würzburg. 

4)  Dr.  Adolph  Michaelis,  Professor  an  der  Universität  zu 
Strassburg. 

5)  Dr.  Karl  W  e  i  n  h  o  1  d  ,  Professor  an  der  Universität  zu 
Breslau. 

Der   historischen  Classe: 

1)  Graf  Giovanni  Gozzadini  in  Bologna,  Präsident  der 
k.  Deputation  für  vaterländische  Geschichte  für  die 
Provinzen  der  Romagua. 

2)  Dr.  Karl  Schmidt,  Professor  an  der  Universität  zu 
Strassburg. 

D.     Als  correspondirende  Mitglieder: 
Der  historischen  Classe: 

1)  Dr.  Karl  Hillebrand,  Professor  in  Florenz. 

2)  Dr.  A.lphons  H  u  b  e  r ,  Professor  an  der  Universität  zu 
Innsbruck. 


ur  ,Äbha.ndlvM.a  von  Drijoiißv 


Cty 


x5iy "' 


d 


V 


^W-c 


i£% 


_^i  rrs^iix^ 


4 


iiy\m 


«r-* 


•Kl 


<a 


bfk"^ 


<-« 


B 


^1 


c^^ 


»  »  «  4a  9  4rr:?Q.  KC>5 


ÄS 


f 


Ä* 


■^tmnasbrfhi" 


s 


1j 


Einsendungen  von  Druckschriften.  153 


Terzeichniss  der  eingelaufenen  Büchergeschenke: 


Von   der    Oherlausitzüchen    Gesellschaft  der    Wissenschaften    in 

Görlitz : 

Neues  Lausitzisches  Magazin.  Bd.  54.   1878.  8^. 

Von  der  Bedaction  des  Correspondensblaües  in  Stuttgart: 

Correspondenzblatt  für  die  Gelehrten-  und  Realschulen  Württem- 
bergs. 25.  Jahrg.   1878.  8^ 

Vom  Germanischen  Museum  in  Nürnberg: 

Anzeiger  für  Kunde   der  deutschen  Vorzeit.     N.  F.  24.     Jahrg. 
1877.  und  23.  Jahresbericht.   1877.  4«. 

Von    der    Gesellschaft    für    bildende   Ku/nst  und  vaterländische 
Alterthümer  in  Emden: 

Jahrbuch.  Bd.  III.   1878.  8^ 


Vom  Steiermark,  landwirthschaftl.  Joanneum  in  Graz: 
Der  Pranckher  Helm  aus  Stift  Seckau.   1878.  4^. 

Von  der  Begia  Äccademia  di  scienze,  teuere  cd  arti  in  Modena: 
Memorie.  Tomo   17.   1877.  4®. 

Vom  B.  Istituto  di  studi  superiori  in  Florenz: 

a)  Pubblicazioni.      Sezione  di  filosofia  e  filologia.    Vol.  I.  II. 
1875-77.  8«. 
[1878. 1  Philos.-phil.-hist.  Cl.  Bd.  II  l.J  11 


154  Einsendungen  von  Druckschriften. 

b)  Pubblicazioni.    Sezione   di  filosofia    e  filologia.     ßepertorio 
Sinico-Giapponese.    Fase.    I.  A-Itukou. 

„      II.  ituku-maraori.  1875  —  77.  8^ 

c)  II  commento  medio  di  Averroe  alla  retorica    di  Aristotele 
pubblicato  da  Fausto  Lasinio.     Fase.  I.   1877.  8^. 

Von  der  südslavischen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Agram: 

a)  Rad.  Bd.  41.   1877.   8^ 

b)  Starine.  Bd.   9.   1877.  8°. 

c)  Monumenta  speetantia  historiam    Slavorum  meridionalium. 
Vol.  8^   1877.  8^ 

d)  Ljetopis  jugoslavenske  Akademije.  Prva  svezha  (1867-1877). 

1877.  8". 

Von  der  7c.  Je.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Krakau: 

a)  Rozprawy.  Philolog.  Classe.  Bd.  5.   1877.  8^. 

b)  Estreicher,  Bibliografia.  XIX.  Jahrb.  Tom.  IV.  1877  — 78.  8^. 

c)  Sprawozdania  Komisyi  do  badania  historyi  sztuki.    Heft  I. 
1877.    40. 

d)  W.    Wisloki,   Katalog   rekopisöw   biblijoteki   -umwersitetu. 
Heft  1.   1877.  8^ 

Von  der  JRoi/al  Society  in  Edinburgh: 

a)  Transactions.  Vol.  XXVIII.   1877.  4^ 

b)  Proceedings.  Session  1876  —  77.     1877.     8«. 

Von  der  M.  Äccademia  dei  Lincei  in  Born: 

Atti.    Serie  lEE.    Memorie  della  classe  di  scienze  morali,  storiche  e 
filologiche.  Vol.  I. 

Von  der  E.  Academia  de  la  historia  in  Madrid: 
Boletin.  Tom.  I.  cuad  2.  Mayo  1878.   1878.  8^ 


Einsendungen  von  Druckschriften.  155 

Vom  Herrn  Alfred  von  Meumont  in  Burtscheid: 
Biographische  Denkblätter.  Leipzig   1878.   8^. 

Vom  Herrn  Mathias  Lexer  in  Würzburg: 
Mittelhochdeutsches  Handwörterbuch.  Lief.  XVII.  Leipzig  1878. 8^. 

Vom  Herrn  Hr.  med.  Hegewald  in  London: 
Prauenlob  von  der  Urzeit  bis  zur  Gegenwart,   s.  1.   1878.    8^. 

Vom  Herrn  Gaudenzio  Claretta  in  Turin: 

Sui  principali  storici  Piemontesi  e  particolarmente  sugli  storio- 
grafi  della  R.  Casa  di  Savoia.   1878.   4. 


11 


Sitzungsberichte 


der 


königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften, 


Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  vom  2.  November  1878. 


Der  Classensecretär  Herrv.  Prantl  hielt  einen  Vortrag 
„über  Petrus  Ramus.'' 

Sowie  es  überhaupt  öfters  geschieht,  dass  über  litera- 
rische Persönlichkeiten  sich  eine  gewisse  Tradition  bildet, 
welche  bei  näherer  Untersuchung  nicht  geradezu  als  falsch, 
aber  dennoch  als  schief  oder  einseitig  oder  als  voreilig  ver- 
allgemeinert erscheinen  muss,  so  dürfte  Solches  in  nicht  ge- 
ringem Grade  von  Petrus  Ramus  gelten.  Derselbe  wurde 
und  wird,  was  das  Gebiet  der  Logik  betrifft,  gemeiniglich 
als  anti-aristotelischer  im  Sinne  der  Rhetorik  wirkender 
Reformator  bezeichnet.  Wenn  sich  aber  nun  die  Frage  auf- 
drängt, ob  dieser  traditionell  gewordene  Ausdruck  wirklich 
ein  sachgemässer  sei,  so  wird  dieselbe  nur  theilweise  bejaht, 
ebenso  aber  auch  theilweise  verneint  werden  müssen. 

Ramus  ist  ein  Kind  der  Renaissance-Periode  (geb.  1515), 
und  es  versteht  sich  nahezu  von  selbst ,  dass  er  mit  seiner 
[1878. 1  Philos.-phil.-bist.  Cl.  Bd.  II  2.J  12 


158         Sitzung  der  philos.-philol.  Glasse  vom  2.  November  1878. 

philologischen  Begeisterung  für  die  antiken,  insbesondere  die 
römischen  Autoren  die  von  allen  Humanisten  getheilte  leb- 
hafte Abneigung  gegen  die  Scholastik  verband,  deren  un- 
heimliche Nachblüthe  zu  erleben  ihm  an  der  Pariser  Uni- 
versität hinreichende  Gelegenheit  geboten  war.  Weit  gefehlt 
aber  wäre  es,  ihn  im  Gebiete  der  Logik  für  den  ersten  Bahn- 
brecher einer  antischolastischeu  rhetorisirenden  Auffassung 
und  Behandlung  dieses  Studien-Zweiges  zu  halten.  Abge- 
sehen von  den  ersten  Wirkungen  der  Renaissance,  welche 
sich  in  solcher  Richtung  schon  im  14.  Jahrhundert  durch 
Petrarca  und  hierauf  im  15.  Jahrhundert  durch  Leonardus 
Aretinus,  Aeneas  Sylvius,  Laurentius  Valla,  Rudolph  Agri- 
cola  und  Angelus  Politianus  gezeigt  hatten^),  finden  wir 
im  16.  Jahrhundert  noch  vor  dem  ersten  schriftstellerischen 
Auftreten  des  Ramus,  welches  in  das  Jahr  1543  fällt, 
eine  stattliche  Reihe  von  Autoren,  welche  die  Logik  ent- 
weder mit  der  Rhetorik  verschmolzen  oder  in  derselben 
geradezu  untergehen  Hessen.  Zunächst  war  es  die  völlig 
neu  entstehende  Literatur  der  juristischen  Topik,  welche 
Gammarus  (1507),  Nie.  Everhard  (1516)  und  Joh.  Apell 
(1533)  vertraten  und  dabei  jede  eigentlich  logische  Lehre  bei 
Seite  schoben.  Diese  Strömung  erweiterte  sich  zu  einer 
rhetorisch-juristischen  Darstellung  der  gesammten  Logik, 
wie  sie  Ortholph  Fuchsperger  (1533)  und  zur  gleichen  Zeit 
Hegendorfinus  (1534)  gaben.  Und  ohne  die  juristische  Neben- 
beziehung machte  sich  ciceronianischer  Rhetorismus,  welcher 
alle  Logik  verdrängen  oder  ersetzen  wollte,  durch  Lud.  Vives 
(c.  1530),  durch  Noviomagus,  Mosellanus,  Latomus  und  Mon- 
hemius  geltend,  des  Marius  Nizolius  zu  geschweigen,  welcher 
wohl  den  Jahren  nach  älter  als  Ramus  war,  aber  schrift- 
stellerisch erst  mehrere  Jahre  nach  den  Erstlingsschriften 
desselben  auftrat.    Eine  Abkehr  von  der  Scholastik  lag  auch 


1)  S.  m.  Gesch.  d.  Logik,  Bd.  IV,  S.  153  f.  u.  159—171. 


V.  PrantI:   Ueher  Petrus  Bamus.  159 

in  dem  praktisch-rhetoriscli  gefärbten  Syncretismus  des  Cä- 
sarius  (1532)  und  seiner  Excerptoren  und  Commentatoren 
Rodolph  und  Glareanus,  sowie  des  gewiss  bedeutenden  Ho- 
spinianus  (1543),  welche  die  aristotelische  und  die  byzan- 
tinische Logik  nebst  dem  Boethius  ineinander  hinein  arbei- 
teten und  dabei  das  topisch-rhetorische  Interesse  entschieden 
betonten.  Ja  auch  der  reinere  Aristo telismus  war  rhetorisch 
angehaucht  nicht  bloss  bei  Murmelius  (1513),  sondern  vor 
Allem  bei  Melanchthon  selbst,  und  das  Gleiche  gilt  von 
Nausea  (1523),  Ringelberg  (1529),  Billicanus  (1530),  Neo- 
barius  (1536),  Sarcerius  (1537),  von  dem  hervorragenden 
Jodoc  Willich  (1537),  von  liivius  (1539)  und  von  Joh.  Sturm 
(1539),  welch  letzterer  in  der  Zeit,  als  er  zu  Paris  lehrte 
(1529 — 36),  einen  noch  nachweisbaren  Einfluss  auf  seinen 
damaligen  Zuhörer  Ramus  ausübte. 

Was  demnach  eine  praktisch-rhetorische  Färbung  der 
Logik  betrifft,  bedurfte  es  um  das  Jahr  1540  wahrlich  keiner 
bahnbrechenden  Reformbestrebung  mehr,  und  Ramus  that 
Nichts  anderes,  als  was  viele  Autoren  vor  ihm  gethan,  aber 
von  jener  ausschliesslichen  Einseitigkeit  der  erwähnten  cice- 
ronianischen  Rhetoriker  ist  er  sehr  weit  entfernt.  Insbe- 
sondere von  Melanchthon  ist  Ramus,  —  abgesehen  von  den 
Schmähungen  gegen  Aristoteles  — ,  durchaus  nicht  so  schroff 
geschieden,  als  man  aus  dem  Umstände  schliessen  möchte, 
dass  bei  der  alsbald  entstehenden  Parteispaltung  die  Anti- 
ramisten  sich  hauptsächlich  an  Melanchthon's  Compendien 
anschlössen,  uud  in  der  That  finden  wir  innerhalb  der  manig- 
fachen  Schattirungen  auch  eine  Gruppe  der  sogenannten 
Philippo-Ramisten ,  aus  welcher  z.  B.  das  sonderbare  Buch 
des  Beurhusius  (1588)  hervorgieng,  dessen  Inhalt  aus  einer 
parallelen  Nebeneinandersfcellung  der  logischen  Lehren  des 
Melanchthon  und  des  Ramus  besteht. 

Mit  der  praktischen  Tendenz,  welche  sich  unwillig  von 
dem  unnützen  und  abstrusen  Wüste  der  Scholastik  abwen- 

12* 


160       Sitzung  der  philos -philo] .  Classe  vom  2.  Novembei'  1878. 

dete,  hängt  auch  die  Eraancipation  von  der  scholastischen 
Schulsprache  und  hiemit  die  Benützung  des  nationalen  Idio- 
mes  zusammen ,  welche  bereits  Rud.  Agricola  wenigstens 
gewünscht  hatte,  wenn  er  auch  nicht  an  die  Ausführung 
dieses  Wunsches  gieng.^)  Das  erste  nicht-lateinische  Com- 
pendium  der  Logik  ist  die  deutsche  „Natürliche  und  rechte 
Kunst  der  Dialectica"  des  Orth.  Puchsperger,  Stadtschreibers 
von  Tittmoning,  aus  dem  Jahre  1533,  dann  folgte  in  Italien 
1547  La  Loica  in  lingua  volgare  des  Ant.  Tridapale,  und 
hierauf  in  Frankreich  1555  des  Ramus  ,,Dialectique",  welche 
bis  1576  noch  zwei  unveränderte  Auflagen  erlebte.  Doch 
es  blieben  diese  Erscheinungen  der  National-Sp rächen  in 
der  Logik,  auch  wenn  wir  Wolfg.  Bütner's  „Dialectica 
Deutsch"  (1574)  hinzunehmen,  noch  lange  Zeit  völlig  ver- 
einzeint, bis  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  in 
Frankreich  durch  die  „Art  de  penser"  und  am  Anfange  des 
18.  Jahrhunderts  in  Deutschland  durch  Christian  Thomasius 
mit  weiterem  Erfolge  die  Bahn  gebrochen  wurde. 

Der  Kampf  aber  gegen  die  Scholastik  hatte  schon  häufig 
zu  einem  gegen  Aristoteles  gerichteten  Verwerfungsurtheile 
geführt,  indem  man  diesen  auch  für  die  abstrusen  Auswüchse 
der  scholastischen  Logik  verantwortlich  machen  zu  müssen 
glaubte.  In  solchem  Sinne  stellte  auch  Ramus  im  Jahre 
1536  in  jugendlich  sprudelndem  Eifer  die  These  auf  ,,Quae- 
cunque  ab  Aristotele  dicta  sunt,  commenticia  sunt."  Dabei 
aber  müssen  wir  sogleich  beachten,  dass  er  zur  Begründung 
dieses  seines  bekanntlich  stets  angeführten  Ausspruches  sich 
theilweise  auf  eine  Anschauung  stützte,  welche  uns  bereits 
im  15.  Jahrhundert  bei  den  ersten  humanistischen  Vor- 
kämpfern der  Neuzeit  begegnet.     Sowie  nemlich  Leonardus 


2)  Ebend.  S.  167  f. 

3)  Näheres  über  Fuchsperger  und  Bütner  in  meiner  Ab- 
han'llung  „Die  zwei  ältesten  Compendien  der  Logik  in  deutscher  Sprache 
(1856,  in  den  Abh.  d.  k.  h.  Akademie  d.  W.,  I.Cl.  Band  Vlll,  Abth.  1). 


V.  Prantl:   Ueber  Petrus  Ramus.  161 

Aretiuus  gesagt  hatte,  die  angeblichen  Schriften  des  Aristo- 
teles seien  jedenfalls  derartig  transformirt  und  corrumpirt, 
dass  man  sie  nicht  für  acht  halten  könne*),  und  Aeneas 
Sjlvius  diess  dahin  gesteigert  hatte,  dass  der  wiederauflebende 
Aristoteles  selbst  die  ihm  zugeschriebenen  Werke  nicht  an- 
erkennen würde^),  während  Laurentius  Valla  hauptsächlich 
den  Arabern  die  Schuld  der  vielen  Entstellungen  der  aristo- 
telischen Lehre  beimass^),  benützte  auch  Raraus  das  gleiche 
Motiv,  demselben  jedoch  ein  zweites  subjectiv  doctrinäres 
hinzufügend.  Er  verwarf  nemlich  die  Lehre  des  Aristoteles, 
weil  die  Schriften  desselben  einerseits  unterschoben  seien 
und  andrerseits  nur  Irrthümer  enthalten. 

Erwarb  er  sich  so  den  gewiss  nicht  grundlosen  tradi- 
tionellen Ruf  eines  heftigen  Anti-Aristotelikers,  so  ist  diess 
dennoch  bei  näherer  Untersuchung  bedeutend  zu  modificiren. 
Blicken  wir  mit  einlässlicher  Sorgfalt  auf  das  Einzelne  der 
zeitlich  abfolgenden  Phasen  einer  nahezu  dreissigjährigen 
schriftstellerischen  Thätigkeit  des  Ramus,  so  wird  ebensosehr 
seine  Stellungnahme  zu  Aristoteles  in  das  richtige  Licht 
gesetzt  werden ,  als  auch  sich  die  sachgemässe  Würdigung 
seiner  Neigung  zum  Rhetorismus  ergeben  muss.  Insbe- 
sondere sind  dabei  die  verschiedenen  Bearbeitungen  zu  be- 
achten, in  welchen  Ramus  im  Laufe  der  Zeit  Ein  und  die 
nemliche  Schrift  unter  Beibehaltung  des  gleichen  Titels  ver- 
öffentlichte, Bearbeitungen,  deren  jede  wieder  in  einer  grös- 
seren oder  kleineren  Zahl  unveränderter  Auflagen  erschien. 
Dieser  Pflicht  der  Detailforschung  hat  sich  auch  Waddington 
in  seiner  übrigens  guten  Monographie  entzogen^);  und  es 
wird   sonach  erklärlich  sein,    wenn    das   geistige  Bild    des 


4)  Gesch.  d.  Logik,  Bd.  IV,  S.  159  f. 

5)  Ebend.  S.  160  f. 

6)  Ebend.  S.  161. 

7)  Charl.  Waddington,  Raraus,  sa  vie,  ses  ecrits  et  ses  opinis 
ons   Paris.  1855. 


162     Sitzung  der  philos.-phüol.  CJasse  vom  2.  Noveniber  1878. 

Ramus  nunmehr  in  etwas  veränderter  Gestalt  erscheint. 
Nicht  Parteinahme  für  Aristoteles  oder  gegen  den  ciceroni- 
anischen  Rhetorismus  wird  unsere  Untersuchung  leiten,  wohl 
hingegen  müssen  wir  an  Ramus  die  Frage  richten ,  ob  er 
wirklich  irgend  ein  Princip  erfasst  habe  und  dasselbe  folge- 
richtig vertrete ;  allerdings  dürfte  hiebei  sich  zeigen ,  dass 
er  bei  unleugbarer  Begabung  dennoch  ohne  Steuerruder 
preisgegeben  verschiedenen  Windströmungen  dahinsegle  und 
beeinflusst  bald  von  aristotelischer  bald  von  humanistischer 
Tradition  schliesslich  ruhmredig  "und  rauflustig  sich  für  den 
ächtesten  Aristoteliker  halte. 

Nachdem  Ramus  schon  seit  1537  in  Paris  docirt  hatte, 
wobei  er  zum  Entsetzen  der  scholastischen  Aristoteliker  das 
humanistische  Motiv  in  Beiziehung  der  römischen  Poesie  und 
Rhetorik  überwiegend  zur  Geltung  brachte  und  auf  die  prak- 
tische Bedeutung  der  Logik  hinzielte,  veröffentlichte  er  im 
Jahre  1543  seine  zwei  Erstlingsschriften,  nemlich  „Dialec- 
ticae  partitiones"  und  „Aristoteleae  animadversiones."  In 
der  ersteren,  bei  welcher  wir  sofort  die  Gleichnamigkeit 
des  Titels  mit  der  im  Jahre  1539  erschienenen  Schrift  des 
Joh.  Sturm  beachten,  finden  wir  noch  nirgends  jene  Ein- 
streuung zahlreicher  Beispiele  aus  lateinischen  Dichtern  und 
Prosaikern,  womit  Ramus  die  späteren  Darstellungen  der 
Dialektik  schmückte.  luhaltlich  stellt  er  sich  grundsätzlich 
auf  die  ciceronianisch-rhetorische  Zweitheilung  in  Inventio 
und  ludicium,  welche  auch  Sturm  durchgeführt  hatte  (bei 
diesem  findet  sich  die  Terminologie  ,,Tudicatio"),  und  ent- 
schieden beruht  es  auf  Sturm's  Autorität,  dass  Ramus  im 
ersten  Theile,  d.  h.  in  der  Inventio,  sofort  die  Topen  ent- 
wickelt, mit  welchen  die  Kategorien  in  eine  wesentliche 
VerbinduDg  kommen  (Sturm  konnte  sich  hiefür  auf  eine 
aristotelische  Stelle^)  berufen).    Im  zweiten  Theile,  d,  h.  lu- 


8)  Aristot.  Top.  I,  8,  103  b.  2,  s.  Gesch.  d.  Logik,  Bd.  I,  S.  344. 


V.  Prantl:  lieber  Petrus  Bamiis.  163 

dicium,  tritt  unter  Weglassung  der  Lehre  vom  ürtheile  so- 
fort die  Syllogistik  auf,  welcli  letztere  uns  in  der  Haupt- 
eintheilung  wieder  an  Sturm  erinnert;  auffallen  mag  es, 
dass  er  bereits  in  dieser  ersten  Darstellung  der  Dialektik 
die  bei  den  rbetorisirenden  Logikern  sehr  beliebten  Themata 
,,Enthymema,  inductio,  exemplum,  sorites''  u.  dgl.  weglässt. 
Den  Schluss  bilden  Erörterungen  über  ,,methodus'\  welche 
den  Keim  der  später  von  Ramus  gegebenen  ausführlichen 
Behandlung  dieses  relativ  neuen  Abschnittes  der  Logik  ent- 
halten, aber  auch  ihrerseits  auf  Vorbilder  bei  Sturm,  welcher 
aus  aristotelischen  Stellen  schöpfte,  und  bei  Jod.  Willich 
hinweisen.  Kurz  im  Hinblicke  auf  diese  Schrift  müsste 
Ramus  in  die  ziemlich  bunte  Reihe  der  rhetorisch  gefärbten 
Aristoteliker  eingestellt  werden.  Aber  gleichzeitig  gab  er 
ja  auch  in  den  Aristoteleae  animadversiones  (diese  erste  Be- 
arbeitung derselben  hat  uoch  keine  Einth eilung  in  Bücher) 
seiner  Abneigung  gegen  Aristoteles  in  mancherlei  Schmäh- 
worten und  in  einzelnen  Einwendungen  eineu  ziemlich  leb- 
haften Ausdruck,  welcher  jedoch  im  Vergleiche  mit  der 
zweiten  Bearbeitung  immerhin  noch  als  relativ  gemässigt 
erscheint;  nebenbei  erstreckt  er  hier  seinen  Tadel  auch  auf 
Trapezuntius ,  Faber  Stapulensis ,  Titelmann  und  Cäsarius, 
deren  Schriften  ihm  als  allzu  aristotelisch  erscheinen. 

Diesen  Muth,  gegen  den  aristotelischen  Strom  zu 
schwimmen  ( —  wofern  wir  eben  anf  die  jugendkräftige 
Kühnheit  blicken  wollen  — )  musste  Ramus  büssen,  indem 
ihm  im  Jahre  1546  verboten  wurde,  über  Dialektik  lind  über- 
haupt über  Philosophie  Vorlesungen  zu  halten.  Bald  her- 
nach aber  gewann  durch  den  Regierungswechsel,  als  nach 
dem  Tode  des  Königs  Franz  I.  (1547)  Heinrich  IL  den 
Thron  bestieg,  der  hohe  Gönner  des  Ramus,  Cardinal  Carl 
Guise  von  Lothringen,  entscheidenderen  Einfluss,  und  hierauf 
sich  stützend  veröffentlichte  Ramus  bereits  im  Jahre  1548 
eine    neue    Bearbeitung    der   Animadversiones    Aristoteleae 


164       Sitzung  der  philos.-phüdl.  Classe  vom  2.  November  1878. 

(eingetheilt  in  20  Büclier),  wobei  er  in  unablässiger  Be- 
schimpfung des  Aristoteles  das  Möglichste  leistete,  so  dass 
in  dieser  Beziehung  höchstens  noch  Franciscus  Patritius  als 
sein  Rivale  erscheint.  Versuchen  wir  überhaupt  aus  den 
Schriften  des  Ramus  eine  Blumenlese  seiner  anti-aristotelischen 
Wuthausbrüche  zn  geben,  so  sind  es  bald  persönliche  Attri- 
bute, wie:  loquax,  inconstans,  fallax,  perversum  ingenium, 
fatuus,  confusionis  et  tenebrarum  amantissimus,  admirabilis 
nugator,  sophistarum  lanista,  archisophista ,  impostor,  Cha- 
mäleon somnians  et  stertens  u.  dgl. ;  bald  sind  es  schmähende 
Bezeichnungen  der  schriftstellerischen  Thätigkeit,  wie:  de- 
mentia, fatuitas,  fabulositas,  caecitas,  vanitas,  asperitates, 
salebrae,  infinita  confusio,  barbara  foeditas,  superstitiosa 
opinio,  aculeatae  spinae,  amentissima  desidia,  delira  somnia, 
nugatoria  obscuritas,  miserrimae  tenebrae,  in  hoc  misero  luto, 
coenosi  et  turbidi  fontes,  cacotechnia,  mataeotechnia,  chamä- 
leontina  perissologia,  infra  asinos  pecudesque  omnes  amandat, 
u.  dgl.  Die  Mehrzahl  dieser  Stil-Uebungen  findet  sich  in 
der  genannten  zweiten  Redaction  der  Animadversiones. 
Forschen  wir  aber  nach  den  sachlich  wissenschaftlichen  Ein- 
wänden, so  empfangen  wir  in  der  Hauptsache  den  Eindruck, 
dass  eben  Aristoteles  es  dem  Ramus  überhaupt  nie  recht 
machen  kann,  weil  er  es  nicht  so  macht,  wie  jener  es 
macht.  In  widerwärtig  häufiger  Wiederholung  spricht  er 
rechthaberisch  das  Grundm.otiv  seiner  Polemik  in  den  Worten 
aus,  dass  bei  Aristoteles  Unnöthiges  confus  vorgetragen  sei 
und  gerade  das  Nothwendige  vermisst  werde;  ein  anderer 
ebenso  oft  wiederkehrender  Einwand  liegt  in  dem  entrüsteten 
Ausrufe  „Nil  inventionis,  nil  dispositionis  vel  iudicii" ;  ferner, 
die  ganze  Syllogistik  sei  überflüssig  und  gänzlich  nutzlos, 
die  dabei  verwerthete  Lehre  von  der  ümkehrung  der  Ur- 
theile  'sei  ein  Delirium,  die  vier  Modi  der  ersten  Schluss- 
figur (die  sog.  indemonstrabiles)  seien  lediglich  eine  petitio 
principii,  das  einfältigste  aber  seien  die  modalen  Syllogismen, 


V.  Prantl:   lieber  Petrus  Eamits.  165 

von  welchen  daher  öfters  gesagt  wird  ,,non  gustabit  asinus.'' 
Staunen  aber  oder  Heiterkeit  mag  es  erregen,  wenn  Ramus 
neben  all  solcher  Verhöhnung  der  Syllogistik  dem  Aristoteles 
hinwiderum  vorwirft,  dass  er  die  hypothetischen  Schlüsse 
unbeachtet  gelassen  habe,  oder  wenn  Ramus  seinerseits  jene 
kategorischen  Syllogismen  vermisst,  deren  Obersatz  ein  sin- 
guläres  Individuum  zum  Subjecte  hat.  All  solche  Polemik 
aber  weist  auf  den  eigentlichen  Hintergrund  hin,  dass  seine 
eigene  Darlegung  der  Dialektik  eine  ,,leuchtendeFackel"  sei, 
und  hiefür  erscheint  wiederholt  als  das  hauptsächliche  Motiv 
der  Umstand,  dass  auch  er  eine  Kategorienlehre  entwickle, 
und  zwar  eine  bessere,  als  die  aristotelische,  nemlich  eben 
jene  von  ihm  au  die  Spitze  der  Inventio  gestellte  Topik, 
auf  deren  Gliederung  und  Eintheilung  er  sich  überhaupt 
stets  viel  zu  Gute  that.  Einmal  verkündet  er  ^j,  dass  durch 
seinen  Unterricht  ein  Schüler  in  drei  Monaten  grössere 
logische  Bildung  gewinne,  als  diejenigen,  welche  drei  und 
ein  halbes  Jahr  hindurch  sich  mit  dem  aristotelischen  Or- 
ganen beschäftigen,  ja  dass  jener  Schüler  selbst  den  Ari- 
stoteles übertreffen  werde    (,,ipsum  Aristotelem   superabit"). 

Sind  wir  hiemit  in  der  That  begierig,  zu  erfahren,  wie 
dieser  viel  verheissende  Autor  ( —  um  nicht  sofort  zu  sagen 
„Renommist"  — )  im  weiteren  Verlaufe  der  Jahre  seine  eigene 
Doctrin  der  Logik  entwickeln  und  darstellen  werde,  so  ent- 
rollt sich  uns  wohl  ein  eigenthümliches  Bild. 

Zunächst  hielt  er  im  Jahre  1551,  als.  er  seinen  akade- 
mischen Lehrstuhl  wieder  erlangt  hatte,  eine  Antritts-Rede 
„pro  philosophica  Parisiensis  Academiae  disciplina",  an  welche, 
weil  sie  eben  eine  Rede  ist,  wir  nicht  einen  strengen  Mass- 
stab anlegen  werden.  Er  bespricht  darin  die  praktische 
Aufgabe  der  Dialektik,  durch  welche  die  natürliche  Anlage 
des  Menschen  ausgebildet   werden  und  daher   stets  die  Ver- 


9)  Animadv.  Aristot.  1548,  p.  123,  125, 


166        Sitzung  der  philos.-pJdloJ.  Classe  vom  2.  November  1878. 

bindung  mit  Grammatik  und  Rhetorik  in  Sicht  bleiben  soll, 
während  die  scholastische  Logik  einen  ebenso  abscheulichen 
als  unnützen  Wust  darbiete.  Die  Gesinnung,  welche  er 
gegen  Aristoteles  hegt ,  drückt  er  durch  den  Witz  aus, 
man  solle  fürder  nicht  mehr  „Aristotelei",  sondern  „Kaki- 
stotelei"  sagen. 

Nun  aber  veröffentlichte  er  1553  eine  neue  Bearbeitung 
der  Partitiones  dial.  unter  dem  Titel  „Institutionum  dialec- 
ticarum  libri  tres*'  (welche  Schrift  bis  zum  Jahre  1591  in 
14  Auflagen  erschien)  und  sodann  1556  eine  dritte  Bear- 
beitung unter  dem  Titel  „Dialecticae  libri  duo"  (wovon  bis 
zum  Jahre  1672  an  verschiedenen  Druckorten  mindestens 
31  Auflagen  erschienen);  dazwischen  liegt  die  oben  erw^ähnte 
französische  „Dialectique^'  (1555).  Die  Haupteintheilung 
ist  in  allen  dreien  die  gleiche,  und  so  bildet  überall  die 
inventio  den  Anfang,  d.  h.  die  Topik  nach  der  neu  er- 
fundeneu Eintheilung,  welche  in  den  drei  Schriften  nur 
geringe  Abweichungen  zeigt.  Die  Verbindung  der  Logik 
mit  der  Rhetorik  erscheint  hier  am  ausgedehntesten  in  der 
Bearbeitung  von  1553,  welche  eine  ausserordentlich  grosse 
Anzahl  von  Beispiel-Stellen  aus  Cicero  und  fast  sämmtlichen 
römischen  Dichtern  enthält.  Der  zweite  Haupt-Theil,  welcher 
1553  „dispositio",  hingegen  1556  ausschliesslich  ,,iudicium'' 
heisst,  enthält  1553  (ebenso,  wie  in  den  älteren  Partitiones) 
kein  Wort  über  die  Lehre  vom  Urtheile,  hingegen  1556 
und  in  der  französischen  Bearbeitung  wird  die  bei  den  rheto- 
risirenden  Logikern  übliche  Eintheilung  der  Urtheile  ent- 
wickelt, während  die  Lehre  von  der  Entgegensetzung,  Um- 
kehrung und  AequipoUenz  weggelassen  bleibt.  Die  Syllo- 
gistik,  welche  doch,  wie  wir  sahen,  dem  Ramus  als  völlig 
überflüssig  erschien,  tritt  nun  in  allen  drei  Bearbeitungen 
auf,  jedoch  merkwürdiger  Weise  verschiedentlich,  indem  1553 
und  1555  die  vierzehn  Modi  der  aristotelischen  drei  Figuren 
in  Beispielen    entwickelt  werden,   hingegen    1556  nur   zwei 


V.  Prantl:   Ueher  Petrus  Eamus.  167 

Schlussfigiiren  in  folgender  Reihe  der  Modi  „Cesare,  Ca- 
mestres,  Festino,  Baroco,  Barbara,  Celarent,  Darii,  Ferio" 
Berücksichtigung  finden ;  seiner  obigen  Forderung  von  Schluss- 
weisen mit  singulären  ürtheilen  genügt  er  nur  1553  und 
1555,  die  hypothetischen  Syllogismen  aber  fehlen  in  keiner 
der  drei  Bearbeitungen.  Die  früher  verschmähten  Erör- 
terungen über  enthymema,  inductio  u.  s.  w.  sind  plötzlich 
1553  aufgenommen,  jedoch  nur  um  1555  und  1556  wieder 
zu  verschwinden.  Der  Abschnitt  über  ,,methodus"  ist  1553 
am  ausführlichsten  dargestellt,  während  in  den  beiden  anderen 
Bearbeitungen  viele  Theile  dieses  Gegenstandes,  welche  man 
für  wesentlich  halten  möchte ,  wieder  weggelassen  sind. 
Staunend  stehen  wir  vor  einer  solchen  Art  der  Schrift- 
stellerei,  welche  bei  den  wichtigsten  Puncten  auch  nicht 
ein  Wort  der  Rechtfertigung  des  so  sprung  weisen  Wechsels 
der  Darstellung  darbietet,  und  in  der  That  müssen  wir  zu 
der  Annahme  gelangen,  dass  Ramus  diese  Bücher  eiligst 
in  den  Tag  hinein  geschrieben  habe. 

In  dem  nemlichen  Jahre  1556,  in  welchem  die  letzte 
Bearbeitung  der  Dialektik  erschien,  publicirte  Ramus  auch 
eine  dritte  Redaction  der  Animadversiones  Aristoteleae  (gleich- 
falls in  20  Bücher  getheilt),  welche  ausserdem  auch  mit  un- 
bedeutenden Ergänzungen  unter  dem  Titel  „Scholae  dialec- 
ticae"  öfters  wieder  gedruckt  wurde.  Auch  hier  spricht 
Ramus  in  mehreren  der  oben  angeführten  Schwähworten 
über  Aristoteles,  aber  einerseits  sind  derlei  giftige  Ergüsse 
entschieden  minder  zahlreich,  und  andererseits  hatte  Ramus 
nunmehr  zu  dem  obigen  Motive  der  älteren  Humanisten 
eine  entscheidende  Beweisstelle  gefunden  und  verwerthet. 
Nemlich  die  bekannte  Erzählung  bei  Strabo  und  Plutarch 
betreffs  der  Schicksale  der  aristotelischen  Schriften  ^^)  schien 


10)   Strabo,  XIII,  1,  54,  p.  608.    Plutarch.,  Sulla,  c.  26.    Näheres 
b.  Zeller,  Phil.  d.  Gr.  II,  2  (2.  Aufl.)  S.  81  ff. 


168        Sitzung  der  pkilos.-pliilöl.  Classe  vom  2.  November  1878. 

ihm  nun  die  wohlbegründete  Berechtigung  darzubieten,  all 
dasjenige,  was  ihm  bei  Aristoteles  subjectiv  nicht  gefiel,  in 
die  Gruppe  des  zahlreichen  Unächten  einzureihen,  dessen 
Beimischung  ja  nach  Strabo's  Zeugniss  ausser  Zweifel  sei. 
Somit  träumte  er  sich  rechthaberisch  in  den  Gedanken 
hinein,  dass  er  und  nur  er  allein  unter  Ausscheidung  des 
Unächten  den  wirklich  ächten  Aristoteles  vertrete  und  dem- 
nach unter  all  seinen  Zeitgenossen  gegenüber  den  scholastisch 
gesinnten  und  gegenüber  den  rhetorisirenden  Logikern  der 
einzig  wahre  Aristoteliker  sei.  Hiedurch  erhielt  auch  diese 
letzte  BearbeituDg  der  Animadversiones  im  Vergleiche  mit 
den  früheren  eine  vielfach  verschiedene  Fassung,  indem  sie 
sich  häufig  auf  Grund  eines  ziemlich  reichen  aus  den  Com- 
mentatoren  geschöpften  Materiales  lediglich  erklärend  und 
erläuternd  bewegte,  dabei  aber  Einzelnes,  was  eben  als  un- 
ächte  Lehre  erschien,  kritisch  ablehnte.  So  finden  wir  hier 
z.  B.  die  Fragen  über  die  Universalien,  deren  Entfernung 
aus  dem  Orgauon  und  Ueberweisung  an  die  Grammatik  er 
früher  lebhaftest  vertreten  hatte,  wirklich  in  acht  aristo- 
telischem Sinne  erörtert,  und  namentlich  in  den  Büchern, 
welche  sich  auf  die  zweite  Analytik,  auf  die  Topik  und 
Soph.  El.  beziehen,  bewegt  er  sich  überwiegend  in  engem 
Anschlüsse  an  Aristoteles. 

Drei  Jahre  vor  seinem  Tode  knüpfte  Ramus  einen 
Briefwechsel  mit  dem  Tübinger  Schegk  an,  wobei  manche 
Meinungsverschiedenheiten  über  logische  Fragen  ausgetauscht 
wurden  und  sichtlich  aus  Rechthaberei  und  Rauflust  Hess 
er  diesen  Briefwechsel  drucken  (1569),  worauf  Schegk  mit 
einer  Schrift  „Hyperaspistes"  anwortete  (1571).  Die  hierauf 
rasch  folgende  Duplik  des  Ramus  hat  den  merkwürdigen 
Titel  „Defensio  pro  Aristotele  adversus  Jacobum  Schecium" 
(1571),  und  hier  nun  zeigt  sich  in  widerlicher  Weise  die 
Eitelkeit  des  Mannes,  welcher  sich  in  den  Gedanken,  der 
einzige   wahre   Aristoteliker   zu   sein,    hineingeredet   hatte. 


V.  Prantl:   Ueber  Petrus  Ramus.  169 

Er  wiederholt  in  heftigster  Weise  alle  hauptsächlichen 
früheren  Differenzpuncte  und  betheuert ,  dass  seine  Ein- 
theilung  der  Dialektik  in  der  ächten  Gestalt  des  Organons 
begründet  sei,  dass  seine  Gruppirung  der  Topik  die  rich- 
tige Kategorienlehre  enthalte,  dass  er  die  Lücken  der  durch 
die  Tradition  corrumpirten  aristotelischen  Logik  ergänze  u.  s.  w. 
Jedes  Capitel  der  ,,Defensio"  schliesst  emphatisch  mit  den 
stets  wiederholten  Worten:  „Ramus  Aristotelem  sequitur 
Schecius  Aristotelem  deserit  et  oppugnat."  Schliesslich  möge 
als  ein  Curiosum  erwähnt  sein ,  dass  Ramus  bezüglich  der 
früher  von  ihm  verdammten  Syllogistik  jetzt  zu  der  Ein- 
sicht gelangt  zu  sein  glaubt,  dass  die  dritte  Schlussfigur 
eigentlich  die  erste  sei,  weil  dort  der  Mittelbegriff  beide 
Male  im  Prädicat  stehe,  das  Prädicat  aber  das  Allgemeinere 
sei  und  auf  dem  Allgemeinen  grundsätzlich  das  entscheidende 
Gewicht  liege. 

Somit  empfangen  wir  allerdings  den  Eindruck,  dass 
der  Ruhm  des  Ramus  als  eines  Reformators  der  Logik  sich 
kaum  auf  irgend  Gründe  zu  stützen  vermag,  und  dass  die 
lebhafte  Parteinahme  für  denselben,  welcher  wir  bekanntlich 
nicht  nur  in  Frankreich,  sondern  auch  in  Deutschland  bis 
in  das  17.  Jahrhundert  hinein  begegnen,  nur  aus  dem  all- 
gemeinen Chararakter  einer  Zeit  erklärt  werden  kann,  welche 
ohne  Sinn  und  Talent  für  tiefer  liegende  Fragen  der  Philo- 
sophie ein  Wohlgefallen  an  eitlem  Schulgezänke  fand. 


Herr  v.  Christ  legt  vor: 

,, lieber    drei  verlorene  Tragödien  des  Euri- 
pides'*  von  Prof.  Wecklein. 

1.  Antiope. 

Von  der  Antiope  steht  der  Gang  der  Handlung  im 
Grossen  und  Ganzen  durch  Hyg.  fab.  8  mit  dem  Titel 
Eadem  (nämlich  Antiopa)  Euripidis  quam  scribit  Ennius^) 
fest  und  die  neueste  Behandlung  dieses  Gegenstandes  von 
0.  Jahn  „Antiope  und  Dirke"  Archäol.  Zeit.  1853  Nr.  56—57 
weicht  von  der  Reconstruction  Welcker's  Gr.  Tr.  S.  811  ff. 
nur  in  wenigen  Punkten  ab.  Welcker  gliedert  das  Stück 
in  drei  Hauptmassen :  1)  Ankunft  und  Abweisung  der 
Antiope  mit  der  bekannten  Disputation  der  Brüder.  2)  Dirke. 
3)  Die  Erkennungsscene  der  Mutter  und  ihrer  Söhne  und 
was  folgt.  Mit  Recht  hat  0.  Jahn  das  Gespräch  der  beiden 
Brüder  vor  die  Ankunft  der  Antiope  verlegt;  abgesehen 
von  anderem  fehlt  nach  ihrer  Ankunft,  nachdem  einmal 
die  Handlung  in  Fluss  gekommen  ist,  die  Ruhe  für  eine 
so  gedehnte  Erörterung,  die  dann  nur  als  lästiger  Verzug 
empfunden  würde.  Damit  ergibt  sich  für  0.  Jahn  folgende 
Reihenfolge  der  Scenen :  1)  Prolog.  2)  Aufzug  des  Chors 
thebanischer  Greise.    3)  Amphion  und  Zethos.     4)  Antiope 


1)  „Verwechslung  des  Ennius  mit  Pacuvius  bei  Hygin  ist  wohl 
möglich."  Welcker  Gr.  Tr.  S.  812.  Diese  Vermuthung  hat  Härtung 
Eur.  rest.  II,  p.  415  mit  Recht  zur  Geltung  gebracht.  Vgl.  auch  0. 
Ribbeck  die  Römische  Tragödie  S.  281. 


Weclclein:   Ueher  drei  verlorene  Tragödien  des  Eurijyides.  171 

zu  den  vorigen.  Sie  wird  abgewiesen.  5)  Dirke  tritt  auf 
von  einem  Chor  von  Bacchantinnen  umgeben.  Antiope  aut 
irgend  eine  Weise  ergrijffen  wird  vor  Dirke  geführt.  Nach- 
dem Dirke  die  grausame  Strafe  bestimmt  und  mit  deren 
Ausführung  Zethos  und  Amphion  beauftragt  hat,  tritt  6)  der 
Hirte  auf,  erkennt  Antiope  und  führt  die  Erkennung  herbei. 

7)  Die  Scene  der  Wiedererkennung  wird  unterbrochen  durch 
die  Rückkehr  der  Dirke.  Ihre  Bitten  sind  vergeblich;  die 
Brüder  führen  sie  fort  und  ein  Bote  erzählt  ihr  Schicksal. 

8)  Lykos  erscheint ;  der  Zorn  der  beiden  Brüder  wendet 
sich  auch  gegen  ihn.  Da  thut  9)  Hermes  Einhalt  und  ge- 
bietet dem  Lykos  seine  Herrschaft  an  Amphion  abzutreten. 

Wir  haben  zunächst  in  Betreff  des  Prologs  eine  Be- 
merkung zu  machen.  Nachdem  Valckenaer  Diatr.  c.  VH 
p.  60  irriger  Weise  der  Antiope  den  Prolog  zugetheilt, 
nehmen  Matthiae,  Welcker,  Härtung,  0.  Jahn  einen  Gott 
und  zwar  vermuthungsweise  den  Hermes  als  Sprecher  des- 
selben an.     Dem  widerspricht  fr.   179 

OlvOT] 

ovyxOQta  valco  jtedia  Talg  i'  ^EXsvd-EQalg. 
Diese  Worte  kann  nur  der  Hirte  sprechen,  dem  sie 
auch  die  genannten  Gelehrten  ausser  Härtung^)  zuweisen. 
Wo  anders  aber  wird  man  eine  solche  Bestimmung  der 
Oertlichkeit  erwarten  als  im  Prolog,  in  welchem  die  Sce- 
nerie  beschrieben  werden  muss.  Welcker  meint,  der  Alte 
spreche  in  der  späteren  Scene  von  seinem  ehemaligen  Wohn- 
orte, wo  er  die  verlassenen  Kinder  aufgefunden.  Allein 
warum  soll  der  Hirte  seinen  Wohnort  gewechselt  haben? 
Da  Amphion  und  Zethos  bei  dem  Hirten  auferzogen  worden 


1)  Härtung  ändert  in  nicht  nur  unmethodischer,  sondern  auch 
ungeschickter  Weise  vcdo)  in  rcdayv  und  gibt  die  Worte  dem  den  Prolog 
sprechenden  Gott,  in  dessen  Erzählung  dieselben  sich  auch  auf  den 
Hirten  beziehen  sollen. 


172      Sitzung  der  ;philos.-phildl.  Classe  vom  2.  November  1878. 

sind,  so  spielt  die  HandluDg  uaturgemäss  vor  der  Wohnung 
des  Hirten.  Damit  stimmt  das  freilicli  lückenhafte  fr.  202 
überein:  evdov  öe  d^a'ka^oig  ßovKoXov  .  .  KOjuwvTa  7,i00(^ 
OTvlov  evtov  d-eov.  Ebenso  Pacuv.  Ant.  fr.  III  loca  horrida 
initas ,  X  nonne  hinc  vos  propere  a  stabulis  amolimini  ? 
Der  Hirte  stellt  sich  offenbar  mit  jenen  Worten  vor  und 
gibt  den  Schauplatz  der  Handlung  an.  Er  wohnt  in  der 
Gegend  von  Hysiä  in  der  Nähe  von  Oenoe  und  Eleutherä, 
wo  einst  Antiope  ihre  Kinder  ausgesetzt.^) 

Man  könnte  glauben ,  dass  auch  Nauck,  welcher  jenes 
Fragment  an  den  Anfang  stellt,  jedenfalls  in  dem  richtigen 
Gefühle ,  dass  die  Beschreibung  der  Oertlichkeit  nur  dort 
am  Platz  ist ,  diese  Ansicht  gehabt  habe.  Das  kann  aber 
nicht  der  Fall  sein;  denn  sonst  hätte  er  in  fr.  181  (Et. 
M.  p.  411,    12) 

Tov  fxev  x/xZry(jx£  Zri&ov  '  ^^rjrrjos  yccQ 

zoyiOLOiv  evfiaQsiav  rj  Tsxovoa  vtv 

nicht  die  Aenderung  von  Valckenaer  xtxArJaxet  aufnehmen 
können.  Wenn  wir  den  Prolog  dem  Hirten  zuweisen,  müssen 
wir  ihm  natürlich^)  auch  dieses  Bruchstück  geben  und 
yiinlriöyicx)  schreiben^).     Diese  Ansicht  wird  noch  durch  eine 


1)  Harpocr.  p.  180,  7  'Yacai,  rijs  BoicoTiag  nolis ,  fjg  (xvrifjiovsvsi 
xal  Ev(}i7ii6rjg  iv  'Ayiion^.  Steph.  Byz.  p.  651,  17  'Halo6og  <5'  sp  *^YQia 
triv  ^Avrionriv  qjtjal  yeviad-ca,  EvQL7Tt&t]g  <5'  iy  '^Yaictig ,  vgl.  Paus.  I 
38,  9  aTVojT£Q(o  6€  6'kiyov  (von  Eleutherä)  anrfkuiov  iotip  ov  fxiya  xccl 
naQ^  avto  vSatog  nrjy^  xpv^Qov '  ?.Ey6rai  68  ig  fxtv  z6  ani^Xaiop  (og 
AvTionri  tsxovaa  xatccß-oito  ig  avxo  rovg  nalöag,  ti&qI  6k  rrjg  ntjyijg 
TOP  TioifXEva  EvQovTa  xovg  nalSag  ivtavxia  acpag  "kovaat  TiQCüZoy, 
änokvaavTa  x(ov  cnaQydviav. 

2)  Vgl.  Hyg.  f.  7  dolor  eam  (Antiopam)  in  ipso  bivio  coegit  partum 
edere.  Quos  pastores  pro  suis  educarunt  et  appellarunt  Zethon  ano  rot 
^rirtiv  toTiov,  alterum  autem  Araphionem  ort  iv  6i66(a  ?J  ort  afJLcpl 
6&6y  ccvTor  erezey. 

3)  Aehnlich  ist  in  fr.  206,  wo  Ammonius  Valck.  p.  86  xvovacc 
Tix.nu  gibt  und  Valckenaer  xvovffa,  rly.i^o   9'    hergestellt  hat,    dies   bei 


Wecklein:  XJeher  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.  173 

weitere  Beobachtung  unterstützt.  Nach  der  bisherigen  Auf- 
fassung ist  es  ziemlich  auffallend  und  überraschend ,  wenn 
man  plötzlich  erfährt,  dass  der  Hirte  die  Antiope  kennt 
und  in  die  Geheimnisse  der  Abkunft  des  Amphion  und 
Zethos  eingeweiht  ist.  Dass  Euripides  die  Sache  anders 
gestaltet  hat,  zeigt  fr.  218 

yioofxog  de  Giyiq  oteyavog^)  dvÖQog  ov  kukov. 
x6  d'  e-Ä.Xa'kovv  tov^'  i^Sovfig  (.isv  ccTtTeTaty 
Tiay.ov  ö'  djiiihj/Li%  doS^eveg  de  xal  jcoXu. 
Welcker,  Härtung,  Ribbeck  meinen  wie  Matthiae,  der 
Hirte  entschuldige  bei  der  Bekanntgabe  seines  Geheimnisses 
das  bisherige  Schweigen.  Dass  dieses  nicht  der  Fall  ist, 
zeigt  ein  Blick  auf  die  Worte  xo  6'  hJkakovv  rov-d^''  iqöovijg 
fxev  ccTtteTai.  Es  drängt  den  Hirten  das  Geheimniss  seinen 
Pflegekindern  mitzutheilen ;  er  entschliesst  sich  aber  doch 
Schweigen  zu  beobachten.  Dieser  offenbare  Sinn  der  Worte 
gestattet  nur,  sie  an  den  Anfang  des  Stückes  d.  h.  in  den 
Prolog  des  Hirten  zu  setzen.  Wie  sehr  dadurch  die  Moti- 
virung  der  Anagnorisis  gewinnt,  brauche  ich  nicht  weiter 
auszuführen.  Wieviel  der  Hirte  weiss  und  auf  welche 
Weise  er  es  erfahren  hat,  lässt  sich  nicht  mehr  erkennen. 
Vielleicht  hat  der  Dichter  die  Vermittlung  einem  Gott  und 
zwar  dem  Hermes  ähnlich  wie  im  Jon  beigelegt.  Dem  Be- 
richt über  das  Auftreten  eines  Gottes  können  die  Worte 
Pacuviani  pastoris  (ex  ine.  fab.  I)  angehören:  exorto  iubare, 
noctis  decurso  itinere.  Man  wird  freilich  einwenden :  wie 
konnte  dem  Hirten    die  Kenntniss    dessen  beigelegt  werden. 


Eustath.  Od.  p.  1799,  54  in  xvovaa  zUtov  übergegangen.  —  Was  im 
Text  von  Nauck  gesagt  ist,  gilt  auch  von  Eibbeck  S.  284,  welcher 
zuerst  zwischen  Bacchus  und  dem  Hirten  schwankt,  dann  sich  für  den 
Hirten  entscheidet,  aber  doch  zuXi^axei  beibehält  und  auch  die  weiteren 
Polgen  einer  solchen  Annahme  nicht  in  Betracht  zieht. 

1)  aiyri  artyupog   für  aiyrig  OT8(pavog   ist  eine  treffliche  Emenda- 
tion  von  Herwerden. 

[1878.  I.  Philos  -philol.-hist.  Cl.  Bd.  II,  2.]  13     ■ 


174    Sitzung  der  phitos-phüoL  Classe  vom  2.  November  1878. 

was  nach  Joh.  Malalas  p.  49  bei  Euripides  vorkam ,  dass 
Zeus  in  einen  Satyr  verwandelt  die  Antiope  überrascht  habe  ? 
Allein  dieser  Einwand  weist  nur  auf  eine  weitere  Bestä- 
tigung unserer  Ansicht  hin.  Welcker  meint,  in  den  Prolog 
des  Hermes  gehöre  der  grössere  Theil  von  Hygin's  Erzähl- 
ung Nyctei  regis  —  devenit  ad  filios  suos.  Aber  der  Dichter 
lässt  das  Nämliche  nicht  zweimal  erzählen.  Alles  das  theilt 
nachher  Antiope  bei  ihrem  Auftreten  dem  Amphion  und 
Zethos  selbst  mit,  wie  die  beiden  Bruchstücke  206.  209 
Kvovoa,   riKTCü  d^  rjvr/,^  rjyo/Lirjv  itaXiv  • 

ovSi  yccQ  Xad^Qcc  doxw  (Amphion  spricht) 
g)CüT6g  KaxovQyoi:  gx^I^glt^^  eK{.u^ov^evov 
öol  Zriv    sg  evvriv  wo7teQ  av^qionov  f^oXelv 
deutlich   lehren.     Die    Worte    cpcoTog    %ay,ovQyov  .  .    oxr^fxaz' 
i/,IÄi/j,ov  1.16V ov  weisen  mit  Bestimmtheit  auf  die  Verwandlung 
des  Zeus  hin,    Antiope  hat  also  vorher  von  dem  Satyr  er- 
zählt.    Der    Hirte    brauchte    folglich    nur    eine    allgemeine 
Kenntniss  von  der  Abstammung  seiner  Pilegesöhne  und  ge- 
wisse Kennzeichen  zu  haben  ^). 

Der  Chor  thebanischer  Greise  (Schol.  zu  Eur.  Hipp.  58) 
ist  bei  Pacuvius  fr.  IV  mit  Astici  (nach  Orelli's  Emenda- 
tion)  bezeichnet,  weil  er  von  der  Hauptstadt  aufs  Land  zu 
dem  Gehöfte  des  Hirten  kommt.  Man  hat  vermuthet,  sein 
Auftreten  sei  mit  der  Feier  eines  Festes  und  zwar  nach 
fr.  202  eines  dionysischen  im  Kithäron  motivirt.  Es  stimmt 
damit  überein,  wenn  nachher  Dirke  mit  einem  bakchischen 
d^iaoog  (nach  dem  a.  Schol.  u.  Hyg.  f.  8  per  bacchationem 
Liberi)  dahin  gelangt.  Es  wird  also  die  dionysische  Trieteris 
gefeiert,  wo  die  Frauen  elg  OQog  elg  OQog  schwärmen.  Wahr- 
scheinlich war  diese  Festfeier  mit  dem  für  Athen  wichtigen 
Dionj^suskultus  in  Eleutherä  in  Zusammenhang  gebracht. 

1)  Bemerkenswert}!  ist,  dass  in  der  o.  a.  Stelle  Paus.  I  38,  9  die 
anaQyava  besonders  erwähnt  werden.  Uebrigens  vgl.  auch  Schol.  zu 
Apoll.  Rh.  IV  1090  movaa  de  'A^cpiovu  xal  Z^d^oy  i^E&rjXtv  sV  rw 
Kid-cciQOjpi  nccQcc  ßovKoXat  Zivi. 


WecMein:  Ueher  drei  verlorene  Tragödien  des  Ewripides.  1V5 

Der  Chor  trifft  zunächst  auf  Amphion,  der  mit  der 
Lyra  vor  dem  Gehöfte  sitzt,  und  fragt  ihn  über  das  ihm 
unbekannte  Instrument  aus,  Pacuv.  fr.  IV 

Amphio 
Quadrupes  tardigrada  agrestis  humilis  aspera, 
Brevi  capite,  cervice  anguina  aspectu  truci, 
Eviscerata  inanima  cum  animali  sono. 

Astici  (d.  i.  XO.) 
Ita  saeptuosa  dictione  abs  te  datur, 
Quod  coniectura  sapiens  aegre  contuit: 
Non  intellegimus,  nisi  si  aperte  dixeris. 

Amphio 
Testudo  {xiXvg). 

Daran  schliesst  sich  aufs  beste  fr.  190^)  an,  die  Er- 
klärung, wie  die  %eh)g  zu  dem  Namen  kvqa  gekommen  sei: 
'kvqa  roivvv  jrQOorjyoQevd-rj  ÖLct  xo  Xvtqov  vtco  '^Eq/liov  dedood-ao 
rrjg  y,Xo7irjg  tcov  ßocZv  tov  ^TtoXXojvog,  xad^aTtEQ  q)rjolv  Ev- 
QLTrlörjg  ev  ^4vti6tc7j  ,XvQa  ßocov  .  .  qvot  e^eqqvoaxo'.  Zethos, 
wahrscheinlich  von  der  Arbeit  nach  Hause  kommend,  gibt 
seinem  Unwillen  über  den  Müssiggang  des  Bruders  Ausdruck, 
womit  sich  jene  gefeierte  Disputation  der  Brüder  anspinnt. 
Der  qrjoLg  des  Zethos  gehören  fr.  184  — 188,  Pacuv.  ex 
ine.  f.  II  an.     Fr.   184 

fA.ovoav  Ttv'  CLTOTtov  eloayeig  dovfxcpoQöv, 

aqyovj  (piXoivov  %Q7]i,iaxojv,  dTrjf.isXrj . 
war  nicht  weit  vom  Anfang  entfernt.    Jedenfalls  darf  nicht 
fr.   183  (Fiat.  Gorg.  p.  484  E) 

SV  TOVTCü  [ye  tol] 

Xaf.i7CQog  ^'  exaoTog  KccTtl  tovt'  eTceiyeraL 


1)  Von  Nauck  mit  Unrecht  in  die  später  folgende  Qriaig  des  Am- 
phion gesetzt.     Richtig  ist  die  Anordung  bei  Härtung. 

13* 


176     Sitzung  der  phüos.-philol  Classe  vom  2.  November  1878. 

ve^cov  TO  TtleiOTOv  r^^eqag  tovxco  f^igog^ 
%v  avTog  avTov  Tvyyjtvu  ßekciGxog  cov 
dem  fr.  184  vorausgesetzt  werden.  Man  könnte  daran 
denken,  dieses  nach  fr.  185  einzufügen.  Allein  weder  der 
gelassene  ruhige  Ton  noch  der  unbefangen  urtheilende  fried- 
fertige^ Gedanke,  dass  jeder  am  meisten  Trieb  und  Neigung 
zu  dem  fühle,  wozu  er  die  meiste  Anlage  habe  (vgl.  Pacuv. 
ex  ine.  f.  IIP)  Tu  cornifrontes  pascere  armentas  soles), 
entspricht  dem  erregten  Wesen  und  bäurisch  befangenen 
Sinne  des  Zethos.  Allerdings  gibt  der  Scholiast  ausdrücklich 
an:  ra  laf^ißela  ram'  eovtv  e^  ^^vriOTrrjg  .  .  £x  rrjg  Zrjd-ov 
Qrjoecog  ftqog  tov  (xdsXg)6v  !A(xq)LOva  .  Allein  man  darf  nicht 
glauben,  dass  der  Commentator  das  Stück  des  Euripides 
eigens  zur  Hand  genommen  habe ;  er  schöpfte  seine  Kennt- 
niss  bloss  aus  der  bald  nachher  folgenden  Angabe  des  Plato 
mvdvveva)  ovv  TVETtovd^evai  vvv  otibq  6  Zri-Sog  jvqdg  tov 
Af-iqjiova  6  EvQtnidov  ovttsq  hivrjoS^tjv.  Der  Gedanke  wider- 
spricht auch  dem  was  Zethos  fordert;  denn  dieser  verlangt 
gerade  von  Amphion,  dass  er  ohne  Rücksicht  auf  Nei- 
gung und  Anlage  nur  das  betreibe,  was  materiellen  Werth 
habe.  Dagegen  eignet  sich  die  Sentenz  trefflich  für  Am- 
phion, der  fr.  196,  4  sagt;  rl  ötjt''  ev  olßto  (äjj  oacpel  ße- 
ßri%oxeg  ov  t,(x)(j.Ev  tog  rjÖLora  ^rj  hjTtovf.ievoL]  Es  entwickelt 
sich  daraus  auch  die  Widerlegung  des  Vorwurfs,  den  Zethos 
(fr.  185)  dem  Amphion  macht,  dass  er  bei  seiner  Beschäf- 
tigung nicht  lerne  Kriegsruhm  erwerben  und  in  der 
Volksversammlung  sich  auszeichnen.  Man  konnte  ja  dem 
Euripides  den  gleichen  Vorwurf  machen  und  dieser  konnte 


1)  Dem  Amphion  von  Welcker  S.  821  zugewiesen.  Auch  Härtung 
p.  420  bemerkt :  Amphioni  haec  etiam  contra  scholiastae  Platonici  auc- 
toritatera  tribuenda  esse  intelligitur  ex  fragraento Pacuviano  ,Tu.. soles', 
quibus  verbis  illam  orationem  continuari  manifestum  est.  Ebenso  sagt 
Ribbeck  S.  228,  dass  nach  seinem  Gefühle  der  mildere  objektive  Ton 
dieses  Spruches  an  sich  eher  dem  Amphion  zuzutrauen  wäre. 


WecMein:   lieber  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.  177 

mit  Amphion  entgegnen :  quam  quisque  norit  artem,  in  hac 
se   exerceat.      Die   anderen    Fragmente    der    Gegenrede    des 
Amphion  scheinen    bei  Nauck  richtig  geordnet:    191 — 201. 
Nur  muss  man  sieh  wundern,  dass  er  fr.  220 
yvcojLiaig  yccQ  avÖQog  ev  iniv  olKOvvTai  TZoXetg, 
ev  d^  oixog  el'g  t'  av  Ttolefnov  lo^vst  f^iiya  * 
öocpov  yoLQ  'ev  ßovXevi-ia  rag  noXkdg  %£Qag 
vin^,  ovv  oxXco  S'  dfxa&la  7tXs7GTOv  KaKOv^ 
welches  schon  Gataker  und  Yalckenaer   der  Rede  des  Am- 
phion zugewiesen  haben,  in  einen  späteren  Theil  des  Stückes 
gesetzt  hat.    Der  Gedanke,  dass  die  Weisheit  und  Einsicht 
eines  Einzelnen  im  Haus,  im  Staate,  im  Kriege  höhere  Be- 
deutung   und    grösseren    Erfolg    habe    als    die    körperliche 
Kraft  der  Menge  (vgl.  Sali.  Cat.   1),    bildet  die  beste  Wie- 
derlegung  jenes  Vorwurfs,    dass  das  Studium  der  Weisheit 
den  Menschen   für    den  Krieg   und   die  Leitung  des  Staates 
untauglich  mache    (vgl.  Plat.  Lach.  p.  197E),  und  schliesst 
sich   auf  das  beste  an  fr.  199  an: 

To  d'  dod^evig  f^ov  Kai  t6  driXv  owfxaTog 
KaKwg  efAefAcpS^Tjg  *  el  ydq  ev  cpQOvelv  «x^, 

KQeIoGOV   Tod^    SOtI   KaQTEQOV   ßQa%LOvog. 

Auch  fr.  221  kann  in  diesen  Zusammenhang  gehören; 
doch  ist  der  Gedanke  zu  unbestimmt,  um  eine  sichere  Ent- 
scheidung zu  gestatten.  Ebenso  verhält  es  sich  mit  fr.  189 

ex  navvog  av  rig  Ttqay^aTog  öiaocov  Xoycov 

dywva  deiT^  av,  el  leyeiv  eli]  oocpog, 
Valckenaer  gibt  die  Worte  dem  Chor;  Härtung  und 
Nauck  stellen  sie  mit  Matthiä  an  den  Anfang  der  Rede  des 
Amphion.  Dass  beides  der  Fall  sein  kann,  zeigt  ein  ähn- 
licher Gedanke  otav  Xaßr^  rig  tcov  Xoyiov  dvr^^  Goq)dg  naldg 
d(fOQ(xdg^  ov  (Äey'  eqyov  ev  liyeiv ,  welcher  Bacch.  266  den 
Anfang  der  Gegenrede  des  Tiresias  bildet,  Hec.  1239,  Herc. 
236  dagegen  dem  Chorführer  in  den  Mund  gelegt  ist.  Am- 


178    Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  2.  November  1878. 

phion  widerlegte  Punkt   für  Punkt   die  Rügen   des  Bruders 
und  wie  der  Schluss  des  Zethos  gelautet  (fr.   188): 

aXX^  e^ol  fCLd-ov  ' 
Ttavoai  fj.eXttjöcüv,  fcolsfiiav^)  6'  eviuovolav 
aoxei  '  ToiavT^  aeide^),  y,al  do^eig  (pqoveiv^ 
GAamcüv,  ccQCüv  yii(\>  xre ., 
so  schloss  entsprechend  Amphion  (fr.  201): 
syco  IX8V  ovv  aöoL/UL  Aal  HyoL/nl  tl 
oocpov^  TaQaGOcov  ^r^dev  cov  noXig  voöet 
und    sprach    dies    recht  eigentlich  im  Namen    des  Dichters. 
Aus  der  folgenden  Scene   zwischen  Antiope   und  ihren 
Söhnen  lassen  sich  nur  einige  Punkte  feststellen.  Die  Ordnung 
der  Fragmente  bei  Nauck  dürfte  kaum  richtig  sein.  Antiope 
erzählt  ihre  Schicksale :  fr.  203.  206.  Den  Eindruck,  welchen 
die  Schilderung  auf  den  Chor  gemacht,  gibt  der  Koryphaios 
zu  erkennen  mit  fr.  210: 

(pev  (pev^  ßQOTsicov  nrj^axcov  ooai  xvyai 
oöai  te  f.WQ(pai '  T^Q(.ia  (J'  ovy,  ilnoi  zig  av . 
Amphion    spricht   verschiedene   Bedenken   über    die    Erzäh- 
lung   der    Antiope    aus:   fr.    208.    209.      Diesen    Bedenken 
tritt  Antiope  entgegen;  sie  beginnt  mit  fr.  205 
w   Ttaiy    yevoivx''    av  ev   Xekey^evoi   Xoyoi 
ipevdeig,  snwv  6i  xalleoiv  vlkmsv  av  TccXrjdeg  '  xre. 
Die    Anrede   w    nal    ist    für    die    Zuschauer    bedeutungs- 
voll.    Ebenso  fr.  207,  welches    ohne  Zweifel    dieser  Wider- 
legung angehört: 

el  d''  i^f.ieX7Jd^rjv  ex  -d-ecov  Kai  tcoIö''  Sf^w, 
sxec  Xoyov  Kai  rovro  •  tcov  jtoXXwv  ßqoTOJv 
dei  rovg  ixev  eivai  övOTvysig^  xovg  (5'  evTvxeig. 


1)  So  habe  ich  für  nolefx^v  geschrieben ;  gewöhnlich  wird  Val- 
ckenaer's  Aenderung  nolefiiiov  aufgenommen,  die  unrichtig  scheint,  da 
nolsfxiojv  hostium  bedeuten  würde. 

2)  Unnütz  ist  Cobet's  Aenderung  routvta  S^egös. 


WecTdein:   lieber  drei  cerlorene  Tragödien  des  Eiiripides.    179 

Es  geht  hieraus  hervor ,  dass  Amphion  der  Antiope 
auch  entgegengehalten,  Zeus  würde,  wenn  deren  Angabe 
richtig  wäre ,  besser  für  deren  Kinder  gesorgt  haben :  die 
Zuschauer  wissen,  dass  es  geschehen  ist.  Nachdem  Antiope 
die  Bedenken  des  Amphion  entkräftet  hat,  geht  sie  zu 
rührenden  Bitten  über  und  ,  sucht  besonders  durch  die  er- 
greifende Schilderung  der  Leiden  ihrer  Knechtschaft  Mitleid 
zu  erwecken.  Dahin  gehört  fr.  216 

To  dovlov  00%  OQag  ooov  Ka-nov] 
wahrscheinlich  auch  fr.  204 

g)QOvcd  ^'  a  Ttaoxco,  xal  i;66''  ov  0(,uy,qdv  xazw' 
TO  [.iq  elöivai  yaQ  ridovr^v  eyei  rivd 
voGovvra,  xeQSog  (5'  ev  %aKolg  dyvcooia. ' 
Der  Gedanke    findet   sich  öfter   bei  Euripides;    Herc.  1291, 
Iph.   T.    1117,    Hei.   417,    fr.    287.     Für  Antiope   ist   die 
Knechtschaft  um  so  unerträglicher ,    weil    sie    schon  einmal 
das  Glück  der  Freiheit    genossen    hat   und    den  Unterschied 
von  Freiheit  und  Knechtschaft    kennt.     Ferner  gehören  zu 
dieser  Schilderung  Pacuv.  V — VIT.     Vgl.  auch  Propert.  IV 
15,   13  ff.     Der   Chorführer   spricht   seine    Empfindung   aus 
mit  fr.  217: 

g)sv  q)ev^  to  öovXov  cog  aTtavTax^  yevog 
ftQog  Tfjv  elaoocü  (xdlqav  wqiosv  d-eog.^) 
Amphion  wird  gerührt.  Es  kann  Pacuv.  ex  ine  f.  frg.  V 
cepisti  me  istoc  verbo ,  miseretur  tui ,  welches  Ribbeck 
der  Antiopa  zuweist,  hieher  gesetzt  werden.  Während  der 
humane  Amphion  das  richtige  Gefühl  hat,  erkennt  der  rauhe 
Zethos  in  der  Mutter  nur  eine  entlaufene  Sklavin  und  weist 
sie  ab.^) 

1)  Die  Interjektion  q)ev  cpiv  ist  auch  in  dem  vorhin  erwähnten 
fr.  210  gehraucht;  ebenso  z.B.  Hec.  1238  hei  einem  solchen  Stimmungs- 
ausdruck des  Koryphaios,  cctat  Hec.  331  ulaT ^  ro  dovXop  wV  xaxov 
necpvx'  ael  Tokfxa  i9-'  «  fxri  /Qtj  tfi  ßia.  vi^oofxevov, 

2)  Vgl.  Propert.  a.  0.  et  durum  Zethum  et  lacrimis  Amphiona 
möllern  experta  est  stahulis  mater  abacta  suis. 


180     Sitzung  der  pMlos.-philol.  Glasse  vom  2.  November  1878. 

Aus  deu  folgenden  Scenen,  wo  Dirke  mit  ihrem  bak- 
chi sehen  Schwärm  auftritt,  ist  nichts  mehr  erhalten.  Wenn 
die  Vermuthung  Valckeuaer's ^)  richtig  ist,  dass  Aristot. 
Poet.  c.  14  p.  1454a  8  xßt  ev  t^  '^'EXXrj  o  v\6q,  zr^v  f^rjTiqa 
SKÖLÖSvat  i^iXXcov  dveyvcoQiaev  für'EXXrj  zu  lesen  sei  lävTiOTCiß, 
so  muss  man  annehmen,  dass  einer  der  Brüder  (Zethos) 
oder  beide  fortgeschickt  werden,  um  Antiope  einzufangen 
und  sie  der  Dirke  auszuliefern.  Wie  darauf  die  Erkennung 
durch  den  Hirten  erfolgt,  wissen  wir  nicht;  nur  das  eine 
erfahren  wir  bei  Hygin,  dass  Antiope  von  Dirke  fortge- 
schleppt wird  und  die  Söhne  von  dem  Hirten  unterrichtet 
nacheilen.  Nicht  also  beauftragt  Dirke  die  Brüder  jene 
Strafe  zu  vollziehen,  sondern  reisst  selber  ihre  Sklavin  zum 
Tode  fort,  nachdem  sie  wahrscheinlich  die  beabsichtigte 
Todesart  bekannt  gegeben.  Lebendige  Stiere  zu  fangen  und 
zu  bewältigen  ist  die  Weise  von  Bacchantinnen ,  wie  wir 
aus  Eur.  Bacch.  743  wissen.  Der  Plan  der  grausamen  To- 
desart setzt  den  Peinigungen,  welche  Antiope  vorher  be- 
richtet hat,  die  Krone  auf.  Aus  Pacuv.  gehören  hieher  fr. 
Xn  und  ex  ine.  f.  IV  2) 

Agite,  ite,  evolvite,  rapite  coma, 
Tractate  per  aspera  saxa  et  humum, 
Scindite  vestem  ocius,  cervicum 
Floros  dispendite  crines. 


1)  Mit  Recht  bemerkt  Valckenaer :  nullum  fuisse  arbitror  Euripidis 
drama.  in  quo  talis  matris  uvaypu)Qt,o^ds  locum  invenerit  praeterquam 
in  Antiopa.  Wenn  Matthiä  entgegnet :  Hygini  narratio  non  satis  cum  eo 
quod  est  apud  Aristotelem  consentit :  nam  secundum  Aristotelem  Zethus 
matrera  ix6i66pccL  ^xs^lei,  secundum  Hyginum  traditam  iam  consecuti  filii 
eripueruntj  so  bedeutet  der  Einwand  nichts.  Wenn  der  Bruder  Antiope 
ausliefert,  sie  aber  vor  ihrem  Tode  wieder  befreit,  so  kann  immerhin 
Aristoteles  in  seiner  kurzen  Weise  sich  so  ausdrücken  wie  er  sich  aus- 
drückt, da  die  Sache  sich  gleich  bleibt. 

2)  Von  Härtung  p.  426  verbunden. 


WecJclein:  lieber  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.     181 

Diese  Worte  ruft  Dirke  ihreai  bacchischeu  Schwärme  zu. 
Dem  Hirten  scheint  fr.  X  nonne  hinc  vos  propere  a 
stabulis  amolimini?  anzugehören  in  dem  Sinne  einer  Auf- 
forderung an  die  beiden  Pflegesöhne,  schleunigst  sich  auf- 
zumachen und  der  Mutter  nachzueilen^). 

Aus  dem  Bericht  von  der  Bestrafung  der  Dirke  ist 
erhalten  fr.  222,  Pacuv.  fr.  IX  und  XV.  Der  Bote  kann 
am  Anfang  oder  vielmehr  am  Schlüsse  seines  Berichts 
fr.  223  sprechen.  Aus  dem  folgenden  Chorgesang  stammt 
fr.  224: 

XQOVLOQ '  all'  oficog  vnorceoovö'  elad^ev, 
OTav  eyrrj  tlv^  doeßrj  ßQOTcov^). 

Bei  Pacuvius  (fr.  XIII)  begrüsst  Antiope  ihre  Söhne  mit 
salvete,  gemini,  mea  propages  sanguinis ;  allein  über  die  Ausge- 
staltung dieser  Scene  lässt  sich  nichts  bestimmtes  sagen; 
ebenso  v^^enig  über  das  Auftreten  des  Lykus  und  den  Plan 
ihn  zu  ermorden.  Nur  das  Schol.  zu  Apoll.  Rh.  1090  zrjv 
de  ^iQyiTjv  6^  ayqiov  zavQOv  TrQOoSrjGavTeg  diacpdeiQOvOL ' 
(ÄetaTtefÄipajiievot  de  rov  ^vxov  wg  eKÖwoovreg  rrjv  ^vziOTtrjv 
GcpaTTEiv  SfxelloVy  ^EQiLirig  de  excolvoe,  tcü  yivy.cü  ös  jvQOoha^ev 
TtaQaxcoQ^oai  z^g  ßaGiXelag  auzolg  wirft  ein  Licht  darauf 
und  lässt  uns  eine  durchaus  dramatische  Erfindung  erkennen  ; 
Lykus  geht  hier  auf  ähnliche  Weise  in  sein  Verderben  wie 
Lykus  im  Herakles ;  es  ist  eine  TteQiTvheia  nach  Aristotelischer 
Definition:  Lykus  kommt  in  der  Absicht  zu  tödten  dahin 
wo  er  seinen  Tod  finden  soll.  Dem  Einhalt  gebietenden 
Hermes   gehört    das   von  Nauck    aus  einem  Bruchstück  des 


1)  Ganz  anders  versteht  Härtung  S.  425  die  Worte  und  verbindet 
sie  ohne  das  verschiedene  Versmass  zu  beachten  mit  fr.  IX  minitabili- 
terque  increpare  dictis  saevis  incipit. 

2)  Der  Sinn  der  Stelle  ist  nicht  klar  und  der  Text  nicht  in  Ord- 
nung. Vielleicht  ots  fj,€re^x^^^^  ^''^'  äasßij  ßgoxiov. 


182      Sitzung  der  pliilos.-phüol.  Classe  vom  3.  November  187 8. 

Komikers  Eiibulos  gewonnene  und  mit  Recht  liielier  ge- 
setzte fr.  225  an: 

Ztj^ov  fxev  sld-ovS-^  ayvov  ig  Qiqßrjg  jcidov 

xXsivdg  ^4d-rjvag  sxTteQav  ^}.iq)lova^). 

Wenn  das  Fragment  nicht  ganz  mit  den  Worten  des 
Hygin :  Lycum  cum  occidere  velleut,  vetuit  eos  Mercurius 
et  simul  iussit  Lycum  concedere  reguum  Amphioni  über- 
einstimmt, so  hatte  der  römische  Dichter  keinen  Grund 
Athen  hereinzuziehen  und  gestaltete  die  Sache  einfacher. 

So  übersehen  wir  im  Allgemeinen  den  Gang  und  die 
Motive  der  Handlung,  wenn  uns  auch  Einzelnes  in  der 
Anlage  unbekannt  bleibt.  Um  so  überraschender  ist  es,  dass 
fünf  Fragmente  und  zwar  solche ,  welche  nicht  allgemeine 
Gedanken  enthalten,  so  dass  sie  zu  jedem  Stück  und  jeder 
Stelle  passen ,  sondern  bestimmte  Motive  bringen ,  in  der 
Antiope  nicht  untergebracht  werden  können.  Es  sind  das 
zuerst  folgende  vier: 

211  el  vovg  eveoTLV  el  öe  fiiq^  tl  6 et  xaX^g 
yvvai%6g^  el  ^ri  Tag  (pqivag  xQT^iOzag  eyoi ; 

212  Tiögog  de  jravcwv  %al  yaq  e%  '/,aXki6vo)v 
XexTQOLg  £71^  aloxqdlg  eidov  eyiTteTcXriy^evovg, 
daiTog  de  TtXrjQCo&elg  Tig  aofxevog  naXtv 
cpav'kri  ÖLaiTiß  TtQooßaXwv  rjod^t]  orof^a. 

213  x^Sog  xax^'  amov  %6v  oocpov  yiTcco&ai  xQSCov. 

214  ^äöt  ö'  ayyeXXco  ßqoTÖlg 
eo&lcüv  an    dvÖQcov  evyevrj  oneiqeLV  T€xva^). 

Antiope    war  allerdings    schön;    allein    ihre   Schönheit 


1)  Wahrscheinlich  ist  nach  olxslv  xtlevco  eine  Lücke  anzusetzen, 
worin  der  Grund  angegeben  war,  wie  Eubulos  eine  lächerliche  Begrün- 
dung folgen  lässt. 

2j  Für  Eod-liov  un^  kvSqcov  muss  es,  wie  ich  Stud.  z.  Eurip. 
S.  421  bemerkt  habe,  iad-lwv  «ti'  u16x(üp  heissen. 


WecJclein:  lieber  drei  verlorene  Tragödien  des  Etiripides.     183 

bildet  keiu  Motiv  der  dramatischen  Handlung;  nicht  um 
ihrer  Schönheit  willen  will  Amphion  sie  aufnehmen.  Und 
wer  kann  von  Antiope  sagen,  dass  sie  ein  schönes  Weib 
ohne  Verstand  sei?  In  welcher  Beziehung  könnte  dieses 
gelten  ?  Ein  Kreon  kann  dergleichen  von  Antigone  be- 
haupten;  der  Antiope  aber  kann  es  Dirke  nicht  vorwerfen. 
Das  zweite  der  angeführten  Fragmente  soll  nach  Valcke- 
naer's  Ansicht  Antiope  sprechen  als  Erwiderung  auf  den 
Einwand  des  Amphion  ovös  yccQ  Xdd^Qq  6oy,cü . . .  goI  Zrjv^ 
ig  evvriv  Sotueq  avd-qcojtov  (xoXelv.  Mit  Recht  bemerkt  da- 
gegen Matthiae :  mihi  vero  mirum  videretur  ullam  unquam 
mulierem  tarn  sui  dissimilem  fuisse,  ut  deum  vel  hominem 
e  potentioribus  aliquem  suos  amplexus  expetiisse  satietate 
aliarum  mulierum  etiam  pulchriorum  captum  diceret.  Mat- 
thiae will  die  Worte  dem  Hirten  zuweisen,  der  damit  die 
Zweifel  des  Amphion  zu  beschwichtigen  suche.  Es  stünde 
schlecht  um  die  Wahrscheinlichkeit  der  Erkennung,  wenn 
sie  in  solcher  Weise  erörtert  und  bewiesen  werden  müsste. 
0.  Jahn  gibt  fr.  211.  212  der  im  Festschmuck  der  Antiope 
gegenüberstehenden  Dirke:  wer  verschmäht  die  Schönheit 
der  Dirke  (koqoq  di  TtavTcov)  oder  soll  sie  verschmähen  ? 
Auf  die  Gedanken  Hartung's  p.  422  brauchen  wir  gar  nicht 
einzugehen,  da  sie  theils  auf  keiner  lieber  lief  er  ung,  theils 
auf  falscher  Lesart  beruhen  und  trotzdem  für  fr.  212  keine 
passende  Stelle  gewinnen*).  Zu  fr.  214  bemerkt  Matthiä : 
verba  videntur    esse  Antiopae,    sese    filiorum    ope   servituti 

1)  Doch  hat  Ribbeck  S.  289  durch  eine  ähnliche  Gedankenver- 
bindung dieses  Bruchstück  mit  fr.  196  in  Zusammenhang  zu  bringen 
gesucht.  Aber  der  Wechsel  von  Glück  und  Unglück  im  Leben  u.  die 
Unsicherheit  der  Glücksgüter  (vgl.  fr.  197  u.  Pacuv.  fr.  VIII)  ist  ein  ganz 
anderes  Thema  als  der  Gedanke,  dass  der  Mensch  auch  den  Genuss  des 
schönsten  und  besten  satt  bekomme.  Dieser  Gedanke  hat  keine  Stelle 
in  der  Rede  des  Amphion,  wohl  aber  jener,  wie  sehr  deutlich  der  Schluss 
von  fr.  196  zeigt:    rt  <5^t'  cV   oA^w  ^utj  aa^el  ßeßrpcoteg   ov   ^w^ey  cos 


184     Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  2.  November  1878. 

ereptam  gratulantis;  er  nimmt  dazu  auch  fr.  213  und  211. 
Sollen  alle  sterblichen  Frauen  sich  mit  Zeus  vermählen  und 
kann  eo^Xcov  djt''  dvögiov  sich  auf  Zeus  beziehen?  Soll  die 
Verbindung  mit  Zeus  ein  Krjöog  Kad''  avxov  sein?  Alle 
diese  vergeblichen  Versuche  für  Fragmente  so  ausgeprägten 
und  begrenzten  Inhalts  irgend  einen  möglichen  Platz  zu 
finden,  lassen  deutlich  erkennen,  dass  überhaupt  für  sie  im 
Stücke  kein  Raum  ist. 

Das  fünfte  der  fi-aglichen  Bruchstücke  ist  fr.  219: 
TQELg  eloLv  (xQSTai,  Tag  xqecüv  a'  doKSiv,  zeKvov, 
d-fiovg  re  tl^iclv  lovg  xe  d^qixpav'rag  yovrjg 
vofxovg  TS  Koivovg  ^EXXadog '  %al  rama  öqwv 
yidlXiGTOv  £^£ig  orecpavov  EvyiXslag  dal. 
Matthiä    bemerkt:    videntur    esse    verba    Antiopes    ad    Ze- 
thum;    nam  Amphioni    hoc    praecipi  vix  opus  erat.     Allein 
auch   Zethos   hat ,    sobald    er    seine   Mutter    erkannt ,    seine 
Elternliebe  bewiesen.      Und  v^^enn  er  seine  Mutter,    weil  er 
sie  nicht  kennt  und  für  eine  flüchtige  Sklavin  ansieht,    ab- 
v^eist,    braucht    er    desshalb    nicht    über    die    Pflichten    der 
Elternliebe  belehrt  zu  werden.  Welcker  gibt  mit  Heyne  die 
Worte   dem  Hirten:    ,, rührend   ist  es,    wie  der   alte    Hirte 
zum  letzten  Mal  jedem  Einzelnen  wahrscheinlich  väterliche 
Lehren  gibt.''     Warum  der  Hirte  jene  Lehren  nicht  beiden 
zugleich  geben  soll,    dürfte  kaum  ersichtlich  sein;   die  un- 
wahrscheinliche Annahme    ist   nur  wegen    des  Singulars  ös 
rsKvov  gemacht,    welcher   deutlich    zeigt,    dass    die  Ansicht 
von  vornherein  unrichtig  ist.   0.  Jahn  weiss  nichts  rechtes 
mit  den  Worten  anzufangen^).     Es  fehlt   eben  dem  Stücke 
sowohl    die   Person,    welche    als  Vater    oder    in  väterlicher 
Weise  einem  Jüngeren  solche  Ermahnungen  gibt,    als  auch 
die  geeignete  Situation. 


1)  Ribbeck  S.  300  denkt  sogar  an  den  deus  ex  machina  am  Schluss, 
lässt  jedoch  auch  den  Abschied  nehmenden  PÜegevater  gelten. 


Wecklein:   Ueher  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.     185 

Wir  werden  hiernacli  berechtigt  sein  diese  fünf  Bruch- 
stücke einem  anderen  Drama  des  Euripides  zu  vindicieren. 
Sie  stehen  alle  fünf  in  dem  Florilegium  des  Stobaeus;  das 
fünfte  wird  auch  sonst  häufig  citiert :  aber  der  Name  des 
Stücks  ist  nur  bei  Stobaeus  angegeben.  Bei  demselben  steht 
auch  fr.  215 : 

ov  xQiq  noT  avöqa  dovXov  ovx'  sJ.evd'iqaq 
yvwfiaQ  Sicjxeiv  ovS'  eg  aqyiav  ßXeTzeiv. 
Die  Handschriften  M  Vind.  geben  EvqiTtlöov  ^AvriOTtiß^ 
A  dagegen  Evqctclöov  ^ÄvTLyovrj.  Gaisford  hat  bereits  dieses 
Fragment  der  Antigone  zugewiesen.  Wir  glauben,  mit  Recht. 
Es  ist  in  der  Antiope  zwar  von  der  Sklaverei  der  Antiope 
die  Rede  und  Nauck  hat  das  Fragment  mit  den  betreflPenden 
216  und  217  zusammengestellt.  Allein  schon  avöqa  SovXov 
verbietet  die  Worte  auf  Antiope  zu  beziehen.  Bei  eXsvd^iqag 
yvco/.iag  und  ccgyla  läge  es  zunächst,  an  die  Philosophie  des 
Amphion  zu  denken,  und  Matthiä  bemerkt :  et  pastor  servus 
erat  et  Amphion  et  Zethus  pro  servis  edacati.  Allein  wenn 
Zethos  die  Worte  spräche,  so  würde  er  damit  ein  unwider- 
legliches Argument  geben  und  würde  der  Gegenrede  des 
Bruders  von  vornherein  allen  Grund  und  Boden  entziehen ; 
denn  ein  Sklave  hat  allerdings  keine  Zeit  zu  wissenschaft- 
lichen Beschäftigungen.  Ueberhaupt  wird  der  Dichter  sich 
gehütet  haben  bei  dem  Hirten  wie  bei  Amphion  und  Zethos 
die  Knechtschaft  in  den  Vordergrund  zu  stellen.  Doch  wie 
das  auch  immer  sich  verhalten  mag^),  das  Schwanken  der 
Handschriften  zwischen  Antiope  und  Antigone  ist  für  uns 
ein  Fingerzeig,  wohin  wir  jene  fünf  Fragmente  zu  setzen 
haben.  Die  Leichtigkeit  der  Yerwechslung  von  ^vtiottt] 
und  Idvriyoviq  lehrt  auch  das  Tragödienverzeichniss  der 
Euripidesstatue    der   Villa  Albani,    wo   sich    der    Steinmetz 


1)    Es  lässt   sieb  ja  immerhin    die  Möglichkeit  denken,    dass  der 
Hirte  im  Prolog-  etwaige  Reflexionen  damit  abgebrochen  habe. 


186      Sitzung  der  phüos.-phüol.  Glasse  vom  2.  November  1878. 

oder  seine  Vorlage  den  gleichen  Fehler  hat  zu  Schulden 
kommen  lassen.  Zu  fr.  213  bemerkt  schon  Nauck:  in  lem- 
mate  fortasse  IdvTLyovrj  scribendum.  Bei  fr.  211  erhält  unsere 
Ansicht  eine  überraschende  Bestätigung  dadurch,  dass  wie 
wir  unten  sehen  werden,  die  Verbindung  desselben  mit 
einem  Bruchstück  der  Antigone  diesem  letzteren  erst  Ver- 
ständniss  bringt.  Bei  fr.  219  endlich  ist  zu  bemerken, 
dass  nur  die  Ausgabe  von  Trincavelli  EvQiTtiöov  ^^vTiOTtrj 
bietet,  während  die  Handschriften  A  M  EvQCTtlörjg  "Hqa- 
xleldatg  haben.  Ferner  muss  man  beachten,  dass  die  Euri- 
pideische  Antigone  öfter  auf  die  des  Sophokles  Rücksicht 
nimmt  und  mehrfache  Beziehungen  zu  ihr  hat.  Wenn  nun 
Kreon  fr.  219  spricht,  so  werden  jene  Ermahnungen  von  der 
geeignetsten  Persönlichkeit  gegeben  und  es  tritt  auch  jener  Scene 
der  Sophokleischen  Antigone  wo  Kreon  den  Gehorsam  seines 
Sohnes  belobt,  eine  ähnliche  Scene  der  Euripideischen  An- 
tigone gegenüber.  Wie  leicht  überhaupt  die  Namen  der 
Tragödien  von  gleichen  Anfangsbuchstaben  bei  Stobaeus 
vertauscht  wurden,  lehrt  fr.  154,  von  dem  nicht  nur  die 
Anrede  K^iov  ^  sondern  auch  ganz  entschieden  der  Inhalt 
die  Zugehörigkeit  zur  Antigone  erweist ,  so  dass  es  als  un- 
methodisch erscheint  durch  Beseitigung  von  Kqeov  das 
Lemma  Lävöqoixeöag  zu  retten. 


2.  Antigone. 

Die  Annahme  Welcker's  (S.  566),  dass  Hygin  fab.  72 
den  wesentlichen  Inhalt  der  Euripideischen  Antigone  wie- 
dergebe, ist  von  Härtung  besonders  mit  der  Bemerkung  ab- 
gewiesen worden,  dass  nach  fr.  176  der  Leichnam  des  Poly- 
neikes  noch  unbeerdigt  daliegt,  während  nach  Hygin  schon 
eine  Reihe  von  Jahren  seit  der  Zeit  vergangen  sein  muss. 
Die  Annahme  musste  schon  an  der  Unmöglichkeit  scheitern. 


WecJclein:  Üeher  drei  oerlorene  Tragödien  des  JEuripides.     187 

die  durch  fr.  177  bezeugte  Erscheinung  des  Dionysos  unter- 
zubringen. Natürlich  kann,  wie  bereits  Böckh  bemerkt  hat, 
Dionysos  nur  die  Rolle  eines  deus  ex  machina  haben;  denn 
wenn  er  den  Prolog  sprechen  und  darin  vorbringen  sollte, 
dass  er  den  Thebanern  die  Sphinx  geschickt  habe  (fr.  178), 
so  könnte  er  nicht  mit  riv  OlöiTCovg  to  tcqlotov  evdaljAcov 
avujQ,  was  wir  als  Anfang  kennen  (fr.  157),  anheben,  son- 
dern müsste  sich  erst  wie  Hermes  im  Jon,  Aphrodite  im 
Hippolytos,  Dionysos  in  den  Bacchen  vorstellen;  noch^we- 
niger  aber  wäre  die  Erwiderung  w  Ttal  zJuovTqg,  log  eq)vg 
l^ieyag  -d'eog,  JiovvGe,  d^vrjToig  t'  ovöaf,icüg  vjioGxaxog  denkbar  *). 
Wenn  aber  schon  Herakles  aufgetreten ,  kann  nicht  zum 
Schluss  Dionysos  noch  als  deus  ex  machina  erscheinen, 
zumal  wenn  Hämon  und  Antigone  bereits  todt  sind.  Ueber- 
dies  lässt  sich  die  bestimmte  Angabe  in  der  Hypothesis  der 
Sophokleischen  Antigone,  weiche  von  Aristophanes  von  By- 
zanz  herrührt,  xelTai  tJ  (.ivdoTtoda  Kai  itaqd  EvqlttIöt]  ev 
^Avnyovri '  Ttlrlv  ixel  q)coQa^eliGa  ^ezd  tov  ^i/^iovog  dlSoxaL 
jCQog  ydi^iov  ycoivcovlav  Kai  tskvov  tIkt£l  tov  Malova^)  mit 
der  Fabel  des  Hygin  nur  auf  gewaltsame  Weise  vereinigen. 
Es  kann  bei  unbefangener  Erklärung  q)CüQad^elGa  f^ierd  tov 
^ifA,ovog  nur  auf  die  Bestattung  des  Polyneikes  bezogen 
und  als  derjenige,  dem  Antigone  zur  Gemahlin  gegeben 
wird,  nur  Hämon  verstanden  werden.  Man  hat  sich  über 
die  eigenthümliche  Verbindung  der  Handlungen  in  jener 
Angabe   gewundert;     man    hat   daraus    auf  eine    möglichst 


1)  Den  Sinn  der  Worte  scheint  Kibbeck  a.  0.  S.  487  wenig  zu 
berücksichtigen,  wenn  er  meint,  es  scheine  damit  Jemand  im  Prolog 
den  Dionysos  als  den  Urheber  alles  Unheils  zu  bezeichnen. 

2)  So  Nauck  nach  Hom.  J  394  Malwv  Ai^ovi6rig  für  Jl'fxova 
(Laur.),  Mat^ova  (am  Rande  des  Laur.  von  alter  Hand),  Mcci(j,ova 
(Par.  A).  —  Aehnlich  ist  die  Angabe  des  Schol.  zum  Schluss:  otl 
(d.  i.  to  /  o'Cc)  öia(pi()hi  rrig  EvQintöov  'Avriyovrig  avtr],  otc  (p(üQa^€vacc 
ix-fifti  Su}  TOV  AXfxovog  equotu  s^eSo^rj  n^og  ydfxor. 


188     Sitzung  der  phüos.-phüol  Classe  vom  2.  November  1878. 

grosse  Aehnlichkeit  der  Stücke  schliessen  zu  dürfen  geglaubt; 
allerdings  erweckt  sie  diesen  Eindruck ;  man  muss  aber  er- 
kennen ,  dass  Aristophanes  der  Aristotelischen  Theorie  fol- 
gend die  abweichende  Art  der  tcXo-üti  ^^^^  'kvoug  kenn- 
zeichnet^) ,  wobei  man  an  die  freilich  nicht  ganz  klaren 
Worte  des  Aristoteles  Poet.  c.  18  p.  1456  a  7  dUaiov  de 
Kai  TQaycüölav  ccllrjv  xal  xrjv  avTrjv  Xkyuv  ovöbv  Yacog  t(^ 
/uvd^oj'  Tovro  de,  cov  rj  avTiij  7cXoKri  ^^^  ^voig  denken  muss. 
Euripides  hat  die  ^cXoktJ  und  Xtoig  geändert  nnd  so, 
das  will  Aristophanes  sagen ,  eine  wesentlich  verschiedene 
Tragödie  geschaffen.  Damit  muss  erst  recht  aller  Zweifel 
schwinden  und  die  etwaige  Annahme,  als  ob  alles  was  von 
der  Fabel  des  Hygin  abweicht  in  den  Prolog  gesetzt  werden 
könnte,  als  unmöglich  erscheinen.  Nach  Hygin  besorgt  An- 
tigone  die  Bestattung  mit  der  Wittwe  des  Polyneikes  Argia, 
was  offenbar  eine  gesuchte  Neuerung  ist,  nachdem  Euripides 
der  Antigone  ihren  Verlobten  zugesellt.  Welcker  bemerkt: 
,,bei  Hygin  übergibt  Kreon  Antigone  dem  Hämon,  um  seine 
eigene  Verlobte  selbst  vom  Leben  zum  Tode  zu  bringen, 
ganz  angemessen  seiner  bekannten  Härte  und  Grausamkeit 
und  nach  einer  ächten,  altgriechischen  Königslaune.  Denn 
so  schickt  auch  Hipponoos  seine  Tochter  Periböa  zu  ihrem 
Liebhaber  Oeneus    um    sie   zu  tödten^)."     Ein  solches  Ver- 


1)  Nicht  ganz  richtig  bemerkt  also  ßibbeck  S.  486,  Aristophanes 
sage  über  den  eigentlichen  Gang  der  dramatischen  Handlung  bei  Euri- 
pides nichts. 

2)  Das  Beispiel  ist  unrichtig.  Apollod.  I  8,  4  muss  anders  ver- 
standen werden:  Die  Art  wie  Oeneus  Periboia,  die  Tochter  des  Hippo- 
noos, zur  Gemahlin  erhielt,  wurde  verschieden  angegeben.  Nach  der 
Thebais  soll  er  sie  bei  einem  Kriege  gegen  Olenos  als  Ehrengeschenk 
erhalten ,  nach  Hesiod  soll  der  Vater  der  Periboia ,  wie  er  fand ,  dass 
seine  Tochter  von  Hippostratus  schwanger  sei,  sie  zu  Oeneus  geschickt 
haben  um  sie  zu  tödten.  Andere  wieder  behaupten,  dass  Hipponoos, 
als  er  bemerkte,  dass  Periboia  von  Oeneus  geschwängert  sei,  dieselbe  in 
diesem  Zustande  zu  Oeneus  geschickt  habe,  -  nicht  aber  um  sie  zu 
tödten,  sondern  um  sie  als  Frau  zu  behalten. 


WecMein:   Ueher  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.     189 

fahren  des  Kreon  Hesse  sich  nur  denken,  wenn  Kreon  irr- 
thümlicher  Weise  bei  seinem  Sohne  einen  gleichen  Unwillen 
über  die  Verletzung  des  köuiglichen  Gebotes  voraussetzte, 
lässt  sich  aber  psychologisch  nicht  rechtfertigen,  wenn 
Hämon  bei  der  That  der  Antigone  betheiligt  und  mitschul- 
dig ist.  Für  die  Annahme  Welcker's  spricht  nur  fr.  166 
(Stob.  fl.  90,   1): 

TO  jucüQOv  avTi^  Tov  TtaTQog  voorifx  svl  ' 
cptXet  ycLQ  ovccog  sk  ytaKiov  eivai  xaxovg. 
Wenn  die  Lesart  avT(^  richtig  ist,  so  muss  von  einem 
Sohn  Hämons  die  Rede  sein,  wie  es  der  Fabel  des  Hygin 
entspricht.  Es  dürfte  aber  kaum  auf  der  griechischen  Bühne 
ein  Knabe  eine  solche  Rolle  spielen,  dass  ein  Ausspruch 
der  Art  gegen  ihn  gerechtfertigt  wäre.  Ferner  lehrt  die 
Beziehung  auf  Soph.  Ant.  471  drjlol  to  ysvvrjfj.''  cü(.icv  e^ 
cofiov  TtaxQog  rijg  TtaiSog,  welche  ebenso  hervortritt  wie  die 
von  fr.  165  auf  Ant.  563,  dass  Oedipus  unter  dem  Yater 
zu  verstehen  ist.  Die  Emendation  von  Süvern  avxfi  ist 
darum  unbedenklich  und  nothwendig.  Ausserdem  fügen  sich 
fr.   168  und  161: 

ovo^aTi  (.lE^TCTOv  xo  vodov,  1^  cpvOig  d'  Yöyj  ' 
rjQOJv '  TO  jualveGd^ai  (5'  ccq^  tjv  egtog  ßgorolg 
sehr  gut  in  die  Anordnung  von  Welcker,    werden  sich  aber 
auch  einer  anderen  Hypothesis  einreihen  lassen. 

Jedenfalls  geht  jene  Fabel  des  Hygin  auf  eine  dra- 
matische Bearbeitung  zurück.  Dies  geht  vornehmlich 
aus  zwei  Punkten  hervor.  Einmal  aus  der  bildlichen  Dar- 
stellung (auf  einer  rothfigurigen  Amphora  des  Museums 
Jatta  in  Ruvo),  welche  Heydemann  ,,über  eine  nacheuri- 
pideische  Antigone"  Berl.  1868  veröffentlicht  hat.  In  der 
Mitte  des  Bildes  tritt  aus  einem  Tempel  Herkules,  rechts 
davon  steht  Kreon ,  links  Antigone  die  Hände  auf  den 
Rücken  gebunden,  gehalten  von  einem  doQvcpoqog ^  hinter 
diesem  Hämon.  Hinter  Kreon  (rechts)  steht  ein  Knabe, 
[1878.  I.  Philos.-phüol.-hist.  Cl.  Bd.  II,  2.]  14 


190     Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  2.  November  1878. 

der  in  der  rechten  Hand  eine  Schale  drängt  ,  hinter 
ihm  eine  Frauengestalt,  in  der  Höhe  Ismene.  Herkules, 
Antigene,  Hämon,  Ismene  sind  durch  Inschriften  kenntlich 
gemacht.  In  der  älteren  Matronengestalt  erkennt  Heyde- 
mann  mit  Recht  die  Mutter  des  Hämon  Eurydice.  Der 
Knabe  muss  wohl  als  Sohn  des  Hämon  Mäon  betrachtet 
werden,  der  ja  gewissermassen  das  corpus  delicti  in  dem 
augenblicklichen  Streite  bildet.  ,,Die  oben  rechts  und  links 
vom  Tempel  aufgehängten  Pateren  und  langen  Tänien  sind 
sicher  als  Andeutungen  der  aufgeputzten  Bühnenhinter- 
wand  aufzufassen."  Das  sicherste  Kennzeichen  aber  für  die 
dramatische  Quelle  jener  Fabel  erblicken  wir  in  den  Worten  : 
hunc  Creon  rex,  quod  ex  draconteo  genere  omnes  in  cor- 
pore insigne  habebant,  cognovit.  Denn  daraus  erkennt  man 
deutlich,  dass  die  neue  Gestalt  der  Sage  für  die  dramatischen 
Zwecke  der  avayvajQioig  erfunden  ist.  Wie  die  modernen 
Dichter  zu  ihrem  Stoff  eine  Liebe  erfinden,  so  brauchte 
der  spätere  griechische  Tragiker  eine  Erkennung.  Zufällig 
haben  sich  noch  die  Worte,  welche  jene  Erkennung  be- 
treffen ,  erhalten ,  Arist.  Poet.  c.  1 6  Anf. ,  wo  mit  Xoyyriv 
riv  q)OQOvai  yrjyevslg'^)  ein  Beispiel  für  die  Erkennung  von 
Körpermalen  angegeben  wird. 

Mit  Recht  hat  also  Heydemann  in  der  Fabel  des  Hygin 
den  Stoff  einer  nacheuripideischen  Antigone  erkannt.  Wir 
wagen  den  Verfasser  derselben  zu  bestimmen.  Aristoteles 
citirt  die  Worte  ohne  Angabe  des  Dichters  und  der  Dichtung 
wider  seine  Gewohnheit ;  wir  denken ,  nach  dem  Tadel, 
welchen  er  vorher  über  solche  Erkennungszeichen  ausge- 
sprochen, wollte  er  den  Namen  seines  Freundes  Theodektes 
verschweigen.     Allein    damit  ist  nichts  erwiesen.     Das  ent- 

1)  Dieser  Ausgang  des  Triraeters  genügte  Aristoteles  zur  Bezeich- 
nung der  Sache ;  der  Dichter  hat  sicher  geschrieben  ^oyzv^  ' '  yrjyiy^is  \ 
anaQToi  vgl.  Eur.  Phoen.  940  xQvaonijXTjXce  aza/vy  anaQxujv  und  die 
bei  Nauck  tr.  gr.  fr.  p.  662  angeführten  Stellen. 


Wecklein:  lieber  drei  verlorene  Tragödien  des  JEuripides.     191 

scheidende  ist  die  auffallende  Aehnlichkeit  dieser  Antigene 
und  des  Lynkeus  von  Theodektes,  die  auch  Welcker  (p.  1077) 
nicht  entgangen  ist.  Hypermnestra  tödtet  ihren  Bräu- 
tigam Lynkeus  nicht ,  wie  ihr  befohlen  worden ,  sondern 
hält  ihn  geheim ;  die  Frucht  ihrer  geheimen  Ehe ,  der 
Knabe  Abas,  wird  entdeckt  und  verräth  den  ungehorsam 
der  Tochter  (Aristofc.  Poet.  c.  18.  1455  b  29  u.  c.  11.  1452  a 
27J.  Hämon  soll  seine  Braut  Antigone  tödten,  tödtet  sie 
aber  nicht,  sondern  hält  sie  bei  Hirten  versteckt;  der 
Knabe,  der  aus  der  heimlichen  Ehe  entsprossen  ist,  verräth 
den  Ungehorsam  des  Sohnes.  Wir  denken,  wenn  eine  Sage 
in  ziemlich  willkürlicher  Weise  so  auffallend  nach  einer 
anderen  umgemodelt  ist,  den  gleichen  Dichter  erkennen  zu 
müssen.  Dies  um  so  mehr ,  da  die  Gleichzeitigkeit  der 
beiden  Dichtungen  sich  aus  folgender  Erwägung  ergibt. 
Welcker  sah  natürlich  in  der  Euripideischen  Antigone  das 
Original,  in  dem  Lynkeus  die  Copie.  Die  Verschonung  des 
Lynkeus  wider  den  Befehl  des  Danaos  war  bereits  durch 
die  Sage  gegeben ;  die  Verschonung  der  Antigone  nicht. 
Eine  solche  Bearbeitung  der  Autigonesage  war  ohne  das 
Vorbild  der  Danaidensage  kaum  möglich.  Folglich  erscheint 
der  Lynkeus  als  Original,  die  Antigone  als  Nachahmung. 
Der  Lynkeus  wurde  zur  Zeit  des  Aristoteles  gedichtet;  da- 
mals war  aber  auch  schon  die  Antigone  vorhanden ,  wie 
das  Citat  ^oyxrjv  .  .  yrjyeveiQ  zeigt;  diese  fällt  also  in  die- 
selbe Zeit  wie  das  Original.  Welcker  rechriet  nach,  dass 
Theodektes  fast  in  jedem  Jahre  eine  Tetralogie  geschrieben 
haben  müsse ;  die  schnelle  Art  des  Arbeitens  wird  solches 
Sichselbstabschreiben  sehr  begreiflich  erscheinen  lassen. 

In  Betreff  des  Inhalts  der  Euripideischen  Antigone  er- 
gibt sich  aus  jener  Notiz  des  Aristophanes  von  Byzanz  und 
dem  Schol.  zu  Ant.  1350  nur  das  wenige,  dass  Antigone 
die  Hilfe,  die  sie  bei  Sophokles  von  Ismene  vergeblich  for- 
dert, von  Hämon  wirklich  erhält,    dass   also    de-  iiQcog    des 

14* 


192     Sitz^mg  der  pliüos.-pJiÜol.  Glasse  vom  2.  November  1878. 

Liebenden  mächtiger  ist  als  die  q)iXia  der  Schwester;  dann, 
dass  durch  das  Dazwischentreten  des  Dionysos  der  unglück- 
liche Ausgang  in  einen  glücklichen  verwandelt  wird,  indem 
Hämon  Antigone  zur  Gattin  erhält.  In  die  Rede  des  Dio- 
nysos passt  trefflich  fr.   176 

^avaTog  yccq  ccv^qcoicoigi  vecxeiov  riXog  eyet  ytre. 
Welcker  hält  es  für  ungereimt,  Nachkommenschaft  pro- 
phezeien zu  lassen,  da  solche  von  einem  jungen  Paare  von 
selbst  zu  erwarten  sei.  Allein  es  ist  nicht  ungereimt,  wenn 
Dionysos  anordnet ,  dass  der  Sohn ,  welcher  aus  der  Ehe 
hervorgehen  werde,  den  Namen  Mäon  erhalte,  und  wenn 
zugleich  in  echt  Euripideischer  Weise  dieser  Name  von 
(.laieo^ai  abgeleitet  und  mit  der  Liebe  des  Hämon  zur  An- 
tigone erklärt  wird. 

Was  den  weiteren  Gegenstand  der  Handlung  be- 
trifft, so  muss  zunächst  Antigone  den  Hämon  bestimmt 
haben  an  der  Bestattung  Theil  zu  nehmen.  Diese  Scene 
muss  aus  leicht  begreiflichen  Gründen  vor  das  Auf- 
treten des  Chors  verlegt  werden.  Antigone  spricht  also 
den  Prolog,  von  dem  noch  zwei  Verse  (fr.  157,  158)  er- 
halten sind.  Pr.  159  eTtl  xqvOBOvcoxov  aOTcida  rav  KaTtavicog 
erinnert  an  die  Parodos  der  Antigone,  so  dass  uns  schon 
zum  dritten  oder  vierten  Mal  Beziehungen  auf  die  Antigone 
des  Sophokles  entgegen  treten.  Man  wird  also  darin  gleich- 
falls ein  Bruchstück  der  Parodos  erkennen.  Nun  aber  fragt 
es  sich,  wie  der  weitere  Theil  bis  zur  Entdeckung  der  Be- 
stattung dramatisches  Leben  erhalten  habe.  Bei  Sophokles 
erfolgt  eine  überraschende  Wendung  damit,  dass  Kreon 
hinter  der  Bestattung  der  Leiche  eine  Haupt-  und  Staats- 
action  vermuthet  und  an  seinen  politischen  Gegnern  ein 
Exempel  zu  statuieren  gedenkt,  nachher  aber  ein  schwaches 
Mädchen,  ein  Mitglied  seiner  eigenen  Familie  als  Thäterin 
entdeckt.  Da  bei  Euripides  Hämon  an  der  Bestattung  Theil 
nimmt,  so  entsteht  eine  überraschende  Wendung,    wenn  in 


WecMein:  Ueher  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.     193 

diesem  Bunde  das  Gegentheil  von  dem  zu  Tage  tritt,  was 
vorher  erwartet  oder  gefürchtet  wurde.  Und  wirklich  finden 
wir  ein  deutliches  Anzeichen  dessen  in  fr.   160 

vioi  vioLöi  övvvoöovöL  xacpavrj. 
Es   sind   geheime  Zusammenkünfte    der    Antigone    entdeckt 
worden ,    wie    eine    solche    in    der    vorhergehenden    Scene 
den  Zuschauern  vorgeführt  worden  ist.     Was   kann  in  den 
Augen    des    Kreon    anders    der    Grund    sein    als    geheimer 
Genuss  der  Liebe?     Darauf   und  auf  die  Absicht,    Hämon's 
Umgang  sorgfältig  zu  überwachen,  weist  fr.  162  hin: 
dvdQog  d'  OQCovTog  elg  Kvtcqlv  veavlov 
dcpvXa%Tog  r^  TtjQijoig,  cog  kccv  (pavlog  jj 
Tall\  elg  sQcova  jtäg  ccptIq  Goq)CüTeQOg  * 
rjv  J'  ccTtOQog  fj  tco  Kvjtqig^  tJöiotov  Xaßelv^) 
,, Schwer    ist    ein   junger   Mann    zu    bewachen,    der    Genuss 
der  Liebe  im  Auge  hat ;   denn  mag  sonst  einer  aach  unbe- 
deutenden Geistes  sein,  wenn  es  sich  um  Liebe  handelt,  ist 
jedermann  scharfsinniger.  Und  wenn  dem  Genuss  Schwierig- 
keiten sich  in  den  Weg  stellen,  ist  der  Reiz  am  grössten." 
So  wird  denn  Kreon  enttäuscht  und  muss  aufs  höchste  ent- 
rüstet werden ,    wenn  er  erfährt,  dass  die  geheimen  Unter- 
redungen Hämons  und  Antigones  einen  ganz  anderen,  direkt 
gegen   ihn  gerichteten  Zweck    gehabt   haben.     Wir  müssen 
uns  begnügen ,    dieses  Motiv   erkannt   zu    haben ;    über   die 
weitere  Gestaltung    lassen    die  spärlichen  Bruchstücke  nicht 
viel  mehr  mit  Bestimmtheit  angeben.  Wenn  fr.  215,  wovon 
oben  S.   185  die  Rede  gewesen  ist,  in  die  Antigone  gesetzt 
werden  muss,  so  scheint  ein  alter  Diener  den  von  Kreon  gege- 
benen Auftrag,  den  Hämon  genau  zu  bewachen,  mit  fr.  162 
abzulehnen  und  die  Schwierigkeit  einen  Jüngling  in  solchen 
Dingen  zu  hüten  darzulegen ,    Kreon   aber  mit  fr.  215  ihn 
zurechtzuweisen.     Die  Liebe   bringt   den  Hämon   dazu    sich 

1)  iiv  6'  änoQog  fi  reo   habe  ich  im  N.  Rh.  Mus.  1878  S.  121  für 
das  sinnlose  ^V  <5'  cip  nQoa^rai  geschrieben. 


194     Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vorn  2.  November  1878. 

gegen  das  Staatsgebot  zu  vergehen;  die  Leidenschaft  der 
Liebe  wächst  an  Widerstand.  Auf  diesen  Widerstand  weist 
fr.  166  To  (J.OJQOV  avzy  xov  TtazQog  voorj^i^  evi  xt£  .  hin: 
Kreon*)  kann  eine  Ehe  mit  der  leidenschaftlichen  Antigone, 
welche  das  unbesonnene  Wesen  ihres  Vaters  geerbt  und 
überhaupt  aus  einer  gräulichen  Ehe  hervorgegangen,  nicht 
dulden  (vgl.  Soph.  Ant.  571  xaKccg  eyco  yvvamag  vUaiv 
öTvyco).  So  gewinnen  wir  das  Motiv  der  folgenden  Scene 
zwischen  Kreon  und  Hämon.  Kreon  beginnt  die  Scene 
ähnlich  wie  bei  Sophokles  mit  einer  eindringlichen  Er- 
mahnung fr.  219*)  (s.  oben  S.   184) 

xqeig  eloLv  agerai,  zag  yqecov  a'  doxeiv,  reKvov, 
deovg  ze  zi^äv  zovg  ze  d^Qeipavzag  yovrjg  %ze. 
Kreon    wird    seinem   Sohne    eine    seiner    besseren    Abstam- 
mung   und    seinem   guten  Sinne   entsprechende  Ehe  (KrjSog 
%ax^'  avzov  fr.  213)  anrathen.    Darauf  weist  fr.   164 

aqiozov  dvÖQL  Kzrj/^a  ov/LiTiad^rjg  yw-q 
hin,  wenn  anders  Nauck  richtig,  wie  es  scheint,  in  Stob, 
flor.  67,  13  f.  die  Lemmata  EvqltilSov  ^vziyovrj  und  '^Itttio- 
x^owvzog  vertauscht  hat.  Hieher  gehören  dann  die  oben  S.  182 
behandelten  Fragmente  211.  212.  213.  214.  Mit  212  gibt 
Kreon  seinem  Sohn  die  Lehre,  bei  der  Wahl  einer  Gattin 
nicht  auf  Schönheit  zu  sehen:  ,,Der  Reiz  der  Schönheit 
vergeht;  alles  wird  man  überdrüssig;  denn  manchen  Mann 
habe  ich  im  Besitze  von  noch  schöneren  Gattinnen  von  der 
Liebe  zu  hässlichen  Frauen  hingerissen  gesehen;  und  an 
üppiger  Tafel  übersättigt  hat  mancher  gern  wieder  mit 
gemeiner    Kost    vorlieb   genommen."    Demselben  Gedanken- 


1)  Dass  die  Worte  dem  Kreon,  nicht  wie  Soph.  Ant.  471  dem 
Chore  gehören,    geht  aus  dem  Ausdruck  ex  xaxMv  eii/ai  xajcovg  hervor. 

2)  Wie  hei  diesem  Fragment,  so  haben  auch  bei  fr.  848  Hand- 
schriften de?  Stobaeus  das  Lemma  Evq.  'Hqccxleiöojv.  Der  Inhalt  von 
fr.  848,  den  Gehorsam  gegen  die  Eltern  auf  das  ernstlichste  zu  Gemüthe 
führend,  passt  sehr  gut  für  unsere  Stelle, 


Wecldein:  Ueber  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.     195 

gang   gehört    211    an.     Mau    begreift    kaum,    wie   der  Ge- 
danke von  fr.   163 

dvÖQog  cpllov  de  XQvaog  djiia^lag  ^ixa 

axQrjOTog^  el  jurj  xdQeTrjv  e^tov  TvyOL . 
in  der  Antigene  eine  Stelle  finden  soll,  wenn  mau  nicht 
fr.  211  damit  verbindet.  So  aber  stehen,  wie  es  Soph.  Ant. 
650  heisst  iIwxqov  TtaQayKctXto^a  tovto  yiyveTai  yvvri  Kay,ri 
^vvEvvog  SV  SofÄOig'  tl  yccQ  yivoix^  av  ekxog  i,ieiC,ov  ij  cpiXog 
xaKog ;  beide  Fragmente  im  besten  Gedankenzusammenhang : 
„ein  schönes  Weib  ist  recht,  wenn  sie  Verstand  hat; 
Schönheit  aber  ohne  tugendhaften  Sinn  ist  unbrauchbar, 
wie  der  Reichthum  eines  Freundes  ohne  Verstand  unnütz 
ist."  Kreon  ermahnt  also  seinen  Sohn  bei  der  Wahl  einer 
Lebensgefährtin  wie  bei  der  Wahl  eines  Freundes  sich  nicht 
von  äusseren,  sondern  von  inneren  Vorzügen  bestimmen 
zu  lassen.  Die  Rede  konnte  zusammenfassend  schliesseu 
mit  214 

TVCcGL  J'  dyysXXco  ßgoTolg 

iod^lcov  djt^  akoyoiv  svyevrj  otceiqsiv  xiyiva^ 
worin    sowohl    sod^Xcov   cctv^    dXoycov   als   auch    evyevfj  tey.va 
ein  Punkt  ist,  welchem  Hämon  Widerspruch  entgegensetzt. 
Auf  das  erste  weist  fr.   167 

el  ydq  c^oxeT  gol  jiaTqdoi  nalöag  ely,evaL, 

xd  TtokXd  Tavxri '  yiyveTai  de  y,a/X7taXLV  ^) 
mit  Beziehung  auf  fr.  166  hin;  auf  das  andere  fr.  168 

ovo^axL  (xei^iTtTov  to  vod-ov,  rj  cpioig  S^  Xöyj' 
Hämon    und   Antigone  werden    bei  der  Bestattung  be- 
troffen und  vor  den  König  geführt.    Hämon  bezeichnet  die 
kritische  Lage  mit  fr.   169 

£7r'  dyiQav  rjzofxev  yQafXf.i7]v  xaMov  . 


1)  Der  Text  ist  sehr  unsicher:  el  yccQ  Soxsi  aou  hahe  ich  nach 
Nauck  (^  yuQ  6ox€i  aoi)  für  ij  yccQ  Sozrjatg  und  yCyyeTccc  di  xccf4,nakiy 
mit  Weil  für  yiyi^ercct  xEKva  niqi  geschrieben. 


196     Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  2.  November  1878. 

Man  könnte  glauben,  dass  auch  fr.   170 

ovii  SOTL  Tleid-ovg  \eqdv  aXXo  ttIi^v  Xoyog 
y,al  ßiüfxog  avTrjg  £(Tt'  sv  dvdqcojxov  cpvoei. 
von  Hämon  oder  Antigone  in  dieser  Situation  gesprochen 
werde;  allein  die  Worte  scheinen  vielmehr  dem  Koryphaios 
anzugehören,  der  nach  einer  überzeugenden  Rede  des  Hämon 
oder  der  Antigone  seinem  Staunen  über  die  Kraft  der 
Rede  Ausdruck  gibt.  Während  Kreon  wie  bei  Sophokles 
die  Nothwendigkeit  des  unbedingten  Gehorsams  gegen  das 
Staatsgebot  und  die  Vorzüge  der  Alleinherrschaft  der  in 
Parteien  gespaltenen  Volksherrschaft  gegenüber  darlegt 
(fr.  173) 

ohslog  dv&QCüftOLOc  yiyveodai  cpdel 
TtoXsfAog  ev  doxölg,  rjv  SixooraT^  TioXig, 

vertritt  Hämon    die  Herrschaft   des    Gesetzes    und   verwirft 
die  absolute  Gewalt  des  Alleinherrschers,  fr.   171,   172 
Sei  röioL  noXkölg  xov  Tvqavvov  avddveiv. 
ov%'  UY.og  aqx^^^  ovTe  xQrjv  avev  vofxov 
Tvqavvov  eivat '  jucoglav  d'  ocpXioxdvei., 
og  TCüv  6(A.0LWv  ßovXexai  Kgavelv  (xovog^). 

Dieses  Thema  gehört  ja  auch  sonst  zu  den  beliebten  Stoffen 
des  Euripideischen  dy(jjv  öocpiag .  Antigone  wird  von  Kreon 
mit  fr.  165 

axovoov  ov  yaQ  oi  xay,wg  TtSTCQayoxeg 

avv  xaig  TvyaiGi  %ovg  Xoyovg  aTtcüXeoav 

angeredet.  Während  es  sich  bei  Hämon  um  den  politischen 

Standpunkt  handelt,   muss  Antigone  die  Vertheidigung  der 

religiösen  Pflicht  übernommen  haben. 

Noch   bleiben,   abgesehen  von   dem   ganz    allgemeinen 


1)  fxcüQLccv  (f'  ocpXiaxavei  habe  ich  für  /uioqicc  Se  xcci  d-slSLp  ge- 
schrieben. So  gewaltsam  die  Aenderung  scheint,  bedarf  sie  doch  für  den 
Sachverständigen  keiner  Bechtfertigung. 


Wecklein:  Ueher  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.     197 

Gedanken  von  fr.   175  zwei  Bruchstücke  übrig,    die  schwer 
zu  bestimmen  sind.     Das  eine  ist  fr.   161 

riqojv'  TO  naiveodai  ö'  aq'  rjv  SQOjg  ßqoxdlg , 
Die  AVorte  scheinen  dem  Hämon  anzugehören  und  aus 
einer  Stichomythie  zu  stammen ,  die  sich  in  der  eben  be- 
handelten Scene  an  die  längere  Rede  desselben  anschloss. 
Hämon  brauchte  ja  nicht  zu  läugnen,  dass  er  aus  Liebe  zu 
Antigone  an  der  Bestattung  Theil  genommen.  Das  andere 
Fragment  (174) 

^11]  ovv  d^ele  XvTieiv  oavrov  eldwg  oti 
TtoXla-üLg  xo  XvTvovv  vozegov  yaqav  ayei 
Kai  TO  ytaxov  dyad^ov  ylyverat  TvaQaiTiov . 
hat    schon  einen  bedenklichen  Text    und    anch  seine  Zuge- 
hörigkeit zur  Antigone  wird  bezweifelt.  Jedenfalls  erfordert 
der  Sinn,  beziehungsweise  das  Metrum  die  Verbesserung 
f£?y  fiiXle  IvTceiv  öavxov  s^eiöwg  ort 
TtoXkolg  %6  IvTCovv  vGTEQOv  xaQotv  ayei  xrl^). 
Haben  die  Worte    ihre  Stelle   in  der  Antigone  gehabt ,    so 
können    sie    einer    Ermahnung    angehören ,    die    etwa    von 
Tiresias  an  den  König  gerichtet  war,   seinem  Sinne  Gewalt 
anzuthun   und    wenn    auch   widerwillig    von   seinem  starren 
Entschluss  abzulassen. 

Endlich  ist,  wie  schon  oben  erwähnt,  fr.   154 

KPE.  TO  Krjv  acpsvTsg  ro  xazd  yijg  tl(ä(Joo'  Yoo)g'^). 

XO.  yievov  y'  •  orav  yccQ  ^^  Tig,  emvxel^  Kqiov  . 

aus  der  Andromeda  in  die  Antigone  zu  setzen,    was   zuerst 

Fritzsche  bemerkt  hat  (zu  Aristoph.  Thesm.  p.  516).     Die 

höhnische  Erwiderung  des  Kreon:    „Das  Leben  scheint  für 


1)  s'^€i&(og  und  noXkolg  hat  Hermann  vorgeschlagen.  Für  nollaKis 
will  Heimsoeth  ead'  oze  setzen,  0.  Hense  (pilsl..  ayetv .  Das  letztere 
kann  kaum  richtig  sein,  da  auch  die  Behauptung  ro  xaxop,.  yiyvtxat 
nagatriov  nicht  allgemein  ist,  also  ylyvead^ai  stehen  müsste. 

2)  Ich  habe  ro  xatd  yrig  für  ro  xatd  yrjy  geschrieben;  tcfnaa^ 
%aujg  für  rcfxcüol  aov  hat  Herwerden  hergestellt. 


198     Sitzung  der  philos.-phitol.  Classe  vom  2.  November  1878. 

sie  keinen  Werth,  Werth  nur  was  im  Hades  ist  zu  haben" 
erinnert  an  Soph.  Ant.  524  narco  vvv  eX&ovG\  el  (pilrjTsov, 
g)tX€L  ey-elvovg.  Die  betreffende  Unterredung  zwischen  Kreon 
und  dem  Koryphaios  findet  nach  der  Entdeckung  des  Be- 
gräbnisses statt. 

Hiernach  lässt  sich  über  den  Gang  der  Handlung  im 
Allgemeinen  ungefähr  Folgendes  festsetzen :  Antigone  gibt 
nach  Darlegung  der  vorausliegenden  Begeben'heiten  ihren 
Entschlnss  zu  erkennen,  den  Polyneikes  zu  bestatten.  Hämon, 
von  Antigone  zu  einer  Unterredung  bestellt,  erscheint  und 
wird  von  der  Geliebten  gewonnen,  bei  der  Bestattung  be- 
hülfiich  zu  sein.  Kreon,  der  von  der  Zuneigung  des  Hämon 
zu  Antigone  und  den  geheimen  Zusammenkünften  der  Lie- 
benden vernommen  hat,  sucht  seinen  Sohn  von  Antigone 
abzuziehen  und  will  ihm  eine  standesgemässe  Heirat  em- 
pfehlen. Hämon  schlägt  die  Heirat  aus  und  bleibt  der 
Antigone  treu.  Er  hilft  ihr  den  Polyneikes  bestatten  auf 
die  Gefahr  hin  mit  ihr  zu  sterben.  Sie  werden  auch  wirk- 
lich ergriffen  und  vor  den  König  geführt.  Sie  sollen  die 
festgesetzte  Strafe  erleiden  und  alle  Einreden  vermögen  den 
starreu  Willen  des  Königs  nicht  zu  beugen.  Da  sie  zum 
Tode  abgeführt  werden  sollen ,  erscheint  Dionysos  in  der 
Höhe.  Ihm  muss  Kreon  sich  fügen.  Nach  dem  Willen  des 
Gottes  erhält  Hämon  zur  Belohnung  seiner  treuen  Liebe 
Antigone  zur  Gemahlin.  Der  Sprössling  der  Ehe  soll  zur 
Erinnerung  an  jene  Liebe  Mäon  genannt  werden. 


3.  Telephus. 

Für  das  Argument  des  Telephus  kommen  ausser  den 
Bruchstücken  (nr.  697 — 727b  bei  Nauck)  vornehmlich 
Hygin  fab.  101  und  die  Parodien  des  Aristophanes  in  den 
Acharnern  und  Thesmophoriazusen  in  Betracht, 


Wecklein:   lieber  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.     199 

Um  die  Reconstruction  der  Handluug  hat  sich  nach 
Geel  de  Telepho  Annal.  Inst.  Belg.  1830,  Welcker  die 
griech.  Trag.  S.  477  —  492,  A.  Schoell  Beitr.  z.  Gesch.  der 
griech.  P.  1839  S.  134—137,  Härtung  Eur.  rest.  I  p. 
196—216  besonders  0.  Jahn  „Telephos  und  Troilos."  Kiel 
1841  ein  Verdienst  erworben.  In  dem  Relief  einer  etrus- 
kischen  Aschennrne  {R.  Rochette  Mon.  ined.  pl.  LXVII  2 
Taf.  1),  wo  ein  Mann  mit  einem  kurzen  üntergewand,  das 
Arme  und  Beine  grösstentheils  bloss  lässt,  und  einem  kleinen 
Mantel  bekleidet,  den  linken  Schenkel  verbunden,  auf  einem 
Altare  sitzt  und  mit  der  Linken  einen  Knaben  festhält, 
mit  der  Rechten  das  Schwert  drohend  über  ihm  gezückt 
hat,  während  eine  Frau  einen  Fürsten,  der,  ebenso  wie 
zwei  Krieger  hinter  ihm ,  wüthend  auf  jenen  Mann  vor- 
stürzen will,  ängstlich  zurückhält  —  in  dieser  Darstellung 
hat  Jahn  vortrefflich  die  Scene  erkannt,  wo  Telephus  sich 
in  der  Noth  des  Augenblicks  des  kleinen  Orestes  bemäch- 
tigt und  ihn  sofort  zu  tödten  droht,  wenn  man  ihm  etwas 
zu  Leid  thun  wolle.  Jahn  führt  diese  bildliche  Darstellung 
auf  das  Drama  des  Euripides  zurück  und  sucht  darnach 
den  Gang  der  Handlung  genauer  zu  bestimmen.  Er  weicht 
besonders  darin  von  (Geel  u.)  Welcker  ab,  dass  er  die 
Scene  des  Bildes  als  theatralische  Hauptscene  mehr  in  den 
Mittelpunkt  der  Handlung  rückt  und  der  Klytämnestra  eine 
bedeutendere  Rolle  gibt.  Die  Handlung  wird  in  folgender 
Weise  entwickelt :  Telephus  eröffnet  als  Bettler  verkleidet 
das  Drama.  Er  setzt  seine  Schicksale,  die  Veranlassung 
seines  Thuns  weitläufig  auseinander,  auch  dass  er  sich  der 
Klytämnestra  entdeckt  und  welchen  Plan  er  mit  ihr  ver- 
abredet habe.  Dann  folgt  eine  Unterredung  mit  Klytämnestra, 
deren  Groll  gegen  Agamemnon  die  Theilnahme  für  den 
Fremdling  rechtfertigt.  Sie  wird  von  Telephus  mit  den 
Worten  empfangen  (fr.  704): 


200      Sitzung  der  iMlos-philol.  Classe  vom  2.  November  1878. 

avaoöa  TtQccyovg  rovöe  Kai  ßovlevfAarogy 
TL  (.lOL  Gxvd^Qcoitog  B^elrilvd-aQ  S6f,uov . 
Welche  Umstände  sie  für  das  Misslingen  des  Planes  be- 
sorgt machten,  lässt  sich  nicht  angeben.  Endlich  erklärt 
sie  sich  bereit,  im  Falle  dass  Telephus  erkannt  würde,  das 
Leben  ihres  Sohnes  anfs  Spiel  zu  setzen,  um  ihn  zu  retten, 
wohin  vielleicht  fr.  727a: 

a/reTcrvö'  sx^qov  g)Cür6g  eyß^iorov  tskoq 
zu  setzen  ist,  wenn  es  wirklich  in  den  Telephus  gehört. 
Nachdem  der  Chor  aus  griechischen  Kriegern  aufgetreten 
ist,  entwickelt  sich  der  Zwiespalt  der  griechischen  Fürsten, 
namentlich  des  Agamemnon  und  Menelaos,  wegen  der  Fort- 
setzung des  Krieges*).  Agamemnon  weigert  sich  Theil  zu 
nehmen,  weil  das  Gelingen  des  Planes  in  dem  Orakel,  das 
nachher  auf  die  Führung  des  Telephus  gedeutet  wird,  an 
eine  Bedingung  geknüpft  ist,  welche  unerfüllbar  scheint. 
Odysseus  steht  auf  Seite  des  Agamemnon,  Achilles  tritt 
Agamemnon  entgegen.  Telephus  redet  die  griechischen  Heer- 
führer an ;  er  erzählt  das  Märchen,  dass  er,  ein  Kaufmann, 
nach  Phrygien  gekommen  und  dort  von  Telephus  verwundet 
worden  sei,  dem  er  alles  Böse  wünsche.  Hierauf  wird  nach 
Telephus  gefragt,  dieser  verräth  sich  und  wird  erkannt. 
Nun  stürmt  die  Wuth  der  Griechen  auf  ihn  ein.  Da  er- 
greift Telephus  den  Orestes.  Dadurch  wird  ein  neuer  Zwie- 
spalt hervorgerufen ;  die  zornerfüllten  Argiver ,  an  ihrer 
Spitze  Achilles,-  verlangen  den  Tod  des  Fremdlings.  Hierauf 


1)  Jahn  folgt  hierin  der  Vermuthung  von  Geel,  welcher  nach  der 
Erkennung  des  Telephus  den  Streit  zwischen  Menelaos  und  Achilles 
wegen  der  durch  die  Heilung  des  Telephus  bedingten  Fortsetzung  des 
Kampfes  ausbrechen  und  soweit  kommen  lässt,  dass  der  Plan  der  Er- 
neuerung des  Krieges  aufgegeben  und  Telephus  gestraft  werden  soll, 
worauf  Herakles,  der  Vater  des  Telephus,  als  deus  ex  machina  die  Lös- 
ung bringt.  Welcker  bezieht  den  Streit  nur  auf  die  Heilung  des  Te- 
lephus. 


Wecklein:  lieber  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.     201 

tritt ^Klytämnestra  auf,  erklärt  sich  als  die  Urheberin  der 
List  und  verlangt,  dass  man  den  Telephus  frei  gebe.  Dem 
Telepbus  wird  zunächst  freie  Rede  zugesagt  und  er  ver- 
theidigt  sich.  Odysseus  sucht  ihn  durch  Schlauheit  zu  wi- 
derlegen. Die  Vertheidigung  hat  den  Zwiespalt  nicht  ge- 
hoben, Agamemnon  will  den  Sohn  gerettet,  den  Telephus 
geheilt  wissen ;  andere,  vor  allen  Achilles,  bestehen  auf  der 
Rache,  bis  die  endliche  Lösung  durch  Deutung  der  Orakel- 
sprüche erfolgt.  Dem  Telephus  wird  Leben  und  Heilung 
zugesagt  gegen  das  V^ersprechen  die  Griechen  zu  führen 
und  der  letzte  Einwand  des  Achilles  wird  besiegt  durch 
die  Aufklärung,  dass  nicht  er,  sondern  die  Lanze  die  Heil- 
ung bewirken  solle.  Da  nach  Hygin  Odysseus  es  ist,  der 
diese  Aufklärung  gibt,  so  lässt  Jahn  mit  Welcker  den  von 
Geel  angenommenen  deus  ex  raachina  fallen:  „dem  Cha- 
rakter des  Odysseus,  welcher  weniger  der  Leidenschaft  fol- 
gend ,  mit  Klugheit  und  Gewandtheit  die  Verhältnisse  in 
ihren  verschiedenen  Bezügen  scharf  aufzufassen  weiss,  scheint 
es  angemessen  durch  die  Deutung  des  Orakels  auch  hier 
die  Vermittlung  herbeizuführen.'^ 

Bernhardy  Gr.  Lit.  H  2^  S.  447  gesteht  dieser  Resti- 
stution  einen  hohen  Grad  von  Evidenz  zu.  Wir  wollen  zu- 
erst nachweisen ,  dass  sie  in  einem  wesentlichen  Punkte 
verfehlt  erscheint,  und  dann,  so  weit  es  bei  den  wenigen 
Bruchstücken  und  spärlichen  Notizen  möglich  ist,  den  wirk- 
lichen Gang  der  Handlung  darzulegen  suchen. 

Eine  wichtige  Rolle  spielt  in  der  Herstellung  von 
Welcker,  Scholl,  Härtung  und  Jahn  Klytämnestra  mit  dem 
Rathe,  den  sie  dem  Telephus  gibt,  den  kleinen  Orestes  zu 
ergreifen  und  mit  der  Drohung  ihn  zu  tödten  sich  Rettung 
zu  erzwingen.  Für  Scholl  ist  diese  Rolle  der  Klytämnestra 
der  Anhaltspunkt,  das  gemeinsame  Thema  der  Tetralogie: 
Kreterinnen,  Aikmäon  in  Psophis,  Telephus,  Alkestis  nach- 
zuweisen.    Nach    seiner  Ansicht    war  im  ersten  Drama  das 


202      Sitzung  der  pMlos.-phüol.  Classe  vom  2.  Novemher  1878. 

buhlerische  Weib  dargestellt  als  Verderberin  des  Hauses, 
im  zweiten  das  edel,  aber  unglücklich  vertrauende,  im  dritten 
das  männliche  Weib  gezeichnet  und  im  letzten  das  rein 
weibliche,  liebevoll  sich  aufopfernde  gefeiert  (vgl.  dazu  auch 
0.  Jahn  a.  0.  S.  34).  Die  Rolle  hat  man  zunächst  aus 
Hygin  fab.  101  entnommen.  Dafür  dass  die  Fabel  des  Hygin 
auf  Euripides  zurückgeht,  kann  besonders,  wie  neuerdings 
von  Bakhuyzen  de  parodia  in  com.  Arist.  p.  9  hervorge- 
hoben worden  ist,  die  üebereinstimmung  der  Worte  quam 
(hastam)  cum  rasissent  remediatus  est  mit  fr.  72  "3  JiqiOToloi 
^oyxTjg  d^iXyETat  QLvrjf.maiv  angeführt  werden.  Einen  zweiten 
Beweis  für  die  Rolle  der  Klytämnestra  findet  man  ^)  in 
fr.  704  avaooa  jrqayovg  touÖs  xat  ßovXevj^iaTog,  einen  dritten 
in  der  Parodie  des  Aristophanes,  der  sowohl  in  den  Achar- 
nern  wie  in  den  Thesmophoriazusen ,  in  welchen  beiden 
Stücken  vorzugsweise  der  Telephus  des  Euripides  herhalten 
muss,  die  Scene  wo  Telephus  den  Orestes  ergreift  lächerlich 
macht,  indem  Ach.  325  Dikäopolis ,  der  sich  nachher  als 
Bettler  Telephus  kostümiert,  von  Acharnern  bedrängt  und 
in  Lebensgefahr  gerathen  den  Kohlenkorb  nimmt  und  ihn 
zu  vernichten  droht,  Thesm.  689  aber  der  verkleidete  Mne- 
silochos,  nachdem  er  erkannt  ist,  einer  Frau  ihr  „Kindlein" 
(einen  Weinschlauch)  entreisst  um  sich  zu  retten.  Einen 
weiteren  Beweis  mag  noch  das  von  0.  Jahn  erläuterte  Bild 
abgeben,  da  vorzugsweise  Euripides  der  bildenden  Kunst  Stoffe 
geboten  hat  (vgl.  0.  Jahn  a.  0.  S.  13).  Doch  da  auch  bild- 
liche Darstellungen,  welche  auf  Aeschylus  und  Sophokles 
und  spätere  Dichter  zurückgehen,  bekannt  sind  und  die 
Sage  von  Telephus  von  mehreren  Dichtern  behandelt  wor- 
den ist,  kann  diesem  Beweise  nur  schwache  Kraft  beige- 
messen werden.  Trotz  aller  dieser  Beweise  lässt  sich  dar- 
thun ,    dass    die   Ergreifung    des  Orestes  und   folglich  auch 


1)  Vgl.  Vater  „die  Aleaden  des  Sophokles"  S.  18. 


Wecklein:  lieber  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.     203 

die  Rolle  der  Klytämnestra ,  die  ohne  jene  zwecklos  wäre, 
im  Drama  des  Euripides  nicht  vorgekommen  ist.  Einmal 
haben  wir  dafür  die  ausdrückliche  Angabe  des  Schob  zu 
Ach.  332:  tcc  de  j^ieyaXa  jiaS^rj  mcoTvaiC^ei  Trjg  iQaycoSiag^ 
Sftel  iiial  6  TriXecpog  Kava  tov  ZQaycoöoTtoidv  ^loxvlov ,  %va 
Tvy^'U  7taQd  Tolg  '^'EllrjOL  GcoTTjQtag^  tov  ^OQeOTrjV  elye  ovXXa- 
ßwv .  TtaQaTvlrjOLOv  de  xl  ymI  Iv  Talg  OeGf.iO(poQLaKovGaLg 
ETtolrjOsv.  Der  Scholiast  führt  die  Parodie  des  Aristophane^, 
obwohl  vorher  und  nachher  immer  von  Euripides  die  Rede, 
auf  Aeschylus  zurück:  wir  müssen  daraus  schliessen ,  dass 
man  im  Telephus  des  Euripides  nichts  entsprechendes  vor- 
fand. Auch  Geel  schloss  so ,  hielt  aber  an  der  Rolle  der 
Klytämnestra  fest  und  glaubte,  dass  bei  Euripides  Telephus 
eine  andere  List  mit  Klytämnestra  verabredet  habe.  Bei 
der  Unsicherheit  der  Angaben  des  Hygin  muss  eine  solche 
an  und  für  sich  unwahrscheinliche  Vermittlung  als  unstatt- 
haft erscheinen.  Vater  ,,die  Aleaden  des  Sophokles''  S.  19 
hält  es  für  sicher,  dass  in  dem  Scholion  der  Name  des 
Aeschylus  und  Euripides  verwechselt  sei,  und  Härtung, 
Dindorf  und  wie  es  scheint  auch  Nauck  stimmen  ihm  bei. 
Dies  kann  schon  desshalb  nicht  zugegeben  werden,  weil  von 
den  drei  Fragmenten,  die  von  dem  Telephus  des  Aeschylus 
noch  übrig  sind,  sich  zufällig  eines  (nr.  235) : 

^  —  aTtlrj  yccQ  oii^og  elg  '^.töov  (peqei 
auf  die  Drohung  des  Telephus  augenblicklich  den  Orestes 
in  den  Hades  zu  liefern  zu  beziehen  scheint  .  Vater  bemerkt 
noch:  ,,und  selbst  wenn  Aeschylus'  Name  feststeht,  müssten 
wir  nicht  doch  glauben,  dass  die  Anlage  des  Euripidei- 
schen  Stücks  dieselbe  gewesen  sei?"  So  lassen  auch  O.Jahn 
a.  0.  S.  36  und  0.  Ribbeck  a.  0.  S.  105,  107  den  Vor- 
gang beiden  Dichtern  gemeinsam  sein  und  meint  Wold. 
Ribbeck  in  der  Ausgabe  der  Aeharner  S.  213:  ,,die  Ver- 
muthung  von  Vater,  der  Scholiast  habe  eigentlich  EvQL7CLÖrjv 
siM^4ioyvlop  schreiben  wollen,  hat  wenig  wahrscheinliches, 


204     Sitzung  der  philos.-philöl.  Classe  vom  2.  Novemher  1878. 

da  nachher  so  vieles  als  aus  dem  Telephus  des  Euripides 
parodirt  angegeben  wird.  Die  Verwechslung  in  diesem  einen 
Fall  wäre  nicht  recht  erklärlich.  Ich  sehe  an  der  Sache 
nichts,  was  des  Aeschylus  unwürdig  wäre.  Euripides  konnte 
recht  gut  den  Zug  von  ihm  entlehnt  haben.'*  Dagegen 
wendet  Bakhuyzen  a.  0.  S.  9  mit  Recht  ein :  nonne  per- 
mirum  est,  scholiastam  quem  hoc  non  lateret,  Aeschylum 
nominasse,  Euripidem  silentio  praeteriisse ?  Es  hätte  ja 
auch  in  diesem  Falle  der  Komiker  den  Euripides,  nicht 
den  Aeschylus  im  Auge  gehabt  und  daran  hätte  der  alte 
Commentator  gewiss  ebenso  gut  zunächst  gedacht  wie  wir. 
Dem  Aeschylus  lag  auch  die  Erfindung  bei  der  frischen 
Erinnerung  an  die  Aufnahme  des  Themistokles  bei  dem 
Molosserkönig  (Plut.  Them.  24,  Corn.  Nep.  Them.  8)  näher 
als  dem  Euripides  (vgl.  0.  Jahn  a.  0.  S.  37).  Wer  sieht 
nicht,  dass  eben  an  die  Stelle  der  Wegnahme  des  Orestes 
bei  Euripides  die  Bettlerkleidung  getreten  ist?  Wenn 
die  Sage,  wie  Telephus  sich  in  die  Mitte  seiner  bittersten 
Feinde  wagt,  dramatisch  behandelt  werden  sollte,  musste 
für  ihn  irgend  eine  Sicherheit  geschaffen  werden.  Diese 
Sicherheit  erhielt  er  bei  Aeschylus  durch  den  Besitz  des 
Orestes,  bei  Euripides  durch  die  Verkleidung.  Der  unbe- 
kannte Bettler  bedarf  des  Orestes  nicht;  Telephus  kann 
auch  nicht  vorhaben  sein  Incognito  aufzugeben  ohne  seiner 
Sache  gewiss  zu  sein;  die  ganze  Verabredung  mit  Klytäm- 
nestra  passt  also  von  vornherein  nicht  zu  der  Verkleidung. 
Und  ein  zweites  äusseres  Mittel  müsste  die  künstlerische 
Wirkung  der  Handlung  sehr  beeinträchtigen;  was  bei  Eu- 
ripides Sache  des  aywv  Gocplag  ist,  würde  in  etwas  Mecha- 
nisches verwandelt.  Doch  ist  es  Zeit  zu  den  sichersten  In- 
dicien  überzugehen.  Diese  sind  in  zwei  Bruchstücken  des 
Dramas  selbst  enthalten.     Fr.  727  a 

ctTtsTCTVo^  8%d^Q0v  cpcoTOQ  e%^^iOTOv  tixog 
wollte   Welcker  in  den  Likymnios  setzen,    offenbar  weil  er 


WecMein:   lieber  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.     205 

es  im  Telephus  nicht  unterzubringen  wusste.  Auf  das  uns 
ganz  unbekannte  Stück  weist  nur  etwa  der  Name  Tlepo- 
lemos  bin  in  der  Angabe  des  Scbol.  zu  Aristoph.  Frie.  528, 
der  uns  das  Fragment  erbalten  bat :  £Gti  ös  Ev^ltvISov  e% 
T7jXeg)0v  rj  TlrjTTokefiov  to  ,d7t .  .  .  Tfxog/  Meineke  bat 
rj  TXrjTtoleiLiov  mit  Recbt  getilgt.  Wenigstens  baben  wir 
keinen  Grund  zu  zweifeln,  dass  das  Bruchstück  dem  Tele- 
pbus  angehöre,  und  erbalten  eine  Bestätigung  dafür  in 
einem  erst  neuerdings  entdeckten,  Welcker  und  Jahn  noch 
unbekannten  Fragment  (727  b) 

loxccliov  oItov  {olxov  loxalov). 
Jahn  hat,  wie  wir  gesehen  baben,  jene  Worte  aneitTvö^ 
ytTE.  der  Klytäranestra  selbst  in  den  Mund  gelegt^):  die 
Gattin  könnte  von  einem  verhassten  Manne,  nicht  aber  die 
Mutter  in  dieser  Zeit  und  Situation  von  einem  ganz  ver- 
hassten, auch  nicht  von  einem  um  des  Mannes  willen  ver- 
hassten Kinde  reden.  Die  Worte  kann  kein  anderer  als 
Telephus  sprechen  ;  dann  aber  gehören  sie  in  den  Prolog ; 
dann  aber  enthalten  sie  die  Abweisung  des  von  Aescbylus 
gebrauchten  Mittels.  Wir  kennen  die  Weise  des  Euripides 
einen  Seitenblick  auf  seine  Vorgänger  zu  werfen  und  eine 
Sentenz  zu  kritisieren  oder  die  schwache  und  gewöhnliche 
Motivierung  zu  rügen;  so  kritisiert  er  Phoen.  751  f.,  El. 
527  ff.  die  entsprechenden  Stücke  des  Aescbylus  (Sieben 
g.  Tb.,  Choephoren),  in  der  Antigene  fr.  165  die  Antigone, 
Hei.  1056  wie  es  scheint  die  Elektra  des  Sophokles.  Der 
Dichter  lässt  offenbar  den  Telephus  Mittel  zu  seiner  Rettung 
aussinnen  und  überlegen ,  ob  und  wie  er  sich  des  Sohnes 
des  Agamemnon  bemächtigen  solle.  Dadurch  fällt  auf  ein- 
mal ein  Liebt  auf  das  räthselhafte  Fragment  oTtov  Xoxcäov; 
denn  wenn  das  Getraide  das  Epitheton  Xoyaiov  d.  i.  xe/Xi- 
likvov  h  iß  eoTi  Xoxrjoat  nach  der  Erklärung  des  Etym.  M., 


1)  Ebenso  Ribbeck  S.  110. 
[1878.  I.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  Bd.  II,  2,]  15 


206      Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  2.  November  1878. 

wo  das  Citat  gegeben  ist,  erhält,  so  muss  von  einem  loyßv 
die  Rede  sein.  Telephus  besinnt  sich  also,  ob  er  sich  etwa 
im  Getraide  versteckt  halten  und  dem  Knaben  wenn  er 
von  dem  Pädagogen  spazieren  geführt  werde  oder  viel- 
mehr auf  dem  Spielplatze  körperliche  üebungen  mache, 
woher  in  der  Medea  die  Kinder  des  Jason  kommen,  auf- 
lauern solle.  Da  dergleichen  Mittel  als  wenig  geeignet  er- 
scheinen, wird  mit  drcsTtTvo'  8%^qov  g)WTdg  sx^lotov  TSKog 
der  ganze  Plan  verworfen.  Den  weiteren  Zusammenhang 
wollen  wir  später  zu  bestimmen  suchen.  Wenn  mit  dem 
Wegfall  des  Planes ,  den  Orestes  zu  ergreifen,  auch  die 
Rolle  der  Klytämnestra  wegfallen  muss,  so  fragt  es  sich 
zunächst,  was  wir  von  dem  Fragment  704 

avaOGa  Ttqayovg  TovSe  xal  ßovXevjLiaTog 
zu  halten  haben.  Dasselbe  stammt  aus  Arist.  Lys.  706,  wo 
darauf  folgt  t/  f^oi  Gxv&QWTtog  e^eXrjXv&ag  d6fj,cov;  die 
Führerin  des  Frauenchors  redet  damit  die  auftretende  Lysi- 
strate  an.  Das  Scholion  dazu  heisst:  ccvaooa  Ttqayovg'  ix 
TTTjUcpov  EvQLTtlöov .  Wir  dürfen  demnach  nur  den  Vers 
avaooa  . .  ßovlevf^aTog^  nicht  mit  Valckenaer  Diatr.  p.  210 
auch  den  zweiten  in  den  Telephus  setzen.  Nauck  setzt  nach 
avaooa  ein  Komma,  betrachtet  also  avaooa  als  Anrede  wie 
z.  B.  Soph.  Trach.  291.  Dagegen  spricht  die  Parodie  des 
Aristophanes ,  nach  der  wir  TtQccyovg .  .  ßovXevfxaTog  von 
avaooa  abhängig  machen  müssen.  Thun  wir  aber  das,  so 
müssen  wir  avaooa  ebenso  auffassen  wie  ava'^  in  ipevSwv 
avaKzeg  Androm.  447.  Damit  fällt  die  Nothwendigkeit,  den 
Vers  als  Anrede  an  Klytämnestra  zu  betrachten,  weg.  Wir 
haben  vielmehr  avaooa  Ttqayovg  xovöe  Kai  ßovXeviLiaTog  als 
Apposition  zu  ipvxtj  oder  Kaqdia  zu  betrachten.  Telephus 
redet  seinen  Geist  an  etwa  mit  w  xaXaiva  /.aqSia^  avaooa 
Ttqayovg  Tovde  y,al  ßovXevfj-aTog .  Solche  Anreden  liebt  Eu- 
ripides  und  parodiert  Aristophanes.  Wenn  wir  darum  in  den 
Worten    Ach.    483    ff.    Ttqoßaive    vvv   w  &vfxi..    aye  vvv,  w 


Wecklein:  Ueher  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.     207 

raXatva  yiaqdia ,  afreXS-^  Ixeioe . .  roXiLirjOov ,  I'^l  . .  aya^ai 
naQÖlag  eine  Beziehung  nicht  blos  auf  Euripides  überhaupt, 
sondern  den  Telephus  insbesondere  finden,  so  wird  diese 
Ansicht  nicht  nur  durch  die  Umgebung  der  Stelle  unter- 
stützt, sondern  auch  durch  das  Verhältniss  der  Stelle  zu 
dem  Gang  der  Handlung,  worauf  wir  nachher  zu  sprechen 
kommen  werden,  bestätigt.  Es  scheint  sogar,  dass  wir  in 
fr.  720 

ToXjna  av  yCdv  tl  rqaxv  veli^icoGcv  d^eol 
die  Fortsetzung  von  w  raXaiva  Kaqdia ,  avaooa .  .  ßovXev- 
liaxog  haben.  Denn  seitdem  Nauck  die  angegebene  Form 
hergestellt  hat,  brauchen  wir  das  Citat  bei  Stob.  flor.  51,8 
nicht  mehr  anzuzweifeln.  Mit  dem  Nachweise,  den  wir  ge- 
liefert haben,  entfällt  uns  ein  Hülfsmittel  der  Restitution: 
wir  können  die  Fabel  des  Hygin  nicht  mehr  als  Grundlage 
benützen.  Allerdings  weist  die  oben  angeführte  Uebereiu- 
stimmung  darauf  hin ,  dass  sich  dieselbe  eng  an  Euripides 
anschliesst  und  wird  werden  vielleicht  nicht  fehl  gehen, 
wenn  wir  das  gleiche  Verhältniss  wie  bei  fab.  8  annehmen, 
wo  wir  auch  den  Schluss  des  Euripideischen  Stücks  geän- 
dert finden ,  und  die  Fabel  als  argumentum  des  Telephus 
Euripidis  quam  scribit  Ennius  betrachten.  Wenigstens  ist 
im  Stück  des  Ennius  die  Rolle  der  Klytämnestra  vorge- 
kommen, wenn  in  fr.  VIII  Te  ipsum  hoc  oportet  profiteri 
et  proloqui  Advorsum  illam  mihi  Welcker  illam  richtig  auf 
Klytämnestra  bezogen  hat. 

Wir  wollen  nun  die  einzelnen  Bruchstücke  ins  Auge 
fassen,  um  zu  sehen  wieviel  sich  für  den  Gang  der  Hand- 
lung daraus  entnehmen  lässt.  Der  als  Bettler  kostümirfce 
Telephus,  der  eine  zerrissene  Kleidung,  einen  mysischenHut, 
einen  Stock,  einen  Brodsack  mit  einem  Becher  und  einem 
Topf  trägt  (vgl.  die  Angaben  bei  Nauck  mit  fr.  726  ^wy,- 
TYjQ...  TtorrjQLOv  elSog^  C(5g  Evq.  T.) ,  tritt  auf  und  beginnt 
die  Erzählung  seiner  Schicksale  mit  fr.  697: 

15* 


208      Sitzung  der  philos.-phüot.  Classe  vom  2.  November  1878. 

CO  yaia  TtaTqlg^  rjv  Ililoip  ÖQi^eTai^ 
%aLQ\  og  re  Tterqov  ^Aqxadoyv  dvoxeiy.eqov 
ndv  ifißaTeveig,  evdev  svxojLiaL  yivog. 
u4.vyri  yccQ  ^^.liov  Jtcug  (xe,  to)   TiqvvS-Iw 
TmTBL  Xad^Qalcog  ^H^ayilsl'  ^vvotö^  OQog 
HaQd^ivLOVy  tvd^a  j.irjTeq'  ioSivcov  sfÄTJv 
e'lvGEv  EiXel^via.  ^) 
Daran  scWiesst  sich,    wie   nach  Geel    und  Welcker  0. 
Jahn  p.  20  Anm.   21  des  weiteren  dargethan  hat,    die  An- 
gabe   bei    Strabo  XIII    p.   615    unmittelbar    an:    EvQiTTidrjg 
ö^  V7tö  IäKeov  (pr^ol  Tov  TTJg  Avyi^g  naxqog  elg  laQvaKa  zijv 
uävyrjv  xaraTsdeloav  a^xa  r^j  Ttaidl  ^^r^Mcpc^  KaTajcovrco&rjvai^ 
^d^rjvag    öe    TZQOvola    yreqaico&eloav    exireoelv    elg   ro    oto/xa 
rov  Katyiov ,  tov  de  Tevdoavva  dvaXaßovra   rd   aoj}j.ara  rfj 
{.lev  cog  ya^erfj  xQrioaod^ai,  tot  6'  cog  eavvov  Jtaidi.     Weiter 
musste  er  seine  Verwundung,  seine  Reise  nach  Delphi,  das 
Orakel,  das  er  erhalten,  den  Zweck  seiner  Hieherkunft,  die 
Gründe  seiner  Verkleidung  angeben.    Da  setzt  fr,  698  ein: 
TiTcoyJ  djLKpißXrjOTQa  ao)fiaTog  Xaßtov  qdxij 
dq^xrjQLa  Tvyjjg. 
Für  dqxTriQLa,    welches  kein  Wort  ist,   hat  Bernhardy  dl- 
KTT^Qia  vermuthet.     Auch    Tvyrjg   ist  unbrauchbar :    Dindorf 

1)  Die  Worte,  mit  denen  Dionys.  von  Halik.  de  comp.  verb.  26 
vol.  V  p.  219  sq.  das  Citat  anführt,  geben  zu  einem  Bedenken  Arilass 
Es  heisst  da:  ix  de  rrjg  nonjcF^cog  trjg  lafxßiK^g  r«  EvQinCSov  ravri 
,(o  yuia  .  .  X^^Q'  '  ^^  nQUiiov  u^Qi^  rovrov  y.ooXop  .  ,0Gze  . .  i{xßccrtv8Lg\ 
xö  6(:VTeQ0P  f^s/Qt  TQvde  .  ,ev9f:V  .  .  yspog\  rovto  rö  xqLxov  .  xtt 
[/,cP  TiQoxEQcc  fxsi'^opcc  GXixov ,  xovxo  6''  eXftxxov  .  ,  Avyri  .  .  ^Hqk- 
xlef,  fZETcc  xovxo  ,^i:poi6'  ,  .  TlaQS-svtop'' '  ovSixfQop  ccvxojy  cxi/ut 
GvfißiXQovfxivov .  elx''  ccv^ig  exsQOP  axi/ov  r'  elaxxoy  xai  oxC- 
X  ov  fxeii^oy  ^tvd-a  .  .  Eiltid-vici'  xccl  xd  e'^rjg  xovxoig  7iaQan2.rjcna.  Man 
könnte  hiernach  vor  epS-a  .  .  Etleidvia  ein  Kolon  das  nicht  den  Um- 
fang eines  Verses  erreicht,  erwarten.  Da  aber  nichts  ausgefallen  sein 
kann,  so  muss  Dionysius  so  geschrieben  haben:  ovSexegop  avxcop  «rrt/w 
(TvfXfj,€XQovf^ipop,  «AX«  xd  fxhp  €X€Q0P  (Txi/ov  fiet^op ,  xo  Si  eXaxxov 
€?t'  av^i-g  exEQOP  (rxi/ov  fiic^op  ,epda  .  .  ElXeid-via^  xxe. 


Weclclein:   Ueher  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.     209 

und  Nauck  führen  die  Conjektur  von  Dobree  \pv%ovg  an ; 
aber  um  sich  gegen  Kälte  zu  schützen,  zieht  man  nicht 
zerrissene  Kleider  statt  der  guten  an.  Die  Vermuthung 
von  Ribbeck  dX/.TiqqL'  aixfxrjg  gibt  nicht  den  passenden  Aus- 
druck, Wahrscheinlich  ist  tvxijq  in  z'evxrjS  zu  verwandeln. 
Die  schlechte  Kleidung  soll  einmal  die  Bitte  des  Telephus  um 
Heilung  unterstützen,  dann  aber  besonders  ihn  gegen  Miss- 
handlung schützen,  wie  es  Ennius  fr.  111  heisst:  caedem  caveo 
[hoc]  cum  vestitu ,  squalida  saeptus  stola.  Darnach  kann 
man  vermuthen,  dass  aQKTnjQia  aus  d^ijoyd)  und  {dX)xT7]QLa 
zusammengewachsen  ist,  und  dem  Dichter  etwa  den  Vers 
geben : 

doioyd  t'  Evyß](;  v^ctl  cpovcov  dXxzrjQia, 
Diesem  Bruchstück  setze  ich    Aristoph    Ach.  384 

evGKSvdoaadal  f-i'  Oiov  dd^hwiaTOv 
voraus.  Denn  dass  dieser  Vers  aus  der  Tragödie  kommt, 
beweist  die  Wiederkehr  436  und  aus  welcher  Tragödie  soll 
er  anders  stammen  als  aus  derjenigen,  aus  welcher  eben 
dort  die  Verkleidung  entnommen  wird?  Darauf  folgt  fr.  699 
=  Acharn.  440  sq. 

Sei  yaQ  ine  öo^ai  /tTcoyov  elvai  rriJLieQOv^ 
eivai  jLiev  oottsq  elf^ii,  cpaiveöd^ai  öe  fArj. 

Der  Scholiast  bemerkt:  ol  duo  orr/ot  ovzot  1%  Trikkpov 
EvQi7ildov.  Der  Ausgang  des  ersten  Verses  eivai  Tr]{.ieQOv 
kann  nicht  von  Euripides  herrühren.  Meineke  hat  dafür 
bIq  to  öJjfxeQOv  schreiben  wollen ;  allein  es  fehlt  auch  der 
nothwendige  Zusammenhang  der  beiden  Verse.  Aristophanes 
hat  offenbar  den  Sinn  komisch  verdreht.  Bei  Euripides  soll 
Telephus  sagen :  »denn  ich  muss  für  einen  Augenblick  als 
Bettler  erscheinen  und  einen  äusseren  Schein  annehmen, 
der  meinem  inneren  Wesen  keinen  Eintrag  thun  kann.  Er- 
scheine ich  auch  als  Bettler,  bleibe  ich  doch  König«,  vgl. 
Accius  Teleph.  fr.  VI  nam  si  a  me  regnum  Fortuna  atque 


210      Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  2.  November  1878. 

opes  Eripere  quivit,  at  virtutem  nee  quivit.     Ursprünglich 
muss  also  etwa  gestanden  haben: 

öei  yaq  (xs  öo^ai  Tcxo^yov  \l.v  7taQ0VTi~\  Kai 
etvat  juiv  oojteq  el/Ät,  cpaiveod^ai  de  fj-rj. 
D.  i.  Kai  ovTa  oaneq  elfxl  (ßaGiXea)  iJ.rj  cpaivsod^ai.  Im 
Munde  des  Dikäopolis  lautet  es:  »denn  ich  muss  heute 
Bettler  zu  sein  scheinen,  zu  sein  der  ich  in  Wirklichkeit 
bin  (ein  Bettler),  aber  nicht  zu  erscheinen.«  Der  komischen 
Verdrehung  kommt  es  auf  das  minder  passende  cpaiveöd^aL 
db  ixrj  nicht  an. 

Schloss  sich  nun  an  diese  Erzählung  gleich  die  Be- 
rathschlagung  der  Mittel  und  Wege  an,  die  wir  oben 
aus  fr.  727  a  und  b  entnommen  haben?  Es  könnte  scheinen, 
wenn  nicht  eine  zufällige  Notiz  etwas  anderes  andeutete. 
Zu  Acharn.  472  Kai  yaQ  sIiä'  ayav  oxXrjQog^  ov  öokwv  fxe 
KOiQccvovg  OTvyeiv  haben  wir  das  Scholion :  ox^Qog,  ov  öokwv 
fiev  KOiqavovg:  rovro  7tE7taQ(pör]Tai  dorifiwg  e^  Olviwg  Evqi- 
Tiidov  6  Se  2vjLijLiaxog  Kai  sk  Tr^Xecpov  g)r]Glv  avxo.  Es 
kam  also  auch  im  Telephus  etwas  ähnliches  vor.  Und  was 
kann  der  Weise  des  Euripides  entsprechender,  man  möchte 
sagen  hier  nothwendiger  sein  als  eine  ähnliche  Scene 
wie  Hei.  435  if.,  wo  der  mangelhaft  bekleidete  Menelaos 
vor  den  Palast  kommt  und  zuerst  von  der  alten  Dienerin 
sehr  unfreundlich  behandelt  wird,  dann  aber  weitere  Aus- 
kunft erhält  und  bereits  erfährt,  dass  seine  Gemahlin  Helena 
im  Hause  ist.  Die  Wiederholungen  Acharn.  456  XvTCTqQdg 
Yod-^  cov  Karto%(aQrjoov  öo/j-cov,  460  ^ioS-'  oxhjQog  wv  So/xotg^ 
472  Kai  yccQ  elfx'  ayav  ox^Qog  (vgl.  Eur.  Hei.  452  ox^Qog 
Xöd^  tov)  lassen  auf  einen  Vers  des  Telephus  etwa  wie 

ox^riqdg  wv  aneX&s  Xatvcov   araS^fxwv. 
schliessen.  ^)     Vor  allem  aber  weist  die  letzte  Bitte,  welche 

1)  Nach  Ach.  449  rovzl  lußiav  uuEk^e  1.  at.  Vgl.  Nauck  zu 
Adesp.  27.    In  dem  Text  des  Aristophanes  mehr  Parodien  anzunehmen 


WecMein:    Ueber  drei  verlorene   Tragödien  des  Euripides.     211 

Dikaiopolis,  nachdem  er  fast  schon  die  ganze  Tragödie  Tele- 
phus  abgebettelt  hat,  an  Euripides  richtet  Acharn.  474  S7te- 
Xa&6f.iirjv  8v  cüTTSQ  eori  ftavTa  (äol  xä  TtQccyfxaTa  .  .  /.ay.LOT'' 
cc7ioXoli,irjv,  ii  TL  (j'  ahrjoatf.i''  en  tcXtjv  cV  }.i6vov,  tovtI  f.i6vov, 
GycdvöiKa  j.iol  Sog  ixrjTQO&ev  öedeyiAevog,  auf  eine  Parodie  des 
Telephus  hin.  Der  Scholiast  bemerkt:  xal  sv  rolg  "^IitTtevoc 
öedrilcoraL  otl  tj  jurjTrjQ  EvqltvlÖov  jtojXelv  sleyero  GKavdinag. 
Allerdings  bezieht  sich  der  Scherz  auf  die  XaxccvoTtwlTjTQia 
(Thesm.  387) ;  allein  er  wäre  ganz  unvermittelt  und  ohne 
irgend  welche  Würze,  wenn  nicht  (.irjxqod^ev  Ö€Öey{.iivog  eben 
aus  dem  Telephus  stammte  und  dort  auch  der  wichtigsten 
und  letzten  Bitte,  die  der  Bettler  Telephus  an  den  Diener 
oder  die  Dienerin  des  Agamemnon  richtet,  angehörte.  Wir 
schliessen  daraus  auf  die  Bitte  des  Telephus : 

Tov  Ttalöa  fxoL  Sog  (.nqxqod^ev  öedey^evog. 
Darauf  konnte  folgen: 

TL  d\  (X)  TaXag,  oe  tovö^  e%ei  tskvov  XQ^^Sy^) 
Wie  Euripides  auf  jene  Bitte  hin  die  Thüre  zuschlägt,  Di- 
kaiopolis trostlos  klagt :  co  dvfx'  avsv  onavdiyiog  sjUTVOQevTea 
und  die  Gefahr  bedenkt,  dann  aber  mit  Ttqoßaive  vvv  o) 
d-v^e  .  .  Ol)-/,  et  Karaiticüv  EvQiTtidrjv ;  STtjjveo'' '  aye  vvv  o) 
raXaiva  Kagdla  sich    zu  Muth  und  Selbstvertrauen  aufrafft, 


als  die  Schollen  angeben,  dürfen  wir  kein  Bedenken  tragen.  Nur  zu- 
fällig erfahren  wir  z.  B.  anderswoher^  dass  Acharn.  659  if.  die  Parodie 
einer  Euripideischen  Stelle  sind.  Was  kann  klarer  sein  als  dass  in 
Thesmoph.  735  w  d^8(}fi6rarac  ywalx^g,  (o  noxiGzatai,  xdx  navxog  vfMelg 
[A,rj)((xi^(jofA,£vai  ntetp  das  Fragment  einer  Tragödie  xcc^  navidg  vfxelg 
^rixccvoofxepai  xctxov  enthalten  ist? 

1)  Nach  Arist.  Ach.  454  rl  6\  cS  raXccg,  ae  tov&'  %f«  nXixovg 
XQEog.  Auch  Frie,  528  hat  der  Komiker  nUzog  an  die  Stelle  von  rixog 
gesetzt.  Der  Schol.  bemerkt  allerdings:  xccl  rovio  nccQu  r«  sk  TtjU- 
cpov  Ev()i7ii6ov,  rC  <5'  w~  rccXag,  av  zmSs  nsiS-EGd-cu  ^iXXeig''  (fr.  714), 
Allein  die  blossen  Worte  tt  6\  cJ  xdlag  können  die  Parodie  nicht  be- 
gründen. 


212     Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  2.  November  1878. 

so  wird  auch  Telephus,  mit  seiner  Bitte  abgewiesen,  zuerst 
sich  der  Grösse  der  Gefahr  bewusst  werden  und  nachsinnen, 
ob  er  sich  des  Sohnes  von  Agamemnon  auf  andere  Weise 
bemächtigen  soll,  dann  aber  mit  aTcs/tTvo'  sx^Qov  q)COTdg 
e%Ü-iGtov  T€Kog  den  ganzen  Plan  aufgeben.  Es  lässt  sich 
vermuthen,  dass  bei  Aeschylus  Telephus  gleich  im  Besitze 
des  Knaben  erschien,^)  Absichtlich  lässt  dann  Euripides 
die  Handlung  so  beginnen,  dass  die  gleiche  Anlage  sich  zu 
ergeben  scheint,  dann  aber  den  Gang  plötzlich  sich  ändern. 
Einen  ähnlichen  Fall  haben  wir  in  der  Elektra  des  Sopho- 
kles, wo  V.  80  Orestes  den  Vorschlag  macht  zu  warten  und 
die  Klagen  der  Elektra  anzuhören,  woraus  sich  die  gleiche 
Anlage  wie  in  den  Choephoren  entwickeln  würde,  die  Auf- 
forderung des  Pädagogen  aber  der  Handlung  die  neue  Wen- 
dung gibt.  Den  Thürhüter  mochte  Telephus  zunächst  bitten, 
den  Agamemnon  herauszurufen,  wie  in  den  Thesm.  65  Eu- 
ripides durch  den  Diener  den  Agathon  will  herausrufen 
lassen.    Er  konnte  dann  auch  die  gleiche  Antwort  erhalten : 

fxrjSev  iKarev'' '  avrog  yccQ  s^eiGiv  xayji. 

So  konnte  Telephus  weiter  erfahren,  dass  Agamemnon  be- 
reits eine  Versammlung  beschieden  hat,  um  zu  berathen, 
wie  an  Telephus  wegen  der  erlittenen  Unbilden  Rache  zu 
nehmen  sei.  Dies  konnte  in  ihm  das  Verlangen  wecken, 
den  Sohn  des  Agamemnon  zu  erhalten,  um  mit  demselben 
sich  am  Altare  als  Schutzflehender  niederzulassen.  Da  die 
Bitte  abgeschlagen  war  und  ihm  die  Gefahr  in  ihrer  ganzen 
Grösse  vorschwebte,  konnte  er  wie  Thesm.  76  Euripides  in 


1)  Bei  Accius  wenigstens,  der  vorzugsweise  Äescbylus  zum  Vor- 
bild genommen  zu  haben  scheint,  wird  Telephus  zunächst  nicht  aufge- 
führt ,  sondern  über  ihn  berichtet :  fr.  III  —V,  X,  wahrscheinlich  auch 
VII  sind  diesem  Bericht  entnommen.  Er  muss  also  an  irgend  einem 
Altare  des  Hauses  oder  vielmehr  eines  nahen  Tempels  sitzen  mit  dem 
Orestes  im  Arm. 


WecMein:   lieber  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.     213 

seiner  Noth  ausruft:  Z'^de  d^iqf-dqa  yiQid^rioexai  elV'  «W  IVi 
twg  flV'  aTToXcoV  EvQi7ridrjg  ^),  aucli  sagen : 

SiT    €GT    £Ti  Lcov  ELT     oAcüAs   IrjAecpog. 

Wir  haben  also  in  Thesm,  66  und  76  f.  eine  wahr- 
scheinliclie  Parodie  des  Telephus  gefunden.  Auch  der  da- 
zwischen stehende  Vers  71  co  Zev  r/  dqäöaL  ötavoel  fie  xx]- 
f.ieQOv  erweckt  abgesehen  von  der  Form  xjifxeQOv  eine  solche 
Vermuthung.  Die  Vermuthung  wird  nicht  der  Form,  wohl 
aber  der  Sache  nach  bestätigt  durch  fr.  705 

Doch  wir  wollen  das  Gebiet  blosser  Vermuthungen  v/ieder 
verlassen  und  zu  einer  neuen  Scene  übergehen.  Nur  die 
eine  Bemerkung  haben  wir  noch  nachzutragen,  dass  fr.  719 

fxo%d^eiv  avayxrj  zovg  d-elovTag  evrvxsiv 

sehr  wahrscheinlich  jener  Ueberlegung  des  Telephus  ange- 
hört, wo  er  sieh  mit  co  raXaiva  -üagdlay  avaooa  nqayovg 
TOVÖE  nal  ßovleviÄatog,  r6lf.ia  ou  %av  tl  tqu^v  veifxojOLV  deoi 
zu  Muth  und  entschlossenem  Handeln  ermuntert. 

üeber  die  Parodos  und  die  Zusammensetzung  des  Chors 
erfahren  wir  nichts.  Zunächst  erhalben  wir  Bruchstücke 
aus  zwei  Reden  des  Telephus.  Der  vor  dem  Palaste  des 
Agamemnon  sitzende  Bettler  tritt  hervor  mit  den  Worten 
(fr.  701): 

el  nTOiyjog  lov  veTXrjyC  ev  eodloloiv  XeyeLv. 

Mit  Unrecht  will  Bakhuyzen  p.  121  diesem  Bruchstück 
fr.    706    vorausgehen    lassen.      Augenscheinlich    führt    sich 


1)  Die  dictio  tragica  in  diesen  Worten  bemerkt   auch  Bakhuyzen 
p.  112. 


214     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  2.  Nov&mher  1878. 

Telephus  mit  TeT%rjyC  Iv  iod-XolaLv  Xsyeiv  erst  eio,  während 
fr.  706,  wie  wir  sehen  werden,  eine  längere  Theil nähme  am 
Gespräche  voraussetzt.  Weiter  lassen  wir  fr.  705  folgen. 
Sehr  glücklich  hat  Nanck  die  Worte,  welche  Acharn.  430 
Earipides  spricht  oiö'  avdqa  Mvoov  Trj'keq)Ov  mit  der  schon 
oben  berührten  Notiz  des  Olympiodor  zu  Plat.  Gorg.  521  B 
et  OOL  Mvoöv  ye  rjötov  xaXelv :  rj  TraQOLf^la  avTrj  sk  tov  Trj- 
Xecpov  sovlv  EvQLJtidov '  sksI  yccQ  sQona  rig  neql  tov  Trjke' 
(fov  y,al  cprjol  xo  ^MvGov  Ti^Xeq)ov.  edre  ds  Mvaog  rjv  elts 
aXXoS-ev  uod-ev ,  Ttcoq  on  6  TTjleffog  yvco^lCeTai.^  Nauck 
sucht  das  Fragment  in  folgender  Weise  herzustellen ; 

old^  avöga  Mvoov  TriXeq)Ov'  [^Ivog  d^  oöe\ 
iix'  eorl  Mvoog  elts  xaXXod-iv  Ttod-ev, 
ex  Tov  TtQoocoTtov  TTqXscpog  yvwQi^eTai. 

So  würden  die  Worte  dem  Odysseus  gehören,  der  in  dem 
Bettler  den  Telephus  erkennt.  Wenn  Odysseus  den  Tele- 
phus an  den  Gesichtszügen  erkennen  würde,  so  wäre  nicht 
nur  eine  solche  Erkennung  sehr  unkünstlerisch,  sondern  es 
würde  auch  ein  längeres  Zwiegespräch  zwischen  Odysseus 
und  Telephus  vor  der  Erkennung  unmöglich  sein.  Ein 
solches  findet  aber,  wie  wir  sehen  werden,  thatsächlich  statt. 
0.  Jahn  a.  0.  S.  28  macht  sich  selbst  den  Einwand ,  dass 
er  möglicher  Weise  zu  viel  Gewicht  auf  das  Wort  yvioQi- 
'C.erai  lege.  Das  hat  auch  Nauck  gethan  und  dabei  die  Worte 
SQCor^  Tig  Tteql  tov  Tr^Xiq)Ov  ausser  Acht  gelassen.  Die 
Frage  rccog  .  .  yvojQi'QeTai;  muss  stehen  bleiben.  Wenn 
wir  auch  noch  das  überlieferte  etTs  .  .  r]v  m  Betracht  ziehen, 
so  müssen  wir  eine  Erzählung  vergangener  Ereignisse  er- 
kennen.   Wir  werden  demnach  so  zu  urtheilen  haben:  Mit 

oI(J'  avÖQa  Mvoov  Tr^Xeq)Ov  —  ^  — 

beginnt  Telephus  sein  falsches  Spiel:  »ich  kenne  den  Myser 
Telephus,  von  dem  ihr  sprecht ;  ich  bin  nämlich  einmal  nach 
Mysien  gekommen  (fr.  700) : 


WecMein:  lieber  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.    215 
KWTtTjQ  dvaoacov  yianoßdg  elg  Mvolav 

Er  wird ,  weil  er  nachher  Hass  gegen  Telephus  vorgibt, 
weiter  erzählen,  dass  er  Hilfe  suchend  zu  Telephus  gekom- 
men, von  ihm  aber  schnöde  abgewiesen  worden  sei.  Darauf 
kann  er  fortfahren:  »war  er  nun  ein  Myser  von  Geburt 
oder  anderswoher,  wie  ist  Telephus  den  Griechen  bekannt 
geworden?«,  also  etwa: 

EITS    08 

MvGog  [ysycogl  r^v  eItb  xakXod-iv  Ttod-ev^ 
Ttwg  TÖlg  [^%ato7g]   TrjXecpog  yvcoQiterai; 

Aus  Ach.  442  tovg  juiv  d^eardg  elSevai  ^u'  og  eifx'  eyw,  rovg 
(J'  av  xOQevrdg  r^XiS^lovg  TtageoTavat,  OTtcog  dv  amovg  qrj^a- 
Ttoig  OKi^allocü  vgl.  416  Sei  yaQ  f,ie  Xi^ai  tco  %oqi^  qrjaiv 
(ÄaxQav  scheint  hervorzugehen,  dass  Telephus  zuerst  mit  dem 
Chore  allein  verhandelt.  Allein  die  Anrede  dvöqeg  ^EXkrivwv 
ccKQOi  scheint  doch  auf  die  Anwesenheit  der  Fürsten  hin- 
zuweisen, so  dass  man  bei  Aristophanes  die  Hervorhebung 
der  Choreuten  damit  erklären  muss,  dass  eben  dort  Dikäo- 
polis  es  mit  dem  Chor  der  Acharner  zu  thun  hat.  Genauer 
sind  wir  in  dieser  Beziehung  unterrichtet  über  eine  weitere 
Rede  des  Telephus,  die  ein  besonderer  Glanzpunkt  des  Stückes 
gewesen  zu  sein  scheint.  Sie  wurde  gehalten  in  Gegenwart 
des  Agamemnon  (fr.  706)  und  suchte  die  Vorwürfe,  die 
Odysseus  gegen  Telephus  erhoben,  mit  der  Entgegnung, 
dass  was  für  die  Griechen  recht,  auch  für  den  Telephus 
billig  sei  (vgl.    besonders  fr.  710    und  712)    zu    entkräften. 


1)  STQccvfÄarCaS-r]!/  für  ixQav^axiad-ri  hat  Nauck  vermuthet.  Diese 
Aenderung  ist  nothwendig,  weil  nach  dem  Citat  bei  Aristot.  Rhet,  III  2 
p.  1405  a  29  x6  6k  wV  6  Trilf(pog  EvQiniSov  (prioi  Telephus  selbst  es 
sagt,  die  Verwundung  aber  von  keinem  anderen  als  von  dem  Heilung 
suchenden  Telephus  ausgesagt  werden  kann.  Die  Beziehung  auf  Ther- 
sandros  (Ribbeck  S.  106)  ist  unmöglich. 


216     Sitzung  der  pJiüos.-phüol.  Clause  vom  2.  November  1878. 

Dies  erfahren  wir  aus  der  Angabe,  welche  der  Schol.  zu 
Aristid.  vol.  II  p  19  rov  ös  TrjXecpov  ov%  o^tei  xä  avxa  Tavra'^ 
(vgl.  fr.  711)  macht:  Tig  twv  TtoirjTwv  eiodyei  rov  TT^Xeg)Ov 
IXeyyovxa  xov  "OSvoaea  ix  tcov  amcov  Xoycov  ovg  nqdg  tov 
Trjlecpov  eine,  um  die  Reconstruction  dieser  Rede  hat 
sich  Bakhuyzen  a.  0.  S.  20  ein  besonderes  Verdienst  er- 
worben. Angeregt  durch  eine  Bemerkung  von  Fritzsche  zq 
Thesm.  518  hat  er  den  gleichen  Gedankengang  in  der  Rede 
des  als  Bettler  verkleideten  Dikaiopolis  Ach.  497 — 556  und 
des  als  Frau  verkleideten  Mnesilochos  Thesm.  466-519  zum 
Theil  auf  Angaben  der  Schol.  gestützt  auf  die  qr^oig  des 
Telephus  zurückgeführt.  Nur  in  wenigen  Punkten  müssen 
wir  von  seinen  Aufstellungen  abweichen.     Dikäopolis  sagt: 

1)  Gestattet  mir  eine  Widerrede:  ich  bringe  zwar  Arges, 
aber  nur  Gerechtes  vor  (vgl.  fr.  706)  und  jetzt  kann  mir 
Kleon  nicht  nachreden,  dass  ich  vor  Fremden  die  Stadt  an- 
schwärze; denn  wir  sind  unter  uns. 

2)  Ich  hasse  wohl  die  Lacedämonier ;  denn  auch  mir 
sind  die  Weinstöcke  umgehauen ;  aber  was  beschuldigen  wir 
die  Lacedämonier?  Wir  haben  den  Krieg  angefangen;  wir 
haben  die  Megarer  aufgereizt  u.  s.  w. 

3)  Es  wird  vielleicht  der  eine  oder  der  andere  meinen : 
»es  hätte  nicht  sein  sollen,  aber  was  hätte  denn  sein  sollen?« 
(fr.  707).  Hätten  die  Lacedämonier  dergleichen  gethau, 
wäret  ihr  ruhig  zu  Hause  sitzen  geblieben?  Noch  langer 
nicht  (fr.  710).  Ihr  hättet  gleich  dreihundert  Schiffe  ins 
Meer  gezogen  u.  s.  w.  Das  hättet  ihr  gewiss  gethan;  von 
Telephus  aber  glauben  wir  es  nicht?  Dann  habt  ihr  keinen 
Verstand  (fr.  711). 

Mnesilochos  vertheidigt  den  Euripides  mit  folgender  Rede : 

1)  Dass  ihr  Frauen  auf  Euripides  heftig  ergrimmt  seid, 

ist  kein  Wunder.  Denn  auch  ich,  so  wahr  ich  wünsche  Freude 

an  meinen  Kindern    zu  erleben ,   hasse   jenen  Mann ;    sonst 


WecUein:   lieber  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.     217 

müsste  ich  närrisch  sein.  Aber  doch  müssen  wir  uns  Rechen- 
schaft geben ;  wir  sind  ja  unter  uns. 

2)  Was  haben  wir  für  einen  Grund  jenen  zu  beschul- 
digen und  ihm  gram  zu  sein?  Wenn  er  uns  zwei  oder  drei 
üble  Dinge  nachredet,  so  lassen  wir  uns  ja  tausend  zu 
Schulden  kommen. 

3)  Thun  wir  das  nicht?  Ja  wahrhaftig!  Und  dann 
zürnen  wir  dem  Euripides,  obwohl  wir  nicht  mehr  erlitten 
als  gethan  haben  (fr.   712). 

Hieraus  ergibt  sich  deutlich  der  Gedankengang  der  Rede 
des  Telephus.     Dieser  beginnt  mit  fr.  706 : 

^^yafisfÄVOv,  ovo'  el  TceXe^vv  sv  xeqolv  ^ym> 
(.liXkoi  Tig  elg  7tQa%r]Xov  ejußaleh  sfj,6v, 
GiyrjOOfiai  dUaid  /  avTsirvelv  e'x^v. 

und  fährt  fort:    »es  ist  kein  Wunder,  wenn  ihr  den  Tele- 
phus hasst;  auch  ich  hasse  den  Maun  (fr.   702): 

[luiow  yoLQ  avrog  avÖQ'   skeIvov  el  de  ^t^',] 
yMKwg  s'xoi  /^ol,    TijXeqjco  d'  äyto  qjQOvcd.^) 

„Aber  wir  müssen  uns  Rechenschaft  geben : " 
avTol  yaq  EGf.tevJ) 


1)  Vgl.  Enn.  fr.  IV  qui  illum  di  deaeque  magno  mactassint  iiialo. 
Der  erste  Vers  ist  aus  Thesm.  469  f.  gemacht :  xavTrj  yaQ  eyu)y\  ovrcog 
opalfxrjp  T(i)V  rixviüv ,  fiKSÖ)  rov  avög'  ixf.iroi',  &l  fxrj  jucciyo/uat.  Der 
zweite  Vers  ist  bei  dem  Schol.  zu  Arist.  Ach.  446  evSai^ovoCrig-  Trikecpco 
6^  ay(o  cpQofm  überliefert:  nagd  zd  ex  Tt]7.€(pov  Ev^mlSov  ,xcil(t)g  s/oi/ui, 
Tt]l€<pa)  <5'  dyu)  (pqovoii\  Die  Aenderung  xaxojg  s/oc  fxoi,  welche  durch 
den  Sinn  und  den  Dativ  TriU(p(a  gefordert  wird,  rührt  von  Dobree  her. 
In  der  Stelle  des  Aristophanes  hat  Meineke  mit  Recht  aus  Athen.  V 
p.  186  C  si)  aoc  yspoizo  für  EvJ^cci/uoyoLtjg,  welches  457  am  Platze  ist, 
aufgenommen.  Die  Verwandlung  von  xaxcog  s/oi  fj,ot  in  fv  ooi  yiyoiro 
entspricht  eben  der  komischen  Verdrehung. 

2)  Die  Wiederholung  dieser  Worte  Ach.  504,  Thesm  472  beweist, 
dass  sie  aus  dem  Telephus  stammen. 


218     Sitzung  der  pMlos.-pMlol.  Classe  vom  2.  November  1878. 

,,Wir  haben  zuerst  Unreclit  gethan;  wir  sind  in  das  Land 
des  Telephus  eingefallen ;  haben  alles  verheert.  Er  musste 
sich  wehren." 

eiTa  örj  S^vjLiovjueda  ♦ 

Ttad^ovTsg  ovSiv  fxetCov  tj  dedgaytoTsg;  (fr.   712) 
sqeI  Ttg,  ov  xQYiv '  dXka  7t wg  ^)  xQ^^  sl'/taTs.   (fr.   707). 

,,Wenn  Telephus  mit  einem  Heere  in  Griechenland  einge- 
fallen wäre, 

Kad-^od-'  av  SV  öoi-iOLöiv ;  ri  7tollov  ye  Sei.  (fr.   710) 
Ihr  hättet  vielmehr  mit  den  Waffen  in  der  Hand  den  frechen 
Eindringling  abgewehrt." 

lyam''  av,  oacp""  old\  eöqaTe]  '  %ov  de  Tr^'keq)Ov 
ovK  olofxeG&a;  vovg  aq'  ovy.  eveöTi  Goi.  fr.   711  ^) 

Auf  diese  Scene  des  Telephus  folgte  wie  auf  die  des 
Dikäopolis  und  Mnesilochos  eine  erregte  Scene,  aus  welcher 
Ach.  577 

CLTtaoav  Tj^cov  zrjv  TtoXiv  KaxoQQod-et 
von  dem  Schol.  als  Euripideisch  bezeugt  wird  (fr.  713)  und 
wahrscheinlich  auch  fr.  723 

w  noXig  ^Liqyovg,  \ylve^''  ola  Xeyei] 
herrührt.     Ich  brauche  nicht  auszuführen,    dass  die  Person 
des  Telephus  vorderhand  noch  unbekannt  ist.    Die  ävayvco- 


1)  Bei  Aristoph,  Ach.  540  heisst  es  alld  tl  i/Qn^  Dinare.  Das 
der  tragischen  Sprache  passende  ncog  %Q^y  bat  Erfurdt  hergestellt. 

2)  Bei  Aristoph.  Ach.  555  heisst  es  ravT'  olS'  otc  av  sSQare  .  . 
yovs  ccq'  vfj.lv  {nfiiv)  ovx  t'vi.  Nach  dem  Schol.  tov  6h  Tr{kicpov'.  xal 
Tccvra  Trikscpov  EvQiuiSov  ist  das  vorhergehende  nicht  aus  dem  Telephus. 
Ein  ähnlicher  Gedanke  aber  musste  vorausgehen.  Nauck  dachte  an  ravi\ 
ol&a,  xäv  sSgazf.  Zu  dem  Scbluss  bemerkt  Nauck  richtig:  nee  vera 
est  tradita  lectio  neque  i^fj^of  aut  i^>/uiv  forraam  Euripides  usurpavit.  Da 
bei  Euripides  Telephus  den  Odysseus  widerlegt,  habe  ich  dem  entsprechend 
geändert. 


Wechlein:   lieber  drei  verlorene  Tragödien  des  Euriiyides.     219 

QLGig  musste  nunmehr  folgen.  In  der  Erregung  bracMe 
jedenfalls  Telephus  Dinge  vor,  aus  denen  ein  schlauer  Mann 
wie  Odysseus  das  wahre  Sachverhältniss  errieth.  Man  kann 
vielleicht,  wie  Bakhuyzen  p.  121  meint,  aus  Ach.  593,  wo 
Lamachos  dem  Dikäopolis  zAiruft :  xavxl  Myeig  öv  top  otqu- 
Tr]ydv  TCXioyjoQ,  cov ;  und  Dikäopolis  entgegnet :  eyco  yag  eljxi 
TüTOJxog;  (dlld  xig  ydq  el;)  oorig;  TtoXlTijg  xQrjOTÖg  xTf., 
entnehmen,  dass  Telephus  gereizt  selbst  erklärte,  er  sei  kein 
Bettler,  sondern  König  von  Mysien.  Oder  vielmehr  wird 
er  bloss  erklärt  haben,  er  sei  kein  Bettler,  und  dann  zur 
Rede  gestellt,  wer  er  sei  und  nun  in  Furcht,  er  möge  wegen 
seiner  Vertheidigung  des  Telephus  erkannt  werden,  um  dies 
zu  verhüten  gerade  solches  vorgebracht  haben,  woraus  Odys- 
seus auf  seine  Person  schliessen  konnte.  Dann  war  die  dva- 
yvüJQLGig  jene,  welche  Aristoteles  Poet.  c.  16  p.  1455a  als 
avvd^exrj  st,  TtaQaXoyiOfiov  [xal  övXXoyLGj.wv]  xov  d^atsQOv^) 
bezeichnet. 

Fügen  wir  zu  dem,  was  uns  bisher  die  Parodie  des  Ari- 
stophanes  an  die  Hand  gegeben  hat,  noch  die  Beobachtung, 
dass  Ach.  492  f.  ooTig  7taQ(xo%iov  xri  rcoXu  xöv  avyha  drcaGi 
\xtllug  ug  Myeiv  Tavavxia  und  der  ganze  Scherz,  dass  Di- 
käopolis über  einem  Hackblock  spricht  (318  wreq  STti^rivov 
■d-eli^oco  TTavd'''  oo'  dv  Xeyco  liyeLv^  355  ff.)  augenscheinlich 
auf  die  Worte  des  Telephus  fr.  706  ovd'  el  irtkf^vv  h  yje- 
Qoiv  Ijcjüv  ixeXXoL  Tig  elg  rqdxrj'kov  SjußaXelv  ey.6v  zurückgeht, 
so  sehen  wir,  dass  die  ganze  Scene  von  394  x«/  ^ol  ßadi- 
oxe"  eoTLv  cog  EvqlttIötjv  bis  zu  dem  Auftreten  des  Lamachos 
eine  wenn  man  so   sagen   darf  treue  Carikatur  des  Euripi- 


1)  Obwohl  sich  zu  awd-er^  leicht  aus  dem  vorhergehenden,  wo 
die  dvayvwQLGig  sx  avlT^oyiafxov  behandelt  wird,  i^c  avll.  ergänzen  lässt, 
so  scheint  doch  die  Beifügung  von  rov  ^axegov  die  Einsetzung  von  xal 
avXkoyiGfxov  zu  fordern:  aus  dem  7iaQaloyafj,og  des  Unbekannten  ergibt 
sich  der  avXloyiajuog  des  anderen  und  damit  die  Erkennung. 


220      Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  2.  November  1878. 

deischen   Telephus   ist,    was  unserer   bisherigen  Restitution 
eine  nachträgliche  Bestätigung  bringen  dürfte. 

Für  den  weiteren    Fortgang   der  Handlung    haben  wir 
leider  nur  ganz  spärliche  Bruchstücke,  die  uns  wenig  lehren. 
Der  Rede  des  Telephus,  mit  welcher  er  nach  seiner  Erken- 
nung sein  Thun  rechtfertigt,  kann  fr.   708  angehören : 
TL  yaq  f,ie  jilovrog  coq)eXei  voaovvrd  ys ;  ^) 
GjuiKQ^  av  ^eloijLit  Kai  Tacp^^)  rj^iSQav  eytov 
ahvTtog  oIkeIv  jnaXXov  fj  tcXovtcov  voaetv. 

Den  Eindruck,    welchen    die  Rede   auf  den  Chor   gemacht, 
können  im  Munde  des  Koryphaios  die  Worte  fr.  709 : 

ov  tccq'  'Odvooevg  gotiv  aifxvXog  fAOvog ' 
XQeia  öidaOKei,  '/.av  ßqaövg  xig  j^,  öocpöv 

schildern.  Doch  ist  die  Zuweisung  au  den  Chor  ungewiss. 
Nach  der  dvayvcoQioig  muss  eine  Aussöhnung  zwischen 
Telephus  und  Agamemnon  zu  Stande  kommen,  da  nachher 
Agamemnon  für  Telephus  gegen  MeneJaus  und  Achilles  auf- 
tritt. Diese  Wendung  müssen  wir  nicht  blos  der  Beredt- 
samkeit  des  Telephus,  auf  welche  unter  anderem  die  Be- 
merkung des  Aristophanes  Ach.  429  Ttgooaizaiv  GxwfxvXog 
ösivog  Xiyeiv  hinweist,  sondern  vor  allem  der  politischen 
Klugheit  des  Odysseus  zurechnen ,  der  in  dem  entdeckten 
Telephus  den  durch  das  Orakel  angedeuteten  Führer  gegen 
Troja  erkennt.  Es  entspricht  ganz  dem  Charakter  des  Odys- 
seus, wenn  er,  der  vorher  der  heftigste  Gegner  des  Telephus 


1)  Wenn  vöcrov  als  Lesart  der  Handschriften  feststeht,  kann  man 
ri  yccQ  ^'  e/opta  n^Miitog  corps'ket  p6aoi^\  vermuthen.  Aber  vielleicht 
ist  auch  dann  das  durchaus  passende  voaolvTu  ye  die  richtige  Enien- 
dation. 

2)  tc((p'  rjfxEQav  habe  ich  für  zad^  -^fjLSQav  geschrieben.  Denn  da 
■Kai  nicht  „auch",  sondern  nur  „und"  heissen  kann,  ist  nach  afiUQcc  ein 
zweites  Objekt  nöthig.  Mit  tdcp'  iq^egay  vgl.  z.  B.  EL  429  Trjg  6'  icp' 
^fiEQccv  ßoQag  xai  afxUQov  ccqxel. 


Wecklein:  Ueber  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.     221 

gewesen,  nunmehr  dessen  eifrigsten  Fürspreclier  macht.  Nach 
der  Aussöhnung  handelt  es  sich  darum,  den  Achilles  zur 
Heilung  des  Telephus  zu  bewegen.    Achilles  tritt  auf;  fr.  724 

öv  d'  elyC  dvayxrj  xal  &edlOL  (xri  (xd^ov  * 
roXfxa  öe  TXQooßXeiceiv  fj.s  Kai  q)QoviqfxaTog 
xdXa.  xd  TOI  ixkyiöxa  TtollaKig  S^eog 
TaTtelv'  sd^rjKs  Kai  ovvioTsiXev  TcdXiv 

spricht  Telephus  zu  Achilles ;  d-edloi  f^rj  (Jidxov  bezieht  sich 
auf  das  Orakel  o  TQCuaag  /.al  Idaevai.  Agamemnon  unter- 
stützt die  Bitte  des  Telephus.     Achilles  entgegnet  fr.  714: 

tI  ö^  üj  TaXag ;  av  Tq)ös  Tteldeod^al  fx    SQelg ;  ^) 
Dem  Achilles  gilt  auch  die  Ermahnung  fr.  715: 
coQa  oe  d^vfxov  KQSLOaova  yvwfxrjv  eyeiv. 

Achilles  weigert  sich  entschieden  den  Telephus  zu  heilen, 
einmal  weil  er,  wie  es  bei  Hygin  heisst,  die  Heilkunst  nicht 
verstehe,  das  Orakel  also  falsch  und  Telephus  ein  Lügner 
sei,  dann  aber  auch  weil  er  es  für  pflichtwidrig  halte,  einem 
Feinde  wie  Telephus  zu  nützen.  Das  letztere  Motiv  ergibt 
sich  aus  Enn.  fr.  V :  verum  quorum  liberi  leto  dati  Sunt 
in  hello,  non  libenter  haec  enodari  audiunt.  Denn  haec 
enodari  kann  sich  nur  auf  die  schliessliche  Deutung  des 
Orakelspruches  o  xqcßoag  yial  Idoerat  beziehen.    Von  fr.  910 

TCQog  tav^^  0  tl  xq^  xal  TvaXajj,do&co 
y,al  näv  e/r'  e^ol  TSKTaLveod^co ' 
t6  yaQ  ev  f.ier''  i/nov 
xal  To  öiKaiov  Gv/2i.iaxov  eoTai 
Y.ovJl.nq  Ttod-'  dXcd  xaxd  Ttqdöoov, 

hat  Bergk,  weil  die  Stelle  Ach.  659  ff.  parodiert  wird,  ver- 
muthet,  dass  das  Bruchstück  dem  Telephus  angehöre ;  dieVer- 


► 


1)  ja'  i^Eig  habe  ich  für  (xellecg  geschrieben;  Valckenaer  hat  d-i- 
Xeig,  Geel  f^e  ^tjg,  Nauck  ^af  ?.ijg  vermuthet. 

[1878.  I.  Philos.-philol-hist.  CI.  Bd.  II,  2.J  16 


222     Sitzung  der  pfiilos.-philol.  Classe  vom  2.  November  1878. 

muthung  wird  durch  das  obige  noch  wahrscheinlicher  gemacht. 
Wir  werden  die  Worte  wegen  ftqoq  xavra  mit  Imperat. 
(,,an  meinem  festen  Entschluss  kann  er  nichts  ändern"), 
besonders  aber  wegen  ov  f.ir^  7to&''  aXto  Kaxd  /tqccoocov  nicht 
dem  Telephus  geben  dürfen ;  dagegen  sind  sie  sehr  geeignet 
im  Munde  des  Achilles;  er  spricht  sie  dann  am  Ende  der 
Scene,  nachdem  Agamemnon  bereits  unter  Drohungen  in 
den  Palast  getreten. 

In  einer  neuen  Scene  tritt  Menelaos  dem  Agamemnon 
gegenüber.  Menelaos  ergreift  natürlich  Partei  für  Achilles ; 
er  will  nicht,  dass  die  Freundschaft  und  Hülfe  eines  Helden 
wie  Achilles  der  Theilnahme  für  Barbaren  zum  Opfer  ge- 
bracht werde.     Ihm  werden  darum  fr.  717  und  718 

'"Ellrjveg  ovxeg  ßaQßccQOig  dovlevooiAev; 

xcfxwg  oXoiaT'  '  a^LOv  yaq  "^Ellaöi. 

zuzuweisen  sein.     Auch  fr.  716 

-/.aytog  tlq  eöti  nqo^evio  gol  x^w^iEvog 

ist  gegen  Agamemnon  gesprochen,  an  welchem  Telephus 
einen  Gönner  und  Beschützer  gefunden  hat ;  ob  von  Achilles 
in  der  vorhergehenden  Scene  oder  von  Menelaos,  ist  un- 
gewiss. Agamemnon  hält  dem  Menelaos  entgegen,  dass  der 
Feldzug  nach  Troja  ohne  die  Führung  jdes  Telephus  un- 
möglich sei ;  darum  schliesst  die  Scene  mit  den  Worten  des 
Agamemnon  fr.  721  und  722: 

l'^'  OTTOi  xQji^sig '  ovx  aTtoXovixai 

Trjg  Grjg  '^Elevr]g  eive'Ka 

2/taQTr]v  sXaxsg^  y,6ivr]v  ycoGfiei, 
rag  de  Mvxit^vag  r^i^ieig  Idla. 

Für  beide  Scenen  erhalten  wir  also  den  gleichen  Schluss 
mit  Anapästen,  was  die  obige  Anordnung  nur  zu  bestätigen 
geeignet  ist. 


Wecklein:  Ueher  drei  verlorene  Tragödien  des  Euripides.    228 

Der  zur  äussersten  Erbitterung  und  Heftigkeit  ent- 
wickelte Streit  droht  die  Einigkeit  der  griechisclien  Fürsten 
vollständig  aufzulösen  und  das  nationale  Unternehmen  zu 
vereiteln :  da  wird  durch  die  richtige  Deutung  des  Orakels, 
dass  nicht  Achilles,  sondern  die  Lanze  gemeint  sei,  welche 
abgeschabt  die  Wunde  heile: 

TCQLöxdiöi  loyxrig  d^k'kyB.xai  QLviqfxaGLV  (fr.   725) 

der  Grund  des  Streites  beseitigt ;  der  allgemeinen  Zufrieden- 
heit steht  nichts  im  Wege.  Ob  eine  solche  Aufklärung  und 
allgemeine  Befriedigung  bei  Euripides  nicht  eher  von  einem 
Gotte  als  von  dem  Scharfsinn  des  Odysseus  ausgehe,  muss 
zweifelhaft  bleiben.  Bei  Hygin  gibt  Odysseus  die  Lösung : 
den  Odysseus  konnte  der  römische  Dichter,  an  den  wir  oben 
gedacht  haben,  eher  brauchen  als  einen  deus  ex  machina. 


16* 


224     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  2.  November  1S78. 


Nachträge  zu  Herrn  Bursian's  Aufsatz 

Die    wissenschaftlichen    Ergebnisse    der    Aus- 
grabungen   in    Dodona.' 


Zu  S  12,  Anm.  1 :  Mit  Tfl.  34,  1  ist,  wie  Prof.  F.  Blas s 
bemerkt  hat,  das  Bruchstück  Tfl.  35,  4  zu  verbinden:  da 
nun  dort  Z.  2  das  Femininum  des  Artikels  f  ^  d.  i.  a 
lautet,  so  ist  auch  Tfl.  34,  1  Z.  2  -j"  ^  sils  ein  blosses 
Versehen  des  Schreibers  für  j-  ^  zu  betrachten 

Zu  S  16,  Z.  6  ff.:  Das  eMBOYNIMAIG  der  Steinschrift 
ist,  wie  Director  Dr.  Lud.  Wen  i  ger  in  Eisenach  erkannt  hat, 
als  ifj.  BovvLjLiaig  aufzufassen,  d.  h.  nach  dem  Kalender  der 
epeirotischen  Stadt  Bunimä  (oder  Buneima) :  vgl.  Steph. 
Byz.  unter  BovveifJ-a  und  unter  TQa(,inva. 


Herr  T  r  u  m  p  p    machte  vorläufige  Mittheilungen   über   das 
äthiopische  Adams-Buch. 


Historische  Classe. 


Der  Classensecretär  Herr  v.  Giese brecht  legt  vor: 

„Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maxi- 
milian I.  für  den  Hofmeister  Ferdinand 
Maria 's  vomJahre  1646''  von  Studienlehrer 
M.  Rottmanuer. 

Der  verdienstvolle  Lipowskj  bemerkt,  wo  er  in  seiner 
Biographie  des  Kurfürsten  Ferdinand  Maria  von  Bayern  von 
dessen  frühester  Jugend  spricht^):  im  Drang  der  Geschäfte 
und  des  Krieges  habe  sich  Kurfürst  Maximilian  I  mit  der 
Erziehung  seines  Sohnes  nicht  genugsam  und  nach  Wunsch 
beschäftigen  können;  da  habe  denn  die  Mutter,  die  Kur- 
fürstin Maria  Anna,  das  Kind,  dann  mit  Hilfe  zweier  Jesuiten 
den  Knaben  erzogen  und  unterrichtet.  Nach  dem  Abschluss 
des  westphälischen  Friedens  habe  Maximilian  I  mit  Ver- 
gnügen wahrgenommen,  welch  grosse  Fortschritte  der  Kur- 
prinz in  verschiedenen  Künsten  und  Wissenschaften,  in  der 
lateinischen,  französischen  und  italienischen  Sprache  mittler- 
weile gemacht  hatte. 


1)  Des  Ferdinand  Maria  Lebens-  und  ßegierungsgeschichte,  S.  U  flF, 


226         Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  November  1878. 

Verveaux,  der  Beichtvater  Maximilian's  I  und  später 
Ferdinand  Maria's,  der  die  Verhältnisse  des  damaligen  kur- 
bayerischen Hofes  aus  unmittelbarer  und  persönlicher  An- 
schauung kannte,  gibt  an,  dass  Ferdinand  Maria  schon  in 
seinen  Knabeujahren  einen  seiner  hohen  Geburt  und  seiner 
künftigen  Stellung  geziemenden  Unterricht  in  wissenschaft- 
lichen Dingen  und  in  ritterlichen  Uebungen  empfangen  habe ; 
doch  versäumt  er  nicht,  die  persönliche  Sorgfalt  des  Vaters 
für  die  Heranbildung  des  Sohnes  und  Nachfolgers  hervor- 
zuheben.^) 

Für  die  Richtigkeit  der  letzteren  Behauptung  Verveaux', 
welche  an  und  für  sich  der  Glaubwürdigkeit  nicht  entbehrt, 
liegt  jetzt  ein  unwidersprechlicher  Beleg  vor.  Es  war  im 
Herbste  des  Jahres  1646,  dass  der  kurbayerische  Hof  vor 
den  Schrecknissen  der  französisch-schwedischen  Invasion  die 
Hauptstadt  München  verliess  und  sich  nach  Wasserburg 
flüchtete.  Gerade  um  jene  Zeit  wurde  Ferdinand  Maria, 
geboren  den  31.  Oktober  1636,  zehn  Jahre  alt;  man  be- 
schloss ,  ihn  der  Kinderstube  und  Frauenaufsicht  zu  ent- 
nehmen und  der  Leitung  eines  Hofmeisters  zu  übergeben, 
unter  dessen  Befehl  nicht  blos  die  gesammte  Dienerschaft 
des  Prinzen  stand,  sondern  auch  die  beiden  Kammerherren 
desselben,  die  jede  Woche  abwechselnd  den  Dienst  hatten, 
und  der  Präceptor,  der  dem  Prinzen  den  Unterricht  in  der 
Religionslehre,  in  der  lateinischen  Sprache,  in  der  Geschichte 
u.  s.  w.  ertheilte.  Zum  Hofmeister  seines  Sohnes  bestimmte 
Maximilian  I  einen  seiner  Geheimen  Räthe  und  Kämmerer, 
Johann  Adolph  Baron  Wolf  genannt  Metternich  ;  in  welchem 
Grade  dieser  das  Vertrauen  seines  Herrn  besass,  geht  daraus 
hervor,  dass  er  von  Maximilian  I  in  seinem  Testamente 
unter  die  Zahl  der  Administrations-  und  Vormundschafts- 
räthe   aufgenommen   wurde ,    denen   das  Wohl   des   Landes 


1)  Adlzreiter,  Boicae  gentia  annales,  P.  III.  1.  XXXIV.  §  12. 


Bottmanner:  Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I     227 

während  der  Minderjährigkeit  Ferdinand  Maria's  (1651  — 
1654)  überantwortet  war.^)  Als  nun  aber  Metternich  in 
sein  Amt  als  Hofmeister  eintrat,  liess  ihm  Maximilian  I 
als  Richtschnur  für  die  Erfüllung  seiner  Pflichten  eine  In- 
struction einhändigen,  welche  die  Grundsätze  enthielt,  nach 
welchen  die  Erziehung  Ferdinand  Maria's  geleitet  werden 
sollte ;  der  Kurfürst  folgte  hierin  dem  Beispiel  der  Kaiser 
Ferdinand  I  und  Maximilian  II,  sowie  dem  Vorgange  seines 
Grossvaters  Albrecht  V  und  seines  Vaters  Wilhelm  V, 
welche  ebenfalls  den  Erziehern  ihrer  Söhne  eingehende  Vor- 
schriften hatten  zustellen  lassen.^)  Die  Tradition  von  der 
Instruction  Maximilian's  I.  ist  im  Munde  des  Volkes  noch 
nicht  erloschen  ;  das  Concept  derselben  aber  hat  sich  im 
Cod.  ital.  632  der  k.  Hof-  und  Staatsbibliothek  zu  München 
erhalten;  das  Verdienst  auf  dies  merkwürdige  Schriftstück 
aufmerksam  gemacht  zu  haben,  hat  der  Secretär  der  k.  Hof- 
und  Staatsbibliothek  Herr  Wilhelm  Meyer  zu  beanspruchen. 
Die  Instruction  für  Metternich  ist  in  italienischer 
Sprache  abgefasst  und  vom  1.  Dezember  1646  datirt ;  als 
Ort  der  Ausstellung  ist  Wasserburg  angegeben.  Das  Con- 
cept kann  nicht  von  Maximilian's  I  eigener  Hand  herrühren ; 
die  Schriftzüge  sprechen  nicht  weniger  dagegen  als  der  Ge- 
brauch der  italienischen  Sprache,  die  in  der  Hofkanzlei  aus- 


I 


1)  Westenrieder :  Beiträge  zur  vaterländischen  Historie ,  Bd.  X. 
S.  17.  51.  S.  ausserdem  Lipowsky,  S.  45  und  50;  Cod.  ital.  632,  61a 
und  61  1. 

2)  Adlzreiter,  P.  III.  1.  I.  §  6  und  §  10.  Die  Instruction  Wil- 
helm's  V.  v.  J.  1584  ist  im  Cod.  ger.  mon.  2614  vorhanden,  im  ge- 
druckten Handschriftenkatalog  (Bd.  V.  S.  296)  aber  als  Instruction 
Maximilian's  I.  bezeichnet;  abgedruckt  bei  Westenrieder  Bd.  HI.  S.  146  ff., 
mit  fehlendem  Eingang  und  Schi uss  bei  Wolf :  Geschichte  Maximilian's  I. 
und  seiner  Zeit;  vgl.  Föringer  in  den  Bayerischen  Annalen,  'Jahrg.  1835, 
S.  246  ff.,  Aretin:  Geschichte  des  bayerischen  Herzogs  und  Kurfürsten 
Maximilian's  des  Ersten,  I.  S.  854  ff.  und  Stieve:  Der  Ursprung  des 
dreissigjährigen  Krieges  I.  S.  60  ff. 


228       Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  November  1878. 

sdiliesslich  zur  Correspondenz  nach  Italien  verwendet  wurde, 
während  der  Kurfürst  selbst  deutsch  zu  schreiben  pflegte: 
sind  doch  auch  die  Monita  paterna,  wie  man  jetzt  gewiss 
weiss,  ursprünglich  in  deutscher  Sprache  abgefasst  worden.  ^) 
Nichtsdestoweniger  muss  Maximilian  I  für  die  Autorschaft 
des  Documentes  in  Anspruch  genommen  werden ,  insofern 
die  hierin  enthaltenen  Erziehungsnormen  nur  mit  seinem 
Wissen  und  seiner  Billigung,  nur  im  Einklang  mit  seiner 
Willensmeinung  und  seinen  pädagogischen  Ueberzeugungen 
aufgestellt  werden  konnten,  nicht  in  dem  Sinne,  dass  diese 
.Vorschriften  von  ihm  erst  erfunden  und  in  eine  zusammen- 
hängende Form  gekleidet  wurden;  denn  die  meisten  dieser 
Bestimmungen  finden  sich  schon  in  der  sehr  reichhaltigen  Lit- 
teratur  der  vorausgehenden  Jahrhunderte  über  Erziehung  der 
Vornehmen  und  über  Fürstenpflichten  verzeichnet,  sowie  in  der 
eben  erwähnten  Instruction  Wilhelm's  V,  von  welcher  aus- 
drücklich überliefert  wird,  dass  ihr  ähnliche  Zusammenstell- 
ungen zu  Grunde  gelegt  worden  waren. ^)  Ja  es  scheint 
sogar,  dass  aus  solchen  im  Laufe  der  Zeit  sich  anhäufenden 
Erziehungsregeln  allmählich  ein  bestimmtes  System  entstand, 
das  für  den  jedesmaligen  Fall  des  Gebrauchs  vorgenommen 
und  denspeciellen  Verhältnissen  gemäss  nur  modificirt  wurde; 
anders  lässt  sich  die  auffallende  üebereinstimmung  in  den 
Principien ,  manchmal  sogar  im  Wortlaut  nicht  leicht  er- 
klären ,  wenn  man  z.  B.  die  Instruction  des  lutherischen 
Herzogs  Heinrich  Julius  von  Braunschweig  für  die  Hof- 
meister seiner  Söhne  Rudolf,  Friedrich  Ulrich  und  Christian 
aus  dem  Anfang  des  17.  Jahrhunderts^)  mit  den  Anord- 
nungen des  römisch-katholischen  Kurfürsten  von  Bayern 
vergleicht :  so  sehr  begegnen  sich  die  Ansichten  dieser  Fürsten 


1)  Söltl:  Der  christliche  Fürst,  S.  4. 

2)  Adlzreiter,  P.  III.  1.  I.  §  6. 

3)  Opel:  Der  niedersächsisch-dänische  Krieg,  I.  S.  138  ff. 


Rottmanner:  Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I     229 

in  den  Forderungen  der  religiös-sittlichen  Ausbildung  ihrer 
Söhne,  der  genauen  üeberwachung  ihrer  Umgebung,  in  der 
Bestimmung  der  ünterrichtsgegenstände  und  Erholungs- 
mittel u.  s.  w.  Auch  die  Anordnungen ,  welche  der  refor- 
mirte  Kurfürst  Karl  Ludwig  von  der  Pfalz  zur  Erziehung 
seines  raugräf liehen  Sohnes  Karl  Eduard  1678  traf^,  ent- 
halten manche  Berührungspunkte  mit  den  vorhergenannten 
Instructionen. 

Natur  gemäss  aber  lehnte  sich  der  Plan  Maximilian'«  I 
zur  Erziehung  Ferdinand  Maria's  nach  Form  und  Inhalt 
zumeist  jenen  Vorschriften  an,  nach  denen  seine  eigene 
Jugend  geführt  worden  war,  nämlich  der  Generalinstruction 
Wilhelm's  V  für  den  Hofmeister  und  den  Präceptor  seiner 
zwei  ältesten  Söhne.  ^)  Wenn  von  dieser  gerühmt  wird, 
dass  sie  Winke  enthält,  die  ,,von  gesundestem  ürtheile  tiefer 
pädagogischer  Weisheit  und  echt  christlichem  Sinne  Zeug- 
niss  geben"  ^) ,  so  lässt  sich  dies  auch  auf  Maximilian's  I 
Anweisungen  anwenden  ;  denn  auch  er  betrachtete  es  ,,als 
das  vor  allem  anzustrebende  Ziel,  dass  sein  Sohn  mit  Gottes- 
furcht erfüllt,  zu  christlicher  Vollkommenheit  herangebildet 
und   von   inniger ,    ihres    Grundes   und    Inhaltes    bewusster 


1)  Kazner:  Louise  Raugräfin  zu  Pfalz.  Leipzig  1798,  IIL  S.  132—168. 

2)  Wolf  I,  S.  77  spricht  von  nachträglichen  Modificationen  dieser 
Instruction,  die  durch  die  Vorstellungen  des  Propstes  von  Altötting, 
Minucci,*  herbeigeführt  worden  seien.  Eine  solche  Modification  hat  Fö- 
ringer  (Bayer.  Annal-  Jahrg.  1835,  S.  250)  nachgewiesen.  Wilhelm  V. 
hatte  die  „heidnischen  Schwätzer  und  Fabelhansen"  (eine  Bezeichnung 
der  alten  Classiker,  welche  wie  Stieve  1.  c.  Note  5  zu  S.  60  anführt, 
schon  in  der  bajer.  Schulordnung  v.  J.  1548  vorkommt),  aus  der  Fürsten- 
schule im  Alten  Hof  ursprünglich  ausgeschlossen  und  durch  neulateinische 
Autoren  ersetzt.  Nichtsdestoweniger  erhielten  Maximilian  und  Philipp 
den  Unterricht  in  den  alten  Sprachen  nach  classischen  Mustern  (Cod. 
ger.  813).  lieber  Minucci  s.  Stieve,  Die  Politik  Bayerns  1591-1607, 
Erste  Hälfte,  bes.  126'  und  542  ff. 

3)  Stieve:  Der  Ursprung  des  dreissigj ährigen  Krieges,  L  S.  60 


230       Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  November  1878. 

Glaubensüberzeugung  durchdrungen  werde".  ^)  Wenn  nun 
so  neben  manchen  Aeusserlichkeiten  wie  z.  B.  der  Tages- 
ordnung manche  Motive  häufig  fast  wörtlich  wieder  er- 
scheinen, so  zeigt  sich  andrerseits  doch  auch  mancher  durch 
Zeit  und  Erfahrung  bedingte  Fortschritt:  so  hat  beispiels- 
weise das  System  körperlicher  Züchtigung,  das  Wilhelm  V 
nach  alttestamentlicher  Auffassung  als  ein  heilsames  Mittel 
zur  Erzwingung  des  Gehorsams  bei  seinen  Söhnen  anzu- 
wenden nicht  blos  gestattet,  sondern  sogar  befohlen  hatte, 
in  der  Instruction  Maximilian's  I  keine  Stelle  mehr.  Selbst- 
verständlich:  denn  wenn  er  gleich  selbst  ,,mit  ascetischer 
Strenge  die  Fastengebote  bis  zur  Gefährdung  des  eigenen 
Lebens  beobachtete  und  den  Leib  insgeheim  mit  ,, gräulichen 
Marterwerkzeugen''  kasteite",^)  so  siegte  doch  da,  wo  die  Be- 
handlung des  künftigen  Thronfolgers  in  Frage  kam,  das  ihm 
innewohnende,  stark  ausgeprägte  Gefühl  der  fürstlichen 
Würde  über  jene  Anschauungen,  die  ihm  anerzogen  und 
gleichsam  zur  zweiten  Natur  geworden  waren.  Und  diese 
seine  Emancipation  ist  um  so  bemerkenswerther,  als  andere 
Bestimmungen  der  Instruction  den  seit  Maximilian's  I 
Jugend  ungemein  vermehrten  Einfluss  des  Jesuitenordens 
deutlich  erkennen  lassen.  Gerade  zu  jener  Zeit  hatte  der 
Mariencultus  durch  die  Jesuiten  eine  ausserordentliche  Aus- 
dehnung gewonnen;  der  Sieg  bei  Prag  hatte  diesen  Auf- 
schwung der  Verehrung  bei  Maximilian  I  noch  gesteigert; 
erst  1638  waren  zu  den  bereits  herkömmlichen  Marfenfest- 
tagen  zwei  neue  hinzugefügt  worden.  ^)  Wilhelm  V  hatte 
es  genügt,  seine  Söhne  fünfmal  des  Jahres,  zur  Zeit  grosser 
kirchlicher  Feste ,  zur  Beichte  gehen  zu  lassen :  Maximi- 
lian I  hingegen  dehnte  bei  seinem  Sohne  diese  Verpflichtung 
auf  alle  Marienfesttage   aus  und  verordnete  zugleich,    dass 

1)  Ibid. 

2)  Ibid.  S.  63. 

3)  Adlzreiter,  P.  III.  1.  XXIII.  p.  402. 


Eottmanner:  Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I     231 

Ferdinand  Maria  in  jedem  Monat  an  einem  Sonn-  oder 
Feiertage  das  Gleiche  thue  ,  wie  das  seit  1637  in  den  von 
den  Jesuiten  geleiteten  x\nstalten  zur  Gewinnung  eines  Ab- 
lasses üblich  war.  ^) 

Uebrigens  geht  aus  Maximilians  1  Instruction  (§  8 
und  13)  hervor,  dass  nicht  bloss  der  Hofmeister,  sondern 
auch  der  Beichtvater  des  Prinzen,  der  natürlich  dem  Jesu- 
itenorden angehören  musste,  und  der  Präceptor,  dieser  in 
Bezug  auf  die  Methode  und  den  Umfang  des  Unterrichtes 
und  in  Bezug  auf  die  Wahl  der  Autoren ,  mit  speciellen 
Anweisungen  ausgestattet  wurden ;  eine  vom  Kurfürsten  er- 
lassene Kammerordnung  regelte  die  Pflichten  und  das  Ver- 
halten des  Hofmeisters,  des  Präceptors,  des  Arztes,  der 
Kammerherren  und  der  Dienerschaft  hinsichtlich  der  dem 
Prinzen  gegenüber  zu  beobachtenden  Formalitäten.  Um  den 
pünktlichen  Vollzug  aller  seiner  Vorschriften  kümmerte 
sich  der  Kurfürst  unablässig  und  persönlich;  er  forderte 
von  dem  Hofmeister  Relationen  über  das  Betragen  und  die 
Fortschritte  seines  Sohnes;  für  unvorgesehene  oder  ausser- 
ordentliche Fälle  musste  die  Entscheidung  des  Vaters  oder 
der  Mutter  eingeholt  werden ;  tagtäglich  befand  sich  der 
Kurprinz  einige  Stunden,  Mittags  und  Abends,  in  der  Ge- 
sellschaft der  Eltern  und  verwerthete  in  ehrerbietigem  Ge- 
spräche mit  denselben  —  eine  allzugrosse  Vertraulichkeit 
ward  ferngehalten  —  die  frischgewonnenen  Kenntnisse 
in  den  modernen  Sprachen,  deren  auch  der  Hofmeister 
kundig  war. 

Welche  Bedeutung  die  Institutionen  Maximilian's  I 
zur  Erziehung  seiner  Söhne  (denn  auch  der  zweitgeborene 
Prinz,  Maximilian  Philipp,  ward  dem  nämlichen  Hofmeister 
unterstellt  und  nach  den  nämlichen  Principien  ausgebildet), 


1)  Kropf:  Historia  Provinciae  Societatis  Germaniae  Superioris,  P. 
V.  p.  396, 


232         Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  November  1878. 

noch  später  hatten ,  kann  man  aus  Folgendem  ersehen, 
Ferdinand  Maria's  ältester  Sohn ,  Max  Emanuel  ,  empfing 
den  ersten  Unterricht  in  der  Religions-  und  Sittenlehre,  im 
Lateinischen  u.  s.  w.  ebenfalls  von  Jesuiten;  aiser  10  Jahre 
alt  geworden  war ,  erhielt  er  einen  Hofmeister ,  Heinrich 
Marquis  von  Beauveau;  von  den  modernen  Sprachen  lernte 
er  das  Französische  und  das  Italienische;  das  Spanische, 
das  sein  Vater  sich  hatte  aneignen  müssen  (§  47),  blieb 
ihm  erapart ;  dagegen  wurden  ritterliche  Hebungen  nicht 
ausser  Acht  gelassen.  ^) 

Wenn  man  aus  diesen  Nachrichten  die  Vermuthung 
schöpfen  darf,  dass  Max  Emanuel  nach  der  Instruction 
Maximilian's  I  erzogen  ward  ,  so  wissen  wir  dagegen  jetzt 
ganz  gewiss ,  dass  Ferdinand  Maria  dem  Hofmeister  seines 
zweiten  Sohnes  Joseph  Clemens,  Simon  Herrn  von  und  zu 
Weichs,  jene  Bestimmungen  zur  Befolgung  zustellen  Hess, 
nach  denen  er  selbst  unter  Metternichs  Leitung  herange- 
bildet worden  war.  Die  Instruction ,  welche  Ferdinand 
Maria  dem  Herrn  von  und  zu  Weichs  ausstellte  (8.  April 
1678) ,  ist  uns  in  deutscher  Sprache  im  Cod.  ger.  3298, 
f.  31  —  62,  erhalten;  sie  ist  nichts  anderes  als  eine  bis  auf 
die  unvermeidlich  nothwendigen  Aenderungen  wörtliche 
Uebersetzung  der  Instruction  Maximilian's  I  für  Metternich 
und  zwar  der  Paragraphe  1,  2,  5 — 15,  19 — 53,  63,  64.  Dass 
hier  eine  Uebersetzung,  nicht  ein  deutsches  Original  vor- 
liegt,  beweist  der  Titel  der  Handschrift;^)  dass  die  Ueber- 


1)  Lipowsky,  S.  223  ff. 

2)  „Liber  Vitae.  Leben  Josephi  Clementis  Hoch-Fürstlichen  Durch- 
leicht Herzogs  in  Bayrn  etc.  Von  dero  Hochseligisten,  und  durchleich- 
tigisten  Anherrn  Maximiliano,  und  Herrn  Vattern  Ferdinando  Maria 
Weiland  Churfürst,  und  Herzogen  in  Bayrn  etc.  Zu  einem  Exempl, 
ynd  nachuolg  vorgeschriben  Vnd  iezt  im  zwölfften  Jahr  seines  alters  in 
telitsch  ybertragen.  München  den  5.  Dec.  Ao.  1682."  Der  5.  Dezember 
war  der  Geburtstag  des  Prinzen  Joseph  Clemens. 


Bottmanner :  Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I     233 

Setzung  niclit  früher  als  in's  Jahr  1682  fällt,  geht  eben 
daraus  hervor ;  somit  muss  das  dem  Hofmeister  des  Joseph 
Clemens  1678  übergebene  Exemplar  in  einer  fremden  Sprache,, 
wohl  italienisch  abgefasst  gewesen  sein.  Cod.  germ.  3298 
enthält  aber  noch  zwei  weitere  Urkunden  in  deutscher 
Sprache:  f.  63  —  73  die  von  Ferdinand  Maria  für  den 
Dienst  des  Prinzen  Joseph  Clemens  gegebene  Kammer- 
ordnung, datirt  vom  8.  April  1678,  vermathlich  identisch 
mit  der  in  der  Instruction  Maximilian's  1  mehrmals  er- 
wähnten Kammerordnung,  und  f.  2  —  30  die  üebersetzung 
von  53  Paragraphen  aus  den  Monita  paterna.  Da  aber 
diese  letztere  mit  dem  lateinischen  Text  in  den  Annales 
Boicae  gentis  (P.  III.  p.  613  —  621)  so  wenig  wörtlich  über- 
einstimmt, als  mit  dem  im  k.  Hausarchiv  aufbewahrten 
deutschen  Originalaufsatz  Maximilian's  I ,  so  ist  die  im 
Cod.  ger.  3298  vorhandene  Uebertragung  auf  eine  uns  un- 
bekannte lateinische  Quelle  zurückzufahren ;  nicht  minder 
ist  klar,  dass  schon  vor  1682  die  Kunde  von  der  ursprüng- 
lichen Abfassung  der  Monita  paterna  in  deutscher  Sprache 
verloren  gegangen  war. 


Ordini  di  Noi  Massimigliano,  Conte  Palatino  del  Reno,    1 
Duca  deir  un'  e  f  altra  Baviera,  Principe  Elettore  del  sacro 
Romano  Imperio,  et 

Instruttione 
per  il  maggiordomo  del  nostro  diletto  figlio  primogenito  et    2 
Elettore  Duca  Ferdinando  Maria,  come  doverä  diportarsi  in 
detta  sua  carica  circa  la  Christiana  educatione  et  alli  ministri 
et  intorno  all'  amaestramento  de  IIa  servitü   et  ogni  altro 
particolare  del  medemo. 

Ancorche  l'omnipotenza    e  bontä  di  Signore  nel  tempo    3 
del  mio  si  longo,  diflficile  e  pericoloso  governo,  anzi  in  tutt' 
il  corso  di  nostra  vita  ci  habbi  fatto  molte  e  singolar  gratie 


234         Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  November  1878. 

e  benefici,  per  le  quali  maiposiamo^)  ringratiarlo  abastanza: 
stimando  uulladimeuo  con  raggione  fra  le  maggiori  il  dono 
delli  due  figli  havuti  per  singolar  providenza  e  decreto  del 
cielo  in  questa  nostra  assai  grave  etä  con  la  presente  nostra 
dilettissima  Signora  Consorte  Maria  Anna,  nata  Principessa 
d'Ougaria  e  Bohemia,  Arciduchessa  d'Austria  etc.,  per  con- 
solatione  e  sollievo  d'entrambi,  si  ancbe  per  maggior  stabili- 
mento  e  fundamento  della  nostra  Elettorale  casa  e  succes- 
sione,  istessamente  tanto  a  beneficio,  utile  e  vantaggio  de 
nostri  stati  e  sudditi  quanto  della  Religione  Catholica  nell' 
Imperio  Romano,  c'incombe  piü  tanto  maggiormente  il  procu- 
rare  con  ogni  paterna  sollecitudine,  studio  e  cura,  che  detti 
nostri  figli  per  il  fine  preaccennato  e  principalmente  in  rin- 
gratiamento,  bonore  e  gloria  del  Signore,  dal  quäle  li  hab- 
biamo  ricevuti ,  in  questa  loro  verdeggiante  etä  venghino 
educati  et  amaestrati  nel  timore  di  Dio,  pietä,  virtü  e  co- 
stumi  degni  di  Principe  e  per  altro  lodevoli  et  incaminati 
ad  una  vera  perfettione. 

Sebene  dunque  tocca  generalmente  a  noi  l'invigilare 
in  ciö  sopra  de'  nostri  figlii,  perche  nulladimeno  il  maggiore 
Ferdinando  Maria  come  primogenito ,  se  Dio  gli  concederä 
si  longa  vita  come  speriamo,  sarä  tanto  per  raggione  natu- 
rale come  delle  leggi  Imperiali  et  osservanza  delle  famiglie 
dei  principati,  singolarmente  della  nostra  casa  per  succeder- 
ci  si  nella  dignitä  Elettorale  come  nel  governo  delli  nostri 
stati  Elettorali,  e  per  l'Iddio  gratia  e  giä  arivato  ad  una 
etä  assai  matura:  quindi  babbiamo  giudicato  ispediente  e 
necessario  il  le\rarlo  dalla  guarda  fanciulesca ,  il  confidarlo 
ad  un  maggiordomo  e  per  sua  miglior ,  singolar  e  piii  con- 
facevole  educatione  il  provederlo  di  gente  a  ciö  necessaria: 
acciö  subito  in  questa  sua  verde  etä  si  ponga  in  lui  fonda- 
mento    di   buon    allievo,    tempestivamente  s'avezzi    ad   ogni 

1)  Dergleichen  Eigen thüralichkeiten  in  der  Schreibweise  sind  bei- 
behalten worden. 


Bottmanner:  Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I     235 

bene  e  venga  alontanato  da  ogni  male  e  col  continuo  es- 
sercitio  facci  progressi  da  una  virtü  all'  altra  e  successiva- 
mente  passaggio  a  tal  perfettione,  che  possa  riuscir  un  saggio 
e  ben  qualificato  Principe  Regente  e  vagli  a  suo  terapo 
lodevolmente  applicare  ciö  che  haverä  appreso  nella  sua 
gioventü  a  maggior  gloria  di  Dio,  a  pro  et  utile  universale  e 
de  suoi  stati  et  a  beneficio  sao  proprio  e  di  sua  eterna  salute. 

Havendo  noi  dunque  in  ciö  riposto  ogni  confidenza  nel 
nostro  Consigliere  Segreto  e  Cameriere,  Giovanni  Adolfo  Baron 
Wolf  detto  Metternich,  per  le  sue  da  noi  conosciute  buone 
qualitä  e  lodevol  modo  di  vivere  e  fatta  rissolutione  di  ser- 
virsi  del  medemo  per  maggiordomo  dell'  antedetto  nostro 
figlio  Ferdinando,  consegniamo  perciö,  affidiamo  e  raccom- 
mandiamo  il  medemo  nelle  di  lui  iidissime  mani  come  nostro 
carissimo  e  preggiatissimo  pegno,  e  vogliamo  che  per  carico 
della  sua  conscienza  debba  generalmente  far,  osservar  e  com- 
mandar  tutto  quello  che  puö  ridondar  di  nostra  sodisfatti- 
one  ad  honor,  utile  e  profitto,  singolarmente  perö  alla  salute 
deir  anima  d'esso  nostro  figlio.  AU'  incontro  prohibisca 
tutto  ciö  che  puö  contrariare  alla  buona  educatione ,  ho- 
nesta e  lodevoli  costumi ;  e  sopra  d'ogni  altra  cosa  e  nostra 
ferma  volontä,  intentione  e  commando  ch'esso  maggiordomo 
in  questa  sua  carica  e  servitio  debba  conformarsi  in  tutto 
a  questa  nostra  instruttione  et  ordini. 

Ordiniamo  all'  incontro  che  nostro  figlio  Ferdinando,  il 
quäle  sarä  anche  di  qnaud'  in  quando  da  noi  con  la  viva  voce 
in  ciö  paternamente  amonito  et  avertito,  che  debba  prestar 
la  conveniente  ubedienza  al  maggiordomo  assegnatogli,  che 
lo  rispetti  et  in  tutto  senza  contraditione  l'ubedisca,  col 
dimostrarsegli  per  ogni  verso  tale,  che  ad  esso  maggiordomo 
non  resti  occasione  di  doglianza  contro  del  medemo:  perche 
se  contro  ogni  nostra  speranza  ciö  accadesse,  non  manca- 
ressimo  al  certo  di  proceder  seco  con  rigore  e  precipitarebbe 
da  se   nella  disgratia   paterna.     Dove   all'   incontro    con    la 


236        Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  November  1878. 

dovuta  ubedienza  e  buoni  portamenti  puö  promettersi  la 
beneditione  del  Signore  e  da  noi  ogni  gratia,  vantaggio  et 
affettione. 

Vogliamo  parimeute  che  li  gentilliuomini  serventi  detti  7 
camerieri  destinati  a  nostro  figlio  nobili  o  titolati  cbe  siino, 
il  precettore,  paggi,  ajutanti  di  camera,  portieri,  staffier! 
et  altri  snoi  ufficiali  e  vservitori  siino  sottoposti  alla  carica 
e  commandi  del  maggiordomo  e  che  siino  tenuti  di  por- 
targli  il  dovuto  rispetto  e  d'ubidirlo,  ladove  egli  come  vero 
dirrettore  del  medemo  saprä  come  reger  e  ben  ordinäre  tutta 
la  servitü,  perö  nelle  cose  gravi  con  nostra  presaputa,  ap- 
provatione  e  coramando. 

Haveüdo  perö  col  maggiordomo  ordinato  etiandio  due  8 
camerieri  a  nostro  figlio,  che  doverano  continuamente  ritro- 
varsi  al  servitio  col  cangiarsi  d'una  settimana  in  l'altra, 
come  pure  un  precettore,  che  lo  dovera  instruir  non  meno 
nel  timor  di  Dio  che  nelli  studii,  habbiamo  ben  si  prescritto 
a  quelli  Tordine  camerale  et  a  questo  fatta  spediro  e  con- 
segnare  una  particolar  instruttione ,  il  che  dovera  in  tutto 
esser  sempre  osservato ;  perche  ad  ogni  modo  al  maggior- 
domo come  supremo  dirrettore  s'acconviene  la  general  in- 
spettione  sopra  di  tutto ,  e  perciö  se  gli  aspetta  etiandio 
il  tenir  diligente  cura,  che  e  li  uni  e  li  altri  nostri  ordini 
e  commandi  vengano  da  cadauno  essatamente  et  inaltera- 
bilmente  osservati  e  pratticati :  quindi  per  qaesti  rispetti 
habbiamo  fatto  consegnar  ad  esso  maggiordomo  copie  dell' 
ordine  camerale,  quäle  unitamente  riguarda  la  sua  persona 
e  carica  in  piü  ponti  speciali,  e  dell'  instruttioni  del  precet- 
tore, perche  da  quelle  s'informi  bene;  e  non  solo  facci  e 
procuri,  che  con  ogni  ansietä  e  diligenza  e  con  fedeltä  ven- 
ghino  esseguiti,  ma  osservi  etiandio  con  non  minor  diligenza 
e  cura  ciö  che  intorno  la  sua  persona  e  carica  in  quelli  vien 
disposto,  alli  quali  perciö  totalmente  ci  rimettiamo  col  com- 
mandare    alli  camerieri  e  precettore   di  portar  il  dovuto  ri- 


Bottmanner:  Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I     237 

spetto  al  maggiordomo,  corrispondendo  seco  diligentemente 
in  tutto,  secondandolo  possibilmente  nella  sua  carica  et  ube- 
dendo  alli  suoi  ordini. 

Perche  anche  in  questa  instruttione  si  contengono  9 
molti  ponti  che  riguardano  si  li  portamenti  di  nostro  figlio 
come  del  maggiordomo,  i  quali  sono  gener almente  da  osser- 
varsi  da  esso ,  ma  etiandio  dalli  camerieri  e  precettore  si 
per  regolar  se  medemi  et  astradar  esso  figlio  non  meno 
cli'il  maggiordomo,  e  questo  non  poträ  forsi,  massime  la 
notte,  per  altri  affari  ritrovarsi  sempre  presente  all'  esser- 
citio  delia  sua  carica :  quindi  e  nostra  gratissima  intentione 
e  commando,  che  ogni  quäl  volta  il  maggiordomo  sarä 
assente,  il  cameriere,  che  all'  hora  haverä  il  servitio  ordi- 
nario  e  si  ritroverä  presente ,  debba  supplire  alla  di  lui 
caricha  et  in  tutto  essercitar  le  sue  vicende,  e  questo  si 
debba  rispettar  et  ubedir  come  il  maggiordomo  medemo:  et 
acciö  i  camerieri  habbino  la  precisa  informatione  e  notitia, 
come  in  tal  caso  in  ogni  capo  haveranno  da  diportarsi, 
doverä  communicarsi  ad  entrambi  de  medemi  sicome  al  precet- 
tore et  ad  ogni  uno  di  essi  un  estratto  di  quest'  instrut- 
tione del  maggiordomo  in  quelli  ponti,  i  quali  a  loro  unita- 
mente  s'aspettano,  e  poi  questa  osservarsi  e  da  lor  adempirsi 
con  uguale  diligenza  come  le  loro  particolari  instruttioni. 

E  perche,  come  si  e  detto,  tutti  quelli  del  servitio  di  10 
nostro  figlio  sono  sottoposti  al  maggiordomo,  cosi  quando 
osservasse,  che  li  camerieri  o  precettore  contro  ogni  nostra 
speranza  non  sodisfacessero  opportunamente  alle  loro  cariche 
et  instruttioni  et  a  questo  che  altro  conviene,  tocc/^erä  al 
medemo  il  farne  contro  i  medemi  i  dovuti  risentimenti  o 
secondo  la  qualitä  delle  cose  portarne  le  notitie  a  noi  o 
alla  nostra  dilettissima  Signora  Consorte.  Rispetto  poi  alli 
altri  servitori,  se  cometteranno  mancamenti,  li  castigherä 
1-^  secondo  le  persone  o  se  il  delitto  fosse  tale,  ne  porgerä  a 
noi  riverentemente  l'avviso. 

[1878.  I.  Philos.-philol.-hist.  Gl.  Bd.  II,  2.]  17 


238  Sitzung  der  historischen  Classe  mm  2.  JSfovemher  1878. 

Doverä  all'  incontro  proteger  ciascheduno  nella  sna  1 1 
carica  et  assistir  a  chi  indebitamente  fosse  aggravato ,  e 
massime  i  camerieri  e  precettore,  et  a  questi  tre  sarä  con- 
cesso  di  correger  opportunamente  con  la  viva  voce  et  amo- 
nire  con  prudenza  e  discrettione  nell'  essercitio  delle  loro 
cariche  esso  nostro  figliuolo ;  o  per  qiiello  riguarda  li  gen- 
tilhuomini  serventi  e  precettore,  se  fosse  stimato  necessario, 
l'avisarne  il  maggiordorao ,  acciö  secondo  la  qualitä  dell' 
affare  vagli  rimediarvi  o  prenderne  da  noi  o  dalla  nostra 
Signora  Consorte  le  ressolutioni. 

Doverä  parimente  il  maggiordomo  non  solo  lui  medemo  12 
mantener  presso  ciascheduno  la  sua  riputatione,  ma  pro- 
curar  che  ciö  osservino  etiandio  li  camerieri  e  precettore, 
e  cooperare  alla  manutentione  dell'  authoritä  e  rispetto  di 
cadauno.  E  li  sodetti  camerieri  e  precettore  riguarderano 
di  non  rendersi  troppo  famigliari  con  persone  di  bassa 
conditione:  unitamente  poi  terrano  cura,  che  tutta  la 
servitü  di  nostro  %lio  ne  discorsi  e  sue  attioni  si  portino 
con  modestia  e  senza  scandalo,  e  cio  tanto  per  il  mante- 
nimento  della  dovuta  e  necessaria  reputatione  del  medemo, 
quanto  per  proprio  honore.  II  che  e  quanto  riguarda  ge- 
ueralmente  Tauthoritä  e  carica  del  maggiordomo. 

Hör  toccando  in  specie  l'educatione  et  allievo  di  nostro  13 
figlio,  perche  ogni  bene  vien  dal  cielo  e  la  divotione  e 
timor  di  Dio  e  il  fondamento  e  principio  d'ogni  buona 
educatione  e  della  sapienza,  anche  d'ogn'  altra  virtü,  dono 
e  gratia ,  vogliamo  percio  e  commandiamo  primariamente, 
che  si  debba  principiare  col  radicar  il  timor  di  Dio  et  a 
quello  venga  con  diligenza  e  frequentemente  amonito  e 
spesso  e  vivamente  con  saggie  e  ben  fondate  raggioni  e 
con  essempii  cavati  si  dall'  historie  sacre  come  profane 
rimonstrato  l'obligo,  necessitä,  utile  e  bellezza  di  questo  et 
all'  incontro  la  deformitä  del  peccato  et  il  gran  danno  si 
temporal    come    eterno ,    che   nasce   da    questo ;    che  venga 


Bottmanner :  Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I     239 

amaestrato  et  amonito  ad  un  ordinata  pietä  e  divotione  si 
la  matina  e  sera  come  in  ogn'  altro  tempo,  all'  udir  quoti- 
dianamente  con  singolare  raodestia  e  riverenza  la  santa 
messa ,  all'  assistenza  de  divini  officii ,  prediclie  et  altri 
essercitii  spirituali  e  saute  fontioni :  e  come  meglio  singo- 
larmente  circa  la  division  del  giorno  segue  e  diffusamente 
appare  dalla  instruttione  del  suo  confessore,  e  rispetto  all' 
altre  regele  da  quella  del  precettore. 

Acciö  nostro  figlio  vivi  tanto  piü  certo  e  sicuro  nella  14 
gratia  di  Diö  et  in  tutte  le  siie  attioni  vagli  tanto  maggi- 
ormente  sperare  la  beneditione  et  assistenza  del  Signore, 
doverä  nella  sua  gioventü  esser  avezzato  et  indotto  a  fre- 
quenti  confessioni  e  penitenze  e  pratticar  queste  ordinaria- 
raente  ogni  mese,  sicome  in  tutte  le  feste  maggiori  e  della 
Beatissima  Yergine  con  un  confessore  stabile  ,  che  doverä 
esser  della  Societä  di  Giesü ;  et  il  maggiordomo  e  precettore 
doverä  avvisar  prima  et  avertir  il  confessore  delli  manca- 
menti  piü  frequenti  del  medemo.  Rispetto  alla  santa  com- 
munione  ordinaremo  opportunamente  a  suo  tempo  :  intanto 
doverä  esser  diligentemente  instrutto  et  animato  ad  una 
singolar  divotione  e  veneratione  del  Santissimo  Sacramento 
e  della  Santissima  Croce,  come  contrasegno  gloriosissimo  e 
salutare  della  nostra  redentione. 

E  perche  noi  et  i  nostri  gloriosi  antenati  habbiamo  15 
sempre  nudrito  singolar  divotione,  amor  e  confidenza  alla 
gloriosissima  Regina  de  Cieli  e  Madre  di  Dio  Maria  e  doppo 
Dio  havuto,  riverito  e  ricconosciuto  questa  per  la  maggior 
Protettrice  e  Patrona  delf  Elettorale  nostra  casa,  sadditi  e 
paesi  e  tale  quotidianamente  l'isperiraentiamo  :  quindi  e 
nostra  precisa  intentione  e  commando,  che  il  nostro  caro 
figlio  Ferdinando  in  tutti  li  accidenti  e  bisogni  venga  ani- 
mato continuamente  et  amonito  ad  una  consimil  divotione 
e  veneratione  ferventissima  di  questa  nostra  Avvocata  e 
Protettrice;    che    non   lasci  mai  transcorrer    il    segno   dell' 

17* 


240  Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  November  1878. 

Ave  Maria  senza  publica  divotione,  e  debba  venerar  la 
Madonna  Santissima  tutti  li  sabbati  e  vigilie  secondo  l'in- 
struttione  del  suo  padre  confessore.  Subito  poi  che  con 
l'ajuto  del  cielo  sarä  arrivato  a  piü  matura  etä,  sarä  cura 
di  detto  padre  confessore  il  pensare  che  detto  nostro  figlio 
venga  aggregato  alla  Venerabile  Congregatione  dell'  Annon- 
ciatione  della  Beatissima  Vergine  et  instrntto  nella  recitatione 
deirofficii.  Acciö  facci  le  sue  orationi  con  meglior  attione 
e  maggior  frutto  tanto  in  chiesa  come  fuori,  non  se  gli 
tolerarä  il  correr  o  mirar  in  qua  e  lä  ne  il  cianciare,  e 
sarä  vietato  et  impedito  tutto  ciö  che  puö  caggionar  di- 
strattione  o  dal  maggiordomo  o  dal  cameriere ,  uno  de 
quali  doverä  sempre  essergli  assistente  nella  chiesa  e  correger 
le  distrattioni  et  osservarä. 

Tutto   ciö   che    serve  all'  incitamento  di  Christiana  di- 16 
votione,  come  libri  spirituali,  pitture,  Pater  Noster,    Agnus 
Dei  ,    reliquie  e  cose  simili,    doverä    da  nostro  figlio  esser 
tenuto  con  ordine  e  valersi  delli  Agnus  DEi  con  rivefenza. 

Sebene  per  causa  della  sua  gioventü  e  poca  capacitä  17 
non  puö  per  anche  apprender  il  vero  frutto  delle  prediche 
e  promulgatione  della  parola  di  Dio ,  acciö  nulladimeno 
pian  piano  venga  reso  capace  e  stimolato  ad  una  diligente 
attentione,  gli  doverä  ogni  volta  il  maggiordomo,  cameriere 
o  precettore,  che  fra  il  giorno  vi  sarä  assistente,  a  tempo 
opportuno  raccontar  succintamente  qualche  cosa  della  pre- 
dica  passata  con  addimandar  all'  incontro  il  figliuolo  e 
farsi  raccontare  quello  vi  haverä  notato  lui. 

Quando  il  maggiordomo  osservasse ,  che  nostro  figlio  18 
nudrisse  desiderio  di  qualche  cosa  honorata  e  riguardevole, 
come  di  qualche  regallo  o  cosa  simile,  ^e  conoscesse  ciö  di 
che  vorebbe  supplicarne  noi  o  la  nostra  Signora  Consorte 
o  altresi  ott euere,  se  gli  doverä  insegnare,  che  tutto  ciö 
debba  ricercare  per  via  d'humiltä  e  divotione,  come  sarebbe 
mediante  la  promessa   di    recitar  certa  oratione,    et  a  con- 


Bottmanner:  Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I    241 

teütarsi,  quando  ben  anche  nou  rottennesse,  acciö  s'avezzi 
e  sappi,  che  doverä  ottenner  ogni  bene  da  Dio  e  con 
opere  sante. 

Perche  la  conversatione  di  persone  religiöse  e  divotel9 
et  il  buon  essempio  de  snperiori  et  altri,  che  vi  si  ritrovano 
sempre  assistenti,  molto  vagliono  non  solo  per  ravivar,  ma 
etiandio  per  mantener  et  accrescer  la  divotione  e  timor  di 
Dio :  quindi  ogni  quäl  volta  lo  darä  Toccasione  e  che  ciö 
poträ  seguire  senza  transcurar  altre  cose  necessarie,  procu- 
rerä  il  maggiordomo ,  che  da  nostro  figlio  vengan  persone 
religiöse,  singolarmente  di  quelle  di  qualche  ordine,  e  che 
discorrino  seco  di  cose  utili  alla  pietä,  salute  delP  anima, 
alla  Cognition  di  Dio  e  suoi  commandamenti ;  e  non  solo 
stesso  fargli  strada  presso  li  divini  ufficii  et  ogni  altro 
luogo  con  atti  di  edificatione  e  buon  essempio,  ma  amonir 
in  ciö  tutta  l'altra  servitü  con  scaciar,  vietar  et  levar  tutto 
ciö  che  puö  impedir  il  timor  di  Dio  e  riuscir  di  pregiudicio 
air  anima  del  figlio. 

E  perche  la  certa  e  vera  veneratione  e  servitio  di  Dio  20 
si  ritrova  solamente  presso  la  Santa  Catolica  et  Apostolica 
Romana  Chiesa  e  sua  rehgione  e  fuori  di  questa  non  vi  e 
gratia,  salute  ne  beatitudine,  ma  come  fuori  dell'  arca  di 
Noe  e  ogni  cosa  diluvio  di  morte  e  dannatione  eterna: 
quindi  nostro  figliuolo,  per  quanto  ama  la  gratia  di  Dio  e 
nostra  come  di  padre  e  per  quanto  stima  il  sfugir  le  pene 
temporali  et  eterne,  si  mantenirä  constante  sino  all'  ultimo 
suo  fine  nella  nostra  vera  santa,  illuminante  e  salvificante 
religion  Catolica  portataci  dalli  nostri  gloriosi  antecessori  e 
per  singolar  gratia  di  Dio  intieramente  conservata  nelli  nostri 
stati,  senza  mancar  mai  in  alcun  modo  dalla  medema ,  col 
tenersi  sempre  mai  lontanissimo  e  separato  da  tutto  ciö  che 
contraria  la  medema. 

Perciö  il  maggiordomo  come  anche  il  cameriere  e  pre-21 
cettore  doverano  cooperare  a  ciö  con  ogni  diligenza  e  cura, 


242        Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  November  1878. 

pratticando  tutto  quello  che  in  questo  particolare  puö  ser- 
vire  ad  una  buona  instruttione ,  col  vietar  seriamente  al? 
incontro  tutto  ciö  che  con  discorsi,  lettura,  curiosi  et  inutili 
trattati  o  scartafacci,  dispute  o  in  altra  forma  puö  occupar 
un  animo  giovanile  altresi  inclinato  alla  curiositä  e  per 
opera  dell'  astuto  Serpente  ingannarlo  presto,  senza  rispettar 
o  riguardar  in  ciö  alcuno. 

Doppo  il  timore  di  Dio  e  divotione  segue  la  riverenza,  22 
cordialitä,  fedeltä  et  amore  verso  de  genitori  e  quelli  che 
sono  in  luogo  di  Dio  e  de  parenti:  al  quäle  c'obliga  ogni 
lege  naturale  e  divina.  Perciö  il  maggiordomo ,  precettore 
et  altre  persone  assegnate  a  nostro  figlio  doveranno  procurar 
con  ogni  diligenza  e  far  si  che  il  medemo  a  noi  et  alla 
nostra  dilettissima  Signora  Consorte  come  a  suoi  cari  geni- 
tori facci  conoscer  in  tutto  ogni  riverenza,  amor  figliale, 
fedeltä  et  ubedienza,  che  in  presenza  nostra  ci  dimostri  sin- 
golar  rispetto  e  riverenza  col  star  sempre  a  capo  scoperto, 
quando  noi  non  lo  facessimo  coprire,  in  che  specialmente 
doverä  esser  con  ogni  diligenza  amaestrato  dal  maggiordomo 
e  precettore,  considerando  che  doppo  Dio  egli  da  noi  ha 
ricevuto  la  vita  et  hereditato  la  sua  gran  nascita,  conditione 
e  stato  et  ha  da  aspettare  non  solo  ciö  che  serve  al  man- 
tenimento  di  questo,  ma  anche  altro  sostentamento.  Istes- 
samente  doverä  portar  il  dovuto  rispetto  a  prossimi  con- 
gionti,  singolarmente  al  nostro  Fratello  Elettor  di  Colonia, 
sicome  al  Duca  Alberto  et  entrambi  suoi  figliuoli ,  come 
quelli  che  si  ritrovano  quivi,  e  ben  spesso  presso  d'esso 
nostro  figlio  dimostrando   loro    ogni  aiFettione  e  confidenza. 

In  luogo  di  Dio  e  de  genitori  sono  etiandio  quelli  c'hanno  23 
enra  dell'  anima,  come  i  confessori  et  altri  sacerdoti  et 
ecclesiastici ;  poscia  il  maggiordomo,  precettore  e  simili  per- 
sone sopraintendenti  di  nostro  figlio,  a  quelli  sicome  a  per- 
sone attempate,  massime  a  primarii  del  paese,  a  nostri  prin- 
cipali  ministri  e  consiglieri,  delli  quali  ci  serviamo  piü  delli 


Bottmanner:  Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I    243 

altri  per  promover  tanto  meglio  e  felicitare  li  affari  della 
nostra  regenza ,  secondo  il  stato  di  ciascheduno  dimostrar 
ogni  rispetto,  honor  e  cortesia  e  cosi  far  cosa  grata  tauto 
a  Dio  quanto  al  mondo. 

Col  nostro  figlio  minore  Massimigliano  come  con  suo  24 
fratello  carnale  viverä  sempre  con  fraterna  dilettione,  con- 
fidenza  et  unione,  sfugirä  tutto  ciö  clie  puö  caggionar  colera, 
disgusti  e  dissensioni,  lo  compatirä  come  piü  giovine,  piü 
debile  e  meno  intelligente,  ne  seco  certarä  in  altro  che  nel 
timor  di  Dio,  virtü  e  dottrina :  a  ciö  lo  stimularä  con  lode- 
voli  essempi  e  con  piacevoli  documenti,  ne  lo  doverä  stimar 
o  tener  per  inferiore  a  se,  ma  considerarä  sempre,  clie  di- 
pende  solamente  dalli  decreti  e  providenza  divina,  al  quäle 
di  loro  vogli  compartir  piii  doni  e  gratie  et  in  avenire  la 
snccession  nel  governo.  Ladove  il  maggiordomo  doverä  tenir 
cura  singolare  e  saprä  come  impedir  fra  loro  ogni  scon- 
certo  et  inconvenienza. 

Come  nel  resto  il  nostro  figlio  Ferdinando  si  debba  di-  25 
portare  opportunamente,  cbristianamente  e  da  principe  con 
il  sno  prossimo  et  ogn'  altra  persona  di  alta  e  bassa  con- 
ditione,  lo  ricaverä  dalle  virtü  e  buoni  costumi.  E  sebene 
la  virtü  e  una  tauto  preggiata  e  bella  cosa,  che  essalta 
et  adorna  tutti  li  buomini,  di  qualonque  grado  o  condi- 
tione  siino,  s  appartengono  nulladimeno  queste  singolarmente 
a  principi,  i  quali  vengono  amoniti  dal  medemo  titolo  e 
predicato  ,,Serenissimo",  che  loro  debbono  fra  tutti  li 
altri  far  risplendere  le  loro  virtü.  Perciö  sicome  nostro 
figlio  vien  predicato  col  titolo  di  Serenissimo,  cosi  deve  con 
ogni  diligenza  e  studio  procurare  di  rendersi  serenissimo  e 
splendidissimo  nelle  belle  virtü  e  signoril  costumi  et  acciö 
con  ogni  cura  amonirlo  e  disponerlo  con  tutti  li  mezzi  op- 
portun! il  maggiordomo,  impedendo  e  sradicando  all'  incontro 
ogni  impropietä  e  vitio  punibile  col  impatronirsi  bene  a 
quest'  effetto  dell'  inclinaiioni  e  natura  del  medemo,  e  ten- 


244        Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  November  1878. 

dendo  questa  da  se  medema  alle  virtü  confirmarla  et  asso- 
darla,  ma  quando  per  fragilitä  humana  deviassero,  con  buoni 
avertimenti ,  dottrina ,  essempi  e  disciplina  ridurla  e  con- 
servarla  su  la  buona  strada. 

Principalmente  doverä  esso  nostro  figlio  ben  imprimersi  26 
la  veritä  e  costanza  nelle  parole,  come  qualitä  desiderata 
siügolarmente  ne  principi:  istessamente  la  santa  giustitia, 
della  quäle  ne  doverä  a  suo  tempo  render  conto  a  Dio, 
framiscbiandola  perö  sempre,  per  quanto  poträ  esser,  e  tem- 
perandola  con  la  misericordia.  Parimente  essercitarä  la 
benignitä,  suavitä,  compassione  e  caritä  verso  de  poveri,  e 
doverä  a  suo  tempo  udir  quelli  clementemente  e  volentieri 
ajutandoli  nel  medemo  modo,  come  al  tempo  della  necessitä 
egli  desiderarä  esser  essaudito  et  ajutato  da  Dio,  che  ciö 
commanda. 

Oltre  di  questo  sono  la  generositä  e  mansuetudine  e27 
misura  nel  mangiar,  bere  e  vestire,  come  anco  la  puritä  della 
mente  virtü  tali,  senza  le  quali  il  governo  d'un  principe  non  puö 
mai  ben  sussistere.  Perciö  nostro  figlio  doverä  tempestivamente 
esser  essercitato  in  queste,  onde  dal  maggiordomo  doverä  ben 
spesso  esser  avertito,  che  in  tutte  le  sue  cose  procuri  di 
operare  con  modestia,  avertenza,  rifiessione,  sottigliezza, 
perö  con  realtä,  resolutione  e  constanza.  E  quando  esso 
nostro  figlio  si  ritrova  fra  il  giorno  presso  la  Serenissima 
nostra  Consorte  o  in  luogo,  ove  per  altro  si  ritrovino  donne, 
doverä  bensi  il  maggiordomo  additargli,  che  con  atti  di  mo- 
destia lor  facci  il  conveniente  honore,  perö  anche  avertire 
di  tenerlo,  che  ne  in  fatti  ne  in  parole  passi  ad  alcuna 
particolar  famigliaritä. 

Fra  le  predette  virtuose  qualitä,  le  quali  nel  stato  po-  28 
litico  sono  utili   3  necessarie  a  tutti  e  singolarmente  a  gran 
principi,  la  frugaütä  e  parsimonia  non  e  l'inferiore,  e  molto 
importa,    che  uno  nella  sua  gioventü  irapari  e  s'usi  il  tenir 
cura  del  suo  et  il  non  Spender  inutilmente  e  senza  bisogno, 


Bottmanner:  Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I    245 

acciö  parimente  sappi  ben  valersi  et  impiegare  ciö  clie  rice- 
verä  dalla  bontä  del  Si^nore. 

Doverä  dunque  il  maggiordomo  di  nostro  figlio  instru-  29 
irlo  etiandio  in  questa  virtü  e  dimostrargli  spesso,  quanto 
sii  pernitioso  il  vitio  di  chi  noii  ha  cura  delle  sue  cose  ne 
le  conserva,  ma  fuori  di  proposito,  fondamento  e  misura 
dona  ad  altri  ciö  che  a  lui  medemo  bisogna,  o  in  altra  forma 
inutilmente  consuma:  come  all'  incontro  sii  una  virtü  bella 
e  lodevole  di  chi  si  nell'  isparmiare  come  nel  spendere  il 
suo  serva  una  tal  misura,  che  senza  raggiouevol  causa  non 
sii  troppo  liberale  e  quando  occorre  e  per  altro  la  conve- 
nienza  lo  richiede,  non  sii  troppo  parco. 

L'humiltä,  della  quäle  quivi  si  parla  neir  ultimo,  do-  30 
verebbe  raggionevolmente  preceder  ogn'  altra  virtü,  come 
quella  ch'  e  quasi  l'anima  delle  medeme  e  lor  da  veramente 
lo  esser,  virtü  e  vigore,  e  che  accresce  e  nobilita  tutte  le 
lodi  d'un  principe,  senza  la  quäle  anzi  non  puö  un  principe 
elevar  la  mente  ne  al  servitio  di  Dio  ne  ben  ordinäre  e 
disporre  le  cose  alli  utili  del  suo  stato.  Si  cava  anche  dalli 
essempii  e  quotidiana  isperienza ,  che  gran  potentati  con 
humanitä  e  cortesia  si  sono  a  loro  grand'  utile  e  vantaggio 
guadagnato  in  tal  modo  et  il  cuore  et  animo  delli  huomini, 
che  cosi  ottennero  ciö  che  per  altro  lor  non  sarebbe  riuscito  : 
e  piü  grande  di  conditione  e  stato  ch'  e  il  signore  dotato 
della  Vera  humiltä,  tanto  maggior  e  la  lode  e  la  gloria,  che 
gli  acquista.  Doverä  perciö  il  maggiordomo  raccommandar 
singolarmente  questa  virtü  e  ben  radicarla  in  nostro  figlio 
e  mostrargli  con  bella  maniera,  quäl  temperamento  debba 
opportunamente  usar  secondo  il  stato  di  ciascheduno,  con 
frequenti  persuasioni,  che  ne  da  Dio  ne  dal  mondo  possa 
ottenner  cosa  megliore  per  farsi  stimar  grande  e  riguarde- 
vole  che  Tabassar  et  humiliar  prima  se  stesso. 

A  nobili  e  belle  virtü  si  conformano  meritamente  sin- 31 
ceri   e   civili  costumi   et   habilitä    del  corpo,   singolarmente 


246         Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  November  1878. 

presso  principi  et  altri  personaggi  di  gran  conditione,  e 
queste  dauo  la  vera  forma  et  appareuza  a  quelle  nella  me- 
dema  maniera,  come  quando  si  presenta  una  pregiatissima 
o  preciosissima  gioja  in  un  bei,  artificioso  e  polito  vaso. 
Doverä  perciö  il  maggiordomo  procurar  a  tutto  potere,  che 
questo  si  alla  mensa  come  in  conversationi  et  ogn'  altro 
affare,  in  parole  e  fatti  si  porti  con  modestia,  prudenza  e 
civilmente,  perö  con  attentione  e  riputatione,  che  aprendi 
etiandio  con  diligenza  et  osservi  opportuuamente  l'usanze 
e  consuetudini  della  nostra  corte,  singolarmente  quando  in 
questa  si  ritrovassero  principi  o  altri  gran  personaggi,  e 
indaghi  perche  si  osservi  piü  o  meno  con  un  e  Taltro  prin- 
cipe e  con  ambasciadori,    facendosi    sopra  di  ciö  informare. 

Hör  tutto  ciö  che  generalmente  potesse  servire  ad  una  32 
piü  essata  e  melior  iustruttione  et  coltura  delle  virtii  e  buo- 
ni  costumi  in  nostro  figlio,  sii  con  l'introduttione  di  per- 
sone  honorate,  prudenti,  dotte  e  virtuose,  con  utili  conver- 
sationi e  discorsi^  con  historie  appropriate  o  con  altri  con- 
simili  mezzi  pratticabili  pratticato:  et  il  maggiordomo  non 
mancherä  in  ciö  di  accudir  in  tutto  alli  utili  e  vantaggi 
del  figlio. 

Doverä  singolarmente  esso  maggiordomo  usar  la  do-33 
vuta  diligenza  nel  procurar,  che  nostro  figlio  nelle  conver- 
sationi e  discorsi  sii  animoso,  perö  anche  cauto  e  prudente, 
che  volentieri  discorri  di  cose  sante,  heroiche,  politiche, 
militari  e  d'altre  consimili,  le  quali  stanno  bene  in  un  prin- 
cipe e  l'aprofittano:  ladove  esso  et  altri  che  si  ritroveranno 
assistenti  a  nostro  figlio,  si  nella  recreatione  come  in  altri 
tempi  opportuni  usarano  simili  discorsi,  col  darne  cosi  oc- 
casione  e  farne  venir  voglia  anche  al  medemo ,  sendo  che 
l'isperienza  insegna,  esser  tale  l'indole  nelli  figli  de  principi, 
che  piü  facilmente,  piü  volentieri  e  d'avantaggio  apprendono 
dalla  conversation  di  persone  discrete  et  erudite,  dalli  ama- 
estramenti    fatti   con  la    viva   voce   e  discorsi  piacevoli  con 


Bottmanner:  Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I     247 

ritener  ciö  e  meglio  applicarlo,  che  all'  usanza  delle  schuole, 
dalli  libri,  col  continuo  sedere,  molesto  e  longo  studiare. 
Doverä  nulladimeno  osservare  il  maggiordomo,  che  niuno  de 
nostri  camerieri,  gentilhuomini  serventi  o  consiglieri  aulici, 
del  trattar  e  discrettione  de  quali  non  si  sia  ben  sicuro,  vi 
si  ingerisca,  e  niun  altro,  sia  chi  esser  si  voglia,  senza  la 
precedente  dovuta  insinuatione  de  medemo  e  licenza  d'esso 
maggiordomo  venga  admesso  a  nostro  figlio. 

Acciö  poi  nostro  figlio  vagli  aprofittarsi  di  ciö  che  cosi  34 
vede,  ode  et  apprende,  e  sappi  por  questo  in  atto  prattico, 
doverä  il  maggiordomo  farlo  pratticar  spesso  con  persone 
considerabili  et  intelligenti  e  ben  conosciute,  lasciandolo 
conversar  con  medemi  tanto  nella  sua  presenza  come  anche 
tal  volta  con  persone  di  conosciuta  discretione  a  solo :  al 
quäl  eifetto  le  domenicÄe ,  giorni  festivi ,  come  anche  li 
giorni  di  lavoro,  quando  sarä  commodo  e  senza  transcurar 
altre  necessarie  facende  parerä  al  maggiordomo,  verrä  esso 
figlio  al  nostro  servitio,  acciö  cosi  habbi  la  commoditä  di 
parlare  e  discorrere  con  li  principali  ministri,  consiglieri 
secreti  et  altri  officieri  presenti,  e  singolarmente  anche  con 
persone  forastiere  di  conto,  che  si  potessero  ritrovar  in 
anticamera.  E  quando  vi  fossero  principi  o  altri  personaggi 
considerabili,  il  maggiordomo  doverä  prima  opportunamente 
informarlo,  come  a  misura  del  stato  di  ciascheduno  doverä 
diportarsi  con  loro  si  ne  discorsi  come  in  altro,  hör  massime 
nel  principio,  sinche  divenga  alquanto  piü  animoso  e  prat- 
tico ;  ne  doverä  dargli  travaglio  o  lasciarsi  divertire,  quando 
ben  anche  ciö  paresse  cosa  dura  al  figlio  e  venisse  tal  volta 
forse  confuso,  perche  e  meglio,  che  si  rompa  tempestiva- 
mente  il  giaccio  che  doppo  longo  tempo  e  quando  e  troppo 
tardo,  o  forse  quando  riesce  ancor  piü  difFicile.  E  doverä 
il  maggiordomo  osservarvi  o  con  bella  maniera  e  senza  che 
se  n'aveda  il  figlio  indagar  da  nostri  ofi'icieri  e  consiglieri, 
cd'  quali  nostro  figlio  parla  a  solo,    come  in  simil  conver- 


248       Sitzimg  der  historischen  Glasse  vom  2.  November  1878. 

satione  si  sii  diportato,  et  havendola  passata  beiie,  lodar- 
nelo  per  tanto  meglio  cosi  animarlo ;  ma  quando  in  qualche 
<;onto  havesse  sbagliato,  non  per  questo  si  doverä  diriderlo 
per  non  renderlo  piü  arrossito,  timido  e  men  rissoluto,  ma 
dimonstrarglisi  Terror e  in  privato  con  bella  destrezza  e 
meglio  informarlo. 

Hör  sicome  noi  speriamo,  che  nostro  figlio  sarä  in  35 
questa  forma  instruito  et  essercitato  nel  vero  timor  di  Dio, 
buone  virtü  e  lodevoli  costnmi,  secondo  ricerca  ogni  conve- 
nienza,  cosi  e  nostra  seriosa  intentione  e  commando,  che 
tutto  ciö  che  gli  puö  riuscire  contrario,  pregiudiciale  o  d'im- 
pedimento  ,  o  dar  ansa  et  occasione  a  nostro  figlio  a  cose 
disdicevoli,  venga  oviato  dal  maggiordomo  con  soma  dili- 
genza ,  prudenza  e  cura ;  e  che  non  se  gli  toleri  alcuna 
buggia  ne  parola  vitiosa  o  imprudente,  niun"*  alterigia  ne  su- 
perbia,  non  la  colera  o  malanimo,  meno  la  superfluitä  nel 
mangiar  e  bevere,  non  prodigalitä  ne  leggierezza  o  altri 
simili  mali.  Ne  anche  doverä  dissimularsi  o  tolerarsi,  che 
quando  forse  nel  discorso  si  mostrasse  imprudente  o  spen- 
sierato,  ciö  lo  scusi  o  si  discolpi  col  dire,  che  non  Thabbi 
pensato  in  questa  forma,  ma,  come  si  e  giä  detto,  doverä 
in  ogni  modo  esser  amonito  et  avezzato ,  che  ne  suoi  dis- 
corsi  sii  veridico  e  sincero,  e  se  pur  conosce  d'haver  forse 
mal  parlato,  ciö  stesso  in  se  emendi,  senza  glosare  questo 
et  interpretarlo  diversamente. 

Nel  medemo  modo  doverä  avertire  il  maggiordomo,  che  36 
niun,  al  quäl  non  sii  da  fidare,  con  le  genti  di  nostro  figlio 
s'ingerisca  o  porti  avvisi ;  ladove  e  da  porsi  l'occhio  sopra 
sconosciuti  forestieri:  item  che  forsi  non  vi  capitino  ridi- 
coli,  buffoni,  ciarlatani  o  altra  simil  canaglia :  e  quando  pur 
per  cause  rilevanti  fossero  tal  volta  per  admettersi,  che 
ciö  non  segua  che  con  nostra  presaputa  e  dando  noi  la  li- 
cenza,  si  usi  in  ciö  tal  prudenza  e  cautela,  acciö  non  nasca 
da  questo  alcun   scandalo   o  altro  male :    che   perö  si  com- 


Bottmanner :  Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I     249 

manderä  seriamente  al  portiere,  che  nella  camera  o  anti- 
camere  di  nostro  figlio  uon  lasci  entrar  alcuno  se  non  quelli, 
a  qnali  ciö  s'aspetta ,  ma  che  stando  in  dubio,  se  ciö  non 
fosse  specialmente  stato  commandato  dal  maggiordomo,  debba 
prendersi  le  deliberationi  dal  medemo.  Avertirä  special- 
mente il  maggiordomo  di  non  admetter  o  lasciar  passar, 
ove  sta  alloggiato  nostro  figlio  e  suoi ,  alcuna  dona  sotto 
qualonque  pretesto,  ne  anche  quelle,  che  hanno  cura  della 
biancheria  et  altro :  in  che  userä  ogni  particolar  cura. 

Alla  presenza  di  nostro  figlio  non  doveranno  intro-  37 
dursi  discorsi  vani,  vitiosi  o  empii;  alla  mensa,  quando  per 
accidente  dovesse  mangiar  solo,  et  in  altre  conversationi 
doveranno  totalmente  omettersi  discorsi  inutili  e  quelli  rac- 
conti ,  i  quali  non  servono  alla  buona  educatione  d'un 
principe. 

II  maggiordomo  doverä  haver  sommamente  a  petto,  che  38 
a  nostro  figlio,  da  chi  che  sia,    non  venga  data  alcuna  oc- 
casione  di  dishonestä  et  altro  simile,  ne  coramunicato  alcun 
libro  pernicioso,  canzone  o  altra  cosa  scandalosa. 

Non  doverä  mai  lasciarsi  nostro  figlio  solo  o  con  un39 
solo  giovine  o  servitore  separato  e  meno  ad  un  discorso 
secreto,  per  quäl  si  sia  causa,  anche  di  necessitä,  quando 
al  maggiordomo  non  consti,  che  nostro  figlio  presso  quella 
persona  sii  in  buona  custodia  e  senza  pericolo ;  ma  doverä 
sempre  ritrovarvisi  presente  o  almeno  vicino  esso  maggior- 
domo o  1  cameriere,  che  vi  haverä  quella  settimana  il  ser- 
vitio ,  o  il  precettore.  Vietamo  con  ciö  a  nostro  figlio  il 
commandar  qualche  cosa  ad  un  ajutante  di  camera  o  altro 
servitore  o  il  mandarlo  fuori  senza  la  presaputa  et  assenso 
del  suo  dirrettore,  sicome  giä  e  stato  piü  difFusamente  pro- 
visto  neir  instruttione  camerale,  alla  quäle  doveranno  badar, 
come  si  deve,  i  dirrettori  e  non  permettere,  che  nostro  figlio 
si  facci  troppo  famigliare  co'  servitori,  ne  questi  molto  con 
il  medemo  conversino,  scrivino  lettere  o  dalla  cittä  portino 


250         Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  November  1878. 

avisi  et  intricchi  o  questi  in  altra  forma  mandino  in  qua  e 
la,  invigilando  sopra  tutti  e  singolarmente  sopra  li  ajutanti 
di  Camera,  col  osservar  e  per  quanto  sarä  fattibile,  inquirer 
diligentemente  sopra  ogni  lor'  andamento  et  attione,  insti- 
tuendo  specialmente  il  maggiordomo  fra  di  loro  ogni  setti- 
mana  uu  special  e  segreto  essame,  in  modo  che  l'uno  non 
lo  sappi  deir  altro,  come  in  ogni  luogo  le  cose  passino,  e 
quello  l'uno  habbi  osservato  dell'  altro  da  non  potersene 
render  buon  conto ;  e  di  ciö  che  ritroverä  di  disdicevole,  ne 
darä  li  castighi,  opportunamente  ordinando  et  emendando 
il  tutto. 

Perche  anco  niuna  cosa  serve  di  maggior  occasione4:0 
alli  vitii,  peccati  et  altre  inconvenienze  del  maledetto  otio, 
il  maggiordomo  terra  diligente  cura,  che  nostro  figlio  mai 
si  ritrovi  senza  honesta  occupatione,  ma  che  impieghi  tutto 
il  tempo  con  orationi,  studii,  essercitii  approvati,  utili  con- 
versationi,  convenienti  recreationi  e  se  ne  serva  bene  in 
altro  modo. 

Perche  poi  anche  Tallievo  di  nostro  figlio  Ferdinando  41 
et  il  radicarvi  virtü  e  buoni  costumi  dipende  molto  dalla 
discretione,  prudenza,  maniere  e  procedere  del  maggiordomo, 
delli  camerieri,  che  suppliscono  nell'  altrui  absenza,  e  del 
precettore,  come  quelli  che  devono  esser  governatori  d'ogni 
sua  attione :  doveranno  quesfci  tanto  rispetto  a  fatti  come 
alle  parole  ritrovar  un  hello,  maturo,  costante,  grave  e  ben 
discreto  modo  d'operar  con  nostro  figlio,  scansar,  per  quanto 
si  poträ,  il  molto  contendere  e  gridare,  acciö  non  si  avezzi 
alle  reppliche  et  al  far  nuove  parole. 

Tutte  i'essortationi  et  amonitioni  doveranno  farsi  in  42 
tal  occasione  e  tempo,  quando  lo  giudicheranno  al  meglio 
disposto ,  acciö  che  il  tutto  facci  maggior  impressione  e 
frutto.  Non  doveranno  anche  publicamente  confonderlo,  ma 
quando  pure  fosse  necessaria  qualche  correttione  in  pre- 
senza  d'altri,  ciö  farlo  co'  qualche  giesto  o  cosi  piano,    che 


Bottmanner:  Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I     251 

niuno  cle  circonstanti  sene  aveda.  In  che  con  la  loro  dis- 
cretione  doveranno  ben  ponderare,  se  tal  volta  con  lodi  e 
buone  parole  non  sii  per  ottenersi  meglio  e  piü  facilmente 
d'avantaggio  o  il  medemo,  che  per  altro  si  procura  con  re- 
prensioni  e  rigoroso  procedere.  In  caso  perö  che  lo  ritro- 
vassero  d'altra  dispositione,  procederano  a  dritura  e  secondo 
la  loro  instruttione  con  avertir  etiandio  a  se  medemi,  acciö 
ne  in  fatti  ne  in  parole  alla  presenza  di  esso  lascino  apparir 
cosa  disdicevole,  non  gran  colera,  rancore  o  insolita  melan- 
colia,  che  vagli  istessamente  alterarlo  o  moverlo  a  nojosi 
e  sinistri  pensieri. 

Sicome  non  devono  tolerar  nel  medemo  Tusar  sopra-  43 
nomi,  parole  piccanti  et  indecenti  contro  servitori  o  alcun 
altro,  cosi  doveranno  astenersi  di  usarne  anche  essi  contro 
il  medemo  o  in  sua  presenza  contro  d'altri,  molto  meno 
batterlo  o  urtarlo,  ma  quando  contr'  ogni  nostra  speranza 
facesse  qualche  gran  e  considerabil  mancamento ,  prender 
da  noi  o  nostra  Signora  Consorte  le  rissolutioni  rispetto  al 
castigo. 

Quando  fors'  anche  via  da  questo  in  qualche  cosa  si44 
riferisse  a  noi ,  procederano  nulladimeno ,  come  si  deve,  a 
dritura  contra  del  medemo,  sin  tanto  che  da  noi  ne  rice- 
vano  altro  comando,  ne  per  le  sue  richieste  et  instanze  do- 
veranno facilmente  deviare  dalle  loro  instruttioni  o  da  ciö 
che  per  altro  giudicano  di  suo  utile  e  vantaggio,  meno  at- 
terirsi  o  dimostrarsi  timidi,  quando  ben  anche  usasse  contro 
di  loro  parole  minacianti,  il  che  pure  non  deve  mai  suc- 
cedere,  perche  ciö  assolutamente  gli  prohibimo  e  ne  lo 
vogliamo  castigar  severamente, 

Doveranno  perciö  tempestivamente  persuaderlo,  che  con-  45 
sideri  e  sappi,  che  ogni  suo  far  e  dire  in  virtü  del  lor  giu- 
ramento  devono  riferirlo    a    noi  e  nostra  Signora  Consorte, 
ne  mai  promettergli,  che  vogliuo  di  lui  tacer  qualche  cosa, 
ma  lasciarsi  tempestivamente  intendere,    che   non  siino  per 


252        Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  November  1878. 

ajutarlo  ancorche  ad  una  minima  cosa  clie  disdica,  meno 
dissimularla ,  ma  che  sono  sempre  et  in  tiitti  li  casi  per 
haver  riguardo  a  Dio ,  alla  loro  conscienza,  giuramento  e 
commandi,  e  precisamente  al  suo  vero,  fermo,  temporal  et 
eterno  bene,  di  che  a  suo  tempo,  quando  haverä  perfetto  il 
giudicio,  li  ringratiarä  gr andemente,  e  per  il  contrario  esser 
per  riuscir  tardo  il  pentimento  et  incolpar  loro  avanti  Dio 
e  se  medemo. 

Quanto  a  studii  li  rimettiamo  intieramente  alla  parti-46 
colar  instruttione  del  precettore,  copia  della  quäle  vien  con- 
segnata  al  maggiordomo  per  sua  informatione ;  e  perche 
habbi  l'occhio,  che  venga  diligentemente  osservata.  In  questa 
secondo  il  bisogno  si  contiene  precisamente,  quali  precetti 
et  arti  debban  assignarsi  a  nostro  figlio  per  impararli,  quali 
authori  gli  doveranno  esser  letti,  come  da  una  disciplina  e 
scienza  doverä  far  il  passaggio  all'  altra.  Hör  quivi  e  sol 
in  genere  nostra  intentione  e  commando,  al  quäle  il  mag- 
giordomo doverä  con  ogni  diligenza  accudire,  che  nostro 
figlio  mediante  una  buona  e  fondamental  dottrina  nell'  ora- 
tione  catholica  et  in  altre  opere  et  essercitii  santi  venga  prin- 
cipalmente  amaestrato  nella  lingua  latina,  poscia  essercitato 
neir  historie  e  cose  politiche  come  quelle  che  singolarmente 
ad  un  principe  regnante  sono  utili  e  necessarie,  e  dechiarato 
etiandio  ciö  che  puö  servire  a  questo  studio  con  altre  scienze 
ad  un  principe  confacevoli,  cioe  la  cosmographia,  geometria, 
mathematica,  arithmetica  e  simili,  et  in  quelle  con  necessarie 
instruttioni  e  buon  fondamento  iustituito. 

Fra  l'altri  studii  di  nostro  figliuolo  se  gli  doverä  eti-  47 
audio  dechiarar  le  lingue  italiana,  francese  e  spagnola,  cui 
gli  servino  tanto  per  il  discorso  quanto  per  lo  scrivere,  al 
quäl  effetto  gli  manteniremo  un  particolar  maestro  di  lin- 
gue, acciö  lo  instruisca  nell'  infradesignate  höre  e  tempo : 
acciö  perö  le  apprenda  tanto  piü  facilmente  e  presto,  il 
maggiordomo  et  altri  intendenti  delle  lingue,  che  sono  asai- 


Bottmanner:  Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I     253 

stenti  a  nostro  figlio ,  subito  clie  questo  vi  haverä  fatto 
qualche  profitto ,  procurerano  con  diligenza  di  essercitarlo 
e  di  perfettionarlo  sempre  piü  ipso  usii. 

Perche  poi  anche  non  contraria  alla  riputatione  d'au48 
principe,  ma  gli  serve  piü  tosto  di  ornato  e  riesce  per  ogni 
verso  utile ,  anzi  in  un  certo  modo  necessario ,  che  habbi 
intelligenza  nelP  architettura,  pittura,  giojelaria  e  nell'  arti 
d'orefici  e  stuccatori  et  altre  consimili  cose  mecbaniche,  e 
ne  discorra  non  solo  di  ciascheduna  co'  proprii  e  dovuti 
termini,  ma  etiandio  con  giudicio,  e  questo  debba  servirgli 
di  recreatione :  quindi  il  maggiordomo  di  nostro  figliuolo  gli 
farä  a  ciö  animo  admettendogli  a  certi  tempi  persone  in 
simiii  scienze  et  arti  ben  fondate,  di  stima  e  valore,  ma  di 
conosciute  buone  qualitä  e  costumi,  et  affatticandosi  acciö 
detto  nostro  figlio  n'acquisti  buona  peritia  e  cognitione  e 
se  ne  possi  a  suo  tempo  servire :  con  questo  perö  cbe  in 
ciö  non  si  passino  i  limiti,  ne  fuor  di  tempo  o  con  lasciar 
il  piü  necessario  venga  a  ciö  applicato,  meno  in  questa 
forma  sii  data  occasione  a  qualche  disordinata  brama,  spesa, 
inutile  curiositä  o  ad  altro  che  potesse  contrariar  alle  virtü 
e  buoni  costumi:  ma  si  proceda  per  ogni  verso  con  la  do- 
vuta  riflessione,  nostra  presaputa  e  secondo  la  capacitä  di 
nostro  figlio,  e  ciö  servi  per  l'hore  della  recreatione. 

E  perche  con  li  studii  et  altre  cose  serie,  che  fattigano49 
l'animo  e  Tintelletto,  per  una  necessaria  variatione  si  ricer- 
cano  etiandio  honeste  recreationi  et  utili  essercitii  del  corpo 
e  deir  animo,  come  quelli  che  piacevolmente  contemperano 
le  fatticose  attioni  dell'  huomo  e  lo  fanno  piü  habile  e  du- 
rabile  nella  reassuntione  de  medemi,  anche  per  il  manteni- 
mento  delle  forze  e  della  salute ,  come  pure  perche  molto 
servono  all'  assetamento  e  buon  portamento  della  vita  e 
sono  in  parte  necessarie,  lodevoli  e  decorose  in  un  principe : 
admettiamo  perciö  a  nostro  figlio  non  solo  tutto  ciö  che  di 
sopra  si  e  detto  delle  cose  mechaniche,  ma  etiandio  e  prin- 
[1878.  T.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  Bd  II.  2.]  18 


254         Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  November  1878. 

cipalmeiite ,  che  vagli  essercitarsi  e  recrearsi  nel  schermire, 
cavalcare,  ballare,  giochi  di  palla  e  pallamaglio ,  item  nel 
mistier  della  caccia,  nelli  giochi  della  tavola  e  scacchi,  come 
pure  uel  sbarro  d'arcobuggi  et  azzaio,  nelP  uccellare,  volo 
de  falconi,  pesche  et  altro  consimile  :  il  tutto  perö  a  suo 
tempo  secondo  l'etä  e  possibilitä  del  medemo  e  con  la  do- 
vuta  misura  e  prudenza,  avertendo  specialmente  esso  mag- 
giordomo,  che  non  si  facci  troppo  grande  Tansietä  della 
caccia  e  radicata  e  che  l'affetto  a  simili  cosi  non  facci  posporre 
e  transcurare  le  fontioni  necessarie,  ne  mai  permetta,  che 
nostro  figlio  nelle  stanze  di  sua  habitatione  tenga  arcobuggi, 
battifuoghi,  polvere  o  altra  cosa  pericolosa.  Doverä  istes- 
samente  essergli  vietato  il  lotar  con  pericolo ,  nuotare ,  il 
correr  fortemente  e  lontano  et  altro  consimile  che  apporta 
pericoli  e  disdicesi  in  un  principe. 

Vogliamo  efciandio,  che  nostro  figlio  col  tempo  e  quando  50 
vi  haverä  le  forze,  venga  instrutto  in  ogni  sorte  d'esser- 
citii  cavallereschi,  come  uel  correr  all'  annello  e  quintana, 
ue  tornei  a  piedi,  nel  raaneggio  e  giochi  di  picea,  perö  con 
la  predetta  moderatione,  e  piü  perche  sappi  il  modo  di  ser- 
virsene  e  pratticarli,  che  perche  debba  tarne  professione. 

Sebene  e  anche  ispediente  e  necessario,  che  venga  dis-  5 1 
segnato  il  tempo  et  höre  precise  per  li  studii,  altri  esser- 
citii  e  recreationi,  di  che  qui  a  basso  ne  vien  fatta  special 
mentione,  potiamo  nulladimeno  ben  figurarci,  che  non  poträ 
cosi  strettamente  venir  osservato,  massime  nelli  essercitii  e 
variatione  de  medemi.  Rimettiamo  percio  alla  discretione 
del  maggiordomo  e  precettore  il  commutar  tal  volta  il  gior- 
no  e  l'hore  di  uno  nell''  altro  et  il  dispensarle  secondo 
il  tempo  e  varietä  delle  staggioni,  delli  giorni  festivi  o  di 
lavoro  e  della  dispositione  del  corpo  del  figliuolo  o  per  quello 
richiederä  la  presenza  delle  persone  et  altre  considerationi, 
come  pure  l'eleger,  secondo  lor  parerä,  un  giorno  di  riposo 
ogni  settimana,    mentre   non    vi  corra   giorno  di  festa.     Di 


Bottmanner :  Die  Instruction  des  Kürfürsten  Maximilian  I     255 

questo  perö  il  maggiordomo  dovera  ricercare  spesso  da  noi 
o  dalla  nostra  Signora  Consorte  li  nostri  piacinienti  e  dando 
la  relatione  circa  li  portamenti  del  figliuolo  tanto  ne  stadii 
come  nelli  essercitii  et  altre  cose  permessegli  udire  le  nostre 
deliberationi  intorno  a  ciö  che  resterä  poi  da  farsi,  Dovera 
perö  anche  serapre  osservare,  che  quando  nostro  figlio  nel 
tempo  de  studii  sarä  con  noi  condotto  a  spasso  o  haverä 
qualche  altra  vacanza,  venga  risarcito  ciö  che  haverä  negletto 
ne  studii,  nelle  sussequenti  höre  di  ricreatione. 

Oltre  di  ciö  tanto  il  maggiordomo  come  il  precettore  e  52 
camerieri,  quali  in  ciö  doveranno  corrisponder  assieme  dili- 
gentemente,  haveranno  singular  cnra  della  salute  di  nostro 
figlio  et  a  tutto  ciö  che  riguarda  nna  buona  conservatione 
della  medema,  vietandogli  cibi  malsani  e  frutti  et  ordinando 
col  dovuto  riguardo  alla  medema  tanto  li  studii  come  li 
altri  essercitii  e  recreationi  et  altro  in  modo  che  tutto  ciö 
che  puö  riuscirgli  di  danno,  venga  impedito  et  all'  incontro 
ordinato  e  procurato  tutto  quello  che  puö  servirgli  di  pro- 
fitto ;  e  perche  ciö  tanto  meglio  venga  effettuato,  doverano 
sempre  badare  alla  complession  et  ogni  attione  del  medemo, 
quando  dorme,  quando  vigila,  quando  mangia  e  beve,  e  con- 
formarsi  all'  instruttione  per  tal  rispetto  concepita  da  nostri 
medici  di  camera  :  ne  studii  singolarmente  dovera  osservarsi, 
che  venga  interpreso  ciö  che  [di]serve  per  essercltio  della 
memoria,  la  matina  e  subito  il  doppo  pranso  ;  e  quando  fa 
gran  caldo,  non  venga  interpreso  niun  affar  yiolento;  et  in 
tutti  li  essercitii  del  corpo,  da  quali  potrebber  nascer  danni 
al  medemo  et  infermitä,  riguardare,  che  nostro  figliuolo  non 
usi  troppo  violenza,  e  quando  forse  si  riscaldasse,  col  mu- 
tarsi  de  panni  vagli  pian  piano  rinfrescarsi. 

E  perche    per  conservatione    della  salute  e  molto  utile  53 
un  viver  aggiustato  e  la  ordinatione  d'ogni  affare  in  deter- 
minate    höre    del  giorao    riesce    di  grandissimo  stimolo  alli 
affari  medemi :  quindi  il  maggiordomo,  precettore  e  camerieri, 

18* 


256  Sitzung  der  historischen  Glasse  vom  2.  November  1878. 

ciascheduno  secondo  Topportunitä  de  loro  officii  e  cariche, 
attenderano  diligentemente  e  procureranno  di  tenir  in  buon 
ordine  non  solo  nostro  figliuolo,  ma  anche  altri  con  il  me- 
demo.  E  seben  in  ciö  non  puö  esser  prescritta  una  certa, 
universale  e  stabile  regola,  ma  doverä  mutarsi  bor  V  un' 
bor  Taltra  cosa  secondo  cbe  portarä  Toccasione:  vogliarao 
nulladimeno  e  commandiamo  benign  amen  te,  cbe  quando  non 
vi  saranno  singolar  impedimenti  e  riguardi,  cbe  con  nostro 
figliuolo  debba  diligentemente  e  continuamente,  per  quanto 
sarä  possibile,  osservarsi  pontualmente  il  seguente  ordine  e 
ripartition  del  giorno,  ne  facilmente  in  alcun  conto  riceder 
da  questa. 

Doverä  dunque  la  mattina  levarsi  alle  6  bore  dal  letto :  54 
e  quando  in  absenza  del  raaggiordomo  esso  a  quell'  bora 
tuttora  dormisse,  il  cameriere  e  precettore,  cbe  dormono 
nella  camera  del  medemo ,  modestamente  svegliarlo,  amae- 
strandolo  et  essortandolo  con  ogni  assiduitä,  cbe  debba 
sempre  inalzar  il  suo  primo  pensiero  a  Dio  :  e  subito  cbe 
sarä  destato ,  si  premunisca  in  letto  col  reiterato  segno 
della  Santa  croce.  Hör  quando  baverä  termiuato  di  vestirsi 
e  di  pulirsi,  si  portarä  subito  nel  suo  oratorio,  ove  per  un 
quarto  d'bora  con  la  dovuta  divotione  farä  le  sue  orationi 
matutine,  senza  cbe  avanti  in  alcun  luogo  principii  o  inter- 
prenda  cosa  ver'  una:  acciö  cosi  dalla  santa  oratione  il  gior- 
no sortisca  un  fortunato  principio  e  venga  prosperamente 
incaminato ;  e  queste  orationi  saranno  prescritte  e  di  quand' 
in  quando  Ordinate  secondo  il  bisogno  e  capacitä  del  figli- 
uolo dal  suo  padre  confessore.  Un  quarto  avanti  le  sette 
prenderä  il  suo  brodo  e  poi  udirä  la  santissima  messa,  fa- 
cendo  sotto  quella  le  sue  divotioni  senza  tralasciarvi  mai 
giorno,  eccettuato  la  dominica  o  li  festivi,  quando  assiste 
alla  predica  e  messa  cantata.  Doppo  la  messa  darä  prin- 
cipio al  studio,  premetteudo  una  breve  oratione,  cioe  »Veni, 
sancte  Spiritus,  reple  tuorum  corda  fidelium  etc.«  o  »Actiones 


Rottmanner:  Die  Instruction  des  Kurfürsten  Maximilian  I      257 

nostras,  quaesumus,  Domine  etc.«,  e  lo  contiuuerä  sino  alle 
9  höre. 

Dalle    9  höre  sino  a  mezzo  le  dieci  doverä  amaestrarsi55 
nella  scherma    e   ballo ,    alternando    questi    essercitii    ogni 
giorno. 

Alle  10  höre  servirä  noi  e  la  nostra  Signora  Consorte  56 
sino  alla  mensa;    e    doppo    il  mangiare   ci  resterä  appresso 
sino   alle   dodeci    incirca    o  sino    a    tanto    che    noi    medemi 
gli  daremo  licenza  di  partirsi. 

GH  vien  poscia  concessa  recreatione  sino  all'  un'  hora,  57 
quäle  sarä  impiegata  secondo  la  discretione  e  parere  del 
maggiordonio  con  lento  passeggio  nella  stanza  o  in  altro 
luogo  della  nostra  residenza  o  anche  secondo  la  constitutione 
del  tempo  nel  giardino  con  allegra,  utile  et  essemplar  con- 
versatione ,  overo  con  qualche  leggier  essercitio,  quäle  non 
ricerchi  con  violente  commotione  del  corpo. 

Air  una  e  mezzo  si  darä  nuovamente  principio  al  studio  58 
e  si  continuerä  sino  alle  tre. 

Da    questa   hora   sino  alle  cinque  höre  poträ  instruirsi59 
nelle  lingue  francese,  spagnola  et  italiana,  come  anche  nelle 
cose  mechaniche,    con  applicar  et  divider  questo  tempo  se- 
condo r  opportun  itä. 

Doppo  di  questo  sarä  nuovamente  recreatione  sino  alle  60 

6  e  poträ  fra  tanto  pro  ratione  temporis  intraprendersi 
qualche  essercitio,  recitando  prima  della  mensa  second'  il 
consueto  quotidianamente  il  rosario.  Avicinando  le  6  do- 
verä nuovamente  servir  noi  e  la  nostra  Signora  Consorte 
alla  mensa   et  doppo   la  cena  restar  presso  di  noi  sino  alle 

7  overo  8  höre,  secondo  che  noi  gli  commandaremo  di 
fermarsi. 

Hör  quando  haverä  da  noi  ottennuto  licenza  di  partire,61 
o  che   si  recrearä  come  doppo   il  pranso    con  modesto  pas- 
seggio e  buona  conversatione  e  singolarmente  col  rifletter  a 
ciö  che  nel  passato  giorno  haverä  appreso  si  nelli  studii  et 


258  Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  Novemher  1878. 

altri  essercitii ,  se  vi  sarä  tempo  in  avantaggio ;  o  che,  se 
si  avicinasse  il  tempo  dell'  oratione  e  di  andar  a  dormire, 
legerä  qualche  cosa  spirituale  e  fra  Taltre  le  commemora- 
tioni  delle  vite  de  santi  di  quel  giorno,  portandosi  poscia 
al  riposo,  concludendo  il  giorno  con  Toratione  e  ringratia- 
menti  a  Dio  per  li  beneficii  e  gratie  ricevute,  come  ogni 
volta  gli  sarä  prescritto  dal  confessore ,  e  finalmente  col 
quotidiano  essame  di  conscienza,  che  da  lui  non  doverä  mai 
esser  tralasciato,  regolando  in  modo  tale  si  l'oratione  come 
il  spogliarsi,  che  alle  9  bore  possa  gir  a  letto.  Avanti 
perö  che  si  spogli,  recitarä  con  le  sue  genti  le  Litanie  Lau- 
retane  et  usarä  la  medema  divotione  nel  corcarsi  come  nel 
levarsi,  si  che  Tultimo  suo  pensiere  sii  del  Signore  Dio. 

Ancorche  nelli  prescritti  ordini  oltre  il  schermir  e  dan-  62 
zare  non  sii  stato  statiiito  cosa  sicura  rispetto  alli  essercitii, 
ma  siamo  per  dar  successivamente  li  ordini ,  come  oppor- 
tunaraeute  et  in  quäl  giorno  et  hora  debba  intraprendersi 
una  cosa  doppo  l'altra :  e  nulladimeno  nostra  inten tione, 
che  a  nostro  figlio  per  questa  volta  debba  incomber  princi- 
palmente  il  cavalcare,  e  debba  almeno  due  volte  alla  setti- 
mana,  cioe  il  martedi  e  giovedi,  portarsi  alla  cavallerizza, 
e  sarä  cura  singulare  del  nostro  granscudiere  l'avertire,  che 
nostro  figlio  in  questo  essercitio  per  via  di  qualche  sforzo 
straordinario  del  corpo  non  riceva  alcun  nuocumento  o  danno. 

Ciö  che  il  maggiordomo  haverä  da  osservare  intorno63 
alle  gioje ,  vestimenti  et  altri  utensili  di  nostro  figlio,  si 
contiene  sufficientemente  nell'  ordine  et  instruttione  camerale, 
alla  quäle  in  ciö  lo  rimettiamo.  Ci  promettiamo  percio  non 
solo  come  padre,  che  da  nostro  figliuolo  debba  con  ogni 
accuratezza  esseguirsi  tutto  ciö  che  si  e  predetto,  mentre  e 
nostra  precisa  intentione  e  commando,  che  acciö  intorno  a  suoi 
portamenti  habbi  meglior  informatione  e  quasi  una  sicura 
regola  e  filo  per  ordinär  le  sue  attioni,  gli  vengan  fatti  e 
consegnati  certi  estratti  si  dell'  instruttioni  del  maggiordomo 


Mottmcunier:  Die  histniction  des  Kurfürsten  Maximilian  I      259 

come  del  precettore  e  clelli  ordini  camerali,  per  quauto  con- 
vien,  che  sappi  per  suo  utile ,  affinche  come  certa  regola  e 
modo  di  vivere  con  frequente  lettura  e  matura  riflessione 
l'imprimi  nella  sua  memoria,  anzi  nel  suo  animo,  quella 
habbi  sempre  avanti  Tocchi  et  a  quella  si  conformi :  ma 
commandiamo  in  virtü  di  questo  etiandio  unitamente,  nuova- 
meute  e  nel  di  piii  al  suo  maggiordomo ,  che  niente  meno 
si  conformi  con  ogni  dovuta  fedeltä,  diligenza  e  potere  e 
secondo  il  giuramento  da  lui  prestato  a  tutti  li  preaccennati 
articoli  e  generalmente  a  tutto  ciö  che  puö  ridondar  a  pia- 
cimento  nostro  e  della  nostra  Signora  Consorte,  utili  e  van- 
taggi  del  figlio ,  e  che  riuscendoli  qualche  cosa  difficile  o 
che  per  altro  tale,  che  habbi  bisogno  di  sentir  la  nostra  in- 
tentione,  debba  insinuarsi  presso  di  noi  per  riceverla :  e  quello 
noi  poscia  in  ciö  gli  commandaremo  con  la  viva  voce  o  alla 
presente  instruttioue  in  avenire  di  nuovo  aggiongeremo  in 
scritto,  debba  parimente  osservarlo  et  esseguirlo  e  senza 
nostra  special  presaputa  fuori  d'un'  inevitabile  necessita  da 
ciö  non  discostarsi ,  ne  in  ciö  da  alcuno  lasciarsi  impedire, 
avertendolo  per  fine  e  di  bei  nuovo  dell'  importanza  della  sua 
caricha  e  ravivandogli  la  singolar  conlidenza,  che  in  lui  te- 
nemo,  acciö  vagli  di  tutto  renderne  buon  conto  a  Dio,  a  noi 
e  nostri  e  riportarne  dall'  onnipotente  Signore  e  noi  il  guider- 
done  dovuto :  in  che  pure  non  poniamo  nel  medemo  alcuna 
diffidanza  o  dubio. 

AI  quäl  fine  habbiamo  fatto  consegnare  ad  esso  Barone  64 
di  Metternich  come  a  maggiordomo  da  noi  deputato  a  nostro 
figlio  Ferdinando  et  obligato  questa  instruttione  con  nostra 
sottoscrittione  e  firma. 

In  Basserburgo  il  primo  Decembre  1646. 


Herr  Cornelius  hielt  einen  Vortrag  über  den  angeb- 
lichen politischen  Charakter  des  Processes  gegen 
Michael  Servet  in  Genf  im  Jahre  1553. 


Sitzung  vom  7.  December  1878. 

Philosophisch-philologische  Classe. 


Durch  den  Classensecretär  wurde  vorgelegt  eine  Ab- 
handlung des  Herrn  G.  F.  Unger: 

„Der  Eridanos  in  Venetien.'* 

In  den  Strom  Eridanos  stürzte,  wie  der  Mythos  er- 
zählt, der  Heliossohn  Phaethon ,  als  der  Blitzstrahl  des  Zeus 
ihn  traf;  an  den  Gestaden  seiner  Mündung  beweinten  die 
Schwestern  den  Unglücklichen  so  lange,  bis  die  erbarmende 
Gottheit  sie  in  Schwarzpappeln  verwandelte;  ihre  noch 
immer  fliessenden  Thränen  erhärtete  die  Sonne  zum  gold- 
strahlenden Bernstein.  Da  den  Alten  ihre  Mythen,  so  lange 
sie  an  die  Götter  glaubten,  als  Geschichte  galten,  so  müssen 
sie  den  Eridanos  für  einen  wirklichen,  irgendwo  nachweis- 
baren Fluss  gehalten  haben ;  dies  ist  auch  der  Fall  gewesen, 
aber  der  herkömmlichen  Ansicht  zufolge  waren  sie  über 
seinen  späteren  Namen  nicht  einig  und  dachten  manche 
an  einen  Strom  des  Nordens,  andere  an  den  Rhone,  die 
meisten  an  den  Po.  Da  somit  die  alten  Schriftsteller  über 
die  Lage  des  Flusses  selbst  uneins  sind,  da  der  Name  des- 
selben acht  griechisch  (ihn  führte  ein  Bach  bei  Athen)  und 
sein  frühestes  Vorkommen  in  der  Literatur  (bei  Hesiodos) 
mit  einem  Mythos,  eben  der  Sage  von  Phaethon,  verknüpft 


262      Sitzung  der  phüoii.-jiifiüol.  Clüsi^e  oom  7.  Decemher  1878. 

ist;  da  ferner  am  Po  und  am  Rhone  nach  den  theils  aus- 
drücklichen theils  indirekten  Zeugnissen  eines  Herodot,  Diodor, 
Plinius  und  Lucian  kein  Bernstein  zu  finden  war  und  dieses 
Baumharz  nicht  der  Schwarzpappel  sondern  einer  unter- 
gegangenen Tannenart  angehört :  so  ist  man ,  scheint  es, 
vollauf  berechtigt  den  Bernsteinfluss  Eridanos  zum  Welt- 
strom Okeanos  und  den  Hyperboreern  in's  Reich  der  Fabel 
zu  verweisen,  um  so  mehr  als  schon  im  Alterthum  von 
Herodot,  Aratos  und  Strabon  die  Existenz  desselben  ent- 
schieden geleugnet  worden  ist. 

Der  Eridanos  gilt  für  einen  mythischen  Fluss  und  ein 
Versuch,  ihm  eine  Stelle  auf  Erden  anzuweisen,  kann  wenig 
auf  Theilnahme  und  Ermunterung  rechnen,  üoch  an  Eines 
darf  erinnert  werden :  die  für  die  jetzt  herrschende  Ansicht 
massgebend  gewordene  Darlegung  von  Joh.  Heinr.  Voss  in 
der  Alten  Weltkunde  ist  schon  1804  erschienen,  und  der 
einzige  Forscher ,  welcher  sich  seitdem  selbständig  und  er- 
folgreich auf  diesem  Gebiete  bewegte,  Karl  Müllenhoif 
(Deutsche  Alterthumskunde  I  212  flF.)  hat  sein  Augenmerk 
mehr  auf  Pytheas  und  die  den  nordischen  Bernstein  betref- 
fenden Fragen  gerichtet,  in  Sachen  des  Eridanos  aber  sich 
ausgesprochener  Massen  im  Wesentlichen  an  Voss  ange- 
schlossen. Eine  Revision  der  einschlägigen  Stellen  schien 
daher  nicht  unzeitgemäss  und  sie  ist  auch,  wie  uns  be- 
dünken will,  nicht  ergebnisslos  geblieben.  Vorliegende 
Auseinandersetzung  will  den  Beweis  erbringen :  dass  mit 
Ausnahme  weniger ,  durch  falsche  Auslegung  ihrer  Quelle 
auf  Abwege  gerathener  Schriftsteller  die  Alten  überein- 
stimmend den  Eridanos  für  einen  Fluss  Oberitaliens  gehalten 
haben ;  eigentlich  jedoch  nicht  für  den  Po  selbst ,  welcher 
erst  in  der  alexandrinischen  Periode  durch  ein  leicht  er- 
klärliches Missverständniss  zu  jener  Benennung  kam,  sondern 
für  einen  im  Podelta  mündenden  Fluss  Venetiens;  endlich 
dass    Eridanos    nur    eine    Hellenisirung    des    einheimischen 


G.  F.   ünger:     Der  Eridanos  in   Venetien.  263 

Namens  ist,  welcher  sowohl  Eretenos  als  Reteno  lautete 
und  in  regelrecht  modernisirter  Form  noch  jetzt  den  Ober- 
lauf des  Flusses  bezeichnet. 

Die  hie  und  da  auftretende  Ansicht,  dass  die  Benenn- 
ungen Eridanos  und  Padus  sich  zu  einander  ähnlich  ver- 
halten wie  die  Namen  Istros  und  Danubius,  dass  die  erste 
ursprünglich  und  vorzugsweise  den  Griechen,  die  andre  den 
Lateinern  eigen  sei,  ist  schon  im  Alterthum  ausgesprochen 
worden,  s.  Plinius  hi^t.  nat.  III  117  Padus  Graecis  dictus 
Eridanus;  XXXVII  31  electrum  fundere  Eridanum  quem 
Padum  vocamus  dixere  Aeschylus  Philoxeuus  etc. ;  Solinus 
2,25  Padus  a  Graecis  dictus  Eridanus;  Hyginus  fab.  154 
hie  amnis  a  Graecis  Eridanus  dictus.  In  der  That  wird 
von  den  griechischen  Schriftstellern  der  Kaiserzeit  der  Po 
fast  constant  Eridanos  genannt  und  zwar  nicht  bloss  von 
Dichtern  und  Literaten  sondern  auch  von  Geschichtschreibern, 
Geographen  und  andern  Vertretern  der  trockenen  Prosa  ^) 
wie  Aelianus  hist.  anim.  XIV  29  £v^a  6  Tavagog  ytal  6 
^Hqiöavdg  GVfÄßdXXeTOv ;  XLV  8  (s.  u.) ;  Agathemeros  II  10 
alXoL  f^eydXoL  nozaiLwl  ^HQiöavog  ycal  ol  df.i(pl  '^Podavov ; 
Herodianus  VIII  7  ccTto  rr^g  ^Faßivv^]g  aqag  eTtiorr]  ^KvXrjla 
diaßdg  tcc  zerdyrj  a  vno  ^Hqidavov  nXrjQOVf^eva  eTiid  oto- 
fxaoiv  eg  ^aXaTTav  SAxelrai  ;  Dio  Cassius  XXXVII  9  oi 
rifxrjral  7ieQl  zwv  vjteQ  tov  ^HQiöavov  oIkovvtwv  (de  Trans- 
padanis)  ÖLOiyiovvTeg ;  XLI  36  FaXaraig  xdlg  svTog  twv 
Z4X7tswv  VTTSQ  TOV  ^HQiöavov  olxovoi ;  Zosimos  V  37  tag 
€7T€%eiva  TOV  ^HgiSavov  xeif^ievag  TtöXug  AXtwov  Kai  Kqe- 
(Acova  u.  a.  Zwar  gebraucht  Plutarch  im  Caesar  20.  25 
und  Marcellus  6,  ebenso  Appianus  Hannib.  5.  7  fg.  den 
Namen  Padus;    aber    aus    Plut.   im    Marius   24    diaßdg  tov 


1)  Dies  bemerkt  auch  C.  Müller  zum  Skylax  §  19,  übersieht  aber 
die  Zeitgrenzen  dieses  Gebrauchs  und  gelangt  dadurch  zu  einer  falschen 
Erklärung  der  citirten  Stelle. 


264     Sitzung  der  pldlos.-i)hilol.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

^Hqidavov  eiQyeiv  STteiQccto  Ttjg  svTog  'iTallag  tovg  ßaqßä- 
qovg ;  Otho  5  h  Bgi^ilo)  tveqI  tov  ^Hqiöavov  EXeicpd^rj ;  1 1 
Tteql  TOV  ^Hgidarov  dycova  yeviod^ai  und  aus  App.  b.  civ.  I 
109  d^cpl  Toig  Ttrjyaig  tov  ts  ^Podavov  yial  ^HQiSavov  ist  zu 
schliessen,  dass  sie  die  Bezeichnung  Padus  der  Benützung 
lateinischer  Quellen  verdanken ;  eine  ähnliche  Erklärung  gilt 
für  Ptolemaios  geogr.  III  1,24. 

In  der  griechischen  Prosa  jedoch  ist  dieser  Sprachge- 
brauch erst  zur  Kaiserzeit  herrschend  geworden;  noch  mehr: 
er  ist  in  jener  erst  von  da  an  nachweisbar.  Noch  zu  An- 
fang der  Regierung  des  Tiberius  braucht  Strabon  keine 
andere  Benennung  vom  Po  als  Pados ;  im  Jahr  7  v.  Ch. 
schreibt  Dionysios  von  Halikarnassos  ant.  rom.  I  18  ^Qog 
€vl  TCüv  TOV  Uadov  GTO/AaTcov  OQ/^iiGa/iisvoi  ^TtivrJTL  KaXov- 
fisvco;  bald  nach  Caesars  Tod  Diodoros  V  23  Oaf-^'OVTog 
TieoovTog  Tcqog  Tag  eKßoXdg  tov  vvv  Uddov  y,aXov/^€vov  Tto- 
TaiLiov,  t6  Si  naXaLOv  ^Hqiöavov  TTQOoayoQevofxevov  ^) ;  Me- 
trodoros  von  Skepsis,  der  im  J.  70  von  Mithridates  getödtet 
wurde,  erklärt  bei  Plinius  bist  TU  122  den  Namen  Padus 
aus  dem  Gallischen  und  führt  die  ligurische  Benennung 
Bodincus  an;  Polybios ,  am  130,  nennt  den  Strom  nur 
Pados.  Aus  einem  Gewährsmann  dieser  früheren  Zeit  hat 
wohl  auch  Arrianus  bei  Eustath.  zu  Dion.  Per.  378  ^Evbtol 
(pyJaS-rjoav  ftqdg  Tldöto  tm  TioTafxuj  ytai  t^  eTviy^wqia  yXijJTTiß 
BsvcTol  ig  TovTo  etl  KkrjlCovTai  geschöpft. 

Den  meisten  von  diesen  Schriftstellern  war  auch  die 
Benennung  Eridanos  für  den   Po  bekannt:  aus  Diodoros  a. 


1)  Diodor  a.  a.  0.  leugnet  nicht ,  wie  Müllenhoif  D.  A.  474  be- 
hauptet, dass  die  Sage  von  Phaethon  und  dem  Bernsteinfluss  Eridanos 
den  Po  angeht,  sondern,  dass  an  dem  jetzt  Padus  genannten  Eridanos 
der  Bernstein  gefunden  werde;  er  hält  wie  andere  den  alten  Eridanos 
für  den  Po  und  glaubt ,  dass  dort  die  Sage  von  Phaethon  und  dem 
Bernstein  spielt,  leugnet  aber,  dass  an  der  Sage  etwas  Wahres  ist. 


G.  F.   Unger:     Der  Eridanos  in  Venetien.  265 

a.  0.  und  Appianus  b.  civ.  I  109  Ilaöog  dvri  ^Hqidavov 
l^iezoroj-iaGd^elg  ist  zn  erkeniieE,  dass  man  den  ursprünglichen 
und  eigentlichen  Nameu  wieder  in  sein  Recht  einzusetzen 
meinte,  wenn  man  sich  der  Form  Eridauos  bediente,  und 
aus  Polyb.  II  16,6  6  IlaSog  7toTaj^i6g  vjto  08  rcov  7coli]tcov 
^Hqiöavog  ^QvlXovjiievog  schliessen  wir,  dass  der  Anstoss  zn 
dieser  Neuerung  von  den  Dichtern  ausgegangen  war:  durch 
das  Ueber wiegen  der  schönen  Literatur  wurde  darin  in  der 
Kaiserzeit  der  aus  Büchern  hervorgesuchte  Name  zur  stehen- 
den Bezeichnung  im  allgemeinen  Sprachgebrauch  der  grie- 
chischen Schriftsteller.  Der  erste,  bei  welchem  sich  derselbe 
nachweisen  lässt ,  ist  Apollonios  von  Rhodos ,  im  Anfang 
des  zweiten  Jahrhunderts  vor  Christus  (Argon.  IV  596.  610. 
623.  628) ;  ob  vor  den  Alexandrinern  in  der  Poesie  der 
Name  vom  Po  gebraucht  worden  ist,  erscheint  uns  zweifel- 
haft :  ein  sicherer  Schluss  ist  aus  den  Worten  des  Polybios 
bloss  auf  die  seiner  Zeit  am  nächsten  stehenden  Dichter  zu 
ziehen.  Durch  den  Einfluss  der  Alexandriner  ging  dann 
der  Sprachgebrauch  auch  auf  lateinische  Dichter  über,  unter 
welchen  hier  vor  allen  Vergilius  zu  nennen  ist,  georg.  I 
482  fluviorum  rex  Eridanus ;  IV  372  gemina  auratus  taurino 
cornua  vultu  Eridanus,  quo  non  alius  per  pinguia  cultu  in 
mare  purpureum  violentior  effluit  amnis ;  ferner  Lucanus  II 
409  —  418;  Claudianus  IV  consul.  Honor.  17;  VI  consul. 
Hon.  149  u.  a.  Aber  ein  grosser  Theil  derselben  hat  sich, 
wie  wir  unten  sehen  werden,  von  dieser  Neuerung  fern 
gehalten. 

Nicht  für  den  Po  selbst  sondern  für  einen  Nachbar- 
fluss  desselben  haben  die  alten  Geographen  und  Historiker^) 
den    Eridanos    gehalten:     dafür    bürgt    uns   das    bestimmte 


1)  Den  Theoporapos  ausgenommen  ,  falls  diesem  ,  worauf  manche 
Anzeichen  zu  führen  scheinen,  Apollonios  seine  Angaben  über  den  Eri- 
danos verdankt  (p.  291). 


266     Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

Zeugniss  eines  Schriftstellers,  welcher  mit  der  einschlägigen 
Literatur  innig  vertraut  war,  des  Strabon  V  1,9  "HQiSavov, 
nlrjüLov  lov  Ilaöov  leyo/xevov.  Jener  Nachbarfluss  stand 
aber  mit  dem  Po  derartig  in  Zusammenhang,  dass  sein  Aus- 
fluss  für  eine  von  den  Pomündungen  gehalten  werden  konnte 
und  auch  von  Manchen  dafür  erklärt  worden  ist,  und  da 
die  Sage  vom  Sturze  Phaethons  gerade  an  der  Mündung 
des  Eridanos  spielt,  so  begreift  es  sich  leicht,  wie  man 
schliesslich  dazu  kommen  konnte,  den  vielgefeierten  und  bei 
seiner  grossen  Entfernung  von  Hellas  ebendesswegen  auch 
wohl  unwillkürlich  für  einen  grossen  Strom  gehaltenen  Eri- 
danos ganz  mit  dem  grössten  FJuss  jener  Gegend  zu  iden- 
tificiren.  Als  in  der  Kaiserzeit  diese  Confusion  bereits  über- 
hand genommen  hatte,  wurde  durch  sie  auch  die  Erklärung 
der  alten  Schriftsteller  beeinflusst  und  es  ist  daher  keines- 
wegs sicher,  ob  Aischylos  Euripides  Philoxenos  und  die 
andern  Dichter,  welchen  Plinius  XXX VlI  31  (Phaethontis 
sorores  fletu  mutatas  in  arbores  popalos  lacrimas  electrum 
fundere  iuxta  Eridanum  amnem  quem  Padum  vocamus  et 
electrum  vocatum  plurimi  poetae  dixere  primique  ut  arbitror 
Aeschylus  Philoxenus  Nicander  Euripides  Satyrus)  Gleich- 
setzung des  Eridanos  mit  dem  Po  zuschreibt,  dieselbe  auch 
wirklich  sämmtlich  angestellt  und  nicht  vielmehr  an  einen 
Seitenfluss  des  letzteren  gedacht  haben.  In  Betreff  des 
Aischylos  erkennen  wir  aus  dem  Fragment  der  Heliaden 
bei  Bekker  Anekd.  346 ,  10  "AÖQLavai  Te  yvvalxeg  rqoTtov 
e^ovöi  yowv  und  in  Bezug  auf  Euripides  aus  Hippol.  735 
cqd-eiiqv  eitl  jiovtlov  xvfza  xoq  y^ÖQirjväg  axzäg  HqiSavov 
'S-'vöcoQ,  evd-a  Ttoqcpvqeov  GTaXaGGovo''  elg  oidfia  jtazQog  tqi- 
raXatvai  TioqaL  (Daid-ovTog  oXi^TCtj  day.Qvwv  Tag  r^XeKTQOcpaslg 
avydg  nur  so  viel,  dass  sie  den  Eridanos  in  jenen  Gegenden 
dachten ,    in    welchen    auch  der  Po  mündet.  ^)     Von  Schol. 


1)  Bestimmteres  wird  sich  unten   ergeben :  das  Zeugniss  des  Po- 


G.  F.   Unger:     Der  Eridanos  in   Venetien.  267 

German.  Arat.  366  ab  Arato  et  Pherecyde  Eridanus  Padus 
esse  pntatur ,  vgl.  Hyginus  fab.  154  hie  amnis  ab  Graecis 
Eridanus  dicitur  quem  Pherecydes  primus  voeavit,  gilt  (we- 
nigstens den  Pherekydes  betreffend)  dasselbe  wie  von  dem 
Ausspruch  des  Plinius  über  die  obgeuannten  Dichter.  Aus 
Pherekydes  Fr.  33  bei  Schob  Apoll.  Ehod.  IV  1396  al 
NvfÄipai  al  JiOQ,  xal  Qe^iLÖog  oixovoaL  sv  OTirjlalq)  tisql 
Tov  ^Hqiöavov  vjte&evTO  '^HgaKlel  ^a^elv  7caqa  NrjQecog  und 
seinem  Ausschreiber  Apollodoros  bibl.  II  5,  11,  welcher 
den  Herakles  vom  makedonischen  Flusse  Echedoros  durch 
Illyriea  zu  den  Nymphen  des  Zeus  und  der  Themis  an  den 
Eridanos  wandern  lässt,  geht  zunächst  weiter  nichts  hervor, 
als  dass  der  Logograph  den  Fluss  im  nordöstlichen  Italien 
gedacht  hat.  *) 

Von  Aratos  von  Soloi,  dem  Zeitgenossen  des  Antigonos 
Gonatas^  besitzen  wir  eine  eigenthümliche  Aeusserung  in 
den  Phainomena  360 :  das  Gestirn  Eridanos  sei  der  einzige 
Ueberrest  des  vielum weinten  Flusses  {oiov  yccQ  Kaxelvo  S^ecov 
V7td  Ttoool  q)oqslxai  Xeiipavov  ^Hqidavolo,  ■itoXvnXavTOv  tio- 
Ta(A.oio).     Wir  dürfen  daraus  schliessen,  dass  geflissentlichen 


lybios ,  dass  die  Tragiker  den  Fluss  sich  in  Venetien ,  also  vom  Po  ver- 
schieden und  entfernt  dachten,  hat  seine  Geltung  sicher  auch  für  Phe- 
rekydes und  alle  älteren  Schriftsteller,  die  von  diesem  Flusse  sprachen, 
1)  Die  Höhle  der  Orakelgöttin  Themis  in  der  Nähe  des  Eridanos 
ist  vielleicht  keine  andere  als  die  von  Claudian  idyll.  6,  40  ff,  beschrie- 
bene des  Aponus  (j.  Abano)  nicht  weit  von  Padua  und  dem  Bacchiglione, 
wo  sich  ein  Orakel  befand,  das  später  dem  Geryones  zugeeignet  wurde, 
Suet.  Tib.  14  cum  iuxta  Patavium  r.disset  Geryonis  oraculum,  sorte  tracta 
monebatur,  ut  de  consultationibus  in  Aponi  fontem  talos  aureos  iaceret; 
vgl.  Plinius  bist.  XXXI  32  und  Vopisc.  Firm.  3  sortes  Aponinae;  Lu- 
canus VII  192  Euganeo  augur  coUe  sedens,  Aponos  terris  ubi  fumifer 
exit.  Auf  das  Orakel  des  Geryones  führt  Mommsen  corp.  inscr.  I  267. 
V  271  die  an  einem  nicht  näher  bekannten  Ort  der  Transpadana  ge- 
fundenen sortes  zurück. 


268        Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  7.  December  1878. 

Erkundigungen  an  Ort  und  Stelle,  von  welchen  er  erfahren 
hatte,  es  nicht  gelungen  war  das  Vorhandensein  eines  Eri- 
danosflusses  in  der  von  den  älteren  Schriftstellern  bezeich- 
neten Gegend  zu  entdecken ;  also  dasselbe  was  Strabon 
V  1 ,  9  sagt :  ra  jcolXa  tcov  juvd-evojLihcov  t]  KaTeipsvOfievcov 
aXXcog  häv  öeT,  owv  rd  Tcegl  Oaed^ovra  y,al  rag  \Hhdöag 
Tccg  ccTTaLyeLQOVfxevag  neqi  tov  Hqtöavdv ,  tov  iätjÖ a (äov 
yrig  ovTa^  7tXr]OL0v  de  tov  Tlaöov  Xeyofxevov,  %al  xdg  ^Hke/c- 
TQLÖag  vrjGovg  rag  tcqo  tov  Tlddov  %al  (xeXeayqidag  ev  av- 
Toig  '  otöi  yccQ  tovtcov  ovdiv  eoTiv  ev  Tolg  To/rotg.  Beiden 
hat  wahrscheinlich  dieselbe  Quelle  vorgelegen,  so  dass  wir 
auch  bei  Aratos  annehmen  dürfen ,  dass  (der  ihm  bekannten 
Ansicht  zufolge)  nicht  der  Po  selbst  sondern  ein  Seitenfluss 
desselben  dem  Eridanos  entsprochen  hatte.  Während  Strabon 
aus  dem  Fehlergebniss  der  Forschung  nach  dem  Eridanos 
als  ein  Kritiker  den  Schluss  zieht,  dass  der  Fluss  sammt 
allem  was  an  seinem  Namen  hing,  erdichtet  und  erfunden 
sei,  hat  der  Dichter  eine  poetische  Lösung  vorgezogen : 
die  Götter  haben  all  dem  Jammer  dadurch  ein  Ende  gemacht, 
dass  sie  den  Eridanos  unter  die  Sterne  zu  ihren  Füssen 
versetzten.  Für  uns  aber  ergibt  sich  daraus,  dass  der  Pa- 
dus  niemals  Eridanos  geheissen  hat:  denn  die  Forschenden 
haben  jedenfalls  am  Po  selbst  gelandet  und  in  dessen  Um- 
gegend Erkundigungen  eingezogen.  Dass,  wie  wir  sehen 
werden,  manche  doch  den  Fluss  auffanden  und  den  Namen 
Eridanos  zu  hören  glaubten ,  andere  aber  denselben  wieder 
verkannten ,  erklärt  sich  aus  der  Form  des  Namens :  er 
lautete  etwas  anders  und  Eridanos  ist  bloss  eine  Helleni- 
sirung  desselben;  wer  buchstäblich  genau  den  Namen  Eri- 
danos suchte,  fand  ihn  nicht,  während  für  andre  er  unschwer 
zu  finden  war. 

Zu  den  Entdeckern  des  Eridanos  gehört  der  Verfasser 
oder  Gewährsmann  des  Periplus,  welcher  unter  dem  falschen 
Namen    Skylax    bekannt   ist.     Dieser  schreibt,   an  der  Ost- 


G.  F.   TJnger:  Der  Eridanos  in   Venetien.  269 

küste  Italiens  von  Süd  nach  Nord  gebend,  §  17  Meva  6s 
To  ^OjLißQtxdv  TvQQYjvol  .  SiriKOvaL  Si  nal  ovtol  cltco  tov 
TvQQTjvixov  Tteldyovg  e^cod-ev  elg  rov  Iddqiav  dirjxovTsg  .  yial 
TtoXiq  €v  avTy  ''EXXrjvlg  y.al  7tOTa(x6g  '  ytal  avaftlovg  elg  ri]v 
TtoXiv  yiaTcc  fvoxa^idv  (x)g  -/!  aradicov  und  18  Merd  de  Tvq- 
QYjvovg  eioi  KeXrol  e-d-vog  drcoXeKpd^lvTeg  Trjg  OTQaxeiag,  litt 
OTEvcov  fxe%qi  yiöqiov  '  evxavd^a  öe  eonv  6  f^v^og  tov  LäÖQiOv 
Kolnov.  19.  Metd  ös  KeXrovg  '^Evezol  elotv  sd^vog  y.al  no- 
Tafxdg ^HQLÖavog  iv  avTolg.  hxevd^ev  de  TtaqaTvXovg  eozlv 
ejt'  avTTJg  dno  nlo7]g  (1.  ^7TLvrjg)  noXecog  r^/^ieqag  j^iag. 
20.  Merd  de  ^Evszovg  eioiv  e^vog  ^'lörqoi. 

Kritik  und  Erklärung  dieser  Stelle  erheischen  eine 
längere  Auseinandersetzung.  Obgleich  der  Periplus  im 
J.  347  V.  Gh.,  40  Jahre  nach  der  grossen  gallischen  Wan- 
derung geschrieben  ist  '),  welche  im  Lauf  eines  Jahres  den 
Etruskern  und  ümbern  die  ganze  Poebene  entriss,  schreibt 
er  doch  letzteren  noch  die  ganze,  den  Etruskern  wenigstens 
einen  Theil  der  Küste  za,  welche  sie  vor  der  gallischen  In- 
vasion am  adriatischen  Meere  besessen  hatten ;  wahrscheinlich 
desswegen,  weil  nach  Strabon  V  1,  7.  10.  11  und  Plinius 
bist.  nat.  III  115  zu  schliessen  die  Küstenstädte  Ariminum, 
Ravenna,  Butrium,  Spina  und  wohl  auch  die  andern  ihren 
bisherigen  Bewohnern  geblieben  waren.  Die  Hellenenstadt, 
welche  §  17  an  der  etruskischen  Küste  genannt  wird,  ist 
offenbar  und  anerkannt  Spina,  die  einzige  Stadt  Nordost- 
italiens welche  allgemein  und  von  jeher  für  hellenisch  galt, 
s.  Dionys.  Hai.  ant.  I  18.  Justin  XX  1,  9.  Strab.  V  1,  7. 
Plinius  bist.  III  120.  Da  der  Periplus  bei  allen  Städten, 
zumal  den  hellenischen,  den  Namen  angibt,  so  hat  C.  Müller 
Geogr.  gr.   I  25   wohl  daran    gethan,    nach    dem    Vorgang 


I 


1)  Unger,  die  Abfassunsrszeit  des  sog.  Skylax,  Philologus  XXXIJ 
29  ff.,  und  Römisch-griechische  Synchronismen  vor  Pyrrhos,  Akadem. 
Sitzungsberichte  1876.  I  540  ff. 

[1878. 1.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  Bd.  IL  2.]  19 


270     Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

anderer  ^rclva  hinter  ^EXkrjvig  einzusetzen,  und  die  Richtig- 
keit dieses  Verfahrens  erweist  sich  daran,  dass  die  Worte 
§19  (XTtd  nlorjg  noXsiog  die  vorhergegangene  Nennung  dieses 
offenbar  aus  ^Tzlvrjg  verdorbenen  Stadtnamens  voraussetzen. 
Auch  die  Flussnamen  gibt  der  Periplus  in  der  Regel  an ; 
doch  steht  §  102  ^aQTtrjöcov  Ttohg  eqrjfxog  %al  Ttoraf^ög; 
104  UaXalTVQOg  rtoXtg  Kai  TtOTa/xog  öid  fieorjg  qel  %al  Ttokig 
(E'/,dl7t)7tcov  Kai  TtoTafiog  ^)  und  in  unserem  Fall  wird  das 
Fehlen  des  Namens  durch  Kara  Ttorafxov  bestätigt :  im  andern 
Fall  wäre  Kazd  rov  7ioTa[xdv  zu  erwarten  wie  §  102  7t o- 
tafiog  nvQaf-iog  Kai  Tcohg  MaXXog  elg  iqv  6  dvajcXovg  Kaxd 
xov  TTOTafxov  j  33  I^SXQ^  IlrjveLOv  Kai  ''O^oXiov  MayvrjTm^g 
TtoXecog,  rj  eori  Tiaqd  tov  Jtoxafxov. 

Von  Spina ,  das  bereits  am  Po ,  wenn  auch  nur  an 
seinem  südlichsten  Mündungsarme  lag,  und  der  etruskischen 
Küste,  welcher  der  Periplus  die  Stadt  zutheilt,  ist  demnach 
Venetien  mit  dem  Eridanos  durch  die  gallische  Küste  ge- 
trennt. Ueber  die  Grenzen  und  Ausdehnung,  welche  er 
der  gallischen  und  der  venetischen  Küste  gibt,  über  den 
f^vxog  und  den  Eridanos  sind  verschiedene,  zum  Theil  recht 
abenteuerliche  Meinungen  ausgesprochen  worden ,  welche 
ausführlich  zu  behandeln  wir  desswegen  unterlassen  können, 
weil  die  richtige  Erklärung  sich  überall  mit  Sicherheit  auf- 
stellen und  darlegen  lässt.  ^)  Die  Veneter  haben  gegen 
Süden  hin   -    gerade  diese  Seite  ist  es,  um  welche  es  sich 


1)  Eine  Ausnahme  würde  auch  §  68  (69)  machen,  wenn  dort  mit 
Bursian  (Rhein.  Mus.  XXI  217)  nölecg  ip  avzolg  '^EXXrjt/iSsg  ccl'Sf 
TvQig  Zeel  7T0Tcc{j,dg  (cod.  Tv()is  norafiog),  Nucopcoy  nolig  zu  schreiben 
wäre.  Es  liegt  aber  näher  Tvgcg  [nolig  xccl  Tv()ccg]  7iota[x6g  zu  er- 
gänzen. 

2)  Auch  von  den  Textversetzungen,  welche  C.  Müller  vornimmt, 
genügt  es  zu  bemerken,  dass  sie  unnöthig  sind. 


k 


(r.  F.   Unger:  Der  Eridanos  in  Venetien.  271 

für  uns  handelt ' —  allzeit  eine  und  dieselbe  Grenze  gehabt : 
ihr  Gebiet  blieb  unangetastet  als  die  Etrusker  sich  in  den 
Besitz  der  Poebenen  setzten,  Liv.  V  33,  9  incoluere  Tusci 
trans  Apenninum  coloniis  missis,  quae  trans  Padum  orania 
loca  excepto  Venetorum  angulo  usque  ad  Alpes  tenuere ; 
ebenso  als  die  Gallier  an  die  Stelle  der  Etrusker  traten, 
Polyb.  II  17,  5  td  nqog  tov  ^AÖQiav  rcqooriyiovTa  yivoo,  aXko 
TTccw  TiaXawv  diaKaTeG^e  (retinuit),  nqooayoqevovTai  de  Oveve- 
TOi;  als  dann  die  Römer  mit  den  Galliern  zu  thun  bekamen, 
schlössen  sich  die  Veneter  sogleich  an  jene  an  und  die 
Treue,  mit  welcher  sie  den  Bund  mit  denselben  bewahrten, 
sicherte  ihnen  den  ungeschmälerten  Fortbesitz  ihres  Gebietes. 
Wir  dürfen  daher  die  Grenzen,  welche  sich  zwischen  Vene- 
tien und  dem  eigentlichen  Gallierland  an  der  adriatischen 
Küste  unter  den  Römern  vorfinden ,  getrost  auch  für  die 
Zeit  des  Periplus  annehmen,  um  so  mehr  als  sich  nirgends 
eine  Angabe  findet,  welche  auf  eiue  Verschiebung  derselben 
hindeutet.  Nach  For biger  Handbuch  d.  alt.  Geogr.  III  577 
u.  a.  bildete  diese  Grenze  die  Etsch;  nach  dem,  was  unten 
mitzutheilen  ist ,  haben  sie  auch  einen  Theil  des  rechten 
Ufers  derselben  bewohnt,  aber  vom  Flussgebiet  des  Po  selbst 
nichts  besessen.  Es  ist  daher  entschieden  zu  verwerfen, 
wenn  C.  Müller  zu  Skyl.  18  den  schmalen  Landstreifen, 
welchen  dem  Periplus  zufolge  das  gallische  Gebiet  an  der 
Ostküste  bildet,  von  der  spinetischen  Mündung  nach  Norden 
bloss  bis  zur  Volanemündung  reichen  lässt :  der  einzige  von 
ihm  angeführte  Grund  besteht  darin,  dass  er  den  von  dem 
Küstenbeschreiber  nach  Venetien  verlegten  Eridanos  für  den 
Po  hält  und  demgemäss  die  Hauptmündung  des  Po  den 
Venetern  zutheilt. 

Plinius  bist.  III  121  rechnet  sämmtliche  Pomündungen 
zur  achten  Region,  welche  nach  §  115  Ariminum ,  den  Po 
und  Apenninus  zu  Grenzen  hat,  ganz  Venetien  dagegen  zur 
zehnten  (III  126  decima  regio,    cuius  Venetia);    Atria    er- 

19* 


272       Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

scheint  nicht  unter  den  III  130  aufgezählten  Städten  der 
Veneter,  sondern  §  120  in  der  achten  Region.  Darum  lässt 
er  XXXVII  44  Transpadani  mit  §  43  Veneti  abwechsehi. 
Als  Flüsse  Venetiens  nennt  der  Geograph  von  Ravenna  IV 
36  p.  290  (s.  u.)  die  Küstenfllisse  von  der  Etsch  bis  zum 
Tagliamento;  dagegen  den  Po  und  seinen  letzten  nörd- 
lichen Zufluss,  den  Tartarus,  an  welchem  Atria  lag,  schliesst 
er  von  der  Aufzählung  derselben  aus,  vgl.  IV,  36  p.  289, 
10.  Dem  entspricht  es,  dass  Atria  die  Hauptstadt  der 
Etrusker  an  jener  Küste  gewesen  war,  Varro  1.  lat.  V  161 
atrium  appellatum  ab  Atriatibus  Tuscis;  Livius  V  33,  7 
Atria  Tuscorum  colonia ;  Plin.  bist.  III  120  nobili  portu 
oppidi  Tuscorum  Atriae ;  Plut.  Camill.  16  aTto  TvQQrjviy,^g  Jto- 
Acwg  ^dglag ;  Steph.  Byz.  l4rqLa  TioXig  TvQQr]vlag ;  Etymol.  m. 
l^TQLa  Ttolig  TvQQ7]viag.  Durch  die  gallische  Einwanderung 
ging  die  Stadt  den  Etruskern  verloren :  sie  wurde  also 
gallisch ;  aus  dem  Periplus  ersehen  wir ,  dass  nur  in  den 
Städten  südlich  von  Spina  die  etruskische  Bevölkerung  vor- 
herrschend blieb.  Welchem  Gallierstamm  wohl  Atria  mit 
seinem  Gebiet  zufiel  ?  Die  Cenomanen  haben  sich  nicht  bis 
zur  Küste  ausgedehnt  (Liv.  V  35,  1  ;  Polyb.  II  17,  4  u.a.); 
die  Senonen  reichten  nach  Norden  bloss  bis  zum  Utis, 
welcher  südlich  von  Ravenna  mündet,  Liv.  V  35,  3  Senones 
ab  ütente  flumine  ad  Aesim  fines  habuere ;  die  Küste  zwischen 
Utis  und  Athesis  gehörte  also  jetzt  den  Lingonen,  Pol.  II 
17,  7  €^rjgTovTcov  (twj^  ßolwv)  cog  Ttgog  tov  Iddqiav  ^lyywveg. 
Diese  werden  aber  nur  in  der  Geschichte  der  Wanderung 
genannt;  sie  sind  in  den  Boiern,  mit  welchen  vereinigt  sie 
in  das  Land  gekommen  waren  (Liv.  V  35,  2),  aufgegangen, 
Plinius  bist.  III  116  in  hoc  tractu  interierunt  Boi,  item 
Senones,  und  dem  entsprechend  führt  Ptolemaios  geogr.  III 
1,  21 — 25  von  Süd  nach  Nord  die  Küsten  der  Picener, 
Senonen,  Boier  und  Veneter  auf.  Atria  lag  also  im 
Gebiet  der  Boier,    was   Steph.  Byz.  Ldrqia  p.  143,  19  eoxt 


G.  F.  Unger:  Der  Eridanos  in    Venetien.  273 

/,al    aXXi]    Tvolig    Bottov    e^vovg    KelTt/tov  ^)     ausdrücklich 
bestätigt. 

Das  Gebiet  der  Gallier  von  Atria  reichte  östlich  bis 
zum  Meer ,  wo  sie  einen  Hafen  besassen ;  es  umfasste  die 
Hauptmündungen  des  Po  nördlich  vom  spinetischen  Arm 
mit  den  sog.  Sieben  Meeren,  Plin.  HI  120  Atrianorum  pa- 
ludes  quae  Septem  maria  appellantur,  vgl.  119  Padus  de- 
ductus  in  flumina  et  fossas  inter  Ravennam  Altinumque, 
tamen  qua  largius  vomit  Septem  maria  dictus  facere ;  land- 
einwärts von  der  Stadt  verrathen  die  Inschriften  der  Gegend 
von  Rovigo  am  Adigetto  atriatisches  Gebiet,  während  weiter 
westlich  Lendinara  und  Badia  rechts  der  Etsch  den  Venetern 
von  Ateste  gehört  zu  haben  scheinen,  s.  Mommsen  corp. 
inscr.  lat.  V  221.  236.  Die  grössere  Hälfte  des  Südens  von 
Venetien,  die  ganze  Südküste  stand  unter  Patavium;  sie 
reichte  mindestens  bis  zum  Hafen  Edro  oder  Medoacus,  j. 
Chioggia  nördlich  der  Etschmündung ,  Mommsen  a.  a.  0. 
219.  Das  Stadtgebiet  von  Atria  fällt  also  ganz  oder  zum 
grössten   Theil    mit    der    keltischen  Küste   des  sog.  Skylax 


1)  Dass  er  sie  von  der  ehemaligen  Etruskerstadt  unterscheidet, 
beweist  nichts  gegen  die  Identität  beider :  Stephanos  ist  kein  Geograph 
sondern  ein  Grammatiker,  der  die  geographischen  Namen  zusammenstellte, 
um  die  Formen  ihrer  Derivata  zu  bestimmen.  In  seiner  Unkenntniss 
begegnet  es  ihm  oft,  dass  er  eine  Stadt  verdoppelt,  vgl.  z.  B.  Steph. 
'Ad^rm,  Alvog,  "Jqyog.  Wenn  Ptolemaios  III  1,  25.  80.  den  Fluss  von 
Atria  (Argiavog)  und  die  Stadt  selbst  nach  Venetien  verlegt,  so  verdient 
das  nicht  mehr  Beachtung  als  seine  Ansetzung  des  Tilavemptus  und 
Natiso  und  der  Städte  Concordia  und  Aquileia  in  Carmen  (§26  und  28) 
oder  seine  Erwähnung  eines  Landes  der  Senonen  und  der  Boier,  die 
schon  seit  mehreren  Jahrhunderten  vom  Boden  Italiens  verschwunden 
waren.  Von  der  politischen  Geographie  versteht  er  so  wenig  wie  Ste- 
phanos :  er  hat  auf  eigene  Faust  eine  veraltete  Landeintheilung  Italiens 
durchzuführen  gesucht  und  dabei  die  Grenzen  vielfach  verschoben.  Die- 
selbe Beobachtung  kann  man  bei  seiner  Beschreibung  Makedoniens  und 
andrer  Länder  machen. 


274      Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

zusammen  und  dass  bereits  im  vierten  Jahrhundert ,  aus 
welchem  dieser  Periplus  stammt ,  dasselbe  den  Galliern  ge- 
hörte, beweist  Livius  X  2,  9  in  dem  Bericht  über  die  Land- 
ung des  Spartaners  Kleonymos  an  der  venetischen  Küste  im 
Jahre  der  Stadt  452 :  haec  ubi  Patavium  sunt  nuntiata — 
semper  autem  eos  in  armis  accolae  Galli  habebant  —  in 
duas  partes  iuventutem  dividunt.  Da  die  Pataviner  östlich 
vom  Meer,  nördlich  westlich  und  südwestlich  von  Venetern, 
den  Bewohnern  der  Gebiete  von  Altinum  Vicetia  und 
Ateste,  begrenzt  waren,  so  können  die  benachbarten  Gallier, 
von  welchen  sie  fortwährend  im  Harnisch  erhalten  wurden, 
nur  die  Einwohner  von  Atria  gewesen  sein.  ^) 

An  die  gallische  Küste  setzt  der  Periplus  „den  Winkel 
des  Adria".  Als  solcher  wird  von  Polybios,  Strabon  u.  a. 
der  Meerbusen  von  Triest  bezeichnet ,  was  Niebuhr  R.  Gesch. 
11  171  auf  den  seltsamen  Einfall  brachte,  die  Veneter  nach 
Istrien  zu  setzen.  Gar.  Müller  denkt  mit  Letronne  an  die 
Einbiegung  der  Küste  bei  der  Volanemündung.  Diese  wäre 
aber,  gesetzt  auch,  dass  die  Küste  damals  schon  dieselbe 
Gestalt  gehabt  hätte  wie  jetzt,  viel  zu  unbedeutend,  als  dass 
sie  einen  Seefahrer  zu  der  Ansicht  hätte  veranlassen  können, 
hier  sei  die  tiefste  Einbuchtung  des  Meeres.  Wenige  Küsten 
von  Europa  haben  im  Lauf  der  Jahrhunderte  so  grosse 
Veränderungen  erlitten  wie  die  von  Aquileia  bis  Ravenna. 
Polybios  kennt  nur  zwei  Mündungsarme  des  Po,  Plinius 
(die  Canäle  abgerechnet)  schon  fünf,  jetzt  sind  ihrer  dadurch, 


1)  Ob  die  Nachricht  im  Etym.  "ASqiccs,  dass  Dionysios  I  Adria 
colonisirt  habe,  auf  diese  oder  auf  die  picentische  Stadt  sich  bezieht, 
ist  ungewiss:  das  von  Ritscbl  ergänzte  Datum  Olymp.  98  passt  jeden- 
falls nicht  zu  der  ersteren,  weil  in  jener  Zeit  der  Einbruch  der  Gallier 
in  Oberitalien  stattfand  und  Dionysios  nach  Justin  XX  5  mit  diesen 
erst  381  v.  Gh.  bekannt  wurde ;  sie  müsste  sich  auch  nur  kurze  Zeit  in 
griechischem  Besitz  erhalten  haben,  weil  Skylax  dort  keine  Griechenstadt 
gefunden  hat. 


» 


r 


6r.  F.   Unger:     Dar  Eridanos  in   Venetien.  275 

dass  immer  mehr  Land  angeschwemmt  wurde  nnd  die  alten 
Arme  sich  dort  wieder  th eilten ,  über  zwölf  geworden. 
Mommsen  corp.  inscr.  lat.  V  219.  221  findet  daher  den 
Nachweis  der  von  Plinins  u.  a.  angegebenen  Mündungen, 
Orte  und  Entfernungen  nicht  mehr  vollständig  durchführbar 
und  erklärt  die  Thatsache,  dass  östlich  von  Atria  keine  In- 
schriften gefunden  werden,  aus  der  späten  Entstehung 
jenes  Landstriches.  Atria  selbst  muss  seinerzeit  der  Küste 
sehr  nahe,  nicht  wie  jetzt  über  acht  Stunden  von  ihr  ent- 
fernt gewesen  sein :  sonst  hätte  das  adriatische  Meer  nicht 
von  dieser  Stadt  seinen  Namen  erhalten  können.  Die  erste 
Mündung  des  Po  von  Süden  her  bei  Plinius,  der  Canal 
Padusa  oder  Augusta  fossa,  ist  jetzt  verschwunden,  Forbiger 
Handb.  II  505.  So  steht  auch  zu  vermuthen,  dass  das 
schmale  Ufer,  welches  jetzt  die  grösste  aller  Lagunen ,  die 
Valli  di  Comacchio,  vom  Meere  trennt,  einst  nicht  oder 
nur  in  Gestalt  von  einzelnen  Inseln  vorhanden  gewesen  ist : 
denn  Spina  (j.  Spino),  an  ihrem  Südrande  gelegen,  war  zur 
Zeit  des  sog.  Skylax  nur  20  Stadien  vom  Meer  entfernt, 
während  zu  Strabons  Zeit  die  Küste  sich  schon  wie  jetzt 
um  70  Stadien  weiter  nach  Osten  ausdehnte,  Str.  V  1,  7 
(paolv  ETcl  d^aXaTTTj  VTcaq^ai^  vvv  d^  sgtlv  sv  /iieooyaia  Ttsql 
evevr^ycovTa  rijg  d^aXazTrjg  oraSlovg  ccTtexor.  Wir  folgern 
hieraus ,  dass,  als  Spina  noch  am  Meer  lag ,  die  Lagune 
von  Comacchio  eine  Meeresbucht  gewesen  ist :  und  durch 
diese  ragte  in  der  That  das  adriatische  Meer  so  tief  (von 
Spina  nach  Westen  fast  zweimal  so  weit  als  dieser  Ort  jetzt 
nach  Osten  hin  vom  Meer  entfernt  ist)  ins  Land  hinein, 
dass  ein  griechischer  Seefahrer,  der  von  dem  berühmten 
Winkel  des  Adria  gehört  und  den  Golf  von  Triest  noch 
nicht  gesehen  hatte,  ihn  sehr  wohl  bei  Spina  suchen 
konnte. 

Wider   seine  Gewohnheit   gibt   der  Verfasser  des  Peri- 
plus  die  Länge   der   gallischen  Küste   nicht   an;    dafür  be- 


276      Sitzung  der  phüos.-phüoL  Classe  vom  7.  Decemher  187 

rechnet  er  aber  die  Ausdehnung  der  venetischen  von  Spina 
an,  d.  i.  die  Tagfahrt,  welche  er  nennt,  bezeichnet  die 
Länge  beider  Küsten  mit  einander.  Warum  verfährt  er  so? 
Nach  unsrer  Ansicht  desswegen,  weil  er  oder  sein  Gewährs- 
mann nicht  in  die  Bucht  der  gallischen  Küste  hinein,  sondern 
von  Spina  aus  in  gerader  Richtung  nach  Norden  gefahren 
ist;  er  kann  daher  die  Länge  der  gallischen  Küste  allein 
gar  nicht  angeben  und  bemerkt  bloss,  dass  sie  (von  der 
hohen  See  aus  augesehen)  sehr  schmal  ist.  Diese  Wahr- 
nehmung hilft  uns  zur  richtigen  Behandlung  der  seltsamen 
Worte  §  19  evxev&ev  de  7iaQO[7tXovg  sotIv  en  avryß  aico 
^jtivrjg  TColewQ  rjiAiqag  latag.  Dass  evTsvd^Ev  nicht  heissen 
kann  von  hier  (von  Venetien)  aus  erhellt  von  selbst ; 
ebenso  wenig  aber  heisst  es,  wie  Klausen  will,  ^hieher\ 
Dies  kann  hrevd^ev  nie  heissen  und,  wenn  auch,  so  wäre 
es  doch  unpassend:  Skylax  will  weder  angeben,  wie  weit 
von  Venetien  wo  andershin,  noch  wie  weit  von  Spina  bis 
Venetien  ist.  Auch  an  der  von  ihm  für  seine  Deutung  ci- 
tirten  Stelle  §  100  hat  das  Wort  jenen  Sinn  nicht;  das 
Citat  selbst  aber  ist  treffend.  Dort,  am  Schlüsse  der  Küsten- 
beschreibung von  Lykien,  heisst  es:  ivzevd^ev  TtaQanXovc, 
eotIv  cctvo  udvKiag  ri{Ä£Qag  y,al  vvKtog.  Statt  evrevd^ev 
schreibt  Fabricius  evd^vg  df,  C.  Müller  STt'  ev^eiag^  Bursian 
(Rh.  Mus.  XXI  217)  evrav&6i\  alles  unnöthig.  Letzterer 
bemerkt  richtig,  dass  djto  yivyiiag  , entfernt  von  Lykien'  be- 
deutet :  der  Küstenbesch reiber  meint  auch  dort  die  Ent- 
fernung bei  der  Fahrt  auf  offener  See,  weil  die  Küste  selbst 
viele  Einbuchtungen  hat;  er  fügt  selbst  hinzu:  eoti  yaq 
'AoXTtojSrjg  .  6  de  TtaQo,  yr^v  dinlccGiog  tovtov.  Da  nun 
svTBvd^ev  so  viel  ist  als  ccTto  tovtov^  so  ist  auch  das  Adverb 
so  zu  erklären  wie  ctTto  ^vxlag  oder  vielmehr  diese  Worte 
sind  als  Epexegese  von  hxevd^ev  anzusehen :  entfernt  von 
hier,  nämlich  von  Lykien.  Dasselbe  Verhältniss  findet  bei 
der  keltisch-venetischen  Küste  statt,  nur  dass  der  Verfasser 


G.  F,   Unger :    Der  Eridanos  in   Venetien.  277 

hier  bloss  die  eine  Länge,  die  in  gerader  Linie  bei  der 
Fahrt  auf  hoher  See ,  gemessen  hat.  Wir  schreiben  stv' 
ev&elag  statt  e/r'  avTrjg.  Der  Satz  bedeutet  dann :  in  einer 
gewissen  Entfernung  von  hier,  in  gerader  Linie,  beträgt  die 
Küstenfahrt  von  Spina  an  nur  einen  Tag. 

Erst  jetzt,  nach  einer  langen  aber  durch  die  Umstände 
gebotenen  Abschweifung  können  wir  zum  Eridanos  zurück- 
kehren. Dass  der  Periplus  unter  ihm  nicht  den  Po  ver- 
steht, dürfte  aus  ihr  mit  Gewissheit  hervorgehen :  Venetien, 
in  welches  er  jenen  versetzt ,  hat  im  Alterthum  nie  bis  an 
den  Po  selbst  gereicht.  Schon  die  Art  und  Weise,  in  welcher 
er  sich  über  den  Fluss  ausspricht  (7roraf.wg  ^Hgiöavog  iv 
avTo7g),  weist  auf  einen  weniger  bedeutenden  Fluss  hin,  auf 
ein  Gewässer  welches  in  Venetien  nicht  bloss  seine  Mündung 
sondern  auch  seinen  Ursprung  oder  wenigstens  den  grössten 
Theil  seines  Laufes  hatte.  Vor  den  andern  Küstenüüssen 
hebt  er  ihn  nur  wegen  seines  in  der  hellenischen  Sage  be- 
rühmten Namens  heraus ,  wie  er  denn  allenthalben  auf  die 
von  den  Dichtern  gefeierten  Namen  des  Auslandes  besondere 
Rücksicht  nimmt,  z.  B.  §  8  auf  das  Grab  des  Elpenor,  16 
das  Heiligthum  des  Diomedes,  22  die  Lotophagen. 

Durch  den  oben  gelieferten  Nachweis  *),  dass  Venetien 
südlich  nur  bis  zur  Etsch  gereicht  hat,  gewinnt  nicht  nur 
die  Angabe  des  Skylax  sondern  noch  eine  ganze  Reihe  von 
Zeugnissen  anderer  Schriftsteller  ihre  richtige  Erklärung. 
Auch  Martialis,  der  jene  Gegenden  aus  eigner  Anschauung 
kannte  (vgl.  z.  B.  III  67),  setzt  den  Eridanos  nach  Venetien: 
dies  beweist  ep.  IV  25  aemula  Baianis  Altini  litora  villis 
et  Phaethontei    conscia   villa    rogi    quaeque   Antenoreo 


1)  Die  Sache  selbst  ist  nichts  Neues ;  aber  weil  hie  und  da,  z.  B. 
auf  Kiepertschen  Karten  die  Grenzen  Venetiens  im  Süden  bis  zur  Volane- 
mündung  ausgedehnt  werden,  erschien  es  nothwendig,  sie  fester  zu  be- 
gründen als  bisher  geschehen  ist. 


278      SitziDifj  der  iMlos.-philöl.  Clause  vom  7.  December  1878. 

Dryadum  pulcherrima  Fauno  nnpsit  ad  Euganeos  sola  lacus 
et  tu  Ledaeo  felix  Aquileia  Timavo,  und  ausdrücklich  sagt 
Propertius  I  12,  4  quantum  Hypanis  Veneto  dissidet  Eri- 
dano.  Dasselbe  thaten  die  Tragiker  nach  Polybios  II  17,  5 
Oveveroi,  ttsqI  wv  oi  TQaycoöioyQacpOL  ttoXvv  riva  TtejtoiiqvtccL 
Xoyov  xal  TTolXrjv  dLatid^evrat  TEQarelav :  denn  einen  andern 
in  jenen  Gegenden  spielenden  Stoff  als  die  Sage  von  Phae- 
thon  und  Eridanos  haben  die  Tragiker  nicht  behandelt  und 
Polybios  bezieht  sich  auf  diese  auch  II  16,  13  fg.  in  ähn- 
lichen Worten :  zalXa  xa.  Tteql  tov  TCOTafÄOv  tovtov  Ioto- 
Qovf^eva  Ttaqd  roig  '^'EllrjGi ,  Xeyw  dij  %a  mqi  0as^ovTa  Kai 
TYiv  exelvov  tttwoiv^  en  öi  %a  dccKQva  tcov  alyelgcov  yial 
Tovg  iLieXaveLjiiovag  lovg  Ttegl  top  7ioTa(.idv  omovvxaq^  ovg 
(paOL  Tag  eoStjTag  eloeTi  vvv  q)OQEiv  TOiccvTag  and  tov  xaTa 
(Dai&ovra  /rivd-ovg,  Kai  näoav  örj  Trjv  Tqayi%riv  Kai  TavTrj 
TigoGsoiKvlav  vXrjv  hil  tov  rcaqovTog  V7t€QS^rjo6(,isd^a.  Die 
Schwarzgekleideten  sind  also  die  Veneter.  Hiedurch  be- 
stätigt sich  eine  von  Meineke  in  dem  sog.  Skymnos  vor- 
genommene Versetzung.  Die  Verse  395  —  401  ^Hqiöavög, 
og  '/.(xXXlgtov  tJXextqov  q)iqei^  o  cpaoiv  dvai  Sukqvov  aTioXi- 
d-ovfAsvov,  diavyeg  alyelqcov  aTTOGTaXayfxa  xi  *  Xeyovoi  yaq 
örj  TTv  K£Qavvwoiv  7ZQ0T0V  Trjv  TOv  Oaid^ovTog  devQO  yeyovsvai 
Tiveg  ^)  '  dio  nal  to.  TtXrj^rj  Ttavxa  tcov  oiyttjTOQCov  fieXa- 
vsif^ovslv  TE  Tievd^Lnag  t^  eyßiv  OToXag  hat  die  Hand- 
schrift in  dieser  abgerissenen  Fassung  zwischen  391  —  394 
^EvETtov  e%ovTaL  Ogansg  ^'Iotqoi  XeyofÄSvot  .  ovo  Se  xazr' 
avTovg  sIgi  vrJGOi  -/.uf-ievai^  %aooLTeqov  aL  öokovoi  ytaXXtOTOv 
q)eQeLv  .  vttsq  Si  TOVTovg  ^'Ig^bvol  ytal  MivToqeg  und  402 
^  TtXrjGLOv  %coqa  ds  tovtwv  xeLfiievrj  vtvo  tcov  HeXayoviov  y,al 
Aißvqvwv    KaTexeTai,    wodurch   der   Fluss   unrichtig  an  die 


1)  Durch  diesen  Ausdruck  wird  es  sehr  zweifelhaft,  ob  von  dem 
V.  37  angeführten  Theopompos  auch  der  Inhalt  dieser  Verse  ausgegangen 
ist;  auch  hat  jener  wahrscheinlich  den  Eridanos  als  einen  Arm  des  Po 
angesehen  (s.  unten  p,  30). 


G.  F.   Unger:    Der  Ihidanos  in  Venetien.  279 

Ostküste  des  Adria  gebracht  und  zugleich  der  geographische 
ZusammenhaDg  der  Liburner  mit  den  Istrern  aufgehoben 
wird.  Klausen  zu  Hekataios  p.  60  wollte  die  störenden 
Verse  zwischen  V.  374  und  375  setzen;  dort  sind  sie  aber 
weniger  am  Platz,  wo  von  den  Inseln  und  Völkern  der 
adriatischen  Küste  im  Allgemeinen  gesprochen  wird.  Meineke 
stellt  sie  passend  zwischen  V.  390,  der  von  den  Venetern 
handelt,  und  391,  wo  der  Dichter  von  ihnen  zu  den  Istrern 
übergeht.  Wegen  der  Abgerissenheit  der  Form  nimmt 
Klausen,  Meineke  und  C.  Müller  Geogr.  I  213  ohne  Noth 
Ausfall  von  1 — 2  Versen  vor  ^Hqidavog  an ;  es  ist  einfach 
mit  Fabricius  y,al  ^Hgiöavog  (y,riQidavdg)  zu  schreiben  ,  wo- 
durch die  Construction  und  Verbindung  mit  den  vorherg. 
Versen  387  —  390  ^Everwv  ö'  elat  nevTriKovTa  tvov  TtoXeig  iv 
avx(^  ytelfievai  Ttqog  t(ü  f^wx^i^  ?  ovg  drj  ^erekd^elv  q)aoLv  sy, 
rr^g  IIaq)Xay6vcov  xcoqag  ytazoiKT^Gal  te  Tteql  tov  ^4öqiav  voll- 
kommen hergestellt  wird:  xat  ^Hgidavog  erhält  seine  Er- 
gänzung aus  eiol  iv  avTco  Kelfj-evai,  also  ytelraL  ev  avT(^, 
näml.  rc5  ^ÖQiaTLxi^  noXTtü)  (V.  375). 

Also  nicht  bloss  Martialis  und  Propertius  sondern  auch 
der  sog.  Skymnos ,  ferner  Ps.-Skylax  und  die  Tragiker, 
vielleicht  auch  Pherekydes  und  die  meisten  älteren  Schrift- 
steller haben  den  Eridanos  nach  Venetien  gesetzt.  Damit 
ist  entschieden ,  dass  sie  alle  den  Po  nicht  gemeint  haben. 
Denn  diesen  in  Venetien  suchen  hiesse  ebenso  viel  als  den 
Rhein  desswegen  einen  belgischen  Fluss  nennen,  weil  die 
Maas,  welche  ihre  Mündung  mit  der  seinen  vereinigt,  durch 
Belgien  fliesst. 

Die  besten  Aufschlüsse  über  unsre  Frage  gibt  eine  von 
den  Neueren  nicht  bloss,  wie  es  mit  der  Angabe  Strabons 
geschehen  ist,  missachtete  und  unterschätzte  sondern  geradezu 
übersehene  ^)    Stelle    des   Aelian ,    bist.    anim.  XIV  8  TtoXig 

1)  J.  G.  Cuno,  Forschungen  im  Gebiete  der  alten  Völkerkunde  I 
224,   welcher   Eretenos   als   Narae   des  Po  bei  Aelian  a.  a.  0.  anführt 


280      Sitzung  der  philos.-phüol.  Glasse  vom  7.  Deceniber  1878. 

eorlv  ev  rolg  vito  tiqv  sOTteqav  xcoqioig  ^Irahxi^ ,  ovofxa 
avTTJ  Tlaiaßiov  .  rqjöe  reo  HaraßUo  jcoXig  yeiTvia  eTeqa 
iiial  B  ly  i]r  lav  xaXovGiv  avTrjv  xal  Jtaqaqqei  noTa^og 
avrfi  Hqer  ev  oq  ovofj-a  y,al  Ttagaf^ielßsTocL  ovtog  yrjv  ov% 
oXiyr]v,  eira  elg  tov  ^Hqiöavöv  Sfußaklei  yial  dvaKOivovrat  to 
vömq"^).  Vigetia  ist,  wie  die  Erklärer  erkannt  haben,  das 
jetzige  Vicenza:  die  ächte  und  gewöhnliche  Namensform 
im  Alterthura,  aus  welcher  Vicentia  durch  Latinisirung  her- 
vorging, war  Vicetia,  s.  Mommsen  corp.  inscr.  lat.  V  306 ; 
dazu  verhält  sich  Vigetia  wiff  vigesimus  trigesimus  zu  dem 
älteren  vicesimus  tricesimus.  Der  Ausdruck  TtoXig  yeirvia 
trifft  vollkommen  zu :  denn  die  Mark  von  Patavium  war, 
wie  oben  bemerkt  wurde,  von  den  Gebieten  der  Städte 
Atria,  Vicetia  und  Altinum  umgeben.  Das  Wichtigste  an 
unsrer  Stelle  ist  aber  nicht  die  Erwähnung  des  Eridanos 
(unter  diesem  versteht  Aelian  nach  der  Sitte  seiner  Zeit, 
wie  oben  p.  3  gezeigt  wurde,  den  Po)  sondern  die  des 
Eretenos.  Hier  haben  wir  einen  grösseren  Fluss  Venetiens 
genau  so  wie  wir  ihn  brauchen:  einen  von  denjenigen, 
welche  ihre  Mündung  mit  der  des  Po  vereinigen,  und  mit 
einem  Namen,  der  nicht  ganz  wie  Eridanos  lautet,  so  dass 
die  Identität  beider  von  vielen  verkannt  werden  konnte 
(den  Alten  gereicht  das  um  so  weniger  zum  Vorwurf,  als 
den  in  solchen  Untersuchungen  besser  geschulten  Neueren 
dasselbe  begegnet  ist)  ,  und  doch  so  ähnlich  lautend, 
dass  er  die  ersten  griechischen  Besucher  an  den  Namen 
des  Baches  Eridanos  bei  Athen  erinnern  und  zur  Hel- 
lenisirung  mittels  Uebertragung  desselben  einladen,  spä- 
teren aber  wie  dem  angeblichen  Skylax  als  identisch 
mit  dem  sagenberühmten  Eridanos  erscheinen  konnte.  Die 
Form   des  Namens   steht   textkritisch   durch   seine   Wieder- 


und  im  Heliadenfragment  des  Aischylos  Identification  des  Eridanos  mit 
dem  Rhodanus  findet,  hat  offenbar  beide  Stellen  nicht  gelesen. 
*)  Plercher  BusTiay  und  ^H^irmvos. 


G.  F.   Unger:    Der  Eridanos  in  Venetien.  281 

holung  im  Folgenden  fest:  ev  diq  reo  ^HqeTeva)  eyyjleig 
ylvovTai  fxiyiöTai^  woran  sich  eine  Beschreibung  der  eigen - 
thümlichen  Aalfischerei  daselbst  schliesst,  um  deren  willen 
Aelian  des  Flusses  Erwähnung  thut.  Vicenza  liegt  am 
Bacchiglione  und  obgleich  der  Name  Eretenos  in  seiner 
heutigen  Gestalt  nur  einem  kleineren  Flusse  angehört, 
welcher  bei  Vicenza  in  jenen  mündet,  so  gibt  ihn  doch 
Aelian  von  Vicenza  an  dem  Bacchiglione  selbst,  wie  daraus 
hervorgeht  dass  er  ihn  noch  viel  Land  durchfliessen  und 
zuletzt  mit  dem  Po  zusammenkommen  lässt. 

Cluverius  deutet  den  Eretenos  auf  die  Etsch,  veranlasst 
durch  die  Bedeutung  des  Namens  von  Anguillara,  einem 
unter  gleichem  Längengrad  mit  Padua  am  linken  Ufer  jenes 
Flusses  gelegenen  Orte,  welchem  er  die  von  Aelian  geschil- 
derte Aalfischerei  zuschreibt.  Dieser  kann  aber  wegen  seiner 
Lage  zwischen  den  Marken  von  Atria  und  Patavium  nur 
zu  letzterer  Stadt,  oder  allenfalls  zu  Ateste,  nicht  aber  zu 
Vicetia  gehört  haben  und  wie  Aelian  die  Etsch  oder  einen 
Nebenfluss  derselben  nach  Vicenza  setzen  konnte,  wäre  un- 
begreiflich. Die  Identität  des  Eretenos  mit  dem  Bacchiglione 
wird  überdies  ausser  allen  Zweifel  gesetzt  durch  die  Existenz 
einer  alten  Nebenform  des  Namens.  Um  570  schreibt  der 
Dichter  Venantius  Fortunatus,  ein  geborener  Veueter  aus 
Treviso,  in  der  Vita  S.  Martini  IV  677:  si  Patavina  tibi 
pateat  via ,  pergis  ad  urbem  etc. ;  hie  tibi  Brinta  fluens, 
iter  est  Retenone  secundo ;  ingrediens  ^)  Athesim  Padus 
excipit  inde  phaselo;  inde  Ravennatem  placitara  pete  dul- 
cius  urbem.  Die  grössten  Flüsse,  welche  man  auf  der  Reise 
von  Norden  her  nach  Ravenna  überschreiten  muss,  heissen 
ihm  Brinta,  Reteno,  Athesis  und  Padus,  jetzt  Brenta,  Bac- 


1)  Nominativus  absolatus,  wie  Migne  erka  nt  hat;  dieser  führt 
ähnliche  Beispiele  aus  Venantius  an,  die  sich  aus  andern  Schriftstellern 
jener  Zeit  vermehren  Hessen. 


282      Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  7.  December  1878. 

chiglione,  Etsch  und  Po,  in  der  That  die  vier  grössten  jener 
Gegend.  Reteno  ist  offenbar  die  kürzere  Nebenform  von 
Hqsrevog^  vgl.  Strab.  VII  exe.  49  6  vvv  ftOTafj,dg  '^Ptyivla 
ev  Qqcxytrj  naXovfxevog  ^Eqiycov  riv  xalovi^iEvog,  in  Latium  Astura 
und  Stura,  ^Toqag,  in  Achaia  ^PvTreg  oder  "'AqvTceg  (Etymol. 
m.   150,  22)  u.  a.  ^) 

Wir  erkennen  denselben  Fluss  und  Namen  auch  bei 
einem  Schriftsteller  des  VII.  Jahrhunderts,  dem  Geographus 
Ravennas  IV  36  p.  290  in  provincia  Venetiarum  sunt  di- 
versa  flumina,  inter  cetera  quae  dicuntur  Retron  quod  Re- 
denovo  dicebatur ,  Astago,  Brinta,  Sile,  Liguentia,  Plave, 
Taliamentum.  Zu  Retron  bemerken  Pinder  und  Parthey : 
^i.  e.  Qsl^QOv^  una  ex  fossis  quae  sunt  inter  Padum  et  Athesin?' 
Der  Verfasser  will  aber  nur  die  Flüsse,  nicht  die  Canäle 
Venetiens  aufzählen ,  wie  er  denn  von  den  vielen  Canälen 
des  Po  und  der  venetischen  Flüsse  sonst  keinen  einzigen 
angibt;  auch  haben  alle  diese  Canäle  nur  lateinische  oder 
norditalische  Namen ,  keiner  einen  griechischen ;  endlich 
heisst  auch  qel^qov  nirgends  Canal  sondern  Fluss  oder 
Flussbett.  Wie  zu  helfen  ist,  erkennt  man  bei  Beachtung 
eines  andern  Fehlers :  zwischen  Po  und  Etsch  fliesst  gar  kein 
selbständiger  Fluss,  während  doch  der  Geograph  nur  die 
bedeutenderen  Gewässer  herausheben  will  und  keiner  von 
den  andern ,  die  er  nennt ,  ein  Zufluss  ist.  Daraus  folgt, 
dass  die  Ordnung  gestört  ist:  Astago  (die  Etsch)  muss  an 
den  Anfang  gestellt  werden ,  als  der  Grenzfluss  Venetiens 
gegen  die  Gallia  togata,  beim  Geogr.  gegen  die  Flaminia 
Ravennatis  (IV  29.  247).  Ferner  ist  zu  beachten,  dass  in 
dieser  Aufzählung  der  Bacchiglione  nicht  fehlen  kann,  der 
viel  bedeutender  ist  als  der  Silis  und  die  Liquentia.  Wir 
schreiben :     quae  dicuntur  Astago,  Retrone  [quod  Redenone 


1)  Zwar  nicht   die    sachliche   aber   doch  die  sprachliche  Identität 
von  Reteno  mit  Eretenos  und  Eridanos  hat  Cuno  a.  a.  0.  erkannt. 


G.  -F.   Unger :    Der  Eridanos  in   Venetien.  283 

dicebatur],  Brinta,  Sile,  Plave,  Liguentia,  Taliamentum  ^)  ; 
damit  sind  die  grössten  Küstenflüsse  Venetiens  aufgezählt : 
Etsch,  Bacchiglione ,  Brenta,  Sile,  Piave,  Livenza,  Taglia- 
mento.  Wie  bei  Aeliau,  so  führt  auch  bei  Venantius  und 
bei  dem  Anonymus  von  Ravenna  der  Bacchiglione  von  Vi- 
cenza  an  den  Namen  seines  Nebenflusses,  welcher  bei  Vicenza 
von  Südwest  kommend ,  nachdem  er  die  Nordabhänge  der 
Monti  Berici  umflossen  hat ,  in  den  Bacchiglione  fällt  und 
diesen  schifl'bar  macht.  Heut  zu  Tage  heisst  er,  den  Reise- 
handbüchern von  Bädeker  Ital.  I  191  und  Gsell-Fels  Oberit. 
I  613  zufolge,  Retrone  2);  Cluverius  gibt  ihm  die  Namen 
Rerone  und  Reuone.  Rerone  ist  offenbar  aus  Retrone  ab- 
geschliffen, wie  Piero  aus  Pietro  u.  a. ;  Retrone  aber  und 
Renone  führen  beide  auf  Retnone,  Retenone,  Keteno  zurück. 
Mit  Reteno  Renone  vgl.  Rhodanus,  franz.  Rhone;  Reteno 
Retrone  stellt  sich  zu  den  von  Diez  rom  Gramm.  I  218 
aufgezählten  Beispielen :  franz.  ordre  diacre  pampre  timbre 
Londres  Langres  aus  ordinem  diaconum  pampinum  tynipanum 
Londinium  Lingones ;  prov.  cofre  Rozer  fraisser  aus  co- 
phinum  Rhodanum  fraxinum;    span.  sangre  aus  sanguinera. 


1)  Auch  bei  den  Zuflüssen  des  Po  p.  288  fg.  und  den  Küsten- 
flüssen der  Flaminia  p.  291  wird  die  geographische  Ordnung  eingehalten ; 
desswegen  haben  wir  Plave  vor  Liguentia  gestellt.  Die  Worte  quod 
Redenovo  dicebatur  haben  Parthey  und  Pinder  aus  einer  jüngeren  Hand- 
schrift hinzugefügt,  welche  viele  werthvolle  aber  nicht  von  dem  Geo- 
graphus  herrührende  Zusätze  gibt.  Dieser  zählt  die  Flüsse  der  Flaminia 
in  der  Ordnung  von  Nord  nach  Süd,  die  venetischen  in  der  umgekehrten 
auf:  offenbar  mit  Rücksicht  auf  ihr  geographisches  Verhältniss  zu  seiner 
Vaterstadt  Ravenna ,  der  bisherigen  Metropole  Italiens.  Zu  Retrone 
und  Redenone  vgl.  p.  288  Amalune  j.  Malone,  p  289  Tidone  j.  Tidone, 
201  Argaone  und  Nengone. 

2)  Cuno,  Forschungen  I  225,  welcher  Revone  als  die  heutige 
Namensform  angibt,  wiederholt  wohl  nur  einen  Druckfehler  des  von  ihm 
citirten,  mir  dermalen  nicht  zugänglichen  Walckenaer,  geographie  an- 
cienne  des  Gaules  I  7. 


284      Sitzung  der  phüos.-phüol.  Glasse  vom  7.  Decemher  1878. 

Bisher  war  für  den  Bacchiglione  bloss  die  Benennung 
Meduacus  (Medoacus)  minor  aus  der  Peutingerschen  Tafel, 
vgl.  mit  Plinius  bist.  III  121  Meduaci  duo,  bekannt;  Me- 
doacus maior  ist  die  Brenta,  die  Namensgemeinscbaft  der 
zwei  Flüsse  erklärt  sich  aus  der  Vereinigung  der  Mündungen, 
Plin.  a.  a.  0.  Aedronem  (portum  faciunt)  Meduaci  duo  ac 
fossa  Claudia.  Ihre  Identität  mit  Bacchiglione  und  Brenta 
wird  für  den  über  Padua  fliessenden  Bacchiglione  durch 
Strab.  V  1,  7  £x^l  (Ilazaoviov)  ds^)  &aXaTTrjg  dvaTclow 
7i0TafÄ(^  Sid  Tcöv  sXiov  cpeQOfjevcü  OTaSlojv  7tEVT'Yi%ovra  %al 
SiaKOGicüv  EK  Xiiuevog  f^eydXov  .  KaXelTai  d'  6  Xi^rjV  MeöoaKog 
bixojvv^wg  TCO  ftoTafxco  (vgl.  Liv.  X  2,  6)  gesichert.  Dass^ 
wie  wir  jetzt  sehen,  bei  der  Mehrzahl  der  Schriftsteller  ein 
anderer,  von  dem  kleineren  der  zv^ei  bei  Vicenza  sich  ver- 
einigenden Flüsse  hergenommener  Name  vorkommt,  ist  ohne 
Zweifel  aus  dem  Bedürfniss  einer  eigenen  und  einfachen, 
keiner  Verwechslung  mit  der  Brenta  ausgesetzten  Benennung 
zu  erklären. 

Es  gibt  noch  andere  Zeugnisse,  deren  richtige  Behand- 
lung durch  die  bessere  Erkenntniss  der  Bedeutung  des  Eri- 
danos  möglich  wird.  So  die  Glosse  des  Hesychios  Beßerj- 
xog,  0  ^Hqidavog  vico  raiv  ^Evstcov.  In  der  Voraussetzung, 
dass  Eridanos  der  Po  sei,  hat  Palmerius  Boösyxog,  Vossius 
Bedeyy.og  an  die  Stelle  von  Beßsrjxog  gesetzt,  dessen  dritter 
Buchstabe  sich  an  der  Stellung  der  Glosse  —  sie  steht 
nach  Beßvafievov,  Beßcora  und  vor  BeiiXoTceg,  BeUag  —  als 
verdorben  erweist;  vgl.  Polyb.  II  16,  12  (Tldöog)  Ttaqd 
olg  eyxcjqioig  v.aXÜTai  Boösynog;  Plin  bist.  III  122  Me- 
trodorus  Scepsius  dicit  Ligurum  lingua  (Padum)  Bodincum 
vocari,  quod  significet  fundo  carentem.  cui  argumento  ad- 
est  oppidum  iuxta  Industriam  antiquo  nomine  Bodincoma- 
gum,    ubi    praecipua   altitudo  incipit.     Sie  übersahen,   dass 


1)  sehr,  o'  ex. 


G.  F.   Unger:    Der  Eridanos  in  Venetien.  285 

Hesychios  von  den  Venetern,  Metrodoros  dagegen  und 
wahrscheinlich  auch  Polybios  von  den  Ligurern  spricht  *) ; 
ferner  dass  jene  Benennung  auch  nicht  von  den  Ligurern 
auf  die  Veneter  übergegangen  sein  kann,  da  jene  in  der 
historischen  Zeit  nur  noch  am  obern  ^),  diese  in  der  Nähe 
des  untern  Po  wohnten  und  zwischen  beiden  Völkern  weite 
Strecken  Landes  lagen ;  endlich  dass  die  Veneter  gar  nie 
einen  Anlass  gehabt  hatten,  dem  Po  einen  Namen  zu  geben, 
einem  Flusse  der  ihr  Land  gar  nicht  berührte.  Der  von 
Hesychios  erwähnte  Eridanos  muss  in  Venetien  selbst  ge- 
sucht werden;  dass  es  der  ächte  Fluss  dieses  Namens  ist, 
darf  auch  aus  der  Beschaffenheit  der  Glosse  selbst  ge- 
schlossen werden :  der  Gewährsmann  derselben  war  an  Ort 
und  Stelle  gewesen  und  dadurch  mit  der  Lage  des  wahren 
Eridanos  bekannt  geworden.  Von  den  drei  leichtesten 
Besserungen,  welche  hier  möglich  sind,  Beder^xog^  Be^€r]y,og 
und  Bed-€r]y.og,  wählen  wir  die  erste :  sie  liefert  eine  ähn- 
liche Nebenform  zu  Medoacus,  Meduacus  wie  Bastuli  und 
Bastetani  zu  MaOTiavol,  dem  älteren  Namen  der  Iberer  um 
Malaca,  s.  MüUenhoff  D.  A.  153;  vgl.  ferner  Steph.  Byz. 
166  BrjXog  tj  xal  MrjXog  TtQog  Talg  '^Hqay.Xeovg  oxrjXaig, 
afÄq)OT€Qa)v  STVfxwg  Isyofxevwv;  Strab.  VII,  5,  12  Maqyogj 
Tiveg  ÖS  BccQyov  q)aolv  ^  jetzt  Morava,  bei  Herod.  IV  49 
Bqoyyog ;  aus  dem  Venetischen  selbst  lässt  sich  wenigstens 
der  Wechsel  von  Tilaventum,  TiXaoieiXTcrog  und  Taliamentum, 
Tiliamentus  vergleichen. 

Das  bisher  Beigebrachte  dürfte  genügen,  das  alte  Vor- 
urtheil  von  der  Identität  des  Eridanos  und  Po  zu  Fall  zu 
bringen.  Um  es  vollständig  zu  vernichten,  muss  auch  die 
letzte  Stütze  desselben  gebrochen  werden.     Als  eine  solche 


1)  Die  Gallier,  des  Stromes  einzige  Anwohner  ausser  den  Ligurern, 
kann  Polybios  nicht  meinen :  ihrer  Sprache  gehörte ,  nach  Metrodoros 
a.  a.  0.,  der  Name  Padus  an. 

2)  Dort,  in  der  Nähe  von  Turin,  lag  auch  Bodincomagum. 
[1878. 1.  Philo8.-philol.-hist.  Cl.  Bd.  II.  2.]  20 


286      Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

von  niclit  geringer  Kraft  durfte  mit  Fug  eine  Angabe 
gelten,  die  mit  so  grosser  Bestimmtheit  auftritt  wie  die 
des  Plinius  III  120.  Dieser  will  es  genau  wissen,  welche 
von  den  Mündungen  des  Po  in  alten  Zeiten  den  Namen 
Eridanos  geführt  hatte :  proximum  ostium  ^)  magnitudinem 
portus  habet  qui  Vatreni  dicitur.  hoc  ante  Eridanum  ostium 
dictum  est,  ab  aliis  Spineticum  ab  urbe  Spina.  Wenn 
der  Gewährsmann,  welchem  Plinius  hier  folgt,  so  gut  in 
der  älteren  griechischen  Literatur  bewandert  gewesen  wäre 
wie  er  sich  den  Anschein  gibt,  so  hätte  er  wissen  müssen, 
dass  dieser  Arm  früher  nicht  (oder  wenigstens  nicht  allein) 
27tivr]TLy,dv  orofxa  geheissen  hat  sondern  schlechtweg  2tci- 
vrig  wie  ein  eigner  Fluss,  vgl.  Hellanikos  bei  Dionys.  Hai. 
ant.  I  28  OA  Uekaoyol  enl  ^Tvivr^xi  7toraixc7)  sv  toj  Iovloj 
koXtcoj  Tag  vrjag  yiaTahnovreg  Kqoxojva  elXov ;  Steph.  Byz. 
584  ^TtJva  Ttolig  'Italiag  .  soti  de  y,al  Ttorafidg  ^Ttlvog 
(viell.  27tivrjg)  -nalovfievog;  Dion.  Hai.  ant.  I  18  ^Qog  svl 
Twv  Tov  ndSov  OTO/xarcüv  OQjUioajuevoi  ^TtivrJTc  KaXovfAevco. 
Er  hätte  ferner  den  Namen  des  nördlichen  Hauptarmes 
{Ilaöoa  Polyb.  11  16,  11)  wissen  müssen.  Die  Belesenheit 
dieses  Schriftstellers  in  den  Alten  war  also  keineswegs  so 
gross,  desto  grösser  aber  seine  Productivität  in  Conjecturen : 
ausgehend  von  der  in  einem  gewissen  Sinne  nicht  unbe- 
rechtigten Ansicht,  dass  ein  Arm  des  Po  bei  den  Griechen 
den  sagenberühmten  Namen  Eridanos  geführt  habe,  verfiel 
er  auf  den  Gedanken,  ihn  da  zu  suchen,  wo  eine  in  alter 
Zeit  namhafte  Griechenstadt  stand ;  in  seiner  Unkunde  der 
Lage  des  wahren  Eridanos  suchte  er  diesen  gerade  am  ver- 
kehrten Ende  und  wir  werden  bald  zeigen,  dass  ein  in  der 
alten  Literatur  ungleich  besser  bewanderter  Alexandriner 
ihn  wirklich  als  den  nördlichsten  Padusarm  bezeichnet  hat. 


1)  Von  Süden   her  die   zweite,    eigentlich  aber,   weil  Padusa  nur 
ein  Oanal  war,  die  erste. 


G.  F.  Unger:    Der  Eridanos  in  Venetien.  287 

Hiedurch  wird  die  von  Plinius  beigebrachte  Angabe  vollends 
als  eine  unglückliche  Conjectur  erwiesen;  es  ist  keineswegs 
die  einzige,  welche  sich,  in  apodiktischer  Form  auftretend, 
unter  die  geographischen  Notizen  des  Plinius  eingeschlichen 
hat.  Bei  Gelegenheit  der  Thermopylen  schreibt  dieser  III 
28 :  mons  ibi  Callidromus ,  oppida  celebrata  Hellas  Halos 
Lamia  Phthia  Arne.  Die  Erklärer  der  alten  Epiker  stritten, 
ob  Hellas  und  Phthia  Städte  oder  Länder  gewesen  seien: 
Recht  hatten  die,  welche  an  Länder  dachten  ^) ;  aber  auch 
diejenigen,  welche  gleich  dem  Gewährsmann  des  Plinius  sie 
für  Städte  ansahen,  suchten  sie  nicht  bei  den  Thermopylen 
sondern  nördlich  von  Othrys.  Arne  hiess  die  Hauptstadt 
der  Boioter  ,  als  diese  noch  in  Thessalien  sassen,  und  bis- 
weilen wird  auch  ihr  Land  so  genannt ;  es  lag  aber  eben- 
falls nördlich  vom  Othrys  und  die  Stadt  Arne  oder  Kierion 
ist  dort  im  Gebiet  des  oberen  Peneios  nachgewiesen  worden. 
Authentisch  sind  von  allen  Namen,  welche  der  Antiquar 
des  Plinius  um  Thermopylai  und  Trachis  versammelt,  bloss 
Callidromus  und  Lamia;  die  andern  hat  er  aus  dem  SchiflP- 
katalog  B  683,  wo  Hellas,  Alos  und  Phthia  neben  Trachis 
als  Gebiet  des  Achilleus  angeführt  werden,  und  aus  Hesiods 
Schild  des  Herakles  380  Tiaoa  de  MvQfuiöovwv  te  TioXig 
'üXeiTTi  T*  YawAxGg  Aqvtj  r'  i^ö^  "^EXiy.r]  Z4vd^£ia  ts  Tcoir^eooa 
cpcüv^  V7t'  dfxcpoTEQWv  fxeydl''  \ayov  zusammengestoppelt.  In 
hyperbolischer  Weise  wird  dort  geschildert,  wie  der  Kampf- 
ruf so  gewaltiger  Heroen  wie  des  Herakles  und  des  Keyx 
von  Trachis  bis  in  jene  Städte  drang;  diese  Stelle  und  die 
andere,  V.  473  o%  q'  iyyvg  valov  itoXiog  xXsltov  ßaailrjog 
'^v&rjv  MvQ/xiöovcüv  ze  tcoXw  -/.XeiTriv  t'  ^laojXyiov  ^qvtjv 
t'  i^ö''  ^Eli-KYiv  missdeutend  verlegte  er  sie  alle  an  den  Oeta. 
Die  ältesten  uns  erhaltenen  Schriftsteller ,  welche  den 
Eridanos  mit  dem  Po  zusammenbringen ,    haben    dies   noch 


1)  Unger,  Hellas  in  Thessalien.    Philologus  Suppl.  II  640. 

20* 


288     SiUung  der  philos.-philol.  Classe  vom  7.  December  1878. 

in  einer  Weise  getlian ,  welche  der  geographischen  Wahr- 
heit nicht  zu  nahe  tritt,  und  so,  dass  das  Ergebniss  der 
obigen  Untersuchung  sowohl  bestätigt  als  vervollständigt 
wird.  Als  die  Argonauten,  so  erzählt  Apollonios  von  Rhodos 
IV  566  ff.,  von  Istrien  her  bei  den  illyrischen  Inseln  an- 
gelangt waren ,  bei  Schwarz-Kerkyra  und  Melite ,  als  sie 
schon  von  ferne  die  keraunischen  Berge  zu  sehen  glaubten, 
da  wurde  das  Schiff  auf  einmal  vom  Sturm  erfasst,  welcher 
es  nach  Nordwesten  zur  östlichsten  der  Elektriden-Inseln  zu- 
rückschleuderte ;  von  da  gelangten  sie  an  die  ^innerste'  Münd- 
ung des  Eridanos,  dorthin  wo  Phaethon  sein  Ende  gefunden 
hatte :  IV  596  ij  c5'  eoGvTO  ixoXkov  stcittqo  laiifeoLv  eg  t' 
eßaXov  (xv%aTOv  qoov  ^llqidavöio.  Die  innerste  oder  am 
weitesten  hinten  gelegene  Mündung  des  Eridanos  von  Hellas 
aus  betrachtet  war  die  nördlichste,  diese  ist  aber  keine 
andere  als  die  der  Brenta,  dem  Bacchiglione  und  einem 
Canal  gemeinsame  am  Hafen  Aedro,  welche  auch  Plinius 
III  121  in  seiner  von  Süd  nach  Norden  gehenden  Auf- 
zählung als  die  letzte  bezeichnet :  pars  eorum  et  proximum 
portum  facit  Brundulum,  sicut  Aedronem  Meduaci  duo  ac 
fossa  Claudia  *).  bis  se  Padus  miscet  ac  per  haec  effunditur. 
Am  Porto  di  Brondolo  mündet  jetzt  ein  von  der  Etsch 
(auf  diese  und  die  von  Plinius  mit  ihr  vorher  genannten 
Gewässer  bezieht  sich  eorum)  ausgehender  Canal;  nördlich 
von  ihm  am  Porto  di  Chioggia  (Claudia)  die  grosse  Lagune, 
in  welche  von  Süden  her  die  mit  dem  Po  zusammenhängenden 
Canäle,  von  Nordwest  der  Bacchiglione  und  die  Brenta 
münden. 

Nicht   lange   nach  Apollonios  schrieb  der  falsche  Ari- 


1)  Der  römische  Name  beweist  nicht,  dass  ein  Claudius  (vielleicht 
ein  Kaiser)  den  Canal  angelegt ,  sondern  nur  dass  er  ihn  ausgebessert 
oder  wiederhergestellt  hat,  wie  Augusta  fossa  der  von  Augustus  erneuerte 
Theil  des  Canals  Padusa  hiess. 


G.  F.  Unger:    Der  Eridanos  in  Venetien.  289 


stoteles  7t€Ql  d-avfxaaicov  äyiova/naTiov ,  s.  Westermann  Pa- 
radoxogr.  XXVIII;  seine  Schilderung  des  Schauplatzes  der 
Phaethonsage  stimmt  mit  der  des  Rhodiers  überein  und 
stammt  höchst  wahrscheinlich  aus  derselben  Quelle.  Neben 
der  Mündung  des  Eridanos  kennen  beide  einen  See,  rauchend 
von  heissen  Dämpfen,  in  welchen  Phaethon  gestürzt  war: 
kein  Thier  trinkt  aus  ihm,  darüber  fliegende  Vögel  fallen 
todt  hinein ;  an  seinen  Ufern  ^)  stehen  die  Schwarzpappeln, 
welche  Phaethons  Schwestern  gewesen  waren :  ihre  Thränen 
erhärten  an  der  Sonne  zu  Bernstein,  welchen  der  Wind 
vom  Strand  in  den  Eridanos  führt.  Der  Aponos,  in  welchem 
Voss  diesen  See  wiederfinden  wollte,  hat  mit  ihm  nichts 
gemein  als  die  Wärme  des  Wassers;  im  Uebrigen  war  er 
nur  ein  Quell  (fons  Suet.  Tib.  14.  Claudian  idyll.  6,  1. 
Cassiodor  var.  2  ep.  39;  fontes  Martial.  VI  42)  und  nicht 
durch  schädliche  Dünste  sondern  im  Gegentheil  durch  seine 
besondere  Heilkraft  und  ein  Orakel  (oben  p.  7  Anm.)  be- 
kannt, lag  auch  nicht  in  der  Nähe  des  Meeres  sondern  tief 
im  Binnenland  südwestlich  von  Padua,  jetzt  Abano  genannt. 
Der  See  an  der  Eridanosmündung  hatte  nach  Ps,-Aristoteles 
und  Steph.  Byz.  p.  300,  3  nicht  weniger  als  200  Stadien 
im  Umfang  und  eine  Breite  von  10  Stadien  :  wir  dürfen 
ihn  für  den  südlichen  Theil  der  grossen  Lagune  ansehen, 
welche  sich  von  Brondolo  und  Chioggia  nach  Norden  bis 
Venedig  untl  Altino  ausdehnt;  ein  genaues  Zutreffen  der 
angegebenen  Ausdehnung  und  der  Eigenschaften  des  La- 
gunenklimas wird  man  in  dieser  Gegend ,  in  der  so  vieles 
sich  geändert  hat,  nicht  erwarten.  Auch  die  Elektriden 
des  Apollonios  kehren  bei  ihm  wieder;  ihre  Entstehung 
erklärt  er  richtig  aus  den  Anschwemmungen  des  Flusses 
(tavTag  rag  vt]Govg  cpaol  nQonsxw^svcti   tov  ^HqLÖavov)   und 


1)  Das  widersinnige  «V  bei  Ps.-Aristot.  {elvai  6^  iv  avt^  cciysiQovg) 
ist  in  €7i'  zu  verbessern;  Apoll.  IV  603  schreibt  äfi^L 


290      Sitzung  der  philos.'phüol.  Glasse  von  7.  Decemher  1878. 

wir  erkeünen  daraus,  dass  auch  er  den  Eridanos  für  den 
Po  ansieht,  vgl.  Strab.  V  1,  8  idg  ^HXey.TQiöag  rac;  fcqo 
Tov  nädov.  Man  verstand  also  unter  den  Elektriden  ur- 
sprünglich die  Inseln ,  in  welche  das  Alluvium  der  nörd- 
lichen Pomündungen  durch  die  Verästungen  und  Verbind- 
ungsarme derselben  zerfällt;  entfernte  griechische  Leser 
mochten  sie  dann  weiter  östlich  im  Meere  gelegen  denken. 
Es  wäre  wichtig  zu  wissen ,  welches  der  Schriftsteller 
ist,  den  Apollonios  und  der  falsche  Aristoteles  ausgeschrieben 
haben  ;  allem  Anschein  nach  war  er  es ,  der  die  Deutung 
des  Eridanos  auf  den  Po  in  die  Literatur  einführte,  wie 
andrerseits  seine  beiden  Ausschreiber,  zwei  im  Alterthum 
viel  gelesene  Schriftsteller,  bedeutenden  Antheil  an  der  Ver- 
breitung derselben  gehabt  haben.  Nach  Müllenhoff  D.  A. 
I  340,  welcher  in  dieser  Frage  den  Apollonios  nicht  mit- 
berücksichtigt, wäre  unter  den  von  dem  Aristoteliker  nach- 
weislich benützten  Quellen  am  wahrscheinlichsten  an  Lykos 
von  Rhegion,  den  Vater  des  Dichters  Lykophron  zu  denken ; 
nicht  an  Timaios,  weil  dieser  den  Bernstein  von  einer  Insel 
des  nördlichen  Oceans  kommen  Hess,  noch  an  Theopompos, 
der  (bei  Skymnos  392)  ausser  den  Elektriden  auch  Kassiteriden 
im  Adriameer  genannt  habe,  wozu  die  Erwähnung  der 
zinnernen  Bildsäule  auf  einer  der  Elektriden  bei  Ps.-Ari- 
stoteles  nicht  passe.  Von  Inseln  des  Namens  Kassiteriden 
bei  Istrien  spricht  Skymnos  a.  a.  0.  [ovo  de  zöt'  avTOvq 
eioi  vrjooL  xeiinevai,  naöOiTeQOv  av  öokovgi  -KaX^LOTOv  cpeqeiv) 
zwar  nicht  und  gerade  der  Name  Kassiterides  würde,  da 
die  Abstammung  der  adriatischen  Küstenbeschreibung  des 
Skymnos  aus  Theopompos  ohnehin  mit  Sicherheit  bloss  bis 
V.  387  zvg)wvag  angenommen  werden  kann  ^),  gegen  eine 
Erwähnung  von  Kassiteriden  in  Theopomps  Schilderung  des 


1)  Vgl.    oben   p.  19  und  bei  den  Hylleern  V.  412  die  Berufung 
auf  Timaios  und  Eratosthenes. 


G.  ¥.   Unger:    Der  Eridanos  m  Venetien.  291 

Adria  sprechen;  s.  Skymn.  370  GeoTto^Ttog  avayQdq)ei  de 
zavTTjg  TTjV  d^ioLV^  tag  öi]  ovvLOd^fultovGa  ^cqog  rt]v  UovTiKrlv 
VTqoovg  sxei  Toig  KvnlaGLv  efxq)eQeoraTag^  tovtwv  öi  zag 
liisv  Isyoiusvag  LdxpvQXiöag  ^HlexTglöag  zs ,  tag  öi  y,(xl  jLi' 
ßv()VLdag,  wo  nothwendig  neben  den  Elektriden  auch  die 
Kass^teriden  zu  erwarten  wären ,  wenn  Theopompos  auch 
sie  in  den  Adria  verlegt  hätte.  Andrerseits  halten  wir  die 
Annahme  der  Nähe  zinnführender  Inseln  für  keine  noth- 
wendige  Voraussetzung  der  Behauptung,  dass  auf  einer  der 
Elektriden  eine  Zinnsäule  aufgestellt  gewesen  sei.  Gerade 
die  drei  so  eben  aus  Theopompos  angeführten  Inselgruppen 
finden  wir  nun  auch  bei  Apollonios  und  nur  bei  ihm  sämmt- 
iich  wieder,  s.  Argon.  IV  506.  515.  564,  ebenso  dessen 
Ansicht  von  der  Gabelung  des  Ist  er  IV  325  und  der  Isth- 
mosgestalt  ^)  des  Landes  zwischen  Adria  und  Pontus  IV 
307  ;  es  ist  daher  nicht  unwahrscheinlich ,  dass  die  Schil- 
derung des  Apollonios  und  Ps.- Aristoteles,  welche  den  Eri- 
danos mit  dem  Po  identificirt,  auf  ihn  zurückgeht. 

Mit  dem  Po  soll  der  Rhone  um  die  Ehre  gestritten 
haben,  die  Stelle  des  alten  Eridanos  einzunehmen.  Mit 
Gewissheit  lässt  sich  diese  Ansicht  kaum  einem  einzigen 
Schriftsteller  zuschreiben,  nämlich  dem  Aischylos  bei  Plinius 
hist.  XXXVII  32  Aeschylus  in  Hiberia,  hoc  est  in  Hispania, 
Eridanum  esse  dixit  eundemque  appellari  Rhodanum  ^),  und 
nur  insofern,  sich  keine  passendere  Erklärung  als  diese  auf- 
stellen lässt,  die  an  dem  Uebelstand  leidet,  dass  der  Rhone 


1)  Die  Ansicht  von  der  Gabeltheilung  des  Ister  war  schon  vor 
Theopompos  verbreitet  (Skylax  §  20.  Aristot.  hist.  anim.  VIII  18),  da- 
gegen die  vom  illyrisch-thrakischen  Isthraos  ist  ihm  eigenthümlich ,  s. 
Fr.  140  bei  Strab.  VII  5,  9  und  Skymn.  871. 

2)  Das  gleiche  Zeugniss  über  Aischylos  bei  dem  sog.  Apuleius  de 
orthogr.  p.  9  Osann  ist  ohne  Werth,  weil  diese  Schrift  erst  im  XV.  Jahr- 
hundert angefertigt  worden  ist. 


292      Sitzung  der  philos.'phüol.  Classe  vom  7.  Dezember  1878. 

zwar  in  früherer  Zeit  die  Grenze  Iberiens  gebildet  hat,  aber 
eben  nur  an  den  Grenzen  dieses  Landes,  nicht  innerhalb  der- 
selben,  geflossen  ist,  vgl.  Strab.  III  4,  19  ^IßrjQiav  med 
jLisv  Tcov  TTQOTeQcov  KaXeiod^ai  TTaoav  rrjv  e^w  tov  '^Podavov 
y,al  rov  lod^^iov  tov  vno  twv  FaXaTixwv  koXttcov  Gcptyyofisvov ; 
Skylax  4  «tto  ^IßTqqcov  8%ovTai  yllyveg  %ai  ^'ißrjgeg  ^lyadeq 
(neXQ^  ^otafiov  "^Podavov  cltto  ^Ejj-TtOQiov;  Plutarch  Aem. 
Paul.  6  ^lyveg  tcc  Klv^o/xeva  tco  TvQQrjvrjicp  Trelayet  nal 
TtqoQ  TTiv  ^ißvtjv  dvxaiqovra  viiuovTai  fxeixiyfxivoi  FaXaraig 
y,al  Toig  Ttagalloig  ^Ißi^Qcov.  Hat  aber  Aischylos  wirklich, 
im  Widerspruch  mit  der  aus  seinen  Heliaden  citirten  Stelle, 
in  irgend  einem  andern  Drama  den  Eridanos  für  den  Rhone 
erklärt,  so  sind  wir  der  Meinung,  dass  er  dasselbe  Miss- 
verständniss  begangen  hat,  wie  das  welches  noch  gegen- 
wärtig in  Betreff  der  Ansicht  des  Philostephanos  von  Ky- 
rene  besteht  ^). 

Diesem  hiess  der  Eridanos  Rhodanos,  aber  nur  zu 
seiner  Zeit  und  bei  den  Eingebornen,  Schol.  Dionys.  Per. 
289  (prjol  di  OiXoaTe(pavog  vno  twv  eyxtoqiwv  tovtov  tov 
XQOvov  ^Poöavov  covoj^ccod-ai^).  Er  hat  also  nicht,  wie  an- 
genommen wird,  den  Rhonestrom  gemeint,  welcher  im  Alter- 
thum  überall  und  allezeit  Rhodanos  hiess  und  in  der  grie- 
chischen Literatur  lange  vor  der  Zeit  des  Philostephanos 
(dem  Ende  des  dritten  vorchristlichen  Jahrhunderts)  unter 
diesem  Namen  bekannt  war,  vgl.  Aristot.  meteor.  I  13 
7C€qI  tr^v  ^AiyvGTiytYJv  ovx  sldoowv  tov  '^Poöavov  Kata7[iveTal 
rig  Ttora^iog;  Strab.  IV  1,  8     Tteql   twv   tov  'Podavov  öto- 


1)  Dionys.  Per.  290  Scoficctcc  KeXrcoy  dy/o^t  nrjyd(oy  xcc^hgQoov 
'HqiSupoio  durfte  nicht  als  Beweis  angeführt  werden,  dass  dieser  Byzan- 
tiner den  Eridanos  für  den  Rhone  hält;  Ke^rooy  ncciSes  (v.  291)  sind 
ihm  die  Cisalpiner. 

2)  Auch  Gloss.  Lugd.  Serv.  zu  Verg.  georg.  I  482  sagt:  ubi  sit 
Eridanus  multi  errant;  ipsum  esse  ßhodanum  putant  propter  multitu- 
dinem  (viell.  similitudinem,  näml.  nominis). 


6r.  F.  Unger:    Der  Eridanos  in  Venetien.  293 

jLiaTwv  UoXvßiog  e7tiTif,i^  Ti^iaiq)  (pn^oag  elvac  f-irj  Ttevtd- 
OTOfxov  (xXXa  ÖLGtofxov.  Jener  Zusatz  vito  twv  eyxwqiwv  hat 
da  seine  Stelle,  wo  von  zwei  gleichzeitigen  Benennungen 
die  Rede  ist  und  die  eine  von  ihnen  als  den  griechischen 
Schriftstellern  fremd  bezeichnet  werden  soll,  z.  B.  bei  Poly- 
bios  II  16,  12  (o  Hadog)  /taqd  zolg  eyxioqioLg  %akÜT:ai  Bo- 
Ssyxog;  Arrian  b.  Eustath.  zu  Dion.  Per.  378  ly  sttlxwqlcü 
ylwrxiß  Beverol  eg  rovTO  IVt  dvil  '^Evercov  xlrjl^ovTai ;  Schol. 
Arat.  359  o  ^Hqidavog  Kalelrai  vtvo  tcZv  iyxcoQicov  Bo%eQöog 
u.  a.  Zur  Zeit  des  Philostephanos  dachte  bei  dem  Namen 
Eridanos  Niemand  an  einen  andern  Fluss  als  an  den  ita- 
lischen; einen  andern  also  hat  auch  er  nicht  im  Sinne  ge- 
habt. Wer  die  Existenz  des  Eridanos  leugnete,  hatte  dazu 
zwei  Gründe:  dass  weder  der  Bernstein  noch  der  Name 
jenes  Flusses  sich  in  Venetien  vorfand;  letztere  Erschein- 
ung aber  erklärt  sich  daraus,  dass  Eridanos  nur  Helleni- 
sirung  von  Eretenos,  dieser  Name  selbst  aber  in  der  Blüthe- 
zeit  der  classischen  Literatur  nur  selten  zu  finden  war:  er 
wurde  '  durch  die  kürzere  Nebenform  Reteno ,  Redeno  ver- 
drängt. Hatten  die  ersten  griechischen  Besucher  in  Ere- 
tenos den  Namen  Eridanos  wiedergefunden ,  so  konnten 
wohl  auch  deren  Nachfolger  durch  Reteno  an  Rhodanos 
erinnert  werden  ;  vielleicht  darf  aber ,  da  die  Mündung  des 
Flusses,  also  gerade  die  Stelle,  an  welcher  die  Sage  von 
Phaethon  spielt,  an  der  Grenze  der  Veneter  gegen  Atria 
lag,  angenommen  werden,  dass  wir  in  Rhodanos  die 
ligurische  Form  und  Aussprache  seines  Namens  zu  er- 
kennen haben.  Die  Vermuthung ,  dass  beide  Namen 
stammverwandt  sind,  liegt  von  vornherein  nahe;  Ligurer 
aber  waren  die  ältesten  Anwohner  der  Mündungen  so- 
wohl    des     Rhone  ^)     als     auch     (was     Müllenhoff    D.     A. 

1)  Von  der  Küste  östlich  des  Rhone  ist  dies  anerkannt;  westlich 
von  ihm  wohnten  um  350  nur  iberische  Mischlinge  neben  Ligurern 
i^Skylax  4)   und  das  Hauptvolk  zwischen  dem  Strom  und  den  Pyrenäen» 


294      Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  7.  Deceniber  1878. 

218  mit  Uureclit  leugnet)  des  Po.  Plinius  hist.  III  112 
sagt:  ab  Ancona  Gallica  ora  incipit  Togatae  Galliae  cog- 
nomine.  Siculi  et  Liburni  plurima  eius  tractus  tenuere,  in 
primis  M  Palmensem  Praetutianum  Hadrianumque  agrum. 
ümbri  eos  expulere,  hos  Etruria,  hanc  Galli.  Die  Sikeler 
waren  ligurischer  Abstammung ;  ein  Schriftsteller  (vielleicht 
der  p.  567,  9  am  unrechten  Platz  citirte  Menippos)  bei 
Steph.  Byz.  568  sagt:  twi^  ös  vtjguotcov  oi  ^lev  id^ayevelg 
TTaXai  ^lyveg  s§  ^haXuxg  'Sixelot  kiyovrai ,  ol  de  87C7jXvSeg 
''EXXrjveg  eloi  2r/.sXiwTaL ,  wg  iTaluoTaL  und  Philistos  bei 
Dionys.  Hai.  ant.  I  22:  ed-vog  t6  öiaKO/nLod-iv  e^  ^haXlag 
ovre  2r/,€Xco)>  ovz'  ^voovcov  ovt^  ^EXv(xo)v  dXXa  jLiyvoiv  (rjv), 
ayovTog  avxovg  ^ixeXov  .  a^avaotijvai  Sa  sy,  rrg  eavtiov 
tovg  udiyvag  vjco  ts  ^O/j-ßgiytiov  Kai  lleXaoywv ;  durch  die 
Namen  der  Völker,  von  welchen  sie  vertrieben  wurden, 
deutet  er  offenbar  an,  dass  ihre  frühere  (oder  genauer  ge- 
sprochen früheste)  Heimat  die  Poebene  gewesen  war.  lieber 
Abstammung  und  Verwandtschaft  der  Liburner  sind  keine 
Nachrichten  vorhanden ;  für  unsere  Frage  kommt  aber  darauf 
nichts  an:  in  Betreff  der  Gegend  an  den  Mündungen  des 
Eridanos  und  Padus  besitzen  wir  noch  Ueberlieferungen, 
welche    deren    Bewohner    geradezu    als    Ligurer    erkennen 


die  Elisyker,  wird  von  Hekataios  bei  Steph.  Byz.  469  für  ligurisch  er- 
klärt; Hispanien  heisst  dem  Eratosthenes  b.  Strab.  II  1,  40  Aiyvanxtj 
olxQcc,  Auf  Corsica,  dessen  Eingeborne  ligurischen  Stammes  waren 
(Sallust.  hist.  II  8.  Seneca  cons.  ad  Helv.  8.  Solin.  3,  3),  war  ein  Fluss 
Rotanus  (Ptolem.  III  2,  5) :  sein  Name  bildet  den  Uebergang  von  Rho- 
danos  zu  Reteno,  Eretenos. 

1)  Dieser  Ausdruck  ist  widersinnig:  da  die  drei  auf  ihn  folgenden 
Namen  picentischen  Gauen  gehören,  kann  von  einer  hervorragenden  Be- 
deutung derselben  in  Gallien  nicht  die  Rede  sein.  Auch  spricht  Plinius 
nicht  von  einer  hervorragenden  Rolle  in  der  früheren  Bewohnerschaft 
der  Gallia  cisalpina,  sondern  von  deren  früherer  Gesammtbevölkerung. 
Es  ist  „in  Piceotibus"  zu  schreiben. 


G.  F.   Ünger:    Der  Eridanos  in   Venetien.  295 

lassen.  Kykaos,  der  Freund  und  Verwandte  Phaethons, 
um  dessen  Tod  er  klagte  bis  er  in  einen  Schwan  verwan- 
delt wurde,  war  ein  König  der  Ligurer,  Ovid.  met.  II  367 
Ligurum  populos  et  magnas  rexerat  urbes  (nach  dem  Ele- 
giker  Pbanokles,  s.  Lactantius  narr.  fab.  Ovid.  2,  4);  Pau- 
sanias  I  30,  3  (s.  u.) ;  Serv.  zu  Aen.  X  189. 

Mag  nun  die  Form  Rhodanos  dem  Namen  des  jenseits 
der  Alpen  fliessenden  Stromes  angepasst  oder  von  den  Li- 
gurer d  der  untern  Poeben e  auf  ihre  Nachfahren,  die  ümbern 
Etrusker  und  Gallier  übergegangen  sein:  dass  sie  den 
wahren  Eridanos  in  Venetien  angeht ,  bestätigt  ein  Aus- 
spruch des  Euripides,  welcher  seinerseits  wieder  aus  dem 
des  Philostephanos  seine  Erklärung  gewinnt.  Plinius  a.  a. 
0.  sagt,  nachdem  er  das  Zeugniss  des  Aischylos  über  den 
iberischen  Eridanos  angeführt  hat:  Euripides  rursus  et 
Apollonius  in  Hadriatico  litore  confluere  Rhodanum  et  Padum. 
Euripides  meint  denselben  Rhodanos  wie  Philostephanos, 
den  Eretenos,  welcher  auch  nach  Aelianus  zuletzt  mit  dem 
Po  sich  vereinigt:  dies  geht  mit  Klarheit  daraus  hervor, 
dass  er  den  Zusammenfluss  an  die  adriatische  Küste  setzt. 
Die  Fabelei  von  einem  Zusammenfluss  des  Rhone  und  Po 
an  dieser  Küste  auszuhecken  war  dem  Zeitalter  todter  Buch- 
gelehrsamkeit vorbehalten :  ApoUonios  von  Rhodos  ver- 
stand den  Namen  Rhodanos  von  dem  Rhone  und  da  er 
wusste,  dass  dieser  westlich  der  Alpen  mündet,  so  erfand 
er  nach  dem  Vorbild  der  Istergabelung  eine  Theilung  des- 
selben in  zwei  Arme,  von  welchen  der  eine  nach  Ober- 
italien dem  Eridanos,  wie  er  den  Po  nennt,  zugeflossen  sei, 
Arg.  IV  627  s%  ös  toS-ev  ^Podavoio  ßa^vv  qoov  sioavi- 
ßrjoav,  0(7t'  elg  Hgiöavor  {^eravloOETai,  a/^ifj^Lya  ö'  vÖcoq  ev 
^vvoxy  ßeßQv%e  ixvKcof.ievov.  Er  gewann  dadurch  eine  neue 
Route  für  die  Rückfahrt  der  Argonauten,  welche  auf  diese 
Weise  aus  dem  Po  unmittelbar  in  den  Rhone  und  auf  diesem 
in   das   sardoische   Meer   gelangten;    dass    ihr  Schiff  dabei 


296      Sitzung  der  pMlos.-philol.  Classe  mm  7.  December  1878. 

über  die  Höhen  der  Alpen  fahren  musste,  bedachte  er  nicht. 
Einen  Irrthum  dagegen ,  welcher  ihm  ausserdem  noch  auf- 
gebürdet wird  ,  hat  er  nicht  begangen ;  die  Besprechung 
desselben  führt  uns  zu  der  Ansicht  über  den  Eridanos, 
welche  durch  Voss  herrschend  geworden  ist. 

Die  bedeutende  Rolle,  welche  der  Eridanos  in  der  alten 
Literatur  spielt,  verdankt  er  nicht  seiner  Grösse  —  er  ge- 
hörte nicht  einmal,  wie  jetzt  klar  ist,  zu  den  grossen  Flüssen 
—  sondern  einzig  und  allein  der  uralten  Ueberlieferung, 
dass  an  seiner  Mündung  sich  der  im  Alterthum  so  hoch- 
geschätzte Bernstein  finde.  Bereits  in  hesiodischen  Ge- 
dichten wurde  Phaethous  Ende  am  Eridanos  und  die  Ent- 
stehung des  Elektron  daselbst  aus  den  Thränen  der  Heliaden 
besungen,  Schol.  Odyss.  XI  326.  Hygin  fab.  154.  Lactant. 
narr.  fab.  Ov.  2,  3.  Schol.  Strozz.  German.  Arat.  366, 
und  die  Erwähnung  des  Flusses  in  der  Theogonie  366  er- 
klärt sich  eben  wegen  der  geringen  Grösse  desselben  nur 
aus  dem  Bestehen  dieser  Ueberlieferung.  Aber  gleich  bei 
dem  ersten  Erwachen  der  Kritik  stiess  sie  auf  entschiedenen 
Widerspruch.  Nicht  bloss  Diodor  V  23 ,  Plinius  a.  a.  0. 
und  Lucian  electr.  4  bezeugen  ausdrücklich,  dass  zu  ihrer 
Zeit  sich  kein  Bernstein  dort  vorfand :  schon  Herodot  III 
115  hält  sich  an  die  Thatsache,  dass  der  Bernstein  welcher 
den  Griechen  zuging  nicht  vom  Po  sondern  vom  Norden 
Europas  eingeführt  wurde.  Es  ist  daher  begreiflich,  dass 
die  neueren  Forscher  auf  den  Gedanken  kamen,  nach  alten 
Zeugnissen  von  einer  nordischen  Lage  des  Eridanos  zu 
suchen,  und  Voss  hat  eine  Reihe  von  Stellen  zusammen- 
gebracht, welche  dafür  zeugen  sollen;  eine  nähere  Besich- 
tigung ergibt  aber,  dass  wir  es  hier  nur  mit  theils  alten 
theils  neuen  Missverständnissen  zu  thun  haben. 

Nicht  vom  Eridanos,  wie  Voss  und  MüUenhoff  be- 
haupten, sondern  vom  Rhodanos  d.  i,  vom  Rhone  sagt 
ApoUonios  a    a.  0. ,    dass   er   in   drei   verschiedene  Meere, 


G.  F.   Unger:    Der  Eridanos  in  Venetien.  297 

in  das  adriatische ,  das  tyrrhenische  und  in  den  Okeanos 
sich  ergiesse,  IV  632  avraQ  6  yalrjg  ix  iÄV%aTY]g,  %va  t' 
uöl  TtvXai  %al  eöiS^Xia  Nvxrogy  evd-ev  aTtOQvvfj-evog  t^  (xsv 
t'  hceqevyeTai  ax^ag  ^£2y.eavov  r^  d''  avTe  i^iez''  ^lovirjv  aXa 
ßaXket  T^  (5'  eTtl  2aQd6vwv  ntkayog  y.al  arteiQOva  xoXtcov 
BTCxa  dia  OTOjuaTcov  ist  qoov.  Der  Lauf  des  Po  war  seit 
dem  zweiten  punischen  Krieg  bekannt,  seinen  Ursprung 
konnte  man  nicht  an  den  Sitz  der  Nacht  d.  i.  in  den 
äussersten  Norden  setzen,  um  so  weniger  als  er  dem  grössten 
Theil  seines  Laufes  nach  die  Richtung  von  West  nach  Ost 
einhielt;  dagegen  den  Oberlauf  des  Rhone  lernte  man  erst 
spät  (Müllenhoff  p.  194),  durch  die  Peldzüge  der  Römer 
jenseit  der  Alpen  kennen  und  da  der  untere  Rhone  von 
Lyon  an  in  gerader  Richtung  von  Nord  nach  Süd  fliesst, 
so  ist  es  begreiflich,  dass  man  seine  Quelle  in  den  äussersten 
Norden,  in  die  dem  Okeanos  nahen  Gegenden  setzte.  Vom 
Rhone ,  nicht  vom  Po  ist  es  auch  verständlich ,  dass  ihm 
ein  Abfluss  zum  Weltmeer  gegeben  wurde,  eine  Ansicht  die 
sich  nicht  bloss  bei  Apollonios  sondern  auch  im  Hexaemeron 
des  ßasilius  von  Caesarea  hom.  3,  6  vorfindet :  rl  Sei 
Tovg  aXXovg  (Ttozafiovg)  dnaQi^fxelod^aL  ovg  a\  '^Flrcai  yev- 
vwGL  zd  v7t£Q  Tjjg  ivöoTazw  ^yiv&lag  oqtj  .  lov  ioTi  y,al  o 
Poöavog  *)  fÄSTcc  /^vqlojv  oXXcov  jiOTafxwv  xal  avTÜv  vavoi- 
TtOQcov  j  ov  rovg  eOTteQiovg  FaXarag  %al  KeXxovg  xat  xovg 
nqooexug  amdlg  ßaqßdqoig  TcaQaf^enpafievoi  eTtl  t6  sotvsqiov 
7tdvTeg  eloxiovtai  jtiXayog. 

Dass  Ovidius  den  Eridanos  in  den  Norden  Europas 
versetzt,  geht  aus  met.  II  323  quem  (Phaethonta)  procul  a 
patrio  diverso  maximus  orbe  excipit  Eridanus  fumantiaque 
abluit  ora  keineswegs  hervor ;  die  richtige  Erklärung  findet 
sich    in    den  Schulausgaben,    z.  B.  bei  Siebeiis:     ^orbe  wie 


1)  Die  falsche  Lesart  'HqiSccpos   hat  Müllenhoff  p.  228  endgültig 
beseitigt. 


298      Sitzung  der  phüos.'phüol.  Glasse  vom  7.  Decemher  1878. 

I  94  peregrinum  ut  viseret  orbem ;  diverso  seiner  Heimat, 
dem  Orient,  entgegengesetzt,  also  im  Occidenfc\  Er  unter- 
scheidet ihn  wie  vom  Rhone  so  auch  vom  Po,  met.  II  258 
fors  eadem  Ismarios  Hebrum  cum  Strymone  siccat  Hesperios 
amnes  Rhenum  Rhodanumque  Padumque  cuique  fuit  rerum 
promissa  potentia  Thybrim ;  da  man  an  die  Verschiedenheit 
des  venetischen  Eridanos,  welchen  Ovid  offenbar  meint, 
vom  Po  nicht  dachte,  so  konnte  man  auf  den  Gedanken 
kommen ,  den  Fluss  in  entfernteren  Ländern  zu  suchen, 
hätte  aber  doch  nur  Gallien  oder  Hispanien,  nicht  die  Ost- 
seeküsten jensei t  Germaniens  ins  Auge  fassen  dürfen. 

Nach  Gallien  setzt  ihn  Pausanias  I  3,  5  ol  Falaiav 
ovTOt  vefiovrat  Trjg  EvQCOTir^g  xd  bOyjOLxa  Inl  S^aXccTTT]  TTolXfj 
ytal  eg  tcc  jieqaTa  ov  TtXcolfxc^  ^  7t.aqiyjE.zcii  Si  afiTtcoriv  nal 
qaxictv  ycal  ^7]Qla  ovöiv  ioiTtoza  xdlg  ev  d^aXdaarj  t?)  Xoltv^ 
Kai  oq)LGi  ötd  Trjg  ycogag  qsI  Tiovafxog  ^HQiSavog,  S(p^  o)  zag 
-dvyazegag  zov  *^HXlov  oSvqeod^ai  vo^lC^ovöl  z6  tceqI  Wasd^ovza 
Ttdd-og.  Vergleicht  man  damit  die  bodenlose  Verwirrung 
bei  Paus.  I  30,  3  uiiyvcov  zwv  "HQidavov  fceqav  VTtsQ  yr^g 
zrig  KeXzixr^g  Kvy,vov  avöqa  {hovolkov  yeveoS^ai  ßaoilea 
(paolv,  wo  die  Ligurer  seiner  Zeit  hinter  Gallien  und  doch 
jenseit  des  Eridanos,  also  nördlich  des  Po  oder  westlich  des 
gallischen  Eridanos  gesetzt  werden,  so  erhellt  leicht,  dass 
auf  die  Ortsbestimmungen  dieses  der  Geographie  jener  Ge- 
genden gänzlich  unkundigen  Schriftstellers  gar  nichts  zu 
geben  ist:  er  hörte,  dass  der  Eridanos  d.  i.  der  Po  in 
Gallia ,  nämlich  cisalpina,  liege  und  da  westlich  von  diesem 
Ligurien  ist,  so  setzte  er  dieses  hinter  Keltike  und  jenseits 
des  Eridanos.  Valerius  Flaccus  V  431  und  Philostratos 
imag.  I  11  geben  gar  keine  Andeutung  über  die  Lage  des 
Eridanos.  Woher  die  Nachricht  des  Choirilos  in  d.  Gloss. 
lugdun.  Serv.  zu  Verg.  georg.  I  482  Chaerilus  in  Germania, 
in  quo  flumine  Edion  (sehr.  Phaethon)  exstinctus  est  ge- 
nommen ist,  bleibt  ungewiss ;  jedenfalls    enthält   diese    Be- 


G.  F.   Unger:     Der  Eridanos  in   Venetien.  299 

hauptung  eine  eigenmächtige  Neuerung  gleich  der  des  in 
derselben  Glosse  citirten  Ktesias ,  welcher  den  Fluss  nach 
Medien  verlegte,  oder  der  Angabe  des  Euripides  und  Chares, 
Phaethon  sei  in  Aethiopien  umgekommen  (Müllenhoff  221). 
Ungleich  besser  beglaubigt  erscheint  das  älteste  der 
Zeugnisse,  welche  für  einen  nordischen  Eridanos  beigebracht 
werden,  das  von  Herodot  III  115  als  unglaublich  angeführte: 
ovT£  lycoys  evöeKOf^ai  ^HQiöavov  xiva  Kalieo&ai  ttqoq  ßaq- 
ßaqwv  TtOTafÄOv ,  enöiSovTa  eg  d-cXaoöav  rrjv  uQog  ßoQrjv 
ave(xov,  dq)'  otev  to  ijleyiTQOv  cpOLxäv  loyog  iozl,  ovte  viqoovg 
OLÖa  KaooLTEQLÖag  eovoag,  sk  tcov  6  ycaoGLTeQog  rj[/lv  (poLTa. 
Er  bekämpft  dasselbe  mit  zwei  Gründen :  erstens  sei  der 
Name  Eridanos  griechisch^),  also  jener  Barbarensprache 
nur  angedichtet;  der  zweite  lautet  wörtlich:  tovto  öi  ov- 
ÖEvog  avTOTtTeco  yevojxevov  ov  övvafxai  dxovGaL ,  tovxo  (äeXe- 
tcdv^  OKwg  ddlaood  ioti  xd  Irci^uva  xr^g  EvQWTtrjg.  Der 
Wortlaut  der  von  Herodot  angefochtenen  Nachricht  nöthigt, 
wenn  jener  ihn  treu  wiedergegeben  hat,  keineswegs  zu  der 
Annahme,  dass  ihr  Gewährsmann  den  Fluss  nördlich  von 
Europa  gesucht  hat :  diese  Ansicht  hat  ihm ,  wie  uns 
scheint,  erst  Herodot  missverständlich  untergeschoben.  Der 
alten,  bis  zum  Bekanntwerden  von  Gadeira  und  Tartessos 
alleinherrschenden  Weltanschauung  des  Griechen volkes  war 
Okeanos  ein  Strom,  der  die  bewohnte  Erde  umfloss ;  unter 
d^aXaooa,  dXg,  jtovxog,  itekayog  als  einem  Ganzen  verstand 
man  daher  das  Mittelmeer,  s.  Forbiger  Handb.  d.  a.  Geogr. 
I  4;  22.  Dieser  Anschauung  wurde  zwar  schon  in  der 
zweiten  Hälfte  des  siebenten  Jahrhunderts  die  Grundlage 
entzogen,  als  der  Samier  Kolaios  und  nach  ihm  die  Phokaier 
die  Säulen  des  Herakles   erreichten  und   dort  anstatt    eines 


1)  Ursprünglich  geht  der  Name  bloss  den  Bach  hei  Athen  an,  ist 
also  nicht  von  ^ql  früh'  sondern  von  ?f()<  ^ira  Frühling'  abzuleiten,  d.  i. 
Giessbach,  torrens ;  vgl.  'fl7r«<5az/oV  von  rjntos ,  Nehen^.  des 'Eyt-nevs 
(reissend,  von  ivirc'^). 


300      Sitzung  der  philos.'phüol.  Classe  vom  7.  December  1878. 

Stromes  sich  ihren  Blicken  ein  neues  grösseres  Meer  darbot; 
aber  bei  den  Massen  brach  sich  die  neue  Erkenntniss  nur 
allmählig  und  langsam  Bahn:  wie  die  ptolemäische  Welt- 
anschauung noch  lange  nach  Copernicus  fortherrschte  und 
in  der  Sprache  sich  heute  noch  geltend  macht,  so  dauerte 
es  bei  den  Griechen  noch  mehrere  Jahrhunderte,  bis  die 
geographische  Umwälzung  vollständig  durchgeführt  war. 
Während  der  üebergangszeit  finden  wir  in  Folge  dessen 
einen  doppelten  Sprachgebrauch  bei  den  Ausdrücken,  welche 
sich  auf  das  Meer  beziehen:  neben  der  alten  Bedeutung 
erhebt  sich  die  neue,  welcher  die  Zukunft  gehört,  und  ringt 
mit  ihr  um  die  Existenz;  der  Ausdruck  wird  doppelsinnig 
und  es  kann  daher  leicht  vorkommen,  dass  ein  Schriftsteller 
den  andern  missversteht. 

Bei  mehreren  von  diesen  Ausdrücken  ist  das  Schwanken 
der  Bedeutung  theils  nicht  beachtet  theils  die  ältere  weniger 
richtig  erklärt  worden.  Zur  Bezeichnung  des  Weltmeers 
diente  der  neuen  Auffassung  ausser  ^Q-aeavog  auch  rj  fXEyaXr] 
-d^alaooa,  s.  Skymnos  bei  Schol.  Apoll.  Rh.  IV  284.  Polyb. 
III  37,  11.  Cicero  rep.  III  74.  Plinius  bist.  III  74.  Favo- 
rinus  b.  Steph.  Byz.  707,  1  u.  a.;  der  älteren  Anschauung 
kann  das  ^grosse  Meer',  da  dieser  Ausdruck  das  Vorhanden- 
sein kleinerer  Meere  neben  ihm  voraussetzt,  nicht  wie  Klausen 
zu  Hekataios  p.  39.  148  und  Forbiger  I  49.  II  14  will 
das  ganze  Mittelmeer  sondern  nur  die  weiten  und  offenen 
Flächen  desselben  östlich  von  Hispanien  und  westlich  von 
Italien,  nördlich  von  Africa  und  südlich  von  Kreta  bezeichnet 
haben ,  im  Gegensatz  zu  den  engen  und  eingeschlossenen 
Theilen,  dem  Adria  Archipel  und  Pontus.  In  diesem  Sinne 
sagt  ein  Zeitgenosse  des  Aristoteles,  Herakleides  Pontikos 
bei  Plut.  Camill.  22  cctto  T^g  €G7t€Qag  loyov  xaraoxslvj 
wg  OTQUTog  s^  '^YTisQßoQscov  H^wv  e^co-^sv  fiQri^ei  noXiv  'E^- 
Xrjvida  Pwfxrjv  SKel  ftov  xariJj^rjfÄevrjv  tibqI  rr^v  fÄsyaXrjv  ^a- 
XaTtav;   ebenso    ohne   Zweifel    auch    Hekataios    bei   Arrian 


6r.  F.   Unger:     Der  Eridanos  in   Venetieu.  301 

exp.  AI.  IL  16,  5  vrjoov  Tiva  'EqvO-eiav  e^w  'lijg  i.L^yakrjg 
d^aXaoorjg.  Erst  ein  Spätling  wie  Orosias  I  1  konnte  niare 
magnum  und  mare  nostrum  für  völlig  gleichbedeutend  an- 
sehen. Auch  eine  andere  häufig  gebrauchte  Benennung 
des  Weltmeers,  i)  sxTog  oder  e^io  x^alaoaa  ( Aristot.  meteor. 
I  13.  Polyb.  III  37.  57.  XVI  29.  XXXVII  10.  Strab.  II 
5,  18  u.  a.) ,  ist  der  ältesten  Geographie  entlehnt  und  be- 
zeichnet in  dieser  dasselbe  wie  rj  f-ieyalrj  dalaoöa :  gleich 
dieser  Bezeichnung  findet  sie  sich  im  älteren  Sinuc  noch 
lange  nach  Herodot,  s.  Skylax  §  17  TvQQrjvla  sotI  diri- 
ycovGa  med  zr^g  e^codsv  &aXatT7jg  f'cog  eig  xov  ^Adqlav  '/.ol- 
Ttov  und  F-*lut.  Perikl.  26  ^tteI  jtavzelwg  '/.aTey.Xeiod^i]Gav  o« 
^afXLOL,  eTtXevoav  eig  cov  e^io  novrov^  eig  Kvtvqov  oxeXXo- 
fievog. 

Das  Kronische  Meer  setzen  Philemon  bei  Plinius  bist. 
IV  95  (vgl.  104),  Plut.  de  facie  in  orbe  lunae  26,  Ptole- 
maios  geogr.  II  2.  Agathemeros  II  14,  Claudian.  laud.  Stilic. 
I  479,  Dionys.  Per.  32  u.  a.  nördlich  von  Europa ;  wenn 
Apollouios  von  Rhodos  IV  327.  509.  548  es  bei  Istrien 
und  Illyrien  sucht,  so  wird  das  allgemein,  auch  von  Müllen- 
hofF  D.  A.  I  220,  als  Neuerung  des  Apollonios  betrachtet. 
Das  Verhältniss  ist  aber  gerade  umgekehrt.  Philemon,  der 
älteste  der  so  eben  für  die  nordische  Lage  des  Meeres  citirten 
Schriftsteller,  schrieb,  wie  Müllenhoft  p.  412  fg.  richtig  be- 
merkt, frühestens  im  ersten  Jahrhundert  vor  Christus:  er 
weiss,  dass  Morimarusa  ein  cimbrisehes  Wort  ist  und  todtes 
Meer  bedeutet  (Plinius  a.  a.  0.) ,  schrieb  also  wenigstens 
hundert  Jahre  später  als  Apollonios.  Die  Ansicht  des  letz- 
teren ist ,  wie  der  Scholiast  desselben  zu  IV,  1  behauptet, 
die  ältere :  7,aTrjv£x&r]Gav  eig  tov  LäÖQLCtv  xal  eTxsQaiwd^rjGav 
eig  ro  jtctXai  xaXovf.ievov  Kqovlov  ;  dies  wird  bestätigt  durch 
Aischylos  Prom.  836  evTev^ev  (von  Dodona)  olGTQtjGaGa 
xiqv  TtagaKTiav  yieXevd-ov  fl^ag  Ttqog  ^dyav  '/,6Xnov  jRf'ag? 
XQOvov  de  TOV  fxeXXovra  jtovxtog  fxvxog ,  Gacpwg  eTtiGzaGo^ 
.     [1878. 1  Philos.-philol.-hist.  Cl.  Bd.  II.  2.]  21 


302      Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  7.  Dceemher  1878. 

^lovLog  y.ey.li^oeTai,  vgl.  Tzetzes  zu  Lykophr.  630  ttqoteqov 
Kqoviog  y.at  '^Peag  yolnog  elsyero,  eiTa  ^loviog.  Der  Name 
hing  zusammen  mit  dem  sonst  unbekannten  aber  schwerlieh 
von  einem  Erklärer  erfundenen  einer  Insel  des  Adria  bei 
Eustath.  zu  Dion.  Per.  32  TtaQCc  ^TtoXltüvlw  svQr]Tai  Kqovia 
Xsyofiivr]  ^dlaooa  y,at  6  juvyog  tov  'Iovlov  xoXnov  ccTto  vrioov 
Tivog  Kqoviag  yaXovfAlvrjg  ttjv  TOLavrrjv  KXrjoiv  Xaywvj  und 
wurde  wohl  sammt  diesem  mit  der  Wohnung  des  Kronos 
im  hohen  Norden,  am  Sitze  der  Nacht,  zusammengebracht, 
vgl.  Schol.  Apollon.  IV  327  tov  ^ÖQiav  q^rjolv.  svTac^a 
yccQ  TOV  Kqovov  y,aTCü}ir]x€vai.  Den  veralteten  Namen  suchte 
man  später  nach  Erweiterung  der  geographischen  Kenntnisse 
nördlich  von  Britannien  und  Germanien;  zur  Zeit  als  man 
vom  Weltmeer  noch  nichts  wusste,  konnte  man  unter  dem 
nördlichen  Meer  nur  den  Adria  verstehen:  denn  dieser  ist 
der  am  weitesten  nach  Norden  sich  erstreckende  Theil  des 
Mittelmeers,  so  weit  es  zur  Zeit  der  Epiker  bekannt  war. 
Er  heisst  auch  geradezu  das  nördliche  Meer,  Plut.  Camill, 
16  T^Jv  ßoQsiov  daXaooav  l^Sglav  '/.aXovoiv,  ttjv  de  ^rgog 
voTOv  ysKliinevrjv  avTixQvg  TvQorjviycov  nfXayog,  eine  Benenn- 
ung, welche  nicht  von  Italikern  sondern  von  Griechen  aus- 
gegangen ist,  vgl.  Plin.  bist.  III  75  ab  eo  (Ligustico  mari) 
ad  Siciliam  insulam  Tuscum ,  quod  ex  Graecis  alii  Notium 
alii  Tyrreuum,  e  nostris  plurimi  inferum  vocant. 

Denselben  Trrthum  wie  Philemon  und  andere  mit  dem 
Kronischen  Meer,  hat  nach  unserer  Ansicht  Herodot  mit 
dem  ^Meer  im  Norden'  begangen,  in  welches  laut  Angabe 
seines  Gewährsmannes  der  Eridanos  mündet :  er  schiebt 
diesem  unwillkürlich  die  erweiterte  Kenntniss  Europas  ui^ter, 
zu  welcher  er  sich  selbst  aufgeschwungen  hat.  Dies  anz-u- 
nehmen  veranlassen  uns  zwei  Gründe.  Erstens  der  Um- 
stand, dass  das  ganze  Alterthum  mit  unbedeutenden  Aus- 
nahmen als  das  Meer,  dem  der  Eridanos  zufliesst,  den  Adria 
betrachtet:     uuter    den    älteren  Schriftstellern   nachweislich 


G.  F.   TJnger:  Der  Eridanos  in    Venetien.  303 

Euripides,  Herodots  Zeitgenosse,  und  vor  ihm  Pherekydes 
und  Aischylos. .  Zweitens  wie  Herodot  selbst  erklärt ,  dass 
so  viel  ihm  bekannt  sei  noch  kein  Reisender  ein  Meer  im 
Norden  Europas  gesehen  habe,  so  hatte  man  überhaupt  bis  da- 
hin vom  Weltmeer  weiter  nichts  kennen  gelernt  als  die  kurze 
Strecke  von  den  Säulen  des  Herakles  bis  zur  Südwestspitze 
Iberiens ;  wer  also  von  einem  Meer  im  Norden  sprach ,  der 
faselte  entweder  oder  er  meinte  den  Adria.  Herodot  aber 
hatte  noch  einen  besonderen  Anlass,  das  Nordmeer  in  seiner 
Weise  zu  deuten :  er  wusste ,  dass  der  Bernstein  ebenso 
wie  das  Zinn  vom  hohen  Norden  bezogen  wurde ;  drum  fügt 
er  zum  Schlüsse  hinzu :  l^  lo%arijg  d''  cov  o  ze  y,aooi' 
T€Qog  rifuv  (pOLta  Y.al  t6  rjXeKTQOv. 

Die  Frage,  wie  es  kommt  dass  die  ältesten  Schriftsteller 
als  Fundstätte  des  Bernsteins  eine  Gegend  am  Adria  be- 
zeichnen, während  schon  zu  Herodots  Zeit  derselbe  nur  aus 
dem  hohen  Norden  bezogen  wurde,  haben  schon  unter  den 
Alten  manche  zu  beantworten  gesucht.  Plinius  XXXVH  44 
meint,  man  habe  desswegen  Venetien  für  die  Heimat  des 
Elektron  angesehen,  weil  dort  die  Frauen  dasselbe  vielfach 
theils  als  Schmuck  theils  als  Amulet  trugen ;  ähnlich  Solinus 
20,  10:  weil  man  den  Bernstein  dort  zuerst  gesehen  habe. 
Beide  schöpfen  aus  gleicher  Quelle;  sie  fügen  hinzu,  dass 
er  den  Venetern  aus  Pannonien,  einem  Hauptstapelplatz 
dieses  Artikels,  zugekommen  sei.  Neuere  behaupten,  im 
Anschluss  an  diese  Meinung,  von  Pannonien  aus  habe  er 
durch  den  Handel  den  Weg  an  die  Pomündungen  gefunden ; 
dort  hätten  ihn  die  Phoiniker  in  Empfang  genommen  und 
den  ältesten  Griechen  zugeführt.  Pannonien  und  Venetien 
war  aber  nur  für  Italiker  und  Römer  das  Durchgangsland 
und  an  diese  denken  Plinius  und  Solinus,  wie  auch  letzterer 
von  Venetien  ausdrücklich  sagt :  quod  ibi  primum  nostri 
viderant,  ibi  etiam  natum  putaverunt.  Zu  den  Griechen 
führte  der  Weg   von    der  Ostsee   nicht  über  die  illyrischen 


304      Sitzung  der  philos.-philöl.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

Küsten,  geschweige  denn  über  Venetien.  Wir  keimen  keine 
Erklärung,  welche  es  wahrscheinlich  macht,  dass  man  irr- 
thümlich  dies  Land  für  eine  Fundstätte  des  Bernsteins  ge- 
halten, und  vermuthen  daher ,  dass  einst  wie  an  so  vielen 
andern  Gestaden  auch  am  Strande  Venetiens  der  Bernstein 
sporadisch  gefunden  und  diese  Gegend  daher  als  die  den 
Griechen  nächste  von  einem  oder  dem  andern  für  das  eigent- 
liche Vaterland  des  kostbaren  Steines  gehalten  worden  ist 
Aehnlich  ging  es  mit  den  Bernsteinfunden  der  deutschen 
Nordseeküste.  Diese,  nicht  das  Samland,  ist  wie  MüllenhoiF 
zeigt  die  Bernsteingegeud  des  Pytheas  und  Timaios;  trotz 
ihrer  geringfügigen  Ausbeute  erklärt  Diodor  V  23  darauf 
hin:  hier  und  nirgends  anders  auf  der  Erde  ist  die  Heimat 
des  Elektron. 


Sitzungsberichte 


der 


königl.  bayer.   Akademie  der  Wisseuschaften. 


Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  vom  7.  December  1878. 


Herr  L  a  u  t  h  hielt  einen   Vortrag  über : 

Die    ägyptische  Tetraeteris. 

Im  Verlaufe  meiner  Untersuchungen  ^)  über  die  chrono- 
logischen Denkmäler  Aegyptens  musste  das  wichtige  Element 
der  Tetraeteris  öfter  erwähnt  und  besprochen  werden. 
Da  der  Unterschied  des  Wandeljahres  vom  fixen  Sothisjahre 
in  dem  Vierteltage  gipfelt,  dessen  viermalige  Wiederholung 
den  Schalttag  und  damit  zugleich  den  vierjährigen  Schalt- 
cyclus  der  Tetraeteris  gestaltet,  so  ist  ersichtlich,  dass  dieser 
Zeitkreis  das  Fundament  der  ägyptischen  Chronologie  bildet, 
aus  welchem  die  Hoffnung    auf  endgültige  Feststellung  der 


1)  „Les  Zodiaques  de  Denderah"  1865.  —  ,,Die  Schalttage  des 
Euergetes  I  unl  des  Augustus".  —  „Die  Sothis-  oder  Siriusperiode" 
1874.  —  „König  Nechepsos,  Petosiris  und  die  Triakontaeteris"  1875 
(Sitzungsberichte).  —  Vergl.  auch  Boeckh's:  „lieber  die  vierjährigen 
Sonnenkreise  der  Alten"  Berlin  1863. 

[1878.  I  Philos.-phil.-hist.Cl.  Bd.  IL  3.]  22 


306        Sitzung  der  phüos.-jihüol.  Classe  vom  7.  Deceniber  1878. 

Zeitreihe  erwächst,  und  dass  folglich  die  specielle  Behand- 
lung dieses  Themas  sich  um  so  mehr  empfiehlt,  als  das 
ägyptische  Quadriennium  zugleich  einen  integrireuden  Theil 
der  Sothisperiode  bildet.  Ich  habe  um  so  dringendere  Ur- 
sache und  Veranlassung,  dieses  in  Angriff  zu  nehmen,  als 
ich  in  einem  grösseren  Werke  ^)  die  vollständige  Reihe  der 
Epochen  aufgezeigt  habe,  welche  selbst  wieder  nur  durch 
die  vierjährige  Verschiebung  der  beiden  ägyptischen  Jahres- 
formen zu  gewinnen  waren.  Es  kommt  also  darauf  an,  den 
Nachweis  zu  lieferD,  dass  die  Aegypter  sich  der  vierjährigen 
Periode  oder  Tetraeteris  bewusst  gewesen  sind  und  auf  welche 
Weise  sie  dieses  zum  Ausdrucke  gebracht  haben.  Da  die 
Theorie  fast  erledigt  ist  ,  so  werde  ich  mich  hauptsächlich 
auf  praktische  Beispiele  beschränken  und  diese  gleichsam 
rückläufig,  d.  h.  von  der  jüngeren  Zeit  zur  älteren,  auf- 
steigend, vorführen ,  wobei  ich  mich  indess  auf  das  Noth- 
weudige  beschränke. 

T. 

Die  Existenz  d^r  Tetraeteris  bei  den  Aegyptern  wird 
zunächst  durch  eine  Stelle  des  Horapollon  II  89  bezeugt, 
wo  er  uuter  der  Ueberschrift  Ttwg  avd-QWTtov  KrjOavTa  ze- 
Xelov  ßtov  (orjf^aivovai)  die  Antwort  ertheilt,  dies  geschehe 
durch  die  Zeichnung  einer  todten  Krähe;  denn  diese  lebe 
hundert  Jahre:  to  Ss  erog  /.ax  AlyimTiovg  TeTTCcQov 
Ev lav TW V.  Er  gibt  also  dem  fcVog  den  Umfang  von  vier 
8viavTol,  womit  doch  nichts  Anderes  als  die  Tetraeteris 
gemeint  sein  kann.  Nur  bleibt  fraglich ,  ob  der  Beisatz 
xaz'  AlyvTtULOvg  sich  nur  auf  die  jüngere  dem  Horapollon 
zunächst  liegende  Zeit  bezieht,  oder  auch  auf  die  früheren 
Jahrhunderte  und  Jahrtausende  der  ägyptischen  Geschichte 
anwendbar  sei.    Ich  nehme  das  Erstere  an  und  glaube,  dass 


2)  „Aegyptische  Chronologie"  1877. 


Lauth:  Die  ägyptische  Tetraeteris.  307 

der  im  vierten  nachchristliclien  Saeculnm  lebende  Verfasser^) 
nur  den  vierjährigen  Schaltcyclus  gemeint  hat,  wie  er  seit 
der  Kalenderreform  unter  Augustus  (25  v.  Chr.)  in  Aegypten 
üblich  war,  in  Folge  dessen  alle  vier  Jahre  ein  sechster 
Epagomen  eingeschaltet  wurde. 

Ein  kleines  bilingues  Denkmal^)  des  Bulaqer  Museums 
besagt  im  griechischen  Texte ,  dass  ein  gewisser  Apollonios 
mit  dem  Titel  yiiß^oyqa^^axEvg  einen  Bau  hergestellt  habe 
L  ZZ  Ttßeqiov  KaioaQog  ^sßaOTOv  Tvßrj  lt].  Der  demoti- 
sche Text  ist  ausführlicher,  wie  Brugsch  in  seiner  Mit- 
theilung scbon  bemerkt  hat,  auch  in  BezAig  auf  das  Datum; 
denn  er  besagt:  ,,Im  Jahre  17  des  Tiberios  Kaisaros  des 
(Sohnes  des)  Gottes  (Augustus),  am  18.  Tybi  des  Joniers 
(pe-üinen),  welches  gleich  ist  dem  1.  Mechir  des  Aegypters.'' 
Die  sehr  einfache  Berechnung  dieses  Doppeldatums  ergibt 
den   13.  Januar  31   n.  Chr.  des  julianischen  Kalenders. 

Die  Verschiebung  beträgt  14  Tage  oder  14  X  4  =  56  Jahre: 
genau  so  viele,  als  zwischen  25  v.  Chr.  und  31  nach  Chr. 
liegen.  Ist  schon  hiemit  die  Tetraeteris  bewiesen,  so  gibt 
die  Gegenüberstellung  von  ,,Jonier''  und  ,,Aegyptier"  zu- 
gleich die  Thatsache  an  die  Hand ,  dass  das  seit  Augustus 
fixirte  Jahr  seinen  Namen  von  den  alexandrinischen Griechen 
erhielt,  während  das  Wandel  jähr  als  das  eigentlich  ,,aegypt- 
ische"  bezeichnet  wurde.  Dieses  galt  natürlich  auch  als 
das  ältere,  daher  statt  xair'  ^lyvTctlovg  öfter  Kaz'  aQxalovg^ 
sowie  statt  xöt'  Läle^avdqdg  auch  xazr«  tlov  ^EXXtjvcov  (sie !) 
getroffen  wird. 

Wenn  also  Horapollon  II  89  den  Ausdruck  xöt'  ^lyvTt- 
TLOvg  gebraucht,  so  scheint  es,  dass  er  zugleich  das  alte 
Wandeljahr  im  Auge  gehabt  habe.  Da  jedoch  vier  ägyptische 


3)  Vergl.  meine   akad.  Abhandlung:  „Horapollon"    1876    (Januar- 
Sitzungsberichte). 

4)  Zeitschr.  f.  ägypt.  Sprache.  1872,  27—29. 

22* 


308       Sitzung  der  philöl.-philos.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

Wandeljahre  nur  in  Rücksicht  auf  den  stabilen  Hintergrund 
des  fixen  Sothisjahres  eine  Einheit  bilden ,  so  ergibt  sich 
daraus  die  Schlussfolgerung,  dass  Horapollon  das  ägyptische 
Doppeljahr  gekannt  und  bezeichnet  hat.  Ist  dies  ja  noch 
viel  später  in  Anwendung  gekommen !  Denn  die  Berech- 
nung des  Sothisaufgangs  am  29.  Epiphi  durch  den  Mathe- 
matiker Theon  von  Alexandrien,  sowie  die  25jährigeu  Cyclen 
der  Handtafeln  des  Ptolemaeus,  dessen  Alraagest  jener  com- 
mentirte,  ergeben,  zusammen  combinirt,  wieder  das  ägypti- 
sche Doppeljahr  und  zwar  so,  dass  das  Wandeljahr,  wie  es 
nicht  anders  möglich  war ,  unter  einer  einzigen  Form  er- 
scheint, während  das  fixe  Jahr  in  zwiefachem  Sinne  auftritt, 
als  alexaudrinisches  und  als  Sothisjahr.  Gerade  so  dürfen 
wir  die  Stelle  des  Horapollon  TI  89  deuten:  t6  ydq  cTog 
xöt'  ^lyvTT'ciovg  xecTaqcov  {ßoriv)  sviavTcov.  Jedenfalls  ist 
durch  Obiges  die  Existenz  der  Tetraeteris  für  den  Zeit- 
horizont des  Verfassers  erhärtet. 

Noch  näher,  weil  phonetisch,  wird  der  vierjährige  Schalt- 
cyclus  bezeichnet  in  einer  anderen  Stelle  Horapollon's  I  5, 
die  ich  im  ,,Manetho,"  „Horapollon"  und  in  „Trojas  Epoche" 
bereits  erörtert  habe.  Sie  lautet:  Erog  t6  iviOTainevov 
yqacpovTeg^  xkxaqxov  ccQOvqag  yQaq)ovOiv  .  .  .  ßovl6f.ievot  xe 
erog  ehcelv,  ztxaQTOv  (aQOVQag)  Isyovoiv^  eneLÖri  cpaoi^  yiaxa 
rvjv  dvaTolrjv  lov  aoiQOv  xtjg  ^co^ecog,  i^ey^Qi  xrjg  dXlrjg 
dvaroli^g,  t ixaqxov  rj^dqag  jCQogvid-eo&ai^  cog  eivai  t6  exog 
Tov  dsov  TQiaKOolcüv  e^Tjxovxa  /tevzs  iqiusQcov '  o&ev  yial  did 
TeTQasxrjQiSog  7reQiGorjv  rjjLieQav  aQLx)^(ÄOVöiv ^lyvmioi  '  %d 
yccQ  xioaaQa  %i%a{jxa  i^iueQav  CiTtaQxitei. 

Mit  Beiseitelassung  des  Kritischen,  z.  B.  dass  dieConjectur 
des  Salmasius  hinter  ,,365  iqixeoiZv  ein  %al  xexdqxov  —  gegen 
alle  Codices!  —  einzuschieben,  unnöthig  sei,  beschränke  ich 
mich  auf  die  Constatirung,  dass  Horapollon  hiemit  uns  die 

Phonetik   ß  g"^  h a  s o  p   ,,ein  Viertel  Ackers"  als  a e  n  i  g - 


Lauth:  Die  ägyptische   Tetraeteris.  309 

matiscbe  Bezeichnung  des  A.ufangsjahres  der  Tetraeteris 
darbietet-  Brugsch  hatte  darin  den  Begriff  annee  future 
zu  sehen  geglaubt,  was  allerdings  zu  sviOTaj^evov  erog  annus 
instans  stimmt.  Indess  scheint  es  mir,  dass  der  Bestandtheil 
svi  aus  der  Glosse  ivLavTog  abgekürzt  od.  fälschlich  (statt  to  ev?) 
in  den  Text  gekommen  ist.  Vergl.  weiterhin  das  koptische 
d^ct^cooT!    annus  primns.     Denn  in  der  That  treffen  wir 

die  Gruppe  '^^  g  ©  ha-sop  mit  den  Varianten  ^^^'  j^ 
und  i  ^?i^  als  Ausdruck  für  das  erste  Jahr  einer  Te- 
traeteris in  der  jüngeren  Zeit ,  der  der  Ptoleraaeer,  öfter. 
Ich  citire  aus  der  grossen  Inschrift  von  Edfu  ^},  welche  der 
Zeit  des  Neodionysos  anzugehören  scheint,  auch  des  Caesarion, 
wie  Naville  annimmst  —  sowie  des  Augustus  —  und  den  Kampf 
des  Horus  wider  Typhon  zum  Gegenstande  hat,    die  Stelle: 

^-^  \a  nnn  ill  '^  f  \   °  1  ■?"  '^   ^cl-  sop    363    en 

nnn  ^  ^^     -^  *  ^^^ 

Repa  Ba-HarmacM  anch-djet  ,, Leitjahr  363  des  Stamm- 
halters Ra-Harmachis  des  ewig  lebenden".  Dieses  Datum 
bezieht  sich  auf  den  siegreichen  Zug  des  Horus  wider  Typhon. 
Fasst  man  es  mit  mir  als  Bezeichnung  der  „Tetraeteris  363'', 
so  ergibt  sich  die  gewiss  überraschende  Erscheinung,  dass 
diese  göttliche  That  auf  den  3.  Epagomen  des  Wandeljahres 

verlegt  ist,  welcher  als  fn  '  P:nJ  „Geburt  des  Set-Typhon" 
bezeichnet  wird  —  um  so  passender,  als  der  nächst  voran- 
gehende   Tag:    der    2.   Epagomen,    die    Signatur  (n   '  ^^ 

,, Geburt  des  Horus"  trägt.  Hiemit  ist  bewiesen,  dass  dem 
Horus,    der   ja   ohnehin   der  Repräsentant    aller  Götter    ist 

—  ^^  steht  in  jüngerer  Zeit  stets  für     |  nuter  UOT^  deus  — 

die  Durchschnittsdauer  einer  1460jährigen  Sothisperiode  eignet. 

5)  Naville,  textes  relatifs  ä  Horus  pl.  XII. 


310        Sitzung  der  philos -philol.  Glasse  vom  7.  December  1878. 

Aber  ausserdem,  dass  hiedurch  ein  bisher  unverstan- 
denes Datum  seine  rechte  Deutung  erhält,  wird  auch  das 
koptische  di».c?i^O)OTi  primus  annus  dadurch  authentisch  er- 
läutert, indem  dieses  Compositum  sich  als  Abschleifang  aus 

einem  ursprünglichen  g^esw-ct^iooTi  —  ^  q  ©  ^^  ha-sphoui 

darstellt.  Da  nun  die  Endung  OTi  in  älterer  Zeit  dem 
Dualis  eignet ,  so  scheint  es ,  dass  q  "@  s  o  p  con  vicissi- 
tudo  eigentlich  eine  Zeit  von  2  Jahren  ausdrückt.  Aber 
auch  in  dem  Falle,  dass  OTi  einen  Plural  bezeichnet,  wie 
^fiHO'y!  opera  von  g^iofe  opus,  bleibt  der  Gruppe  ha-sphoui 
die  Bedeutung  ^^dux  (g^H,  £ä.)  vicium"  d.h.  Vorjahr,  Leit- 
jahr, Anfangsjahr,  gerade  wie  es  Horapollon's  [sv]loTaiii6vov 
srog  bezeichnet.  Abgesehen  von  Redensarten  wie  eviaxaod^aL 
bdov  ,, einen  Weg  antreten"  und  mit  Berücksichtigung  der 
Conjectur :  kxog  t6  [hiavTov  tov]  lorafAEvov^  leitet  schon  der 
Ausdruck  lorafÄevov  im  Gegensatz  zu  cpd^ivovTog  (^rjvog)  auf 
den  Begriff  „Anfangsjahr".  Man  wird  es  daher  nicht  miss- 
billigen können,  dass  ich  in  ,,Troja's  Epoche"  des  Eratosthenes 
ro  TiQorjyovixEvov  ezog  Ttov  TtQWTcov  'OlvfiTiuov  mit  Horapollon's 
To  [ev]iOTa/u£vov  erog  parallel  gefunden  und  durch  Diodor's 
I,  4  TtQorjyovfdsvai  TQslg  ßlßXoi  erläutert  habe. 

Betrachten  wir  jetzt  noch  einmal  das  Datum  ,,hasop  368^'' 
des  Textes  von  Edfu ,  so  werden  wir  überzeugt  sein ,  dass 
damit  wirklich  die  3  63.  Tetraeteris  einer  Sothis- 
periode  gemeint  ist.  Es  vertritt  also  in  diesem  Falle  das 
hasop  oder  „Leitjahr"  zugleich  die  drei  weiteren  Jahre  der 
Tetraeteris,  wie  wir  ja  analog  mit  dem  Schlussjahre  den 
ganzen  vierjährigen  Schaltcyclus  bezeichnen  können,  so  dass 
z.  B.  ein  am  29.  Februar  Geborener  mit  80  Jahren  seinen 
20.  Geburtstag  feiert. 

Um  die  Bedeutung  des  koptischen  [g^Jd^ct^woTi  primus 
annus  noch  besser  hervortreten  zu  lassen,  ziehe  ich  ein  ver- 


Lauth:  Die  ägyptische  Tetraeteris.  311 

wandtes  Beispiel  ans  Denderah  hieher.  In  der  grossen  Wand- 
inschrift ®)  ist  die  Rede  von  der  Treppe ,  welche  zum  Saale 

führt.     In  diesen  wird  ,, eingetreten  von  Seiten  ^  |j  =     4 

der  Hathor,  der  Herrin  von  Denderah;  es  ist  der  Götter- 
kreis  auftauchend    hinter   ihr,    nachdem    sie    geschaut    die 

Strahlen  ihres  Erzeugers  (des  Sonnengottes)  |  2  ^  U  ^ö^  ]  m 

ter  n  uan  VIII  u  „zur  Zeit  des  Umkehrens  der  (acht)  Jahre", 

Das  Zeichen  ],    ein    umgekehrtes    ■|^),  zeigt  acht  Kerbe, 

die  ich  auf  die  acht  Jahre  einer  Doppeltetraeteris  be- 
ziehe. Nun  beachte  man  den  koptischen  Ausdruck  g^Ä.  -  n  - 
OTWüioiT!  annus  vertens.  Es  ist  nicht  der  Plural  von 
othott  hora ,    wie  Parthey  in  seinem  Lexicon  meint ,    mit 

Praefigirung  des  articulus  indefinitus  pluralis  g^^^w,  sondern 
es  ist  so  zu  trennen,  wie  ich  es  gethan  habe,  und  ein  ur- 
sprüngliches ^"^-^  V  V  H  ^^  \\  ^<^*"^-^^*^^^^  dux  (princeps) 
anniversariorum  vorauszusetzen.  Die  nicht  abzuweisende 
Analogie  dieses  g^dw  -  ti  -  OTTitcooir!  mit  g^Ä.-(ii)-ct^iooir!, 
besonders  nach  Einsetzung  des  facultativen  w,  im  Zusam- 
menhalte   mit   den    8  Kerben  L    gewährt    uns    die    Ueber- 


6)  Dümichen  in  Zeitschr.  f.  ägypt.  Sprache.  1876,  34. 

7)  Aehnlich  wird  wohl  die  Gruppe  I^IJ  a/  I  (ßrugsch ,  Drei  Fest- 
kalender Taf.  X,  11)  als  „eine  Menge  von  Tetraeteriden"  zu  fassen  sein, 
indem  der  Schreiber    statt  des   j    mit  4  Kerben  das  Zeichen    I    gesetzt 

hat.  Damit  harmonirt  es,  dass  col.  13  die  analoge  Gruppe  Mm 
en  heh-sed  d.  h.  „eine  Menge  von  Triakontaeteriden"  folgt.  Erst  col.  28 
steht  Mm  ^^'^'^^  1  ffi  „eine  Menge  von  (Einzel-)  Jahren  " 


312        Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  7.  December  1878. 

Zeugung,  dass  uan  „Wendung,  Urakelir'^  die  ganze  Te- 
traeteris  bezeichnet,  während  s o p  die  halbe  Tetraeteris 
zu  vertreten  scheint.  Es  ist  auch  wohl  zu  beherzigen,  dass 
,,die  Zeit  der  Doppelwendung"  in  Verbindung  steht  mit 
dem  symbolischen  Akte  des  Hinauftragen s  der  Hathor  auf 
das  Tempeldach  von  Denderah ,  um  den  heliakalischen 
Frühaufgang  der  Hathor- Sothis  zu  versiunlichen.  Denn 
der  Tempel  von  Denderah  eignet ,  wie  ich  schon  in  den 
,,Zodiaques  de  Denderah"  dargethan  habe,  dem  chronologisch 
wichtigen  Akte  der  Siriusbeobachtung,  welche  den  Unter- 
schied der  beiden  Tetraeteriden  um  */4  oder  1  Tag  frühzeitig 
ergab  und  die  gesammte  Chronologie  Aegyptens  auf  unver- 
rückbarer Grundlage  herstellte. 

Ebenso  ausgemacht  ist  die  Wechselbeziehung  der  beiden 
Heiligthümer  von  Denderah  und  Edfu  (Apollinopolis  magna). 
Die  gegenseitigen  Besuche  des  Horus  und  der  Hathor  be- 
deuten nicht  etwa  leere  Caerimonien,  sondern  sind,  wie  ich 
schon  in  meinen  ,,Aegyptischen  Reisebriefen"  hervorgeboben 
habe,  von  eminent  chronologischer  Wichtigkeit.  Indem  ich 
mich  auf  den  Nachweis  der  Tetraeteris  beschränke  und  mit 
dem  jüngsten  Beispiele  beginne,  um  allmälig  zu  den  älteren 
aufzusteigen,  treffe  ich  zuerst  auf  das  25.  Jahr  des  Ptole- 
maeus  XIH  Neos  Dionysos.  Am  Pylone  des  Tempels  von 
Edfu  findet  sich  eine  Inschrift,  deren  Enträthselung  ich  zu- 
erst ^)  unter  der  Aufschrift  „Ueber  aenigmatische  Datirungen" 
in  Angriff  genommen  habe.  Der  Text  besagt ,  dass  die 
Vollendung  der  beiden  Thürflügel  des  Eingangsportales, 
sowie  das  sich  daran  schliessende  Baufest  stattgefunden  hat 


8)  Ztsch.  1865,  78.  Es  freut  mich  constatiren  zu  können,  dass 
mein  Vorgang  später  (1870—1872)  so  folgenreiche  Erweiterung  in  den 
Aufsätzen  vmi  Brugsch  und  Dümichen  erfahren  hat. 


Lauth :     Die  ägyptische   Tetraeteris.  313 

„Tag  diesen  glücklieben  im  Anfangs- Jahre  (hasop)  25,   Vso 
des  Kahika.'* 

AAAAAA  „ 

Anderwärts  ist  geradezu  '  '^  '  ^liJo  f  ^'  ^'  ^^^  ^'  ^^^i^^^ 
und  als  Bauherr  Ptolemaeus  XIII  Neos  Dionysos  mit  seiner 
Gattin  Kleopatra  Trupaina  (TQtg)atva)  genannt.  ^) 

Nun  trifit  aber  das  25.  Jahr  des  Ptolemaeus  XIII, 
welcher  im  Jahre  82  v.  Cbr  zur  Regierung  gelangte,  mit 
dem  Sommerjabre  57-56  v.  Cbr.  zusammen  und  dieses 
bildet  in  der  That  den  Anfang  ein  er  Tetraeteris. 
Freilich  darf  man  nicht  mit  Einigen  z.  ß.  Lepsius  und 
Dümichen,  den  Beginn  der  Sotbisperiode  mit  dem  Jahre 
1322  V.  Cbr.  zusammenfallen  lassen,  —  in  diesem  Falle 
würde  das  25.  Jahr  des  Neos  Dionysos  nicht  das  Anfangs- 
jabr,  sondern  das  Schlussjahr  einer  Tetraeteris  bezeichnen 
und  die  Tetraeteris  würde  unpassend  mit  einem  Schalt- 
jahre beginnen  --  sondern  man  muss,  wie  ich  mit  Des 
Vignoles,  v.  Gumpach  und  Junker  stets  getban ,  z.  B.  bei 
Gelegenheit  der  Besprechung  des  Jahres  25  v.  Chr.  als 
Epoche  der  Kalenderreform  unter  Augustus,  und  des  Jahres 
5  V.  Chr.  als  Epoche  des  Augustus  -  Harmais,  als  erstes 
Quadriennium    1325  —  1322  v.  Chr.    ansetzen.      Ich   denke, 

unser    vorliegendes    Datum,     worin    ,,Jabr    25"    ein     |"^^ 

hasop  oder  ,, Anfangsjahr'',  zwingt  zur  Annahme  des  rich- 
tigen Ansatzes  1325—1322  v.  Chr.  Vergleicht  man  dieses 
Datum  mit  dem  oben  besprochenen  ,,hasop  363"  so  er- 
gibt sich  der  Unterschied,  dass  dort,  weil  in  einer  Götter- 
geschichte, das  ,, Leitjahr"  zugleich  die  ganze  Tetraeteris 
mitbezeichnet,  während  hier,  bei  der  Datirung  eines  mensch- 
lichen Dynasten,    hasop   seine   eigentliche  Bedeutung    als 


9)  Ztsch.  1870,  12.  Die  aenigmatische  Bezeichnung  des  1.  Choiahk 
als  „VsodesKahika"  deutet  selbst  auf  die  hanti,  d.  h.  die  120  (30x4) 
jährige  Verschiebung  hin. 


314     Sitzung  der  philos.-pMlol.  Glasse  vom  7.  JDecember  1878. 

einzelnes  „Leitjahr''  an  der  Spitze  der  betreffenden  Tetrae- 
teris  behauptet  Glücklicherweise  bietet  uns  der  grosse 
Bautext  ^^)  des  Edfutempels  noch  weitere  Beispiele  dieser 
eigentlichen  Bedeutung.  Die  Grundsteinlegung  des  Yorder- 
saales,  welcher  die  Mitte  der  Seiteukapellen  bildet,  fand  statt 


l'^    ^    ö  i^  m  „hasop  30,  den  9.  Payni'' des  Königs 

Ptolemaeus  IX  Euergetes  IL  Das  30.  Jahr  dieses  Königs, 
welcher  seine  Jahre  von  170  v.  Chr.  an  rechnete  und  zählte, 
entspricht  dem  Jahre  141/140  v.  Chr.  und  dieses  ist  richtig 
wieder  das  Anfangs  jähr  einer  Tetraeteris,  und  desshalb 
als  h  a  s  o  p  bezeichnet. 

Weiter  aufwärts  steigend,  treffen  wir  als  Datum  der 
Aufrichtung    des   grossen  Holzthores  und  der  beiden  Thür- 

flügel  des  12  säuligen  Saales:  1  if^'  '^  "j,"  (Wl  ^  "^  () 

„hasop  5,  ^/3o  des  Monats  Seh afb et  (Tybi)  (des  Königs 
Ptolemaeus  VII  Philometor).  Da  sein  5.  Regierungsjahr 
mit  dem  6.  October  177  v.  Chr.  beginnt,  so  sieht  man 
augenblicklich,  dass  damit  eine  Tetraeteris  anhebt,  also 
die  Bezeichnung  hasop  gerechtfertigt  ist,  da  von  177  bis 
174  eine  Tetraeteris  läuft. 

Aus  diesen  vier  Beispielen  ergibt  sich  mit  Nothwendig- 
keit  die  Schlussfolgerung,  dass  hasop  in  den  Texten  von 
Edfu  regelmässig  das  „Anfangs-''  oder  „Leitjahr",  also  eine 

Tetraeteris  bezeichnet,  und    |  ^j^  nicht  eine  blosse  Spie- 


10)  Ztsch.  1870  Tafel  II  lin.  37    und  lin.  26  niitgetheilt  und  be- 
sprochen von  Dümicben. 

11)  In  dem  Paralleltexte  (Dümichen  Tempelinsch.  XCV,  17)  steht 

abgekürzt   ]  (ohne  "^j^)  tind  dabei  I  I  |  i  1 1  sehs  Jahresstriche.     Da  nur 

5  richtig  sind,  so  liegt  entweder  ein  Fehler  vor,  oder  einer  der  6  Striche 


gehört  zu    j 


Lauth:    Die  ägyptische  Tetraeteris.  315 

lerei  für  ]  q  ist,    die  gewöhüliche  Schreibung  von   „Jahr'\ 

Zugleich  wirft  sich  hier  die  Frage  auf  und  erheischt  Beant- 
wortung, warum  bisher  nur  in  den  Texten  von  Edfu  sich 
diese  Bezeichnung  hasop  für  das  erste  Jahr  des  vierjährigen 
Schaltcyclus  gefunden  hat.  Die  Baugeschichte  des  betreffen- 
den Tempels  hilft  uns  auf  die  Spur. 

Herr  Dümichen  hat  überzeugend  dargethan,  dass  der 
Gründer  des  Neubaas  zu  Edfu  Ptolemaeus  III  Euergetes  I 
gewesen  ist.  Sowohl  die  eigentliche  Bauurkunde  nennt  sein 
10.  Jahr,  als  auch  die  zweite  Zeile  der  Ganginschrift,  und 
jedesmal  ist  der  7.  Epiphi   als  Datum    genannt.     Der  voll- 

ständige  Text  lautet:  |  ^^.^l  2  T  nTnl^;!  O  P 
^■"^S^l^  [ptolemaeus  III  Euergetes  Oj  ^  1  f 
0  r    ,"]  ]^  ^  »  ^  —  l]^  (Ptolemaeus  IX  Euergetes  1 1  j  ' 

„Tag  diesen  glücklichen  im  Jahre  10,  Vs  +  Vao  des  Api 
(Epiphi),  zur  Zeit  des  Königs  Ptolemaeus  III  Euergetes  I, 
welcher  war  der  Vater  des  göttlichen  Erzeugers  vom  Vater 
des  Königs  Ptolemaeus  IX  Euergetes  II."  Zwischen  den 
beiden  genannten  Königen  stehen  Ptolemaeus  IV  Philopator, 
Ptol.  V  Epiphanes  und  Ptol.  VII  Philometor,  letzterer  als 
älterer  Bruder  des  Ptol.  IX  Euergetes  II.  Der  Text  nennt 
also  richtig  Ptol.  III  ürgrossvater  des  Ptol.  IX  und  bedarf 
der   Correctur   nicht,    die   ihm  Dümichen  angedeihen  lassen 

will,  indem  er  noch  einmal  öl  tef  ,,Vater'^  einsetzt,  ein 
sehr  missliches  Expediens !  Man  darf  nur,  wie  ich  gethan, 
I  n^  ^^^  selbstständiges  Glied  der  Serie  und  nicht  als  Appo- 
sition zum  ersten  tj  8  tef  „Vater*^  auffassen,  so  ist  Alles 
in  der  Ordnung. 


316      Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

Nun  zur  Beantwortung  der  Frage :  warum  erst  in 
Edfu  die  Tetraeteriden  durch  liasop  bemerklich  gemacht 
sind.  Die  Inschrift  von  Tanis  (Decret  von  Kanopus)  be- 
lehrt uns  in  authentischer  Weise,  dass  Ptolemaeus  III  Euer- 
getes  I  (als  Vorläufer  des  Augustus)  zuerst  die  Kalender- 
Reform  eingeführt  hat,  wonach  das  fixe  Jahr  zu  365  V^  Tagen 
oder  der  vierjährige  Schaltcyclus  zu  1461  Tagen  auch  für 
das  bürgerliche  Leben  Geltung  haben  sollte.  Da  also  das 
Wandeljahr  hiemit  verschwand,  so  machte  sich  das  Bedürf- 
niss,  die  Anfaugsjahre  jeder  Tetraeteris  zu  notiren,  besonders 
geltend  und  als  Bezeichnung  dieser  Neuerung  wählte  man 
hasop,  jene  Gruppe,  die  ich  sattsam  besprochen  habe. 
Es  fehlt  aber  auch  nicht  an  Beweisen,  dass  gerade  in  Edfu, 
selbst  nach  Ptolemaeus  III  Euergetes  I,  das  fixe  Jahr  noch 
in  Uebung  geblieben  war. 

Der  ganze  innere  Tempelbau,  mit  Ausschluss  des  später 
zugefügten  18  säuligen  Saales,  wurde  fertig  gestellt  im  Jahre 
28,  den  18.  Mesori  des  Königs  Ptolemaeus  IX  Euergetes  IL 
Dieses  Datum  kehrt  öfter  wieder  und  zwar  in  doppelter 
Gestalt  ^'^),  indem  dafür  bisweilen  der  23  Epiphi  eintritt, 
was  sich  nur  durch  Annahme  des  Doppeljahres  erklärt. 
Die  mittels  der  Mondeponymien  ausgedrückten  Daten  stellen 

sich  so  dar  :  \\  ^^.^  A  |  ,^'==^  ^^^^  '-"  ß  ^ 

— -  ^g  O  =  ^?  \j^  y  —  TTT  ^^  "^^^  Aahfest  des 
4.  der  Schomsaison  (Mesori)  ~  ^/2  +  Vio  des  4.  der  Schom- 
saison  —  2.  Dena-Fest  =  d.  23.  Epiphi".  Brugsch  dachte 
wegen  der  Mondeponymie:  2.  Denafest  --  23.  Epiphi,  an 
die  Gleichung:  „Anno  28  Ptolemaei  IX,  18.  Mesori  (vagus) 
—  25.  Epiphi  anni  lunaris".  Allein  seine  Rechnung  ergibt 
kein  zufriedenstellendes  Resultat,  und  auch  an  sich  betrachtet, 


ö  IUI 


12)  Ztsch.  1872,  14/15  und  41. 


Lauth:     Die  ägyptische  Tetraeteris.  317 

liegt  in  der  Anbringung  der  Mondeponyraien  kein  Zwang, 
an  das  Mondjahr  zu  denken,  da  ja  der  18,  Mesori  eben- 
falls durch  eine  Mondeponj^mie  bezeichnet  ist  und  doch 
nicht  wieder  auf  das  Mondjahr  gedeutet  werden  kann. 
Dümichen  fasste  das  Doppeldatum  von  Anfang  an  richtig, 
indem  er  den  18.  Mesori  dem  Wan  delj  ahre,  den  23.  Epi- 
phi  hingegen  dem  fixen  Jahre  zuwies.  Ich  habe  in 
meiner  Abhandlung  ,,Die  Schalttage  des  Euergetes  I"  p.  71 
not.  15  zu  dieser  Gleichung  nur  ganz  kurz  bemerkt:  ,,In 
der  That  25  Tage  =  25  X  4  oder  100  J.''  Der  Sinn 
dieser  etwas  lakonischen  Anmerkung  ist,  dass  die  Differenz 
von  25  Tagen  zwischen  dem  23.  Epiphi  und  dem  18.  Mesori 
(8+17  =  25)  genau  einem  Jahrhundert  entspricht.  Um 
so  viel  hatte  sich  das  unterdessen  immer  noch  fortgeführte 
Wandeljahr  gegen  das  von  Euergetes  I  fixirte  Jahr  im 
Jahre  28  des  Euergetes  II  verschoben.  Man  sieht  jetzt 
auch  den  Grund  ein,  warum  gerade  dieses  Doppeldatum 
vorkommt  und  kein  anderes  mehr :  offenbar  wollte  Euer- 
getes II,  sowie  er  durch  seinen  Beinamen  an  Euergetes  I 
anknüpfte,  auch  in  Beziehung  auf  den  Bau  des  Tempels 
von  Edfu  an  den  Begründer  des  Heiligthums 
und  derKalender- Reform  erinnern.  Den  Beweis 
hiefür  liefert  die  ßauurkunde  selbst,  indem  unmittelbar 
hinter  dem  eben  besprochenen  Datum  ,,Jahr  28,  den  18.  Me- 
sori zz:  23.  Epiphi"  das  Gesammt  -  Facit  seit  der  Grundstein- 
legung durch  Euergetes  I  bis  zur  Einweihung  oder  dem 
Eintrittsfeste  unter  Euergetes  II  auf  runde  „95  Jahre"  an- 
gegeben wird.  In  der  That  verfliessen  zwischen  ,,J.  10  des 
Euergetes  I"  und  „J.  28  des  Euergetes  II"  genau  gerechnet  95 
Jahre,  sowie  zwischen  dem  Kalenderreformjahre  =  242  v.  Chr. 
und  dem  28.  Jahre  des  Euergetes  II  =  142  v.  Chr.  25  X  4 
oder  100  Jahre  liegen.  (Ersteres  natürlich  xard  to  7vq6- 
TEQOv  ilirjq)LOiiia.) 

Eine  Partialsumme    wird    auch    gezogen    zwischen  dem 


318      Sitzung  der  phüos.-philöl.  Classe  vom  7.  December  1878. 
Jahre  10  des  Euergetes  I  und  dem  Jahr  10  des  Philopator  I, 
unter    der  Form  '^^o^  nert    25   =   „25    Jahre".    Die 

Gleichung  des  Horapollon  yvip  =  sviavTog  hatte  ich  schon 
1865  in  meinen  „Zodiaques  de  Denderah"  bestätigt  gefun- 
den. ^^)  Im  gegebenen  Falle  ist  die  Summe  25  Jahre  um 
so  bedeutsamer,  als  sie,  wie  Brugsch  richtig  gesehen  hat,  auf 
den  25jährigen  Apis-Cyclus  hinweist,  obschon  Brugsch  sonder- 
barer Weise  den  Ausdruck  „Apiskreis"  bei  dieser  Gelegen- 
heit nicht  gebraucht.  Dass  es  sich  wirklich  um  einen 
25jährigen  Cyclus  handelt,  ergibt  sich  mit  zwingender  Noth- 
wendigkeit  aus  dem  Beisatze,  wonach  das  Datum  ,,Jahr  10 
des  Euergertes  I,  am  7.  Epiphi"  und  das  gleiche  Datum 
„Jahr  10  des  Philopator,  am  7.  Epiphi"  jedesmal  mit  einer 

Sexta  www  ^  d.h.  einem  Sechsten  —  Tagsfeste  im  Mondkalen- 
der zusammenfiel.  In  der  That  ereignen  sich  nach  je  25 
Wandeljahren,  die  nur  um  1  Stunde,  8  Minuten,  33  Sekun- 
den länger  sind  als  309  mittlere  synodische  Monate,  die- 
selben Mondsphasen  an  den  nämlichen  Kalendertagen  wieder. 
Wie  wichtig  dieser  monumentale  Anhaltspunkt  für  die  Con- 
struction  des  Apiskreises  zu  werden  verspricht,  gedenke  ich 
in  einer  späteren  Abhandlung  nachzuweisen.  Hier  lege  ich 
den  Nachdruck  auf  die  Thatsache,  dass  die  25  Jahre,  analog 
den  25  Tagen  Verschiebung  zwischen  Euergetes  I  und  II 
(242 — 142  V.  Chr.)  hauptsächlich  den  Apiskreis  und  die 
identische  Mondphase  andeuten  sollen,  wesshalb  das  be- 
treffende Jahr  des  Philopator  selbst  als  nebensächlich  er- 
scheint und  der  Ton  auf  der  Sexta  liegt.  Es  wird  nun 
auch  nicht  mehr  befremden,  dass  dieses  ,,Jahr  10"  des  Euer- 
getes I,  welches  „kein  hasop^^  war,    durch  die  gewöhnliche 

Jahresgruppe     j   q  ronpe'  i  poMni  (t),     ausgedrückt    ist. 

13)  Brugsch  hat  in  der  Zts.  1871,  59  dieselbe  Entdeckung  als  neue 
bekannt  gemacht.  Vgl.  auch  meinen  „Horapollon",  wo  mir  yvip:=:^nert^=yvyrf. 


Lauth:     Die  ägyptische   Tetraeteris.  319 

Aber  dass  das  Jahr  10  des  Philopator,  welches  25  Jahre 
später  liegt,  also  238/337   —  25   =   213/12,    welches   doch 

ein    hasop    war,    ebenfalls    durch    \  q  bezeichnet  ist,  lässt 

sich  nur  daraus  erklären .  dass  wegen  der  25jährigen  Aus- 
gleichung der  gleiche  Ausdruck  beliebt  wurde,  üebrigens 
gebrauchen  wir  ja  auch  selbst  die  Bezeichnung  „Schaltjahr'^ 
z.  B.  für  1876  höchst  selten;  ebenso  mochte  ein  altägypti- 
sches hasop  oder  Zeitjahr  unter  der  gewöhnlichen  Schreib- 
ung   1    Q      ^    auftreten,     ohne    dass     man    daraus    folgern 

dürfte,  dass  dem  Schreibenden  das  Bewusstsein  der  Tetrae- 
teris abging. 

.  Die  Beendigung  der  Revolution,  welche  auch  auf  den 
Tempel  von  Edfu  Bezug  hatte,  setzen  die  Texte  einstimmig 
in  das  19.  Jahr  des  Ptolemaeus  V  Epiphanes.  Die  demo- 
tische Urkunde,  welche  Revillout  unter  den  Schätzen  des 
Louvre  entdeckt  und  in  der  Revue  arch.  besprochen  hat, 
erwähnt  ebenfalls  dieses  Jahr  19,  nebst  den  Namen  der 
Gegenkönige  des  Epiphanes:  Anchtu  und  Har  .  .  .  (uzat?) 


Aber    statt    der    Gruppe    j    q  S    bietet    die    Ganginschrift 

|S,  um  ,,Jahr  19"  auszudrücken.     Dieses  Jahr  entspricht, 

da  Epiphanes  (vergl.  die  Inschrift  von  Rosette)  205  v.  Chr. 
zur  Regierung  gelangt  war,  dem  Jahr  187/186  v.  Chr. 
Dieses  ist  aber  kein  hasop  oder  Anfangsjahr  der  Tetrae- 
teris,    also    scheint  das  Zeichen     |   ha  (==   _jg))    fehlerhaft 

zu  sein.  Allein  da  es  immer  höchst  misslich  ist,  eine  Mo- 
numentalangabe zu  corrigiren   und    da    andrerseits   mein  in 


14)  In  Bezug  auf    die  Phonetik    bringt  jetzt  Mariette  Karnak  pl. 
45,  e  3  die  entscheidende  Legende  "^^^  •  .  i   rerqieiu   —.    \  q\ 


320       Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

Betreff  des  hasop  erzieltes  Resultat  unanfechtbar  sein 
dürfte,  so  suche  ich"]   anders  zu  erklären. 

Ich  hahe  schon  oben  vermuthet,  dass  g^^^cö^cooTJ 
primus  annus  wegen  der  Dualendung  oiri  auf  die  Bedeut- 
ung „2 jähriger  Kreis**  für    g"@    con  schliessen  lasse.     Ich 

will  kein  Gewicht  darauf  legen,  dass  Hathor-Sothis  in  Den- 
derah  öfter  ,, Herrin  der  730"  (Tage)  genannt  wird,  was 
doch  auf  2  Jahre  hinausläuft;  auch  die  Symbolik  des  zwei- 

öhrigen  |  Schakalkopfes  und  das  Wegfallen  des  vier- 
füssigen  -^^  Schakals  will  ich  nicht  weiter  urgiren.  Allein 
die  Gruppe  j^  ronpet-sop,  die  uns  weiterhin  be- 
schäftigen wird,  scheint  mir  entschieden  die  Bedeutung 
,, Mitte  der  Tetraeteris'*    zu    fordern.     Ebenso    bezeichnet  § 

ähä  im  Kalender  des  Pap.  Sallier  IV  die  zwischen  den 
dies  fasti  und  uefasti  mitten  inne  stehenden  indifferen- 
ten Tage  und  in  der  Scene  der  Psychostasie  (Todt.  c.  125) 

bedeutet  dieses  nemliche  ^  ^^-s  Gleichgewicht  der  beiden 
Wagschalen. 

Wenn  also  das  Zeichen    |    beim    Jahr   ,,19"    des    Epi- 

phanes  richtig  ist,  so  kann  dieses  h  a  g^d.,  oh  initium,  sich 
nur  auf  187  als  den  Beginn  der  zweiten  Hälfte  der  Tetrae- 
teris  189  —  185   beziehen  und   wäre    somit^    besonders  wenn 

man  das  wortspielende  ^  berücksichtigt,  gerechtfertigt. 

IL 

Das  im  vorigen  Abschnitte  besprochene  h  a  s  o  p  oder 
Leitjahr  der  Tetraeteris ,  welches  auch  für  den  ganzen 
4 jährigen  Schaltcyclus  eintreten  mochte,    hat  sich  bis  jetzt 


Lauth :    Die  ägyptische  Tetraeteris.  •    321 

nur  iu  Edfu  und  zwar  im  Anschlüsse  an  den  Bau  und  die 
Kalender-Reform  des  Euergetes  1  gefunden.  Die  Inschrift 
von  Tanis  oder  das  Beeret  von  Kanopus,  worin  diese  Neuer- 
ung in  fast  lehrhafter  Weise  vorgetragen  wird,  gewährt 
uns  zugleich  ein  Mittel,  die  Existenz  der  Tetraeteris  unter 
anderer  Gestalt  auch  für  die  frühere  Zeit  nachzuweisen. 

Nachdem    die    Unzureichendheit    des    Wandeljahres    zu 
365  Tagen  geschildert  ist,  fährt  der  Text  lin.  22  also  fort: 


<-  f 

pn  g:»  K  ■ — ^    sJ       ,,Man    soll    hinzufügen    1    Tag  als 

II. I.   X^i    .^- 

Panegyrie  der  beiden  Götter  Eiiergeten  von  heute  an  alle 
4  Jahre  als  Zuthat  zu  den  5  Epagomenen ,  anzufügen  un- 
mittelbar vor  dem  Neujahrstagfeste"  =:  ärco  tov  vvv  fxiav 
r^^iqav  s oqz lijv  twv  EveQysTwv  &scdv  eTtayeo&aL  Sid  Tsaod- 
Qcov  8Vidv  sfil    Talg  Ttewe   Talg  ercayo^ivaig ,    tcqo  tov  vaov 

sTOvg.     Das  Zeichen  welches   hier   durch    eoQTVj    über- 

setzt ist,  wird  sonst  durch  7tavr\yvQ;Lg  ausgedrückt  und  er- 
hält   auch    die  Form      JL  .     So  z.  B.  erscheint  es  mit  der 


phonetischen  Legende    (1  "^^^  Oj     ^    aftu  i^qTe    quatuor, 

zum  klärlichen  Beweise,  dass  diesem  Zeichen  der  Begriff 
Tetraeteris  eignet.  Bestünde  noch  ein  Zweifel  an  dieser 
Thatsache,  so  würde  er  vollständig  gehoben  durch  den  Ge- 
brauch   desselben    Zeichens    für   die   Zahl  4.     Es   würde   za 


15)  Zeitsch.  1873   p.  114   not.  2    cf.   Plan   vom   Edfutempel   Taf. 
6  I,  4.    ,,auf  den  4  Seiten   des  Edfiitempels''.     Das    räumliche   Corollar 
dazu   ist    tj  ^^  cz:izj    „das    Viereck'';    das    numerale   4^^^=^  MM  ist 
ohnehin  bekannt. 
[1878.  I.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  Bd.  II,  3.]  23 


322      Sitzung  der  pMlos.-pMlol.  Classe  vom  7.  December  1878. 

weit  führen,  alle  hiefür  sprechenden  Beispiele  heranzuziehen  ; 
beschränken  wir  uns  auf  die  Inschriften  des  Tempels  von 
Edfu,  so  tritt  uns  in  den  reichhaltigen  Angaben  über  die 
Ellenzahl   der  Zimmerräume  das  fragliche  Zeichen  mit  dem 

Werthe  4    sehr  häufig  entgegen  z.  B:  / PI  <=>  \~  1    ''[die 

Tempelküche  an  ihrer  (der  Halle)  Westseite  verhält  sich  in 
ihren  Maassen]  wie  10:4.  Die  grosse  Bauurkunde,  welche 
uns  für  h  a  s  o  p  so  schlagende  Belege  geliefert  hat ,  bietet 
lin.  40  als  letztes  Jahr  des  Euergetes  II  das  54.  unter  der 

Form  I  n  n  f\\     \^    worin    also    das  Zeichen    der  Panegyrie 

wieder  den  Zahlenwerth  4  beansprucht  und  zugleich  andeutet, 
dass  das  Schlussjahr  117  v.  Chr.  zugleich  der  Beginn  einer 
Tetraeteris  ist.  Es  lässt  sich  zwar  bis  jetzt  nicht  nach- 
weisen, dass  dieser  Gebrauch  über  die  Zeit  des  Euergetes  I 
und  seiner  Kalender-Reform  zurückreicht.  Allein  die  Be- 
deutung Tetraeteris  eignet  dem  fraglichen  Zeichen  sicher- 
lich schon  viel  früher  als  in  der  sogenannten  Ptolemaeer- 
zeit  oder  hasse  epoque ,  wo  die  Schreiber  sich  in  allerlei 
Anspielungen  (nicht  Spielereien  \)  gefielen.  Die  so  oft  wieder- 
kehrende Formel  „Der  Gott  gewährt  dir  Millionen  von 


1^ 


Billionen  von   ]   ]   ]     -        erscheint    schon    sehr    frühzeitig. 

Der  Gegensatz  „Jahre"  verbietet  absolut,  das  Zeichen  UUi 

mit  dem  allgemeinen  Ausdrucke  „Panegyrien"  zu  übersetzen ; 
ich  denke  dargethan  zu  haben,  dass  man  Tetraeteris 
darunter  verstehen  müsse. 

Denselben  Werth  einer  Tetraeteris  hätte  ich  schon 
im  „Manetho"    p.  72   für    das  Panegyrienzeichen  durch  die 


16)  ßrugsch  Ztsch.  1871,  41. 

17)  Dümichen  Tempelinschriften  pl.  XXVII  10/11. 


Lauth:    Die  ägyptische  Tetraeteris.  323 

Proportion    ermitteln    können :    ^1   '  fp  ft  ~  Q  ®  Q    • 

Da  in  dieser  Antiklimax  die  nächst  geringere  Einheit   j   das 

Jahr  ist,  so  hat  man  die  Wahl  zwischen  Triakontaeteris 

und  Tetraeteris.     Das  Zeichen  ft  ft   phonetisch   hanti, 

bezeichnet  die  120jährige  Periode,  welche  eben  durch  die 
Monatsverschiebung  des  Wandeljahres  gegen  das  fixe  Sothis- 
jahr  entsteht.  Die  120  jährige  Periode  resultirt  aber  aus 
dem   Multiplicat    30  X  4.      Nach    dem    oben    Beigebrachten 

leidet  es  für  mich  keinen  Zweifel ,  dass  mit  |  J  die  Te- 
traeteris gemeint  ist.  Denn  die  Triakontaeteris,  von  der 
ich  früher  eigens  gehandelt  habe,  wird  durch  zwei  Zeichen 
ausgedrückt,  deren  phonetische  Schreibung  sich  so  darstellt: 

IJ^Qnp^ffl  ^^^i"«^^-      ^^^  ^^  Un^ge  Titel 

KVQiog  TQiayiOVTasTrjQLÖajv^  den  uns  der  demotische  Text  des 
Decretes  von  Memphis  (Inschrift  von  Rosette)  zuerst  unter 
der  Form  neh  en-na  renpetu  en  hehse(d)  „Herr  der  Jahre  des 
Festes  Sed"  kennen  gelehrt  hat,  steht  immer  in  Verbindung 

'    als    y,vQLog 


mit  dem  Gotte  Ptah.    Wenn  daher 


tQiayiovTasTrjQLÖoJv  auftritt,  so  ist  dies  entweder  fehlerhafte 
Copie,  oder  abgekürzte  Schreibung;  denn  eigentlich  würde 
ja  damit  yivQwg  TSTQaetrjQidcov  bezeichnet. 

Bisweilen  erscheinen  die  zwei  Festzeichen  in  umgekehrter 
Ordnung,  so  z.  B.  in  der  vielbesprochenen  Inschrift  von 
Hamamät,  worin'^ie  Feier  einer  Triakontaeteris  unter  Phiöps- 
Menophres  (Moeris)  und  zwar  in  seinem  ,,18.  Jahre  darnach*' 
(d.    h.    nach    der    Epoche    2785    v.    Chr.)    erwähnt    wird: 

®f  P'^Slfi  I     '    "^^s*®s  ^^1  ®^^®^  Triakontaeteris'^  Hr. 


18)  Brugsch  :    Recueil  LXXV  4. 

23'« 


324       Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

Brugsch  ^*)  fasst  die  Gruppe  ©  w  sep-tep  als  „la  premiere  an- 

nee  fixe  d'une  tetraeteris"  und  „trotz  der  Gegenbemerkungen 
des  Herrn  de  Rouge  ^^)''  behauptet  er  mehr  als  je,  „dass 
hiedurch  der  Anfang  einer  vierjährigen  Schaltperiode  be- 
zeichnet wurde."  Allein  ich  hoffe  in  meiner  Abhandlung 
über  ,,Nechepsos,  Petosiris  und  die  Triakontaeteris''  evident 
gemacht  zu  haben,  dass  die  Gruppe  sep-tep  nur  das 
,, erste  Mal''  bedeutet  und  auch  für  den  Begriff  ,,Urzeit'' 
angewendet  wurde. 

Lassen  wir  also  hier,  wo  es  sich  um  die  ohnehin  ver- 
wickelte Frage  der  Tetraeteris  handelt,  dieses  sep-tep 
ganz    aus    dem    Spiele.      Haben    wir   ja    ohnedies   denselben 

Bestandtheil  sep  in  der  Gruppe  j  ^  ronpet-sep  zu  er- 
ledigen. Diese  Verbindung  kehrt  ein  halb  Dutzend  mal 
wieder  und  zwar  im  Vereine  mit  einer  Triakontaeteris,  die 
auf  den  Felsen  von  Silsilis  und  an  den  Architraven  des 
grossen  Isistempels  von  Philae  ^  ^)  in  folgender  Gestalt  zum 

Ausdrucke  kommt:  (@^n^©|Var  (®)Q^(o^^^] 

,,Sop-Jahr  30 ,  erstes  Mal  einer  Triakontaeteris  des  Königs 
Ravesu  -  ma  sotepenra  (Oöv^avövag).  Es  ist  dies  offenbar 
und  unbestritten  Ramses  H  Sesostris  und  da  sein  30.  Jahr 
express  genannt  ist ,  so  hat  die  erstmalige  Feier  einer  Tria- 
kontaeteris ihren  guten  Sinn.     Nur  die  Beigabe  des  Zeichens 

©  zu  i      statt  des  gewöhnlichen  o  erheischt  eine  besondere 

Erklärung,  die  sich  indess  erst  nach  Erlemgung  der  weiter 
folgenden  Feste  geben  lässt. 


I 


19)  Materiaui  p.  75;  cf.  Ztsch.  1871,  59. 

20)  Ztsch.  1865,  81. 

21)  Brugsch:  Recueil  pl.  LXXXII,  5,  6;  pl.  LXXXIII  1,  2,  3. 


Lauth:    Die  ägyptische  Tetraeteris.  325 

Als    das    durch    |  ^^^  n  e  m    „Wiederholung"    oder 

„zweites''  bezeichnete  Fest  oder  Sop-Jahr  ist  zweimal  sein 
34.,  einmal  sein  33.  Jahr  gesetzt.  Beide  Angaben  können 
nicht  gleich  richtig  sein.  Ich  entscheide  mich  für  34,  weil 
die  Majorität  der  Stimmen  dies  verlangt  und  weil  offenbar 
die  Tetraeteris  mit  hereinspielt. 

Zum  dritten  Male:  'JJ  erscheint  als  Sop-Jahr  sein  37. 
Var.  39.  Jahr,  Ziehen  wir  das  Mittel  und  setzen  als  richtige 
Zahl  38,  so  haben  wir  wieder  eine  Tetraeteris. 

Das   vierte''"  Sop-Jahr   ist    nur   einmal    vorhanden: 

i  T  n  i)  ^^^^  ^^^  ^^-1  ^^  ™^^  ^^^^  ^^^  ^^   erwarten  sollte. 

Denn  das  nächste  oder  fünfte  Sop-Jahr  hat  die  Legende : 

\  Q  (sie)  rl  1}  1 1 .    also   das   46.    und    dieses   wird    lin.   4  des 

Textes    eiffens     bezeichnet    als     ^  \     I  i  Nl       das    sechste 

Fest",  während  doch  „das  fünfte"  stehen  müsste.  Ange- 
nommen,  der  Text  sei  richtig  copirt,  so  erklärt  sich  diese 
wie  die  andere  Verschreibung  daraus,  dass  das  Verzeichniss 
post  festum  von  einem  Schreiber  verfasst  wurde,  der  die 
Tetraeteriden  der  Sothisperiode  mit  den  Sop  -  Tetraeteriden 
verwechselte,  die  sich  an  das  30.  Regierungsjahr  der  Seso- 
stris  anlehnen. 

Ich  komme  hier  auf  eine  Vermuthung  zurück,  die  ich 
bereits  oben  geäussert  habe,  dass  nämlich  mit  dem  „sop- 
Jahr''  die  Mitte  der  eigentlichen  Tetraeteris  be- 
zeichnet werde.  Nachdem  ich  bei  einer  früheren  Gelegen- 
heit im  Anschlüsse  an  den  Namen  "Oaagovq)^^)  über  die  ver- 
schiedenen Bedeutungen  des  Wortes  sop  genugsam  ge- 
handelt habe,  kann  ich  mich  hier  um  so  kürzer  fassen. 


22)  Z.  DMG  XXV  139  sqq. 


326      Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  7.  December  1878. 

TU. 

Als  Grundbedeutung  von  s  o  p  g"^  con  glaube  ich 
die  verbale  aufstellen  zu  dürfen,  wie  sie  sich  in  5D5< 
„sammeln"  darbietet.    In  einer  Tempelinschrift ^^)  treffen  wir 

den    Parallelismus:     ^  ^"  ^  ^  j  ü©  ^j„  "^   -^  1  I 

f  2  ^  I  ^  i  Ö  G  ^  ^'^'  ^"^^  ^^^^^  ^^^  ^^^^'  '^^^  ^'^^' 
hyq  pautu;  Pautape  cheper  m  hat  „congregator  hominum, 
collector  superorura  ;  dominus  totius,  princeps  deorum  ;  Dens 

princeps    (IIGTEG  ^*)  existens  ab  initio/'     Da   sich    hier 

offenbar  tut  (-ecooTTT,  totht  congregare)  und  sop  ent- 
sprechen ,  so  ist  „Sammeln"  der  Grundbegriff  der  Wurzel 
sop. 

Handelt  es  sich  also  um  einen  aus  mehreren  Theilen 
bestehenden  Zeitbegriff  wie  z.  B.  Tetraeteris,  so  würde  das 
als  ronpet-sop  bezeichnete  Jahr  das  Centraljahr  sein. 

In  einem  grösseren  Werke ^^)  habe  ich,  ohne  die  Theorie 
der  Tetraeteris  zur  Anwendung  zu  bringen,  bloss  auf  Grund 
des  astronomischen  Horoscops  im  Ramesse  um  (Osyman- 
dyaeum)  den  Regierungsantritt  des  Ramses-Sesostris  auf 
1577  V.  Chr.  gesetzt,  welches  Jahr  zugleich  eine  Tetraeteris 
einleitet.  Nach  diesem  Ansätze  würde  also  das  30.  Jahr 
allerdings    auf  die  Mitte   einer   Tetraeteris    fallen    und   die 

fünfmalige   Wiederkehr    der    Gruppe    ji  ^    ronpet  -  sop    bei 

den  Jahren  30,  34,  38,  42,  46  ihre  genügende  Erklärung 
finden. 


23)  Dümichen  pL  XXXIII  14. 

24)  Im  Lexicon  von  Parthey  ist  dieser  koptische  Ausdruck  wieder- 
gegehen  durch  Deus  Aegyptius  qui  respondet  Saturno  —  ich  glaube  in 
der  Form  paut-ape  das  Prototyp  dazu  entdeckt  zu  haben. 

25)  „Aeg.  Chronologie";  vergl.  den  Aufsatz  über  Sesostris  in  der 
AUg.  Zeitung  1877,  80./31.  Januar. 


Lauth:    Die  ägyptische  Tetraeteris.  327 

Das  sechste  Beispiel  der  Gruppe  ronpef-sop  findet  sicli 
in  dem  einzigen  Beispiel  einer  Aera:  dem  vielbesprochenen 

Datnm   1  @  |  |    i,Sop  -  Jahr    400    (des   Hyqschos    Setaape- 

hati  Nubti)".  ^^)  Nach  dem  Zusammenhange  der  Inschrift 
muss  das  Datum  oder  der  terminus  ad  quem  in  den  An- 
fang der  Regierung  des  Ramses  11  Sesostris  fallen,  weil  der 
betreffende  Beamte  Sutecbi  (Sethosis)  das  Denkmal  in  des 
Königs  Namen  dem  Vater  desselben :  Sethosis  I,  aufgestellt 
hat.  Setzen  wir  1575  v.  Chr.,  also  das  dritte  Jahr  Ramses  II, 
so  haben  wir  ein  „Sop-Jahr"  und  zugleich  die  Mitte  der 
Regierung  des  Hyqschos  ^raav  (Nubti),  welche  von  2000 — 
1950  V.  Chr.  sich  erstreckt.  Das  aquo- Jahr  1975  ist  als- 
dann wirklich  400  Jahre  vor  1575  und  die  ganze  Inschrift, 
sowie   das  exceptionelle  Datum ,    erklärt   sich    befriedigend. 

Auch  hier  muss  ich  bemerken ,  dass  ich  den  Ansatz 
der  Regierung  des  ^radv  unabhängig  von  meiner  Theorie 
der  Tetraeteris  so  getroffen  hatte,  wie  er  hier  begründet  ist. 

Es  sind  mir  bis  jetzt  sichere  Beispiele  von  ronpet-sop 
weiter  nicht  aufgestossen.  Vielleicht  liegt  dies  an  der  schwer 
unterscheidbaren  Schreibung,  besonders  auf  Stein ,    wo  sich 

oft  'j  Q  darzubieten  scheint,  während  in  Wirklichkeit  viel- 
leicht   j   ^  geschrieben    steht.      Sollten    sich    noch    weitere 

solcher  ronpet-sop  finden,  so  werden  sie  ebenfalls  Central- 
jahre  der  Tetraeteris  bezeichnen. 

IV. 

Es  fragt  sich  nun  zunächst,  ob  uns  die  Denkmäler 
ausser  den  bisher  aufgeführten  Mitteln  zur  Bestimmung  der 
Tetraeteris  noch  andere  Kennzeichen  liefern,  aus  denen  dieser 
Zeitkreis  ermittelt  werden  kann.     Bereits  in  meinen  „Zodia- 


26)  Zts.  t  aeg.  Sprache  1865,  35  besprochen  von  Chabas. 


328      Sitzung  der  phüos.-phüol.  Glasse  vom  7.  December  1878. 

ques  de  Denderah''  habe  ich  das  Stier  viertel  als  solches 
augesehen,  das  stufenweise  Vorkommen  von  einem  bis  zu 
vier  Vierteln  nachgewiesen  und  übersichtlich  zusammenge- 
stellt. Zugleich  habe  ich  daselbst  die  Legende  mI  M  ^  <f^^^^ 
mesecJd  (Ampliativum)  ,,das  grosse  (Stier-)  Viertel''  (vergl. 
pi  ^  J{  rzi  seba  c£ic  porta  Ttvlrj  mit  H   jj  ®  |  sehecht  Jtvlojv) 

mit  dem  koptischen  -eep-MiCS  quartus  (T^p  pars)  adae- 
quat  gefunden.  V^enden  wir  dieses  Ergebniss  an,  zunächst 
in  Bezug  auf  die  astronomische  Darstellung  des  Osyman- 
djaeums  und  des  Setbosisgrabes. 

In  ersterem  erscheint  der  einfache  Schenkel,  mit  dem 
Stierhaupte  versehen  und  von  der  Legende  ffj  #  '^    mesecht 

begleitet.  Es  ist  also  das  erste  Jahr  einer  Tetraeteris  ge- 
meint, wo  der  Ueberschuss  über  die  365  Tage  ^M  Tag  be- 
trägt:  ein  solches  ist  aber  in  der  That  das  Jahr  1577  v. 
Chr.  Dass  das  Stier  viertel  vom  Sternbilde  des  grossen 
Bären  hergenommen  ist,  dessen  sieben  Sterne  ^  ^  -^  ^'c  x  dem 
Conventionellen  Stierviertel  ^^^^^^  ähneln  ,  hatte  Lepsius  ^ ') 
zuerst  bemerkt  und  ich  des  Weiteren  ausgeführt,  nament- 
lich darauf  hinweisend,  dass  ,,der  grosse  Schenkel  des  Nord- 
himmels'^  so  oft  in  unmittelbare  Verbindung  mit  dem  Sirius 
angerufen  wird  (z.  B.  in  den  Rhind-Papyri)  ^  weil  sie  eben 
begrifflich  zusammengehöreu . 

Auch  den  Streit  der  Embleme  des  Monats  Phamenoth 
(Drache  beim  Nordpol,  zugleich  Jahresmitte)  und  des  Me- 
sori  (letzten  Monats,  an  den  die  Epagomenen  und  das 
Viertel  angehängt  wurden),  wie  er  in  Philae  dargestellt  ist, 
hatte  ich  beigezogen.  Wenn  nun  meine  Hypothese,  dass 
uns  das  Stierviertel  in  seiner  Abstufung  als  einfacher,  doppelter, 


27)  „Chronologie  der  Aegypter' 


Lauth :     Die  ägyptische   Tetraeteris.  329 

dreifacher  Schenkel  M]  ^  '^  und    als   ganzer   Stier  ^^  ^i® 

vier  Jahre  einer  Tetraeteris  ergibt,  richtig  sein  soll,  so  muss 
im  Grabe  des  Sethosis ,  wo  das  Horoscop  des  Todes  dieser 
Persönlichkeit  dargestellt  ist,  im  Gegensatze  zu  dem  ein- 
fachen Stierviertel  im  Osymandyaenm,  welches  den  Regier- 
ungsantritt seines  Sohnes  Vesu  ma  nuti-aa  COovf-iavövag) 
bezeichnet,  der  ganze  Stier  oder  die  4  Viertel  erscheinen.  Dies 
ist  thatsächlich  der  Fall,  wie  ein  Blick  auf  die  betreffende 
DarvStellnng  lehrt. 

Noch  beweiskräftiger  als  diese  beiden  Beispiele  ist  ein 
Bruchstück  aus  Biban-el-moluk  ^^).  Wir  sehen  da  als  Theil 
der  von  mir  als  Einschaltung  gefassten  Scene  einen  Stier 
auf   der   Drehscheibe    oder    etwas   Aehnlichem.     Ueber  dem 

Stiere  ^5^  steht  UU  ,     das    Zeichen     der    Tetraeteris, 

welches  ich  oben  hinlänglich  erörtert  habe.  Es  ist  also 
hiemit  das  betreffende  Jahr  als  das  vierte  und  letzte  einer 
Tetraeteris  und  zwar  in  doppelter  Weise  bezeichnet. 

Dazu  kommt  unterhalb  ein  Kalendarisches  Charakteri- 
sticum,  welches  unzweifelhaft  damit  im  innigsten  Zusammen- 
hange steht.  Es  sind  zwei  Daten :  "TTT  ^^  n  I !  I  "^®^ 
26.  Athyr''  und  ^  M^  |  j|  „der  6.  Choiahk'^  •'')  d.  h.  eine 

D  e  ca  d  e  in  einem  Jahre,  dessen  erste  Decade  mit  dem  6.  Thoth 
beginnt.  Ein  Denkmal  des  Louvre  ^^)  liefert  die  Ergänz- 
ung dazu,  wie  schon  der  geniale  Champollion  erkannt  hat. 
Die  erste  der  erhaltenen  Legenden  lautet : 


„j,  :y^^^^^^^^^  „Choiahk  Tag    21  bis  Tag  30";    un- 


^O 


28)  Brugsch:  ßecueil  pl.  XX  unten. 

29)  In  Brugsch's   Copie  sind   die  Schlussstriche  als  etwas  zerstört 
angegeben,  aber  sicher  so  zu  ergänzen. 

30)  Young :  Hieroglyphics  pl.  XXVII  „months"  Louvre  D  37. 


330      Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  7.  December  1878. 
mittelbar  dahinter  folgt:      lzttzd  O  <=>  p|    „Tybi    Tag    1   bis 
Tag  10".    Von  der  dritten  Tetramenie :  ]  ^  $^  ^  ^  ^O^ 

„Pachons  Tag  11  bis  Tag  20''.  Diesse  drei  Beispiele  ge- 
nügen, nm  sich  den  Decadenlauf  während  des  ganzen  Jahres 
zu  construiren,  dessen  erste  Decade  mit  dem  1.  Thoth  be- 
gonnen hatte.  Bei  dem  Wandeljahre  von  365  Tagen  be- 
greift es  sich  von  selbst,  dass  das  erste  und  das  dritte  Jahr 
ihre  Decaden  von  1 — 10,  11—20,  21—30;  hingegen  das 
zweite  und  das  vierte  Jahr  einer  Tetrateeris  ihre  Decaden 
von  6—15,  16—25,  26  —  5  zählen.  Ein  Jahr  letzterer  Art 
liegt  vor  in  dem  Grabe  von  Biban-el-moluk ;  dass  wir  uns 
für  ein  viertes  Jahr  der  Tetraeteris  zu  entscheiden  haben, 
dazu  zwingt  die  Anbringung  des  ganzen  Stieres  ^^  (der 
vier  Viertel)    und   des  Zeichens 


M 


So  wie  nun  ferner  die  Decaden  astronomisch  durch 
je  einen  Decan  vertreten  werden,  so  hatte  ich  in  meinen 
,,Zodiaques'^  auch  für  den  aus  vier  Vierteln  erwachsenden 
Schalttag  einen  Decan    vermuthet    und  in  der  Gruppe 

von  Denderah:     5  [k  pesiuuä  =  Stella  unica  gefunden.  Sein 

Symbol,  ein  kleiner  Widder  mit  der  Tages-  oder  Sonnen- 
scheibe auf  dem  Kopfe,  so  wie  seine  Phonetik  mit  dem 
Deutbilde  )k  steht  genau  in  der  Mitte  zwischen  den  Decanen 
2fxdT  und  T7i7]OfxdT  ,,Theiler,  Kopf  des  Theilers"  welchen 
die  Nummern  18  und  19  in  der  Reihe  zukommen.  Also 
stand  der  Decan  des  Schalttages  accurat  in  der  Jahres- 
mitte,  wie  es  der  oben  erwähnte  Anexions versuch  des 
Phamenoth  andeutete. 

Ich  habe  nun  auch  noch  einen  Text  ^^)  gefunden,   worin 

31)  Mariette:  Les  papyrus  egyptiens  du  musee  de  Boulaq  Nr.  3, 
pl.  XIII  lin.  6—8,  dem  Priester  Heter  zukommend,  dessen  Tod  in's 
7.  Jahr  Hadrian's  fiel.    Vgl.  meine  erste  Asbeit  Z  D  M  G  1863. 


LaufTi:    Die  ägyptische  Tetraeteris.  331 

dieser  Einzelstern  neben  Sonne,  Mond,  Osiris-Sahu 
(d.  h.  Orion,  dem  Vertreter  der  öEpagomenen)  sowie 
der  S  o  t  h  i  s  eine  religiöse  Bedeutung  hat.  Dem  Verstorbenen 
wird  zugerufen :  „Du  ergreifst  den  Mond  in  der  Nacht,  du 
gehst  auf  am  Tage  wie  das  schöne  Licht  des  glänzenden 
Sonnengottes.  Es  sind  alle  Länder  beleuchtet  in  der  Nacht 
vom  Monde  dem  schönen,  an  dem  Feste  des  15.  Monats- 
tages, um  zu  schaffen  Freudestunden  im  Gefolge  der  Strahlen. 

Du  erglänzest  am  Firmamente  ^\    j    %  ]_fl  v  \\  ^^'  ^^^'^^ 


uati  als  Ei  n  z  e  1  s  t  e  r  n  ( -  g  o  1 1) ;  du  bist  ein  Sahu  am  Leibe 
der  Nut  (Himmel).  Dein  Scheinen  innerhalb  dieser  Welt 
ist  wie  das  des  Mondes,  wenn  er  sein  üzatauge  ^g  erfüllt 
(beim  Vollmonde);  Isis  ist  mit  dir  als  göttliche  Sothis 
I  A  ^  S  ^1  ^^  Himmel :  nicht  trennt  sie  sich  von  dir  in 
Ewigkeit''. 

Mit  dieser  Erhärtung  des  Schalttages  in  seinem  astro- 
nomischen Repräsentanten:  dem  Einzelstern,  ist  der 
Beweis  für  meine  Thesis,  dass  die  alten  Aegypter  die  Tetra- 
eteris gekannt  haben,  zwar  erhärtet,  aber  noch  nicht  voll- 
endet. 

V. 

Kann  die  Kenntniss  der  Tetraeteris  bei  den  Aegyptern 
noch  früher  als  für  die  Blüthezeit  des  Reiches  unter  Seso- 
stris  und  Sethosis  nachgewiesen  werden  ?  Wenn  man  die 
Sache  bloss  ausser  lieh  betrachtete,  so  könnte  man  dies  aus 
der  Originallegende  S  u  p  d  =  ^cod-ig  selber  schliessen ,  da 
dieser  Stamm  Wesensgleichheit  mit  dem  bisher  besprochenen 
Sop  con  vices  zu  zeigen  scheint,  das  uns  wiederholt  in 
Verbindung    mit    der   Tetraeteris    aufgestossen    ist.     Allein 

1   «   A^^   ^®^g^  ^^^  wurzelhaftes  ^,  welches  in  @**^  con 


332     Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  7.  Decemhcr  1878. 

niemals  zum  Vorschein  kömmt  und  ausserdem  verbietet  das 
Determinativ  A,  welches  bei  sop  und  seinen  Variauten  nie- 
mals getroffen  wird,  beide  Stämme  zu  amalgamiren.  An  sich 
wäre  übrigens  diese  Vermengung  bei  Weitem  besser  gerecht- 
fertigt, als  die  Zusammenstellung  der  Sothis  mit  dem 
Monatsnamen  Thoth,  wie  dies  sich  bei  Boeckh^^)  und 
Biot^")  noch  findet,  aber  gründlich  und  endgültig  aufgegeben 
werden  muss. 

Aber  andererseits  ist  zu  betonen,  dass  die  Existenz  der 
Sothiserscheinung  an  und  für  sich  allein  schon  den  Begriff 
der  Tetraeteris  involvirt.  Denn  da  die  Sothis  oder  der 
Frühaufgang  des  Sirius  den  Aegyptern  den  Anfang  eines 
fixen  Jahres  zu  365 V*  Tagen  bezeichnete,  so  musste  sich 
von  selbst  ein  Quadriennium  von  1461  Tagen  d.  h.  eine 
vierjährige  Schaltperiode  bilden ,  ob  man  nun  daneben  ein 
Wandeljahr  zu  365  Tagen  ohne  Einschaltung  zulässt  oder 
nicht.     So    heisst    es   im    Papyrus  Bulaq  No  7    (pl.   38  bei 


Mariette) 


^^^fT^^^k-a-lÄ 


]  (^  Q    ,,der  Pharao  lebe  auf  (gehe  auf)  mit  seiner  Mutter 

der  göttlichen  Sothis  früh  Morgens''  (sie  rette  ihn  vor  allen 

schlimmen     Dingen    dieses    Jahres    j,   f  ,,^   etc.)     Indess 

habe  ich  längst  die  Ueberzeugung  gewonnen,  dass  sich  das 
Wandeljahr,  nach  welchem  die  Inschriften  datirt  sind,  bis 
in  die  Urzeit  Aegyptens  verfolgen  lässt  und  dass  ebendahin 
die  wenn  auch  spärlicheren  Spuren  der  Sothisbeobachtung 
führen.  Damit  ist  zugleich  der  Nachweis  geliefert,  dass  die 
Kenntniss  der  Tetraeteris  eben  so  weit  zurück  reicht. 


32)  „Manetho  und  die  Hundssternperiode." 

33)  Brugsch:  Materiaux  p.  30  oben. 


Lauth:     Die  ägyptische   Tetraeteris.  333 

Nehmen  wir  zum  Ausgangspunkt  den  Regierungsantritt 
des  Osymandyas-Sesostris.  Auf  dem  Plafond  sagt  der  Be- 
gleittext   der    astronomischen  Darstellung    des    sogenannten 

Ramesseums :  ,,du  leuchtest  auf  V  Ij  ^  A  S  ^=  ^  f=^  i<  [1 
^  CO  \/^  1    gleichwie   Isis-Sothis  am  Himmel  dem  Morgen 

des  Jahresanfangs/'  Ich  habe  in  einer  eignen  jetzt  veröffent- 
lichten Abhandlung^*)  dargethan,  dass  dieser  Frühaufgang 
des  Sirius,  der  zugleich  ein  Neujahr  begründet,  dem  3.  Epi- 
phi  des  Wandeljahres  entspricht,  woraus  sich  das  absolute 
Datum:   1577  v.  Chr.  ergibt. 

Folglich  fiel  die  Sothiser scheinung  am  1.  Epiphi  noch 
in  die  Regierung  des  Sethosis  und  damit  fand  ich  die  viel- 
besprochene Legende  im  Einklang:  1  q^I  I  (m  V  '  ""^^^^ 
1  der  Wiedergeburt  (Neukrönung)  des    f  O  y]  t^  J   Ramen- 

mät  d.  h.  Sethosis  I,''  also  dem  Jahre  1585  entsprechend 
und  Veranlassung  zu  seinem  Epochenamen  "E7va(pog  (ETteicpi), 
Bei  Ramses  IX  ^•'^)  begegnet  uns  die  Legende  nem  mesu 
wiederholt. 

Ganz  analog  steht  das  Verhältniss  in  Bezug  auf  die 
nächstfrühere  Blütbezeit  des  Reiches  unter  Thutmosis  III, 
der  ähnlich  die  XVII.  Dynastie  einleitet,  wie  Sethosis  die 
XIX.  Auf  einem  Sitzbilde  mit  einem  funerären  Texte ,    der 

sich  auf  einen  Beamten  Namens  "^    '  ^^  Vesur  bezieht,^®) 

werden  in  üblicher  Weise  die  Todtenfeste    aufgeführt :    die 


34)  „Busiris  und  Osymandyas"  in  den  Denkschriften  der  kgl.  bayr. 
Akademie  1878. 

35)  Vergl.  „Troja's  Epoche"  in  den  Denkschriften  der  kgl.  Akad. 

1877. 

36)  Mariette:  Karnak  pl.  32,  g. 


334     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

Neomenie,  der  2.  Monatstag,  die  Sexta,  das  Halbmonatsfest; 
dann  das  Pirt-  und  Semfest;    hierauf  das  Fest  der  grossen 

Pirt  und  daran  schliesst  sich  ^^  A  ^^  Pirt-Supd-heb  d.  h. 

,,das  Fest  der  S  othis  er  scheinung."  Es  folgen  noch  vier 
weitere  Feste  nebst  dem  allgemeinen  Ausdrucke:  ,,alle  Pa- 
negyrien  des  Amon."  Der  Zusammenhang  lehrt,  dass  das 
Fest  der  Sothiserscheinung  (pirt-  Sapd)  nur  wegen  der 
beiden  andern  pirt  an  die  concrete  Stelle  gesetzt  ist,  sich 
also  aus  dieser  Stellung  im  Jahre  kein  absolutes  Datum 
ableiten  lässt. 

Dieses  hat  sich  mir  auf  einem  ganz  anderen  Wege  er- 
geben.   Ein  Berliner  Papyrus ^^)  (No  VI)  enthält  die  Stelle: 

W^\  '^  I  ^  ffl  P^  „Königlicher  Befehl  des  wieder- 
geborenen (neugekrönten)  Horus.'* 

Der  betreffende  König  ist  Thutmosis  III ;  die  Neuzähl- 
ung seiner  Regierungsjahre  kann  sich  nur  auf  die  Zeit  von 
seinem  48.  bis  zum  54.  beziehen,  welch  letzteres  uns  die 
von  Ebers  mitgetheilte  Grabinschrift  des  Amenemheb  als 
sein  Todesjahr  kennen  gelehrt  hat.  Da  nun  der  Epochal- 
name Horus  sich  auf  den  Har-chenti,  den  Eponymus  des 
Monats  Fayni  bezieht,  so  ergibt  sich  daraus  die  bestimmte 
Epoche  1705  v.  Chr.  für  das  48.  Jahr  des  Thutmosis  III, 
da  sein  47.  Jahr  in  der  gewöhnlichen  Zählung  noch  vor- 
kommt. 

Begeben  wir  uns  reichlich  acht  Jahrhunderte  aufwärts 
bis  zur  denkmalreichen  XII.  Dynastie,  so  treffen  wir  auch 
da  ein  Fest  des  Sothisfrühaufgangs  verzeichnet  und  zugleich 
einen  König  mit  dem  bedeutsamen  Titel  nem-mesu. 

In  einem  der  Gräber  von  Benihassan,  dem  des  Chnum- 


37)  Von  Goodwin  raitgetheilt  in  Zts.  1873,  39. 


Lauth:    Die  ägyptische  Tetraeteris.  335 

hotep,  Sohnes  von  Nehera^^)    erscheint  unter  den  Funeral- 
festen  auch  folgende  Gruppe  :   \^  ^^^r^::^  ^ffi  c.  [|   ^_^   i  ^  A  ^ 


„Fest  der  Stromfahrt  (TteQiTtlovg),  der  Aufnahme  des  Ueber- 
schwemmungsgewässers,  der  Sothiserscheinun g"".  Diese 
dreifache  Feier  ist  als  einheitliche  dargestellt,  weil  in  der 
That  der  Frühaufgang  des  Sirius  mit  der  Ergiessung  des 
Nils  über  seine  Ufer  in  die  Caiiäle  und  sonstige  Behälter 
identisch  ist.  Es  ist  also  nicht  eigentlich  eine  fete  de  la 
crue  de  fleuve;    denn   die  Texte    sprechen  ausdrücklich  von 

der   Ausgiessung   des  Flusses  z.  B.      |  A  ^^  ^^^3:^  ^^  -j  ^  ^  ^ 


I      [S    O       ,oC^ 


<l  9.9. 


39 


,o°°^  <~>  ^  i»^i6   göttliche  Sothis,    die  Herrin  des 

Jahresanfanges,  welche  ausgiesst  (seti  cit  projicere  transire) 
den  Nil  zu  seiner  Zeit."  Ja  aus  diesem  wortspielenden 
Seti^  Soti  erklärt  sich  am  besten,  wie  aus  der  Legende  Supd 
2wx^Lg  entstanden  ist. 

Wenn  hiemit  die  Existenz  der  Tetraeteris  für  den  Zeit- 
horizont der  XII.  Dyn.  als  erwiesen  gelten  darf,  so  fehlt  es 
glücklicherweise  auch  nicht  an  anderen  Symptomen,  welche 
eine  genauere  Bestimmung,  ja  sogar  die  Fixirung  eines  ab- 
soluten Dstums  gestatten.  Ich  meine  auch  hier  wieder  den 
bedeutsamen  Titel  nem-mesu^  der  monumental  dem  Dynastie- 
haupte Amenemba  I  eignet. 

Obgleich  Lepsius  in  seiner  bahnbrechenden  Arbeit 
,,über  die  XII.  ägyptische  Königsdynastie''  behauptete,  dass 
von  dem  Könige  Amenemhät  I  nur  wenige  Denkmäler  vor- 


38)  Brugsch:    Monn.  pl.    XVII,   2,  24;    de  Horrack :    Notice  sur 
le  nom  egyptien  du  cedre  p.  6. 

39)  Brugsch :     Materiaux  p.  30. 


336       Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

banden  sind,"  so  reiclien  diese  doch  hin,  um  zu  constatiren, 
dass  er  epochemachend  war,  und  ausserdem  sind  in  neuerer 
Zeit  weitere  Funde*^)  gemacht  worden,  welche  in  Verbind- 
ung mit  den  vorherbekannten ,  besonders  einer  Stele  des 
Louvre,  uns  die  Gewissheit  verschaffen,  dass  er  in  seinem 
19.  Regierungsjahre  seinen  Sohn  Veturtesen  I  zum  Mit- 
regenten angenommen  hat.  eine  Sitte,  die  sich  innerhalb 
dieser  Dyn.  noch  öfter  wiederholte. 

Nehmen  wir  sein  NamenprotocoU,  wie  es  Mariette  neu- 
lich aus  dem  ältesten  Theile  des  Tempels  von  Karnak  aus- 

gegraben    hat:     f  ^  /  ^^  V  0^^^^"^] 

nebst  der  Bannerdevise,   so  begegnet  uns  der  Titel    //  fn  ^ 

nem-mesu  ,,der  wiedergeborene ,  neugekrönte".  Auch  in 
Denderah  (Dümichen :  Baugeschichte  pl.  III  f.)  führt  Ame- 
nemha  die  Bannerdevise  ,^nem-mestu.^''  Da  ich  diesen  Titel 
sowohl  bei  Ramses  IX  und  zwar  in  triplo  ,  dann  bei  Se- 
thosis  I  und  Thutmosis  III,  also  im  Ganzen  bei  vier  Königen 
einer  Phase  der  Sothisperiode  entsprechend  getroffen  habe,  so 
unterliegt  es  für  mich  nicht  dem  geringsten  Zweifel,  dass  Ame- 
nemhal  im  Laufe  seiner  Regierung  eine  Neuzählung  seiner  Jahre 
eingeführt  hat.  Das  wievielste  Jahr  dies  gewesen,  lehrt  uns 
Manetho,  indem  er  von  Amenemes  I  16  Jahre  zum  I.  Bande 
und  zur  XL  Dyn.  rechnet.  Also  hat  sich  die  Epoche  mit 
dem  Beginne  seines  17.  Regierungsjahres  ereignet.  Welcher 
Art  diese  Epoche  sei,  dafür  gibt  uns  der  Laterculus  des 
Eratosthenes  mit  seiner  Nummer  31  den  erwünschten  Auf- 
schluss :  nazead^vQTjg  ertj  ig'.  Offenbar  ist  dieses  Petea- 
thyres    wegen    der    identischen  Zahl   16    ein  Beiname  des 


40)  Mariette':     Boulaq  grand  Vestibüle  Nr.  44;   Karnak  8  d,   e  ; 
Maspero:  la  stele  eg.  du  Musee  de  Rennes. 

41)  Es  steht  fl,  aber  offenbar  fälschlich  statt  ^  |. 


La,uth:    JDie  ägyptische  Tetraeteris.  337 

Amen  eines  I  und  da  sich  derselbe  ungezwungen  in  ,,die 
Gabe  der  Hathor"  zerlegt,  welche  die  eponyme  Gottheit  des 
Monates  A  t  h  y  r  (Hathur)  ist ,  so  erhalten  wir  hiedurch 
ein  absolutes  Datum:  der  Frühaufgang  des  Sirius  am  1.  Athyr 
entspricht  dem  proleptischen  Jahre  2545  v.  Chr. ,  welches 
das  17.  des  Amenemha  I  gewesen  ist.  Derselbe  regierte  im 
Ganzen  29  Jahre,  wie  uns  die  Sothisliste  No.  9  !AfxevE^rig 
ST7]  Xi9^'  und  die  Spuren  des  Turiner  Königspapyrus  beweisen. 

In  idealem  Zusammenhange  mit  diesem  Epochalnamen 
IleTea&vQrig  steht  es  wohl,  dass  nach  Amenemha  I  der  Name 
Se(n)-Hathor  ,,Sohn  der  Hathor"  so  häufig  erscheint.  So 
z.  B.  auf  einem  kleinen  Pylon  des  British  Museum* 2),    wo 

6^"    Ja'^:^  S^-HatJwr  dargestellt  und  das  übliche  Todten- 

opfer  erbeten  wird,  und  zwar  an  den  Tagen  üaJca  (17.Thoth), 
Tahuti  (19.  Thoth)  ,,and  in  the  festival  of  the  mani- 
festation  of  Sothis."  H.  Birch  bemerkt  dazu:  At 
this  time  it  will  be  observed  that  the  tiaJca  ,  a  moveable 
feast,  preceded  that  of  Thoth,  and  Thoth  the  heliacal  rising 
of  Sirius,  so  that  the  calendar  could  not  have  been  that 
of  a  f  ixed  year,''  —  Da  hier  nicht,  wie  oben  auf  der  Stele 

aus  der  Zeit  Thutmosis'  III,  die   <3?  A  J   durch  andere  ^?W 

ihre  concrete  Stellung  erhalten  hat,  so  könnte  man  schliessen, 
dass  der  Sothisfrühaufgang  nach  dem  Monate  Thoth  — 
warum  also  nicht  im  Laufe  des  Athyr?  —  stattgefunden 
hat,  welcher  bis  zum  1.  Jahre  des  Amenemha  III  dominirte. 
Hier  trat  dann  die  Epouymie  des  Choiahk  ein  und  daraus 
erklärt  sich  der  Epochalname  ^ov^ig,  ^aovxrjs^  Petesuchis, 

ein  Compositum  der  Bestandtheile  - — J  *%,  aa,  ^v^  5«,    § 


42)  Birch  in  Ztsch.  1874,  111. 
[1878. 1  Philos.-philol.-hist.  Cl.  Bd.  IL  3.]  24 


338       Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  7.  Becemher  1878. 

pe-ti  mit  dem  Namen  der  eponymen  Göttin    '  y  ®  J)  Suchet 

des  Monats  Choiahk.  In  der  That  nennt  Se-Hathor  als 
seinen  Herrn  den  König  Amenemha  II,  der  die  Mitte  hält 
zwischen  I  und  III,  den  beiden  Epoche-Herrschern.  Die 
Stellen  der  XI.  Dynastie  werden  durch  mehrere  Mentuhotep 
und  Antef  ausgefüllt.  Von  letzteren  beansprucht  Antef  II 
hier  eine  nähere  Betrachtung. 

Im  Papyrus  Abbott  ^^)  ist  unter  andern  Plünderungen 
auch  die  des  Grabmals  vom  König  Äntef-aa  erwähnt  mit 
dem  Beifügen,  dass  sich  dort  die  Stele  befinde,  auf  welcher 
der  König  stehend  mit  seinem  Hunde  (dhasem  ,, Knurrer") 
Namens  Bahuka  zwischen  seinen  Beinen  getrofi'en  werde. 
Nun  hat  Mariette  die  leider  an  ihrem  oberen  Theile  abge- 
brochene Stele  wirklich  aufgefunden ,  und  Birch  dieselbe 
in  einer  Abhandlung  der  Transactt.  IV,  I  behandelt.  In 
der  That  erscheinen  darauf  vier  Hunde,  wovon  einer:  No  1, 
Bahuka  heisst.  Ich  erkläre  mir  den  Namen ,  den  Birch 
wie  so  manches  Andere  unerklärt    gelassen    hat,    aus    dem 

Stamme  J  8  y^  ^^"^  hahu  ,, jagen"  mit  AfPigirung  des  äthio- 
pischen artic.  post.  ka,  der  auch  an  den  Königsnamen 
Schaba-ka,  Schabata-ka,  Tahar-qa  sich  findet.     Also   dieser 

eigentliche  Jagdhund  Jj  X  ^^  ^^  (I  Bahuka  mit  3  anderen 
und  seinem  V^^ärter  kz:^  <=>  ^  Tekenru,  dessen  Name  eben- 

falls  unägyptisch  klingt,  ist  auf  der  Stele  mit  dem  Könige 
abgebildet  Die  6.  Columne  des  Textes  enthält  das  wichtige 
Datum : 

Aj^^IJI  mIA    das  heisst:    Jahr  50,    Aufstellung    dieser 
43)  Vergl.  meine  acad.  Abhandlung  hierüber. 


Lauth:    Die  ägyptische  Tetraeteris.  339 

Stele  vor  [dem  Grabe]  des  Horas  wah-anch^  des  Königs, 
Solines  der  Sonne  Antef-aa,  des  Wiedergeborenen 
(neiigekr  ön  ten).  Den  letzten  Bestandtheil  des  Proto- 
kolls hat  Birch  ebenfalls  iinübersetzt  gelassen  und  doch  ist 
er  der  wichtigste.  Denn  er  berechtigt  mich,  weil  er  den  epoche- 
machenden Titel  nem-mesu  darstellt,  den  König  A.ntef-11- 
aa  mit  dem  Epochenjahre  2665  v.  Chr.  in  Verbindung  zu 
bringen.  Birch  1.  1.  erwähnt  die  Lejdener  Stele  (worüber 
De  Rouge,  Revue  arch.  1849,  557  flgd.)  mit  den  Namen 
Antefaqer  und  Amenu.     Letzterer   gedenkt    seines  ürgross- 

vaters  mit  demselben  Amte  unter  n^v  Qt"  Antefll  (aa)'^ 

Die  Stele  ist  gesetzt  im  Jahre  33  des  Vesurtesen  I  und  die 
4  Generationen  zu  133^3  Jahren  gerechnet,  führen  aller- 
dings in  die  Zeit,  welche  ich  dem  Antef  II  anweise.  „In 
this  inscription  Antef  has  not  the  usual  cartouche ;  but 
this  is  not  uncommon  in  the  Antef  liue."  Dasselbe  bemerke 
ich  auf  dem  mir  jetzt  erst  verständlich  gewordenen  Papyrus 

Boulaq  No  8  col.  6:  |\  ^  Antef,  der  coi.  7  ^J^  Pharao 
und  col.  8  [  ^.  li  ^  ]  Hcir-tep  und  am  Schlüsse  wieder  | 
nj  I  nem-mesu  genannt  wird.  Er  ist  offenbar  der  ^s.  F=q  (  ^  ) 
der  Ahnenkammer,  da  zunächst  der  ^^.  ^  Mentuhotep  folgt. 
Wegen  der  Schreibung  li  ™  —  j7  und  ^ ,  vergleiche  meine 
„Schalttage  des  Euergetes",  wo  hebes  )l9  =  ß  j  '  ^  V  ^^^ 
meinen  ,,  Alexander  in  Aegypten",  wo  ^  ^^  '  f  I  dem 
griech.  tüv  tv^cotcov  (pilcov  entspricht.  Dass  ich  anderwärts  **) 


44)  Aeg.  Chronologie  p.  108   -112. 

24: 


340      Sitzimy  der  phüos.-iMlol.  Classe  vom  7.  December  1878. 

den  König    (  0  X  -^  1    Achetus^  "Exexoq ,  ^4y.Tig-avrjg  D^H 

2^nc^  ^^d-orjg  ^  das  Haupt  der  Herakleopolitendynastie  IX 
(und  X),  mit  ebenderselben  Epoche  verbunden  habe,  invol- 

virt  keinen  Widerspruch ,    da  ja   der  Titel  ^^  a^/wna  t  ^^- 

mun(s)ch^  woher  Semunus,  „Sohn  des  Mun(s)ch''  (Name  des 
Ptah  als  Eponymus  des  Monates  Phaophi)  der  mittleren 
oder  Hauptlinie  zukommen  mochte,  wie  nem-mesu  dem  Ver- 
treter der  thebanischen  Linie  (XI.  Dynastie).  Ja  ich  habe  im 
Turiner  Papyrus  Fragm.  152,  3  die  Legende  des  Memphiten 

(vt\^^00\  Hanti  auf  die  120  jährige  hanti  bezogen 
und  darin  eine  Andeutung  derselben  Monatsverschiebung 
gefunden.  —  Wir  besässen  somit  in  Antef  11  aa  |  fn  '  U 
in  Acht  hoes -Semunus  und  in  H  a  n  t  i  3  Repräsentanten 
der  Epoche  2665  v.  Chr.,  entsprechend  der  Dreitheilung 
des  Reiches  in  Diospoliten,  Herakleopoliten  und  Memphiten. 
Nachdem  so  die  grosse  Kluft  zwischen  Dynastie  XII 
und  VII  überbrückt  ist,  können  wir  mit  einer  gewissen 
Zuversicht  in  der  thatenr eichen  VI.  Dynastie  nach  der 
Sothiserscheinung  und  der  Tetraeteris  Umschau  halten.  Da 
treffen  wir  denn  auf  einem  Opferaltare  der  Turiner  Samm- 
lung die  Gruppe  ^g  a  A^S  P^^^~'^^P^  , ^Erscheinung  der 

Sothis^^  in  Verbindung  mit  dem  Namen  des  Königs  Merira- 
Pupui  d.  i.  Molqtg  oder  Mev6cpQt]g  (Dlioip,  Ich  will  die 
vielfachen  Beweise  für  meine  Thesis,  dass  dieser  König  mit 
der  Hauptepoche  der  Sothisperiode :  2785  v.  Chr.  zusammen- 
fiel, wo  der  Frühaufgang  des  Sirius  am  1.  Thoth  des  Wandel- 
jahres erfolgte,  hier  noch  einmal  kurz  zusammenfassen. 

Die  Stelle  des  Mathematikers  Theon  von  Alexandria  zu 
des  Ptolemaeus  Almagest  setzt  ccTto  MevocpQSiog  (XriSscog) 
wie  Herodot  II  13:  Molql  ovxco  yjv  Uvea  sivaytoGia  rere- 
Xt  vti]x6t i    als  Ende  der  Sothisperiode,    die    von    2785  — 


Laiith:     Die  ä(/ijpHscJic    Tetraeterk.  341 

1326  V.  Chr.  iuclus.  läuft.  —  Diodor  I  51  setzt  analog  den 
MoiQLg  um  12  Geschlechter  hinter  den  OvyoQsvg'NeiXog.  Da 
dieser  kein  anderer  ist  als  Ramses  III  auf  der  Epoche  1325, 
so  haben  wir  hierin,  nur  in  umgekehrter  Ordnung,  denselben 
Ansatz ,  und  die  dc6öey.a  yeveal  sind  nichts  anderes  als  die 
zwölf  haidi  oder  Monatsverschiebungen  des  Wandeljahres 
während  einer  ganzen  Sothisperiode.  —  Eratosthenes  hat 
den  Namen  ^d^cod^rjg  mit  der  Uebersetzung  ^Eq^oyevrjg.  Dies 
ist    kein    Irrthum ,    sondern    die    richtige  Wiedergabe   der 

Legende  -^ — '■'  *^  .5^    Aa-Dhuti    ,,Spross    des   Thoth",   den 

Moeris    von   der   Epoche   erhielt,    wie   ja    auch    seine   Frau 

analog     "^  "^^  ,, Tochter   des  Thoth''    beigenannt    wurde. 

Die  Versetzung  des  Namens  liddd-yjg  im  Laterculus  rührt 
daher,  daes  Moeris-Phiops  zum  Vorgänger  den  Tutiia  hatte, 
wie  Menes  zum  Nachfolger  den  Atuta ,  wozu  noch  kommt, 
dass  Moeris  die  Pyramidoi'de  Mennefer  des  Menes  zu  einer 
vollständigen  Pyramide  ausbaute.  Daher  die  so  häufige 
Verwechslung  beider  Könige  z.  B.  bei  Diodor  I  44,  45  (und 
Plinius  36,  13):  aTto  MvQLaöog  (MoiQiöog)  ^  wo  der  Sinn 
Mdviöog  (Mrjvdöog?)  erheischt. 

Rechnet   man    dazu   noch   den  Ausdruck   1  ^  ^^^  ^^ 

„Jahr  darnach",  der  in  Inschriften  des  Moeris-Phiops  wieder- 
holt angetroffen  wird,  und  zwar  in  Verbindung  mit  einer 
Triakontaeteris ,  so  dass  sein  Regierungsanfang  1 2  Jahre 
vor  die  Epoche  2785  fällt,  weil  mit  seinem  18.  Jahre  die 
30  voll  werden  —  erwägt  man  endlich,  dass  die  grosse  In- 
schrift des  üna  unter  Moeris-Phiops  während  17  Tage  des 
Epiphi  einen  so  niedrigen  Wasserstand  des  Nil  constatirt, 
dass  ein  Transport  nicht  stattfinden  konnte,  was  sich  ge- 
nügend erklärt,  wenn  das  Waudeljahr  mit  dem  Sothisjahr 
damals  gleichen  Schritt  hielt:  so  wäre  es  wirklich  ein  Zeichen 
von  üngenügsamkeit,  wenn  man  sich  durch  alles  dies  nicht 


342      Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  7.  December  1878. 

für  überzeugt  halten  sollte,  dass  Moeris-Phiops  in  der  That 
Epochalkönig  für  2785  v.  Chr.  gewesen  ist. 

Für  die  vor  der  YI.  Dynastie  liegenden  Zeiten  wird  die 
Existenz  der  Tetraeteris  bewiesen  durch  die  Notiruug  der 
Sothiserscheinung  in  mehreren  Gräbern.  Brugsch*^)  erwähnt 
unter  den  Nummern  37,  38,  47,  49  ,,apparition  de  Sothis", 
das  letzte  Mal  unmittelbar  vor  der  Gruppe  ,,nouvel  an"  und 
bemerkt  im  Contexte  ,,dates  caleudriques  des  tombeaux  de 
Memphis  appartenant  aux  plus  anciennes  dynasties  de 
l'histoire  d'Egypte."  Lässt  sich  auch  aus  der  Stelle,  wo 
sich  diese  Sothiserscheinung  augemerkt  findet,  nämlich  nach 
den  beiden  pirt:  ,,grande  apparition  (d'Osiris)  und  appari- 
tion  de  Min,''  kein  auch  nur  annähernd  richtiges  Datum  ge- 
winnen, so  ergibt  sich  daraus  doch  jedenfalls  so  viel,  dass 
der  Frühaufgang  des  Sirius  beobachtet  und  notirt  wurde, 
was  für  die  Behauptung ,  dass  damit  die  Tetraeteris  ange- 
deutet sei,  vollständig  hinreicht.  Nimmt  man  dazu,  dass 
auf  Blöcken  der  Pyramide  von  Abusir,  die  dem  König  Ve- 
surenra  (Vesyres  =  Sisires)  eignet,  Monatsdaten  auftreten, 
die  ganz  und  gar  den  üblichen  des  Wandeljahres  ent- 
sprechen, so  ist  es  gewiss  kein  übereilter  Schluss,  dass 
auch  die  Verschiebung  des  Wandeljahres  innerhalb  des  fixen 
Sothisjahres  bekannt  gewesen  sein  muss.  —  Es  wird  sich  nun 
auch  der  Mühe  lohnen,  andere  Symptome  sorgfältiger  Zeit- 
notirung  in  diesen  uralten  Gräbern  der  V.  und  IV.  Dynastie 
einer  etwas  genaueren  Betrachtung  zu  unterziehen. 

VT. 

Die  Kenntniss  dor  Tageseintheilung  in  24  Stunden  ist 
den  Aegyptern  von  jeher  eigen  gewesen.  Zwar  trifft  man 
eigentliche   Kiepshydren   oder   Kleppsammidien  erst   in    der 


45)  Materiaux  p.  22,  24,  2"*®  tableau. 


Laiith:     Die  ägyptische  Tetraeteris.  343 

Ptolemaeerzeit  iiisebriftlicli'^^')  an  ;  allein  die  häufige  Gruppe 
scheb    ujon  vicissitudo  temporis  (wenn  dieses 


^J 


nicht  =z  ;;^  ^  schop)  bezeichnet  sicher  schon  früher  ein 
Instrument  der  Zeitmessung,  wie  ja  auch  Horapollon  1  16 
angibt :  sv  rolg  vögoloyloig  avvwp  ^lyuTtTWi  'avvo- 
xifpalov  -/^ad^rifxevov  yqacfOvOLv.  Ein  ähnliches  Instrument, 
das  ich  in  Ermangelung  einer  eigenen  Type  durch  die  3  Zeichen 

^^  t=a=3    wiedergebe,    führt    den   Namen    ^^^  ^  oder  "^"^ 

Mertech  oder  Melchet^  womit  ich  Aie\^!^vT  considerare 
vergleiche.  Es  ist  ein  Messinstrument,  wie  Dümichen  in 
der  Ztsch.  1872,  40  richtig  gesehen  bat,  vielleicht  ein  Vi- 
sirinstrument,  und  kommt  schon  auf  einem  Ostrakon  (ibid. 
1867,  37)  vor  in  dem  Satze:  ,,Pentaur  (der  Dichter  der 
aeg.  Ilias  ?)  machte  Beobachtungen ,  Betrachtungen  ^"^  J 
(des  Himmels?)",  nicht  aber,  wie  Chabas  übersetzt:  ,,Pen- 
tasur  a  fait  ce  qui  lui  a  plu :   ^_^  ^_^  I  • 

Wie  das  dem  Koptischen  Tcopi  yvw^wv  entsprechende 
Zeichen  phonetisch  dargestellt  wurde,  darüber  fehlt  bis  jetzt 
ein    entscheidendes    Beispiel.      Indess   hätte    ich    in    meiner 

Abhandlung  über  Bokenchons  *')    die   Gruppe    \  *^~rrj  tarn 

,, deren  Schäfte  bis  zum  Himmel  reichen"  ebenso  gut  mit 
diesem  Tcopi,  als  mit  *2iHpe  „Pfeiler"  —  itc<^Ä.i  columnae 
inscriptae  zusammenstellen  können.  Im  Romane  ,5der  zwei 
Brüder"  16  ult.  wird  erzählt,  dass  bei  der  Tödtung  des 
in  einen  Stier  verwandelten  Batu  (Bytes),  zwei  Blutstropfen 

nach     beiden    Seiten    des     li  (1  ^j  [1  ^^  n  ^^    grossen 


46)  Cf.  meine  Abhandlung:  „Alexander  in  Aegypten". 

47)  Z.  DMG  1863. 


344     Sitzung  der  phüos.-phüol.  Ölasse  vom  7.  Becemher  1878. 

Gnomon  des  Pharao  verspritzt  und  in  2  grosse  Pfirsichbäume 
verwandelt  worden  sein.  Das  Wort  tairaa  gleicht  obigem 
taru  (Plur.),  nur  dass  der  Hausplan  cr3  für  ^  als  Determi- 
nativ angewendet  ist,  cf.  li<P\  „bezeichnen,  beschreiben." 

Die  Person ification    der  Stunden   als  Frauen   ist  eine 

sehr  natürliche,    da  sowohl  ^^  5  ^   unnu't  othot  M  als 

I  Q  t'eb-t  *2wGn^  d.'2£(€)n(T)  cf.  y^^JJ  digitus  =  '^    (j  -^  | 

t'ebä  oh£i  —  generis  feminini  ist.  Ersteres  bezeichnet  also 
eigentlich  die  Nachtstunden,  letzteres  die  Tagstunden,  und 
demgemäss  tragen  die  Stundenfrauen  bald  den  Stern  ^  bald 
die  Sonnenscheibe  O  auf  ihren  Häuptern.  Es  war  also  den 
Aegyptern  ein  Leichtes ,  die  aliquoten  Theile  des  Tages  zu 
bezeichnen ,  wie  denn  der  uns  beschäftigende  wichtige 
Viertel  tag  ::^  6  Stunden,   in   dem   uralten   auf  die  Zeit 

des  Königs   (  o  t^  LI  ]   Menker  sm^  MeyxsQrjg,  MvyceQlvog 

zurückgeführten   cap.  64  des  Todtenbuches  erscheint:     „die 

24   Stunden    des    Tages    der   Mitte   des   Orion    (36.  Decan) 


gehen  insgesammt,  eine  um  die  andere  bis  zu  6:  t=3=i  V 


D< 


A D ^''■'^^  IISIIS  ^''"  Di^   ^^öi   Tageszeiten   Morgen, 

Mittag,  Abend  werden  häufig  erwähnt.  So  wurden  z.  B. 
der  Hathor*^)  Gussopfer  dargebracht  ®.  drei  Mal:  ^^ 
^Odas  eine  Morgens  (beq  cf.  np.2),  N^  ®";  das  zweite  Mit- 
tags  (hur  g^o^rp  interius) ;  ^J_L  J^  y^  ^^  ,  das  dritte 
Abends"  (mascher  cf.  r\'^^12  meta).   Dazu  kommt  die  Bezeich- 


48)  Mariette:     Denderah  I  64,  b,  1, 


Lauth:     Die  ägyptisclie   Tetraeteris.  345 

uung   „Mitternacht''   clurcli  ^^,*  ^  |  "T^*^^    „Hälfte   der 

Nacht"  (ma-n-garhu  e«scopg),  wo  der  betreifende  Gerheb- 
priester aufzuwachen  hatte. 

Entsprechend  dem  Sonnenstande  treffen  wir  in  den 
höchst  merkwürdigen  Darstellungen  des  Discusfanatikers 
Chuenaten    (Amenhotep    IV  ^^j    zu   Tell-Amarna    öfter    drei 

Stelen  ISI  T  ^Q  erwähnt,  welche  je  auf  einem  Berge 
^  und  zwar  als  östliche,  mittlere  (südliche)  und  westliche 
aufgestellt  waren.  Offenbar  waren  sie  nach  dem  jedesmaligen 
Sonnenstande  zu  den  3  Tageszeiten  orientirt,  was  nicht  zu 
verwundern   ist,    da  ja    Chuenaten    sich   den    Sonnendiscus 

J/wvwv  zum  Centrura  seines  Credo  gemacht  hatte. 

Herr  Brugsch  ^  ^)  glaubt ,    dass  die   so  häufige  Gruppe 

a"© Jji  1^1  Var. -L^j.  )  ne  se  prete  pas   toujours  au  sens   de 

quatre  fois"  und  erblickt  vielmehr  darin  ,,quatre  quarts'^ 
der  Tetraeteris.  Allein  die  Anbringung  dieser  Formel 
hinter  gewissen  Gruppen  besagt  doch  nur ,  dass  sie  vier- 
mal wiederholt  werden  sollen.  Es  liesse  sich  vielmehr  an 
die  4  Tageszeiten  denken ,  die  sonach  ein  zeitliches  Seiten- 
stück zu  dem  ebenso  häufigen  räumlichen  ß^^^'^^jg^^  ,,die 
vier  Himmels(gegenden)"  bilden  würden. 

Vorstehende  Bemerkungen  mögen  als  Ueberleitung 
dienen  zu  gewissen  Darstellungen  in  Gräbern  der  V.  Dy- 
nastie, wo  augenscheinlich  uralte  Beispiele  eines  ägyptischen 
Gnomon  aufstossen.  Herr  Vic.  de  Rouge  ^^)  bemerkt 
darüber:  ,,0n  ne  peut  se  defendre  de  penser  qu'un  semblable 


49)  Dümichen:     Kalenderinschriften  XXXV  col.  45/46. 

50)  Prisse:     Mönn.  XIII. 

51)  Materiaux  p.  76. 

52)  Monn.  VI.  prem.  dynn.  p.  289,  290,  296,  301,  310  (bis). 


346      Sitziuig  der  philos.-philol.  Glasse  vom  7.  Decemher  1878. 

moniimenfc  etait  une  sorte  de  gnomou  gigantesque."  In 
der  That  legt  das  Bild  selbst  einen  solchen  Gedanken  nahe : 
auf  einer  abgestumpften  Pyramide  /I\  steht  ein  Obelisk 
|1    und   dieser   selbst    wird    überragt   von   einem   Discus  O. 

Die  Phonetik,  welche  diesem  dreifach  componirten  Zeichen 
vorangeht,    ist    ebenfalls   eine   dreifache,    welche   sich  nach 

Aufhebung   der   Schriftinversion  so  darstellt :    ©  ,^  O  Sop- 

nuter-Ra  „göttliches  vSop  des  Sonnengottes^'.  Offenbar  hat 
hier  ©  sop  eine  örtliche  oder  gleichsam  materielle  Bedeut- 
ung, die  sonst  das  Determinativ  Sockel  r|D  „Schwelle", 
hinter  sich  hat  und  wahrscheinlich  mit  dem  P]1D  „ßnde, 
(Spitze?)"  zusammenhängt.     Indess  wissen  wir  aus  dem  Pap. 

Anastasi  P'),  dass  die  verwandte  Gruppe  (I  QA  g"@^  ®  asop- 
sep  nicht  „par  deux  fols  (quinze,  deux  coudees)"    bedeutet, 

sondern    die  Basis    bezeichnet,    da  der  Gegensatz    ^.  , 

bis  zum  Kopfe"  dabei  steht. 

Die  einfachere  Schreibung  ®  Sop  -  Ra  ohne  nuter  hat 
dasselbe  Determinativ  hinter  sich;  es  handelt  sich  beide 
Male  um  den  nämlichen  Gnomon  (des  Vesurkaf  OiaeQx^Qf]?) 
dessen  Theodule  oder  Priester  der  betreffende  Beamte  heisst. 

Eine   andere   Gestalt   bietet  die  Gruppe  'O'^^^Ä^O 

oder  vielleicht  in  der  Ordnung  ^S^  "Ö"  O  (ohne  das  Gottes- 
zeichen). Da  das  Deutbild  des  vieldeutigen  shepu  fehlt, 
so  lässt  sich  sowohl  ujon  accipere  als  ujenujon  illumi- 
nari  beiziehen.     Die  Beigabe  des  Herzens  "Ö"  erscheint  auch 

in  der  dritten  Schreibung :    jj  ^  ^  O  as'  het  nuter  Ra  für 


I 


53)  Chabas:    Voyage  p.48,  50.    Es  handelt  sich  das  zweite  Mal 
um  einen  Obelisken. 


Laiith:    Die  ägyptische  Tetraeteris.  347 

denselben  Gnomon.     Da   jj  ä,    auch    allein    als  Name    eines 

Obelisken  vorkommt  ^^),  so  empfiehlt  es  sich,  das  „Herz  des 
Sonnengottes'*,  zum  zweiten  Gliede  der  Construction  zu 
machen  und  zu  übersetzen:  ,, Aufnahme  (igon  receptio) 
oder  ,, Beleuchtung  des  Sonnengottherzens".  Man  erinnert 
sich  hiebei  unwillkürlich  an  die  Nachricht  eines  arabischen 
Schriftstellers,  sowie  an  die  Stelle  des  Plinius,  welcher  be- 
hauptet, dass :  ,,obeliscos  .  .  .  Solls  numini  sacratos ; 
radiorum  ejus  argumentum  in  effigie  est,  et  ita  signifi- 
catur  nomine  Aegyptio.''  ^^)  Dies  scheint  die  Auffassung 
des  ^^  als  illuminatio  zu  rechtfertigen. 

Trotz  der  Unsicherheit  im  Einzelnen  ergibt  sich  aber 
doch  aus  dem  Gesammteindrucke  dieser  drei  Legenden  des 
Gnomons,  besonders  mit  Berücksichtigung  des  Determinativs, 
dass  die  Sonne  dabei  die  Hauptrolle  spielt  und  das  Ganze 
mit  dem  Gnomon  des  biblischen  Königs  Ahaz^^)  eine  un- 
verkennbare Aehnlichkeit  darbietet.  Hat  ja  doch  auch  der 
Obeliscus  Divi  Augusti  im  Campo  Martio  als  Sonnenuhr  ge- 
dient! Den  Untersatz:  die  abgestumpfte  Pyramide  A,  kann 
man  sich  recht  wohl  stufenförmig  /\  vorstellen,  so  dass  die 
nl^yo  nicht  blosse  Grade,  sondern  wirkliche  gradus  be- 
zeichnen. 

Nimmt  man  dazu,  dass  das  Epitheton  „göttlich"  dem 
ägyptischen  Gnomon  wegen  des  Sonnengottes  gebührte, 
dessen  Name  ja  ohnehin  in  den  meisten  Ringen  der  Könige 
erscheint,    woher  sich  auch  der  Cult  desselben  durch  einen 

y  I  Theodulen  oder  f^   Priester  er  klärt;  bedenkt  man  ferner, 


54)  1.  1.  p.  303. 

55)  Vergl.  meine  acad.  Abb.  „Obell.  u.  Pyramiden"  1866. 

56)  Jesaias  XXXVIII  vergl.   den  Commentar  v.   Delitzsch  p.  374 
u.  v.  Gumpach. 


348      SitziDig  der  philos.-philol.  Clause  com  7.  Decemher  1878. 

dass  der  Tcope  yv(Of.iwv.,  den  ich  oben  doppelt  nachgewiesen 
habe,  mit  dem  Palaste  des  Pharao  verbunden  war,  so  lässt 
sich  seine  officielle  Bedeutuug  für  die  Zeitmessung  nicht 
wohl  anzweifeln. 

Weniger  positiv  muss  ich  mich  äussern  in  Betreff  einer 
Gruppe,  die  in  der  Legende  der  Prinzessin  Merisanch  vor- 
kommt. Zwischen  Chufu  und  Chafra,  den  Erbauern  der 
zwei  grössten  Pyramiden  gleichsam  als  Bindeglied  mitten 
inne  stehend,  erhält  diese  Persönlichkeit  die  höchsten  Titel, 
wie  sie  nur  einer  Königin  zukommen.^')  Hier  sollen  uns 
nur  zwei  derselben  beschäftigen.  Sie  wird  „Theodule  des 
Thoth"  genannt,  wozu  de  Rouge  bemerkt:  „ce  qui  impli- 
que  probablement    un    degre  d'instruction  superieure'S  und 

ausserdem  „Theodule  }c^  ,^ "  n  *^-=—  ^^  i    also    einer    gött- 

liehen  Persönlichkeit  in  Stiergestalt.  De  Rouge  übersetzt 
die  phonetische  Gruppe  mit  „venientis  in  hora  sua  (dei)'' 
,,celui  qui  saisit  son  heure,  son  moment",  fügt  aber  vor- 
sichtig hinzu  :  ,,I1  nous  est  impossible  d'affirmer  qu'il  s'agisse 
ici,  soit  d'Apis,  soit  de  Mnevis,  mais  il  y  a  lä  une  indication 
tres  precieuse  pour  l'histoire  du  symbolisme ;  puisqu'elle 
parait  faire  coincider  la  naissance  d'un  des  taureaux  divi- 
nises  avec  une  epoque  determinee,  des  le  commenceraent  de 
cette  superstition." 

Letzteres  ist  mir  durchaus  nicht  einleuchtend  und  über- 
haupt scheint  mir  der  Gedanke  an  einen  der  genannten 
hl.  Stiere  schon  desshalb  ausgeschlossen,  weil  keiner  derselben 
unter  obiger  Benennung  jemals  getrofPen  wird,  obschon  die 
betreffenden  Texte  reichlich  fliessen. 

Die   Seltenheit   des    Vorkommens   dieser  Legende 


@   gx^      (die  freilich   zwei    unbekannte   Grössen   enthält: 


57)  De  Rouge  1.  1.  p.  276,  277,  279. 


Lauth:   Die  ägyptische   Tetraeteris.  349 


X  n.Y,  da  sowohl  ^^   als   @   g   vieldeutig  sind) —  denn  sie 

findet  sieb  bis  jetzt  nur  in  diesem  Falle  —  brachte  mich 
auf  den  Gedanken,  ob  hier  nicht  jener  Stier  gemeint  sei, 
den  ich  oben  aus  den  astronomischen  Grab  -  Darstellungen 
als  Repräsentanten  des  aus  4  Vierteln  successive  entstehen- 
den Schalttages  erhärtet  habe.  Seine  Stellung  auf  dem 
Gerüste;^**)  die  Erinnerung  an  die  Drehscheibe  .ui^  oder 
■"IT"-    worauf  er  sonst  steht;    der    parallele  Titel  „Theodule 

des  Thot"  bringen  mich  auf  die  Vermuthung,  dass  (C^ 
□  @  i^e.^  ,,der  Festhalter  seines  Postens''  zu  übersetzen  sein 
dürfte.  Aus  den  Pap.  Prisse^^)  habe  ich,  freilich  in  anderem 
Zusammenhange ,  die  Stelle  33^  ^  '  1  □  "©  ^^-=*—  so  über- 
setzt :  „der  nicht  jemals  auf  seinem  Posten  ist."  (Wirklich  ist 
dieses  positive  hersop-f  Eigenname  des  Wächters  der  Windung 
desOrcus  (Todt.  c.  17,  67,  68)  -  .  Unmittelbar  vorhergeht  der  ^ 

^  ^^    "^    li^  "^    „Wegüberschreiter''.     Es   Hesse 


sich  ?\^\S  ,,Thron"  (Ztsch.  1873,  44)  wegen  seiner  Ver- 
wandtschaft mit  dem  Gerüste  ^^^  allenfalls  beiziehen.  Dass 
die  so  ermittelte  Beziehung  auf  den  Schalttag  von  der 
höchsten  Wichtigkeit  auch  für  die  Tetraeteris  wäre,  wird 
Jedermann  einräumen. 


VII. 

Wir  gelangen  nunmehr  zu  den  grössten  Weltwundern: 
den  Pyramiden    der    Könige  Chufu,    Chafra,    Menkeura   = 

58)   So  wird  er  öfter  z.  B.  Todtenbuch  c.  7/8   neben   dem  Schakal, 
Ibis,  Sperber  als   viertes  Emblem    getroffen;    ist    aber    nach    der 
Richtung  des  Contextes  zu  urtheilen,  der  erste  auf  dem  v-^k— • 
59)  Vero-1.  hierüber  meine  acad.  Abhandlung  1870. 


350        Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  7.  Deceniber  1876. 

Xeoii.>,  XecpQTjVj  MeyxsQivog  (MeyyjQrjg).  Nur  die  erste  soll 
hier  berücksichtigt  werden ,  nicht  weil  sie  die  allergrösste 
ist,  sondern  weil  an  ihr  die  sänimtlichen  Eigenthümlich- 
keiten  des  Pjramidenbaues  zum  Vorschein  kommen,  darunter 
auch  diejenigen,  welche  einen  Schluss  auf  die  astronomische 
Chronologie  und  zuaächst  auf  die  Frage  der  Tetraeteris 
erlauben. 

Während  uns  im  vorigen  Abschnitte  das  Amalgam  von 
Pyramide  und  Obelisk  in  dem  Gnomom  begegnet  ist,  treffen 
wir  zu  Cheops  Zeit  beide  gesondert.  So  hatte  sein  Sohn 
Merhet,  dessen  Grab  Lepsius  ins  Berliner  Museum  verpflanzt 
hat,  unter  andern  hohen  Titeln  auch  den  eines  Priesters  von 

^^"^öfl©^#^K.=_^y^   d.  h.  einer  Localität,    die 

durch  einen  Obelisken  des  Chufu  ansehnlich  war.  Der  Riesen- 
bau der  Pyramide  selbst  wird  in  einem  benachbarten  Grabe 
(der  Prinzessin  Hontsen)  in  Anlehnung  an  den  bereits  vor- 
handenen Sphinx  X  ^  .^^  Hu,  kurz  so  ausgedrückt  l  ^ 

baute  seine  Pyramide  zur  Seite  des  Tempels  dieser  Göttin'^ 
(Isis,  im  CoDtexte  X^^  „Gebieterin  der  Pyramide"  bei- 
genannt.)    In  der  Fortsetzung  des  Textes  heisst  es :   1  4^^ 

%s^     ^^<i^  1^^    Rex    utriusque    terrae    Cheops    fecit 


60)  Cf.  de  Rouge :  Monn.  des  VI.  pr.  dyn.  263,  265,  266,  267  etc. 

61)  Mariette  und  Karnak  pl.  42,   col.  ] 
\   sapt  mit  t=£±=j  und  ^  aber  ohne    A  . 


61)  Mariette  und  Karnak  pl.  42,   col.  10  und  18  steht    "  "  "^  ^ 


Lauth:     Die  ägyptische   Tetraetens.  351 

matri  suae  Isidi,  divinae  matri  Hathori,  dominae  dßvooov. 
Den  letzten  Theil  übersetzt  de  Rouge :  disposuit  titulum 
positum  in  stela",  bemerkt  jedoch  in  der  Note,    dass   statt 

A  ti  vielleicht  A  als  Deutbild  zu  1£  5ej?w^  stehe,  was  je- 
doch den  Sinn  nicht  ändere.  Da  derselbe  (f  als  se(s)cha 
Ok^  umschreibt  und  dieses  das  Objekt  zu  dem  Anfangs- 
stehenden   a,vvwn    fecit    würde ,    so    stünde    nichts    entgegen, 

o  A'  ^^®  ^^  steht,  als  ^coS^ig  zu  fassen  und  auf  Isis-Hathor 

zu  beziehen.  Denn  diese  Göttin  ist  in  Denderah  beständig 
Supd-^iodtg  beigenannt,  und  als  Verbum  betrachtet  würde 

1^  A  doch  ein  Personal-  oder  Participial- Affix  haben  müssen. 

Jedenfalls  garantirt  uns  schon  Isis-Hathor  allein  die  Sothis 
und  damit  die  T  e  t  r  a  e  t  e  r  i  s. 

So  darf  man  denn  auch  im  kunstvollen  Bau  der  Pyra- 
mide des  Chnemu-Chufu  —  Xefxßrjg-Xeoifi  etwas  Besseres 
als  einen  „Steinhaufen''  erblicken,  dessen  allmählige  Ent- 
stehung der  ,, Gelehrte"  des  ,, Baedeker"  p.  362  so  anschau- 
lich zu  schildern  weiss  :  „die  Stätte ,  wo  ein  König  ruhte, 
sollte  königlich  bezeichnet  und  weithin  sichtbar  sein ,  sein 
Grabmal  sollte  alle  anderen  überragen,  seine  Grabkamraer 
sollte  am  wenigsten  zu  eröffnen  sein.  So  mochte  man  zu- 
erst Steinblöcke  (!)  auf  das  geschlossene  Felsengrab 
eines  Königs  wälzen  oder  einen  Erdhügel  darüber  auf- 
schütten ,  wenn  Sand  und  Erde  in  der  Nähe  waren.  Die 
heftigen  Winde  (!) ,  welche  aus  der  Wüste  her  wehten, 
machten  es  jedoch  nöthig ,  diese  Erdhügel  mit  Steinen  (!) 
zu  befestigen  und  zu  bekleiden.  Dadurch  gewannen  die 
Grabeshügel  allmählig  (!)  eine  bestimmte  Gestalt,  sie  wurden 
(warum  ?)  viereckige  nach  oben  verjüngte  Bauten,  die  dann 
mit  breiter  Basis  und  starker  Neigung  zur  Pyramiden- 


352       Sitzung  der  pJiilos.-pMlol.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

form  (!)  übergingen  und  dadurch  die  grösstmögliclie  Festig- 
keit und  Solidität  erlangten."  ^^) 

Dieser  Theorie  des  allmähligen  Steinhaufens,  der  ja  zu 
einer  Kegel  form  hätte  führen  müssen ,  stelle  ich  meine 
Ansicht  entgegen,  dass  die  Pyramide  des  Cheops  vom  Ent- 
würfe an  eine  planvolle  Anlage  darstellt.  Schon  die 
genaue  Orientirung  nach  den  vier  Weltgegenden  verräth 
astronomischen  Charakter.  Dazu  kommt  die  Anbringung- 
verschiedener  Färbung  in  den  Innenräumen,  welche  auf  ab- 
sichtliche Wahl  zum  Ausdrucke  der  Begriffe  von  Sonne,  Mond 
und  fünf  Planeten  schliessen  lässt.  Was  aber  die  Haupt- 
sache ist :  der  Winkel  des  schrägen  Eingangsschachtes,  der 
regelmässig  an  der  Nordseite  angebracht  ist,  weist  auf 
den  jeweiligen  Nordpol  hin  und  so  konnte  von  HerscheP^) 
schon  auf  Grund  astronomischer  Berechnung  das  Jahr  3443 
V.  Chr.  als  Zeit  der  Erbauung  vermuthet  werden.  Ich  habe 
in  meinem  Aufsatze  „die  Pyramide  des  Cheops''  ein  astro- 
nomisches Horoscop  darin  erblickt  und  dabei  bemerkt,  dass 
der  Stern  a  Draconis,  auf  welchen  der  Schacht  hinweist, 
nicht  ganz  genau  den  beabsichtigten  Punkt  des  Himmels 
bezeichnet,  dass  also  wegen  dieser,  wenn  auch  geringen 
Abweichung  eine  kleine  Schwankung  in  der  Zeitbestimmung 
zu  statuiren  sei.  In  der  That  habe  ich  seitdem  gefunden, 
dass  Chufu's  Regierungsantritt  mit  dem  Jahre  3362  v.  Chr. 
zusammenfällt. 


62)  Trotz  dieser  seiner  Theorie  adoptirt  derselbe  „Gelehrte"  p.  369 
stillschweigend  und  fast  verstohlen  meine  Erklärung  des  Beinamens  von 
Chufu,  nämlich  Chnemu  (Diodor's  Xi^ußrjg)  „der  Erbauer,  Baum  eister'^ 
Man  begreift  nur  nicht  recht,  wie  die  Errichtung  eines  grossen,  ja  gi- 
gantischen Steinhaufens  dem  Cheops  diese  Benennung  eines  Künst- 
lers (denn  chnemu  bedeutet  die  Kunst  des  Zusammenfügens)  bei 
seinen  Zeitgenossen  eingetragen  haben  sollte. 

63)  Cf.  Piazzi  Smyth:  „The  great  Pyramid". 


Lauth:    Die  ägyptische  Tetraeteris.  353 

In  gewissem  Sinne  also  darf  man  bei  der  Pyramide 
des  Cheops  von  einer  ,, gemauerten  Chronologie*'^*)  sprechen, 
wenngleich  H.  von  Gumpach  in  der  Kritik  des  citirten 
Buches  ^^)  es  bedenklich  fand,  die  alten  Aegypter  mit  einer 
vollendeten  Astronomie  zu  beschenken.  Denn  es  ist ,  um 
von  der  religiösen  Seite  dieses  Grabmals  hier  ganz  zu 
schweigen,  doch  sicherlich  kein  Zufall,  dass  der  Zugang  zu 
der  Königskammer  und  dem  ganzen  astronomischen 
T  h  u  r  m  e ,  welcher  den  Kern  des  Baues  bildet,  die  einzige 
Zahlenangabe  bietet,    welche  sich  überhaupt  dort  vorfindet: 

Pllj    24   d,   h.    die   Jahre    des    Chufu    als    König.     An    der 

Aussenseite  entsprechen  diesem  Datum  6  X  36  =  216 
Stufen,  welche,  als  Decaden  gefasst,  wegen  der  Vierseitig- 
keit der  Pyramide,  die  4  X  6  =  24  Jahre  des  unmittel- 
baren Vorgängers  Snefru  ergeben.  Ich  schätze  mich  glück- 
lich ,  jetzt  den  Beweis  erbringen  zu  können,  dass  die 
Aegypter  wirklich  den  Steinblock  zum  Ausdruck  für 
Decade  gewählt  haben.^^) 


64)  Freilich  nicht  so ,  wie  Hekekyan-Bey  in  seinem  Buche :  A 
Treatise  on  the  Chronology  of  Siriadic  Monuments  etc.  den  Gedanken 
nebelhaft  durchführt  —  auch  nicht,  wie  Piazzi  Smyth ,  ohschon  dieser 
astronomischer  verfährt. 

65)  Ztsch.  für  aeg.  Sp.  1864  p.  48. 

66)  Auch  werden  die  36  Decane  nicht  selten  erwähnt;  so  z.  B. 
im  Pap.  Bulaq  No  3  pl.  12  lin.  13 :  ,,Es  treten  ein  die  Talismane  der 
Götter  des  Südens  und  des  Nordens  zu  dir  aus  den  36  Gauen;  du 
wandelst  damit  als  vollkommene  Seele,  du  thust  dein  Belieben  inner- 
halb des  Himmels ;  du  bist  zusammen  mit  den  (göttlichen)  Sternen ;  deine 
Seele  ist  die  36  h  e  i  t  der  göttlichen  Sterne ,  in  welche  du  dich  ver- 
wandelst." PI.  11 ,  hn.  10/11  werden  „36  Binden  (t^Mc)  verordnet, 
dieweil  es  36  Götter  sind,  zu  denen  seine  Seele  sich  am  Himmel  erhebt 
und  es  auch  36  Gaue  sind,  in  denen  die  Caerimonien  des  Osiiis  gefeiert 
werden."  Die  Decade  selbst  ist  öfter  daselbst  z.  B.  pl.  7,  ult.  und  9,  4 
durch    O  n  ^    vjede  Decade"  ausgedrückt. 

[1878.  I.  Philos.-philol.-hist.  Cl.  Bd.  II,  3.]  25 


354        Sitzung  der  philos -philöl.  Classe  com  V.Becemher  1878. 

In  meinen  ,,Zodiaques  de  Denderah"  hatte  ich  schon 
vor  zwölf  Jahren  auf  Grund  der  griechischen  Inschrift: 
TißeQLOv  l'zovg  Kä  ^eßaoTfj  {rifxeqa)  die  Ansicht  aufgestellt, 
dass  der  rechtwinklige  Thier kreis  auf  den  Geburtstag  des 
Kaisers:  den  17.  November  34  n.  Chr.  gemünzt  sei.  Wirk- 
lich erscheint  die  strahlende  Sonnenscheibe  am  fiOQLOv  der 
Himmelsgöttin  aus  11  Schichten  mit  je  17  Dreiecken  ge- 
staltet, doch  wohl  um  17/11  d.  h.  den  17.  November  zu 
bezeichnen.  Dass  dieses  der  Fall  ist,  lehrt  der  dabei  ange- 
brachte H  a  t  h  o  r  köpf  (mit  Kuhohren)  auf  einem  Untersatze, 
der  aus  einem  Doppelblocke  gebildet  ist.  Was  dieses 
Emblem  zu  bedeuten  habe ,  lehrt  die  Gegenseite  gleichsam 
als  Gegenprobe:  Hathor  sitzt  mit  einem  kleinen  Jungen 
auf  der  Hand  und  hat  hinter  sich  wieder  ein  Doppelbild  : 
eine  Schlange  nebst  einem  rechtwinkligen  Steinbl  o  ck. 
Die  Schlange  mit  Kopf,  4  Doppelwindungen  und  Schweif, 
etwa  in  der  Form  des  Zeichens  >=oo ,  bezeichnet  offenbar 
die  Decade,  eigentlich  zunächst  den  Decan.  Denn 
Clemens  Alex.  ^^)  bietet  die  Stelle:  ra  f^iv  yccQ  twv  aXXwv 
aOTQiov^  dtd  Tiqv  TtOQSiav  Tiqv  lo^rjv,  og)ecov  owfxaoiv  a/rfitza- 
'Qov  (^lyvTtTiOi)'  Tov  6e  '"H.XiOv  tw  tov  y,  av  d-  a  q  ov. 
Wirklich  kommt  die  Sonne  aus  dem  /xoqlov  der  Himmels- 
göttin zu  Denderah  in  Gestalt  eines  Käfers  zum  Vorschein. 

Da  nun  der  17.  November  =  21.  Athyr  und  dieser 
den  Anfang  der  dritten  Decade  bezeichnet,  so  sind  also  für 
die  Zeit  des  beabsichtigten  Horoscops  zwei  Decaden 
zurückgelegt.  Desshalb  hat  die  Hathor ,  die  eponyme 
Göttin  des  Monats  Athyr,  die  Schlange  und  den  Stein- 
block einmal  hinter  sich,  das  andre  Mal  zwei  Stein- 
b locke  unter  sich. 


Der  Block  hat  die  Form   | |  .  Es  ist  gewiss  nicht  zu- 


67)  Stromm.  V  (Pott  II  657). 


Lauth:    Die  ägyptische  Tetraeteris.  355 

fällig,    dass    in   dem    geometrischen  Papyrus  ^^)  des  British 


Museum    die    Langseite    der   Figuren  |  |  » 

~~]    (1  *^^-  c-Z]  a  Square    of   ten"  je    10   und    20 

^=»-7^  canes  (Ruthen)  misst.  Dass  man  dabei  an  die  De- 
caden  blocke  gedacht  hat,    geht    daraus    hervor,    dass   die 

Pyramide  Y  J  ^v*^~~^  A  abmer  mit  schwarzer  Spitze 
gezeichnet  ist,  was  sich  gerade  so  an  den  Pyramiden  von 
Gizeh  (ursprünglich)  und  in  den  bildlichen  Darstellungen 
von  Pyramiden  regelmässig  wiederfindet.  Es  ist  eben  der 
Nachthimmel,  an  welchem  die  Decane  zur  Erschein- 
ung kommen. 

Noch    mehr.     Auf   dem   Rundbilde  von    Denderah   ist 
der    36.   Decan    —    und    nur   dieser    allein   unter  allen    — 


wieder  durch  einen  solchen  Block  j |  mit  einer  ge- 
krönten Schlange  darüber  TiMA  bezeichnet  —  warum?  Nun 
ich  dächte,  aus  demselben  Grunde,  wesshalb  an  der  grossen 
Pyramide  des  Cheops  gerade  die  'öQ.  Decadenschicht  durch 
grössere  Dimensionen  ausgezeichnet  ist  Da  nun  in  beiden 
Fällen,  sowohl  an  der  Pyramide  als  im  Thier kreise,  gerade 
die  36.  Decade  hervorgehoben  ist,  so  bleibt  doch  wohl 
nichts  Anderes  übrig,  als  mit  mir  anzunehmen,  dass  die 
36  Decaden  des  Jahres  gemeint  sind.  Auch  dürfte 
die  Zahl  der  vielen  dazu  erforderlichen  Tausenden  von 
Arbeitern:  360,000  (36  Myriaden  bei  Diodor  I  63)  nicht 
ausser  Beziehung  zu  den  Decadenschichten  stehen.  Die 
Herübernahme  der  Hieroglyphen  oder  Schriftbilder  von  den 


68)  Ztsch.  1868,  110;    1874,  148;  1875,  26—29;   Eisenlohr:  „Ein 
Mathematisches  Handbuch  der  alten  Aegypter." 

69)  Die  Kantenseite  heisst:    c=:^=3  ^  ^^^^  '^  \\  U3    Piramus, 

woher  wolil  livQcc^uig  stammt. 

25* 


356      Sitzung  der  pMlos.-pJiilol.  Classe  vom  7.  December  1878. 

Himmelszeichen  erwälmt  Sanchuniathon  bei  Eusebius  pr.  ev. 
I  39:  Taavtog  fxtfxrjodixevog  xov  ovqavbv  .  .  .  öiervTtojasv 
Tovg  leQOvg  tcov  otolxeLov  xaqaKTrJQag. 

Diese  sind  aber  nur  die  chronologisch  -  irdischen  Ab- 
bilder der  astronomisch-himmlischen  Decane.  Wird  man 
nun  bald  einräumen,  dass  die  Pyramide  des  Cheops  nicht 
bloss  Sonne  Mond  Planeten ,  Decane ,  sondern  auch  das 
Sternbild  des  Nordpunktes ,  ja  sogar  durch  die  beiden  so- 
genannten „Luftlöcher'',  die  ich  aber  mit  besserem  Rechte 
als  Tuben  bezeichne,  den  Meridiandurchgang  der  Sothis 
and  den  grossen  Schenkel  des  Nordhimmels  als  Ausdruck 
des  fixen  Sothisjahres  und  der  Tetraeteris  beab- 
sichtigt hat?  Eine  Ahnung  dieses  wahren  Sachverhaltes 
liegt  auch  in  dem  Distichon:  ^^) 

^'Oaaav  btt''  OvXv/HTtw  Kai  Tlrihov  vifjco&svta 

^evdi^g  lOTOQirjg  Qr^aig  dvsTrXaaaro' 
IIvQafxldsg  d^exi  vvv  Neilwtdeg,  ay,Qa  ^ufTW^ra, 
KvQOVGi  xqvoeoig  aorqaöL  nXrjiaöojv. 

„c'est-ä-dire  ^Jusqu'au  cief 

Mit  lÄSTcoTCov  bezeichneten  die  Griechen  eigentlich  die 
Stirne,  dann  die  Fronte  eines  Baues  und  fast  scheint  es,  als 
ob  (XKQa  {ueziOTta  eine  Uebersetzung  von  IIvQafAldeg  dar- 
stellen solle;  die  Legende  Piramus:  die  schräge  Kanten- 
seite, die  sich  dem  Auge  darbietet,  passt  dazu,  und  da 
Pollux  ^izwTtov  ziz  f^£o6q)Qvov  setzt,  so  könnte  wirklich  die- 
selbe Höhe  gemeint  sein ,    wo    die    Tuben    die   Oberfläche 


70)  Letronne:  inscrippt.  grecques  II  513  —  516  im  Anschlüsse  an 
das  Distichon  des  Maximus: 

MvT^fxata  Kcci(pQrlv6g  te  xcu  avtid-dov  MvxiQtivov 
Kai  XeoTiog  xccti^oSp,  Ma^LfMog  i^yaaccfxrjy, 
sowie  an  das  Scholion  zu  Clemens  Alex.  Strorara.  IV,  113: 

IIvQCi^iSsg,  oixoöofiT^jUccra  j?V  Jiyvnzco,  aneQ  (pxoSofxrj^r]  iig  f^rtj- 
jLiccTOiy  xüjQay ,  (og  fiaQXVQÜ  ro  ev  ccvraTg  eniyQK^^u  ovxiag  e/ov : 
MyrjuaTa  etc. 


Lauth:    Die  ätjyptische  Tetraeteris.  357 

nach  A.ussen  durchstechen.  Dass  er  die  „goldnen  Plei'aden- 
sterne"  als  Zielpunkt  dieser  Tuben  gedacht  hat,  kann  nicht 
einfach  „jusqu'au  cieP'  bedeuten ,  noch  auch  den  Zenith, 
wohin  die  schwarze  Spitze  der  Pyramide  weist,  sondern  es 
ist  diejenige  Declinationshöhe  gemeint,  in  welcher  dem 
Aegypter  die  Plejaden  erschienen.  Dieses  Sternbild  hat  der 
Dichter  gewählt,  weil  es  in  Griechenland  das  am  meisten 
beobachtete  war ,  während  in  Aegypten  der  Orion  :  Osiris- 
Sahu  als  Vertreter  der  5  Epagomenen  und  Sothis :  Sirius, 
wie  die  glänzendsten,  so  auch  die  wichstigsten  Gestirne  waren. 
Auf  der  entgegenstehenden  Seite  bildete  das  Sternbild  der 
Menat  (Drache)  bezeichnenderweise  sowohl  die  Jahresmitte 
als  den  Monat  Phamenot  und  daran  schloss  sich  bis- 
weilen unmittelbar  „der  grosse  Schenkel  des  Nordhimmels 
(Bär  —  Wagen)  sowie  in  jüngerer  Zeit  der  Schakal  (kl. 
Bär ,  Mechir) ,  als  Repräsentanten  des  Vierteltages, 
dieses  für  die  Tetraeteris  so  wichtigen  Elementes. 

Der    eben    erwähnte   Stiervorderschenkel,    inschriftlich 


^  ^''^^a  mesech't^  mit  dem  koptischen  e^ep-Mici  pars 
quarta  verwandt  und  also,  weil  Ampliativum,  „das  grosse 
Viertel"     bedeutend ,     dient     in     vielen     Tempelinschriften 

>COO 

geradezu    als    Variante   zu    8  ^  mhet  Mg^iT  Norden,   sep- 

temtrio,  wie  ja  dieses  lateinische  Wort  auch  von  dem 
Siebengestirne  (gr.  Bär,  Wagen)  hergenommen  ist. 
Diese  Weltgegend  wird  nun  ausschliesslich  in's  Auge  ge- 
fasst ,  wenn  es  sich  um  die  0  r  i  e  n  t  i  r  u  n  g  der  Bauten 
handelt,  so  z.  B.  sehr  häufig  in  Edfu.  '^) 

Aber  auch  in  Denderah  (Ta-n-tarer  =   TevTvqa)^  dem 
Tempel  der  Hathor-Isis-Sothis,  wird  nebst  den  Caeremonien 


71)  Vergl.  Ztsch.  f.  aeg.  Spr.  1870,  154  sqq. 


358     Sitzung  der  philos.-pJiilol.  Glasse  vom  7.  December  1878. 

des  Erdaufhackens  (ersten  Spatenstiches),  Sandschüttens,  des 
Ziegelstreichens  und  der  Grundsteinlegung  von  Seiten  des 
Königs  (also  in  offizieller  Form)  die  Beobachtung  des  Nord- 
p  unkte s  als  unerlässliche  Vorbedingung  vollzogen.  Die 
Legende  ^2)  bezieht  sich  auf  den  Kaiser  Augustus  mit  dem 
chronologisch  wichtigen  Beinamen  H  a  r  m  a  (h)  i  s  ^^),  ist  also 
auf  das  Epochaljahr  5  v.  Chr.  gemünzt,  wo  der  Frühauf- 
gang des  Sirius  (Sothis)  am  1.  Mesori  (Monat  des  Harmachis) 
erfolgte.  Sie  lautet:  „Es  lebe  der  gütige  Gott,  der  Sohn 
des  (ibisköpfigen)  Asdes  (Form  des  Dhuti)  ^  genährt  von 
der  Erhabenen  (Muse)  (II^DH)  in  dem  Hekahause !  Der 
Herrscher  des  Landes  spannt  aus  den  Messstrick  mit 
Frohlocken,  das  Angesicht  richtend  nach  dem 
Mittelpunkte  des  grossen  Stier  vier  telgestirnes 

^"^  I  ^  I  M  (11  P^'^^^'  ^^^^^^  ®^  ^®^*  (errichtet  er)  den 
Tempel  der  Herrin  (oder  der  „goldenen"  L4q)qodk7fj  in  Den- 
derah,  so  wie  derselbe  es  war  seit  der  Urzeit." 
Es  ist  also  hier  die  astronomische  Beobachtung  zuerst  und 
zunächst  auf  den  (Mittel-)  Punkt  des  gr.  Bären  gerichtet, 
wie  wir  dies  analog  aus  dem  schrägen  Nordschachte  der 
Pyramiden  erschliessen  mussten. 

Zugleich  ist  diese  nicht  umsonst  mit  dem  Titel  ,,Sohn 
des  Thot"  (wie  oben  eine  Princessin  ,, Tochter  des  Thot 
und  Priesterin  des  quadriennalen  Stiers"  geheissen  hat)  in 
Verbindung  gebrachte  Thätigkeit  unzertrennlich  von  der  Scene 
des  Strickspannens  und  Pflockeinschlagens. 

Die  Göttin   Safech   ^    (Klio)   und  Augustus    stehen 

einander  gegenüber;  sie  hält  mit  der  Rechten,  er  mit  der 
Linken  einen  Pflock;    beide  Pflöcke   sind  mit  einer  Schnur 


72)  Bei  Dümichen:    „Baugeschichte  des  Denderahtempels"  pl.  44. 

73)  Vergl.  hierüber  meine  acad.  Abhdl.  „Augustus-Harraais"  1877. 


Lauth:  Die  ägyptische  Tetraeteris.  359 

umspannt;  in  der  andern  Hand  führt  jede  der  beiden  Per- 
sönlichkeiten einen  Schlägel,  um  die  Pflöcke  einzutreiben.  Die 
Begleitlegenden  sind  sehr  einfach  und  klar:  ,,das  Ausspannen 
des  Messstrickes  im  Tempel  der  mächtigen  (Göttin)"  —  das 
Entfalten  des  Strickes^*)  im  Treppenhause  des  rothen  Pracht- 
baues'^  Die  Göttin  spricht:  „Gepackt  habe  ich  den  Pflock 
und  den  Schlägel  in  Gemeinschaft  mit  Sr.  Majestät  (dem 
Kaiser),  gegründet  habe  ich  den  Wohnsitz  der  Sonnentochter 
(der  Hathor-Isis-Sothis)."  Der  Kaiser  spricht:  ,,Ich  nahe 
dem  Strahlenhaus  der  Tochter  des  Sonnengottes  mit  Froh- 
locken, um  zu  fundiren  den  Grundplan  ihres  Adytums." 

Am  wichtigsten   für   den    vorliegenden  Zweck   ist   der 

Passus:   v  (I  ^ ^^^^"^"^^   i)SO  wie  es  war  (orientirt)  daselbst 

seit  der  Urzeit,'^  um  so  bemerkenswerther,  als  derselbe  Tempel 
von  Denderah  in  einem  seiner  geheimen  Corridore^^)  den 
Satz  darbietet :  „der  ursprüngliche  Grundplan  von  Denderah 
(An*t)  war  eine  Restauration,  gemacht  von  Thutmosis  III, 
nachdem  er  aufgefunden  war  in  einer  alten  Schrift  aus  der 

Zeit  des  Königs     [#^2^.«=^  j     Ghufu   {Xeoxp ^   2ovg)ig)^'' 

Es  ist  schon  hiedurch  streng  erwiesen ,  dass  man  dem 
Baumeister  Chufu:  Chnemu,  wie  die  Orientirung  des 
Tempels  von  Denderah  nach  dem  Nordgestirne  des  grossen 
Stierviertels,  so  auch  die  absichtliche  Richtung  des  Schachtes 


74)  Hier  nicht   <:=^  ser,   sondern  jO  jO  ivmva  genannt.    Es 

scheint  mir,    dass  der  Ausdruck  'J^neS-o-y-ccnrcu  bei  Clem.  Alex,    aus 
Democrit  mit  der  sicheren  Bedeutung  „Seilspanner'*  aus  dem  Prototype 

^==j4p  )  ^J^  ^  ^  ^  Har-ped-o-n-hapt   „Oberer  des  Ausspannens 

das  Seil  der  Eckung"   [jcvfxdnop  OCOTIT)  zu  erklären  sein  mag. 

75)  Dümichen :  Bauurkunde  pl.  XVI  a,  b,  cf.  pl.  XV  col.  35—39. 


360       Sitzung  der  philos.-phüoL  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

seiner  grossen  Pyramide  nacli  dem  nämlichen  Mittelpunkte 
des  Nordhimmels  zutrauen  darf. 

Die  Parallelstelle  zu  der  eben  citirten  besagt,  dass  Thut- 
mosis  III  den  ursprünglichen  Plan  des  Denderahtempels  in 
einer  alten  Schrift  auf  Ziegenhaut  aus  der  Zeit  der  ,,Horus- 

diener    n    I  i  ^^^  ^'  entdeckt  habe,    welcher  in  der  Zeit  des 

Königs  Moeris-Phiops  in  einer  Umfassungsmauer  aus  Ziegel- 
stein aufgefunden  worden.  Abgesehen  von  der  Epochen- 
haftigkeit  der  Könige  Thutmosis  HI  (1705)  und  Moeris- 
M€j^o<5p^^g  -  Phiops  (2785)  beansprucht  hier  der  Ausdruck 
„Zeit  der  Horusdiener''  unsere  besondere  Aufmerksamkeit. 
Ich  habe  anderwärts  dargethan,  dass  damit  die  praehistori- 
schen  Könige  von  Ann  (On)  gemeint  sind.  Weiteres  siehe  in 
meiner  „Aegyptischen  Chronologie". 

Obgleich  der  obeo  erwähnte  Dichter  die  Sage  über  die 
Aufthürmung  des  Ossa  und  Pelion  zum  Olymp os  eine 
Fabel  nennt,  so  hat  er  doch  unbewusst  in  seiner  Zusammen- 
stellung dieses  Conglomerates  mit  dem  Pyramidenbau  viel- 
leicht das  Richtige  getroffen.  Denn  ist  nicht  der  Mythos 
über  Ossa  und  Pelion  (Olympos)  ein  Nachklang  der  Sage 
über  den  Thurm  von  Babel?  Besagt  nicht  diese  Himmiel- 
stürmerei  der  titanischen  Vorzeit  einfach  den  astrono- 
mischen Thurm,  wie  ich  ihn  im  Kerne  des  Cheops- 
Pyramide  aufgezeigt  habe? 

Wem  dies  Alles  problematisch  erscheint,  den  muss  ich 
auf  folgende  Thatsachen  hinweisen.  Herodot  hat  II  77 
die  Bewohner  des  besä'ten  Aegyptens,  womit  er  hauptsäch- 
lich das  Delta  meint,  als  diejenigen  bezeichnet,  welche  von 
allen  Menschen  zumeist  die  fnviqfxr]  d.  h.  das  geschichtliche 
Andenken  üben  und  sie  desshalb  XoycwTatoi  genannt.  Man 
bemerke,  dass  er  dies  im  Anschlüsse  an  den  Bericht  über 
den  Vogel  des  Thot,  den  Ibis,  thut.  Noch  näher  bestimmt 
er  dies  II  3,  wo  er  von  Memphis  spricht,  von  Theben  und 


Lauth:    Die  ägyptische  Tetraeteris.  361 

Heliopolis  d.  h.  den  drei  Hauptstädten  des  Landes,  mit  dem 
Beifügen :  ol  yccQ  ^HhovTtoXlTat  leyovrai  AlyvTtrimv  slvai 
Xoyiwxaxoi,  '^) 

Aber  nicht  nur  hieraus  erweist  sich  Anu-Heliopolis(On) 
als  Urhauptstadt  (vor  Theben  und  vor  Memphis),  sondern 
auch   aus   den   aegyptischen  Texten  und  Thatsachen  selbst. 

Aus  A  n  u  (On)  oder  Taui- Anu  stammten  die  T  h  e  e  i  - 
n  y  t  a  e ,  die  Herrscher  der  beiden  ersten  Dynastieen.  Ich  habe 
sogar  einen  der  praehistorischen  Könige  oder  „Horasdiener" 
(Theokrat)    in  Manetho's  Bytes  und  in  dem  urkundlichen 

(^3)  Jj    'Baten  erhärtet.     Daher  werden  alle  heiligen 

Satzungen  auf  Anu  zurückgeführt  (vergl.  das  Todtenbuch). 
In  Anu  bestand  eine  Gelehrtenschule  „Haus  der  Schriften'S 
worin  von  jeher  gelehrte  Bildung  geübt  wurde,  wie  der  Pap. 
Anastasi  I  beweist,  dessen  Held  Mesu  (Moses)  diese  Anstalt 
besuchte;  nach  ihm  sogar  Ausländer,  von  Pythagoras  Thaies 
Solon  Piaton  herab  bis  zu  Eudoxos  und  andern  Griechen. 
Ja,  Diodor  bezeugt  an  mehreren  Stellen,  dass  auch  Homer, 
Orpheus  etc.  dahin  gezogen  seien. 

Für  Anu's  Parallel  nun  passt  allein  der  conventionelle 
Ansatz  des  S  o  t  h  i  s  frühaufgangs  '  ^) ;  dass  der  Phönix  und 
der  Mnevis  dort  geheiligt  wurden ,  hat  ebenfalls  astrono- 
mische Bedeutung.     Insbesondere  aber  ist  es  ein  Bau ,    der 

in  dieser  Hinsicht  die  grösste  Beachtung  verdient  *  il  "^    J 

J(A/WW 
A  A     „Haus   der   beiden  Spitze(n)'^     Statt  des  Deter- 


76)  Nach  Naville:  teites  rel.  a  Horus  hätte  Diodor  (?)  die  Helio- 
politen  die  ältesten  Aegypter  gemeint.  Auch  Strabo  (Geogr.  I  2  p.  37) 
bezeichnet  zienalich  deutlich  den  astronomischen  Thurm  von 
Heliopolis. 

77)  Vergl.  meine  „Sothis  o^er  Sothisperiode". 


362      Sitzung  der  phüos.-pMloh  Classe  com  7.  December  1878. 

minativs    des    Pyramidions    Avird    bisweilen    die    Pyramide 

selbst    A^    oder   ein  Obelisk   11   gesetzt.     Aber  ursprünglich 

war  es  keines  von  beiden,  sondern  ein  Tliurm  von  eigen- 
thümlicher  Form ,  welche  auf  Galerie ,  Innentreppe  und 
Tuben  deutlich  hinweist.  Statt  der  Legende  Benhen  trifft 
man  auch  eben  so  oft  Berber  =  Belbel^  Babel  ^DS,  ein 
Reduplicativ,  dessen  einfacher  Stamm  sich  in  oßelog  (Tlrjhov? 
veru?)  wiederfindet.  Die  astronomische  Bedeutung  dieses 
Thurmes  von  Hatbenben  ergibt  sich  z.  B.  auch  aus  folgen- 
der Stelle  des  Pap.  Bulaq  No  3:  „Dein  Ruheplatz  ist  Ha(t)- 
B  e  n  b  e  n  an  vielen  Festtagen ;  dein  Ruheplatz  ist  der  grosse 
Bau  (im  Sonnentempel  zu  Heliopolis)  an  den  Feiertagen ;  du 
bist  als  Bennu  (Phoenix)  die  Form  des  Ra;  du  siehst  deinen 
Namen  in  allen  Gauen  (verehrt) ;  es  schaut  deine  Seele  vom 
Himmel  deinen  Körper  in  der  Nekropole,  deine  Statue  in 
den  Tempeln.  Du  bist  lebend  ewiglich,  du  verjüngest  dich 
immerdar."  Nun  ist  aber  factisch  diese  Oertlichkeit  stets 
mit  dem  ägyptischen  Babylon  zusammengestellt  worden; 
in  der  koptischen  Zeit  —  schon  der  Brief  Petri  ist  von 
diesem  RÄ.R*F\IIIII  datirt,  —  steht  es  geradezu  für  On- 
Heliopolis  an  der  Stelle  von  Alt-Kairo,  welches  ja  auch  ähn- 

lieh  das  oberhalb  gelegene  *^^-^    ^     Ta-rovu  T^o/a, Tura 

unter  der  kurzen  Form  Rovu  :=z  Aiotti  attrahirt  hat. 
Gibt  dies  nicht  Berechtigung,  einen  geschichtlichen  Zu- 
sammenhang zwischen  dem  Babelthurm  am  Euphrat  und 
dem  Belbelthurme  in  Heliopolis  zu  vermuthen  ?  Das  Zeichen 

der  Stadt  Anu   f|  ^    dient  im  geometrischen  Pap.  geradezu 

als  phonetische  Bezeichnung  von    A;  das  ist  wohl  Belb  el. 

Mit   Gewinnung   dieses   astronomischen   Thurmes   aber, 
den  ich  schon  in  der  Cheops- Pyramide   nachgewiesen   habe, 


Lauth:  Die  ägyptische  Tetraeteris.  363 

ist  zugleich  die  Basis  hergestellt,  auf  welcher  sich  der  Bau 
der  Chronologie  aufführen  lässt:  die  nachgewiesene  Beob- 
achtung des  Himmels  von  Seite  der  ältesten  Heliopoliten 
gewährleistet  uns  die  Zeitrechnung  überhaupt  und  insbe- 
sondere die  Kenntniss  der  Tetraeteris  bis  zu  meinem  prae- 
historischen  Bytes  hinauf,  den  H.  v.  Pessl  in  seinem 
„Chron.  System  des  Manetho"  so  lakonisch  und  ohne  nähere 
Bezeichnung  seiner  Quelle  adoptirt,  um  darauf  ein  ganzes, 
freilich  unhaltbares  eignes  System  aufzubauen.  Ueber  diese 
Schrift  und  das  Buch  des  H.  ünger:  „Chronologie  des  Ma- 
uetho,"  worin  minder  willkürlich  verfahren  wird,  gedenke 
ich  bei  einer  anderen  Gelegenheit  mich  ausführlicher  zu 
äussern. 


Sitzung  vom  7.  December  1878. 


Historische  Classe. 


Herr  Gregorovius  hielt  einen  Vortrag : 

„üeber    die    Stellung  Papst   Urban's   VHL 
zu  Spanien  und  dem  Kaiser.'* 

Derselbe    wird   in    den    „Abhandlungen''    veröffentlicht 
werden. 


*         Herr   Kluckhohu    legte   eine   Abhandlung  des  Herrn 
Fr.  V.  Bezold: 

„üeber  die  letzten  Jahre  der  Pfalzgräfin 
Elisabeth,  Gemalin  Johann  Casimir's" 

vor.     Dieselbe    wird    in  den  „Abhandlungen"  veröffentlicht 
werden. 


Herr  Friedrich  legt  vor : 

„Augsburger  Relationen''  bei  Gelegen- 
heit der  Visitatio  liminum  Aposto- 
lorum. 

Die  Visitatio  liminum  Apostolorum  erhielt  eine  neue 
Einrichtung  durch  die  Constitutio  „Romanus  Pontifex'' 
Sixtus'  V.  (1585).  Seit  dieser  Zeit  hatten  die  einzelnen 
Bischöfe  in  fest  bestimmten  Zeiten  persönlich  oder  in  wohl- 
begründeten Verhinderungsfällen  durch  einen  Delegirten  in 
Rom  eine  schriftliche  Relatio  über  den  Zustand  ihrer  Diö- 
cesen  bei  der  Congregatio  Concilii  Tridentini  Interpretum 
zu  überreichen. 

Solcher  Relationen  sind  nur  äusserst  wenige  in  die 
Oeifentlichkeit  gekommen  Im  Nachlasse  Amort's  (Cod.  lat. 
Mon.  1837.  Fol.  236  —  77)  finden  sich  nun  mehrere  über 
die  Augsburger  Diöcese  aus  dem  17.  Jahrhundert,  welche 
nicht  ganz  ohne  historisches  Interesse  sein  dürften ,  da  sie 
in  die  Zeit  des  dreissigjährigen  Krieges  und  nach  dem 
westfälischen  Frieden  fallen. 

Von  früheren  Relationen  erwähnt  Steiner,  Acta  selecta 
Ecclesiae  Augustanae,  Aug.  Vindel.  1785,  mehrere,  aber  nur 


366  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  7.  December  1878. 

gelegentlich.  So  aus  einer  vom  Jahre  1597  von  Bischof 
Johann  Otto  von  Gemmingen  (1591 — 1598),  dass  das 
römische  Missale  und  Brevier  in  der  Diöcese  eingeführt  sei 
(pag.  135)  und  dass  das  Lesen  der  heiligen  Schrift  in  der 
Volkssprache  in  seiner  Diöcese  nicht  verboten  werden  könne : 
„Die  Pfarrer,  schreibt  er,  können  der  deutschen  Bibel  nicht 
entbehren  ,  weil  sonst  Gefahr  wäre ,  dass  manche  derselben 
die  Schrift  für  die  Predigt  schlecht  übersetzen  würden ;  die 
Laien  aber  werden  weder  um  die  Erlaubniss,  die  deutsche 
Bibelübersetzung  lesen  zu  dürfen ,  bitten ,  noch  sich  die 
Bibeln ,  in  deren  Besitz  sie  sind ,  vom  Bischöfe  entreissen 
lassen,  wo  er  der  weltlichen  Jurisdiction  entbehrt.  Ausser- 
dem wäre  auch  noch  Gefahr,  dass  die  Häretiker  den  Katho- 
lischen vorwarfen,  sie  hätten  bisher  eine  nach  dem  Urtheile 
ihrer  Geistlichen  gefälschte  Bibel  gehandhabt,  weshalb  sie 
nunmehr  der  Schrift  ganz  beraubt  werden  und  sich  nur  auf 
menschlichen  Glauben  stützen  sollten.  Das  würde  den 
Glauben  der  Schwachen  erschüttern  und  die  Kritik  der  Ge- 
lehrten verschärfen"  (p.  143).  Ein  Citat  aus  der  Relatio 
Heinrich's  V.  von  1629  über  die  Visitation  und  Exemtion 
der  Klöster  findet  sich  bei  Steiner  pg.  205 — 7.  Ausserdem 
erwähnt  dieser  noch  zwei  Relationen  von  1634  und  1635 
(p.  182),  wobei  jedoch  ein  Druckfehler  unterlaufen  sein 
muss,  denn  in  zwei  aufeinander  folgenden  Jahren  fand  keine 
Visitatio  liminum  Apostolorum  statt ;  es  muss  offenbar  die 
letztere  Zahl  1639  heissen,  aus  welchem  Jahre  die  erste  bei 
Am  ort  befindliche  Relation  stammt.  Dieselbe  stimmt  auch 
inhaltlich  zu  der  kurzen  Angabe  Steiner's.  Auf  die  von 
demselben  Autor  erwähnte  Visitatio  liminum  im  Jahre  1650, 
welche  ebenfalls  bei  Amort  vorliegt ,  werde  ich  später  zu 
sprechen  kommen ;  auch  hier  hat  er  die  Relatio  um  ein 
Jahr  zu  spät  angesetzt,  indem  sie  die  Jahreszahl  1649  trägt 
und  auch  nach  den  Bestimmungen  der  Sixtinischeu  Con- 
stitution als  16.  Quadriennium  auf  1649  fiel. 


Friedrich:    Augsburger  Belationen.  367 

Die  erste  Relation  fällt  in  das  Jahr  1639  und  ist  von 
Bischof  Heinrich  V.  (von  Knöringen)  eingesandt.  Der 
Zustand  der  Diöcese  ist  begreiflich  ein  völlig  zerrütteter : 
die  Cathedrale,  die  Collegien,  Klöster  und  Pfarreien  sind 
theilweise  verlassen,  theilweise  nur  noch  von  einigen  wenigen 
Geistlichen  oder  Mönchen  und  Nonnen  besorgt ;  und  wenn 
früher  die  Diöcese  mehr  als  1100  Pfarreien  hatte,  so  sind 
1639  nur  noch  sehr  wenige  Pfarrer  vorhanden,  welche  in 
den  Pfarreien  residiren.  Einzelne  derselben  mussten  zwei, 
drei,  auch  vier,  sechs  und  mitunter  noch  mehr  Pfarreien 
zugleich  verwalten.  Und  was  die  Zahl  der  Diöcesanen  an- 
geht, so  sei,  sagt  der  Bischof,  auch  nachdem  Kaiser  Fer- 
dinand Augsburg  den  Feinden  wieder  entrissen  hatte,  kaum 
der  zwanzigste  Theil  derselben  restituirt  worden  :  ganze 
Städte  und  Dörfer  seien  verlassen.  Diesen  allgemeinen  Bemer- 
kungen folgt  dann  eine  Statistik  der  ganzen  Diöcese,  so- 
weit sie  hergestellt  werden  konnte :  über  die  Cathedrale,  die 
Collegiate,  die  Klöster  der  verschiedenen  Orden  und  religiösen 
Gesellschaften,  über  die  Deutschherren  und  Johanniter  und 
über  die  42  Dekanate. 

Die  zweite  Relation  ist  aus  dem  Jahre  1649  und  wäh- 
rend der  Minderjährigkeit  des  Bischofs  Sigmund  Franz, 
Erzherzogs  von  Oesterreich  (1646 — 1665),  von  dem  Ad- 
ministrator der  Diöcese  Johann  Rudolph  von  Rech- 
berg abgefasst.  Dieselbe  ist  eine  fortlaufende  Klage  über 
den  eben  abgeschlossenen  westfälischen  Frieden :  derselbe 
müsse,  heisst  es,  den  gänzlichen  Untergang  der  katholischen 
Religion  im  Bisthum  herbeiführen.  Dann  bespricht  er  die 
Aenderungen,  welche  die  Durchführung  des  Normaljahres 
1624  in  der  Diöcese  verursachte.  An  eine  Bekehrung  der 
Protestanten  zur  katholischen  Kirche  sei  nicht  mehr  zu 
denken ;  dagegen  sei  zu  fürchten ,  dass  gewisse  Katholiken 
weltlichen  Vortheils  wegen  protestantisch  würden.  Eine 
Disciplin  unter   den  Geistlichen   und    Laien    sei   jetzt  nach 


368  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

der  Gewährung  der  „Glaubensfreiheit"  gar  nicht  mehr  zu 
handhaben  :  sobald  eine  Züchtigung  der  Geistlichen  statt- 
finden solle,  schreien  sie  über  Verletzung  des  Friedens  und 
nennen  sie  sich  Protestanten.  Die  Laien  aber,  Fürsten, 
Grafen,  Barone,  Edle,  Städte  und  Magistrate,  seien  sie 
katholisch  oder  protestantisch,  erlauben  sich  Alles,  und  ant- 
worten den  Bischöfen  und  geistlichen  Oberen :  ,,Wenn  die 
Bischöfe  und  Oberen  nicht  aufhören,  das  was  ich  will,  zu 
verhindern,  so  werde  ich  einen  häretischen  Prädicanten,  der 
mir  keinen  Widerstand  leisten  wird,  rufen  oder  selbst  die 
Religion,  deren  Freiheit  im  Reiche  besteht,  annehmen." 
Weiterhin  wird  geklagt ,  dass  in  Folge  des  Friedens  auch 
das  kräftigste,  von  Bischof  Heinrich  gehandhabte  Mittel  zur 
Wiedergewinnung  der  Protestanten  ganz  versage.  Dieser 
Bischof  entliess  nämlich  in  katholischen  Territorien  Ge- 
borene, welche  in  Augsburg  und  anderen  protestantischen 
Städten  gemischte  Ehen  eingehen  wollten,  nicht  eher,  als 
feststand,  dass  sie  eine  katholische  Ehe  schliessen  wollten. 
Die  Folge  davon  sei  gewesen,  dass  häufig  der  protestanti- 
sche Theil  vorher  zur  Rückkehr  zur  katholischen  Kirche 
gezwungen  wurde  und  so  eine  ,, unglaubliche  Zunahme" 
der  katholischen  Religion  in  und  ausser  Augsburg  statt 
fand.  Endlich  bespricht  er  auch  noch  die  Temporalien  der 
Diöcese. 

Diese  Relation  konnte  selbstverständlich  in  Rom  keine 
grosse  Freude  erwecken,  wie  es  auch  die  Congregation  in 
einem  Schreiben  vom  11.  Juni  1650  aussprach.  Ausserdem 
erinnerte  sie  den  Administrator  Rechberg  zugleich  daran, 
dass  seine  Relation  unvollständig  sei,  indem  er  weder  die 
Diöcesanvisitation ,  noch  die  Diöcesansynode  erwähnt  habe. 
(Steiner,  1.  c.  pag.  236.) 

Eine   kürzere   Relation    schickte    derselbe  Administrator 
1654  nach  Rom  unter  Berufung  auf  die  vorausgehende,  da 


Friedrich:    Augsburg  er  Relationen.  369 

die  in  dieser  geschilderten  Zustände  nocli  immer  im  Ganzen 
fortdauerten  und  auch  nicht  andere  würden,  bis  nicht  der 
westfälische  Frieden  geändert  werde.  Doch  ergreife  er  jede 
Gelegenheit,  um  aus  demselben,  namentlich  aus  dem  Nor- 
maljahre  für  die  katholische  Kirche  Vortheile  zu  ziehen. 
So  in  Grönenbach,  Kaufbeuern.  Andererseits  gebe  es  doch 
hie  und  da  auch  erfreulichere  Erscheinungen.  Die  Bewohner 
von  Lindach  wären  in  Folge  des  Friedens  zum  Protestan- 
tismus zu  reduciren  gewesen,  allein  alle  Drohungen  und  so- 
gar der  Kerker  habe  sie  nicht  dazu  bewegen  können.  Auch  in 
Bezug  auf  Augsburg  habe  er  zuviel  befürchtet.  Das  Volk  sei 
allerdings  stets  wegen  zeitlichen  Yortheils  veränderlich ;  aber 
dennoch  hätten  nur  Wenige  aus  ihm  sich  zum  Abfalle  ver- 
leiten lassen.  Im  Gegentheil  hätten  einige  Männer  und 
Frauen  von  höherem  Ansehen  und  sogar  Einzelne  aus  dem 
Volke  den  katholischen  Glauben  angenommen.  Schwankende 
bringe  man  aber  alsbald,  sogar  unter  Anrufung  der  katho- 
lischen Fürsten  und  Mächte,  auf  den  Weg  der  Sicherheit. 
Diesmal  berichtet  er  auch  über  die  Visitation  der  Diöcese, 
der  sich  nur  in  unirten  Pfarreien  exempte  Regularen  wider- 
setzt hätten  ;  von  der  Diöcesansynode  aber  schweigt  er. 

Die  vierte  Relation  ist  von  1670  datirt  und  von  dem 
Bischof  Johann  Christoph  (von  Freyberg)  1665,  resp. 
1666  —  1690,  eingesandt.  Nach  ihr  ist  der  gegenseitige  Be- 
sitzstand abgeschlossen  und  ein  fester  geworden.  Dazu  sei 
aber  ein  noch  weit  schlimmeres  Uebel  gekommen,  dem  erst 
er  Herr  werden  konnte.  Durch  die  im  westfälischen  Frieden 
festgesetzte  „Religionsfreiheit''  sei  im  Welt-  wie  Regular- 
klerus  eine  allgemeine  Desertion  entstanden,  und  zwar  auch  in 
jenen  Gegenden,  wo  bis  dahin  eine  straflose  Apostasie  un- 
möglich gewesen  sei.  Säculargeistliche ,  noch  weit  mehr 
Klostergeistliche,  und  zwar  aus  einem  und  dem  anderen 
Kloster  jährlich  drei,  vier  und  mehr,  seien  in  häretische 
Orte  entflohen  und  haben  dort  incestuose  Ehen  eingegangen. 
[1878.  IPMlos.-phil.-hist.Cl.Bd.II.3.]  26 


370  Sitzung  der  histor.  Ölasse  vom  7.  December  1878. 

Dem  habe  er  mit  allem  Nachdruck  entgegenwirken  müssen 
und  es  sei  ihm  gelungen ,  diesen  Skandal  zu  beseitigen  da- 
durch, dass  er  selbst  die  ganze  Diöcese,  auch  die  seiner 
Jurisdiction  unterworfenen  Collegiatstifte  und  Klöster  visi- 
tirte,  Ruralsynoden  einführte,  die  kirchliche  Disciplin  wieder 
herstellte,  die  Lasterhaften  züchtigte,  die  Unverbesserlichen 
proscribirte  oder  so  züchtigte,  dass  sie  sich  besserten  und 
nunmehr  gut  führen.  Aber  auch  die  Exemten  der  Diöcese 
mahnte  er ,  zu  bessern  was  zu  bessern  sei  und  nach  ihren 
Regeln  zu  leben.  Die  Jesuiten  seien  wieder  in  Kaufbeuern ; 
aber  Grönenbach  könne  er  nicht  erlangen  gegen  die  Macht 
der  protestantischen  Fürsten  und  die  Schweizer,  er  werde 
jedoch  nicht  nachgeben.  Auch  die  Streitigkeiten  mit  dem 
Herzog  von  Württemberg  werden  erwähnt.  Der  Stand  des 
Klerus  sei  wieder  ein  solcher ,  dass  fast  alle  Pfarreien  mit 
einem  eigenen  Pfarrer  besetzt  und  so  viele  Geistliche  vor- 
handen seien,  dass  nicht  einmal  allen  Beneficien  übertragen 
werden  können.  Neue  Kirchen  werden  erbaut,  andere  er- 
halten neuen  Schmuck,  die  Paramente  werden  erneuert,  als 
ob  die  Zeiten  des  Krieges  die  Gläubigen  für  den  Kult 
ganz  besonders  angeregt  hätten. 

Die  fünfte  Relation  ist  von  dem  nämlichen  Bischof 
Johann  Christoph,  aber  ohne  Datum.  Da  er  jedoch 
erwähnt,  dass  er  schon  19  Jahre  Bischof  von  Augsburg  sei, 
so  wird  die  Relation  in  das  Jahr  1686  fallen.  Es  wird 
zunächst  constatirt,  dass  nunmehr  eine  Hoffnung  nicht 
mehr  sei,  der  westfälische  Friede  könnte  rückgängig  ge- 
macht werden,  jedoch  sei  es  daneben  tröstlich,  dass  Fälle 
der  Apostasie  unter  den  Laien  und  dem  Volke  selten  seien, 
unter  den  Geistlichen  und  Religiösen  kaum  einer  mehr  vor- 
komme. Auf  der  anderen  Seite  sei  durch  die  Unterstützung 
und  Geldmittel  der  welthchen  Fürsten  auch  dafür  gesorgt, 
dass  Convertiten  bis  zur  Erlangung  einer  anderen  Susten- 
tation  bequem    leben  können.     Tm  Uebrigen    sehen  wir  den 


Friedrich:    Augsburg  er  Relationen.  371 

Zustand  der  Diöcese  bereits  so  beschaffen ,  wie  er  bis  zur 
Säcularisation  bestand.  Die  regelmässigen  Katechisationen 
und  Predigten  sind  eingeführt,  ebenso  das  lOstündige  Ge- 
bet; die  Ablässe  sind  in  neuem  Aufschwünge;  die  Bruder- 
schaft zum  allerheiligsten  Sacrament  zählt  über  100,000 
Mitglieder;  das  Seminar  ist  in  Blüthe  und  die  Zahl  der 
Geistlichen  grösser  als  die  der  Beneficien.  Nur  die  Bene- 
diktiner, welche  die  Exemtion  anstreben,  und  die  Collegiat- 
stifte  in  Augsburg,  welche  von  der  Residenzpflicht  eximirt 
zu    sein   behaupten,     machen    dem    Bischof    einige    Sorgen. 

Die  sechste  und  letzte  Relation  ist  von  Bischof  Ale- 
xander Sigismund  eingesandt  und  vom  Jahre  1690 
datirt.  Sie  beschäftigt  sich  ganz  ausführlich  mit  Beschwer- 
den über  die  Benediktineräbte  unter  seiner  Jurisdiktion. 
Was  sie  sonst  berührt,  ist  von  keiner  Bedeutung. 

Die  Ortsnamen,  wenn  auch  hie  und  da  in  schlechter 
Form  gegeben,  sind  alle  erkenntlich  und  brauchen  des- 
halb nicht  nach  der  gegenwärtigen  Schreibweise  angegeben 
zu  werden. 


I. 

Relatio  status  ecclesiae,  et  totius  dioecesis 

Augustanae  provinciae  Moguntinensis 

anno  1639. 

Beatissime  Pater.  Henricus  Episcopus  Augustanus 
Provinciae  Moguntinensis  Sanctitatis  Vestrae  sacros  pedes 
pro  humillima  veneratione  osculans,  sacrisque  Constitu- 
tionibus,  maxime  Sixti  Papae  quinti,  fei.  rec,  aliisque  con- 
stitutionibus  apostolicis  obedientissime  insistens  plurimum 
dolet,  quod  in  tam  luctuosa  et  iniqua  tempora  inciderit, 
ut  nee  in  persona,  nee  per  nuntios  afflictae  ecclesiae  suae 
statum   citius  exponere,    Sanctitatisque  Vestrae  sauctissimis 

26* 


372  Sitzung  der  hisfor.  Classe  vom  7.  Becernher  1878. 

solatiis  roborari  potuerit.  Ne  taraen  eo ,  qnod  hactenus 
semper  e  visitatione  liminura  ab  annis  quadraginta,  quibus 
ecclesiae  Augustanae  praeest,  diligenter  quovis  tempore 
peracta  sensit,  apostolico  solatio  diutius  careat,  humillime 
per  hunc  nuntium  sacra  visitare  intendit  limina  apostolorum, 
et  brevissime  Yestrae  exponit  Sanctitati ,  quod  ecclesiae 
Augustanae  statu s  per  calaraitosissima  bella  tarn  misere  per- 
tnrbatus  sit,  ut  Sanctitatis  Vestrae  animum  continuis  curis 
occupatum  longiori  tristitia  ,  et  luctuosa  bujus  calamitatis 
enarratione  detinere  vereatur,  sufficit  episcopum  ipsum 
memoratum  summa  in  senectute  huic  raiseriae  esse  prae- 
sentem,  cui  profecto  tristius  accidere  potest  nihil,  quam 
oculis  videre  miserabilem  cladem  ab  haereticis  tam  in  clero 
regulari  et  saeculari ,  quam  in  dioecesano  populo  per  tam 
diuturnas  infestationes  acceptam,  et  finem  calamitatis  ap- 
parere  nullum. 

Redditus  certe  mensae  episcopalis  non  solum  ab  hoste 
Sueco  aliquot  annos  sedem  episcopalem,  episcopo  in  exiliüm 
fugato ,  occupante ,  sed  etiamnum  hodie  a  milite  Augu- 
stissimi  Imperatoris  et  Serenissimi  Electoris  Bavariae  diutius 
per  totam  dioecesin  hibernante  ita  diminuti  sunt,  ut  epis- 
copus  summo  in  senio  non  solum  dignitatem  suam  episco- 
palem non  tueri,  sed  habere  non  possit,  unde  officiales  ad 
regendam  dioecesin  necessarios  sustentare  queat. 

Accedit,  quod  dictus  episcopatus  ab  integro  fere  saeculo 
pluribus  tum  ob  bellum  adversus  Turcas  et  haereticos  pro 
conservanda  et  augenda  religione  catholica  tantis  debitis  in 
subsidium  belli  contractis  oneratus  sit,  ut  censibus  persol- 
vendis  redditus  tam  accisi  nullo  modo  sufficiant. 

Has  ipsas  ob  causas  ecclesia  cathedralis,  quae  ante  haec 
bella  canonicos  habuit  quadraginta,  totidem  vicarios,  capel- 
lanos,  plures  mansionarios ,  et  alias  personas  ecclesiasticas 
raultas,  ob  summam  paupertatem  comraode  hoc  tempore 
non  potest  quatuor  aut  quinque  canonicos  et  sex  capellanos 


Friedrich-     Ätigsbaryer  Belationen.  373 

sustentare  ;  adeo  ut  res  divina  gravissimo  cum  omnium  dolore 
et  illachrimatione  magna  ex  parte  intermittenda  sit,  quodque 
nunquam  ab  ipsis  ecclesiae  hujus  primordiis  contigit,  matu- 
tinum  aliaeque  horae  praeter  vesperas  decaiitari  nequeant. 
Id,  quod  similiter  in  pluribus  ecclesiis  collegiatis  tum  insig- 
nibus  tum  aliis  omnino  depauperatis  fieri  oportet. 

Et  licet  monasteria  ac  collegia  tarn  virorum  quam  foemi- 
narum  aliorumque  regularium  per  dioecesin  plurima  olim  per 
dei  gratiam  ita  fuerint  in  temporalibus  benedicta,  ut  in  iis 
laus  dei  in  amplissimo  numero  fuerit  jugiter  decantata, 
attamen  pleraque  nunc  vel  sunt  deserta,  vel  ita  comparata, 
ut  in  iis  ob  paupertatem  res  divina  vel  intermitti,  vel  a 
paucis  personis  fieri  debeat. 

Quam  vis  etiam  dioecesis  Augustana,  e  Germaniae  episco- 
patibus  amplissimis  una,  numeret  parocbias  plus  quam  mille 
et  centum,  attamen  in  bis  omnibus  ob  saepe  repetitam  patriae 
calamitatem,  et  destructa  bona  ecclesiastica  non  nisi  parocbi 
perpauci  residere  possunt.  Quam  ob  causam  unus  sacerdos 
subinde  duarum ,  subinde  trium ,  subinde  quator ,  sex  et 
plurium  parochiarum  curam  sustinere  cogitur,  et  ex  tot  labo- 
ribus  tantum  comparare  non  potest,  ut  honeste  sese  susten- 
tare queat. 

Et  licet  numerus  ovium  dioecesanarum ,  postquam 
Augusta  ante  annos  quinque  cum  dioecesi  Ferdinandi  Impe- 
ratoris  armis  hosti  erepta  fuerat,  nonnibil  fuerit  auctus,  vix 
tamen  vigesima  dioecesanorum  pars  restituta  est,  adeo  ut 
integra  oppida,  pagi,  villae  magna  ex  parte  maneant  deserta, 
dioecesisque  olim  populosissima  in  vastitatem  et  solitudinem 
migraverit.  Nihilominus  tamen  saepedictus  episcopus  Augus- 
tanus non  intermittit  opportune  importune  vigilare  et  labo- 
rare,  ut  animarum  cura  ubique  cum  cultu  divino  restituatur 
ac  conservetur,  uti  nee  de  reductione  deperditarum  per  bae- 
resin  animarum  ad  fidem  catbolicam  faciendam  animum 
remittit.   —   —    — 


374  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  7.  December  1878. 

Status  totius  dioecesis   et  ecclesiae   Augustanae 

post  bellum  Germano  -  Suecicum  anno  1639, 

in  Septembri  descriptus. 

Quantas  iniurias   et  calamitates   R.  E.    et  111.  Princeps 

ac  d.  Henricus  Episcopus  Augustanus  jam  ab  anuis  octo,  qui- 

bus  bella  haeretico-suecica  in  hodiernum  usque  diem  invales- 

cunt,  perpessus  fuerit,  et  adhuc  patitatur,  in  relatione  priore 

pro    visitatione    liminum    apostolicorum     conscripta   abunde 

expositum   fuit.      Quomodo    vero   tota   dioecesis    et    ecclesia 

Augustana   post   horribilem    hanc   tempestatem   sese  habeat, 

ex  sequenti  descriptione  manifestum  fiet. 

Ecclesia  cathedralis. 

Ecclesia  cathedralis  Augustana  canonicos  habet  quadra- 
ginta  ;  capellanos  seu  vicarios  totidem  ;  quatuor  canonico- 
rum  vicarios  sacerdotes ;  vicarios  duos  canonicorum  dia- 
conos  ;  duos  subdiaconos ;  lectores  partim  diaconos,  partim 
subdiaconos  sex ;  cantores  sexdecim ,  et  alias  personas  com- 
plures. 

Ex  his  Omnibus  ob  paupertatem  ecclesiae  cathedralis, 
et  devastatos  fructus  beneficiorum  vix  canonici  quatuor  aut 
quinque,  vicarii  sex  circiter;  ex  reliquo  toto  numero  vix 
quatuor  aut  sex  residere,  indeque  aegre  aut  vix  se  sustentare 
possint.  ünde  necesse  est,  ut  horae  canonicae  in  choro  ob 
praedictam  paupertatem  cum  gravi  catholicorum  dolore  can- 
tari  nequeant. 

Ecclesiae  collegiatae  in  civitate  Augustana. 

1.  Ecclesia  collegiata  s.  Mauritii  Augustae  praeter  duas 
dignitates  praepositi  *  et  decani  habet  canonicos  duo- 
decim ;  vicarios  seu  capellanos  octodecim ;  cantores 
quator.  Ex  his  non  nisi  tres  canonici,  sex  capellani 
resident,  nee  se  e  fructibus  ecclesiae,  sed  aliunde  alunt. 

2.  Collegiata  s.  Petri  habet  praepositum  et  quinque  cano- 
nicos.   Ex  his  tres  resident,  sed  aliunde  se  sustentant. 


Friedrich:    Äuyshimj er  Relationen.  375 

3.    Collegiata    s.    Gertrndis    habet  praepositum   et  quatuor 
canonicos.     Ex  liis  duo  resident  et  aliunde  vivunt. 
Collegiatae  extra  civitatem. 

1.  Collegiata  s.  Viti  in  Elwangen  exempta  habet  praepositum 
Principem  Imperii,  decanum  et  plures  canonicos  et  capel- 
lanos.     Ex  quibus  nunc  pauci  resident  cum  Principe. 

2  Collegiata  b.  Virginis  in  Feichtwangen  in  manibus  est 
haereticorum. 

3.  Collegiata  s.  Petri  in  Dillingen  habet  praeceptorem  (?) 
et  aliquot  capellanos.  Pauci  resident,  reliquis  ob  de- 
fectum  sustentationis  exulantibus. 

4.  Collegiata  s.  Udalrici  in  Häbach  habet  praepositum, 
decanum  et  sex  canonicos.  Excepto  praeposito  omnes 
resident,  et  simul  parochias  ipsorum  ecclesiae  incorpo- 
ratas  administrant ;  quia  alpibus  sunt  vicini  et  hactenus 
ab  hostibus  liberiores. 

5.  Collegiata  ss.  Pilippi  et  Jacobi  habet  decanum  et  ali- 
quot canonicos.  Solus  decanus  residet,  sed  aliunde 
vivit,  quod  ob  calvinistas  hanc  ecclesiam  vexantes  hac- 
tenus redditibus  gaudere  non  potuerit. 

Monasteria    Ordinis   s»  Benedicti   omnia    Ordinario  subjecta. 

1.  Monasterium  s.  Udalrici  etAfrae  in  civitate  Augustana 
ob  destructos  redditus  religiosos  suos  aegre  alit. 

2.  Monasterium  Ottobeuern  religiosos  residentes  e  parochiis 
unilis,  ad  quas  administrandas  eos  emittere  cogitur, 
alit,  reliquis  exulantibus. 

3.  Monasterium  s.  Magni  in  Fiessen  religiosos  e  peste  et 
hello  reliquos  habet  omnes. 

4.  Monasterium  Ursen  s.  Mariae  Virginis  misere  destruc- 
tum  religiosos  suos  habet  in  parochiis  unitis ,  nee  ipse 
d.  abbas  hactenus  in  monasterio  habitare  potuit. 

5.  Monasterium  Fultenbach  s.  Michaelis  residentem  habet 
abbatem  et  unum  religiosum  e  parochiis  se  alentes. 
Reliqui  religiosi  exulant. 


376  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  7.  Decemher  1878.  • 

6.  Monasterium  Anhausen  ad  Brenziam  ab  haereticis  recens 
recuperatum  habet  duos  religiosos  residentes,  abbate 
exulante. 

7.  Monasterium  Lorch  recens  ab  haereticis  recuperatum 
detinetur  a  monachis  s.  Blasii,  dioecesis  Constantiensis. 

8.  Monasterium  in  Elhingen  habet  abbatem  et  paucos 
religiosos  residentes,  reliquis  exulantibus. 

9.  Monasterium  s.  Crucis  Werdeae  habet  abbatem  et 
paucos  religiosos  residentes. 

10.  Monasterium  in  Neresheim  habet  abbatem  et  paucos 
religiosos  residentes. 

11.  Monasterium  in  Döggingen  habet  abbatem  et  duos 
religiosos  residentes,  caeteris  exulantibus. 

12.  Monasterium  Benedictobeuern  ad  alpes  abbatem  et  religio- 
sos habet  omnes  residentes,  tametsi  multa  bona  perierint. 

13.  Monasterium  in  Wessenbronn  similiter  uno  excepto 
habet  abbatem  et  religiosos  omnes  residentes. 

14.  Monasterium  in  monte  sancto  Andechs  habet  abbatem  et 
complures  religiosos  ob  celebrem  peregrinationem  resi- 
dentes. 

15.  Monasterium  Dirhaubten  habet  abbatem  et  plerosque 
religiosos  residentes. 

Monasteria  Ordinis  ejusdem  s.  Benedicti  virginum 
Ordinario  subjecta. 

1.  Monasterium  in  Hohen warth  s.  Georgii  habet  abbatissam 
et  complures  virgines  residentes. 

2.  Monasterium  in  Kiebach  s.  Magni  habet  abbatissam  et 
complures  virgines  residentes,  quibusdam  Fuldae  rema- 
nentibus. 

3.  Monasterium  s.  Johannis  Bapistae  in  Holtz  ob  nimiam 
ruinam  et  paupertatem  inhabitari  non  potest.  Abba- 
tissa  proinde  cum  tribus  sororibus  in  quadam  villa 
misere  moratar,  reliquis  virginibus  ad  40  in  diversa 
monasteria  aliarum  dioecesium  distributis. 


Friedrich:    Augsburger  Relationen.  377 

4.    Monasterium  in  Liezheim  per  haeresin  dirutum  est. 

Monasteria  nobilium  sive  canonissarum  saeculariiim 
Ordinario  subjecta. 

1.  Monasterium  s.  Stephani  in  civitate  Augustana.  In  eo 
ob  dir  Uta  bona  aegre  se  sustentat  abbatissa  cum 
paucis  nobilibus  virginibus. 

2.  Monasterium  s.  Jobannis  Baptistae  in  Edelstetten.  In 
hoc  abbatissa  cum  una  aut  altera  nobili  virgine  aegre  se 
sustentat. 

Monasteria  canonicorum  regularium  s.  Augustini 
Ordinario  subjecta. 

1.  Monasterium  s.  Georgii  in  civitate  Augustana  suum 
praepositum  et  aliquos  paucos  religiosos  cum  magna 
difficultate  sustentat,  uno  adhuc  exulante. 

2.  Monasterium  s.  Crucis  in  eadem  civitate  Augustana 
praepositum  et  mediam  partem  regularium  nunc  habet 
residentem,  reliquis  alibi  exulantibus. 

3.  Monasterium  B.  M.  V.  in  Wettenhausen  misere  solum 
praepositum  cum  uno  alterove  religioso  alere  potest ; 
reliquis  omnibus  procul  exulantibus. 

4.  Monasterium  in  Herbrechtingen  paucos  ante  annos  ab 
haereticis  receptum  cum  difficultate  alit  suum  praepo- 
situm et  alterum  religiosum. 

5.  Monasterium  B.  V.  M.  in  Diessen  habet  domi  suum 
praepositum  et  reguläres  plerosque.  Floret  insigniter 
in  disciplina. 

6.  Monasterium  Salvatoris  in  Pollingen  habet  suum  prae- 
positum et  omnes  reguläres. 

7.  Monasterium  s.  Martini  in  Berenriedt  habet  suum  prae- 
positum et  omnes  reguläres  residentes. 

Monasteria  Ordinis  Cisterciensis  virorum  exempta. 
1.    Monasterium   in    Kaisersheim   sive  Caesarea   habet  ab- 
batem. 


378  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

2.  Monasterium  in  Königsbronnen  paucos  ante  annos  ab 
haereticis  receptum  habet  abbatem. 

Monasteria  Ordinis  Cisterciensis  virginum  exempta. 

1.  Monasterium  in  Oberscbönenfeld  habet  abbatissam. 

2.  Monasterium  in  Kirchheim  Rhetiae  habet  abbatissam. 

3.  Monasterium  in  Niederschönenfeld  habet  abbatissam. 

4.  Monasterium  in  civitate  Lauingen  hoc  tempore  destruc- 
tum  est. 

Monasteria  Ordinis  Praemonstratensis  exempta. 

1.  Monasterium  in  Roggeuburg  habet  abbatem. 

2.  Monasterium  in  Ursperg  belli  injuria  combustum  habet 
abbatem. 

3.  Monasterium  in  Staingaden  habet  abbatem. 

Monasteria  Ordinis  s.  Dominici  virorum  exempta. 

1.  Monasterium  B.  V.  in  civitate  Augustana  jam  paucos 
habet  religiosos. 

2.  Monasterium  in  civitate  Nördlingen  adhuc  sab  mani- 
bus  haereticorum  est. 

3.  Monasterium  in  civitate  Gamundiae  Suevorum  etiam 
non  multos  religiosos  jam  alere  potest. 

4.  Monasterium  in  Kirchheim  vix  duos  jam  alit  religiosos. 

Monasteria  Ordinis  s.  Dominici  virginum  sub  cura 
Ordinarii. 

1.  Monasterium  s.  üdalrici  in  civitate  Dillingana.  Hae 
virgines  partim  domi  in  magna  paupertate,  partim  in 
exilio  dispersae  vivunt. 

2.  Monasterium  s.  Ursulae  in  civitate  Augustana ;  omues 
quidem  virgines  adsunt,  sed  difficulter  se  alunt. 

Monasteria  Ordini  s.  Dominici  virginum  exempta. 
1.    Monasterium  s.  Catharinae  in  civitate  Augustana  habet 
ultra  40  virgines,  quae  nunc  difficulter  se  alunt. 


Friedrich:    Augsburg  er  Belationen.  379 

2.  Monasterium  in  Mödiugen.  Virgines  ob  turbas  bellicas 
se  in  oppidum  Lauiugen  receperunt,  et  vivunt  misere. 

3.  Monasterium  Cellae  dei ,  vnlgo  Gottszell ,  extra  muros 
civitatis  Gamundiae. 

4.  Monasterium  in  Mediingen.  Hoc  nondum  est  restitutum . 

Monasteria  Ordinum  s.  Francisci  exempta. 
1.  Conventualiam. 

1.  Monasterium  in  civitate  Augustana  paucos  ante  annos 
ex  parte  receptum  est;  in  eo  vix  quatuor  religiosi  se 
alere  possunt. 

2.  Monasterium  in  civitate  Gamundiae. 

3.  Monasterium  in  civitate  Nördlingen  adhuc  ab  haere- 
ticis  occupatur. 

4.  Monasterium  ß.  M.  in  Mayingen ;  olim  pertinebat  ad 
sorores  s.  Brigittae. 

II.  Fratrum  de  observantia. 

1.  Monasterium  s.  Sepulchri  in  civitate  Augustana ;  in  eo 
ante  bellum  erant  fratres  sexaginta ;  nunc  vix  decem. 

2.  Monasterium  ad  B.   V.  in  campo  Lyci. 

III.  Fratrum  de  observantia  strictiori  sive  Reformati. 

1.  Monasterium  s.  Stephani  in  Fessen  ab  111.  et  R.  R. 
Principe  d.  Henrico  Episcopo  Augustano  aedificatum. 

2.  Monasterium  s.  Annae  in  Reitten  a  Seren.  Archiduce 
Leopoldo  aedificatum. 

3.  Monasterium  in  oppido  Weilheim. 

IV.  Fratrum  Capucinorum. 

1.  Monasterium  in  civitate  Augustana;  in  eo  sunt  fratres 
decem ;  ante  bellum  ad  30. 

2.  Monasterium  in  civitate  Danuw^erdana ;  pauci  in  illo 
sunt  fratres. 

3.  Monasterium  in  civitate  Ginzburg;  etiam  hie  ob 
paupertatem  incolarum  non  multi  morantur. 


380  Sitzimg  der  histor.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

4.  Monasterium  in  Dunkelspül. 

5.  Duo  etiam  fratres  Capucini  in  parochia  Haidenheim  pro 
convertendis  haereticis  resident. 

Monasteria  Ordinum   s.  fVancisci  virginum  partim  exemptii, 
partim  Ordinario  subjecta. 

I.  Conventualium  exempta. 

1.  Monasteriam  ad  stellam  Augustae.  Sorores  magna  in 
paupertate  vivunt,  quaedam  exulant. 

2.  Monasterium  Congregationis  sororum  in  civitate  Ga- 
rn undiae. 

IL  Sororum  de  observantia  sub  cura  Ordinarii, 

1.  Monasterium  maioris  Congregationis  Dilingae :  in  hoc 
pleraeque  virgines  dorai  sunt ;  quaedam  tamen  ob  pauper- 
tatem  adliuc  exulant. 

2.  Monasterium  in  Weiden.  Sorores  ob  nimiam  pauper- 
tatem  omnes  alibi  vivunt,  nee  ulla  domi  se  alere 
potest. 

3.  Monasterium  in  civitate  Ginzburg.  Hae  maiori  in 
parte  resident,  reliquis  adliuc  exulantibus. 

III.  Sororum  de  observantia  sub  cura  fratrum. 

1.  Monasterium  in  Hocbhaltingen ;  in  eo  paucae  resident. 

2.  Monasterium  ad  s.  Annam  Campiduni ;  boc  adbuc  ab 
haereticis  occupatur ;  virginibus  extra  civitatem  in 
locum  Lenzfrid  vocatum  pulsis. 

3.  Monasterium  in  civitate  Memmingen  ;  resident  pleraeque, 
sed  pauperes  valde. 

4.  Monasterium  in  civitate  Mindelheim  ;  etiam  hie  plerae- 
que resident. 

5.  Monasterium  in  civitate  Kauffburae;  quaedam  resident, 
quaedam  exulant. 

6.  Monasterium  in  Klosterbeurn.  Sorores  pleraeque  exu- 
lant; quia  bona  omnia  sunt  destructa. 


Friedrich:    Augshiirger  Relationen.  381 

Studia  sub  cura  Patrum  Societatis  Jesu. 

1.  In  civitate  Dilingaua  Universale' gravissimam  passum  est 
cladem  per  haec  tempora  bellica,  ita  ut  professoribiis 
sustentatio  praeberi   vix  possit. 

2.  Studium  philosopbiae  et  theologiae  moralis  ad  s.  Annam 
in  civitate  Augustana. 

3.  Studium  litterarum  humaniorum  in  collegio  Societatis 
Jesu  ad  Salvatorem  Augustae. 

4.  Studium  litterarum  humaniorum  in  civitate  Neuenburg 
in  collegio  Societatis  Jesu  ad  Danubium. 

5.  Studium  litterarum  humaniorum  in  collegio  Societatis 
Jesu  in  civitate  Mündelheim. 

6.  Studium  litterarum  humaniorum  in  domo  probationis 
Societatis  Jesu  Landspergae. 

Collegia  Patrum  Societatis  Jesu. 

1.  Collegium  Dilinganum,  in  quo  vix  tertia  pars  Patrum 
sustentari  potest. 

2.  Collegium  ad  Salvatorem  Augustae,  Etiam  in  hoc  vix 
tertia  pars  ali  potest. 

3.  Collegium  s.  Annae  in  civitate  Augustae.  Monasterium 
hoc  Societati  Jesu  a  Sede  ap.    traditum  est. 

4.  Collegium  in  civitate  Neuenburg. 

5.  Domus  probationis  in  civitate  Landsperg. 

6.  Collegium  in  civitate  Mündelheim. 

7.  Collegium  in  civitate  Kauffbeurn. 

Monasteria  Carthusiensium. 

1.  Monasterium  B.  V.  in  Buxheim ;  in  eo  hoc  tempore 
vix  quatuor  se  alunt. 

2.  Monasterium  horti  Christi  in  Rhetia.  Hoc  paucos  ante 
annos  ab  haereticis  fuit  receptum,  a  quibus  et  hodie 
magnopere  infestatur.     Vix  duo  hie  se  alunt. 

Hospitalia  Ordinum. 
1.    Hospitale    in    Memmingen    Ordinis    s.    Spiritus    habet 


382  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  7.  December  1878. 

magistrum   et    aliquot   fratres,    plerosque   in    parochiis 
residentes. 
2.    Hospitale  fratrum  misercordiae    b.  Joannis  dei  in  civi- 
tate  Neoburgensi. 

Monasteria  S.  Antonii. 

1.    Praeceptoria    in   Memmingen;    detinetur   ab    haereticis. 

Monasteria  Ereraitarum  S.  Augustini. 

1.  Monasterium  in  civitate  Memmingen;  paucos  habet 
religiosos. 

2.  Monasterium  in  civitate  Gamundiae  Suevorum. 

Monasteria  fratrum  Carmelitarum. 

1.  Monasterium  discalceatorum  Augustae.  Hi  patres  loco 
Carmelitarum  olim  ad  s.  Annam  habitantium  in  civi- 
tatem  sunt  recepti. 

2.  Monasterium  in  Dunklspül  vix  duos  habet  religiosos. 

3.  Monasterium  in  civitate  Nördlingen  occupatur  ab  hae- 
reticis. 

Commendae    Ordinis   b.   Virginis    Teuthonicorum.     1.   Com- 
mend:  in  Kaphenburg.   —  2.  Commend:  in  oppido 
Oettingen.    —    3.  Commend :  Werdeae  ad  Danubium. 
4.  Commend :  in  Bluomendal. 

Hae   omnes   maxima   damna  passa   sunt. 

Commendae  S.  Joannis  in  Hierusalem.  Erlingen  juxta 
Nördlingen. 

Parochiae  et  Beneficia  in  civitate  et  dioecesi  Augustana. 

In  Civitate  Augustaua  Septem  sunt  parochiae,  quae  hoc 
tempore  omnes  juxta  debitum,  tum  e  coUegiatis,  tum  e 
monasteriis  providentur. 


Friedrich:    Augsburg  er  Belationen.  383 

In  Archidiaconatu. 

Achidiaconüs  sub  sno  regimine  extra  civitatem  regit 
parochias  duodecim.  Hoc  tempore  habet  parocbos  residentes 
Septem;  reliquae  proprios  paroclios  ob  redditus  destructos 
alere  non  possunt,  sed  aliis  conjunguntur. 

Beneficia  simplicia  extra  civitatem  in  Archidiaconatu. 

Primissaria  sive  capellania   in  pago  Geggingen. 

Reliquae  parochiae  et  beneficia  extra  civitatem  in 
quadraginta  duo  in  districtu  Sueviae  Capitula  sive  decanatus 
sunt  divisae. 

1.  Capitulum  sive  decanatus  Fiessen.  In  hoc  capi- 
tulo  parochiae  sunt  octodecim.  Parochi  hoc  tempore  resi- 
dent omnes  excepto  uno  in  Rieden. 

Beneficia  simplicia  sunt  similiter  viginti  et  unum ; 
beneficiati  resident  tres. 

2.  Kempten.  Capitulum  Kempten  habet  parochias  26  ; 
parochi  hoc  tempore  resident  18. 

Parochia  s.  Magni  in  Kempten  est  in  manibus  haereti- 
corum,  cum  beneficiis  septendecim  et  monasterio  s.  Annae 
virginum. 

3.  Ottobeurn.  Ottobeurense  capitulum  habet  paro- 
chias quinquaginta  unam,  beneficia  non  parochialia  triginta 
quatuor. 

Ex  his  Memmingensis  parochia  ad  s.  Martinum  cum 
viginti  beneficiis  ab  haereticis  occupatur ;  aliae  quoque  decem 
parochiae  sunt  haereticae.  Praeter  nas  una  Erchaim  nomine 
ad  instantiam  R.  R.  et  111.  Ordinarii  catholico  parocho  ab 
Imperatore  restituta  est ;  vehementer  tamen  ab  haereticis 
Memmingensibus  iterum  sollicitatur.  Reliquae  parochiae 
habent  parochos  hoc  tempore  undecim  residentes.  Aliae  ex 
monasteriis  Ottobeurn,  Buxheim,  Hospitali  in  Memmingen, 
Campiduno,  et  a  vicinis  residentibns  parochis  administrantur. 
Capellaniae  aliae  hoc  tempore  ob  paupertatem  et  perditos 
radditus  non  habent  possessores. 


384  Sitzung  der  liistor.  Classe  vom  7.  December  1878. 

4.  Kauffbeurn.  Hoc  capitulum  habet  parocbias  tri- 
ginta  duas,  in  quibus  hoc  tempore  nonnisi  octo  resident 
parochi ;  reliquae  parocbiae  sunt  conjunctae,  vel  e  monasteriis 
vicinis  providentur. 

Eodem  in  capitulo  decem  sunt  beneficia  simplicia,  quae 
hoc  tempore  ob  paupertatem  sunt  deserta. 

5.  Oberdorff.  In  capitulo  hoc  parochiae  sunt  26, 
beneficia  5.  Beneficia  omnia  vacant  ob  paupertatem  ;  in 
parochiis  resident  8  sacerdotes;  reliquae  parochiae  subinde 
2,  3,  4.  conjunctae  sunt. 

6.  Schongau.  Hoc  capitulum  habet  parochias  24; 
beneficia  7  ;  quae  omnia  exepto  uno  in  Schongau  ob  pauper- 
tatem sunt  deserta.  In  parochiis  resident  parochi  novem, 
reliquae  aliis  pro  commoditate  sunt  conjunctae. 

7.  Schwabmönchingen.  Hoc  capitulum  parochias 
habet  24 ,  beneficia  7.  Duo  beneficia  ob  nullos  redditus 
deserta  sunt.  In  parochiis  habitant  parochi  decem ;  reliquae 
sibi  invicem  sant  conjunctae. 

8.  Baisweill.  In  hoc  sunt  parochiae  22,  capellaniae  6; 
beneficia  ob  nullos  redditus  sunt  deserta.  In.  parochiis  sunt 
8  parochi ;  reliquae  aliis  sunt  conjunctae. 

9.  Walkar sthoven.  Habet  parochias  28,  beneficia  10  ; 
quae  beneficia  hoc  tempore  omnia  sunt  deserta.  In  paro- 
chiis habitant  parochi  decem ,  reliquae  parochiae  subinde  tres, 
quatuor,  aliis  sunt  conjunctae. 

10.  Mündelheim.  Habet  parochias  32;  in  quibus  resi- 
dent parochi  octo.  Reliqui  providentur  vel  per  religiosos 
proxime  adjacentium  monasteriorum,  vel  aliis  parochiis  pro 
administratione  conjunctae  sunt. 

Capellanias  habet  septendecim,  in  quibus  resident  capel- 
lani  duo,  reliquae  ob  defectum  reddituum  sunt  desertae. 

11.  Oberroth.  Habet  parochias  decem  et  novem;  in 
quibus  resident  parochi  quinque;  reliquae  aut  aliis  resi- 
dentibus  parochis  commissae,  aut  omnino  sunt  desertae. 


Friedrich:    Äirgshurger  Belationen.  385 

In  hoc  capitulo  sunt  capellaniae  sive  beneficia  simplicia 
septemdecim ,  in  quibus  resident  capellani  quatuor  ,  reliqua 
ob  defectum  proventuum  deserta,et  capellanis  destituta  manent. 

12.  Weissenhorn.  Habet  parochias  28,  qnarura  duae 
sunt  in  manibus  baereticorum ;  in  reliquis  resident  parochi 
duodecim,  octo  providentur  per  religiosos  ex  vicinis  monaste- 
riis  ;  caeterae  ob  defectum  reddituum  vel  aliis  vicinis  parochis 
commissae,  vel  omnino  sunt  destitutae. 

In  hoc  capitulo  sunt  capellaniae  19,  quarum  tres  loco- 
rum  parochis  sunt  adjunctae  ,  reliquae  ob  defectum  reddi- 
tuum vacant. 

13.  Ichenhausen.  Habet  parochias  30;  e  quibus  una 
Leipheim  nuncupata  est  in  manibus  haereticorum ,  in  reli- 
quis non  plures  quam  sex  parochi  hoc  tempore  resident, 
caeterae  vel  per  religiosos  e  vicinis  monasteriis  administran- 
tur  vel  injuria  belli  adeo  sunt  devastatae  ,  ut  propterea  et 
parochis  et  magna  ex  parte  etiam  incolis  sunt  destitutae. 

In  hoc  capitulo  sunt  27  capellaniae  ,  in  quibus  non 
plures  quam  tres  capellani  existunt,  reliquae  et  capellanis 
et  redditibus  sunt  destitutae. 

14.  Jettingen.  Habet  parochias  27,  inter  quas  una 
Burtenbach  nuncupata  est  in  manibus  haereticorum,  in 
quibus  resident  parochi  7,  per  quos  una,  duae,  aut  tres  paro- 
chiae  simul  administrantur  ;  nonnullae  tam  parochis,  quam 
incolis  sunt  destitutae. 

In  hoc  capitulo  sunt  capellaniae  sedecim ,  in  quibus 
residet  unicus  capellanus,  ceterae  aut  locorum  parochis  in 
subsidium  sustentationis  sunt  adjunctae,  aut  omnino  vacant. 

15.  Agawang.  Habet  parochias  28;  in  quibus  resident 
parochi  duodecim,  reliquae  ex  dispositione  R.  R.  et  111.  d. 
Ordinarii  pro  opportunitate  locorum  proxime  residentibus 
parochis  in  administratione  curae  animarum  commissae  sunt. 

In  hoc  capitulo  sunt  duae  tantummodo  capellaniae,  quae 
locorum  parochis  in  subsidium  sustentationis  commissae  sunt. 
[1878. 1  Philos.-philol.-hist.  CL  Bd.  II.  3.]  27 


386  Sitsumj  der  histor.  Classe  vom  7.  December  1878. 

16.  Wertingen.  Ha^et  parochias  21,  in  quibus  resi- 
dent parochi  quinque,  quatuor  providentur  per  religiöses 
monasterii  in  Fultenbach ;  reliquae  aut  residentibus  parochis 
pro  commodiore  sustentatione  commissae,  aut  omnino  desti- 
tutae  sunt. 

In  hoc  capitulo  sunt  capellaniae  undecim,  quarum  nulla 
proprium  capellanum  alere  potest,  sed  omnes  desertae  manent. 

17.  Weschendorff.  Habet  parochias  23,  in  quibus 
resident  parochi  quatuor  ;  reliquae  aut  per  viciniores  parochos 
providentur,  aut  omnino  desertae  ac  destitutae  sunt. 

In  hoc  capitulo  sunt  capellaniae  sex,  quarum  nulla  pro- 
prium capellanum  habet,  neque  alere  potest. 

In  districtu  Bavariae. 

18.  Weilheim.  Habet  parochias  36,  in  quibus  resi- 
dent parochi  seu  sacerdotes  saeculares  quatuordecim,  reliquae 
partim  per  religiosos  diversorum  monasteriorum ,  partim 
Canonicos  ecclesiae  collegiatae  in  Heubach ,  quibus  incor- 
poratae  sunt,  providentur. 

In  hoc  capitulo  sunt  capellaniae  13,  in  quibus  residet 
unicus  capellanus,  videlicet  in  Murnau,  caeterae  vel  locorum 
parochis  pro  commodiore  sustentatione  sunt  adjunctae  vel 
propter  defectum  reddituum  vacant. 

19.  Oberalting.  Habet  parochias  28,  in  quibus  resi- 
dent sacerdotes  saeculares  quatuordecim,  quibus  etiam  simul 
aliae  una  aut  altera  pro  commoditate  locorum  commissae  sunt, 
et  quatuor  per  religiosos  monasteriorum,  quibus  incorporatae 
existiint,  providentur. 

In  hoc  capitulo  sunt  capellaniae  Septem,  quarum  tres  tri- 
bus  parochis  ejusdem  capituli  in  subsidium  sustentationis 
conjunctae  sunt ;  caeterae  ob  defectum  reddituum  vacant. 

20.  Seh wab hausen.  Habet  parochias  18,  in  quibus 
resident  parochi  14  ;  reliquae  vicinioribus  commissae  sunt. 

In    hoc    capitulo    sunt  capellaniae    quinque,  in  quibus 


Friedrich-    Augsburger  Relationen.  387 

nullus   proprius   capellanus  residet,  et  earum  duae  locorum 
parochis  sunt  conjunctae,  reliquae  destitutae  manent. 

21.  Landtsperg.  Habet  parocliias  24,  in  quibus  resi- 
dent parochi  undecim;  reliquae  per  alios  viciniores  parochos 
pro  locorum  opportunitate  providentur. 

Capellaniae  in  civitate  Landtsperga  14,  quarum  non- 
nullae  propter  reddituum  tenuitatem  sunt  unitae,  in  quibus 
hoc  tempore  resident  capellani  quatuor. 

22.  Bairmenching.  Habet  parochias  18,  in  quibus 
hoc  tempore  resident  parochi  14;  reliquae  vicinioribus 
parochis  ad  providendum  commissae  sunt. 

In  hoc  capitulo  sunt  capellaniae  quinque,  in  quibus 
unus  residet  capellanus  ;  reliquae,  utpote  omnibus  redditibus 
destitutae,  vacant. 

23.  Fridtberg.  Habet  parochias  36,  in  quibus  resi- 
dent parochi  20 ;  reliquae  vicinioribus  parochis  pro  locorum 
opportunitate  ad  providendum  commissae  sunt. 

In  hoc  capitulo  sunt  octo  capellaniae ,  in  quibus  duo 
tantummodo  capellani  resident;  reliquae  ob  defectum  red- 
dituum vacant. 

24.  Aichen.  Habet  parochias  29,  in  quibus  resident 
parochi  18;  reliquae  pro  locorum  opportunitate  per  vici- 
niores parochos  providentur. 

In  hoc  capitulo  sunt  capellaniae  23 ,  in  quibus  resident 
capellani  quatuor:  reliquae  aut  locorum  parochis  in  subsi- 
dium  sustentationis  commissae  sunt,  aut  ob  defectum  reddi- 
tuum destitutae  manent. 

25.  Hochenwarth.  Habet  parochias  32,  in  quibus 
resident  parochi  2 1 ;  reliquae  providentur  per  viciniores 
parochos. 

In  hoc  capitulo  sunt  capellaniae  12,  in  quibus  resident 
capellani  quinque;  reliquae  aut  locorum  parochis  in  subsi- 
dium  sustentationis  conjunctae,  aut  ob  defectum  proventuum 
desertae  sunt, 

27* 


388  Sitzung  der  histor.  Ciasse  vom  7.  December  1878. 

26.  Rhain.  Habet  parochias  28,mquibus  hoc  tempore 
resident  parocbi  14:  reliquae  ob  tenuitatem  proventuum  ant 
vicinioribus  parochis  ad  providendum  comraissae  sunt,  aut 
omnino  desertae  manent, 

In  hoc  capitulo  sunt  capellaniae  20  ,  in  quibus  resident 
capellani  tres;  reliquae  aut  locorum  parochis  pro  commo- 
diore  sustentatione  adjunctae  sunt ,  aut  propter  defectum 
reddituum  omnino  desertae  manent. 

Capitula  in  Palatinatu. 

27.  Burckhaim.  Habet  parochias  18,  in  quibus  hoc 
tempore  resident  4.  Reliquae  partim  per  viciniores  paro- 
chos  providentur,  partim  bellorum  injuria  et  parochis  et  in- 
colis  destitutae  sunt. 

In  hoc  capitulo  sunt  duae  capellaniae  sine  capellanis 
ob  defectum  reddituum. 

28.  Neuburg.  Habet  parochias  23,  in  quibas  resident 
parochi  octo  ;  reliquae  providentur  pro  opportunitate  locorum 
per  viciniores  residentes  parochos. 

In  hoc  capitulo  nulla  est  capellania. 
29  Heckstött.  Habet  parochias  14,  aliquot  beneficia 
simplicia  in  civitate  Heckstött.  In  parochiis  hujus  capituli 
nunc  quator  resident  parochi ,  reliquae  vel  vicinis  parochiis 
vel  monasteriis  sunt  conjunctae,  vel  omnino  desertae,  quia 
haec  loca  continao  a  milite  infestantur.  Simplicia  beneficia 
per  temporum  injuriam  vel  fuerunt  ab  haereticis  suppressa 
vel  nunc  ob  redditus  destructos  deserta  siint^ 

Parochia  Heckstött  paucos  ante  annos  catholicis  est  resti- 
tuta.  Conversio  pro  temporum  conditione  utcunque  succedit. 
30.  Lauingen.  Habet  parochias  16;  beneficia  olim 
complura.  In  parochiis  resident  nunc  quinqiie,  reliquae 
parochiae  vel  a  vicinis  parochis  admiuistrantur ,  vel  populo 
sunt  destitutae;  in  beneficiis  simplicibus  residet  unus  Lau- 
ingae.     Reliqua  beneficia  sub  haeresi  suppressa  fuerunt. 


Friedrich:     Äugshurger  Relationen.  389 

31.  Elchingen.  Hoc  capitulum  habet  parochias  24, 
beneficia  decem ;  ex  bis  parochiis  quinque  solum  sunt  catho- 
licae ;  in  quibus  resident  duo  parochi ;  reliquae  catbolicae 
providentur  a  vicinis,  et  e  monasterio  Elcbingen.  Omnes 
aliae  parochiae  uti  et  beneficia  in  manibus  sunt  baereticorum. 

32.  Dilingen.  Hoc  capitulum  habet  parochias  8,  in 
quibus  resident  parochi  tres  ;  reliquae  aliunde  providentur, 
uti  et  beneficia,  quae  supersunt. 

33.  Neresheim.  Hoc  capitulum  habet  parochias  18, 
in  quibus  nullus  prorsus  residet  clericus  saecularis  eo  quod 
redditus  omnes  sint  amissi,  populus  fere  nullus.  Praesen- 
tibus  parochianis  succurritur  non nihil  e  monasterio  Neres- 
heim, vel  a  vicinis  parochis.  Beneficia  simplicia  sunt  qua- 
tuor,  omnia  jam  olim  deserta. 

34.  Giengen.  Hoc  capitulum  habet  parochias  9,  e 
quibus  aliquae  sunt  hisce  annis  catholicis  restitutae,  et  pro- 
videntur e  vicinis  monasteriis,  et  residet  unus  parochus.  Bene- 
ficia olim  erant  complura ;  sed  pleraque  per  haeresin  perierunt. 

35.  Haidenheim.  Habet  parochias  17,  ex  quibus 
pleraeque  a  Serenissimo  Electore  Bavariae,  cui  toparchia  haec 
a  Caesare  data  est,  catholicis  ante  annos  tres  sunt  resti- 
tutae; in  quibus  residet  unus  parochus.  Reliquae  reguntur 
a  vicinis  monasteriis ,  dum  redditus  restituantur.  Beneficia, 
si  quae  fuerunt,  per  haeresin  perierunt. 

36  et  37.  Laubra  et  Lorch  sive  Gmünd  t.  Haec 
duo  capitula  habent  parochias  35,  in  quibus  resident  9  ;  reli- 
quae vel  sunt  Lutheranae  ,  ■  vel  aliis  parochiis  conjunctae. 
Beneficia  erant  olim  complura,  e  quibus  aliquot  in  civi- 
tate  Gamuudiana  suos  adhuc  habent  possessores ;  cae- 
tera perierunt. 

In  bis  capitulis  ante  tres  annos  convertit  se  nitro  quidam 
nobilis  de  Adelmansfelden  ad  fidem^^catholicam ;  ad  quam 
etiam  duae  ad  ipsum  pertinentes  parochiae  nomine  Scheching 
et  Hocbenstat  convertuntur. 


390  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

38.  Elwangen.  Hoc  capitulum  habet  parochias  28,  e 
quibas  quinque  cum  pluribus  beneficiis  in  oppidis  Imperialibus 
Aulen  et  Popfingen  sunt  haereticae ;  in  caeteris  habitant  paro- 
chi  hoc  tempore  octo,  et  alias  sibi  habent  adjunctas  parochias. 

39.  Dunkel  spül.  Hoc  capitulum  habet  parochias  28, 
quae  omnes  exceptis  quinque  sunt  in  manibus  haereticorum. 
In  catholicis  unus  tantum  residet  parochus.  Reliquae  binc 
inde  quoquomodo  providentur.  Beneficia  simul  omnia  vel 
in  potestate  haereticorum  vel  deserta  sunt. 

40.  Wallerstain.  Hoc  capitulum  habet  parochias  40, 
ex  quibus  novem  occupant  haeretici.  In  catholicis  hoc  tem- 
pore resident  parochi  novem ;  reliquae  ipsis  vel  aliis  sunt  con- 
junctae.  Beneficia  similiter  sunt  40 ,  in  quibus  vix  duo 
resident ;  reliqua  vel  ad  haereticos  detinentur,  vel  ob  reddi- 
tus  amissos  sunt  suppressa. 

41.  Nördlingen.  Hoc  capitulum  habet  parochias  26, 
e  quibus  omnibus  nonnisi  quator  sunt  catholicae ;  reliquae, 
uti  beneficia  40,  in  manibus  sunt  haereticorum. 

42.  Danauwerth.  Hoc  capitulum  habet  parochias  16, 
ex  quibus  Septem  sunt  catholicae,  in  quibus  unicus  residet 
parochus  in  Danuwerdt;  erant  etiam  olim  in  eo  beneficia 
aliquot,  quae  hoc  tempore  sunt  deserta. 


II. 
Beatissime  Pater !  Joannes  Rudolfus  Baro  de  Rechberg 
Episcopatus  Augustani  Apostolica  authoritate  constitutus 
administrator ,  Sanctitatis  Vestrae  sacros  pedes  pro  humil- 
lima  veneratione  osculans  sacrisque  constitutionibus,  maxime 
Sixti  P.  V.  f.  r.  aliisque  constitutionibus  apostolicis  insistens 
limina  apostolica  per  ecclesiae  cathedralis  canonicum  prae- 
sentem  R.  d.  Leonardum  Pappus,  cum,  ut  ipse  a  dioecesi 
absit,  et  in  persona  hoc  faciat,  luctuosa  haec  tempora  uon 
concedant,  visitare,  ecclesiaeque  et  dioecesis  statum  expo- 
nere  intendit,  humillimeque  exponit. 


Friedrich:     Augshurger  Relationen.  391 

Posteaquam  felicissimis  Ferdinand!  Augustissimi  Impe- 
ratoris  auspiciis  armisque  a  deo  benedictis  religionis  catho- 
licae  splendor  vel  maxime  in  dioecesi  Augustana  reflores- 
cere,  sacra  loca,  jura  bonaque  ecclesiastica  olim  ab  baere- 
ticis  distracta ,  diuque  occupata  restitui,  plurimique  in  hae- 
resin  temporum  iniquitate  relapsi  ad  fidei  catbolicae  veri- 
tatem  redire  cum  maxima  omniura  laetitia  coeperunt,  nemini 
dubium  fuit,  quin  brevi  tota  dioecesis  ad  ovile  Cbristi  et  ec- 
clesiam  dei  nemine  excepto  reverteretur.  Attamen  nunc, 
pro  dolor,  et  Sedes  apostolica,  quae  ad  boc  commune  Ger- 
maniae  gaudium  vel  maxime  suum  potentissime  attulerat 
auxilium  et  ecclesia  Augustana,  quae  pro  reducendis  seductis 
ovibus  et  restituendis  ecclesiarum  bonis  nihil  unquam  vel  con- 
silii  vel  auxilii  intermiserat,  eo  tristitiae  et  calamitatis  adduci- 
tur,  ut  non  solum  spes,  quam  de  recuperatione  totius  dioecesis 
ob  memoratam  felicitatem  jam  ceperamus,  prorsus  abjecta, 
et  dioecesis  nunc  tanto  in  periculo  constituta  sit,  ut  baereti- 
corum  odio  in  catbolicos  concepto  totum  quasi  Imperium  deti- 
nentium  propter  bella  male  gesta,  pejus  forte  intermissa,  pau- 
cos  post  annos  fides  catbolica  tot  saeculis  illaese  conservata 
ex  antiquissimo  Germaniae  episcopatu  prorsas  proscribatur. 

Pacis  siquidem  Monasterii  et  Osnabrugae  in  Westphalia 
initae  conditiones  ita  sunt  comparatae,  ut  catbolicae  reli- 
gionis exitium  prorsus  conclusum  esse  videatur;  cujus  prin- 
cipium  ex  eo  manifestum  est,  quod  quae  bactenus  vigi- 
lanti  SS.  Pontificum  cura,  Imperatorum  liberalitate  e  fauci- 
bus  haereticorum  erepta  fuerant,  simul  baeresi  restituuntur. 
Omnia  enim  et  singula  et  in  ecclesiasticis  et  politicis  eum 
in  statum,  quo  prima  die  Januarii  anni  1624  fuerant,  plena- 
rie  et  pure  cassatis  omnibus  interim  in  istiusmodi  causis  ratis, 
publicatis,  et  institutis  sententiis,  decretis,  transactionibus, 
pactis,  seu  deditiis,  seu  aliis  executionibus  reducuntur. 

Hinc  ergo  incredibili  cum  luctu  in  civitate  Augastana 
haereticis  ecclesiae,  monasteria,  fundationes,  jura,  privilegia 


392  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

cum  libero  sectae  suae  exercitio,  quae  Calendis  Januarii  anno 
1624  habuerant,  expulsis  iude  clericis,  religiosis  et  aliis  per- 
sonis  ecclesiasticis  et  laicis  catholicae  fidei  addictis  restituta, 
simulque  praedicantes ,  quorum  alias  hactenus  a  pluribus 
annis  in  civitate  Augustana  duo  tantum  aderant,  reversi 
fuerunt.  Quod  licet  sit  acerbissimum,  gravius  tarnen  et 
catholicae  religioni  pernitiosius  est,  quod  in  eadem  urbe 
praeter  hanc  reductionem  magistratus  catholicus  media  ex 
parte  exauthoratus ,  et  in  exauthorati  magistratus  locum 
haeretici  cum  mauifesto  catholicae  religionis  interitu  repositi 
fuerint,  ita  ut  nunc  principes  magistratus,  qui  duumviri  vo- 
cantur,  et  totus  reliquus  magistratus  cum  omnibus  offi- 
ciis  servitiisque  media  ex  parte  sint  catholici,  media  ex 
parte  haeretici,  cum  tamen  summa  rerum  antehac,  quamdiu 
haeresis  viguit,  penes  catholicos  semper  extiterit.  Id,  quod 
ad  excidium  catholicorum  pertinet  manifestum.  Rebus  enim 
sie  comparatis  nemo  amplius  ut  antehac,  saltem  paucissimi 
ad  catholicae  iidei  veritatem  convertuntur.  Sed  timendum, 
ut  catholici  quidam  temporalis  commodi  illecebra  adacti 
potius  fidem  deserant  et  neglecta  animae  salute  corporis 
emolumenta,  quae  sibi  in  haeresi  poUicentur,  sequantur.  In 
reliqua  dioecesi  haec  pacificationis  regula  aliquot  monasteria 
Wirtenbergiae  et  ßhetiae  utpote  monasterium  celeberrimum 
olim  Benedictinorum  in  Lorch,  Cisterciensium  in  Königsbron, 
Anhusanum  itidem  S.  ßenedicti,  Herbrechtingen  canonicorum 
regularium  s.  Augustini,  monasterium  in  Zimeren  olim 
monialium,  monasterium  in  Roth  monachorum  s.  Benedicti, 
Carthusia  in  horto  Christi  pleraque  episcopo  subjecta,  una  cum 
civitatibus  Imperialibus  Aula  et  Popfingen  cum  plurimis 
parochiis  et  aliquot  millibus  animarum,  magna  ex  parte  ad 
catholicam  fidem  conversarum,  jam  sustulit,  et  in  haereticas 
manus  tradidit.  Quantum,  Dens  optime,  et  quam  lugubre 
spectaculum,  videre  animas  pretioso  Christi  sanguine  redemp- 
tas  in  barathrum  praecipitari  ! 


Friedrich:     Augsburg  er  Relationen.  393 

Juxta  ecclesiam  collegiatam  Groenenbachensem,  ubi  olim 
eraut  complures  canonici,  reddituum  administatione  sublata 
Calvini  exercitinm  introductnm,  et  timendnra  est,  ut  e  de- 
fectu  necessariae  sustentationis,  qui  parochiam  loci  et  vicinas 
curabat,  parochus  etiam  inde  depellatur. 

E  civitate  Kaufburana,  in  qua  hactenus,  deo  ])enedicente, 
opera  parochi  et  Patrum  Societatis  Jesu  catholicoram  nume- 
rus vehementer  creverat,  niemorati  Patres  expulsi  et  catho- 
lici,  qui  imicum  habent  parochum,  sacramentorum  administra- 
tione  ita  privati  sunt ,  ut  pro  sua  devotione  confessarios  et 
missarum  commoditatem  habere  nequeant.  Contendunt  equi- 
dem  haeretici  acerrime,  ut  omnes  religiosos,  qui  anno  1624 
Calendis  Januarii  ejusmodi  in  civitatibus  non  fuerant,  expel- 
lant,  clericisque  saecularibus,  qui  substitui  possint,  nihil  pror- 
sus  subministrent.  Quam  ob  causam  etiam  vehementissime  la- 
borant  dicti  haeretici,  ut  e  civitate  Augustana  Carmelitas  dis- 
calceatos,  qui  tamen  fundos  pro  monasterio  propriis  coeme- 
rant  pecuniis,  ejiciant,  tauta  in  catholicos  ubique  rabie  in- 
citati,  ut  Memmiugae  processiones ,  quae  juxta  catholicos 
ritus  subinde  extra  ecclesiam  instituuntur,  campanarum  pul- 
sum,  ac  lumen  coram  venerabili  sacramento  ardens  infestare 
non  dubitarint. 

Praeter  haec  omnia,  quorum  singula  catholicam  reli- 
gionem  evertere  possuut,  luctuosissimum  est,  quod  catholici  or- 
diues  et  status  in  Germania  a  centum  annis  et  amplius  nee 
in  publicis  totius  Imperii  comitiis,  nee  in  privatis  Electorum 
sacri  Imperii  conventibus  unquam  concesserant,  nee  ut  con- 
cederent,  periculis  evidentibus  terreri  potuerant,  nunc  tandem 
in  publica  Germaniae  pacificatione  impunem  credendi  liber- 
tatem,  quam  autonomiam  vocant,  cum  evidentissimo  catho- 
licae  religionis  excidio  ita  admiserint,  ut  deinceps  archiepiscopi, 
episcopi,  praelati,  et  ceterae  ecclesiasticae  et  laicae  personae 
fidem  catholicam  mutare  et  ad  haeresin  transire,  nee  supe- 
riores,    uec    quisquam  alias  illos  ab  bis  consiliis    abstrahere 


394  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  7.  December  1878. 

possint,  aut  valeant,  nisi  fractae  pacis  rei  esse  velint.  ünde 
episcoporum  autoritas,  qua  hactenus  ecclesiastica  disciplina 
fuerat  conservata  in  clerum  et  subditos  quosvis  tarn  eccle- 
siasticos  quam  laicos  prorsus  enervata  et  luxata  est,  adeo  ut 
contra  enormia  clericorum  et  laicorum  vitia  nee  episcopi  nee 
alii  superiores  tarn  saeculares,  quam  reguläres  procedere  pos- 
sint,  reis  ac  vitiosis,  quam  primum  correctionem  sentiunt,  pacis 
libertatem,  ejusque  violationem  inclamantibus,  per  quam  sibi 
sive  catholicis  sive  haereticis,  quorum  e  numero  se  esse 
vociferantur,  impune,  servatis  quoque  honoribus,  esse  liceat. 

Cum  ingenti  ergo  dolore  et  opprobrio  episcopi  et  supe- 
riores coguntur  correctionem  intermittere,  quam  primum  hujus- 
modi  sceleratus  clericus  et  religiosus  in  justissimo  et  necessario 
correctionis  acta  saepe  flamma  et  triremibus  dignus  se  Calvi- 
nistam,  Lutheranum,  seu  qualemcunque  haereticum  profitetur. 

Hanc  ipsam  ob  causam  laici,  principes,  comites,  barones, 
nobiles,  civitates  et  magistratus  catholici  et  haeretici  libere 
ac  impune  bona  ecclesiastica  invadunt,  usurpant,  rapiunt, 
diripiunt.  Quia  si  illorum  cupiditati  episcopi  et  alii  eccle- 
siastici  superiores  se  opponant,  reclamare  et  opponere  non 
dubitabunt :  Si  episcopi  et  superiores  hoc,  quod  volo,  impe- 
dire  non  desistent ;  praedicantem  haereticum,  qui  mihi  non 
resistet,  accersam,  vel  ipse  religionem,  cujus  in  imperio  liber- 
tas  est,  suscipiam;  id  quod  per  hanc  impiam,  et  blasphe- 
mam  pacis  transactionem  libere  ac  impune  facere  possunt. 

Hactenus  profecto  episcopi  Augustani ,  praesertim  pro- 
xime  demortuus  Henricus,  salutaria  excogitaruut  remedia, 
quibus  catholica  religio  in  hac  civitate  et  dioecesi  Augustana 
mirifice  fuerat  aucta,  ac  haeresis  repressa :  illi  siquidem,  qui 
e  catholicis  territoriis  oriundi  in  hac  et  aliis  haereticis  civi- 
tatibus  matrimonium  inire  cupiebant,  tamdiu  non  dimitte- 
bantur,  donec  constabat,  illos  matrimonium  amplecti  catho- 
licum,  qua  de  causa  subinde  haeretici,  qui  cum  illis  se  jüngere 
volebant,  prius  ad  catholicam  fidem  redire  cogebantur,  et  hac 


Friedrich:    Augsburg  er  Belationen.  395 

ratione  fiebat,  ut  catholica  religio  tum  in  hac  civitate,  tum 
in  reliqua  dioecesi  incredibiliter  augeretur.  Verum  cum 
haec  omnia,  quae  hactenus  tantos  produeebant  fructus,  media 
juxta  pacis  transactionem  sub  gravissima  poena  iatermit- 
tenda  sint,  de  religionis  catbolicae  incremento  prorsus  vi- 
detur  esse  desperatum. 

Quanta  vero  in  bonis  temporalibus,  sine  quibus  spiri- 
tualia  subsistere  non  possunt,  episcopatus  Augustanus  per 
hanc  pacis  constitutionem  detrimenta  capiat,  dici  non  potest. 
Solum  ut  pacis  pretium,  quo  pax  a  Suecis  pretiose  redempta 
.fuit ,  sua  pro  parte  persolvatur ,  necessario  omnes  totius 
dioecesis  subditi  in  egestatem,  summamque  calamitatem  re- 
digi,  vasa  sacra,  campanae,  agri,  fundi  vendi,  oppignorari, 
aes  alienum  mutuo  sumi  debet :  ita,  ut  propterea  res  divina 
in  cathedrali,  aliisque  ecclsiis  collegiatis  pro  rei  dignitate 
agi  non  valeat,  sed  magna  ex  parte  intermitti  debeat,  nee 
nisi  pace  per  Dei  gratiam  integre  restituta  subditisque  nonni- 
hil  ab  intolerabili  contributionum  bellicarum  onere,  militum- 
que  hospitio,  praedationibus  praesertim  perpetuis,  ut  agri- 
cultura  tuto  resumi  possit,  sublevatis,  tandem  aliquando  nitor 
rei  divinae  reduci  possit. 

Hanc  ipsam  ob  causam  cura  animarum  per  dioecesin, 
licet  operose  ubique  constituatur ,  redditibus  tamen  pleris- 
que  per  expositas  supra  calamitates  devastatis,  uni  sacer- 
doti  duo ,  tres^  aut  plures  parochiae  committi  debent ;  quo- 
rum  multi  ex  omnium  fructibus  vitam  aegre  producunt.  Multi 
diuturna  calamitate,  paupertate  et  miseriis  devicti  vel  moriun- 
tur,  vel  alio  se  conferre  coguntur. 

Ex  quibus  omnibus  facile  perspicitur ,  quanta  nunc  in 
miseria,  et  quam  periculoso  statu  ecclesia  et  dioecesis 
Augustana  sit  constituta ,  imo  in  quanta  pericula  sit  Ven- 
tura ,  sive  illa  quae  tot  annis  in  rei  catholicae  perniciem 
constituta  est  pax,  consistat,  sive  bellum  pace  iterum  neglecta 
consequatur.     Catholica  profecto  religio   quotidie  magis    ac 


396  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

magis  decrescet,  quia  nemo  est,  qui  ejus  patrocinium  susci- 
piat,  sed  per  iniquissimam  pacis  autonomiam  cuilibet,  quod 
amplecti  et  fovere  vult,  libere  ac  impune ,  ut  faciat ,  con- 
cessum  est. 

Administrator  tarnen  episcopatus  Augustani,  licet  haec 
omnia  a  pluribus  annis,  quibus  pacis  transactio  Monasterii 
et  Osnabrugae  inter  ordines  Imperii  durabat,  tractarentur, 
non  modo  ullis  tractatibus,  quae  catholicae  ecclesiae,  sedis- 
que  apostolicae ,  Augustanae  praesertim  ecclesiae  Jura  ,  res, 
immunitatem,  et  verbi  (verae?)  fidei  ac  religionis  catholicae 
dignitatem,  omniumque  et  singularum  dioecesis  eccelesiarum, 
personarum  praetensiones  concernebant,  nunquam  consensit, 
sed  aperte  semper  contradixit,  episcopatus  et  dioecesis,  omni- 
umque raembrorum  jura  per  publicas  protestationes,  saepius 
saepiusque,  ubi  necessitas  id  postulabat,  iteratas,  repetitas, 
ad  publicam  Imperii  cancellariam  ad  perpetuam  rei  memo- 
riam  repositas  reservavit,  ac  contra  omnes  futuras  actiones 
se  et  dioecesin  juxta  copias  hisce  conjunctas  cum  capitulo 
cathedrali  munivit.  üti  horum  tenore  per  expressum  pro  se, 
episcopis  Augustanis  futuris,  capitulo  cathedrali,  omnibus  epis- 
copatus membris  quibuscunque  quomodocunque  exprimendis 
protestatur,  quod  paci  et  pacis  articulis,  in  quantum  catho- 
licae religionis,  sedis  apostolicae,  episcopatus  Augustani,  om- 
niumque membrorum  ad  dictum  episcopatum  quomodocun- 
que sive  per  subjectionem  sive  per  exemptionem  pertinen- 
tium  juribus ,  rebus,  personis,  immunitatibus  adversantur, 
eaque  qualitercunque  laedunfc,  aut  laedere  possunt,  non  con- 
sentiat,  aperte  contradicat,  imo  hac  reservatione,  et  protesta- 
tione  apud  sedem  apostolicam  iterum  reuovata,  ejusque  in 
custodia  perpetua  deposita  ad  omnes  actiones  per  pacis  cousti- 
tutionem  abdicata  et  ablata  repetendi,  per  se  recipiendi  in- 
stituendas  reservet. 

Haec  itaque,  Beatissime  Pater,  Vestrae  Sanctitati  ad- 
ministrator  episcopatus  Augustani    a  Sanctitate   Vestra  con- 


Friedrich:    Augsburg  er  Belationen.  397 

firmatus  de  dicti  episcopatus  et  dioecesis  moderno,  attamen 
fanesto  et  lugubri  statu  exponit,  deumque  Optimum  ardenti- 
bus  precibus  cum  afflicto  clero  et  populo  dioecesano  devo- 
tissime  obsecrat,  ut  ecclesiae  suae  Sauctitatem  Vestram  diu- 
tissime  salvam  ac  incohimem  conservare  velit.  Eidem  deo 
optimo,  beatissimaeque  virgini  matri  Mariae,  sanctis  aposto- 
lis  Petro  et  Paulo,  necnon  S.  Udalrico  et  omnibus  sanctis 
sit  honor,  gloria    in  saecula  saeculorum.     Amen. 


III. 

Relatio  status  ecclesiae  et  dioecesis  Augustanae  1654. 
Beatissime  Pater  !  Joannes  Rudolphus  episcopatus  Augu- 
stani  provinciae  Moguntinensis  apostolica  autoritate  consti- 
tutns  administrator,  electus  in  praepositum  ac  dominum  El- 
vacensem  Sanctitatis  Vestrae  sacros  pedes  pro  humillima 
vener atione  osculans  sacraeque  ordinationi  Sixti  P.  V.  f.  r. 
aliisque  constitutionibus  apostolicis  insistens  limina  aposto- 
lica per  ecclesiae  cathedralis  Augustanae  canonicum  prae- 
sentem  r.  d.  Caroltim  Philippum  de  Ulm  Baronem  de  Erbach, 
cum,  ut  ipse  memoratus  Joannes  Rudolphus  a  dioecesi  ab- 
sit,  et  in  persona  boc  faciat,  cura  animarura,  aliaque  gravis- 
sima  impedimenta  non  concedant,  visitare  ecclesiaeque  et 
dioecesis  statum  exponere  intendit  bumillimeque  Sanctitati 
Vestrae  exponit. 

Quod  episcopatus  et  dioecesis  Augustana  adhuc  eo  in 
statu  consistat,  in  quo  post  Germaniae  pacem  de  quo  co- 
piose  quatuor  ante  annos  relatum  fuit,  constiterat ;  quae 
enim  in  ducatu  Wirten bergico,  Comitatu  Oetingano  aliisque 
in  locis  tum  ad  civitates  imperiales  haeresi  infectas ,  tum 
alios  haereticos  pertinentibus,  catholicae  religioni  erepta,  vel 
ipsis  in  civitatibus  baeresi  adjudicata  fuerunt,  ea  omnia  illa 
tam  lugubri  ac  tristi  perversione  juxta  memoratae  pacis  arti- 
culos  ab  imperii  ordinibus  vel  nitro  vel  coacte  admissos, 
donec  e  singulari    dei  beuignitate    pro    re   catbolica    felicior 


398  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  7.  Decemher  1878. 

aspiret  aura,  mutari  non  possunt.  Non  tarnen  intermittitur, 
ubi  pacis  instrumentum  aliquantulum  favere  videtur,  ut  vel 
pro  reducenda  religione,  sicubi  nimis  praecipitanter  per  bae- 
reticorum  artes  expulsa,  vel  haeresis  malitiose  introducta 
fuerat,  implorato  Caesareae  Majestatis  auxilio ,  vel  aliis  ad- 
hibitis  subsidiis  in  suam  cuncta  reducantur  integritatem. 

Insigni  Calvinistarum  Ä-aude  et  non  absque  perjurii 
vitio  Calvinianus  praedicans  in  CoUegiatam  ecclesiam  Grö- 
nenbacensem,  ac  oppidum  vicinum  ab  altero  pacis  executore 
ill.  duce  Wirtenbergico  reductus  est.  Quia  vero  compertum, 
quod  in  anno  1624,  ad  quem  in  Germania  omnia  confir- 
mantur,  quod  in  dicta  ecclesia  nee  praedicans  Calvinianus  nee 
exercitium  baereticum  fuerit,  Adniinistrator  Episcopatus  eo 
semper  Caesaream  Majestatem  deduxit,  ut  pacis  executoribus 
negotium  jam  datum  sit,  ut  catbolica  religio  dicta  in  Colle- 
giata  eum  in  statum  reduceretur,  in  quo  anno  1624  fuerat. 

Idem  Administrator  omni  quoque  studio  ac  labore 
contendit,  ut  Patres  Societatis  Jesu  in  civitatem  imperialem 
Kauffburanam,  unde  similiter  per  ducem  Wirtenbergicum 
ejecti  fuerant,  autboritate  Caesarea  per  serenissimam  Bavariae 
Electricem  reducerentur,  prouti  ante  bienuium  reducti  sunt, 
ubi  hactenus  sumptibus  praedicti  Administratoris,  ut  religio 
catbolica,  si  eo  in  loco  Patres  non  essent,  facile  extinquere- 
tur,  sustentati  fuerunt.  Effectum  quoque  est,  ut  tametsi 
quidam  antebac  in  Wirtenbergia  certo  in  pago,  cui  nomen 
Lindacb,  conversi  et  per  pacis  obligationem  ad  haeresin  re- 
ducendi  fuerint ,  illi  tamen  ingenti  zelo  et  fervore  accensi, 
minis,  vinculis  et  carceribus  a  duce  Wirtenbergico  ad  defec- 
tionem  adhibitis  non  cesserint,  sed  bactenus  constantes  per- 
manserint. 

Et  licet  in  ipsa  civitate  Augustana  magistratus  et  officia 
catholicos  inter  et  haereticos  ex  aequo  fuerint  divisa,  pari- 
tasque  in  omnibus,  ac  religionis  libertas  cum  impunitate 
concessa  catbolicjs  subinde  etiam  temporalium  cupiditate  ad 


Friedrich:    Augsburg  er  Relationen.  399 

alia  inclinatis  ad  defectionem  non  parva  potuerit  esse  ille- 
cebra,  per  dei  tarnen  singularem  gratiam  factum  est,  ut 
non  nisi  pauculi  e  plebe,  omnem  in  partem  facile  ob  com- 
modum  temporale  et  respectum  mobiles,  defecerint.  Vicis- 
sim  tarnen  aliquot  majoris  authoritatis  viri  ac  feminae  ad 
ecclesiae  catholicae  gremium,  uti  et  alii  quidam  de  plebe 
verae  fidei  lumen  agnoverunt ;  ita  ut  optimus  deus  ex  lapi- 
dibus,  hoc  est,  pace,  quae  omnibus  videbatur  iniquissima,  ac 
rei  catholicae  exitiosa,  etiam  filios  Israel  excitare  soleat. 

Quem  in  finem  non  parum  facit,  quod  tametsi  in  pacis 
constitutione  complura  subsidia,  quibus  catholicae  rei  incre- 
mentum  promovebatur,  sublata  fuerint,  attamen  cura  habetur 
sollertissima,  ut  illi,  qui  in  fidei  periculo  versantur ,  mature 
in  securitatis  semitam  invocato  etiam  catholicorum  prin- 
cipuiii  ac  potestatum  brachio  reducantur. 

Nee  dubitatur,  quin  optimus  deus  ferventissimis  catho- 
licorum precibus,  quae  tam  in  civitate  Augustana,  quam  non- 
nullis  aliis  dioecesis  in  locis  per  totum  annum  continuantur, 
clementissime  flectendus,  et  tandem  eam  benignitatem  da- 
turus  sit ,  ut  terra  nostra  fructum  fidei  totius  catholicae 
datura  sit. 

Visitatio  in  dioecesi  cleroque  tam  saeculari  quam  regu- 
lari  constanter  ac  ita  producitur ,  ut ,  si  non  fere  singulis 
annis,  quod  ob  raagnitudinem  subin  fieri  nequit,  per  diversos 
saltem  visitatores  singulis  bienniis,  monasteriorum  autem  sin- 
gulis trienniis  aut  citius  absolvatur;  quamvis  in  quibusdam 
unitis  parochiis  exempti  reguläres  non  sine  gravi  fastidio 
se  opponere ,  ordinariique  visitationem  eludere  conentur ; 
cujusmodi  insolentia  magnopere  scandolosa  ante  sesquian- 
num  ad  s.  congregationem  concilii  Tridentini  relata  ac  pro 
jure  episcopi  determinata  fuit. 

Quantum  sacramentorum  administrationem  attinet,  ea 
deo  benedicente  per  dioecesin  a  pastoribus  et  curatis  sine 
querela   diligenter    frequentatur ,    numerusque    eorum ,    qui 


400  Sitzung  der  histor.  Glasse  vom  7.  December  1878. 

tempore  paschali  confessi  et  communicati  sunt,  siügalis  annis 
maior  redditiir.  In  obeunda  dioecesi  hoc  triennio  confir- 
mationis  sacramentum  ultra  viginti  millia  dioecesanis  colla- 
tum  est. 

Ceterum  hoc  in  dioecesi  Augustana  adhuc  incomraodi 
cadit ,  quod  cum  ob  redditus  per  bella  destructos,  tum  per 
sacerdotum  similiter  per  temporum  iniquitatem  amissorum 
penuriam  singulae  parochiae  per  singulos  curatos  ac  rec- 
tores  non  possint  regi,  uni  sacerdoti  plures  parochiae,  dum 
per  dei  misericordiam  et  redditus  et  sacerdotes  augeantur, 
committi  debeant.    —    —    ~- 


IV. 

ßelatio  Status  ecclesiae  Augustanae  1670. 

Beatissime  Pater !  Joannes  Christophorus  episcopus 
Augustanus  Sanctitatis  V^^f®  sacros  pedes  pro  humillima  veue- 
ratione  exosculans,  sacrisque  constitutionibus,  maxime  Sixti 
Papae  V.  f.  m.  insistens  limina  apostolica  per  ecclesiae 
cathedralis  Augustanae  canonicum  praesentem  r.  d.  Marcam 
Albertum  ßaronem  de  Freyberg,  cum,  ut  ipse  episcopus  hoc 
in  persona  faciat,  haec  tempora  et  occupationes  non  per- 
mittant,  visitare,  ecclesiaeque  et  dioecesis  statum  exponere  in- 
teudit,  humillimeque  exponit. 

Et  inprimis  breviter  in  memoriam  revocat  ea,  quae  de 
pacis  in  Germania  ac  Imperio  constitutae  et  autonomiae 
luctu  per  antecessores  in  episcopatu  Augustano  antehac 
ad  sedem  apostolicam  relata  sunt,  ünde  status  in  dioecesi 
Augustana  mirum  in  modum  laesus  est  per  surreptionem 
nobilissimorum  monasteriorum  ecclesiarumque  tarn  parochia- 
lium,  quam  aliarum,  civitatum  quoque  et  oppidorum  ac 
regi on um,  e  quibus  catholica  religio  penitus  proscripta,  ejus- 
que    loco  haeresis    introducta    est   cum   multorum    millium 


Friedrich:    Augsburger  Belationen.  401 

jactura  animarum ;  quarum  complures  jam  in  vinea  domini 
sanatae  plurimaeque  in  spe   conversionis  constitutae  fuerant. 

Quod  quidem  tolerabilius  fuisset,  si  catholicae  religionis 
jactura  hie  constitisset ;  quia  vero  autonomiae  seu  religionis 
libertas  veluti  porta  eorum ,  qui  in  clero  tarn  saeculari 
quam  regulär i  jugum  correctionis  excutiunt,  accessit ;  mirum 
dictu  est,  qupi'tum  exinde  catholica  religio  detrimentum  ca- 
piat,  etiam  illis  in  locis ,  ubi  hactenus  usque  ad  banc  por- 
tae  exitialis  apertionem  via  ad  impunem  apostasiam  non  pa- 
tuerat.  Nunc  vero  intellecta  hac  libera  vivendi  impuneque 
apostatandi  libertate  quidam  saeculares  clerici,  immo  longa 
plures  et  non  pauci  religiosi  ad  libidinem  proclives  et  ab- 
jecti  se  ad  loea  haeretica  proripiunt  et  incestuosas  nuptias 
amplectuntur ;  ita  ut  ex  uno  alterove  monasterio  uno  anno 
tres ,  quatuor ,  et  plures  religiosi  cum  grandi  scandalo  et 
tristitia  catholicorum  et  gaudio  baereticorum  profugerint. 

Huic  malo  se  potenter  episcopus  Augustanus  opponit, 
qui  post  assumptionem  ad  episcopatum  antiquius  nibil  ba- 
buit,  quam  ut  der  um  utrumque  ab  boc  immani  periculo 
contineret  Ideo  propria  in  persona  totius  dioecesis  et  epis- 
copatus  Augustaui  monasteria  suae  jurisdictioni  subjecta, 
ecclesias  collegiatas,  parocbias,  beneficia  visitaverit.  Sjnodos 
rurales ,  quia  propter  temporum  iujuriam  totalem  et  gene- 
ralem  synodum  contra  animi  sui  voluntatem  bactenus  cele- 
brare  non  poterat,  instituit,  disciplinam  exclesiasticam, 
quantum  per  Dei  subsidiuui  poterat,  restituit,  vitiosos  casti- 
gavit,  incorrigibilium  et  malorura  plurimos  proscripsit,  vel 
ita  castigavit,  ut  ad  emeudationem  redirent  et  nunc  se 
laudabiliter  gerant.  Cura  quoque  eidem  fuit,  ut  exemptos 
etiam  in  dioeeesi  Augustana  constitutos  zelose  moneret,  et 
moneri  curaret ,  ut  ipsi  suis  in  monasteriis,  quae  correc- 
tione  indigebaut,  normam  adbiberent,  et  vigilarent,  ne  eo- 
rum  subdiii  üagitiosa  bac  libertate  abuterentur. 

Ingenti  quoque  cum  labore  Patres  Societatis  Jesu  in 
[1878. 1  Philos.-philol  -hist  CI.  Bd.  II.  3.]  .28 


402  Sitzung  der  histor.  Clas.se  vom  7.  Deceniber  1878. 

civitatem  Kauifburanam  per  Caesaream  Majestatem  sollici- 
tante  et  urgente  ordinario  Augustano  reducti  sunt,  quorum 
ope  et  studio  catholici  ibidem  in  religione  laudabiliter  conti- 
nentur  et  coufirraantur.  Laborat  modernus  episcopus  AugU" 
stanus,  ut  in  loco  Grönenbach  dicto  exercitium  Calvinisti- 
cum  expellatur,  quod  in  anno  1624  ibi  non  fuerat,  cuius 
tarnen  desiderio  haeretieorum  potentia  extra  et  intra  Impe- 
rium adversatur ;  adeo  ut  electores,  duces,  principes  Imperii 
acatbolici  omnes  contra  conatus  episcopi  Augustani  quasi 
conjurarint ,  et  in  subsidium  Helvetios  liaereticos  evocave- 
rint.  Quibus  tamen  omnibus  non  obstantibus  saepedictus 
episcopus  omnem  lapidem  Caesaris  auxilio  implorato  movet, 
ut  locus  praedictus  in  Grönenbach  ab  exercitio  Calvinistico 
prorsus  purgetur.  Similes  quoque  controversias  babet  epis- 
copatus  Augustanus  cum  duce  Wirtenbergico,  qui  diversis 
in  locis  supprimere  conatur  catbolicam  religionem ;  cui  autem 
pro  viribus  resistitur.  Caeterum  licet  post  pacificationem 
in  Imperio  haereticos  inter  et  catholicos  cum  tanto  detri- 
mento  factam  dioecesis  Augustana,  uti  prioribus  in  visita- 
tionibus  sacrorum  liminum  ad  sedem  apostolicam  relatum 
est,  tantam  in  solitudinem  redacta  fuerit,  ut  cleri  saecularis 
exigua  pars  superstes  esset,  et  subinde  tribus  et  quatuor  paro- 
chiis  vix  unus  sacerdos  praefici  posset,  nunc  tarnen  ita  deo 
benedicente  clerus  saecularis  in  dioecesi  Aagustana  auctus 
est,  ut  non  so! um,  parocbiae  fere  singulae  ^ngulos  obtin- 
eant  sacerdotes,  sed  plures  supersint,  quibus  beneficia  cpn- 
ferri  nequeant. 

Catbolicis  in  locis,  deus  sit  benedictus  ,  res  divina  ite- 
rum  efflorescit,  sacramentorumque  usus  ubique  conserva- 
tur ;  ecclesiae  novae  aedificantur  et  pulchre  exornantur, 
nitorque  paramentorum  tantus  visitur,  ut  bellorum  iniqui- 
tates  videantur  fidelium  animos  ad  ecclesiarum  cultum  po- 
tius  animasse,  quam  minuisse. 

Redditus    vero   ecclesiastici    adbuc    se.  non    omnino  re- 


Friedrich:     Augsburg  er  Delationen.  403 

colligere  potuerant  fundis  per  dioece^in  neglectis,  et  in  sal- 
tus  sylvescentibus.  Quam  ob  causam  complura  beneficia 
exiguos  habent  redditus,  clero  vix  ad  sustentationera  suffi- 
cieutes.   —    -    -   - 


V. 

Beatissime  Pater !  Joannes  Christoph orus  ecclesiae  Augu- 
stanae  provineiae  Mognutinae  novemdecim  jam  annos  epis- 
copus  maximo  studio  ac  bumillima  erga  Sanctitatem  Vestram 
et  sedem  apostolicam  observantia  semper  allaboravit,  ut 
praeter  alia  omnia  ss.  Pontificum  decreta,  maxime  etiam 
Sixti  f.  r.  V.  de  liminum  b.  Petri  et  Pauli  apostolorum  visi- 
tatione  constitutionem  observaret,  atque  statutis  temporibus, 
qui  Sacra  limina  visitarent,  statumque  dioecesanum  demissis- 
sime  expouerent,   obedientissime  ablegaret. 

Sane,  cum  post  lapsum  quadriennii  ipsum  ob  gravis- 
sima  impedimenta  et  occupaliones  tantum  iter  suscipere 
et  a  dioecesi  abesse  nequeat ,  idcirco  praeyio  Sancti- 
tatis  Vestrae  sacrorum  pedum  osculo  hoc  ipsum  nunc 
denuo  per  ecclesiae  catbedralis  Augustanae  canonicum  prae- 
sentem  Christopborum  Benedictum  Liber,  Baronem  de 
Frejberg  praestare  atque  statum  ecclesiae  Augustanae 
in  subsequentibus  exponere  intendit.  Atque  inprimis  re- 
fert  se  ad  priores  visitationes ,  in  quibus  saepius  lucu- 
leiiter  expositum  fuit,  quod  gravia  praejudicia  per  pacem 
cum  baereticis  initam  catholicae  religioni  irrogata  sint ,  et 
quod  doloris  sensum  adauget,  spes  nulla  affulgere  videatur, 
hanc  plurimorum  malorum  in  ecclesia  dei  radicem  facile 
evelli  posse,  licet  solatio  sit,  quod  rari  admodum  boc  tem- 
pore apostasiae  casus  in  laicis  et  plebe,  in  clericis  vero  et 
religiosis  vix  ullus  contingat.  » 

Econtra  in  id  sedulo  iucumbere  continuat  episcopus 
Augustanus,  ut  errantes  oviculae  ad  caulam  dominici  gregis 
couvenientibus  modis  invitentur,  constitutis  ad  boc  principum 

28* 


404  Sitzung  der  histor.  Glasse  vom  7.  Decemher  1878. 

saecularium  subsidiis  et  pecuniis,  quibus  ejusmodi  conversi, 
donec  alia  sustentatiouis  media  acquiraut,  commode  vitam 
tolerent. 

üt  autem  catholicus  populus  et  iideles  suae  dioecesis 
in  fidei  catbolicae  fundamentis  instruantur,  roborentur,  et 
coDserventur,  sicuti  insistendo  s.  concilii  Tridentini  decretis 
et  synodalibus  statutis  in  oranibus  ecclesiis  parochialibus  et 
aliis  curatis  toto  anno  singulis  dominicis  catecbesis  sive 
doctrina  christiana  hucusque  tradebatur,  singulis  insuper 
dominicis  et  festivis  diebus  per  parocbos  aliosque  sacerdotes 
tarn  saeculares,  quam  religiöses  publicae  conciones  habeban- 
tur,  ita  deinceps  tradetur  et  babebuntur. 

Continuatur  etiam  in  urbe  Augustana  devotio  compre- 
cationis  decem  horarum  singulis  fere  dominicis  et  festivis 
diebus,  alternandae  per  totum  annum  in  ecclesiis  parocbialibus 
et  religiosorum ,  magno  sane  populi  concursu  et  devotione, 
ut  omnipotens  deus  ad  largiendam  suis  fidelibus  maxime  in 
hac  dioecesi  misericordiam  iucessanter  quasi  imploretur. 

Insuper  ad  augendam  devotionem  et  percipienda  iden- 
tidem  divinorum  dona  charismatum  non  modo  praescriptis 
ad  lucrandas  a  ss.  Pontincibus  concessas  varias  indulgen- 
tias  operibus,  maxime  quae  singulis  mensibus  etiara  deten- 
tis  in  purgatorio  animabus  applicari  possunt,  magno  fer- 
vore  insistitur,  sed  etiam  ex  variis  confraternitatibus  a  s. 
sede  apostolica  approbatis  et  indulgentiarum  thesauro 
condecoratis  ingentes  animarura  fructus  redundant,  inter 
quos  facile  primum  locum  sibi  vendicare  videtur  recens  ea 
confraternitas,  quae  sub  titulo  perpetuae  adorationis  ss. 
Sacramenti  nuncupatur,  utpote  tanto  zelo  per  totam 
dioecesin  Augustanam  bucusque  p^antata,  magnoque  confra- 
trum  et  consororum  uHra  CGiitum  millia  numero  adaucta 
est,  ut  benignissimus  deus  min^m  sane  in  modum  exinde 
laudetur,  eoque  major  spes  co,:'C'pi  possit  ad  adipiscendam 
ecclesiae    suae   sanctae  afflictacque  misericordiam  salutarem. 


Friedrich:    Augsburg  er  Belationen.  405 

Et  dum  priori  anoo  nefarius  Tiircarum  tyrannus  formidabili 
sua  potentia  regnum  Hungariae  et  archiducatum  Austriae 
coeterasque  Imperator is  Romani  provincias  et  ditiones  haere- 
ditarias  in  suam  potestatem  redigere  clademque  in  alias 
etiam  vicinas  christianas  ditiones  proferre,  omniaque  tyran- 
nidi  suae  subjicere  moliebatur,  episcopus  Augustanus  non 
tantum  gratias  apostolicas  ad  excitandam  devotionem  et  fer- 
vorem  emanatas,  ea  qua  par  est  demississima  observantia  per 
totam  dioecesin  quantocyus  publicari,  sed  et  alias  devo- 
tiones  comprecationesque  per  illam  institui  fecit,  eo  sane 
fervore  bucusque  continuatas ,  ut  per  illas  divina  ira 
hominum  flagitiis  provocata,  placata  et  tot  prosperi  suces- 
sus  armis  cbristianis  a  clementissimo  deo  impetrati  esse 
videantur. 

Porro  cum  maxime  intersit,  ut  ea,  quae  salubriter  statuta 
et  introducta  sunt,  inviolabili  observantia  condecorentur,  si 
qui  errores  obrepant,  tempestive  corrigantur,  et  maximum 
rei  pondus  in  diligenti  dioecesis  visitatione  consistat ,  ideo 
episcopus  Augustanus  aut  ipse,  quantum  aliae  occupationes 
episcopales  permittunt,  hinc  et  inde  visitationes  instituit, 
aut  certe  pro  ratione  amplissimae  dioecesis  hanc  normam 
indesinenter  observari  curat,  ut  pro  tota  dioecesi  consti- 
tuti  tres  visitatores  generales  demandatum  sibi  munus  rite 
peragant,  et  quivis  assignatum  districtum  sedulo  visitet, 
quo  quidem  modo  fit ,  ut  juxta  Tridentinum  concilium  et 
synodalia  decreta  visitationes  annuae  aut  localiter  aut  capitu- 
lariter  instituantur,  in  cleri  et  populi  mores  et  vitam  sedulo 
inquiratur,  utrumne  decani  cum  subjectis  parochis  et  cu- 
ratis  synodos  rurales  quotannis  celebrent,  suaque  capitula 
ipsi  visitent.  Qua  in  re  ea  rursus  in  memoriam  reducuntur, 
quae  in  prioribus  visitationibus  ss.  liminum  exposita  sunt ; 
certum  numerum  parochorum  et  beneficiatorum  aliis  vi- 
ginti,  aliis  triginta,  et  aliis  longo  plurium. 

Praeterea,     ne   etiam  in    Lac  ampla    dioecesi    populo 


406  Sitzung  der  histor.  Classe  von  7.  Deceniber  1878. 

catholico  inter  gentem  pravam  existenti  accessus  ad-salubre 
confirmationis  sacramentum  desit,  episcopus  suo  suffraganeo 
certas  regiunculas  singulis  annis  peragrandas  praescripsit, 
eo  maiori  solatio ,  quod  ingens  semper  confluxus  id  ardenti 
devotione  suscipere  intendat. 

•  Quod  autem  integrum  corpus  dioecesis  Augustana«  con- 
cernit,  sicuti  juxta  deuuo  hie  appositam  designatiouem  ea 
potissimum  tribus  districtibus  constafc ,  magna  nimirum  Suer 
viae  seu  Alemanniae,  non  modica  Bavariae,  et  demum  ea 
Sueviae  parte,  quae  trans  Danubium  particulari  nomine  Rbae- 
tiae  indigitatur,  cui  etiam  aliqua  pars  Palatinatus  Neoburgici 
cobaeret.  Ita  praeter  catholicas  horum  trium  .  istrictuum 
parochias  adliuc  complures  ab  haercticis  in  hac  ipsa  urbe 
Augustana  per  instrumenta  pacis,  quoad  religionem  mixtam, 
pro  dolor !  detinentur,  immo  totus  fere  adhuc  nuper  comi- 
tatus,  nunc  vero  principatus  Oettingamis  in  supra  memorata 
Rbaetia,  utpote  haeresi  jam  dudum  infectus,  dioecesi  Augu- 
stanae  subtractus  est.  Idipsum  contingit  in  conterminis 
finibus  ducatus  Wirtenbergiae  et  cum  aliis  civitatibus  Im- 
perialibus, nempe  Nerdlinga,  Memminga,  Ala,  Gienga, 
Bopfinga  ex  integro,  Dinkelsbula  et  Kauffbura  vero  utro- 
bique  ex  parte,  uuoque  insuper  et  altero  Castro  et  prae- 
diis,  cui  tarnen  malo  hisce  malignis  temporibus  ob  initas 
de  facto  transactioues  conveniens  remedium  cum  effectu 
non  suppetit. 

Quae  sit  episcopi  Augustani  in  diversorum  Ordinum  s. 
Benedict]',  cauonicorum  regularium  s.  Augustini  aliorumque 
monasteria  a  plurimis  saeculis  jurisdictio,  vi  cujus  ex  prae- 
scripto  concilii  Tridvjiitini  visitationes,  .ut  plurimura  vero  per 
deputatos  visitatores  peraguntur,  alia  vero  quaedam  utrius- 
que  sexus  olim  monasteria  nunc  extincta  in  potestate  omni- 
moda  haereticorura  supradictorumprincipum^c  civitatum  cum 
plena  perceptionefructuum  baereant,jam  proximis  relationibus 
SS.  sedi  cum  luctu  expositum,  et  iuterira  in  futurum  melior 


Friedrich:    Augshurger  Belationen.  40^ 

reruni  status  solis  votis  a  deo  expectandus  est.  Ea  vero,  quae 
adhucdum  a  religiosis  incoluntur ,  et,  ut  supra ,  visitationi 
episcopi  subjecta  mansernnt ,  in  bono  statu  et  regiilari  dis- 
ciplina  reguntur  et  vigent,  ita  ut  sub  omnino  vano  prae- 
textu  i'eformatioms  per  noviter  sollicitatam  congregationem 
praesertim  praelati  nihil  aliud  quaerant,  quam  ut  exempti 
fiant  ab  illis,  qui  eorum  actiones  observare  et  disciplinae 
regulari  conservandae  studiose  invigilare  solent ;  certe  si  ab- 
batum  intentio  ad  reformationem  collimaret,  parum  illorum 
interesset,  imo  sibi  gloriae  ducerent,  quod  regulärem  disci- 
plinam  ad  aedificationem  tarn  fidelium  quam  haereticorum 
publice  eontestari  possent.  Sed  episcopus  Augustanus  refert 
se  ad  illa,  quae  jam  ante  hoc  solidis  fundamentis  in  con- 
trarium  produci  fecit,  nee  sibi  persuadere  potest,  quod  S. 
Sanetitas,  ciii  ss.  conciliorum,  et  canonum  et  particulatim 
s.  eoncilii  Tridentini  observantia  usque  adeo  cordi  est,  ab- 
bates  Benedictinos  contra  eorum  sacrosanctas  dispositiones 
inspectioni  et  jurisdictioni  pastorali  subtrahere  velit. 

Inhaerendo  nunc  ulterioribus  super  distincta  relatione 
facienda  emanatis  dispositionibus  non  est,  quod  de  poeniten- 
tiaria  theologali  in  ecclesia  cathedrali,  similiter  etiam  tam  in 
monasteriis  subjectis  quam  exemptis  ullus  defectus  allegari 
queat.  Viget  etiam  seminarium  juxta  ss.  eoncilii  Tridentini  (sie) 
intantum, ,  ut  pro  ratione  annuorum  reddituum  subinde  vi- 
ginti  alumni  inde  alantur,  numerusque  theologorum  et  sacer- 
dotum  numerum  beneficiorum  et  conditionem  transcendat. 

Quoad  residentiam  canonicorum  in  ecclesia  cathedrali 
antiquissimorum  forma  statutorum  exacte  observatur,  nee 
distributiones  quotidianae  iis  obveniunt,  qui  rei  divinae  non 
intersunt.  Idem  quoque  in  aliis  beneficiatis  tam  curatis, 
quam  simplicibus,  tam  etiam  in  caeteris  ecclesiis  collegiatis 
usuvenit,  exceptis  tarnen  eorundem  praeposituris,  quarum  tres 
in  sola  civitate  Augustana  recensentur,  praetendentes  immuni- 
tatem  ab  omni  residentia  sub  fulcro  apostolicorum  indultorum- 


408  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  7.  December  1878. 

Unum  adhuc,  quod  episcopo  Augustano  iucumbit,  est 
celebratio  synodi.  Cum  autem  impedimenta,  quae  hactenus 
executionem,  magno  desiderio  exoptatam,  impediverunt,  prout 
neminem  latet ,  adaucta  potius  fuerint,  quam  decreverint, 
idcirco  cogitur  episcopus  Augustanus  humillime  rogitare, 
ut  s.  Sanctitas  benignissime  permittat,  hoc  synodi  negotium 
aliquantisper  adhuc  differre,  donec  divina  benignitate  ejus- 
modi  obstacula  cessaverint.  —  —  — 


VI. 

Beatissime  Pater!  Alexander  Sigismundus  Comes  Pala- 
tinus  Rheni ,  Bavariae,  Juliae,  Cliviae  et  Montium  dux  etc. 
antehac  episcopatus  Augustani  provinciae  Moguntinae  a 
Sede  apostolica  confirmatus  Coadjutor,  postquam  Joannes 
Christophorus  episcopus  Augustanus  coadjutus  die  1.  Aprilis 
hujus  decurrentis  anni  pientissime  obiit,  regimen  et  tempo- 
rale et  ex  speciali  indulto  Sanctitatis  Vestrae  defecüiim  ae- 
tatis  supplente  spirituale  assumens  nihil  amplius  coi'di  habet, 
quam  ut  omnia  ss.  Pontificum  decreta  et  inter  illa  id  f.  r. 
Sixti  P.  V.  et  Clementis  X.  b.  m.  mandacum  per  s.  con- 
gregationis  Concilii  declarationem  de  liminum  sacrorum 
visitatione  observet.  Hinc  est,  cum  post  lapsum  quadriennii 
ipse  dicta  sacra  limina  ob  graviora  impedimenta  et  totius 
s.  Imperii  periculosissimum  statum  (sie)  iter  suscipere,  et  a 
dioecesi  abesse  nequeat,  praevio  Sanctitatis  Vestrae  sacrorum 
pedum  pro  humillima  veneratione  osculo,  hoc  ipsum  per 
ecciesiae  cathedralis  Augustanae  Canonicum  praesentem 
Christophorum  Benedictum  liberum  Baronem  de  Freyberg 
peragere  intendit,  statum  ecciesiae  et  dioecesis  Augustanae 
subsequentibus  humillime  exponendo. 

Et  ante  omnia  se  ad  priorem  visitationem  anteces- 
soris  praesertim  supramemorati  nuper  defuncti  p.  m.  coad- 
juti  se  refert,   in  quibus   gravia  illa  praejudicia    quae   per 


Friedrich:    Äugsburaer  Belationen.  409 

pacem  cum  haereticis  quondam  initam  dioecesi  irrogata  fue- 
runt,  lußuleDter  exposita  fuerunt ;  nee  eorum  maloram  radi- 
cem  evelli  posse  ulla  spes  concipi  valet,  licet  solatio  sit, 
quod  hoc  tempore  rari  apostasiae  casus  in  laicis  et  in  reli- 
giosis   vero  vix  ullus  contingat. 

Econtra  episcopus  Augustanus  vestigiis  antecessoris  sui 
similiter  inhaerendo  in  id  sedulo  incumbere  continuat,  ut 
errantes  ad  caulam  dominici  gregis  convenientibus  modis 
invitentur  et  reducantur,  in  quem  finem,  ut  indultum  apo- 
stolicum,  vi  cujus  alia  inter  etiam  potestas  absolvendi  ab  hae- 
resi  ad  certum  numerum  conferri  consuevit ,  quantocius  reno- 
varetur,  tarn  sollicite  supplicari  fecit,  et  etiam  obtinuifc.  Ut 
autem  catholicus  populus  et  fideles  suae  dioecesis  in  fidei 
fundamentis  instruantur,  roborentur  et  conserventur ,  sicuti 
insistendo  ss.  Concilii  Tridentini  decretis  et  synodalibus 
statutis  in  omnibus  ecclesiis  parochialibus  et  aliis  curatis 
toto  anno  singulis  dominicis  catecbesis  sive  doctrina  chri- 
stiana  hucusque  tradebatur,  singulis  insuper  dominicis  et 
festivis  diebus  per  parochos  aliosque  sacerdotes  tarn  saecu- 
lares  quam  reguläres  publicae  conciones  habebantur,  ita  et 
modernus  episcopus  Augustanus,  ut  et  deinceps  taliter  quam 
studiosissime  tradantur  et  habeantur,  indefessa  pastorali 
cura  invigilabit. 

Sane  is  eapropter,  ut  tam  disciplina  saecularium  sacer- 
dotum  ecclesiastica,  quam  monasteriorum  jurisdictioni  epis- 
copali  subjectorum  regularis  magis  magisque  floreat,  proinde 
si  qui  errores  irrepant,  illi  efficacius  corrigi  queant,  quam- 
primum  consecratio  jam  quidem  ad  certum  antebac  diem 
determinata,  sed  ob  luctuosissimum  Seren,  d.  P.  antea  S. 
R.  J.  Electoris  obitum  hucusque  dilata,  non  multum  post 
consecuta  fuerit,  amplam  suam  dioecesin  praeter  visita- 
tiones  tribus  visitatoribus  generalibus  commissas,  qui  in 
cleri  et  populi  mores  ac  vitam  necnon ,  utrum  decani 
cum    subjectis    parochis    et   curatis   synodos    rurales    quot- 


410  Sitzung  der  histor.  Glasse  vom  7.  Becemher  1878. 

annis    celebrent    suaque   capitula   ipsi   visitent,     sedulo    in- 
quirere  teneäntur,  etiam  in  propria  persona  visitabit. 

Valde  autem  eundem  afüigit,  quod,  licet  quatuor  illa  mo- 
nasteria  virorum  Ordinis  s.  Benedict!  in  districtu  Bavariae, 
Benedictoburum  nimirum,  Thierhaupta,  Wessofontum  et  ad 
montem  sanctum  (Andecbs),  sub  regimine  et  jurisdictione 
Ordinarii  semper  in  bono  statu  et  regulari  disciplina  per- 
vigili  et  indefessa  sollicitudine  conservata  fuerint,  nibilo- 
minus  eorum  abbates  sub  vano  praetextu  reformationis,  an- 
tecessore  suo  et  aliis  interessatis  Ordinariis  inauditis  ,  non 
tantum  erigendae  congregationis ,  sed  etiam  exemptionis 
Breve  apostolicum  sub-  et  obreptitium  obtinueriut,  qui  ut 
haud  temere  suspicari  potest,  nihil  aliud  quaerebant,  quam 
ut  exempti  fierent  ab  illis,  qui  eorum  actiones  observare  et 
disciplinae  regulari  conservandae  studiose  invigilare  solebant. 
Siquidem,  si  abbatum  intentio  ad  reformationem  collimasset, 
parum  illorum  interfuisset,  quin  gloriae  sibi  duxissent,  quod 
regulärem  disciplinam  ad  aedificationem  tarn  fidelium  quam 
haereticorum  publice  contestari  potuissent;  sed  episcopus 
Augustanus  refert  se  ad  illa ,  quae  jam  antehac  immediatus 
antecessor  solidis  fundamentis  in  contrarium  produci  fecit, 
nee  sibi  persuadere  potest,  quod  Sua  Sanctitas,  cui  ss.  con- 
ciliorum  et  canonum  ac  particulatim  ss.  concilii  Tridentini 
observantia  usque  adeo  cordi  est,  abbates  Benedictinos  contra 
eorum  sacrosanctas  dispositiones  inspectioni  et  jurisdictioni 
pastorali  subtrabere  velit,  et  quidem  eo  minus,  quod  etiam 
ipsi  conventus  praedictorum  nionasteriorum ,  si  ab  impar- 
tiali  commissione  pro  consensu  etiam  ab  apostolica  Sede  re- 
quisito  requisiti  fuissent,  in  ejusmodi  congregationis,  sal- 
tem  exemptionis  erectionem  minime  consensissent,  ipsa  ex- 
perientia  optime  edocti,  quod  nimius  abbatum  commodis  et 
libertati  suae  inserviendi  pruritus  nullo  alio  efficaciori  me- 
dio,  quam  Ordinarii  interveniente  autoritate  mitigari  et  ad 
decentiae  terminos  constringi  queat    Ad  cujus  confirmationem 


Friedrich:    Augsburger  Belationen,  411 

illorum  abbatiim  ab  Ordinariis  abalienata  mens  vel  exinde 
patet,  quod  licet  a  sede  ap.  rebus  per  abbates  congrega- 
tionis  Bavaricae  compositis  juxta  congregationis  ad  hoc  nego- 
tium deputatae  Judicium  Regul,  et  Episcop.  successive  reso- 
lutum  fuerit,  ut  in  electione  certa  forma  servaretur  atque 
ad  talem  electionis  actum  commissarius  Ordinarii  admitte- 
retur,  attamen  in  nupera  electione  Benedictoburae  neutrum, 
prent  pluribus  demonstrari  possei,  observatum  fuerit,  quia 
in  summum  sui  ordinariatus  contemptum  litterae  noti- 
ficationis  actus  electionis  ita  sero  ad  episcopum  Augu- 
stanum  Ordiuarium  directae  fuerunt,  imo  peracta  jam  elec- 
tione ad  manus  pervenerunt,  ut  neminem  illuc  deputare 
potuerit,  nibilominus  tamen  contigit^  quod  abbas  Scbyrensis 
congregationis  .  .  *  Gen.  negotium  illud  in  se  susceperit, 
proinde  eleetus  abbas  Benedictoburanus  conventusque  ejus- 
dem  hac  culpa  immunis  extiterit,  ut  non  relicto  jure  or- 
dinariatus confirmatus  fuerit  ex  commissione  episcopi  Augu- 
stani.  De  reliquo  episcopo  Augustano  innotuit,  quatenus  mona- 
steria  supramemorata  circa  unionem  parocbiarum  quid  mo- 
liri  praesumant,  demississime  proin  is  rogitat,  ut  inaudito 
ordinariatu  in  illius  grave  praejudicium  nihil  statuatur. 

Alia  monasteria  canonicorum  regulariam  et  sanctimonia- 
lium  quod  attinet,  illa  ex  praescripto  concilii  Tridentini  per 
deputatos  rite  visitantur,  et  sie  in  regulari  disciplina  con- 
servantur.  Multa  autem  utriusque  sexus  olim  monasteria 
nunc  extincta  in  omnimoda  potestate  haereticorum  princi- 
pum  et  civitatum  cum  plena  perceptione  fructuum  hae- 
rent,  et  ut  in  prioribus  relationibus  s.  sedi  cum  luctu  ex- 
positum  reperitur  ,  melior  status  solis  votis  a  deo  expec- 
tandus  est  ...  . 


Die  Lücke  ist  in  der  Handschrift. 


Einsendungen  von  Bruckschriften.  412 


Yerzeichniss  der  eingelaufeuen  Büchergeschenke. 


Vom  Harzverei/n  für   Geschichte  und  Alterthumskunde  m 
Wernigerode: 

a)  Zeitschrift.     11.  Jahrg.      1878.  8^ 

b)  Geschichtsquellen  der  Provinz  Sachsen.     Bd.  VI.  Urkunden- 
buch  des  Klosters  Ilsenburg.    II.  Hälfte.    Halle  1877.  8°. 

Vom  Historischen  Verein  für  Schwaben  tmd  Neuburg  in  Augsburg : 
Zeitschrift.     Jahrgang  IV.     1877.  8^. 

Vmn,  westfälischen  Provinzial-  Verei/n  für  Wissenschaft  und  Kunst 

in  Münster: 

6.  Jahresbericht  pro  1877.     1878.  8^. 

Vom  Verein  für  nassauische  Alterthumskunde  imd  Geschichts- 
forschung in  Wiesbaden: 

Römische  Ansiedlungen  in  der  Umgebung  von  Wiesbaden,  von 
K.  Reuter.     1876.  8^ 

Vom  historischen  Verein  für  Ober  franken  zu  Bamberg: 
40.  Bericht  über  Bestand  und  Wirken  im  J.  1877. 

Von  der  Philomathie  in  Neisse: 
19.  Bericht.     Mai  1874  — Mai  1877.     1877.  8^ 


Einsendungen  von  Druckschriften.  413 

Von  der  gelehrten  esthnischen  Gesellschaft  m  Borpat: 
Sitzungsberichte  1877.     1878.  8^. 

Von  der  deutschen  morgenländischen  Gesellschaft  in  Leipzig: 
Zeitschrift.     Bd.  32.     1878.  8^ 

Von    der    Gesellschaft    für   Schleswig  -  Holstein  -  Lauenhurgische 
Geschichte  in  Kiel: 

a)  Zeitschrift.     Bd.  8.      1878.  8^ 

b)  35.   Bericht    zur    Alterthumskunde    Schleswig  -  Holsteins. 
Von  Heinrich  Handelmann.     1878.  4^. 

Vom  Verein  für  Kunst  und  Älterthum  in  Lim  und  Olerschwdben 

in   Ulm: 
Münster-Blätter,  hsg.  von  Friedr.  Pressel.     Heft  I.     1878.  4°. 

Vom  historischen  Verein  in  Lusern: 
Der  Geschichtsfreund.     Bd.  33.     Einsiedehi  1878.  8°. 

Von  der  allgemeinen  geschichtsforschenden  Gesellschaft  der  Schweig 

in  Bern: 

a)  Quellen  zur  Schweizer  Geschichte.  Bd.  IL    Basel  1878.  8®. 

b)  Jahrbuch  für  Schweizerische  Oeschichte.     Bd.  HI.    Zürich 
1878.  8^ 

Von  der  Antiquarischen  Gesellschaft  in  Zürich: 
Mittheilungen.     Bd.  XX.     Heft  I.  II.,   1.     1878.  4^. 

Vom  Je.  statistisch-topographischen  Bureau  in  Stuttgart. 
Württemb ergische  Jahrbücher    für  Statistik-  und  Landeskunde. 
Jahrg.   1877.     1878.  gr.  8«. 

Vom  Museum  Francisco- Carolinum  in  Ling : 

a)  35.  u.  36.  Bericht.     1877—78.  8^. 

b)  ürkundenbuch   des   Landes   ob   der   Ens.     Bd.    7.     Wien 
1876.  8^ 


414  Einsendungen  von  Druclcschriften. 

Vom    historischen   Verein   für    TJnterfran'ken   und  Aschajfenburg 
in   Würzburg : 

a)  Jahresbericht   1877.      1878.  8^ 

b)  Die  Gescliicbte  des  Bauernkrieges  in  Ostfranken  von  Ma- 
gister Lorenz  Fries,  hsg.  von  Aug.  Schäffler  und  Th. 
Henner.     2.  Lief.     1877.  8^ 

Vom  historischen  Verein  für  SteiermarJc  in  Gxaz: 

a)  Mittheilungen.     26  Heft.      1878.  8^ 

b)  Beiträge  zur  Kunde  steiermärkischer  Geschichtsquellen. 
15.  Jahrg.   1878.  8^ 

Von  der  Gesellschaft  für  Pommersche  G-eschichte  in  Stettin: 
Baltische  Studien.     28.  Jahrg.   1877  —  78.  8^. 

Vom  historischen   Verein,  des  Kantons  St  Gallen  in  St.  Gallen: 

a)  Das  Psalterium  aureum  von  Sanct  Gallen  mit  Text  von 
L  Rud.  Rahn.      1878.  fol. 

b)  Joachim  v.  Watt  deutsche  historische  Schriften.  1875  —  77. 
gr.   8^ 

c)  St.  Gallische  Gemeinde  -  Archive  bearb.  von  J.  Hardegger 
und  H.   Wartmann.      1878.   8^. 

Von  der  Universität  in  Kiel: 
Schriften.     Jahrg.   1877.     Bd.  XXIV.     1878.  4«. 

Von  der  Universidad  de  Chile  in  Santiago: 

a)  Anales  de  la  Universidad  de  Chile.  1875  und  1876. 
1875-76.  4«. 

b)  Memoria  del  Interior  (2  voll.)  ,  de  Relaciones  esteriores, 
de  justicia ,  culto  e  instruccion  publica ,  de  hacienda,  de 
guerra  j  marina.     en  187G.      6  voll.      1876.  4^- 


Einsendungen  von  DntcJcschriften.  415 

c)  Sesiones  de  la  cämara  de  dipütades  en  1875,  2  voll. 
Sesiones  de  la  cämara  de  Senadores  en  1875,  2  voll. 
Sesiones  de  la  commision  conservadora  en  1876.     1876-  4^ 

d)  Anuario  estadistico    de   la  Eepiiblica  de  Chile.     Tom.   17 
1876.  4^ 

e)  Quinto  Censo  jeneral,  19.  Avril  1875.    Valparaiso  1876.   4^ 

f)  Memoria     del    Intendente    de    Valparaiso.        1875  —  76 
'  1876.  .8^ 

g)  La  crönica  de  1810  porMignel  Luis  Amunätegui.   1876.  8^ 
h)  Historia  de  Chile  durante  los  cuarenta  anos   1831  —  1871 

1875.   8^. 
i)  Le  Chili  tel  qu'il  est.     Par  Ed.  Söve.     Valparaiso  1876.  8^ 

Von  der  Äcademie  imperiale  des  sciences  in  St.  Petershourg: 
Bulletin.     Tom.  25.      1878.  4^ 

Von  der  Äsiatic  Society  of  Bengal  in  Cälcutta: 

Bibliotheca  Indica.     Old  Series  Nr.  237.  238.  240.     New  Series 
Nr.  374  —  375.  384.  385.  389.  390.     1877.  8^ 

Von  der  B.  Äceademia  dei  Lincei  in  Born: 

Atti.    Anno  275.   1877-78.    Transunti  Vol.  II.    (Schlussheft.) 

1878.  4^ 

Von  der  Soeiete  des  sciences  in  Lille: 
Me^moires.     4"  Serie.     Tom.  IV.     1878.  8^. 

Vom  Instituto  di  corrispondenza  arclieologica  in  Bom: 

a)  Bullettino  per  l'anno   1877.  8^. 

b)  Monumenti.   1877.      1877  fol. 

Von  der  Gommission  Imperiale  archeologique  in  St,  Petersburg: 
Compte-rendu  pour  l'annöe  1875  mit  Atlas.     1878.  fol. 


416  Einsendungen  von  DrucTcschnften.\ 

Von  der  SocieU  frangaise   d'archeologie  pour  la  conservation  et 
la  description  des  monuments  in  Caen: 

Congrös  archäologique  de  France  41®  et  42®  Session.   1874 — 1875. 
Paris  1875—76.  8^ 


Von  der  Accademia  della  sciense  delV  Istituto  in  Bologna: 

a)  Memorie.     Tom.  IX.      1877—78.  4<>. 

b)  Rendiconto   1877-78.     1878.  8^. 


Von  der  Beate  Accademia  dei  Lincei  in  Born: 

a)  Atti.     Serie  III.     Classe  di  scienze  morali.     1877.  4^. 

b)  Nuovo  statuto.     1875.  4^. 

c)  Constitutiones  Lynceorum.      1876.  8®. 

d)  Triplice  omaggio  aUa  Santitä  di  Papa  Pio  IX.      1877.  fol. 


Von   der  Beal  Academia   de  hellas   artes  de  San  Fernando  in 

Madrid  : 

a)  Resumen  de  las  actas  de  la  Real  Academia  de  beilas  artes 
de  San  Fernando  durante  el  ano   1877.     1878.  8^. 

b)  Discurso   leido   ante  la  Real  Academia  de  beilas  artes  de 
San  Fernando  por  Jose  Maria  Avrial.      1878.  8^. 

Von  der  Academia  Beal  das  Sciencias  in  Lissabon: 

a)  Historia  dos  estabelecimentos  scientificos  de  Portugal,    por 
J.  S.  Riteiro.     Tom.  5—7.     1876  —  78.  8^ 

b)  Becada  ICi  da  Ilistoria  da  Inc'ia  por  Ant.  Bocarro.   1876.  4*^. 

c)  Historia  do  Congo,  obra  posthuma  do  Visconde   de  Paiva 
Mansu.     (Documentos.)     1877.  8^. 

d)  Relatorios  das  sessoes   1875—77.      1875—77.  8^. 

e)  Conferencias   celebradas   na   Academia    Real  das  Sciencias. 
1877.  8^ 

f)  Theatro  de  MoMere.     0  Doente  de  scisma  (Le  malade  ima- 
ginaire).     1878. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  417 

Von  der  Gesellschaft  für  Nordische  AUerthumsJcunde  in  Kopen- 
hagen : 

a)  Aarboger.    1877.  Nr.   1  —  4.    1878.  Nr.    1.   1876.  Tillaeg. 
1877-78.  8". 

b)  Memoires   de  la  Society  Royale  des  Antiquair  es  du  Nord. 
Nouv.  Serie   1877   (Schlussheft)   1878.   8^ 

Von  der  k.  7c.  Akademie  der   Wissenschaften  in  Krahau: 

a)  Rocznik.     Eok.    1877.      1878.   8'*. 

b)  Rozprawy.     Histor.-philos.   Cl.     Tom.   8.      1878.   8^. 

c)  Monumenta  medii  aevi  historica,     Tom.  4.      1878.  4^. 

Von  der  französischen  Regierung  in  Paris: 

Le  Livre  des  Rois  par  Abou'lkasim  Firdousi  publik  par  J.  Mohl. 
Tom.   VII.      1878.  fol. 

Von  der  h.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Kopenhagen: 
Oversigt.      1878.     1878.   8. 

Von  der  Smithsonian  Institution  in   Washington: 

List  of  Publications  of  the  Smithsonian  Institution.  July  1877. 
1877.  8^ 

Von  der  Spiridione  de'  Medici  Dillotti  in  Linguaglossa  (Sicilien)  : 
Le  ultime  ore  e  l'apoteosi  di  V.  Emanuele  II.  Palermo   1878.  8^. 

Vom  Verein  für  Geschichte  und  Alterthumskunde  in  Frankfurt  a.  M. 

a)  Neujahrsblatt  für  d.  J.   1877  u.   1878.  A^. 

b)  Archiv  für  Frankfurts  Geschichte.     Neue  Folge.     Bd.  VI. 
1877.  8^ 

Vom  historischen   Verein  in  Osnabrück : 

Mittheilungen.     Bd.  XI.      1878.   8°. 

[1878. 1  Philos.-philol  -bist  Cl.  Bd.  II.  3.]  29 


418  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Vom  Ilennehergischen  alterthumsforschenden  Verein  in  Meiningen  : 
Einladungsschrift  zum  Jahresfeste  am   14.  November   1878.  8". 

Von  der  h.  preussischen  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin : 

a)  Abhandlungen  aus  d.  J.    1877.      187t.   4". 

b)  Corpus  Inscriptionum  AUicarum.  Vol.  III.  1.  Inscriptiones 
Atticae   aetatis  Romanae    ed  G.  Dittenberger.      1878.  fol. 

Von  der  Äcademie  de  Metz: 
Mömoires.     LVIIP  annöe   1876—77.      1878.   8''. 

Vom  fürstlich  Fürstenbergischen  Hauptarchiv  m  Donaueschingen  : 
Fürstenbergisches  Urkundenbuch.     Bd.  III.  Tübingen  1878.  4^. 

Vom  historischen  Verein  des  Kantons  Bern  in  Bern: 

a)  Katalog  der  Bibliothek.      1876.   8^. 

b)  Katalog     der    Flugschriften  -  Sammlung     der     Bibliothek. 
•  1876.  8^ 

c)  Archiv  des  historischen  Vereins  des  Kantons  Bern.  Bd.  IX. 
Heft  3.      1878.   8^. 

Von   der   schlesischen  Gesellschaft  für   vaterländische  Gultur  in 

Breslau: 

a)  Jahresbericht  f.  d.  J.    1877.      1878.   8^ 

b)  Fortsetzung  des  Verzeichnisses  der  in  den  Schriften  der 
schlesischen  Gesellschaft  von  1864  —  1876  enthaltenen 
Aufsätze.      1878.  8**. 

Von  der   Universität  Leiden: 
Annales  Academici   1874  —  75.     Lugduni  Bat.   1877.  4®. 

Vom  Kgl.  Instituut  voor  de  Taal-,  Land-  en  Volhenhunde  van 
Nederlandsch-Indi'e  im  Haag : 

Bydragen  tot  de  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde  van  Nederlandsch- 
Indie.     4^' Volgrecks.  Deel.  I.  IL  s'Gravenhage   1878.  8'^. 


Einsendungen  von  JDruckseh/riften.  419 

Von  der  Royal  Irish  Academy  in  Dublin: 
Proceedings  Ser.  II.  Vol.  III.    1877.  8^. 

Von  der  südslavischen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Agram: 

a)  Rad.     Bd.  44.      1878.  8^ 

b)  Monumenta    spectantia    ad  historiam  Slavorum  meridiona- 
lium.  Vol.  VII.     1877.  8^ 

Von  der  Sociedad  cieniißca  Argentina  in  Buenos  Aires: 
Anales.     Tomo  VI.     Entrega  4.      1878.  8". 

Von  der  Redaktion  des  Athenaeum  in  Athen: 
'i^r^vaiov.     Tom.  7.     Heft  3.  u.  4.     1878.  8^ 

Vom  Geschichts-  und  Alterthums- Verein  in  Leisnig . 
Mittheilungen.     Heft  5.      1878.   8^ 

Von  der  Archäologischen  Gesellschaft  in  Berlin: 

Theseus    und    Minotauros.      38.  Programm    zum  Winkelmanns- 
feste von  Alex.  Conze.      1878.  4^. 

Von  der  k.  k.  Akademie  der   Wissenschaften  in   Wien: 

a)  Archiv  für  österreichische  Geschichte.     Bd.  55  u.  56.  1877. 
8^     Bd.  57.      1  Hälfte  1878.  8^ 

b)  Almanach.     27.  Jahrg.    1877.  t.     28.  Jahrg.      1878.  8^. 

c)  Sitzungsberichte.     Philosophisch -historische  Classe.  Bd.  88. 
89.     1878.  8^ 

d)  Denkschriften.  Philosophisch-histor.  Classe.     Bd.  26.  1877. 
4^     Ed.  27.    1873.4". 

e)  Fontes  rerum  Austriacarum.    Abth.  II.  Bd.   40.   1877.  8". 

29* 


420  Einsendungen  von  DrucJcsehriften. 

Von  der  Je.  k.   Universität  in  Graz: 

Zur  Geschichte    des   deutschen  Volksthums    im    Karpathenlande 
von  F.  Krones.      1878.   4. 

Vom  Verein  für  siehenhürgische  Landeskunde  in  Hermannstadt: 

a)  Archiv.     Neue  Folge.     Bd.  XIV.      1877.   8*^. 

b)  Jahresbericht  für   1876/77.      1877.   8". 

c)  Bericht  über  das  Frh.  Samuel  v.  Brukenthal'sche  Museum 
in  Hermannstadt.  I.  Die  Bibliothek  von  Lud.  Reissenberger. 

1877.  8«. 

Vom  historischen   Verein  für  Niedersachsen  in  Hannover: 
Zeitschrift.     Jahrg.    1878.      1878.  8^ 

Von  der   Verwaltung  der  k.  Sammlungen  in  Dresden: 
Bericht  für  die  Jahre   1876  u.   1877.      1878.  4^. 

Von  der  Äcademie  Boy  die  des  Sciences  in  Brüssel: 

a)  Mömoires.     Tom.   42.      1878.  4^ 

b)  Mömoires  couronn^s.     Tom.   40.  41.      1876—78.  4'^ 

c)  Memoires  couronnäs.  Collection  in  8^.  Tom.  27.  28. 
1877/78.     8^ 

d)  Biographie  nationale  Tom.  V,    2.  VI.   1.      1876  —  77.  8^ 

e)  Table  chronologique  des  chartes  et  diplömes  imprimös 
par  Alph.     Wauters.     Tom.   5.      1877.  4^ 

f)  Chroniques  rel.  ä  l'histoire  de  la  Belgique  sous  la  domi- 
nation  des  Ducs  de  Bourgogne ,  publ.  par  Kervyn  de 
Lettenhove.     Tom.  III.      1876.  4^ 

g)  Ly  Myreur  des  histors  chronique  de  Jean  des  Preis,  publ. 
par  St.  Bormans.     Tom.  4.      1877.   4^ 

h)  Collection   des  voyages  des  Souverains   des  Pays-Bas  publ. 

par  M.  Gachard.  Tom.  I.  1876.  4^ 
i)  La   Bibliothöque   nationale    ä    Paris.      Notices   et    Extraits 

par  M.  Gachard.  Tom.  IL  1878.  4°. 
k)  Correspondance   du  Cardinal  de  Granvelle   publ.    par  Edm. 

Poullet.     1877.  4^^ 


Einsendungen  von  Druckschriften.  421 

Von  der  Academia  Olimpica  in   Vicenza  : 

a)  Giangiorgio  Trissino  o  Monografia   di  un  letterato  nel  se- 
colo  XVI  di  Bernardo  Morsolin.      1878-  4^^ 

b)  Scritti   vari    di     Ambrogio  Fusinieri  illustrati  da   G.   Can- 
toni.      1878.  4. 

Vom  B.  Istituto   Veneto  di  seiende  in   Venedig: 

a.)  Atti.     Serie  V  tom.   3.  4. 

b)  Memorie.     Vol.  XX.      1876.   4^. 

Vom  Äteneo   Veneto  in   Venedig: 
Atti.     Ser.  II.  u.  III.     1877-78.  8^ 

Vom  Hjelmstjerne-Rosencroneske  Stiftelse  in  Kopenhagen: 

Script or es    rerum    Danicarum    medii    aevi,    quos    coUegit    Jac. 
Langebek.     Tom.  IX.      1878.  fol. 

Von  der  B.  Äccademia  delle  scienze  in  Turin: 
Atti.     Vol.  XIII.     1877—78.  8^ 

Vom  Kirchlich-historischen  Verein  für  Geschichte  in  Freiburg  i.  Br. : 
Freiburger  Diöcesan- Archiv.     Bd.  XII.      1878.   8^. 

Von  der  Gesellschaft  für  Pommersche  Geschichte  in  Greifswald: 
Geschichte    der    Stadt    Greifswald   von  Theod.  Pyl.      1879.   8^ 

Vom  akademischen  Leseverein  in  Graz: 
11.  Jahresbericht   1878.  8^ 


422  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Vom  Herrn  Michael  Zirwik  in  Salzburg. 

Grundzüge  einer   wissenschaftlichen  Grammatik  der  griechischen 
Sprache.      1878.  8®. 

Vom  Herrn  Äug.  Dillmann  in  Berlin. 

Verzeichniss    der    abessinischen  Handschriften  der  k.  Bibliothek 
zu  BerHn.      1878.  4^. 

Vom  Herrn  Joh.  Jos.  Schwickert  in  Diekirch  : 

a)  Pindar's    olympische  *  Siegesgesänge    in    durchgreifend    ge- 
läutertem Texte  nebst  Uebersetzung.     Trier   1878    8^. 

b)  Commentationis     Pindaricae    liber    singularis.       Augustae 
Trevirorum.      1873.  4^. 

c)  De    l'AUemagne    litt^raire   et   philologique.     Luxembourg. 
1879.  8^ 

Vom  Herrn  JE.   Wagner  in  Karlsruhe: 

Die    Grossherz.    Badische    Alterthümersammlung    in  Karlsruhe. 
II.  Heft.      1878.  fol. 

Vom  Herrn  Karl  von   Weher  in  Dresden: 

Archiv    für    die    Sächsische    Geschichte.      N,    Folge.      Bd.    5. 
Heft   i.     Leipzig  1878.  8^ 

Vom  Herrn   Wilhelm  Pertsch  in  Gotha: 

Die  arabischen  Handschriften  der  herzogl.  Bibliothek  zu  Gotha. 
Bd.  1.     Heft   1.  2.      1877     78.  S^'. 

Vom  Herrn  Jos.   Wormstall  in  Münster: 

Hesperien.     Zur   Lösung    des    religiös-geschichtlichen    Probleme 
der  alten  Welt.     Trier  1878,  8". 


Einsendungen  von  Druckschriften.  423 

Vom  Herrn  Leopold  von  BecJch-  Widmanstetter  in   Trient  : 

Studien    an    den  Grabstätten  alter  Geschlechter  der  Steiermark 
und  Kärntens.     Berlin   1877  —  78.   8". 

Vom  Herrn  Charles  ScJioebel  in  Paris: 

a)  L'histoire  des  rois  Mages.      1878.  8*^. 

b)  L'äme  humaine.      1878.  8". 

Vom  Herrn  L.  Ph.   C.  van  der  Bergh  im  Haag : 

Beschrijving  der  \roegere  Nederlandsche  Gemeentezegels    in   het 
Rijks-Archief.     s'Gravenhage   1878.   8^. 

Vom  Herrn  M.  Amari  in  Florenz: 

Su  la  data  degli  sponsaH  di  Arrigo  VI.  con  la  Costanza  erede 
del  trono  di  Sicilia.     Roma   1873.  4'^ 

Vom  Herrn  Giovanni  Grozsadini  in  Bologna: 

a)  Delle  torre  gentilizie  di  Bologna.      1875.  8^. 

b)  Giovanni  Pepoli  e  Sisto  V.      1879.   8". 

Vom  Herrn   Wilhelm  von  Christ  in  München: 

Aristotelis    de    arte    poetica    liber   reo.    Guil.    Christ.      Lipsiae. 

1873.  8^. 

Vom  Herrn  Konrad  Maurer  in  München: 

Udsigt  over  de  Nord  germaniske  retskilders  historie.     I.  Hälfte. 
Kristiania.      1C7C.  C^. 

Vom  Herrn  C.  Mehlis  in  Dürhheim: 

Materialien  zur  Vorgeschichte  des  Menschen  im  östlichen  Europa 
von  Albin  Kohn  und  C.  Mehlis.     Bd.  I.     Jena  1378.  e'\ 


424  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Vom  Herrn  Julius  Swiecianowski  in  Berlin: 
Die  musikalische  Scala  in  der  Welt.      1877.   8^. 

Vom  Herrn  Leopold  JDelisle  in  Paris: 
Notice  sur  un  manuscrit  mörovingien.      1878.  fol. 

Vom  Herrn  James  Henry  in  Dublin: 

Aeneidea,  or  critical,  exegetical  and  aesthetical  Remarks  on  the 
Aeneis.     2  vols.      1877  —  78.   8^ 

Vom  Herrn  Charles  Schmidt  in  Strassburg: 
Histoire  littöraire  de  l'Alsace.     2.  vols.     Paris   1879.   8". 

Vom  Herrn  Hermann  Lotze  in  Göttingen: 
Metaphysik.     Leipzig.      1879.  8^ 


Sach-Regiöter. 


AU  Sa'id  38. 
Adae  et  Evae  Vita  150. 
Adamsbuch,  das  äthiopische  224. 
Aegyptisch-aramäische  Inschriften  97. 
Aegyptische  Tetraeteris  305. 
Aethiopischer  Taufritus  37. 
Annalen  von  Weihenstephan  150. 
Augsburger  Relationen  bei  Visitatio  365. 

Cento  Vergilianus  29. 

David  von  Augsburg  über  die  Waidesier  87. 
Dodona,  Ausgrabungen  in  1,  224. 

Elisabeth,  Pfalzgräfin  364. 
Eridanos  in  Venetien  261. 
Euripides,  drei  verlorene  Tragödien  des  170. 

Geschichts werke,  bayerische  und  pfälzische  im  k.  Archiv  150. 

Inschriften,  ägyptisch-aramäische  97. 

Maiimilian's  1.  (Kurfürsten)  Instruction  für  den  Hofmeister  Fer- 
dinand Maria's  225. 
[1878. 1  Philos.-philol  -bist.  CI.  Bd.  II.  3.]  30 


426  Sach-Begister. 

Ramus  Petrus  157. 
Eubä'is  des  Abu  Sa'ld  88. 


Servet  Michal,  Process  gegen  260. 

Taufritus  der  äthiopischen  Kirche  37. 

Urhan  VIII  364. 

Venetien,  der  Eridaiios  '261. 
Vergilianus  Cento  29. 
Visitatio  liminura  apostolorum  365. 
Vita  Adae  et  Evae  150. 

Waldesier,  die  37. 
Weihenstephan,  Annalen  von  150. 
Würzburger  Handschriften  71. 


Namen-Register. 


T.  Bezold  364. 
Bursian  1,  29,  224. 

Conze  (Wahl)  151. 
Cornelius  260. 

Ethe  38. 


Föringer  160. 
Friedrich  365. 


Gozzadini  (Wahl)  152. 
Gregorovins  364. 

Hillebrand  (Wahl)  152. 
Huber  Alph.  (Wahl)  152. 

Krehl  (Wahl)  152. 
Kuhn  (Wahl)  151. 

Laubmann  71. 
Lauth  97,  305. 
Leier  (Wahl)  152. 


428  Namen-Register. 

Meyer  150. 
Micha&lis  fWahl)  152. 


V.  Prantl  157. 
Preger  37. 

Eockinger  150. 
Rottm  anner  225. 

Schmidt  (Wahl)  152. 
Stieve  (Wahl)  151. 

Trnmpp  37,  38,  224. 

ünger  261. 

Wecklein  170. 
Weinhold  (Wahl)  152. 
Würdinger  (Wahl)  161. 


CIRCULAIE  AS  MQNQGRAPIi 

AS  Akademie  der-  Wi-ssenschaf  ten, 

182  Munich.  Philo sophisch- 

MB23  Historische  Abteilung 
1878       Sitzungsberichte 


PLEASE  DO  NOT  REMOVE 
CARDS  OR  SLIPS  FROM  THIS  POCKET 

UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY 


CII^SULATE  AS  MQNQPSAPIi